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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

Der junge Mann dachte der vergangenen Nacht und des mutigen Mädchens, welches ihn so<br />

klug befreit hatte von der drohenden Gefahr. Er fühlte, daß er ihr zeitlebens zum Danke<br />

verbunden blieb. <strong>Die</strong>ses edle Gefühl der Dankbarkeit bindet <strong>mit</strong> magischen Fäden an die<br />

Person, welcher man verpflichtet ist; man denkt <strong>mit</strong> einer Art Andacht an diejenigen, welche<br />

sich liebend seiner angenommen und Gutes gethan haben. Schon der Wunsch, ihnen einmal<br />

vergelten zu können, ist ja Dankbarkeit, und wie süß ist diese Vergeltung, wenn sie möglich<br />

geworden.<br />

Als der Wagen in der Nähe des Teufelsfelsens vorüberfuhr, wo Tags vorher Waberl <strong>mit</strong><br />

ihrer Wiege der Ankunft des jungen Mannes entgegegengesehen, überflog es ihn wie <strong>mit</strong><br />

einer tiefen Wehmut. „Wenn’s nur nöt krank worn is!“ dachte er bei sich. „Hätt’ nur die<br />

Fracht nöt so pressiert, i hätt’ so gern dem Waberl selbst das Tüachl bracht und ihr nochmals<br />

Dank g’sagt, was i jetzt auf vielleicht lange Zeit verschiab’n muaß!“<br />

So waren weder Fuhrleute noch Pferde in einer besonders günstigen Stimmung, für den<br />

Moment wenigstens. Am anderen Tage ging es schon besser; die Witterung blieb gut und<br />

Sepp kam rechtzeitig in München an, wo er so glücklich war, gleich wieder eine andere<br />

vorteilhafte Fracht in eine weit entfernte Stadt zu erhalten. Lustig knallte er wieder neben<br />

seinen Gäulen dahin, pfiff und sang wie vordem, denn er war ein junges Blut und, wie er sich<br />

auszudrücken pflegte, ging ihm nichts ab auf Gottes weitem Erdboden.<br />

Unterdessen war der Weihnachtsabend herangekommen. In der Stadt und auf dem Lande<br />

jubelten die Kleinen dem Christkindl entgegen und freuten sich Eltern und Kinder im Geben<br />

und Empfangen.<br />

Auch in Kleinaigen ward es in jedem Hause rege. Hier wurde noch gefegt und geputzt, dort<br />

gebacken und die Mettenwurst hergerichtet; anderswo war bereits das Christkindlein in<br />

seinem goldenen Wagen angefahren und klingelte vor den Stubenthüren, welche es auf das<br />

Gebet der Kleinen öffnete, um <strong>mit</strong> goldener Hand die den Ueberglücklichen bestimmten<br />

Geschenke hineinzuwerfen, und so merkte man es jedem Hause an, daß er angekommen sei,<br />

der heilige Christ, erfreuend nud beglückend alle Herzen!<br />

Nur in einem der äußersten Häuschen des Dorfes, wo die alte Nandl wohnte, war es still.<br />

Kein Laut der Freude tönte heraus durch die kleinen <strong>mit</strong> Läden verschlossenen Fenster. Wo<br />

sonst der Mittelpunkt der jungen frohen Welt gewesen, da regte sich jetzt nichts mehr; kein<br />

Lachen und kein Gesang ertönte und keine Sagmanln ergötzten mehr die lauschenden Kleinen<br />

und Großen. – War sie gestorben die alte Nandl? Hatte sie der Schmerz um die verlorene<br />

Enkelin getötet? War es gebrochen, dieses starke Herz, weil es zu schwach für dieses neue<br />

Unglück gewesen?<br />

Nein! Es war nicht gebrochen; der Schmerz hatte sie nicht getötet; die Alte lebte noch, und<br />

das Herz, welches die ersten Tage erbebte und aufschrie vor unaussprechlichem Jammer,<br />

dieses Herz umschloß jetzt den schönsten Reiz alles menschlichen Lebens, die Hoffnung, und<br />

<strong>mit</strong> der Hoffnung ein untrügliches Gottvertrauen.<br />

Alle Nachforschungen nach dem abhanden gekommenen Mädchen waren zwar erfolglos<br />

geblieben, aber auch alle Vermutungen, daß die Kleine verunglückt sein könne, wurden durch<br />

genaue Untersuchungen widerlegt.<br />

Der alte Jägerveitl war einer der Thätigsten. Kein Fleckchen im Umkreise war zu finden, wo<br />

er nicht gefragt und gesucht hätte, und täglich wurde er mehr in seiner gleich anfangs<br />

gefaßten Meinung bestärkt, daß das Mädchen nicht auf natürlichem Wege verschwunden sei.<br />

Er brachte die böhmische Hexe <strong>mit</strong> Waberls Verschwinden in Verbindung.<br />

Wurde diese Hexe nicht in dem nahen Stilzhölzl und zwar in derselben Nacht aufgegriffen,<br />

in welcher Waberl spurlos verschwunden war? Da die Hexe sich bei der Arretierung nich<br />

sofort in eine Nachteule oder Fledermaus verwandeln, den Gendarmen die Augen aushacken<br />

und davonfliegen konnte, mußte jedenfalls ihr Rapport <strong>mit</strong> dem Schwarzen aufgehört haben,<br />

und dies war nur zu ermöglichen, indem sie diesem eine andere Seele zubrachte. Und diese<br />

neue Seele, wenn es Waberl gewesen wäre? Wenn es der Böse in seiner Gewalt hätte, bis ihm<br />

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