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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

„Geht’s nöt ins Engelamt, Nandl?“ sprach sie jetzt Veitl an, der unfern der Alten stand und<br />

sich auch so seine eigenen Gedanken machte über die junge Hexe.<br />

„Ja, freili,“ entgegnete die Angeredete, sich emporraffend, als ob sie aus einem Traume<br />

erwachte.<br />

„A Glück, daß dös Deanl koane Eltern mehr hat,“ sagte der Jäger, als beide den Weg nach<br />

der Kirche eingeschlagen hatten. „Dös muaß weiter koa’ Jammer sei’, so an’ ungerat’nes<br />

Kind z’ hab’n!“<br />

„Dös Deanl,“ sagte die Nandl, „erbarmt mi scho’ so viel, daß i’s gar nöt sag’n kann. Der<br />

Schmerzensschroa, den ’s ausg’stoß’n hat, summt ma no’ in die Ohr’n. A solcher Schroa kann<br />

von neamad kemma, der a schlecht’s Herz hat. Dös arme G’schöpf, gebt’s Obacht, Veitl, is a<br />

Opfer der Dummheit und des Aberglaubens. A Hex draus z’ macha, weil si beim Schaumichl<br />

a gottloser Mensch an’ Spaß g’macht hat, d’ Leut z’ erschreck’n und ’s Deanl zuafälli da war,<br />

dös, Veitl, is sündhaft und wenn dös arme G’schöpf vor lauter Jammer stirbt, so hab’ns die<br />

dumma Leut auf ’n G’wissen.“<br />

„Oes glaubt’s also nöt, daß ’s Deandl b’sess’n is, nachdem i gestern alles so genau erzählt<br />

hon, was si zuatrag’n hat? Nandl, Gotteslohn! dös hätt i Enk nöt zuatraut, daß ’s so weni<br />

Religion hätt’s!“<br />

„I bin an’ alt’s Weib,“ entgegnete hierauf Nandl, „aber Oes, Veitl, i merk’s, Oes seid’s a<br />

viel ärgers, wenn’s so leicht jeden Unsinn glaubt’s.“<br />

„I glaub alles, was i nöt begreifen kann!“ entgegnete der graue Jäger.<br />

„Nacha wunder’ i mi freili über nix mehr,“ schloß die Alte.<br />

Sie waren an der Kirchthüre angekommen und beide trennten sich, um ihre gewohnten<br />

Plätze in der Kirche aufzusuchen.<br />

Nandl kniete in ihrem Stuhl und ihr Gebet galt dem armen böhmischen Mädchen. <strong>Die</strong> Alte<br />

fühlte um so wärmer für dasselbe, als es immer in der Gestalt und <strong>mit</strong> dem Gesichte ihrer<br />

kleinen Enkelin vor ihrem Geiste stand. Nandl war eine jener Personen, welche Mitgefühl für<br />

fremdes Leid haben und sich lebhaft in die traurige Lage anderer versetzen können, aber auch<br />

nach Thunlichkeit <strong>mit</strong> Rat und That dem Mitmenschen beistehen, wenn er’s verdient. War es<br />

ihr gelungen, hie und da ein gutes Werk der Nächstenliebe zu vollbringen, so fand sie darin<br />

einen größern Genuß, als wenn sie selbst <strong>mit</strong> einer Freude bedacht worden wäre. Und außer<br />

der Selbstgenugthuung, welche sie sich dadurch verschaffte, hatte sie in ihrem Herzen die<br />

feste Ueberzeugung, daß keine gute That verloren sei und früher oder später jede vergolten<br />

werde, schöner und reichlicher, als wir’s zu ahnen vermögen. Wie oft in ihrem Leben hatte sie<br />

das schon erfahren! Wie vertrauensvoll blickte sie deshalb auch in dieses Leben hinein. Ihr<br />

Herz war jung geblieben, wenn auch die Jahre ihre Haare gebleicht und ihren Körper<br />

geschwächt hatten. Im Kreise der Kinder, welche sie so gerne aufsuchten und sich von ihr<br />

Märchen und Sagen erzählen ließen, fühlte sie so ganz wieder <strong>mit</strong> den jungen Leutchen und<br />

die Stimme ihres Herzens drang wieder zum Herzen und so legte sie, ohne daß sie es selbst<br />

ahnte, manchen guten Keim, der Wurzeln und Knospen trieb, aus denen Tugend und<br />

Frohsinn, Verstand und Glück als schätzbarste Früchte des menschlichen Lebens entsprossen.<br />

Der Gottesdienst war zu Ende und die Alte schlug wieder den Weg nach ihrem Dörfchen<br />

ein. Beim Krämer vorüberkommend, nahm sie einige Lot Kaffee <strong>mit</strong> und kaufte beim Bäcker<br />

ein mürber Hörnl, wo<strong>mit</strong> sie heute Waberl beim Frühstück überraschen wollte. In der Regel<br />

gab es nur eine Suppe, aber heute mußte ja das Mädchen <strong>mit</strong> ihrer Freundin über Land und da<br />

wollte sie ihr vorerst eine kleine Freude machen.<br />

„Sie wird schon wach sein, wenn i hoam kimm,“ dachte sie, „und wird ma nöt dank’n, daß i<br />

ihr’s Englamt hon verschlaf’n lass’n. Der Kaffee wird nacha dös kloane Köpfl schon wieder<br />

guat stimma.“<br />

An nichts als an ihr Waberl denkend, kam sie bei ihrem Häuschen an. Als sie die Hausthüre<br />

geöffnet und in die Stube eingetreten war, sah sie noch nichts von ihrer Enkelin. Deshalb ging<br />

sie in die Kammer und bemerkte hier zu ihrer Ueberraschung, daß Waberls Bett leer stand.<br />

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