Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />
unser Vater, Schwiegervater und Oedl soll leben. Vivat er lebe hoch! Und nochmal hoch! Und<br />
zum dritten Mal hoch!“<br />
<strong>Die</strong> Jungen schrieen aus Leibeskräften <strong>mit</strong> und gaben <strong>mit</strong> ihren neuen Instrumenten einen<br />
famosen Tusch dazu.<br />
So feierte die vor einer Stunde noch mißvergnügte Familie ein fröhliches Christfest. Der<br />
Geber dieses Festes freilich war fern, aber im Geiste war er gewiß anwesend und freute sich<br />
über die Freude der Beschenkten.<br />
VIII.<br />
„Waberl! Ahnl“ riefen Großmutter und Enkelin zu gleicher Zeit und umarmten sich lange –<br />
lange.<br />
„Ahnl, bist bös auf mi?“<br />
„Recht bös!“ entgegnete unter Thränen lachend die Alte und küßte die Kleine auf Mund und<br />
Stirn.<br />
„Gelt, Ahnl, i fang schöne G’schichten an! Woaß der Sepp, wie’s mir gangen hat?“<br />
„Der Sepp is gleich am andern Tag furtg’fahrn und kann’s no’ nöt wiss’n.“<br />
„Er woaß’s no’ nöt?“ sagte etwas mißgestimmt das Mädchen. Dann fuhr sie fort: „Nöt wahr,<br />
Ahnl, das war recht dumm von mir, daß i glaubt hon, der Stilzl kimmt, und du hast mir so oft<br />
g’sagt, daß ’s koane G’spenster giebt?“<br />
Laß das guat sein, Waberl, das ist vorbei. – Ach, daß i di nur wieder hon!“<br />
„I fahr heut <strong>mit</strong> dir nach Kleinaig’n, Ahnl!“<br />
„Gott bewahr, Deandl, du bist ja no’ krank!“<br />
„Krank bin i? Aber nöt g’fährli, gelt?“ fragte Waberl.<br />
„Gott sei Dank, hat’s koa’ G’fahr!“ entgegnete die Alte.<br />
Es hatte auch keine mehr; gleichwohl war nicht daran zu denken, daß das Mädchen vor<br />
Verlauf einiger Wochen in sein Dörfchen zurückfahren könne. Pauline traf die Anordnung,<br />
daß die Alte bei ihrer Enkelin bleiben konnte, und durch die liebevolle Sorgfalt beider Frauen<br />
schritt der Kranken Besserung rasch vorwärts.<br />
Es schien anfangs, als ob der heitere Sinn des Mädchens nicht wiederkehren wollte. <strong>Die</strong><br />
Ereignisse jener Nacht hatten eigentümlich hineingegriffen in das frohe, junge Leben. Oft<br />
fragte sie, ob Sepp noch nicht gekommen sei und sie besuche, und wenn ihr die Alte sagte,<br />
daß er weit über Land und vor Ostern kaum wiederkehren dürfte, ward sie traurig; sie wußte<br />
selbst nicht recht warum. Stundenlang sann sie oft für sich hin. <strong>Die</strong> Großmutter erzählte ihr<br />
die schönsten Sagmandl. Waberl stellte sich, als ob sie aufmerksam zuhörte, aber ihre<br />
Gedanken schweiften in unbestimmten Weiten.<br />
Das böhmische Hexendeandl trat, auf Fürbitte Paulinens, bei deren Eltern in <strong>Die</strong>nst und<br />
wurde auf einem mehrere Stunden von Neumarkt entfernten Oekonomiegute zur<br />
Zufriedenheit ihrer Herrschaft verwendet. Niemand erfuhr weder von ihr noch von Pauline,<br />
welche Rolle der Aberwitz in Warzenried sie hatte spielen lassen.<br />
Es war nahezu Lichtmeß geworden, bis Waberl insoweit hergestellt war, daß sie ohne<br />
Gefahr <strong>mit</strong> ihrer Großmutter in ihr Dörfchen heimkehren konnte. Pauline hatte die Kleine<br />
recht lieb gewonnen und sich vorgenommen, erziehlich auf sie zu wirken. So wollte sie<br />
Waberl vor allem in seinen Handarbeiten unterrichten, und es wurde verabredet, daß diese,<br />
wenn der Winter vorüber, zu diesem Zwecke öfter zu ihr kommen solle; sei Waberl einige<br />
Jahre älter, meinte Pauline, müsse sie hinaus in die Welt, wofür sie dann schon sorgen wolle.<br />
Als die Alte <strong>mit</strong> ihrer Enkelin von der liebenswürdigen Familie Abschied nahm, weinten<br />
beide heiße Thränen der innigsten Dankbarkeit. Pauline küßte Waberl uns sagte: „Besuche<br />
mich, so oft dein Herz nach mir begehrt!“<br />
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