Profile Nr. 12 - Kunst- und Kulturmagazin
Profile ist das Kunst- und Kulturmagazin für Paderborn und Umgebung. Profile stellt Künstler und Künstlerinnen aus der Region vor - Kunstschaffende, Querdenker, Umdenker, Schräg-Denker, kreative Menschen
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In spürbarer Nähe zur<br />
Von Tobias Vorwerk<br />
Natur<br />
D<br />
ie Erzählung, die sich am Werk von Oksana Bergen<br />
ablesen lässt, fußt auf Installationen <strong>und</strong> Objekten<br />
aus Papier, geht jedoch über den Rahmen der<br />
reinen Darstellung <strong>und</strong> Materialität hinaus. Die komplexe<br />
Erzählstruktur <strong>und</strong> die eigens geschaffenen Techniken der<br />
Künstlerin finden ihren Ausdruck in einer persönlichen<br />
Rezeption der gesellschaftlichen <strong>und</strong> naturalistischen<br />
Wahrnehmung unserer gegenwärtigen Zeit. Bei ihrer Arbeit<br />
trifft man auf Paradoxie <strong>und</strong> Dystopie. In spürbarer Nähe<br />
zur Natur wirken die Werke zwischen Realität <strong>und</strong> Fiktion<br />
auf den visuellen Leser im ersten Moment klar, verständlich,<br />
harmlos, weich <strong>und</strong> schön. Immer wieder finden sich<br />
Bäume in ihren Andeutungen. Um die Symbole zu verstehen<br />
<strong>und</strong> Interpretationsräume zu öffnen, ist der Betrachter<br />
allerdings aufgefordert, durch ein Fenster in ihre Realität<br />
zu blicken. Sodann öffnet sich das Tor zur eigenen Illusion<br />
<strong>und</strong> Oksanas Erzählung kann gelesen werden. Ihre Realität<br />
<strong>und</strong> damit ihre Erzählung beginnt bereits im Kindesalter.<br />
Aufgewachsen am Flussufer der Petchora, in einem kleinen<br />
Dorf in Russland, erkannte sie schon in jungen Jahren ihre<br />
Leidenschaft <strong>und</strong> starke Bindung zur Natur. Sie entdeckte<br />
abstrakte Parallelen zum menschlichen Dasein. Fasziniert<br />
<strong>und</strong> neugierig von Abläufen <strong>und</strong> Zyklen der Natur war die<br />
kindliche Harmonie für sie ein Brunnen der kreativen Kraft,<br />
die sie in ihre <strong>Kunst</strong> einfließen ließ. Die spätere, jugendliche,<br />
Rebellion gegen alles Gesellschaftliche resultiert in Zeiten<br />
wirtschaftlicher Unterwerfung in <strong>Kunst</strong>werken, die das<br />
Innere eines Individuums transparent werden lassen.<br />
Während eines zweijährigen Auslandsaufenthaltes im<br />
chinesischen Nanjing entdeckte sie das Papier als Material<br />
für sich. Dieses recycelt sie <strong>und</strong> setzt Akzente, die das<br />
subjektive Erleben ganzer Generationen ausdrücken <strong>und</strong><br />
psychische Dynamiken deutlich werden lassen. Das Material<br />
erreicht auf unmittelbare Weise die Gefühle <strong>und</strong> Sinne<br />
des Betrachters. Es weckt Neugier, lässt möglicherweise<br />
ratlos auf das Werk schauen, in jedem Fall werden<br />
detaillierte Wahrnehmungen ausgelöst. Man würde es<br />
gerne berühren – das Papier – <strong>und</strong> erfahren, wie warm es<br />
ist, wie rau oder wie glatt. Ob weich oder hart. Nicht zuletzt<br />
unterstützt diese Anziehungskraft die Ästhetik von Oksanas<br />
Papierwelten. Das recycelte Material wird auf kreative Art<br />
entfremdet <strong>und</strong> steht für Nachhaltigkeit ebenso wie für<br />
Vergänglichkeit. Ihre innovative Technik, die Oksana sich<br />
durch Ausprobieren <strong>und</strong> Experimentieren selbst beibrachte,<br />
trifft dabei auf elementare Sinnfragen. Die Mortalität<br />
der Natur wird ihrem unausweichlichen Sieg über den<br />
Menschen gegenübergestellt. Heute lebt Oksana mit ihrer<br />
Familie in Paderborn, einer Stadt in Ostwestfalen, umgeben<br />
von der für sie so wichtigen Natur, aus der sie ihre Kraft<br />
<strong>und</strong> Kreativität schöpft. Wer sich selbst die Zeit schenkt,<br />
den Alltag auszublenden <strong>und</strong> in sich zu blicken, wird beim<br />
Lesen von Oksanas Werk belohnt mit einer ausgefeilten<br />
Darstellung der gegenwärtigen Zeit sowie des eigenen,<br />
vielleicht tief verborgenen, Ichs.<br />
Ein visueller Roman, der seinesgleichen sucht.<br />
„VOGEL”<br />
<strong>12</strong> x <strong>12</strong> cm, Papier,<br />
Scherenschnitt, 2017<br />
„IN SECHS TAGEN ZUM LEBEN”<br />
50 x 50 cm, Papierschnitt mit<br />
Skalpell, 2017<br />
„FEDER”<br />
28 x 20 cm, Papier<br />
2015<br />
„LEITKULTUR”<br />
30 cm, Papier, Nasswickeltechnik,<br />
2015<br />
Oksana Bergen<br />
7 <strong>Profile</strong>