Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1
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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />
davon entfernt soll sich dann ein ungeheurer schwarzer Hund <strong>mit</strong> großen, feurigen Augen<br />
zeigen, welcher dem Wanderer knurrend den Weg versperrt, bis man das Kreuz schlägt,<br />
worauf er laut heulend die Flucht ergreift. – Waberl machte das Kreuz und lief über den<br />
verrufenen Steg; aber sie hörte und sah von alledem nichts.<br />
„Mei’ Ahnl hat Recht,“ sagte sie, „es giebt koane G’spenster.“<br />
Leise sang sie ihr Christkindllied, um wieder neuen Mut zu bekommen und es that auch eine<br />
Strecke gut. Aber jetzt lag ein Föhrenholz vor ihr, durch welches der Weg führte. Es war bei<br />
Tag ein harmloses Wäldchen, aber zur Nachtzeit und in dieser Stunde „reigierte“ (spukte) das<br />
Gespenst des „Stilzl“ darin. Waberl weinte laut auf; aber sie schwieg sogleich wieder, denn<br />
das Echo gab ihr Weinen zurück und das war ihr noch unheimlicher. Sie dachte an Sepp, an<br />
den <strong>Die</strong>nst, den sie ihm geleistet; sie dachte an das morgige Christkindlansingen, an den zu<br />
erwartenden Reichtum, an den Ritter, welcher einmal ihr Verlobter werden sollte – und <strong>mit</strong><br />
einem gewissen Selbstbewußtsein schritt sie hinein in das Revier des gefürchteten Stilzl.<br />
<strong>Die</strong>ser Stilzl war ein Roßhirt gewesen und hatte dreizehn Rosse unter sich. Als er eines<br />
Tages eintreiben wollte und seine Tiere abzählte, fehlte ihm eines. Das kam daher, weil er<br />
selbst auf einem saß, das er <strong>mit</strong>zuzählen unterließ. So sprengte er denn im Holze auf und ab,<br />
die Kreuz und die Quer, fand aber nirgends das verloren geglaubte Pferd und geriet hierüber<br />
so in Verzweiflung, daß er sich an dem Aste einer Föhre aufknüpfte. Seitdem „reigierts“ im<br />
Hölzchen und der Stilzl treibt seinen Schabernack <strong>mit</strong> den Bauern, die hier im Winter das<br />
Holz wegfahren. Oft hilft er den Schlitten schieben, daß es federleicht auf dem schlechten<br />
Weg von dannen geht; ein anderes Mal setzt er sich aber darauf und man bringt das Fuhrwerk<br />
nicht weiter, so viele Ochsen man auch vorspannen mag, worüber der Stilzl immer ein<br />
höhnisches Lachen aufschlägt. Einzelnen Leuten, die sich irgend einer bösen That bewußt<br />
sind und nachts in sein Revier kommen, setzt er sich auf den Nacken und reitet sie lachend bis<br />
an den Saum des Waldes. Schon von weitem hört man ihn herankommen. Er zählt nämlich<br />
langsam und laut von eins bis zwölf; ist man bis dahin nicht aus seinem Reviere, so sitzt er<br />
einem <strong>mit</strong> „dreizehn“ sicher auf dem Nacken.<br />
Das hatte Waberl oft in den Rockenstuben erzählen gehört, und jetzt war sie plötzlich selbst<br />
und so ganz allein in diesem Holze und in der Gewalt des Gespenstes, denn ihr Herz war<br />
bedrückt von dem Bewußtsein, eine verbotene That begangen zu haben.<br />
Unter solchen Gedanken lies sie eine große Strecke auf dem Holzwege dahin, aber plötzlich<br />
hielt sie an. Sie hatte etwas gehört! – Was war es denn? Eine Gänsehaut überlief sie.<br />
„Ach Gott, ach Gott! ’s wird doch der Stilzl nöt kemma!“ rief sie im flehendsten Tone,<br />
indem sie vor Furcht am ganzen Leibe zu zittern begann. Nachdem sie sich einigermaßen<br />
ermannt, eilte sie wieder vorwärts; aber schon nach wenigen Schritten stand sie wieder wie<br />
gebannt. Es war keine Täuschung, sie hatte ganz gewiß etwas gehört, und noch war es ihr, als<br />
vernähme sie ganz in ihrer Nähe schwere Tritte.<br />
Jetzt tönte von dem Turme zu Eschlkam die zwölfte Stunde. Jeder Schlag hallte deutlich<br />
hinaus in die stille, klare Winternacht und jeder Schlag ward zum unaussprechlichen<br />
Schrecken des Mädchens in ihrer Nähe laut nachgezählt. – Eins! – Zwei! – Drei! – Vier! –<br />
Hu, es war kein Zweifel, der Stilzl war es, welcher sich näherte! Wie abgebannt stand Waberl<br />
da, ihr Atem stockte. – Näher, immer näher hörte sie zählen – Elf! – Zwölf! – Jetzt kam er aus<br />
der Staude heraus – schon stand er ihr gegenüber! – Ein fürchterlicher Schrei löste sich aus<br />
ihrer Brust, ihre Sinne schwanden, sie wankte, und hingestreckt lag sie auf dem schneeigen<br />
Grunde wie ein geknicktes Blümlein im schönsten Frühling seines Lebens!<br />
V.<br />
<strong>Die</strong> alte Nandl stand am andern Morgen bei Zeiten auf, weil sie nach dem eine halbe Stunde<br />
entfernten Markt hinübergehen wollte, in dessen Pfarrkirche die vor Weihnachten üblichen<br />
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