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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

Wie das kam, das konnte sie sich freilich nicht enträtseln, aber es war so. Das sagte ihr das<br />

Herz, welches laut pochte vor Freude und Schmerz. „Mei’ Waberl lebt!“<br />

„Ja, sie lebt!“ rief eine wohlklingende Stimme hinter ihr, und als sich die Alte umwandte,<br />

erblickte sie zu ihrer Ueberraschung vor sich eine schöne Dame, welche sie sogleich als<br />

Fräulein Pauline, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers, zunächst des eine Stunde entfernten<br />

böhmischen Städtchens Neumarkt erkannte. <strong>Die</strong> Alte hatte vor lauter Aufregung das Anfahren<br />

des Wagens und deren Eintreten in die Stube überhört und als jetzt die Dame rief: „Ja, sie<br />

lebt!“ war ihre erste Frage: „Wo, wo?“<br />

„Bei mir, liebe Nandl,“ entgegnete Pauline. „Erst vor zwei Stunden erfuhr ich von dem<br />

Mädchen, daß es Eure Enkelin sei.“<br />

„Warum is’s nöt <strong>mit</strong>komma?“ fragte rasch die Alte.<br />

„Sie ist krank – aber außer Gefahr.“<br />

<strong>Die</strong> Alte blickte dankbar zum Himmel und wollte dann die Hand der schönen Dame küssen,<br />

was diese nicht zugab, sondern Nandl bei der Hand haltend, erzählte sie ihr, wie vor zehn<br />

Tagen das Mädchen, welches die Gendarmen nachts im Walde aufgegriffen und über die<br />

Grenze geschafft hatten, sterbenskrank in Neumarkt angekommen sei. Man sei bei Gericht in<br />

großer Verlegenheit gewesen, was <strong>mit</strong> dem fieberkranken Mädchen zu beginnen, und über<br />

den Beratungen wäre das arme Geschöpf gestorben, wenn nicht zufälligerweise der Vater<br />

Paulines dazu gekommen wäre; diesen habe die traurige Lage des fremden Mädchens gerührt<br />

und er habe sich erboten, die Kranke auf sein Gut aufzunehmen.<br />

„Wir legten sie gleich ins Bett,“ erzählte Pauline weiter, „ließen den Doktor kommen und<br />

pflegten die Kleine wie unser eigen Kind. <strong>Die</strong> schon Aufgegebene hat die Krisis glücklich<br />

überstanden, seit zwei Stunden ist sie aus dem Fieber erwacht und die erste Frage war nach<br />

der Mutter Nandl.<br />

„Da erfuhren wir denn zu unserer freudigen Ueberraschung, daß es nicht die vermeintlich<br />

Besessene, sondern Euer Waberl sei, dessen Verschwinden wir alle so sehr bedauert hatten.<br />

Schnell ließ ich einspannen, um Euch noch heute diese freudige Kunde als Christgeschenk<br />

bringen zu können – ich weiß und seh’ es Euch an, daß Ihr in Eurem Leben noch kein<br />

schöneres Geschenk erhalten habt!“<br />

<strong>Die</strong> alte Nandl konnte kein Wort erwidern. Sie lächelte unter einem Strom von Thränen<br />

hervor und sah das Fräulein <strong>mit</strong> Blicken voll unaussprechlicher Dankbarkeit an. Auch Pauline<br />

ihrerseits war ergriffen, auch ihre Augen waren feucht.<br />

Pauline war eine herrliche Frauengestalt. Sie hatte reiches, glänzendschwarzes Haar und<br />

unter schmalen, schwarzen Wimpern blickten große, dunkle Augen hervor, in denen ein Feuer<br />

glühte, das <strong>mit</strong> einem wunderbaren Strahle des Friedens ihr Gesicht verklärte. Der kleine<br />

Mund, der sich so gerne zu einem freundlichen Lächeln öffnete, zeigte blendend weiße Zähne<br />

und ihre Stimme klang angenehm, herzlich und heiter zugleich. <strong>Die</strong>ses Mädchen hatte die<br />

kostbare Gabe, freundlich zu sein; reich oder arm, vornehm oder niedrig – das galt ihr gleich;<br />

sie war gegen alle gleich leutselig. Sie war in dem kleinen Städtchen in einer Schule <strong>mit</strong> den<br />

übrigen Kindern erzogen worden, und hatte <strong>mit</strong> diesen Freuden und Leiden geteilt. Zur<br />

Jungfrau herangewachsen, galt sie für eine Schönheit und sie war es auch, hatte dazu einen<br />

scharfen Verstand, gepaart <strong>mit</strong> einem glücklichen Humor; jedermann hatte „die Pauline“ lieb.<br />

Wie glücklich es sie machte, andere zu erfreuen, bezeugte schon der Umstand, daß sie in der<br />

kalten Winternacht persönlich in das fast zwei Stunden von ihrem Wohnorte entfernte<br />

Kleinaigen hinauseilte, um der alten Nandl die frohe Kunde über ihr wiedergefundenes<br />

Waberl bringen zu können. Sie kannte die Alte gut und hatte auch deren Enkelin öfter<br />

gesehen, aber diese war bei ihrer Ankunft in einem so kläglichen Zustande gewesen, daß sich<br />

Pauline ihrer nicht erinnern konnte. Sie hatte die Kranke selbst gepflegt, über deren Namen<br />

und Heimat niemand Auskunft zu geben wußte, und inniges Bedauern <strong>mit</strong> der Armen<br />

empfindend, raisonnierte sie ohne Rücksicht über den Unsinn der Bauern, die das Mädchen<br />

für eine Hexe gehalten und es zum Herumirren in der Gegend gezwungen hatten.<br />

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