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Leseexemplar Epigenetik

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CATH ENNIS & OLIVER PUGH


Impressum<br />

www.infocomics.de<br />

Titel: <strong>Epigenetik</strong>. Ein Sachcomic<br />

Reihe: INFOcomics (hrsg. von Wilfried Stascheit)<br />

Autor: Cath Ennis<br />

Illustrationen: Oliver Pugh<br />

Umschlag: Edward Bettison<br />

Titel der englischen Originalausgabe:<br />

Epigenetics. A Graphic Guide<br />

© Icon Books Ltd., London, 2017<br />

Text: Cath Ennis<br />

Illustrationen: Oliver Pugh<br />

© 2018 deutsche Ausgabe:<br />

TibiaPress Verlag GmbH<br />

Ruhrpromenade 3, D - 45468 Mülheim an der Ruhr<br />

Tel.: +49 (0)208 88 37 57 47<br />

info@tibiapress.de www.tibiapress.de<br />

Übersetzung: Wilfried Stascheit<br />

Layout: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen<br />

Druck: Druckerei Uwe Nolte, Iserlohn<br />

Gedruckt auf GardaPat Classica<br />

ISBN: 978-3-935254-53-3<br />

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Gene, RNA und Proteine<br />

Bei der <strong>Epigenetik</strong> geht es darum, wie die Gene*, die wir von unseren Eltern<br />

geerbt haben, gesteuert werden und wie sie mit unserer Umwelt interagieren:<br />

Wie unsere Gene uns, na ja, uns machen.<br />

„Epi-” bedeutet darauf oder zusätzlich; <strong>Epigenetik</strong> untersucht, wie zusätzliche<br />

Faktoren mit Genen interagieren, um die Prozesse zu steuern, die unsere<br />

Zellen* und Körper zum Funktionieren bringen.<br />

Wissenschaftler kennen einige dieser Faktoren seit Jahrzehnten, haben aber<br />

erst seit Kurzem damit begonnen, alles zusammenzusetzen, um einige der<br />

Lücken in unserem Wissen über Genetik zu erklären. Von der Entwicklung<br />

der Embryonen bis zur Evolution der Arten, von der Grundlagenforschung im<br />

Labor bis zur Medikamentenentwicklung – die <strong>Epigenetik</strong> wird immer mehr<br />

zum Gesprächsthema!<br />

<strong>Epigenetik</strong> zu verstehen – also zu verstehen, wie<br />

unsere Gene mit der Umwelt und anderen Faktoren<br />

interagieren – ist unerlässlich für das Verständnis<br />

von biologischen Aspekten überhaupt.<br />

* Die mit einem Sternchen gekennzeichneten<br />

Wörter sind im Glossar definiert.<br />

3


Um <strong>Epigenetik</strong> zu verstehen, müssen wir zunächst etwas genetisches Grundwissen<br />

haben:<br />

Gene werden aus Desoxyribonukleinsäure (DNA, deutsch: DNS)* hergestellt.<br />

Die DNA besteht aus langen Strings von vier Molekülkomponenten*,<br />

die Basen* genannt werden: A, C, G und T. Die Reihenfolge oder Sequenz<br />

dieser Basen entlang der Strings ist der genetische Code.<br />

Zwei lange DNA-Stränge winden sich umeinander und bilden die berühmte<br />

Doppelhelix-Struktur. Die Basen auf einem Strang bilden Verbindungen<br />

mit den Basen auf dem anderen Strang; diese verbundenen Paare sind die<br />

„Sprossen” in der verdrehten, leiterartigen Struktur der Spirale. A ist immer<br />

mit T verbunden, und C ist immer mit G verbunden.<br />

Verbindungen zwischen passenden oder „komplementären”<br />

Basen auf gegenüberliegenden<br />

Strängen der DNA A-T und C-G halten die<br />

Struktur der Doppelhelix zusammen.<br />

4


DNA-Replikation und Mitose<br />

In unserem Körper entstehen ständig neue Zellen durch den Prozess der Zellteilung*.<br />

Bevor sich eine Zelle in zwei Teile teilen kann, muss sie eine Kopie ihres<br />

Genoms anfertigen. Dieser Prozess der DNA-Replikation geschieht in ähnlicher<br />

Weise wie die RNA-Transkription. Die Doppelhelix öffnet sich und löst die Verbindungen<br />

zwischen den beiden Strängen. Die Basen auf jedem Strang verbinden<br />

sich wieder mit komplementären neuen Partnern, die zusammen zu<br />

neuen DNA-Strängen werden.<br />

Das Ergebnis am Ende des Prozesses sind zwei Doppelhelix, die jeweils aus<br />

einem alten DNA-Strang der Ursprungszelle und einem neu gebildeten Strang<br />

bestehen.<br />

Alle drehen sich mit neuen Partnern weiter!<br />

12


Die meisten Zellteilungen gehören zum Typus der Mitose*. Dabei entstehen<br />

zwei neue Zellen, die jeweils die gleiche Anzahl von Chromosomen haben wie<br />

die ursprüngliche Zelle.<br />

Die Chromosomen steigen in den Prozess der Mitose ein, wenn sie noch wie<br />

eine Schüssel Spaghetti durcheinandergewürfelt sind. Zu Beginn der Mitose<br />

trennen sie sich auf. Sie kondensieren und bilden mit ihren neu replizierten<br />

Kopien Paare. Die Fasern erstrecken sich jetzt durch die gesamte Länge der<br />

Zelle. Jedes Chromosom verbindet sich dann mit einer Faser. Wenn sich die<br />

Fasern zusammenziehen, wird jeweils ein Partner aus jedem Chromosomenpaar<br />

an ein Ende der Zelle gezogen. Die Zellmembran schnürt sich dann in<br />

der Mitte ein und bildet zwei neue Zellen, die von einer eigenen Membran<br />

umgeben sind.<br />

In meiner neuen Zelle<br />

werde ich dich vermissen!<br />

Ich vergesse dich<br />

niemals!<br />

13


Meiose und Vererbung<br />

Ei- und Samenzellen entstehen durch eine spezielle Form der Zellteilung, die<br />

Meiose*. Bei der Meiose handelt es sich um eine zweischrittige Chromosomentrennung<br />

und Zellteilung nach der DNA-Replikation. Jede der vier neuen<br />

Zellen, die während dieses Meiose-Ereignisses entstanden sind, erhält daher<br />

23 Chromosomen statt der 23 Chromosomenpaare, die in der Mehrzahl der<br />

anderen Zellen vorkommen.<br />

Bei der Befruchtung verschmelzen eine Eizelle und ein Sperma zu einer einzigen<br />

Zelle. Die 23 Chromosomen, die von jedem Elternpaar geerbt wurden,<br />

werden in dieser befruchteten Zygote* wieder aufgebaut, so dass jede neue<br />

Generation ihr Leben mit der gleichen Menge an DNA beginnt wie ihre Eltern.<br />

Schon<br />

wieder<br />

teilen?<br />

Jau! Wir werden jetzt Spermazellen.<br />

Dafür brauchen wir nur jeweils ein<br />

Chromosom.<br />

Die Eizelle<br />

wird uns schon<br />

mit dem passenden<br />

Rest<br />

versorgen.<br />

14


Da Chromosomen sich für die erste meiotische Zellteilung paarweise verbinden,<br />

tauschen sie mit ihren Partnern DNA-Abschnitte aus. Diese genetische<br />

Rekombination* tritt auf, wenn ein Chromosom bricht und einer der beiden<br />

gebrochenen Stränge eine Doppelhelix mit der komplementären Sequenz<br />

auf dem intakten Partnerchromosom bildet. Der zweite intakte Strang wird<br />

von diesem Eindringling verdrängt und verbindet sich stattdessen mit dem<br />

anderen gebrochenen Strang. Eventuelle Lücken werden ausgefüllt und die<br />

Teile an ihren neuen Standorten wieder miteinander verknüpft. Es gehen<br />

keine Informationen verloren – es wird nur neu gemischt. Die zweite Runde<br />

der meiotischen Zellteilung beginnt unmittelbar nach der ersten; eine weitere<br />

Rekombination findet nicht statt.<br />

Hier nun der irre Chromosom-Remix.<br />

Aber die Basis bleibt gleich!<br />

15


DNA-Methylierung<br />

Die kleinste bekannte epigenetische Modifikation ist die Methylgruppe.<br />

Dieses Molekül, das aus einem Kohlenstoffatom und drei Wasserstoffatomen<br />

besteht, ist an einige der C-Basen der DNA durch ein DNA-Methyltransferase-<br />

„Marker”-Protein gebunden.<br />

DNA-Methylierung verursacht Gen-Silencing (Gen-Stilllegung). Adrian Bird<br />

entdeckte Decoderproteine im Zellkern, die spezifisch methylierte C-Basen<br />

(mC) erkennen und binden. Diese Proteine unterbrechen die Transkription von<br />

Genen, die methylierte DNA enthalten, und verhindern so die Produktion der<br />

entsprechenden RNAs und Proteine.<br />

Die DNA-Methylierung ist eigentlich aber eher das Schwarz eines Zensors<br />

als ein Textmarker und sagt der Zelle: „Hier gibt es nichts zu sehen.”<br />

Gene, die methylierte C-Basen enthalten,<br />

werden von Decoderproteinen abgeschaltet,<br />

die an Methylgruppen binden und die<br />

Transkription blockieren.<br />

DNA-Methylierung


Als Adrian Bird und andere in den 1970er Jahren damit begannen, DNA-<br />

Methylierungsmuster zu kartieren, waren die verwendeten Methoden grob<br />

und langsam. In den 1990er Jahren entwickelten die australischen Genetiker<br />

Marianne Frommer und Susan Clark eine Methode, die genau verrät,<br />

welche C-Basen methyliert sind und welche nicht.<br />

vor der<br />

Bisulfit-<br />

Umwandlung<br />

nach der<br />

Bisulfit-<br />

Umwandlung<br />

Bisulfit-Sequenzierungsexperimente werden inzwischen von<br />

Forschern auf der ganzen Welt genutzt, um die epigenetischen<br />

Landschaften verschiedener Zelltypen zu kartieren.<br />

Eine Chemikalie namens Natriumbisulfit<br />

wandelt unmethylierte<br />

Basen in Ts um, aber<br />

methylierte C-Basen sind<br />

geschützt und verbleiben als<br />

Cs. Die Methylierungsmuster<br />

werden durch den Vergleich<br />

der Sequenz der Bisulfit-behandelten<br />

DNA mit der Sequenz<br />

der Ausgangs-DNA ausgelesen.


Die DNA-Methylierung erfolgt nicht zufällig, sondern folgt einigen generellen<br />

Regeln und Mustern.<br />

Die meisten methylierten Cs liegen in der Nähe von G-Basen. Viele aktive<br />

Gene haben ein Cluster von diesen um ihre Transkriptionsstartstellen herum.<br />

Diese Cluster-Features werden CpG-Inseln* genannt, und die meisten sind<br />

unmethyliert. Im Gegensatz dazu werden CpGs zwischen Genen oder in<br />

repetitiven DNA-Sequenzen* in der Regel methyliert.<br />

Repetitive DNA ist problematisch. Sie kann sich an neue Orte begeben; sie<br />

kann die Transkriptions- und DNA-Replikationsmaschinerie verrutschen und<br />

stolpern lassen und Mutationen verursachen, die zu Krebs und anderen<br />

Krankheiten beitragen. Es ist möglich, dass die DNA-Methylierung ursprünglich<br />

als eine Möglichkeit entstand, um diese lästigen Sequenzen abzuschalten<br />

und später ihre anderen nützlichen Funktionen zu übernehmen.<br />

Methylierte CpG-Inseln<br />

Unmethylierte CpG-Inseln<br />

Abgeschaltetes Gen<br />

Angeschaltetes Gen<br />

45


<strong>Epigenetik</strong> erklärt, was Genetik allein<br />

nicht erklären kann<br />

DNA-Methylierung, Histonmodifikationen, Chromatin-Remodelling und regulatorische<br />

RNAs sind in verschiedene Prozesse in unseren Lebenszyklus involviert,<br />

von den ersten Zellteilungen der befruchteten Zygote über die Bildung<br />

von Nachkommen bis hin zum Alter. Die Entdeckung und Erforschung individueller<br />

epigenetischer Modifikationen sind nur kleine Teile des viel größeren<br />

Puzzlespiels um die Funktionsweise dieser Prozesse.<br />

Die <strong>Epigenetik</strong> beginnt allerdings schon jetzt, die Zelldifferenzierung, die Prägung,<br />

das Zusammenspiel von Natur und Nahrung und einige der anderen<br />

Wissenslücken in der Genetik zu erklären.<br />

Wenn du Forschungsergebnisse nicht erklären kannst, sag doch einfach:<br />

„Das muss <strong>Epigenetik</strong> sein!”<br />

72<br />

Das Feld ist noch nicht sehr weit fortgeschritten,<br />

aber einige alte Fragen<br />

sind tatsächlich bereits gelöst.


Epigenetische Veränderungen während<br />

der Embryonalentwicklung<br />

Die frisch befruchtete Zygote erbt ihre Chromosomen (und die an sie angehängten<br />

Proteine und regulatorischen RNAs) von beiden Elternteilen; sie erhält<br />

auch einen Teil der RNAs und Proteine der Samenzelle. Die meisten seiner<br />

RNAs und Proteine stammen jedoch aus der Eizelle der Mutter.<br />

Einige der mütterlichen Proteine und RNAs sind asymmetrisch in der<br />

Eizelle angeordnet und werden nicht gleichmäßig auf die beiden Zellen<br />

verteilt, die während der ersten Mytose gebildet werden.<br />

Da einige der Moleküle aus der Eizelle an der Entwicklung epigenetischer<br />

Modifikationsmuster beteiligt sind, treten epigenetische Unterschiede zwischen<br />

den Zellen sehr früh in der Embryonalentwicklung auf.<br />

73


X-Chromosomen-Deaktivierung<br />

Wie wir bereits gesehen haben, deaktivieren Zellen, die zwei XX-Chromosomen<br />

enthalten, eine Kopie, um die unterschiedlichen Größen der X- und<br />

Y-Chromosomen auszugleichen ( s. S. 23). Dieses Phänomen wird auch<br />

durch epigenetische Mechanismen gesteuert. Die Deaktivierung von X-Chromosomen<br />

ist das perfekte Beispiel dafür, wie verschiedene Arten der epigenetischen<br />

Regulation – DNA-Methylierung, Histonmodifikationen und<br />

Chromatin-Remodelling, die alle von einer lncRNA gesteuert werden – zusammenarbeiten<br />

können, um stabile Chromatin-Zustände zu etablieren und aufrechtzuerhalten.<br />

In den frühesten Stadien der XX-Embryonentwicklung wird das väterlich<br />

ererbte X-Chromosom in jeder Zelle deaktiviert. Diese Abschaltung wird<br />

jedoch innerhalb einer Woche nach der Empfängnis während der ersten<br />

Runde der epigenetischen Umprogrammierung rückgängig gemacht. Die<br />

zufällige Deaktivierung des mütterlichen oder väterlichen Chromosoms wird<br />

durch die Remethylierung des Genoms etabliert.<br />

Frühe embryonale<br />

Entwicklung<br />

Epigenetische<br />

Reprogrammierung<br />

mütterlich väterlich<br />

mütterlich väterlich<br />

Ist ok, einige Zellen später<br />

darfst du deine Zellen<br />

transkribieren.<br />

84


Epigenetische Vererbung<br />

Die epigenetische Umprogrammierung während der frühen Embryonalentwicklung<br />

und wiederum während der Entwicklung der primordialen Keimzellen<br />

(s. S. 74ff.) soll als Rückstellknopf dienen, der verhindert, dass die epigenetischen<br />

Veränderungen, die sich während des Lebens eines Individuums<br />

ansammeln, an die nächste Generation weitergegeben werden.<br />

In den meisten Fällen scheint die epigenetische Schiefertafel auch sauber<br />

abgewischt worden zu sein. Wie wir jedoch sehen werden, gibt es Anhaltspunkte<br />

aus einigen neueren Studien, dass ein gewisses Maß an epigenetischer<br />

Vererbung von Elternteil zu Kind möglich ist. Dies ist ein brisanter Forschungsbereich,<br />

der weitreichende Auswirkungen haben könnte – von Ernährungsgewohnheiten<br />

in der Schwangerschaft bis hin zur Neueinschätzung des<br />

Evolutionsprozesses!<br />

Es gibt immer mehr<br />

Hinweise darauf, dass<br />

epigenetische Veränderungen<br />

von Elternteil<br />

zu Kind übergehen<br />

können – aber dies<br />

geschieht auf komplizierte<br />

und subtile<br />

Weise.<br />

94


Ein Grund für die Kontroverse ist, dass es schwierig ist, echte epigenetische<br />

Vererbung von den Auswirkungen von Expositionen im Mutterleib oder in der<br />

frühen Kindheit zu unterscheiden.<br />

Zellen sind besonders anfällig für Umwelteinflüsse, während sie sich einer<br />

epigenetischen Umprogrammierung unterziehen. Die Umgebung einer<br />

schwangeren Frau in der ersten Woche der Embryonalentwicklung<br />

kann epigenetische Veränderungen mit<br />

lebenslangen Folgen für ihr Kind hervorrufen. Veränderungen<br />

im weiteren Verlauf der Schwangerschaft,<br />

etwa in den Wochen zehn bis elf, wenn<br />

sich die ursprünglichen Keimzellen des Embryos<br />

entwickeln, können auch ihre zukünftigen<br />

Enkelkinder betreffen.<br />

Aber können die Umweltexpositionen der<br />

Mutter in der Schwangerschaft – oder die<br />

Umwelt des Vaters – auch Auswirkungen<br />

auf die nächste Generation haben?<br />

Danke, Mama!<br />

Vielen Dank, Oma!<br />

95


<strong>Epigenetik</strong> bei Krankheiten:<br />

Imprinting-Fehler<br />

Genetische Störungen können auch durch Fehler verursacht werden, die sich<br />

auf das Imprinting auswirken – die Transkription bestimmter Gene von nur<br />

dem mütterlichen oder nur dem väterlichen Chromosom (s. S. 79-83). Imprinting-Störungen<br />

können aus der Mutation oder dem Verlust der Imprint-Kontrollregion<br />

(ICR) resultieren, die alle Cluster von geprägten Genen kontrolliert,<br />

oder der RNAs und Proteine, die helfen, den Methylierungsstatus der ICR festzustellen.<br />

Imprinting-Fehler erzeugen praktisch zwei mütterliche oder zwei väterliche<br />

Kopien des zugehörigen Clusters von geprägten Genen. Dies kann entweder<br />

eine doppelte Gabe oder den vollständigen Verlust der Transkription von eingeprägten<br />

Genen zur Folge haben. Die genauen Auswirkungen dieser Gendosierungsänderungen<br />

hängen von den Funktionen der beteiligten Gene ab,<br />

können aber die Art und Weise, wie Zellen und Organe sich entwickeln und<br />

funktionieren, ernsthaft beeinflussen.<br />

Mist! Ich habe versehentlich<br />

zwei väterliche<br />

Chromosomen<br />

gedruckt.<br />

Spielt das<br />

eine Rolle?<br />

Es bedeutet, dass ich<br />

zwei Kopien von väterlichen<br />

Genen einstelle und<br />

keines der mütterlichen<br />

Gene.<br />

131


Das Beckwith-Wiedemann-Syndrom ist ein Beispiel für eine solche Imprinting-Erkrankung.<br />

Es steht in Zusammenhang mit der Störung einer Gruppe<br />

von geprägten Genen auf Chromosom 11. Die genauen Symptome des Syndroms<br />

hängen von der Art der Mutation ab, die von den Betroffenen vererbt<br />

wird. Einige ICR-Mutationen heben die Transkription eines imprimierten Gens,<br />

das die Mitose hemmt, vollständig auf; andere wiederum erzeugen eine doppelte<br />

Dosis eines wachstumsfördernden Proteins. So ist das Beckwith-Wiedemann-Syndrom<br />

in der Regel gekennzeichnet durch Symptome wie schnelles<br />

Wachstum im Kindesalter und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, an kindlichem<br />

Krebs zu erkranken.<br />

Ähnliche Imprinting-Fehler werden manchmal von reifen Zellen übernommen,<br />

die zur Entstehung von Krebs bei Erwachsenen beitragen können.<br />

Nicht jedes Kind mit Beckwith-<br />

Wiedemann-Syndrom entwickelt Krebs –<br />

aber diese Imprinting-Fehler erhöhen<br />

das Risiko.<br />

132


Die <strong>Epigenetik</strong> des Krebses<br />

Krebs, eine Gruppe von Krankheiten, die durch unkontrolliertes Zellwachstum<br />

und Zellteilung gekennzeichnet sind, ist weltweit die häufigste Todesursache.<br />

Etwa die Hälfte von uns wird irgendwann in unserem Leben mit irgendeiner<br />

Form der Krankheit diagnostiziert werden.<br />

Weltweit gab es im<br />

Jahr 2012 mehr als 14<br />

Millionen Neuerkrankungen<br />

und 8 Millionen<br />

Todesfälle durch<br />

Krebs.<br />

Es wird erwartet,<br />

dass die Zahlen in den<br />

kommenden Jahren<br />

steigen werden.<br />

Jede Krebsdiagnose hat Auswirkungen nicht nur auf den einzelnen Patienten,<br />

sondern auch auf seine Angehörigen, was zu einer enormen globalen Belastung<br />

führt. Die Krankheit ist auch immens teuer, denn jedes Jahr kostet Krebs<br />

allein in der EU schon jetzt mehr als 130 Milliarden Euro pro Jahr, Tendenz<br />

steigend.<br />

Es gibt viele verschiedene Krebsursachen, darunter in etwa fünf bis zehn Prozent<br />

der Fälle vererbte Genmutationen, aber auch die Exposition gegenüber<br />

Chemikalien und andere Umweltfaktoren spielen eine große Rolle.<br />

133


<strong>Epigenetik</strong> und<br />

Pseudowissenschaften<br />

Während mit den zuvor<br />

beschriebenen epigenetisch<br />

basierten Therapien<br />

zwar spannende Fortschritte<br />

erzielt werden, kann es Jahrzehnte<br />

dauern, bis ein wissenschaftlicher<br />

Befund in<br />

greifbare medizinische Fortschritte<br />

umgesetzt ist. Es ist<br />

nicht verwunderlich, dass die<br />

Leute sich während dieser Wartezeit<br />

außerhalb des wissenschaftlichen<br />

Mainstreams umschauen.<br />

Die <strong>Epigenetik</strong> scheint einen überdurchschnittlich<br />

hohen Anteil an<br />

Hype, Überinterpretation und Pseudowissenschaften<br />

anzuziehen.<br />

Die Vorstellung, dass es mehr als<br />

nur unsere DNA-Sequenz gibt, ist<br />

immerhin eine sehr überzeugende.<br />

Besonders attraktiv ist der Gedanke, dass<br />

wir in der Lage sein könnten, Umweltfaktoren aufzuspüren,<br />

die unsere Genetik außer Kraft setzen und<br />

schädliche Expositionen und Erfahrungen ausgleichen –<br />

auch solche, die wir von unseren Eltern und Großeltern<br />

geerbt haben könnten. Es ist sehr verlockend zu<br />

glauben, dass diese schützenden Einflussfaktoren als<br />

Nahrungsergänzungsmittel oder in einem anderen praktischen<br />

Format erhältlich sind.<br />

Kehren Sie die schädliche<br />

<strong>Epigenetik</strong> um, die Sie von<br />

Ihrer Großmutter erhielten.<br />

156


Die <strong>Epigenetik</strong> wurde als die Basiswissenschaft<br />

von allem propagiert, von der Homöopathie und<br />

Akupunktur (wo die Behandlungen angeblich<br />

epigenetische Modifikationsänderungen hervorrufen,<br />

die die Gesundheit verbessern) bis hin zur<br />

Regressionshypnose in die Vergangenheit (wo<br />

Erkenntnisse aus epigenetischen Vererbungsstudien,<br />

wie die der holländischen Hungerwinterund<br />

Överkalix-Ernte, wild extrapoliert werden, um<br />

die Übertragung sehr spezifischer Erinnerungen<br />

an vergangene Lebensabschnitte zu erfassen).Es<br />

gibt jedoch keine stichhaltigen Beweise für diese<br />

Behauptungen. Selbst bei Substanzen, von denen<br />

wir wissen, dass sie epigenetische Modifikationsmuster<br />

beeinflussen, können wir nicht annähernd<br />

sagen: „Diese Kräuterergänzung wird dieses spezifische<br />

schädliche Gen, das Sie geerbt haben,<br />

stilllegen.“ Und spezifische Gene können nicht<br />

epigenetisch allein durch die Kraft des Denkens<br />

reguliert werden, wie bereits behauptet wurde.<br />

Tja, schön wär‘s!<br />

Konzentrieren Sie sich und lenken Ihre Gedanken in<br />

Richtung der Blutzelle, die die mutierten Proteine<br />

macht, dann befehlen Sie ihr, damit aufzuhören.<br />

Eine nette Idee zwar, nur<br />

leider meilenweit entfernt<br />

von der Wahrheit.<br />

157


Ein Blick nach vorn<br />

Wissenschaftler machen gerne Witze darüber, dass die <strong>Epigenetik</strong> alles<br />

erklären kann und wird. Leider nehmen manche den Witz etwas zu ernst:<br />

Der Bereich der <strong>Epigenetik</strong> als Ganzes ist besonders anfällig für Überinterpretation,<br />

unrealistischen Hype und sogar bewusste Falschdarstellung. Experten<br />

und die Öffentlichkeit müssen daher bei Aussagen zur <strong>Epigenetik</strong> vorsichtig<br />

sein.<br />

Es ist schwer, sich von den<br />

Einsatzmöglichkeiten nicht<br />

mitreißen zu lassen!<br />

171


Doch der Witz, dass die <strong>Epigenetik</strong> alles erklären kann, kam nicht von ungefähr;<br />

die <strong>Epigenetik</strong> hat schon viel erklärt und viele Lücken in unserem Wissen<br />

über Genetik und andere wissenschaftliche Themen geschlossen – von der<br />

Embryonalentwicklung über genetische Regulation, Vererbung, Evolution<br />

und Krankheit. Wissenschaftler, die in verschiedenen Bereichen, in Labors auf<br />

der ganzen Welt arbeiten, haben in den wenigen Jahrzehnten, seit Conrad<br />

Waddington das Wort „<strong>Epigenetik</strong>“ geprägt hat, unglaubliche Fortschritte<br />

gemacht.<br />

Durch die Identifizierung und Untersuchung der chemischen Veränderungen,<br />

die die Verwendung der Roh-DNA-Sequenz zur Herstellung von RNAs und<br />

Proteinen beeinflussen, verstehen wir fast alle Aspekte der Biologie besser –<br />

und wir beginnen zu lernen, wie wir dieses Wissen zur Verbesserung der<br />

menschlichen Gesundheit nutzen können.<br />

Es ist ein Feld mit<br />

enormem Potenzial.<br />

172


Glossar<br />

Acetylgruppe: Ein kleines Molekül mit der chemischen Formel COCH3 und einer negativen<br />

Ladung. Acetylgruppen können an Histone und andere Proteine gebunden werden, die die Form<br />

und/oder Ladung des Proteins verändern und so seine Funktionen beeinflussen.<br />

Aminosäure: Ein Molekül, das als Baustein von Proteinen dient. Es gibt 20-23 Arten von<br />

Aminosäuren, je nach Spezies. Ein Teil der molekularen Struktur ist bei jeder Art von Aminosäure<br />

unterschiedlich; dieser Teil bestimmt die Ladung und die chemischen Eigenschaften des<br />

Moleküls, wie z. B., ob es von Wasser angezogen oder abgestoßen wird. Die Abfolge der<br />

Aminosäuren in einem Protein bestimmt Form, Ladung, chemische Eigenschaften und<br />

Funktionen des Proteins.<br />

Chromatin: Eine Kombination aus DNA und Histonen, Gerüstproteinen, anderen Proteinen und<br />

RNAs, die an sie binden.<br />

Chromosom: Die langen Stränge des Chromatins, die ein Genom bilden. Verschiedene Spezies<br />

besitzen unterschiedliche Chromosomenzahlen.<br />

Codon: Eine Sequenz von drei aufeinanderfolgenden Basen in einem mRNA-Strang. Jedes Codon<br />

spezifiziert eine einzelne Aminosäure, wobei einige Aminosäuren von mehreren Codons kodiert<br />

werden.<br />

CpG-Insel: Ein Cluster von CpGs (eine C-Base neben einer G-Base, die durch eine<br />

Phosphatgruppe verbunden ist, p) in der Nähe der Transkriptionsstartstelle eines Gens. Die 70 %<br />

der Gene, die eine CpG-Insel besitzen, sind im Allgemeinen aktiver als die 30 %, denen solche<br />

Strukturen fehlen.<br />

Desoxyribonukleinsäure (DNA): Das Molekül, das genetische Informationen von einer<br />

Generation zur nächsten transportiert. DNA besteht aus langen Strängen von Molekülen, die<br />

Nukleotide genannt werden, von denen jedes eine Base, ein Zuckermolekül, das Desoxyribose<br />

genannt wird, und eine Phosphatgruppe aufweist. Die Desoxyribose- und Phosphatmoleküle<br />

sind in jedem Nukleotid identisch, aber es gibt vier verschiedene Basen – Adenin (A), Cytosin<br />

(C), Guanin (G) und Thymin (T). Zwei DNA-Stränge mit „komplementären“ Sequenzen winden<br />

sich in einer Doppelhelix umeinander, wobei die Basen auf der Innenseite und die Zucker- und<br />

Phosphatgruppen auf der Außenseite paarig sind. A paart sich immer mit T und C mit G.<br />

Epigenetische Umprogrammierung: Die Entfernung und anschließende<br />

Wiederherstellung der DNA-Methylierung in embryonalen Zellen. Sie tritt zunächst früh in der<br />

Embryonalentwicklung (Woche eins) auf und betrifft jede Zelle; die zweite Umprogrammierung<br />

beschränkt sich auf die primordialen Keimzellen und findet in den Wochen zehn bis elf statt.<br />

Epigenom: Die Gesamtheit der kombinierten epigenetischen Modifikationen des gesamten<br />

Genoms. Im Gegensatz zum Genom, das in jeder Zelle eines einzelnen Organismus im<br />

Wesentlichen identisch ist, unterscheidet sich das Epigenom in verschiedenen Zelltypen und<br />

unter verschiedenen Bedingungen.<br />

Gen: Ein Abschnitt der DNA, der für eine bestimmte RNA und/oder ein bestimmtes Protein<br />

kodiert. Gene bestehen in der Regel aus Promotoren (regulatorische Regionen), Exons (die für<br />

Aminosäuren kodieren) und Introns (die vor Beginn der Proteinübersetzung aus der mRNA herausgespleißt<br />

werden). Manchmal überschneiden sich Gene, sodass ein und dasselbe DNA-Stück<br />

mehr als ein Gen enthalten kann.<br />

Genom: Die gesamte DNA einer bestimmten Zelle oder Spezies. Das menschliche Genom wurde<br />

durch das Human Genome Project sequenziert, das 2003 abgeschlossen wurde.<br />

Heritabilität (Erblichkeit): Das Ausmaß, in dem die Variation eines Merkmals durch Gene<br />

bestimmt wird, die in der Regel als Prozentsatz ausgedrückt werden. Die meisten Erkrankungen<br />

werden von mehr als einem Gen gesteuert und sind von Umweltfaktoren beeinflusst, sodass die<br />

Erblichkeit unter 100 % liegt.<br />

173

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