Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />
Waberls Mutter überlebte ihren Mann nicht lange und hinterließ die achtjährige Waise ihrer<br />
Schwiegermutter, der alten Nandl, die ein Austraghäusl in Kleinaigen besaß. Kleinaigen ist<br />
ein Stündchen südöstlich vom Grenzstädtchen Furth entfernt und liegt reizend zwischen<br />
üppigen Obstbäumen am Hange einer längs des Chambbaches sich hinziehenden Anhöhe,<br />
gerade gegenüber dem Markte Eschlkam und dem prächtigen Hohenbogengebirge.<br />
Waberl hatte schon in aller Frühe ihr Dörfchen verlassen, um in Furth die benötigten<br />
Gegenstände einzukaufen und dann dem Fuhrmann entgegenzugehen, welcher eben heute<br />
eintreffen mußte. So gelangte sie bis zum Teufelsfelsen, den sie erstieg, um eine weitere<br />
Fernsicht zu haben. All ihre Gedanken waren beim Christkindl-Ansingen, und während sie<br />
bald auf die Straße, bald nach ihrer kleinen niedlichen Wiege blickte, sang sie, trotz der<br />
empfindlichen Kälte, das von der Großmutter erlernte Lied, welches in einfacher Volksweise<br />
die freudige Ankunft es heiligen Christ verkündete.<br />
Plötzlich unterbrach sie ihren Gesang <strong>mit</strong> einem lauten Freudenausruf, denn sie erblickte<br />
endlich einen auf der Straße herankommenden großen Fuhrwagen, und ihr Herz sagte ihr, daß<br />
er der ersehnte sei.<br />
Es war in der That der Mirtl-Sepp, der <strong>mit</strong> seinem beladenen Frachtwagen nahte. Sechs<br />
schöne Hengste, nach Lüneburger Art auf das flotteste ausgerüstet, zogen denselben.<br />
Zahlreiche blankgeputzte Rosen waren an dem Sattelzeuge angebracht; rote Staubhadern<br />
nebst Dachshäuten schmückten die Geschirre der <strong>mit</strong> messingenen Beißkörben versehenen<br />
Gäule, welche den hochbeladenen, <strong>mit</strong> Bastdecken und weißen Blahen unterbreiteten<br />
Frachtwagen rüstig auf der Straße daherzogen. Ein weißer Spitzhund, der unentbehrliche<br />
Begleider jedes vollkommenen Fuhrwerkes, schritt gemächlich nebenher. Bei den<br />
Spitzengäulen schlenderte ein bejahrter kleiner Knecht schweigend dahin. Er war fast ganz in<br />
einen alten, blauen Fuhrmannskittel eingehüllt, aus welchem er nur zeitweise sein vor Kälte<br />
blaues Gesicht <strong>mit</strong> einer roten Nase heraushob, um seine Gäule <strong>mit</strong> einem „Hi, hi!“<br />
aufzumuntern.<br />
Der junge Mann bei den Stangengäulen, ein hochstämmiger Bursche von kräftigem,<br />
muskulösem Körperbau, achtete der Kälte wenig. Er hatte einen schönen, blonden Krauskopf<br />
und auf seinem hübschen Gesichte <strong>mit</strong> scharf markierten Zügen, blauen Augen und etwas<br />
gebogener Nase lag ein bunter Strauß von künstlichen Blumen und Flittergold. Eine blaue,<br />
<strong>mit</strong> weißen Stickereien verzierte Bluse, welche er über einer warmen Jacke trug, eine<br />
schwarzlederne Hose, in deren Schlitztasche das unvermeidliche <strong>mit</strong> Silber beschlagene<br />
Besteck nicht fehlte, und schwarze Wadenstiefel bildeten seine Kleidung. Er knallte <strong>mit</strong><br />
seiner Peitsche, daß es weithin schallte und aus dem Walde ein vielfaches Echo wiedertönte;<br />
dann pfiff er seinen Gäulen ein lustiges Stückchen vor, wozu das laute Knarren des Wagens<br />
auf dem Schnee eine eigentümliche Begleitung abgab, oder er sang ein fröhliches Lied, dem<br />
selbst die Hengste durch Schütteln ihrer Mähnen gebührenden Beifall zollten:<br />
Und i bin a lustiger Fuhrmannsbua,<br />
Und i bin a lustiger Bua! usw. usw.<br />
„Zwetschgerl,“ rief jetzt Sepp seinem Knechte zu, „siehgst auf ’m Teufelsfelsen dort die<br />
Pfarrersköchin?“<br />
„Hi, hi!“ entgegnete kurz der alte Zwetschgerl, indem er <strong>mit</strong> dem Kopfe nickte und seine<br />
emporgehobene Nase schnell wieder in die warme Hülle steckte.<br />
Waberl stieg jetzt den Felsen hinab und eilte dem Wagen entgegen.<br />
„Guat’n Morg’n, Sepp!“ rief sie schon von weitem. „Hast mi nöd vergessen und ’s<br />
Christkindl <strong>mit</strong>bracht?“<br />
„Je! ’s Waberl!“ entgegnete der Fuhrmann. „Hab justament glaubt, wie du auf ’m<br />
Teufelsfelsen oben g’standen bist, du wärst a kloane Wetterhex.“<br />
„Hast mir ’s Christkindl <strong>mit</strong>bracht?“ fragte jetzt das Mädchen wieder.<br />
„Verflixt noch amal!“ rief der Bursche. „Schau Deandl, d’rauf hab i völli vergessen.“<br />
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