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Die Christkindlsingerin mit Deckblatt 1

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Maximilian Schmidt <strong>Die</strong> <strong>Christkindlsingerin</strong><br />

In der Nähe der Hochstraße, die das reizende Chambthal entlang von Bayern nach dem<br />

Königreiche Böhmen führt, erhebt sich zwischen Arnschwang und dem am Fuße des<br />

Hohenbogen gelegenen Grenzstädtchens Furth ein einzelner, nicht unbedeutender<br />

Granitblock, welcher unter dem Namen „der Teufelsfelsen“ bekannt ist. Es geht die Sage, daß<br />

hier der Teufel Rast gehalten, als es ihm einstens gefallen, eine böse Pfarrersköchin zu holen,<br />

um <strong>mit</strong> ihr eine Luftfahrt in seine höllische Hofhaltung zu machen. <strong>Die</strong> schwere Last habe ihn<br />

dermaßen ermüdet, daß er sich den Felsen zu einer Ruhestation erwählt, und weil die<br />

Entführte einen Fluchtversuch gemacht, habe er sie dergestalt auf den Stein niedergedrückt,<br />

daß man noch heutigen Tages in dem Felsen die eingepreßten Falten ihres Rockes, wie nicht<br />

minder den Geißfuß Seiner bestialischen Herrlichkeit <strong>mit</strong> einiger Phantasie erkennen kann.<br />

Aehnliche Merkmale findet man auf mehreren Felsen im bayerischen Walde, was zu der<br />

Annahme berechtigt, daß dem armen Teufel diese Entführung sehr sauer gemacht wurde.<br />

Doch was liegt daran! Nicht der verrufene Felsen, sondern das junge Mädchen interessiert<br />

uns, das an einem kalten Wintertage, kurze Zeit vor Weihnachten, dort oben stand und<br />

angestrengten Blickes hinausschaute auf die sich im Thale hinschlängelnde Straße. Mit<br />

Sehnsucht erwartete sie einen Fuhrwagen, der ihr etwas bringen sollte, das alle Wünsche ihres<br />

kleinen Herzens befriedigen würde, nämlich: ein wächsernes Christuskind.<br />

Das vierzehnjährige Mädchen <strong>mit</strong> seinem klugen Gesichte, den braunen großen Augen und<br />

dunklem Haar, das in zwei langen Flechten unter einer schwarzen <strong>mit</strong> Pelz eingefaßten Haube<br />

über seine Schultern herabhing, trug ein blaugefärbtes, leinenes Kleidchen, eine braune<br />

Schürze und war in ein grauwollenes Tuch gehüllt, das es, der großen Kälte halber, enge an<br />

sich zog, während seine Hände in Pelzhandschuhen steckten, die <strong>mit</strong>telst einer über die<br />

Schultern gezogenen grünen Schnur zusammengehalten waren.<br />

Es mochte um die Mittagszeit sein. Der Schnee wiegte sich auf den Tannen des nahen<br />

Waldes, als wollte er da sein Mittagsschläfchen halten, und die Krammersvögel flatterten<br />

futtersuchend hastig umher auf den zahlreichen, längs der Straße stehenden<br />

Vogelbeerbäumen, deren gefrorene rote Beeren malerisch abstachen gegen die Bläue des<br />

Himmels und das Weiß der Erde.<br />

<strong>Die</strong> Kleine, welche auf ihrem hohen Standpunkte der kalten Luft von allen Seiten ausgesetzt<br />

war, zitterte vor Frost; aber gleichwohl blieb sie oben und blickte in ängstlicher Erwartung ins<br />

Thal hinaus. Neben ihr stand eine kleine, blaugestrichene, halb in rotes Tuch eingewickelte<br />

Wiege, auf die sie oft ihre Blicke <strong>mit</strong> einer gewissen Zufriedenheit richtete. <strong>Die</strong> Wiege war<br />

heute erst vom Schreiner in Furth angekauft und schöne, künstliche Blumen waren darin um<br />

ein weißes Kissen angebracht, auf dem das Christkind zu ruhen bestimmt war, das der<br />

Fuhrmann <strong>mit</strong>zubringen versprochen. Hatte sie dann noch die Wiege <strong>mit</strong> seidenen Bändern<br />

zierlich umschlungen, um das Wiegen zu erleichtern, so konnte sie ihre kleine Industrie sofort<br />

beginnen. Es ist nämlich im bayerischen Walde Sitte, daß vor dem Christfeste junge Mädchen<br />

<strong>mit</strong> einer solchen Wiege von Haus zu Haus gehen, um das Christkindl anzusingen. Man sieht<br />

diese „<strong>Christkindlsingerin</strong>nen“ gern kommen, ergötzt sich an ihrem Gesange und beschenkt<br />

sie dann <strong>mit</strong> Geld.<br />

In diesem Jahre hatten sich auch das Kleinmichl-Waberl und ihre Freundin, das Balsen-<br />

Annemirl von Kleinaigen entschlossen, das Christkindl anzusingen. Waberls Großmutter, die<br />

alte Nandl, hatte den Mädchen ein Lied einstudiert, das sie recht wacker <strong>mit</strong>sammen<br />

vortrugen, und für das zu erwerbende Geld waren vom Hafner schon lange die Sparbüchsen<br />

angekauft. Alles war also in Ordnung bis auf das Christkind, welches der Mirtl-Sepp, ein<br />

junger Fuhrmann aus Furth, von München <strong>mit</strong>bringen sollte. Der Sepp hatte es dem jungen<br />

Mädchen gern zugesagt, denn er hatte von jeher eine große Zuneigung zu der Kleinen, deren<br />

Vater fast sein ganzes Leben hindurch Fuhrknecht im Mirtlschen Hause gewesen und in<br />

dessen <strong>Die</strong>nsten, sechs Jahre vor dem Zeitpunkte unserer Erzählung, verunglückt war.<br />

2<br />

I.

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