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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

irgend eine günstige Gelegenheit wieder die Freiheit verschaffte? Wo sollte die Kleine denn<br />

sonst sich befinden? Auf der Erde war keine Spur von ihr, und irgendwohin mußte sie doch<br />

gekommen sein! <strong>Die</strong> Vermutung Veitls lag nahe, ja sie ward ihm zur Gewißheit, ein kleines<br />

Kind mußte das begreifen. Er hatte seine Ansicht auch <strong>mit</strong> aller ihm möglichen Rücksicht der<br />

alten Nandl beigebracht und ihr den Rat gegeben, die Sache bei den Franziskanern in<br />

Neukirchen in nähere Erwägung ziehen zu lassen. Aber die Nandl hatte kein Ohr für so<br />

dummes Zeug, wie sie es Veitl ins Gesicht nannte, sondern vertraute und hoffte.<br />

Veitl schüttelte freilich bedenklich <strong>mit</strong> dem Kopfe und brummte: „Kein Wunder, daß so viel<br />

Unglück über sie kimmt; aber sie hat halt koa’ Religion!“<br />

Nandl hatte sich soweit wieder erholt, daß sie ihr Bett verlassen und ihre kleinen häuslichen<br />

Geschäfte besorgen konnte. <strong>Die</strong> Nachbarn waren sonst stets bei ihr, pflegten und halfen, wo<br />

es Not that, nur am heutigen Abend hatte jeder im eigenen Hause zu thun, und so saß die Alte<br />

allein in ihrem Stübchen und konnte sich ungestört ihren Betrachtungen überlassen. All die<br />

Kleinigkeiten, welche sie für die Enkelin zur Bescherung bestimmt hatte, waren auf den Tisch<br />

gelegt, daneben stand die blaue Wiege, die letzte Freude des Mädchens, auch das Tuch lag da,<br />

welches der Mirtl-Sepp geschickt hatte. Sie betrachtete beim Scheine ihrer kleinen Lampe alle<br />

diese Dinge <strong>mit</strong> Andacht und Wehmut. Sie hatte die Hände gefaltet und Thränen in den<br />

Augen, sagte sie: „Wenn du scho’ an’ Engel bist, mei’ Waberl, so blick’ awa und freu’ di durt<br />

oben über das Christkindl, das dir dei’ alte Ahnl b’stimmt hat! Schick mir an’ Trost, daß ich<br />

dein’ Verlust ertragn kann, du Herzenskind! Sollt’s aber noch auf dieser Erd sein, dann<br />

Himmelvater, bring’ mir’s z’ruck; sie war und is ja mei’ Lebn und mei’ alles!“<br />

Sie wurde in ihrem Gebete durch Klopfen an den Laden gestört. – Ein freudiger Schauer<br />

überkam sie: „Wenn’s mei’ Kind wär’!“ – So schnell sie es vermochte, eilte sie hinaus und<br />

öffnete die Thüre. Wirklich stand ein Mädchen von Waberls Größe vor derselben.<br />

„Waberl, bist du ’s?“ rief die Alte <strong>mit</strong> bebender Stimme. Aber ach, sie war es nicht.<br />

„I bitt Enk um Gott’swillen,“ sagte eine fremde Stimme zu ihr, „laßt’s mi nöt erfrier’n in der<br />

Nacht.“<br />

„Wer bist d’ denn?“<br />

„I bin an’ arm’s Deandl und weiß nöt, wo aus und wo an, wenn neamad so barmherzig is, si<br />

meiner anzunehmen.“<br />

Das fremde Mädchen hatte dies unter Schluchzen gesprochen, und die Alte entgegnete,<br />

ohne sich lange zu bedenken, so möchte hereinkommen in die warme Stube.<br />

Drinnen beim Lichte sah sie jetzt ein junges Mädchen in einem bedauernswerten Zustande<br />

vor sich. Seine Kleider waren zerlumpt, die Schuhe zerrissen, die Wangen seines braunen<br />

Gesichtes waren eingefallen, die Augen von vielem Weinen geschwollen und die schwarzen<br />

Haare hingen zerzaust und struppig herab vom unbedeckten Kopfe.<br />

„Wem g’hörst denn an, Deandl?“ fragte jetzt <strong>mit</strong>leidig die Alte. „Aber sag mir’s noch nöt,<br />

wärm’ di erst am warmen Ofen und i mach dir schnell ’s Essen ferti, das i für mi in d’ Röhr’n<br />

gestellt hon. Dann red’n wir weiter.“<br />

Da<strong>mit</strong> richtete die Alte das Essen her. Das fremde Mädchen kauerte sich auf der Ofenbank<br />

zusammen, denn es zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Als ihr Nandl das Essen überreichte,<br />

verschlang sie es <strong>mit</strong> Heißhunger, so daß die Alte es für gut fand, noch einige Eier<br />

einzuschlagen, um da<strong>mit</strong> den Appetit des unvermuteten Gastes vollends zu stillen, was denn<br />

auch erreicht wurde.<br />

Mit dankbarem Blick sah jetzt das Mädchen die Alte an und als es die schönen Sachen auf<br />

dem Tische bemerkte, fragte es: „Oes habt’s wohl aa r a Deandl und eam zum Christkindl<br />

b’schert?“ <strong>Die</strong> Kleine seufzte bei dieser Frage und die Alte antwortete auch nur <strong>mit</strong> einem<br />

stillen Seufzer.<br />

„Jetzt sag’ mir, Deandl, woher du bist und wie ’s kimmt, daß du in der kalt’n Christnacht<br />

mutterseel alloa herumgehst und so unglückli aussiehgst?“<br />

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