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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

Das Fenster war angelweit auf. <strong>Die</strong> Alte vermutete, daß die Kleine auf diesem Wege<br />

ausgeflogen sei, weil die Hausthüre verschlossen geblieben, um sich zum Annamirl, behufs<br />

Vorbereitungen zum Christkindlansingen, zu begeben. <strong>Die</strong> schöne Wiege stand übrigens noch<br />

wie gestern abends auf dem Tische in der Wohnstube.<br />

<strong>Die</strong> Alte machte Feuer und setzte Wasser für den Kaffee zu. Dann ging sie in den Stall,<br />

melkte die Kuh, fütterte die Hennen und machte hierauf das Frühstück für sich und Waberl<br />

fertig. Aber diese war immer noch nicht zurück.<br />

„I muaß ihr nur schrei’n,“ dachte die Alte und eben im Begriffe, zum Nachbarn hinüber zu<br />

gehen, lief das kleine Annamirl in die Thüre.<br />

„Guat’n Morg’n, Muatta Nandl!“ rief sie. „Is ’s Waberl schon g’richt!“<br />

„Ja is denn ’s Deanl nöt bei enk drenten?“<br />

„Bei uns? I hon’s heut no’ nöt g’sehn!“<br />

„Nacha woaß i nöt, wo’s sein könnt,“ entgegnete die Alte, etwas stutzig gemacht.<br />

„Vielleicht is’s ins Dorf zu wem ’nunter. Aber was hat’s denn in der Fruah so ’rumz’laufen?<br />

Ge, Annamirl, schau di a weng danach um und bring’s hoam.“<br />

Das Mädchen eilte sogleich fort, die Freundin zu suchen, während sich die Alte eines<br />

kleinen Aergers nicht erwehren konnte. Das Herumlaufen in aller Frühe, es war kaum acht<br />

Uhr und noch nicht recht Tag, wollte sie dem Mädchen ein für allemal ernstlich verweisen.<br />

Sie wartete und wartete fast eine Stunde. Endlich kehrte Annamirl, aber allein, zurück.<br />

„Hon’s nirgends g’fund’n!“ sagte sie. „Bin überall ’rumgangen und hon in d’ Häuser<br />

g’schrien, aber ’s Waberl war nöt da. G’wiß is’s alloa’ in ’n Markt ins Englamt ummi, weil’s<br />

es nöt <strong>mit</strong>gnomma habt’s,“ meinte das Mädchen.<br />

Das leuchtete der Alten ein. Aber sie wurde zornig über den „Fratzen“, wie sie sich<br />

ausdrückte.<br />

„Jetzt soll’s aber aa koan Kaffee krieg’n!“ rief sie. „Annamirl, setz’ di her und laß du dir’n<br />

schmeck’n.“<br />

„Gelt’s Gott!“ entgegnete die Kleine. „I hon grad mei’ Supp’n gessen und wenn ’s Waberl<br />

kommt, hätt’ die nix.“<br />

„Sie soll aa nix hab’n!“ rief Nandl erzürnt. „’s Englamt is schon längst aus. I war die letzt’,<br />

die ins Dorf z’ruckkemma is. Wo bleibt’s also? Schau auf d’ Straß’n, Annamirl, ob du’s nöt<br />

kemma siehgst.“<br />

Das Mädchen ging wieder hinaus und schaute nach dem Markte hinüber. Leute, welche auf<br />

dem Wege daher kamen, fragte sie, ob sie Waberl nicht gesehen hätten, aber niemand konnte<br />

Auskunft geben. Annamirl wurde jetzt selbst ärgerlich und konnte das Weinen kaum<br />

zurückhalten. Nun kamen sie ja zu spät fort zum Christkindlansingen und der ganze Plan erlitt<br />

dadurch eine Aenderung. Sie sah immer und immer auf den Weg, aber kein Waberl ließ sich<br />

sehen.<br />

<strong>Die</strong> alte Nandl kam endlich selbst heraus und rief Annamirl <strong>mit</strong> ängstlicher Stimme zu:<br />

„Kannst du’s nöt erschau’n?“<br />

„Sie kimmt no’ nöt!“ erwiderte traurig die Kleine. „Und koa’ Mensch hat’s drent im Markt<br />

g’seh’n.“<br />

„Hast d’ g’fragt?“ sagte die Alte, deren Aerger allmählich in Unruhe übergegangen war.<br />

„Wer mir begegn’t is, den hon i g’fragt, aber neamad hat mir Auskunft geb’n kinna. Muatta<br />

Nandl, es wird ’n Waberl do’ nix passiert sein?“ setzte das Mädchen <strong>mit</strong> ängstlicher Stimme<br />

bei.<br />

<strong>Die</strong> Alte erschrak bei diesen Worten. Ihr Herz hatte schon lange diese Frage stellen wollen,<br />

aber sie zwang ihr Herz zum Schweigen. Als jetzt das Mädchen die peinliche Frage<br />

aussprach, fuhr es der Alten durch alle Glieder.<br />

„Der Himmelvater wird dös verhüaten!“ sagte sie kleinlaut.<br />

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