Nummer 45 - Die Jüdische Zeitung
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Nr. <strong>45</strong>, 5. Kislew 5771 / 12. November 2010<br />
Welche Wirkung werden die Kongresswahlen<br />
auf die amerikanische Aussenpolitik und<br />
auf die Politik des Nahen Ostens insgesamt<br />
haben? Das ist nicht eine Frage der einzelnen<br />
Abgeordneten, da keiner von ihnen in den<br />
nächsten Jahren direkten Einfluss auf die<br />
amerikanische Aussenpolitik haben wird. Der<br />
wichtigste Faktor ist, in welchem Ausmass das<br />
Weisse Haus die Botschaft versteht, die ihm<br />
von der Wählerschaft übergeben wurde, die<br />
grossteils wegen innenpolitischen Problemen<br />
besorgt ist.<br />
Wird eine republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus<br />
eine Wendung erzwingen<br />
können, nachdem das Weisse Haus in Wirklichkeit<br />
die Aussenpolitik bestimmt? <strong>Die</strong>s<br />
bringt uns zur zentralen Angelegenheit: Ist<br />
Präsident Barack Obama pragmatisch, oder<br />
ist er ein Ideologe, der kein Verständnis für<br />
die reale Welt hat?<br />
Nach fast zwei Jahren wird diese Frage noch<br />
immer gestellt, weil sehr wenig wirklich über<br />
diesen Mann bekannt ist.<br />
Wenn Obama ein pragmatischer Politiker<br />
ist, wird er drei Dinge bemerken. Erstens<br />
hat seine Aussenpolitik beim amerikanischen<br />
Volk keine grosse Zustimmung gefunden.<br />
Zweitens hat seine Aussenpolitik – zumindest<br />
ausserhalb Westeuropas – auch keinen grossen<br />
Applaus bei ausländischen Führern gefunden.<br />
Und drittens hat seine Aussenpolitik keine<br />
Probleme gelöst.<br />
Zudem hat ein grosser Teil seiner Politik im<br />
Nahen Osten versagt, sicherlich bezüglich<br />
israelisch-palästinensischer Angelegenheiten,<br />
Libanon und Syrien.<br />
Bezüglich des Irans, Iraks und Afghanistans<br />
kann man argumentieren, dass es ihm gelungen<br />
ist, schärfere Sanktionen zu verfügen,<br />
einen Teil der amerikanischen Truppen zurückzuziehen<br />
und den Krieg gegen die Taliban<br />
weiterzuführen. <strong>Die</strong>ser Erfolg könnte jedoch<br />
trügerisch sein. Der Iran leidet zwar unter<br />
den Sanktionen, strebt jedoch immer noch<br />
nach Nuklearwaffen. Der Irak befindet sich<br />
in einer Krise, ohne Regierung, die Gewalt<br />
nimmt stetig zu und steht unter wachsendem<br />
<strong>Die</strong> JüDische <strong>Zeitung</strong><br />
Herausgeber: Verein <strong>Die</strong> <strong>Jüdische</strong> <strong>Zeitung</strong><br />
Brandschenkesteig 14, 8002 Zürich<br />
Administration: Telefon 044 201 4617, Fax 044 201 4626<br />
E-mail: djz.bloch@gmail.com<br />
www.diejuedischezeitung.ch / www.d-j-z.ch<br />
Redaktion: Josua Bloch, Nosson Rothschild<br />
Jahresabonnement: Schweiz Fr. 148.--, Ausland Fr. 209.-- inkl.LP<br />
Einzelnummer: Fr. 3.50<br />
Postcheck 80 - 53 342-3<br />
Inserate: Tarif auf Anfrage erhältlich<br />
Druck/Expedition: Ropress, 8048 Zürich<br />
<strong>Die</strong> <strong>Jüdische</strong> <strong>Zeitung</strong> übernimmt keine Verantwortung für das Kaschrus von<br />
Produkten und <strong>Die</strong>nstleistungen, für welche in der <strong>Zeitung</strong> inseriert wird.<br />
3<br />
iranischem Einfluss.<br />
<strong>Die</strong> Regierung in Afghanistan schwankt<br />
zwischen einem Zusammenbruch und einer<br />
Art Abkommen mit den Taliban.<br />
Das Geheimnis von Obamas Nahostpolitik<br />
ist, dass diese zu Hause relativ gut „verkauft“<br />
werden kann. <strong>Die</strong> Ruhe besteht weiterhin und<br />
der Konflikt wird minimiert. Was viele nicht<br />
realisieren, ist, dass Obama mit seinem Besänftigungskurs,<br />
seinen Schmeicheleien und<br />
seinem Bestreben jeglicher Konfrontation aus<br />
dem Weg zu gehen, nur den Status quo erhalten<br />
hat. Damit kann er der amerikanischen Bevölkerung<br />
sagen, dass die Dinge gut gehen, dass<br />
sie nicht gehasst werden und dass kein neuer<br />
Krieg bevorsteht. <strong>Die</strong> USA hatten auch Glück,<br />
dass sie einen neuen grossen Terroranschlag<br />
vermeiden konnten.<br />
Natürlich ist das Problem bei dieser Haltung,<br />
dass jede Krise, die aufgeschoben wird,<br />
intensiverer wird. Während der Iran sich in<br />
Richtung von Nuklearwaffen bewegt, die Radikalen<br />
vorankommen, der Libanon verloren<br />
geht, das türkische Regime sich dem Feind<br />
anschliesst und die Hamas im Gazastreifen<br />
gewinnt, verschlechtert sich die amerikanische<br />
Position in der Region.<br />
<strong>Die</strong> Frage ist also, ob Obama pragmatisch handeln,<br />
oder sich gegenüber den vorliegenden<br />
Informationen taub stellen und als Ideologe<br />
handeln wird. Das wird erst nächstes Jahr<br />
erkennbar sein.<br />
Es ist schwer zu glauben, dass Obama und<br />
seine Administration auf selbstmörderische<br />
Weise handeln, aber es könnte geschehen.<br />
Wenn Obama seine Politik ändern wollte,<br />
müsste ihn einer aus seinem Team davon<br />
überzeugen.<br />
Aussenministerin Hillary Clinton kann es<br />
nicht tun, weil sie eine politische Rivalin ist.<br />
Verteidigungsminister Robert Gates kann es<br />
nicht tun, weil ihm als früherer Bush-Politiker<br />
misstraut wird. <strong>Die</strong>s lässt die Mitarbeiter des<br />
Weissen Hauses zurück – den international<br />
<strong>Die</strong> JüDische <strong>Zeitung</strong><br />
Obama: Pragmatiker oder Ideologe?<br />
Nach den amerikanischen Kongresswahlen<br />
unerfahrenen Sektor der Regierung.<br />
Zu einem gewissen Zeitpunkt könnte es einen<br />
politischen Berater geben, der sagen wird:<br />
„Wenn du wiedergewählt werden willst, musst<br />
du die Dinge anders in die Hand nehmen“.<br />
<strong>Die</strong>ser Mann könnte etwa David Axelrod<br />
sein, der Architekt von Obamas Aufstieg,<br />
sein, der nun an seiner Wiederwahl arbeitet.<br />
Es ist schwierig, sich irgendjemand anderen<br />
vorzustellen, der fähig ist, Obama zu einer<br />
Umkehr in seiner Politik zu überzeugen, falls<br />
er nicht selbst beschliesst, dass bedeutende<br />
Änderungen in der Aussenpolitik nötig sind.<br />
Das Wort „pragmatisch“ bedeutet hier, dass er<br />
sich seines Versagens bewusst und die Politik<br />
ändern wird. Das Wort „Politiker“ bedeutet,<br />
dass er nicht dem unbeliebten Weg folgen<br />
wird, Israel scharf zu kritisieren. Er müsste<br />
auch vermeiden, närrisch auszusehen, indem<br />
er verspricht, den Iran daran zu hindern, Nuklearwaffen<br />
zu erwerben, und darin versagt,<br />
oder indem er eine schnelle Lösung für die<br />
israelisch-palästinensische Angelegenheit<br />
verspricht und ebenfalls versagt.<br />
Das Ziel dieses neuen Realismus wäre natürlich<br />
seine Wiederwahl 2012.<br />
Es ist ein Zeichen für Obamas Unberechenbarkeit,<br />
dass das Obengenannte nicht als<br />
selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.<br />
Er könnte wirklich glauben, dass es ihm gelingen<br />
wird, eine israelisch-palästinensische<br />
„Lösung“ zu finden. Aber wie? Indem er<br />
versucht, eine Lösung aufzuzwingen? Indem<br />
er eine einseitige palästinensische Unabhängigkeitserklärung<br />
anerkennt?<br />
Niemand weiss, was Obama wirklich will.<br />
Gleichermassen kann er Syriens Verhalten, das<br />
Regime der Türkei, das Untergehen Libanons<br />
und den arabischen Vertrauensverlust in ein<br />
starkes, schützendes Amerika weiterhin ignorieren.<br />
<strong>Die</strong> interessante Frage wäre dann, ob<br />
die Katastrophe in der Aussenpolitik vor oder<br />
erst nach der Wahl von 2012 klar ersichtlich<br />
sein wird.