Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />
Engelämter seit mehreren Tagen angefangen hatten. <strong>Die</strong>ser Gottesdienst beginnt um sechs<br />
Uhr früh. Von allen Dörfern und Weilern eilen die Landleute herbei, <strong>mit</strong> ihren Laternen<br />
wandelnden Irrlichtern gleichend, die sich alle in einem einzigen Punkte zu vereinigen<br />
trachten. <strong>Die</strong>se Engelämter haben für alt und jung einen eigenen Reiz. <strong>Die</strong> Jugend begrüßt sie<br />
als die Vorboten des heiligen Christfestes, dem die jungen Herzen <strong>mit</strong> so freudiger Hoffnung<br />
entgegenschlagen, die Erwachsenen erinnern sich dabei an vergangene, an schönere Zeiten,<br />
freuen sich der vielen Lichter und des schönen Orgelspiels in der Kirche und sind <strong>mit</strong> einem<br />
Male in eine andächtige Stimmung versetzt, welche ihr Inneres erhebt und <strong>mit</strong> wohlthuendem<br />
Frieden umsomehr erfüllt, als in der Frühe die Leidenschaften und äußeren<br />
Lebensverhältnisse noch nicht alle ihre Gedanken in Anspruch genommen haben.<br />
<strong>Die</strong> alte Nandl fehlte <strong>mit</strong> ihrer Enkelin nie bei diesen Andachten, aber heute zog sich die<br />
Alte geräuschlos an, um Waberl nicht aufzuwecken, welche vom gestrigen Gange nach Furth<br />
noch müde sein und heute wegen des Christkindlansingens weit umherwandern mußte.<br />
Deshalb schlich sie, ihr großes Gebetbuch und den Rosenkranz in der Hand, allein aus dem<br />
Häuschen und ging zum Markte hinüber; auf dem Wege gesellten sich eine Menge<br />
Dorfbewohner zu ihr. Als sie auf dem Marktplatze an der Gendarmeriestation vorüber wollte,<br />
sah sie viele Leute vor einem Wagen stehen, der <strong>mit</strong> einer Blachen überdeckt war und dessen<br />
Vordersitz eben für den Gendarmerie-Kommandanten zurecht gerichtet wurde.<br />
„Wer wird denn da forttransportiert?“ fragte Nandl die Nächststehenden.<br />
„<strong>Die</strong> böhmisch Hex!“ antwortete man ihr.<br />
„Ebba gar dös Kindsdeandl, dös beim Schaumichl war?“<br />
„Ja, die B’sessene!“<br />
„Kann ma’s nöt sehgn?“<br />
„Sie liegt in an’ Bett, denn seit’s d’ Gendarm erwischt hab’n, hat’s dös höllische Fiaba.“<br />
„Wo is’s denn aufg’riffen wor’n?“<br />
„Heut nacht im Stilzhölzl drent. D’ Gendarm san auf ihrer Patrouille dort durchkomma und<br />
dös Deanl is eahna unvermuat in d’ Händ g’laufa. Sie soll an’ furchtbar’n Schrei ausg’stoß’n<br />
hab’n und wie tot hing’fall’n sein. D’ Gendarm hab’ns <strong>mit</strong> vieler Not nach Haus bracht! ’s<br />
Deandl kann koa’ Wort red’n und stoßt nur hie und da an’ Schrei aus.“<br />
„Wo schaffen’s denn die Arme hin?“<br />
„Ans böhmische G’richt. San ma froh, wenn die B’sessene aus’n Land kimmt!“<br />
„Dummköpf!“ rief jetzt der Gendarm von seinem Sitze herab. „Wenn dös Deandl b’sess’n<br />
wär, traget’s koa g’weiht’s Bild an der Brust. Nöt darum, sondern weil’s a landfremds Madl<br />
is, dös ’s G’richt in Böhmen requiriert hat, transportiern wir’s über d’ Grenz. Merkt’s Enk dös<br />
und fabelts koan solchen Unsinn daher von Hexen und B’sess’nen!“<br />
„Oho!“ riefen die Leute. „Der könnt si aa höflicher ausdruck’n!“<br />
„Recht hat er!“ riefen wieder andere und unter ihnen auch die alte Nandl. Der Jägerveitl,<br />
welcher natürlich bei solchen Gelegenheiten nicht fehlen konnte und alle Augenblicke in die<br />
Höhe sah, ob das Hexendeanl nicht in Gestalt einer Fledermaus einen Fluchtversuch mache,<br />
meinte: „Es steht an’ jed’n frei, z’ glaub’n, was er will!“<br />
„So glaubt’s, was ’s wollt’s!“ rief der Gendarm und der Knecht trieb die Pferde vorwärts.<br />
Als sich der Wagen in Bewegung setzte, ertönte aus demselben ein furchtbarer Schrei. Es<br />
war ein Schrei, der schmerzlich durch die kalte Morgenluft drang und alle Umstehenden<br />
eigentümlich berührte. Kopfschüttelnd schlugen die Leute den Weg zur Kirche ein. Nur<br />
Nandl stand wie gebannt da und blickte dem sich entfernenden Wagen nach. Jener Schrei war<br />
ihr durch alle Glieder gefahren und hatte ihr Herz erzittern gemacht. Sie hörte ihn da innen<br />
nachtönen wie ein hundertfaches Echo und Thränen standen ihr in den Augen, sie wußte<br />
selbst nicht, warum. Ihr war so unaussprechlich weh! Eine düstere Ahnung senkte sich hinab<br />
in die Tiefe ihres Herzens, ähnlich den grauen Nebeln, wenn sie herniedersteigen auf die<br />
lachende Flur, oder dem kommenden Gewitter, wenn es plötzlich aufsteigt und den reinen<br />
Himmel umzieht <strong>mit</strong> schwarzem, drohendem Gewölke.<br />
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