Aktivfür - Amnesty International Österreich
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Mai 2010<br />
AMNESTYJOURNAL<br />
DIE ZEITSCHRIFT FÜR MENSCHENRECHTE<br />
40 Jahre<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> in <strong>Österreich</strong>
Inhalt<br />
3 Heinz Patzelt über 40 Jahre<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>Österreich</strong><br />
4 Happy Birthday!<br />
Aufregende vergangene Jahre mit<br />
vielen Veränderungen, Erfolgen<br />
und Herausforderungen<br />
6 Alle Rechte vorenthalten<br />
Der Rechtsanwalt Georg Bürstmayr<br />
über die Entwicklung des<br />
Asylwesens in <strong>Österreich</strong><br />
7 Machen Sie <strong>Amnesty</strong> ein<br />
Geschenk und übernehmen<br />
Sie Verantwortung!<br />
8 Interview mit<br />
Veronica Handl Alvarez<br />
1976 wurde die Argentinierin<br />
Opfer der Militärjunta unter<br />
General Videla, gebar im<br />
Schwerpunkt: 40 Jahre <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> in <strong>Österreich</strong><br />
Gefängnis einen Sohn und hat nur<br />
durch Zufall überlebt.<br />
11 Erfolge<br />
Und: <strong>Amnesty</strong>-Gründungsmitglied<br />
Heinz Fischer, österreichischer<br />
Bundes präsident, gratuliert <strong>Amnesty</strong><br />
zu ihrem 40-jährigen Bestehen<br />
12 Menschenrechtsaktivist<br />
Celestine AkpoBari<br />
Demokratie in Nigeria,<br />
Einschüchterungsversuche und<br />
Fehlgeburten<br />
15 How to Make a Difference<br />
<strong>Amnesty</strong> lädt zur Podiumsdiskussion<br />
FUSSBALL-WM IN SÜDAFRIKA<br />
16 Der zerbrochene Mythos<br />
Im Juni startet in Südafrika die Fußball-WM,<br />
von der immensen Krimina-<br />
lität soll nichts spürbar sein. Doch in<br />
der Regenbogennation ist der Hass<br />
auf AusländerInnen alltäglich<br />
18 Shoot to Kill<br />
Die Angst vor Übergriffen ist groß.<br />
Doch mit moderner Überwachungstechnik<br />
und massiver Polizeipräsenz<br />
will Südafrika die WM sichern<br />
20 Aktuell<br />
21 <strong>Amnesty</strong> zieht Bilanz<br />
Finanzbericht 2009<br />
22 Aktiv für <strong>Amnesty</strong><br />
23 Appellfälle<br />
Bosnien-Herzegowina, Griechenland<br />
Impressum: <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong>. Informationen 02Z033408. Medieninhaberin, Verlegerin, Herausgeberin: <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> <strong>Österreich</strong>, 1150 Wien, Moeringgasse<br />
10/1. Stock, Tel.: (01) 7 80 08, Fax: (01) 7 80 08-44. E-Mail: info@amnesty.at. Chefredaktion: Michaela Klement; Finanz- und Spendenverwendung: Christian March; Fundraising<br />
und Spendenwerbung: Ngoc Nguyen, Christian March; Datenschutzbeauftragter: Ngoc Nguyen, (E-Mail-Newsletter); MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Corinna<br />
Arndt, Astrid Becker, Georg Bürstmayr, Christine Newald, Heinz Patzelt, Tom Schimmeck, Claudia Vogt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht notwendigerweise die<br />
Meinung von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> oder der Redaktion wieder. Design: Patricio Handl; Korrektur: m∞bius; Cover: BilderBoxCom; Fotos: Wenn nicht anders vermerkt: ©AI.<br />
Druck: Niederösterreichisches Pressehaus, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten; <strong>Amnesty</strong>-Spendenkonto: P.S.K. 1.030.000. Vereinsregister: ZVR: 407408993. Richtigstellung<br />
Ausgabe Februar 2010: Sprecherin des Vorstandes: Sabine Geiger; Stv. der Sprecherin: Walter Witzersdorfer, Balder Ortner; Vorstand für Finanzen: Georg Reiter; Vorstandsmitglieder:<br />
Irene Planer, Theresia Kandler, Linda Sepulveda, Katharina Weberhofer
Foto: © Stefan Liewehr<br />
Editorial<br />
> Realitäten erkennen, wirksam agieren<br />
von Heinz Patzelt, Generalsekretär von <strong>Amnesty</strong> <strong>Österreich</strong><br />
Die Welt war noch in Ordnung, als <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
in <strong>Österreich</strong> 1970 gegründet wurde. Oder,<br />
wenn schon nicht in Ordnung, zumindest einfach zu<br />
verstehen. West: demokratisch, modern, gut. Ost: rückständig,<br />
kommunistisch, diktatorisch, ganz böse. Oder genau<br />
umgekehrt. West: kapitalistisch, imperialistisch, Klassengesellschaft.<br />
Ost: klassenlos, gleichberechtigt, sozial. Nur in einem<br />
war man sich ziemlich einig: Der Süden der Welt wäre<br />
zum Ausbeuten da. Die „da unten“ taugten höchstens als<br />
RohstofflieferantInnen oder als Bühne für einen Stellvertreterkrieg.<br />
Selbstbestimmung, Demokratie oder faire Handelsbeziehungen?<br />
Niemals!<br />
<strong>Amnesty</strong> tat das, was sie zu jeder Zeit getan hat: Realitäten<br />
erkennen, aber deswegen nicht klein beigeben, sondern den<br />
menschenrechtlichen Hebel so ansetzen, dass mit den verfügbaren<br />
Menschen und Mitteln glaubwürdig und wirksam<br />
Menschenrechte verwirklicht werden.<br />
Der engagierte Einsatz in der Freizeit für Gewissensgefangene<br />
prägte die 1970er-Jahre, Glaubwürdigkeit kam aus<br />
dem persönlichen Engagement und aus dem Dreierprinzip:<br />
Als Zeichen der ideologischen Unabhängigkeit wurde pro<br />
AI-Gruppe je ein/e Gewissensgefangene/r im Westen, Osten<br />
und Süden adoptiert. Zwei Zeitungsartikel von damals beweisen<br />
eindrucksvoll unsere Unabhängigkeit: Taggleich<br />
wurde AI in der Prawda als „sattsam bekannte CIA-Vorfeldorganisation“<br />
und in der New York Times als „vom KGB unterwandert“<br />
bezeichnet.<br />
Der Einsatz für Gewissensgefangene führte zum Kampf gegen<br />
Folter, bald auch gegen die Todesstrafe und für das Asylrecht.<br />
Zum Gegen kam das Für, trotz der Sorge, zu „poli-<br />
tisch“ zu werden, wenn AI mit oftmals nicht demokratisch<br />
legitimierten Regierungen über die Antifolter- oder die Frauenkonvention<br />
„verhandelte“.<br />
Komplizierter wurde die <strong>Amnesty</strong>-Welt durch die Erkenntnis<br />
der 1990er-Jahre, dass Menschen nicht nur von Staaten<br />
wegen ihres persönlichen Engagements verfolgt werden,<br />
sondern auch als oft völlig unpolitisches Mitglied einer sozialen<br />
Gemeinschaft von anderen Gruppen wegen ihrer<br />
Identität. Das Engagement gegen das menschenverachtende<br />
Prinzip Diskriminierung rückte in die Mitte der Arbeit von<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong>.<br />
1995, zu unserem 25er-Jubiläum, war Thema, dass AI nichts<br />
für die vor unserer Haustür brutal diskriminierten Roma tue –<br />
bei gleichzeitigem Verständnis für strenge Gesetze gegen<br />
„Einwanderer“ und „Einwanderinnen“, wenn nur das Asylrecht<br />
für politisch Verfolgte nicht ausgehöhlt würde.<br />
Heuer startet AI eine europaweite Kampagne gegen die Ausgrenzung<br />
der Roma in der EU, eine weltweite Kampagne gegen<br />
Armut als Menschenrechtsverletzung, und dass „papierlose<br />
MigrantInnen“ ebenso Menschenrechte haben, ist<br />
Teil der Arbeit unserer rund zwei Millionen ehrenamtlichen<br />
Mitglieder.<br />
Besser lässt sich wohl nicht zeigen, dass AI sich ständig weiterentwickeln<br />
muss, ohne jemals zu vergessen, dass Regierungen<br />
und ExpertInnen zwar wichtige Werkzeuge für eine<br />
menschenrechtskonforme Welt sein mögen, Menschenrechte<br />
aber auch in Zukunft nur durch das persönliche Engagement<br />
von Menschen für andere Menschen verwirklicht werden<br />
können.<br />
3
Von Panzerblockaden, Bürobesetzungen und Blumensträußen<br />
40 Jahre<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> in <strong>Österreich</strong><br />
Die <strong>Österreich</strong>-Sektion von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> feiert am 4. Mai ihren 40. Geburtstag. Die erste Angestellte des AI-Büros<br />
in Wien, Christl Schmutz, erinnert sich mit Claudia Vogt und Christine Newald an bewegte und bewegende Zeiten,<br />
als nicht nur einmal AktivistInnen das Büro besetzten und sich hinterher mit Blumen für den Schrecken entschuldigten<br />
Über sieben Jahre gab es <strong>Amnesty</strong><br />
<strong>International</strong> in <strong>Österreich</strong><br />
schon, als Christl Schmutz im<br />
Oktober 1977 den damaligen Vorsitzenden<br />
Franz Schneider beim Bewerbungsgespräch<br />
von sich überzeugte. „Ich sollte<br />
versuchen, ein Sekretariat aufzubauen“,<br />
erinnert sich die heute 61-Jährige. „Der<br />
Anfang war hart. Wir hatten ein Büro im<br />
fünften Stock eines Abbruchhauses im<br />
zweiten Wiener Gemeindebezirk. Sämtliche<br />
Bewohner und Bewohnerinnen waren<br />
bereits ausgezogen. Im Winter war<br />
es so kalt, dass ich in Handschuhen mit<br />
den Zivildienern um den einzigen Ölofen<br />
saß.“<br />
FRIEDENSNOBELPREIS. Nur zwei Monate<br />
später großer Jubel: <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
wird der Friedensnobelpreis verliehen.<br />
Als eine der Ersten fiel Irmgard Hutter<br />
vom österreichischen Vorstand dem<br />
damaligen Vorsitzenden des AI-Exekutivkomitees,<br />
Thomas Hammarberg, um den<br />
Hals, der den Preis am 10. Dezember<br />
1977 in Stockholm entgegennahm.<br />
„Von da an explodierte die Mitgliedschaft,<br />
und wir kamen mit dem Produzieren<br />
von Unterlagen und dem Abhal-<br />
1970<br />
4. Mai: <strong>Österreich</strong>-Sektion von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
konstituiert sich. Prominente Ehrenmitglieder<br />
sind unter anderen Heinz Fischer, Günther Nenning,<br />
Peter Huemer, Sigrid Löffler und Felix Ermacora.<br />
25. November: erste Pressekonferenz und erste<br />
Aktion – Untersuchungsmission im Iran<br />
Christl Schmutz<br />
1971<br />
Entkriminalisierung homosexueller Handlungen<br />
unter Erwachsenen<br />
1972<br />
Elf Gruppen und 150 aktive Mitglieder in <strong>Österreich</strong>.<br />
Erste weltumspannende <strong>Amnesty</strong>-Kampagne gegen<br />
Folter<br />
Lotusfilm<br />
ten von Interessententreffen nicht<br />
nach“, so Schmutz, die heute wieder ehrenamtlich<br />
bei <strong>Amnesty</strong> tätig ist. „In den<br />
kommenden Jahren stieg die Anzahl der<br />
<strong>Amnesty</strong>-Gruppen auf über 120. Die<br />
Gruppen arbeiteten strikt nach dem<br />
Prinzip, je einen Gefangenen aus Ost,<br />
West und der Dritten Welt zu betreuen.“<br />
FREIHEIT FÜR GEWISSENSGEFANGENE. Einer<br />
dieser Adoptionsfälle war Veronica<br />
Handl Alvarez (siehe Interview S. 8). Die<br />
argentinische Studentin war im schmutzigen<br />
Krieg der Militärjunta schwer gefoltert<br />
worden und musste ihren Sohn Pablo<br />
in einer Gefängniszelle zur Welt bringen.<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>Österreich</strong> setzte sich vehement<br />
für sie ein. 1977 gelang es, Mutter und<br />
Sohn nach <strong>Österreich</strong> zu holen, die Gruppe<br />
11 um Else Barth kümmerte sich rührend<br />
um sie und besorgte ihnen eine Gemeindewohnung.<br />
Just in einem Land, das Menschen zu<br />
tausenden einfach verschwinden ließ,<br />
wurde 1978 die Fußballweltmeisterschaft<br />
ausgetragen. Ähnlich wie 2008 vor den<br />
Olympischen Spielen in China an die<br />
TeilnehmerInnen, appellierte <strong>Amnesty</strong><br />
<strong>Österreich</strong> an die österreichische Natio-<br />
1973<br />
12. September: Bruno Kreisky eröffnet <strong>Amnesty</strong>-<br />
Ratstagung in Wien, die zur Informationsdrehscheibe<br />
zum Pinochet-Putsch in Chile wird<br />
1973/74<br />
Strafrechtsreform inklusive der bis heute<br />
gültigen Fristenlösung
nalelf, den argentinischen RegierungsvertreterInnen<br />
mit Distanz zu begegnen.<br />
HILFE FÜR FLÜCHTLINGE. Anfang der<br />
1980er-Jahre begann der Aufbau der<br />
Flüchtlingsarbeit in enger Zusammenarbeit<br />
mit dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat<br />
UNHCR. Die erste Schwerpunktgruppe<br />
entstand. „Gemeinsam<br />
konnten wir einigen Flüchtlingen helfen,<br />
in <strong>Österreich</strong> zu bleiben beziehungsweise<br />
ein Aufnahmeland zu finden“, erinnert<br />
sich Schmutz. Eine Stellungnahme<br />
von 1990 bewirkte zudem eine positive<br />
Änderung der Ausländergesetze, die in<br />
den kommenden Jahren immer wieder<br />
angepasst und verschärft wurden.<br />
SIMMERINGER PANZER FÜR ARGENTINIEN.<br />
Für heftige Diskussionen sorgte Anfang<br />
der 1980er-Jahre zudem der Waffenhandel<br />
mit Staaten, die Menschenrechtsverletzungen<br />
im großen Stil begingen, wie<br />
etwa Chile. Getreu seinem Motto: „Nicht<br />
jammern, etwas tun“, legte sich Burg-<br />
Schauspieler Otto Tausig 1981 als eines<br />
der ersten <strong>Amnesty</strong>-Mitglieder in Wien-<br />
Simmering vor dem Steyr-Daimler-Puch-<br />
Werk auf die Schienen, um die Abfahrt<br />
1974<br />
Wer aus „Gewissensgründen“ nicht zur Waffe greifen<br />
will, kann fortan Zivildienst leisten<br />
1975<br />
Journal „ai Informationen“ erscheint erstmals.<br />
Entstaubung des Familienrechts: Mann und Frau<br />
werden in der Ehe gleichberechtigte PartnerInnen<br />
Wikipedia, Oberöst. Landesmuseen, aeiou.atManfred Werner - Tsui<br />
eines Zuges mit Kürassier-Panzern zu<br />
verhindern, die für Argentinien bestimmt<br />
waren. <strong>Amnesty</strong> <strong>Österreich</strong> war<br />
1977 aktiv an der Ausarbeitung des Gesetzes<br />
über Ein-, Aus- und Durchfuhr<br />
von Kriegsgerät beteiligt, das 1982 novelliert<br />
wurde. Waffenexporte an Krisenregionen<br />
wurden mit Hinweis auf die<br />
Menschenrechte verboten.<br />
BESETZERINNEN ENTSCHULDIGEN SICH<br />
MIT BLUMEN. Dramatische Szenen spielten<br />
sich am 22. September 1982 im Wiener<br />
Sekretariat ab. „26 vermummte<br />
Frauen und Männer stürmten ins Büro.<br />
Sie besetzten sofort alle Telefone“, schilderte<br />
Schmutz. Weil die türkischen KurdInnen<br />
die Anrufe entgegennahmen, um<br />
ihr Anliegen zu verbreiten, verständigte<br />
bald ein Anrufer die Polizei. „Die türkischen<br />
Kurden waren verzweifelt, weil<br />
Appelle von Menschenrechtsorganisationen<br />
an die türkische Regierung ignoriert<br />
wurden, eine Mission von <strong>Amnesty</strong><br />
nicht zugelassen wurde, die Gefangenen<br />
in Hungerstreik waren und viele auch<br />
gestorben waren.“ Der damalige <strong>Amnesty</strong>-Vorsitzende<br />
handelte letztlich freies<br />
Geleit für die KurdInnen aus. „Mit einem<br />
1977<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> in <strong>Österreich</strong> stellt erste Mitarbeiterin<br />
für Büro in Wien ein.<br />
Friedensnobelpreis: Thomas Hammarberg, heute<br />
Europarat-Menschenrechtskommissar, nimmt den<br />
Preis für <strong>Amnesty</strong> entgegen.<br />
DIE ANFÄNGE<br />
Am 4. Mai 1970 wurde <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> <strong>Österreich</strong><br />
unter Federführung des Publizisten und Politikaktivisten<br />
Günther Nenning im Presseclub Concordia hinter dem Wiener<br />
Burgtheater aus der Taufe gehoben. Dem illustren Ehrenkuratorium<br />
gehörten nicht nur die damaligen SP-Parlamentsabgeordneten<br />
Heinz Fischer und Karl Blecha an,<br />
sondern auch die Literaturkritikerin Sigrid Löffler und mittlerweile<br />
verstorbene Größen wie der damalige Caritas-Präsident<br />
Prälat Leopold Ungar, der Bildhauer Fritz Wotruba<br />
und der Völkerrechtler Felix Ermacora.<br />
Strauß Blumen entschuldigten sich die<br />
Besetzer am nächsten Tag bei mir“, so<br />
Schmutz.<br />
Zwei Jahre später, 1984, erhielt die erste<br />
hauptamtliche Mitarbeiterin Unterstützung<br />
durch eine weitere angestellte Sekretariatskraft,<br />
Sieglinde Friedl. Die<br />
zweite Übersiedlung in Südbahnhof-Nähe<br />
ging einher mit der Bestellung des Juristen<br />
Wolfgang Aigner zum ersten Generalsekretär.<br />
Unter reger NGO-Beteiligung und großer<br />
Aufregung um die Einladung des Dalai<br />
Lama fand 1993 die Weltmenschenrechtskonferenz<br />
in Wien statt. In einem<br />
eigenen <strong>Amnesty</strong>-Zelt berichteten ehemalige<br />
politische Gefangene über ihre Erlebnisse.<br />
Die Forderung nach Schaffung<br />
eines unabhängigen Hochkommissars<br />
für Menschenrechte wird Wirklichkeit.<br />
1996 brachen die Spenden dramatisch<br />
ein, ein großes Loch klaffte im Budget<br />
der <strong>Österreich</strong>-Sektion, was zur Schließung<br />
der bis dahin zum Teil haupt-, zum<br />
Teil ehrenamtlich besetzten Regionalbüros<br />
in den Bundesländern führte. Christl<br />
Schmutz verließ <strong>Amnesty</strong> 1997 und engagiert<br />
sich heute wieder bei <strong>Amnesty</strong>s<br />
Urgent Actions.<br />
1978<br />
Fußballweltmeisterschaft in Argentinien: große Kampagne<br />
von <strong>Amnesty</strong> <strong>Österreich</strong> gegen Folter und für<br />
Flüchtlingsaufnahme<br />
1979<br />
<strong>Amnesty</strong> publiziert Liste mit 2.665 „Verschwundenen“<br />
seit Machtübernahme der Militärjunta in Argentinien
Alle Rechte vorenthalten<br />
Von Georg Bürstmayr<br />
A<br />
ch, damals, vor 1989. Da gab es<br />
doch keine AsylantInnen. Da<br />
gab es UngarInnen, TschechInnen<br />
oder PolInnen. Da waren die Rollen<br />
eindeutig verteilt (Kommunismus: böse,<br />
Flüchtling vor dem Kommunismus: gut),<br />
und diese Menschen passten außerdem<br />
als EuropäerInnen noch leichter ins<br />
österreichische Straßenbild. Fremde<br />
zwar, aber irgendwie trotzdem von hier.<br />
Nach der Zeitenwende wurde alles anders.<br />
Krisen, Kriege und Genozide auch<br />
und vor allem außerhalb Europas waren<br />
dafür zwar Auslöser, aber erst die immer<br />
offeneren Grenzen ermöglichten es den<br />
davon Betroffenen, überhaupt bis nach<br />
Mitteleuropa vorzudringen. Europas Gesellschaften<br />
reagierten allergisch – auf<br />
die immer größere Zahl von AsylwerberInnen<br />
einerseits und auf eine tief greifende<br />
Verunsicherung großer Bevölkerungsteile<br />
durch Modernisierung und<br />
Globalisierung andererseits.<br />
Rechtspolitisch hinterlässt diese Allergiereaktion<br />
verbrannte Erde. Was in den<br />
letzten zwei Jahrzehnten an (Grund-)<br />
Rechten für AsylwerberInnen scheibchenweise<br />
eingeschränkt, abgebaut und<br />
völlig beseitigt wurde, hätte, alles zusammengenommen<br />
und auf einmal geprüft,<br />
zu keinem Zeitpunkt in den letzten<br />
20 Jahren vor dem Verfassungsgerichtshof<br />
standgehalten – in Summe hätten<br />
die Abweichungen von Verfassungsprinzipien<br />
und Grundrechtskatalog viel<br />
zu schwer gewogen. Nur die Implementierung<br />
eines Sonderverfahrensrechts in<br />
vielen kleinen Schritten hat es ermöglicht,<br />
dass AsylwerberInnen heute in einer<br />
der schwächsten Rechtspositionen<br />
sind, die in einem modernen Rechtsstaat<br />
1979<br />
Bruno-Kreisky-Menschenrechtspreis an <strong>Amnesty</strong><br />
und Gruppe 11 für Argentinien-Einsatz<br />
1983<br />
Medizinerstab von AI erhält Menschenrechtspreis<br />
des Europarates<br />
Ungarnflüchtlinge 1956<br />
überhaupt vorstellbar ist. Ständig von<br />
Haft, Persons- und Hausdurchsuchungen<br />
bedroht, gebiets- und bewegungsbeschränkt,<br />
konfrontiert mit Bewegungsund<br />
Arbeitsverboten und permanent unter<br />
Beweiszwang ihrer Aufrichtigkeit,<br />
finden sie sich in immer komplexeren<br />
Verfahren wieder, die nicht einmal professionelle<br />
RechtsanwenderInnen durchschauen<br />
können – die Betroffenen schon<br />
gar nicht. Dieser Prozess der Marginalisierung<br />
verläuft europaweit zwar nicht<br />
einheitlich; ironischerweise ist es dabei<br />
auch die EU, die diesen Prozess wesentlich<br />
mit angestoßen hatte (Stichwort<br />
„Dublin“), die heute mit sozialen und<br />
verfahrensrechtlichen Mindeststandards<br />
gegensteuert – oft gegen den Willen der<br />
nationalen InnenministerInnen.<br />
In Summe haben die letzten 20 Jahre auf<br />
dem Gebiet des Asylrechts zu einem<br />
sehr gefährlichen Zwischenergebnis geführt:<br />
Zigtausende AsylwerberInnen<br />
sind heute in Europa Rechtssubjekte<br />
zweiter Klasse. Vielleicht sind sie dabei<br />
auch Versuchskaninchen – dafür, was<br />
1983<br />
Erstmals <strong>Amnesty</strong>-Gruppen in allen Bundesländern<br />
1989<br />
Juni: Erster AI-<strong>Österreich</strong>-Generalsekretär Aigner<br />
fordert neue Konzepte für österreichische Asylpolitik<br />
AKT ON<br />
i<br />
Schwere Mängel im griechischen Asylsystem<br />
führen zu extrem niedrigen Asylanerkennungen:<br />
So wurde 2009 in erster Instanz<br />
bei etwa 20.000 Anträgen in nur 20<br />
Fällen (!) Asyl gewährt. AsylwerberInnen<br />
werden nach Ankunft am Flughafen in<br />
Athen automatisch unter völlig inadäquaten<br />
Verhältnissen festgehalten. Appellieren<br />
Sie an Griechenland, das Asylsystem<br />
sowohl formal als auch in der Praxis internationalen<br />
und EU-rechtlichen Standards<br />
und Verfahren anzupassen.<br />
http://www.amnesty.at/aktiv_werden/<br />
man mit „uns“ EuropäerInnen unter etwas<br />
weniger demokratischen Vorzeichen<br />
alles anstellen könnte. Auch darum<br />
sollten wir uns weiter darum kümmern,<br />
was mit „denen da“ passiert, heute, mitten<br />
unter uns.<br />
Georg Bürstmayr ist Rechtsanwalt in<br />
Wien.<br />
1989<br />
Kampagne gegen die Todesstrafe findet starke<br />
Zustimmung in <strong>Österreich</strong><br />
1990<br />
<strong>Amnesty</strong>-Bericht führt zu Maßnahmenpaket gegen<br />
Polizeiübergriffe durch Innenminister Löschnak<br />
UNHCR/Becket, 1956
DIE 40-JAHRES-TASCHE<br />
Innovatives Design gegen Wegwerfmentalität Tragen auch Sie Verantwortung!<br />
Anlässlich des 40. Geburtstages von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> <strong>Österreich</strong> haben wir gemeinsam mit gabarage upcycling<br />
design eine pfiffige Planentasche in limitierter Auflage gestaltet. Abseits von gängigen Werbeartikeln sind unsere Planentaschen<br />
ein Produkt, das alle brauchen können, mit dem die TrägerInnen Haltung beweisen und dessen Herstellung<br />
außerdem einen sozialen Auftrag erfüllt.<br />
40 JAHRE – VIER GUTE GRÜNDE, EINE<br />
AMNESTY-GEBURTSTAGSTASCHE ZU TRAGEN:<br />
3 JEDE TASCHE IST EIN STATEMENT.<br />
„Ich trage Verantwortung“, ist ein klares Bekenntnis der TrägerInnen,<br />
global Verantwortung zu übernehmen und dies ihren<br />
Mitmenschen auch mitzuteilen. Die Tasche sagt viel über Sie<br />
als ihre/n BesitzerIn aus.<br />
3 UNSERE TASCHEN SIND STRAPAZIERFÄHIG, COOL UND<br />
NACHHALTIG.<br />
Von Hand gefertigt – die verwendeten Planen haben früher<br />
einmal Baugerüste abgeschirmt –, sind unsere Taschen strapazierfähig,<br />
wasserabweisend und robust. Mit einer <strong>Amnesty</strong>-<br />
Tasche erstehen Sie mehr als ein modisches Accessoire.<br />
3 SIE BEWEISEN SOZIALES ENGAGEMENT.<br />
Ihre Tasche gibt ehemaligen Drogenabhängigen die Chance<br />
auf einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt. Sie gibt denen, die<br />
sie fertigen, das Gefühl einer sinnvollen Arbeit. Und zusätzlich<br />
unterstützen Sie die Menschenrechtsarbeit von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
<strong>Österreich</strong>.<br />
3 „ICH BIN WIE MEINE TASCHE.“<br />
Unsere Tasche begleitet Sie überallhin und verrät etwas über<br />
Ihren Geschmack, Ihre Weltanschauung und Ihr soziales Engagement.<br />
Jede Tasche ist von Hand gefertigt und ein Einzelstück<br />
– so wie Sie selbst.<br />
Tragen Sie ein sichtbares Zeichen und reservieren Sie sich<br />
eine unserer auf 250 Stück limitierten Taschen!<br />
7
„VIEL ZU VIELE<br />
Veronica Handl Alvarez, in den 1970er-Jahren ein Opfer der argentinischen Militärjunta, im Gespräch<br />
mit Claudia Vogt<br />
Vor 34 Jahren verschwand Veronica<br />
Handl Alvarez von einem Tag<br />
auf den anderen. Die Eltern der<br />
23-jährigen argentinischen Studentin<br />
wähnten sie monatelang im Ausland, nur<br />
Veronicas in Deutschland lebenden Bruder<br />
beschlich bald ein böser Verdacht.<br />
Wer zwischen 1976 und 1983 verschwand,<br />
blieb meist verschwunden. Geschätzte<br />
30.000 Menschen hat die argentinische<br />
Militärjunta auf dem Gewissen. Die Leichname<br />
werden noch heute in mühsamer forensischer<br />
Arbeit identifiziert.<br />
Der Staatsterror traf Gewerkschaften,<br />
Glaubensgemeinschaften, militante und<br />
nichtmilitante StudentInnengruppen.<br />
„Es müssen so viele Menschen wie nötig<br />
in Argentinien sterben, bis das Land<br />
wieder sicher ist“, sagte Oberbefehlshaber<br />
Jorge Rafael Videla. Junge Menschen<br />
wurden ihrer Identität beraubt, in geheime<br />
Folterzentren verschleppt, die meisten<br />
ermordet. Mit einem österreichischen<br />
Pass und viel Glück entkam<br />
Veronica Handl Alvarez den Schergen.<br />
<strong>Amnesty</strong> Journal: Sie sind 1977 in Buenos<br />
Aires in ein Flugzeug nach Wien gesetzt<br />
worden. Dabei waren Sie nicht alleine.<br />
Veronica Handl Alvarez: Ich kam mit<br />
meinem Sohn Pablo nach Wien. Dass er<br />
[im Gefängnis] auf die Welt gekommen<br />
ist, ist ein Wunder! Es ist mir unerklärlich.<br />
Sie haben mir ja alles kaputtgemacht,<br />
ich habe auch nie wieder Kinder<br />
bekommen. Ich dachte am Anfang zwar,<br />
1992<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> hat weltweit mehr als eine<br />
Million Mitglieder<br />
1993<br />
UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien beschließt<br />
Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte<br />
Veronica Handl Alvarez mit ihrem Sohn Pablo am Wiener Flughafen, 1977<br />
dass ich schwanger sein könnte, aber<br />
nach den „Behandlungen“ war ich sicher,<br />
ich hätte es verloren. Man hat es<br />
mir ja auch nicht angesehen. Aber Pablo<br />
muss sich festgekrallt haben. Ich war<br />
schon im fünften, sechsten Monat, als eine<br />
Ärztin im Gefängnis die Schwangerschaft<br />
feststellte. Meine Schwangerschaft<br />
dauerte für mich drei Monate.<br />
In Wien angekommen, wurden Sie und<br />
Ihr Sohn begeistert begrüßt.<br />
Es war ein krasser Unterschied zu den<br />
Monaten davor. Da waren so viele Menschen,<br />
die sich um uns kümmern wollten.<br />
Bis dahin wusste ich nicht, dass ich<br />
ein AI-Adoptionsfall war. Ich hatte ja die<br />
vielen Briefe nicht erhalten.<br />
1995<br />
50 Jahre Vereinte Nationen: <strong>Amnesty</strong> fordert <strong>International</strong>en<br />
Strafgerichtshof gegen Straflosigkeit.<br />
AI <strong>Österreich</strong> wünscht sich menschliche Asylpolitik<br />
zum 25. Geburtstag<br />
Wieso wurden Sie nach mehr als zwei<br />
Jahren Gefängnis doch freigelassen?<br />
Freigelassen? Nein, man hat mich geweckt,<br />
ich nahm, was ich konnte, und<br />
wurde, von Militärs begleitet, noch in<br />
Handschellen zum Flughafen gebracht.<br />
Dort habe ich meine Familie gesehen:<br />
meinen Vater, meine Mutter, meinen<br />
jüngeren Bruder, das Baby; wir hatten<br />
nur ein paar Minuten. Wir haben uns begrüßt<br />
und gleichzeitig verabschiedet.<br />
Und dann saß ich im Flugzeug.<br />
Wie lange galten Sie als verschwunden?<br />
Ich vermute heute, dass es von August bis<br />
Dezember 1976 war. Es muss so gewesen<br />
sein, denn ich war beim „Massaker von<br />
Fátima“ [in dieser Ortschaft nahe Buenos<br />
1996/97<br />
<strong>Österreich</strong>ische Regionalbüros werden aus finanziellen<br />
Gründen geschlossen<br />
1997<br />
50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der<br />
Menschenrechte. <strong>Amnesty</strong> fordert Einlösung der<br />
seit 1948 gemachten Versprechen
JUNGE LEBEN“<br />
Veronica Handl Alvarez mit Sohn Pablo heute<br />
Aires wurden 30 junge Menschen, darunter<br />
Minderjährige und Frauen, im Morgengrauen<br />
in die Luft gesprengt], und das<br />
war im August 1976. Dann war ich einfach<br />
überglücklich, legalisiert zu sein,<br />
wieder einen Namen zu haben.<br />
Danach wurden Sie in ein reguläres Gefängnis<br />
verlegt. Aber wurde Ihnen je gesagt,<br />
weshalb Sie in Haft waren?<br />
Nein. Gegen mich wurde nie Anklage erhoben<br />
Die Anschuldigungen wurden nie<br />
ausgesprochen, aber sie waren klar: Ich<br />
war bei einer Studentenbewegung. Wir<br />
haben harmlose Sachen gemacht, wir<br />
haben zum Beispiel gesprayt, Flugblätter<br />
verteilt. Motto war: Nieder mit dem<br />
Militär! Keine Diktaturen mehr. Wir ha-<br />
1998<br />
UNO beschließt in Rom Gründung des <strong>International</strong>en<br />
Strafgerichtshofs (ICC) mit Sitz in Den Haag.<br />
USA und sechs weitere Staaten stimmen dagegen<br />
2001<br />
<strong>Amnesty</strong> weitet Arbeit auf wirtschaftliche, soziale<br />
und kulturelle Menschenrechte aus<br />
ben einfach zum Widerstand aufgerufen.<br />
Wie haben Sie, wie haben die Studenten<br />
und Studentinnen damals die Kraft aufgebracht,<br />
gegen die Militärregierung aufzutreten?<br />
An der Universität herrschte sehr viel<br />
Angst. Ich hatte schon Angst, eine Zeitung<br />
einer revolutionären Partei in der<br />
Tasche zu tragen. Ich wollte nichts davon<br />
wissen, aber du siehst die Ungerechtigkeit,<br />
die Armut, die krassen Unterschiede,<br />
die unvorstellbare Unterdrückung in<br />
diesen Zeiten, und dann sammelst du<br />
deinen Mut oder deine Wut. Als Einzelner<br />
hatte man keine Möglichkeit, aber in<br />
einer Gruppe oder einer Studentenbewegung<br />
schon.<br />
2002<br />
Homosexuelle diskriminierender § 209 Strafgesetzbuch<br />
wird abgeschafft<br />
2003<br />
Weltweite „Control Arms“-Kampagne mit Oxfam<br />
und Iansa gegen Waffenhandel. UNO nimmt Arbeit<br />
an Konvention auf<br />
Als Sie bemerkten, wie gefährlich es wurde,<br />
dass viele verschwanden, gab es da<br />
kein Aufhören mehr?<br />
Du kannst schon aufhören, aber irgendwann<br />
fängst du wieder an. Menschen<br />
fingen an zu verschwinden, sie waren<br />
einfach weg! Wir wussten nicht, wo sie<br />
waren. Vor kurzem habe ich sie auf Listen<br />
gefunden, in denen stand, wann und<br />
wo sie ermordet wurden. Man ist verpflichtet,<br />
sich für die Mitmenschen einzusetzen;<br />
je stärker die Repression, desto<br />
weniger musst du überlegen.<br />
Wie haben Sie die Aufarbeitung der Verbrechen<br />
der Militärdiktatur in Argentinien<br />
ab Mitte der 1980er-Jahre erlebt?<br />
Kann man einen Schlussstrich ziehen,<br />
wie Expräsident Carlos Menem das mit<br />
einer Generalamnestie für die Verbrechen<br />
der Junta getan hat?<br />
Nein. Es gibt für mich keinen Schlussstrich.<br />
Den Schreibtischtätern wurde der<br />
Prozess gemacht, aber es macht jedes<br />
Opfer fertig zu wissen, dass die Folterer<br />
und Mörder weiter frei herumlaufen. ¡Ni<br />
olvido, ni perdón! [Weder Vergessen<br />
noch Verzeihen!]<br />
Gibt es eine Chance, die Täter noch vor<br />
Gericht zu bringen?<br />
Ich glaube nicht. Sie hatten alle Decknamen,<br />
San Pablo, San Pedro, Heiligennamen.<br />
Sehen Sie, wie pervers das ist? Ich<br />
suche und suche, aber ich weiß nicht,<br />
wer sie waren. Ich wünsche mir nur,<br />
dass die Folterer hinter Gittern sind,<br />
2005<br />
CIA-Folterflüge werden bekannt. Kampagne gegen<br />
Folter und Misshandlung im „Krieg gegen den Terror“.<br />
AI <strong>Österreich</strong> appelliert erfolgreich an Politik, für Totalverbot<br />
von Folter aufzutreten
AI-Delegation mit Veronica Handl Alvarez bei Bundespräsident<br />
Kirchschläger anlässlich der Nobelpreisverleihung an <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
nicht mehr und nicht weniger. Es waren<br />
viel zu viele junge Leben.<br />
Könnten Sie Ihre Folterer identifizieren?<br />
Weder die noch den Ort, an dem ich war.<br />
Wir trugen die ganze Zeit Kapuzen.<br />
Wer hat Ihnen das Leben gerettet? Welche<br />
Rolle hat der österreichische Botschafter<br />
vor Ort gespielt?<br />
Es war vielleicht Zufall, vielleicht Glück,<br />
vielleicht habe ich einen Schutzengel … ich<br />
weiß es nicht. Immer wieder kehrt aber die<br />
Frage zurück: „Warum hatte ich so viel<br />
Glück und abertausende nicht?” Glauben<br />
Sie, dass ich mich gleich gefreut habe, als<br />
mir gesagt wurde, ich bin frei? „Was ist mit<br />
meinen Freunden, mit den Mitgefangenen?“,<br />
habe ich mich gefragt. Aber das<br />
Schlimmste ist, dass sie meine Tür zugeknallt<br />
haben und jemand anders drangekommen<br />
ist.<br />
2006<br />
Demo gegen Folter und Terrorbekämpfung in den<br />
USA zum EU-Gipfel in Wien<br />
2007<br />
Inkrafttreten der EU-Grundrechte-Charta, die auch<br />
soziale Grundrechte enthält<br />
Ist es Ihnen je gelungen, all das zu vergessen?<br />
Ab und zu will ich vergessen, aber es begleitet<br />
mich immer, es hat mich geformt.<br />
Man versucht jedoch, ein inneres Gleichgewicht<br />
zu finden. Vor kurzem habe ich<br />
Akten gefunden, die erst jetzt freigegeben<br />
wurden. Alle Verschwundenen haben<br />
jetzt eine Aktennummer. Viele tragen<br />
den Vermerk „NN“, wurden namenlos<br />
ermordet. Ich bin eine der wenigen<br />
Überlebenden … schwer zu ertragen, die<br />
Schuldgefühle sind auch nicht leicht zu<br />
verdauen. Andererseits sage ich Ja zum<br />
Leben, das ist ein wertvolles Kapital. Meine<br />
Träume von Gerechtigkeit und Freiheit<br />
wurden nicht vernichtet.<br />
<strong>Amnesty</strong> hat Sie adoptiert, aber Sie wussten<br />
davon nichts. Im Oktober 1977 wurden<br />
Sie mit einem österreichischen Pass<br />
aus Ihrer Geburtsheimat gewiesen.<br />
2008<br />
„Menschenrechte aufs Podest“ – <strong>Amnesty</strong> kritisiert<br />
<strong>International</strong>es Olympisches Komitee für Spielevergabe<br />
an China<br />
2009<br />
„Liebe ist kein Verbrechen“ – Kiss-in auf dem Wiener<br />
Stephansplatz<br />
DRINGEND<br />
Hilfe gesucht!<br />
Viele Menschen – wie Veronica Handl<br />
Alvarez in den 1970er-Jahren – sind jeden<br />
Tag in Lebensgefahr. Aber Sie können sich<br />
mit uns für diese Menschen einsetzen!<br />
Gemeinsam mit über 100.000 AktivistInnen<br />
im weltweiten Urgent-Action-Netzwerk<br />
können Sie unmittelbar bevorstehende<br />
Menschenrechtsverletzungen wirksam<br />
verhindern. Ihr Einsatz macht den<br />
Unterschied! Melden Sie sich gleich an<br />
unter http://www.amnesty.at/hilfe<br />
gesucht oder (01) 7 80 08.<br />
Mich hat ja kein einziger Brief erreicht,<br />
und Besuche waren nicht erlaubt. Und<br />
mein Vater wollte diesen Kontakt mit<br />
<strong>Amnesty</strong> nicht, das war für ihn ein Kommunistenpack.<br />
Der Pass war ein Verdienst<br />
des Botschafters, denn mein Vater<br />
war zwar <strong>Österreich</strong>er [er war 1938 geflohen],<br />
aber er hatte die Familie argentinisiert,<br />
und ich hatte keinen Pass.<br />
Heute sind Sie im Flüchtlingsdienst der<br />
Diakonie tätig. Ist es seit Kreisky schwieriger<br />
für Flüchtlinge geworden?<br />
Ja, viel schwieriger. Früher wurden<br />
Flüchtlinge aus Lateinamerika herzlichst<br />
empfangen, mit allen Klischees<br />
der südamerikanischen Revolution. Wir<br />
waren alle kleine Che Guevaras. [...] Die<br />
Politiker sind mutiger gewesen, die Umgebung<br />
war auch eine andere. Es war die<br />
Zeit der großen Friedensdemonstrationen.<br />
2009<br />
Diakonie, Caritas und <strong>Amnesty</strong> kritisieren Bleiberechtsentwurf<br />
in gemeinsamer Pressekonferenz<br />
2010<br />
60.000 fördernde Mitglieder, 488 Ehrenamtliche,<br />
1.000 AktivistInnen, 25.000 regelmäßige SpenderInnen<br />
REUTERS/Dominic Ebenbichler
Blick<br />
Erfolge<br />
Die beiden uigurischen Brüder<br />
Bahtiyar und Arkin Mahnut<br />
können ein neues Leben<br />
in Sicherheit und Würde beginnen.<br />
Der Schweizer Bundesrat<br />
hat Anfang Februar<br />
beschlossen, die zwei von<br />
den USA zur Freilassung vor-<br />
Die uigurischen Brüder Bahtiyar und Arkin gesehenenGuantánamo-Ge- Mahnut in der Schweiz<br />
fangenen aufzunehmen. <strong>Amnesty</strong><br />
<strong>International</strong> hatte sich für die Aufnahme eingesetzt. Die<br />
Schweizer Behörden haben die Akten der Brüder ausführlich<br />
geprüft und sind wie die USA zu dem Schluss gekommen, dass<br />
den beiden chinesischen Staatsbürgern nichts vorzuwerfen ist.<br />
MONGOLEI > Todesstrafe soll abgeschafft werden<br />
Der mongolische Präsident Tsachiagiin Elbegdordsch hat Mitte<br />
Januar die Vollstreckung aller Todesurteile ausgesetzt. Er<br />
begründete seine Entscheidung damit, dass sich die meisten<br />
Länder gegen die Todesstrafe entschieden hätten und die Mongolei<br />
ebenfalls diesen Weg gehen solle. Elbegdordsch schlug<br />
vor, alle Todesurteile in 30-jährige Haftstrafen umzuwandeln.<br />
In der Mongolei werden Exekutionen an einem geheimen Ort<br />
durchgeführt. Eine offizielle Statistik über die Anzahl der verhängten<br />
oder vollstreckten Todesurteile wird nicht veröffentlicht.<br />
ARGENTINIEN > Keine Taser mehr<br />
Eine Richterin hat der Polizei<br />
von Buenos Aires den Gebrauch<br />
von so genannten Tasern<br />
vorläufig untersagt.<br />
Erst müsse gründlich untersucht<br />
werden, unter welchen<br />
Bedingungen die Elektroschocker<br />
angemessen eingesetzt werden könnten. Die Polizei<br />
versicherte der argentinischen <strong>Amnesty</strong>-Sektion, sie habe<br />
mittlerweile entsprechende Richtlinien erlassen.<br />
United States military SCHWEIZ > Aufnahme von Guantánamo-Gefangenen<br />
„Mir fehlen die Worte, um mich für diese Solidarität zu bedanken. […]<br />
Wenn ich so viel Zuneigung, Verständnis, Solidarität, Liebe, Energie<br />
und Hingabe von Menschen aus der ganzen Welt erlebe, dann bestärkt<br />
mich das – wir sehen dann, dass wir nicht alleine sind und<br />
dass wir, wenn wir zusammenhalten, gemeinsam für Menschenrechte<br />
für Frauen und Männer kämpfen können.“<br />
Mayra Sirias, Frauenrechtsaktivistin aus Nicaragua, bedankt sich für die<br />
vielen Briefe, die beim Briefmarathon 2009 für sie verschickt worden sind<br />
Bundespräsident Heinz Fischer, porträtiert von Xenia Hausner<br />
Als ich mich vor 40 Jahren an der Gründung von <strong>Amnesty</strong><br />
<strong>International</strong> in <strong>Österreich</strong> beteiligte, standen einzelne<br />
Menschen, die wegen Ihres persönlichen Engagements von<br />
Regierungen verfolgt wurden, im Mittelpunkt unserer Bemühungen.<br />
Seither hat sich der Aktionsradius und Tätigkeitsbereich<br />
von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> stark erweitert.<br />
Zwar hat die Demokratie weltweit Fortschritte erzielt, aber<br />
dafür sind die Methoden von Unterdrückung, Verfolgung,<br />
Ausgrenzung, Verletzung von Menschenrechten etc. noch<br />
vielfältiger und raffinierter geworden.<br />
Ich freue mich und begrüße es, dass <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
diese breiten und schwierigen Herausforderungen angenommen<br />
hat und sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten<br />
zu einer wirksamen, geachteten und gleichzeitig zur größten<br />
Menschenrechtsorganisation weltweit entwickelt hat.<br />
Dazu herzlichen Glückwunsch<br />
Dr. Heinz Fischer<br />
SIMBABWE > Zwangsräumungen verhindert<br />
Nach einer „Urgent Action“ von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
droht tausenden Menschen in der Hauptstadt Harare keine<br />
rechtswidrige Zwangsräumung mehr. Entsprechende Anordnungen<br />
haben die Behörden zurückgenommen. Im Juli<br />
2009 hatte der stellvertretende Bürgermeister von Harare<br />
erklärt, die Stadt erwäge die Zwangsräumung „illegal errichteter<br />
Häuser und Marktstände, um die öffentliche Ordnung<br />
wiederherzustellen“. Rund 200 BewohnerInnen einer<br />
informellen Siedlung im Vorort Gunhill sowie tausende<br />
StraßenhändlerInnen mussten damit rechnen, ohne angehört<br />
zu werden, ohne rechtsstaatliches Verfahren und ohne<br />
eine angemessene Vorwarnung ihr Zuhause und ihre Erwerbsmöglichkeiten<br />
zu verlieren. Die meisten von ihnen<br />
hatten dies 2005 als Betroffene der „Operation Murambatsvina“<br />
schon einmal erlebt. Damals verloren rund 700.000<br />
Menschen ihr Zuhause und ihre Einkommensquelle.<br />
11
12<br />
Fabrize Pras<br />
„Die sin<br />
<strong>Amnesty</strong> Journal: Herr AkpoBari, bis<br />
vor kurzem stand in den Sternen, ob Sie<br />
in Europa als Gast von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
über schwere Menschenrechtsverletzungen<br />
in Ihrem Heimatland sprechen<br />
würden können. Was ist passiert?<br />
Celestine AkpoBari: Am Ostermontag,<br />
zwei Tage vor meinem Flug nach Wien,<br />
war ich mit zwei langjährigen Kollegen<br />
unserer Organisation Social Action im<br />
Auto unterwegs, als wir in Port Harcourt<br />
[im Nigerdelta gelegene Hauptstadt des<br />
nigerianischen Bundesstaates Rivers]<br />
von der Polizei aufgehalten wurden. Als<br />
wir uns weigerten, in ihren Van zu steigen,<br />
schlugen mich die Polizisten mit<br />
dem Griff ihrer Pistole auf Arme und<br />
Beine. Ohne uns über unser Vergehen<br />
aufzuklären, nahmen sie uns mit und<br />
hielten uns stundenlang auf dem berüchtigten<br />
Polizeirevier Obasanjo fest.<br />
Wir konnten glücklicherweise rechtzeitig<br />
SMS an Freunde schicken, ehe sie<br />
uns die Handys wegnahmen. Bevor man<br />
uns gehen ließ, wurden wir gewarnt:<br />
„Geratet niemals in Streit mit Polizisten!<br />
Sie können euch töten.“ Tags darauf verweigerte<br />
die Klinik, mir meinen Befund<br />
auszuhändigen.<br />
Ein gezielter Einschüchterungsversuch?<br />
Wer weiß, aber ich hätte beinahe die Reise<br />
nach Europa nicht antreten können.<br />
Freunde holten mein Visum für mich<br />
aus Abuja [Hauptstadt Nigerias] und<br />
packten mir das Nötigste ein, das sie mir<br />
zum Flughafen brachten. Ein Experte in<br />
Wien bestätigte die Misshandlung. Was<br />
wir machen, gefällt der Regierung einfach<br />
nicht.<br />
Was tun Sie, was der nigerianischen Regierung<br />
so missfällt?<br />
Wir tragen den Protest auf die Straße,<br />
nicht nur gegen die Ölkonzerne. Wir betreiben<br />
Budgetmonitoring im Nigerdelta<br />
und beobachten genau, wohin das Geld<br />
fließt, das die Verwaltung dort von der<br />
Bundesregierung erhält. Wir haben auch
d die Kriminellen!“<br />
<strong>Amnesty</strong>-Gast Celestine AkpoBari sprach mit Claudia Vogt über gefährliche Menschenrechtsarbeit im<br />
Nigerdelta, Demokratie in Nigeria und den Kampf seines Volkes, der Ogoni<br />
REUTERS/George Esiri<br />
„Wir haben sauren Regen, weil rund um die Uhr Gas abgefackelt wird.”<br />
Maschinen gekapert und verhindert,<br />
dass die Regierung die gesamte Waterfront<br />
[Siedlungen an der Küste] in Port<br />
Harcourt binnen eines Monats zerstört<br />
und die Einwohner vertreibt.<br />
Der Konflikt um die Ölförderung im Nigerdelta<br />
besteht seit Jahrzehnten. Hat sich 15<br />
Jahre nach der Hinrichtung des gewaltlosen<br />
Anführers Ihres Volkes, Ken Saro-Wiwa,<br />
etwas zum Besseren gewendet?<br />
Nein, es ist schlimmer geworden. Schon<br />
beim kleinsten Zwischenfall rufen die<br />
Manager der Ölfirmen heute im Ministerium<br />
an. Sie finanzieren die Wahlkämpfe<br />
der Politiker, und nigerianische Soldaten<br />
bewachen ihre Förderanlagen. Die sehen<br />
mittlerweile aus wie Militärbasen! Der<br />
nigerianische Staat gibt nicht seinen Bürgern,<br />
sondern den Ölkonzernen Sicherheit.<br />
Und die Waffen der Sicherheitsleute<br />
sind mit nigerianischem Geld bezahlt.<br />
Mit der Redemokratisierung Ende der<br />
1990er-Jahre [die Militärregierung unter<br />
Sani Abacha bis 1998 galt als extrem repressiv]<br />
gingen also keine positiven Veränderungen<br />
einher?<br />
Die internationale Gemeinschaft hat sich<br />
täuschen lassen vom Gerede über Demokratie.<br />
Es hat sich nichts geändert: Die<br />
Macht liegt immer noch in den Händen<br />
derselben Clique. Lassen Sie sich nicht<br />
blenden, wenn die Gesichter wechseln!<br />
Wo kommen denn die antretenden Kandidaten<br />
her? In Nigeria findet eine Auswahl<br />
statt, keine Wahl. Die Ergebnisse<br />
stehen fest, bevor die Menschen ihre<br />
Stimme abgegeben haben. Bis Nigeria<br />
seine Führung nicht frei wählen kann,<br />
wird sich diese auch nicht dem Volk verantwortlich<br />
fühlen. Sie denkt: „Wir<br />
schulden euch nichts.“<br />
Sie haben von Budgetkontrolle gesprochen<br />
…<br />
Wir sehen uns an, was Rivers von der<br />
Regierung in Abuja bekommt und was<br />
mit diesem Geld gemacht wird. Das veröffentlichen<br />
wir. Und wir mobilisieren<br />
Nigeria und Erdöl<br />
Kein Staat Afrikas fördert mehr Erdöl und<br />
in keinem leben mehr Menschen als in<br />
der früheren britischen Kolonie Nigeria.<br />
Mehr als 90 Prozent der Deviseneinnahmen<br />
und 80 Prozent des nigerianischen<br />
Budgets stammen aus dem Erdölexport.<br />
Trotz des Ölreichtums lebt die Hälfte der<br />
140 Millionen EinwohnerInnen in dem<br />
multiethnischen Staat im Westen Afrikas<br />
in Armut. Seit der Unabhängigkeit 1960<br />
wechselten sich Militär- und Zivilregierungen<br />
ab. 1999 wurde der ehemalige<br />
Militärpräsident Olusegun Obasanjo vereidigt<br />
und 2003 in umstrittenen Wahlen<br />
im Amt bestätigt. 2007 folgte Umaru<br />
Yar’Adua, dessen Bruder in der Militärregierung<br />
Obasanjos Stellvertreter war. Zuletzt<br />
flammten immer wieder heftige Unruhen<br />
zwischen MuslimInnen und ChristInnen<br />
auf.<br />
13<br />
REUTERS/George Esiri
14<br />
Ken Saro-Wiwa<br />
In den 1990er-Jahren erregte der gewaltlose<br />
Aufstand der Ogoni im Nigerdelta<br />
unter Führung des Schriftstellers<br />
und Umweltaktivisten Ken<br />
Saro-Wiwa weltweites Aufsehen.<br />
Shell wurde in die Knie gezwungen<br />
und musste seine Förderanlagen im<br />
Land der Ogoni schließen. Nur wenige<br />
Wochen nach der Auszeichnung<br />
mit dem österreichischen Bruno-Kreisky-Menschenrechtspreis<br />
ließ die damalige Militärregierung<br />
Ken Saro-Wiwa und acht Mitstreiter<br />
wegen Mordes hinrichten. Die Hinterbliebenen<br />
warfen dem Energiekonzern<br />
Mittäterschaft vor, MenschenrechtlerInnen<br />
machen ihn für<br />
schwerste Umweltzerstörungen und<br />
zahllose Menschenrechtsverletzungen<br />
durch die damalige nigerianische<br />
Regierung verantwortlich.<br />
Shell bestritt die Vorwürfe stets.<br />
Nach einem Jahrzehnt Rechtsstreit<br />
einigte sich das Unternehmen mit<br />
den KlägerInnen auf eine Zahlung<br />
von 15,5 Millionen US-Dollar und<br />
konnte damit ein Verfahren in den<br />
USA abwenden. In den vergangenen<br />
Jahren hielten bewaffnete RebellInnen<br />
im Nigerdelta die Welt mit Entführungen<br />
von MitarbeiterInnen<br />
und Angriffen auf die Infrastruktur<br />
der Ölkonzerne in Atem.<br />
die Leute. Im Vorjahr haben wir zum<br />
World Habitat Day am 5. Oktober fast<br />
6.000 Menschen auf die Straße gebracht.<br />
Es war das erste Mal, dass sich Einwohner<br />
der gesamten Waterfront gemeinsam<br />
erhoben haben, um gegen die<br />
Zwangsräumungen, die rücksichtlose<br />
Zerstörung ihrer Wohnungen zu demonstrieren.<br />
Eine große Freude war es<br />
auch immer, [den Expräsidenten Olusegun]<br />
Obasanjo bei seinen Besuchen zu<br />
verhöhnen. Gegen Shell haben wir protestiert,<br />
indem wir das Hauptquartier in<br />
Lagos [größte Stadt und ehemalige<br />
Hauptstadt Nigerias] oder Tankstellen<br />
besetzten. Wir tragen Shell symbolisch<br />
zu Grabe, um zu sagen: „Vergesst es, ihr<br />
braucht gar nicht wiederzukommen!“<br />
Die Ogoni, mein Volk, haben es geschafft,<br />
Shell zu vertreiben, ohne einen<br />
einzigen Stein zu werfen.<br />
Ist die außergerichtliche Einigung der<br />
Angehörigen des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa<br />
mit Shell [der britisch-niederländische<br />
Erdölkonzern zahlte voriges Jahr<br />
mehr als elf Millionen Euro] ein Erfolg<br />
oder bloß ein Feigenblatt für die anhaltende<br />
Umweltzerstörung?<br />
Ich frage Sie: Wenn man unschuldig ist,<br />
warum sollte man Geld bezahlen? Und<br />
warum sollte man dann einen Prozess<br />
vermeiden wollen? Warum haben sie<br />
nicht zugelassen, dass wir die Wahrheit<br />
AKT ON<br />
i<br />
ergründen? Die Konzerne haben sich<br />
nicht geändert. Was sie im Westen tun<br />
und was sie den Zeitungen erzählen,<br />
entspricht nicht dem, was wir hier beobachten.<br />
Hier informieren sie die Bevölkerung<br />
nicht. Wir wissen nicht einmal, wie<br />
viel Öl sie wirklich fördern! In ihrem<br />
Denken ist das Nigerdelta ein Ölfeld, von<br />
dem man die Menschen tilgen muss.<br />
Zu den jüngsten Entwicklungen gehören<br />
ein neues Erdölgesetz, das derzeit vom<br />
Parlament begutachtet wird, und eine<br />
Amnestie für Rebellen im Nigerdelta.<br />
Schauen Sie: Wir haben sauren Regen,<br />
weil rund um die Uhr Gas abgefackelt<br />
wird. Der Regen zerstört sogar Dächer.<br />
Die Menschen haben Ausschläge und<br />
häufig Fehlgeburten. Weil es nachts taghell<br />
ist, wandern die Fische in tiefere Gewässer<br />
ab, wo man sie nicht mehr fischen<br />
kann. Ausgelaufenes Öl wird unsachgemäß<br />
beseitigt … Dank <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
sehen wir Anzeichen einer<br />
Veränderung. Der Bericht Nigeria: Petroleum,<br />
Pollution and Poverty in the Niger<br />
Delta war der nigerianischen Führung<br />
sehr, sehr peinlich. Ich verspreche: Bis<br />
das neue Gesetz in Kraft tritt, wird man<br />
auch uns angehört haben. Und zum Thema<br />
Amnestie kann ich nur sagen: Es ist<br />
die nigerianische Regierung, die das Nigerdelta<br />
ausgeraubt hat und die eine Amnestie<br />
braucht. Die sind die Kriminellen!<br />
Stopp! Zwangsumsiedlungen in Nigeria<br />
Mehr als zwei Millionen Menschen wurden seit dem Jahr 2000 in<br />
verschiedenen Teilen Nigerias aus ihren Wohnstätten vertrieben.<br />
Viele von ihnen leben seit Jahren am Rande der Gesellschaft<br />
ohne Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen,<br />
angemessener Gesundheitsversorgung oder Bildung. 2006<br />
wurde Nigeria vom Centre on Housing Rights and Evictions<br />
(COHRE) in Genf als eines der drei Länder mit den<br />
schlimmsten Verstößen gegen das Recht auf Wohnen genannt.<br />
Zwangsräumungen gehen währenddessen im ganzen Land<br />
weiter. Seit 2003 wurden in Abuja geschätzte 800.000 Menschen vertrieben. Zwischen Mai<br />
und Juli 2008 fanden in Lagos fast wöchentlich Zwangsräumungen statt. In Port Harcourt,<br />
der bevölkerungsreichsten Stadt des Nigerdeltas, werden Zwangsräumungen in großem<br />
Ausmaß durchgeführt. Zehntausenden Menschen droht die Obdachlosigkeit. Die Sicherheitskräfte,<br />
die die Frauen, Männer und Kinder vertreiben, schrecken vor Gewalt nicht zurück.<br />
Werden Sie aktiv und setzen Sie ein Zeichen gegen Zwangsräumungen in Nigeria!<br />
http://www.amnesty.at/aktiv_werden/
Podiumsdiskussion<br />
HOW TO MAKE A DIFFERENCE<br />
Wie entsteht Veränderung?<br />
Was macht wirksame Menschenrechtsarbeit aus?<br />
Viele Organisationen, Institutionen und Privatpersonen<br />
engagieren sich in <strong>Österreich</strong> menschenrechtlich. Worin<br />
bestehen die Gemeinsamkeiten und worin unterscheiden<br />
sich die einzelnen menschenrechtlichen AkteurInnen?<br />
Welchen Einfluss haben sie auf die Verbesserung der<br />
Menschenrechtssituation? Wo liegen die Möglichkeiten<br />
und Grenzen der verschiedenen Strategien und Arbeitsformen?<br />
Diese Fragen erörtern ExpertInnen aus Politik,<br />
Medien und dem NGO-Bereich anlässlich des 40-jährigen<br />
Bestehens von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> <strong>Österreich</strong>.<br />
Termin: Mittwoch, 26. Mai 2010, 19.30 Uhr<br />
Ort: Hauptbücherei am Gürtel, Veranstaltungssaal,<br />
Urban-Loritz-Platz 2 a, 1070 Wien<br />
Moderation: Michael Kerbler (Journalist, ORF)<br />
Podium:<br />
Werner Binnenstein-Bachstein<br />
(Geschäftsführer der Caritas Erzdiözese Wien)<br />
Araba Evelyn Johnston-Arthur<br />
(Aktivistin, Kultur- und Sozialwissenschaftlerin)<br />
Corinna Milborn (Autorin und Journalistin)<br />
Heinz Patzelt<br />
(Generalsekretär <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> <strong>Österreich</strong>)<br />
Terezija Stoisits (Volksanwältin)<br />
Wir möchten Sie nach der Podiumsdiskussion auf ein<br />
Glas Sekt einladen und gemeinsam mit Ihnen auf<br />
40 Jahre <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> <strong>Österreich</strong> anstoßen!<br />
Die Veranstaltung ist eine Kooperation von <strong>Amnesty</strong><br />
<strong>International</strong> mit der Hauptbücherei Wien.<br />
15
Stimmungsmache gegen AusländerInnen<br />
Der zerbrochene Mythos<br />
In der Regenbogennation Südafrika ist Hass auf AusländerInnen alltäglich Von Corinna Arndt<br />
Dort, wo die Autobahn N1, von Johannesburg<br />
kommend, die Halbwüste<br />
Karoo hinter sich lässt<br />
und in die Weinbaugebiete um Kapstadt<br />
führt, liegt das Hex River Valley. Ein malerisches<br />
Tal voller Weingüter, umgeben<br />
von rauen Bergen. Am Eingang zum Tal<br />
drängen sich tausende Hütten aus Pappe<br />
und Wellblech bis dicht an die Straße.<br />
Hier, im Slum von De Doorns, wohnen<br />
die SaisonarbeiterInnen, die für weniger<br />
als einen Euro am Tag Wein lesen und<br />
dankbar dafür sind, überhaupt einen Job<br />
zu haben. Unter ihnen sind unzählige<br />
Menschen aus anderen afrikanischen<br />
Ländern, die versuchen, sich hier ein<br />
neues Leben aufzubauen.<br />
De Doorns, das kleine Dorf am Rande<br />
der Karoo, ist einer der Orte, die in den<br />
vergangenen Wochen und Monaten für<br />
Schlagzeilen gesorgt haben. Im November<br />
2009 waren hier 3.000 AusländerInnen<br />
gewaltsam aus ihren Hütten vertrieben<br />
worden, viele von ihnen hausen bis<br />
heute in notdürftig errichteten Zelten.<br />
Die AngreiferInnen beschuldigten sie,<br />
zu Dumpinglöhnen zu arbeiten und südafrikanischen<br />
FarmarbeiterInnen die<br />
Jobs wegzunehmen.<br />
16<br />
Es sind bekannte Vorwürfe. Bereits 2008<br />
dienten sie als Entschuldigung dafür,<br />
dass in landesweiten Pogromen mehr<br />
als 85.000 afrikanische MigrantInnen<br />
aus ihren Häusern vertrieben wurden.<br />
Ein gutes Drittel floh damals in provisorische,<br />
von der Regierung errichtete<br />
Flüchtlingslager. 62 Menschen starben.<br />
Das Bild des Mosambikaners Ernesto Alfabeto<br />
Nhamuave, der in der Johannesburger<br />
Township Alexandra bei lebendigem<br />
Leib verbrannte, ging um die Welt.<br />
VOGEL-STRAUSS-POLITIK, BESTENFALLS.<br />
Agathe Kwisera und ihr Mann Norbert,<br />
beide politische Flüchtlinge aus Ruanda,<br />
waren unter den zehntausenden, die<br />
allein in Kapstadt in Lagern unterkamen.<br />
Mehr als ein halbes Jahr lebten sie<br />
mit ihren beiden Kindern in Zelten, die<br />
kaum den Winterstürmen standhielten.<br />
Als die Regierung im Januar 2009 das<br />
letzte der Lager in Kapstadt schloss und<br />
die Essensversorgung einstellte, blieben<br />
die Kwiseras noch für Wochen in ihrem<br />
Zelt. Sie sollten sich wieder integrieren,<br />
forderten die Behörden. Doch das konnte<br />
lebensgefährlich sein. „Wir sind einmal<br />
an unseren alten Wohnort zurück-<br />
gegangen“, erzählt Agathe Kwisera,<br />
„und sofort wieder bedroht worden. Wir<br />
hatten kein Geld. Wir wussten einfach<br />
nicht wohin.“<br />
Glaubt man den Kwiseras, dann hat sich<br />
die Lage für AusländerInnen in Südafrika<br />
in den vergangenen Monaten weder<br />
verbessert noch verschlechtert. Die<br />
Feindseligkeiten sind über Jahre gewachsen<br />
und lösen sich nicht innerhalb<br />
weniger Monate auf. Medien, PolitikerInnen<br />
und Behörden haben das Problem<br />
über Jahre hinweg weitgehend<br />
ignoriert und nicht selten selbst Vorurteile<br />
geschürt.<br />
XENOPHOBIE, DAS ENDE DER HOFFNUNG.<br />
Im Dezember 2009 wurden 200 AusländerInnen<br />
in der Limpopo-Provinz aus einer<br />
Township verjagt. Immer wieder<br />
kam es in den vergangenen Monaten zu<br />
Morden, Verfolgung und Plünderungen,<br />
zuletzt in der Provinz Mpumalanga. Die<br />
Ortsnamen sind austauschbar, das Problem<br />
ist kein lokales, jedes erneute Aufflammen<br />
des Hasses lediglich das Symptom<br />
einer Krankheit, die das gesamte<br />
Land erfasst hat.<br />
Im Land am Kap der Guten Hoffnung ist<br />
REUTERS/Siphiwe Sibeko
Ein verzweifelter Mann aus Simbabwe ist vor dem Ausländerhass in ein Polizeikommissariat geflüchtet<br />
ein Mythos zerbrochen: das Bild der Regenbogennation,<br />
einer multikulturellen<br />
Gesellschaft, die in ihrer Vielfalt und Toleranz<br />
selbst vielen westlichen Ländern<br />
als Vorbild galt. Bezeichnenderweise waren<br />
es nie Weiße – die ehemaligen UnterdrückerInnen<br />
–, die zur Zielscheibe<br />
wurden, sondern SimbabwerInnen, MosambikanerInnen,<br />
MalawierInnen, SomalierInnen,<br />
AngolanerInnen und KongolesInnen.<br />
Europäische FußballtouristInnen<br />
werden von der südafrikanischen<br />
Form der Fremdenfeindlichkeit wenig zu<br />
spüren bekommen. AusländerInnenhass<br />
am Kap beschränkt sich auf afrikanische<br />
ImmigrantInnen, viele von ihnen politische<br />
oder Armutsflüchtlinge. Schätzungen<br />
zufolge leben fünf Millionen am<br />
Kap, mehr als die Hälfte davon ist aus<br />
Simbabwe.<br />
Die Einwanderer und Einwanderinnen<br />
kommen mit leeren Taschen und versuchen,<br />
in Südafrikas ärmsten Gemeinden<br />
Fuß zu fassen – ohne jegliche Unterstützung<br />
vom Staat. Wo sie Erfolg haben, ziehen<br />
sie Neid auf sich. Ihre südafrikanischen<br />
Nachbarn genießen Freiheit, politische<br />
Rechte und Demokratie, doch es<br />
fehlt an Jobs, guten Schulen und der<br />
Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Südafrikas<br />
Arme haben Wahlversprechen<br />
an sich vorbeiziehen sehen und sind ärmer<br />
geworden. Sie sind frustriert. Und<br />
richten ihre wachsende Wut gegen ihre<br />
afrikanischen Nachbarn. „Gewalt gegen<br />
Ausländer droht ein völlig akzeptierter<br />
Bestandteil der Politik in den Townships<br />
zu werden“, sagt Loren Landau, die an<br />
der Johannesburger Wits University zu<br />
gewaltsamer Vertreibung forscht. Der<br />
Hass ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.<br />
Hinzu kommt, dass PolitikerInnen und<br />
Behörden versuchen, das Problem herunterzuspielen.<br />
Zwar haben sowohl der<br />
frühere Präsident Thabo Mbeki als auch<br />
sein Nachfolger Jacob Zuma die Übergriffe<br />
verurteilt, doch genutzt hat es wenig.<br />
So erklärte vor kurzem der Bürgermeister<br />
des kleinen Ortes Riviersonderend<br />
im Westkap der Wochenzeitung<br />
Mail & Guardian mit folgenden Worten<br />
die Vertreibung von 20 SomalierInnen<br />
aus seinem Dorf: „Ich möchte nicht, dass<br />
Sie in der Zeitung von ‚Ausländerhass‘<br />
sprechen. In ein paar Monaten haben<br />
wir hier die Fußball-WM. Das gäbe doch<br />
einen Aufstand – dabei geht es nur um<br />
20 Leute! Wissen Sie, ich liebe mein<br />
Land, und ich liebe das Westkap.“<br />
INTEGRATION? EINSAMKEIT. Weiterleben,<br />
als wäre nichts passiert, das versuchen<br />
auch die Kwiseras jeden Tag aufs Neue.<br />
Die Kinder gehen wieder regelmäßig in<br />
die Schule, ihre Mutter macht eine Ausbildung<br />
als Krankenschwester. Der Vater<br />
verkauft Brot und Gemüse, um die Familie<br />
über Wasser zu halten. Die Familie<br />
wohnt wieder in einem festen Haus. In<br />
Capricorn haben sie ein Zimmer gemietet.<br />
Die Kinder sprechen neben ihrer<br />
Muttersprache Englisch, Afrikaans und<br />
isiXhosa. Viele FreundInnen der Familie<br />
sind SüdafrikanerInnen. Das ist die Integration,<br />
die die PolitikerInnen fordern.<br />
Doch für Agathe Kwisera ist das Gefühl<br />
der Unsicherheit geblieben: „Es ist ruhig<br />
im Moment“, sagt sie und fügt nach kurzem<br />
Zögern hinzu: „Aber da ist etwas in<br />
den Menschen hier … es wird wiederkommen<br />
… Ich fühle mich einsam … wohin<br />
du auch gehst, irgendwie hast du immer<br />
das Gefühl, die Leute hassen dich.“<br />
Corinna Arndt ist freie Journalistin und<br />
lebt in Kapstadt.<br />
REUTERS/Mark Wessels<br />
17
REUTERS/Mike Hutchings<br />
Shoot to Kill<br />
Mit moderner Überwachungstechnik und massiver Polizeipräsenz will Südafrika die<br />
Fußball-WM 2010 sichern. BeamtInnen sollen schnell zur Schusswaffe greifen.<br />
Menschenrechte gelten als Störfaktor.<br />
E<br />
inst war Hillbrow ein modernes<br />
Weißenviertel. Hier bröckelte<br />
die Apartheid früh. In den<br />
1980er-Jahren mutierte der Stadtteil zur<br />
„grey area“, zur „grauen Zone“. Hillbrow<br />
galt nun als coole Partymeile, auf<br />
der alle, die nicht gerade weiße Rechtsradikale<br />
waren, abends gern ein Bier<br />
tranken. Bald aber setzten sich die weißen<br />
HausbesitzerInnen in bessere Viertel<br />
ab. Flüchtlinge aus Kriegsländern<br />
wie dem Kongo rückten nach. Und viele<br />
Arme von weither, die in der Goldstadt<br />
Johannesburg, der größten Metropole<br />
südlich der Sahara, eine bessere Zukunft<br />
suchten. Hillbrow wurde zum<br />
Hochhausslum. Zum Synonym für einen<br />
Niedergang, den zornige PessimistInnen<br />
im ganzen Land zu erblicken glauben.<br />
Auf krasse Art verdeutlicht die Realität<br />
18<br />
dieses abgleitenden Stadtteils das Wechselspiel<br />
von Arbeitslosigkeit, Armut,<br />
Aids und Kriminalität. Und demonstriert,<br />
dass polizeiliche Maßnahmen allein<br />
wenig fruchten. An manchen Ecken<br />
von Hillbrow sind jetzt Überwachungskameras<br />
installiert. Polizei ist verstärkt<br />
auf den Straßen präsent. Das entfaltet<br />
eine gewisse abschreckende Wirkung.<br />
In der Nacht aber schwappt das Verbrechen<br />
auf die Straßen zurück. Dann<br />
herrscht die rohe Gewalt, wird scharf geschossen.<br />
Nur einen Steinwurf von Hillbrow entfernt<br />
liegt das Ellis Park Stadium, eine<br />
der Arenen, in denen die Fußballweltmeisterschaft<br />
2010 ausgetragen wird,<br />
und Kriminalität während der WM ist<br />
derzeit die größte Sorge von Südafrikas<br />
Mächtigen. Im Juli 2009 ernannte Präsident<br />
Jacob Zuma einen neuen nationa-<br />
Von Tom Schimmeck<br />
len Polizeichef: Bheki Cele, zuvor Minister<br />
für Sicherheit in der Provinz KwaZulu-Natal.<br />
Cele, ein ehemaliger Freiheitskämpfer<br />
mit Panamahut, geriert sich als<br />
Hardliner, will seine Polizei auf Touren<br />
bringen, die etwa 185.000 Leute auf Effizienz<br />
trimmen und jene Korruption ausrotten,<br />
die seinem Vorgänger zum Verhängnis<br />
wurde. Er liebt unangemeldete<br />
Besuche auf Polizeiwachen. „Wenn die<br />
Organisation erst gut geölt ist“, verspricht<br />
Cele, „werden die Kriminellen<br />
laufen lernen.“<br />
Das Gros seiner Landsleute lauscht solch<br />
markigen Worten gern. Seit Jahren ächzt<br />
das Land unter einer Kriminalitätsrate,<br />
die weltweit herausragt. Mit etwa 50<br />
Morden pro Tag liegt Südafrika nur<br />
knapp hinter dem Spitzenreiter Kolumbien.<br />
Die Zahlen bei Vergewaltigungen,<br />
Raubüberfällen und Einbrüchen sehen
REUTERS/Finbarr O'Reilly<br />
Ein Mann aus Lesotho in einem verlassenen Gebäude in Johannesburg<br />
nicht besser aus. Und selbst diese Daten,<br />
sagen WissenschaftlerInnen, spiegeln<br />
nicht das tatsächliche Ausmaß der Kriminalität<br />
wider. Untersuchungen unter<br />
Opfern zeigten: Ihr Vertrauen in die Polizei<br />
ist derart gering, dass viele Straftaten<br />
gar nicht mehr angezeigt werden.<br />
Für die WM bietet die Regierung 41.000<br />
zusätzliche PolizistInnen auf. Den TouristInnen<br />
soll bitte nichts passieren. Das<br />
Image des Reiselandes Südafrika steht<br />
auf dem Spiel. Die eigentliche Ursache<br />
der gewaltigen Kriminalität im Land ist<br />
unumstritten: Armut. Umso wichtiger,<br />
argumentieren AnhängerInnen der Prävention,<br />
seien eine funktionierende Justiz<br />
und Polizei, die Versorgung mit Wasser,<br />
Toiletten, Strom, auch eine anständige<br />
Straßenbeleuchtung und Betreuungseinrichtungen<br />
für die Kinder. Der<br />
mühsame Aufbau der Zivilgesellschaft.<br />
Solche Graswurzelaktivitäten gibt es<br />
überall.<br />
In Johannesburgs Innenstadt dagegen<br />
baut man seit einem Jahrzehnt die Videoüberwachung<br />
aus. Seit Ende 2008<br />
steht jede Straßenecke der City unter<br />
Kamerakontrolle. Dutzende BeobachterInnen<br />
sitzen an den Monitoren der Einsatzzentrale.<br />
Manche TaschendiebInnen<br />
erkennen sie schon am Gang, schicken<br />
sofort eine Einheit los. Die durchschnittliche<br />
Reaktionszeit liegt unter 60 Sekunden.<br />
Angeblich ist die Zahl der Straftaten<br />
im überwachten Gebiet innerhalb<br />
von drei Jahren um 80 Prozent gefallen.<br />
Ein Erfolg? Oder nur ein Verdrängungsprozess?<br />
Die Regierung müsste mehr<br />
tun, um die Unmengen illegaler Waffen<br />
im Land einzusammeln, sagen OppositionspolitikerInnen.<br />
Sie müsste ZeugInnenschutzprogramme<br />
schaffen, um den<br />
Kampf gegen die großen kriminellen<br />
Syndikate zu verbessern. Allein im vergangenen<br />
Jahr wurden 538 PolizistInnen<br />
wegen schwerer Verbrechen verurteilt.<br />
RHETORISCHE AUFRÜSTUNG. Seit November<br />
2009 rüsten die Verantwortlichen<br />
rhetorisch nach. Celes neue Strategie<br />
heißt: „Shoot to kill“ – schießen, um zu<br />
töten. Seine PolizistInnen sollten sich<br />
keine Sorgen mehr machen müssen, so<br />
der Polizeichef, „was hinterher geschieht“.<br />
– „Wir ziehen die Schrauben<br />
an“, kündigt auch Polizeiminister Nathi<br />
Mthethwa an, „wir werden die Kriminellen<br />
jagen.“ – „Ja, erschießt die Bastarde“,<br />
stimmt sein Vize Fikile Mbalula ein<br />
und bläst zum „Krieg gegen die Kriminellen“.<br />
Mit neuen Gesetzen will Cele PolizistInnen<br />
„befreien“, sprich: ihnen den Gebrauch<br />
der Schusswaffe erleichtern. Paragrafen,<br />
die schon zu Apartheid-Zeiten<br />
das Abknallen eines Ladendiebes durch<br />
einen erbosten Kaufmann segneten, sollen<br />
nun wieder verschärft werden. „Wir<br />
dürfen“, tönt der neue Polizeichef, „die<br />
Menschenrechte der Opfer und Täter<br />
nicht gleichsetzen.“ Statistiken aus dem<br />
letzten Jahr seiner Amtszeit als Minister<br />
in KwaZulu-Natal zeigen, dass dort die<br />
Zahl der Todesfälle in Polizeigewahrsam<br />
um 83 auf 258 stieg – mehr als in jeder<br />
anderen Provinz. Wer auf den Schutz<br />
der Menschenrechte beharrt, hat in dieser<br />
emotional aufgepeitschten Debatte<br />
einen schweren Stand. Der Ton ist rauer<br />
geworden, die Sprache militant.<br />
Trotzdem verlieren SüdafrikanerInnen<br />
nicht ihren Humor. Kurz vor Weihnachten<br />
kam ein neues Kartenspiel auf den<br />
Markt: „Tsotsi“ – ein Slangwort für<br />
„Gangster“. Entwickelt von Mark Grieve,<br />
Priester im Johannesburger Stadtteil Sophiatown.<br />
Das Kartenspiel des Priesters<br />
funktioniert nach einem Punktesystem.<br />
Waffen, Drogen, Korruption und Gangs<br />
tragen Minuswerte, Wachleute, Spezialeinheiten<br />
und Gerichte bringen Pluspunkte.<br />
Das Problem: Die MitspielerInnen<br />
wissen nicht, wer PolitikerIn und<br />
wer VerbrecherIn ist. „Wie im wahren<br />
Leben“, findet Priester Grieve.<br />
Tom Schimmeck lebte drei Jahre in Südafrika.<br />
Er arbeitet als freier Journalist, etwa<br />
für den Deutschlandfunk.<br />
19
REUTERS/Denis Balibouse<br />
20<br />
Aktuell<br />
WELTWEIT<br />
> Todesstrafenstatistik<br />
Erstmals hat <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong><br />
in ihrer jährlichen<br />
Statistik zur Todesstrafe keine<br />
Zahlen zu China veröffentlicht.<br />
„Die Regierung in Peking<br />
behauptet, dass immer<br />
weniger Menschen hingerichtet<br />
werden. Wenn das<br />
stimmt, wieso verheimlicht<br />
sie, wie viele Todesurteile<br />
verhängt und vollstreckt werden?“,<br />
zweifelt Heinz Patzelt,<br />
Generalsekretär von <strong>Amnesty</strong><br />
<strong>International</strong> <strong>Österreich</strong>.<br />
<strong>Amnesty</strong> geht davon aus,<br />
dass im vergangenen Jahr in<br />
China tausende Menschen<br />
hingerichtet wurden: „Öffentlich<br />
bekannt werden nur Fälle,<br />
die Chinas Stärke und innere<br />
Sicherheit demonstrieren<br />
sollen.“ China ausgenommen,<br />
wurden 2009 mindestens<br />
714 Menschen in 18<br />
Staaten hingerichtet und<br />
mehr als 2.000 Menschen in<br />
56 Ländern zum Tode verurteilt.<br />
Die meisten Todesurteile<br />
vollstreckten neben China<br />
der Iran (mindestens 388),<br />
der Irak (mindestens 120),<br />
Saudi-Arabien (mindestens<br />
69) und die USA (52). Der<br />
Iran und Saudi-Arabien henkten<br />
als einzige Länder minderjährige<br />
Straftäter.<br />
DÄNEMARK/FINNLAND > Gewalt gegen Frauen<br />
In Dänemark kann die Strafe für Vergewaltigung aufgehoben<br />
werden, wenn Opfer und Täter miteinander verheiratet<br />
sind. In Finnland setzt die Rechtsprechung voraus,<br />
dass es bei einer Vergewaltigung zum Geschlechtsverkehr<br />
kommt. Alle anderen erzwungenen sexuellen Handlungen<br />
werden nicht als solche geahndet. Auch in vielen anderen<br />
Ländern lassen Polizei und Justiz Opfer sexueller Gewalt<br />
im Stich. Dies belegen Berichte, die <strong>Amnesty</strong> zum Weltfrauentag<br />
am 8. März veröffentlichte. „Regierungen in vielen<br />
Teilen der Welt müssen endlich dafür sorgen, dass Gewalt<br />
an Frauen verhindert, untersucht und bestraft wird“,<br />
so <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong>.<br />
Zwei Angehörige der Dongria-Kondh-Ethnie<br />
INDIEN > Raffinerie bedroht Indigene<br />
Die Aluminiumoxidraffinerie einer Tochtergesellschaft<br />
des britischen Unternehmens Vedanta Resources bedroht<br />
die Existenz der indigenen Gemeinschaft der Dongria<br />
Kondh, die seit Jahrhunderten am Fuße der Niyamgiri<br />
Hills angesiedelt ist. Um zu überleben, sind die Dongria<br />
Kondh auf die Berge als Quelle für Nahrung und Wasser<br />
angewiesen. „Die Menschen leben im Schatten einer riesigen<br />
Raffinerie, atmen verschmutzte Luft und haben Angst,<br />
Wasser aus dem Fluss zu trinken“, so <strong>Amnesty</strong>. Trotz der<br />
Umweltverschmutzung überlegt die indische Regierung,<br />
einem Antrag stattzugeben, der eine Versechsfachung der<br />
Raffineriekapazität vorsieht.<br />
REUTERS/Reinhard Krause<br />
BiderBoxCom<br />
Kartika Sari Dewi Shukarno: Kampf gegen<br />
Auspeitschung<br />
MALAYSIA > Prügelstrafe<br />
Für außerehelichen Geschlechtsverkehr<br />
wurden Anfang<br />
Februar erstmals drei<br />
muslimische Frauen in einem<br />
Gefängnis nahe Kuala Lumpur<br />
ausgepeitscht. Es war das<br />
erste Mal in dem mehrheitlich<br />
muslimischen Land, dass<br />
Frauen mit Stockhieben bestraft<br />
wurden. „Das Auspeitschen<br />
der drei Frauen ist nur<br />
die Spitze des Eisbergs“, so<br />
<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong>. „Seit<br />
2002 wurden mehr als 35.000<br />
Menschen ausgepeitscht, zumeist<br />
für Immigrationsvergehen.“<br />
Die Prügelstrafe wird<br />
auch zunehmend von Zivilgerichten<br />
angeordnet, seitdem<br />
Gesetzesnovellen zum Immigrationsgesetz<br />
von 2002 die<br />
Bestrafung mit der Peitsche<br />
oder dem Rohrstock festschreiben.<br />
Im Juni 2009 teilte<br />
die Regierung in Kuala Lumpur<br />
mit, dass fast 48.000 Immigranten<br />
ausgepeitscht wurden.<br />
<strong>Amnesty</strong> spricht von einer<br />
„Epidemie“: „Die malaysische<br />
Regierung muss diese<br />
grausame und entwürdigende<br />
Strafe abschaffen, unabhängig<br />
von der Art des Vergehens.“<br />
REUTERS/Zainal Abd Halim
AMNESTY<br />
INTERN<br />
Danke für Ihr Vertrauen!<br />
Aufwendungen 2009 in Euro<br />
1.010.299<br />
562.051<br />
5.185 52.250<br />
242.098<br />
492.525<br />
821.110<br />
Sie als unsere treuen SpenderInnen<br />
und fördernden Mitglieder<br />
ermöglichen es uns, seit 40 Jahren<br />
unabhängig von Ideologien, Religionen<br />
und wirtschaftlichen Interessen erfolgreich<br />
in <strong>Österreich</strong> zu arbeiten. Damit<br />
das auch in Zukunft so bleibt, nehmen<br />
wir weiterhin keine Gelder von Regierungen<br />
und politischen Parteien an, sondern<br />
finanzieren uns ausschließlich durch private<br />
Spenden. So ist es uns möglich, uns<br />
für die vielen Opfer von Menschenrechtsverletzungen<br />
einzusetzen und Druck auf<br />
die Verantwortlichen auszuüben.<br />
Im letzten Jahr haben es uns Ihre Beiträge<br />
in der Höhe von rund 4,8 Millionen<br />
Euro ermöglicht, Menschen wieder Hoffnung<br />
zu geben. Dafür möchten wir uns<br />
an dieser Stelle recht herzlich bedanken!<br />
Wie schon in den letzten Jahren wird die<br />
korrekte Verwendung der Spenden von<br />
der Lummerstorfer & Richter Wirtschaftsprüfungs<br />
und Unternehmensberatungs<br />
GmbH geprüft. Das jährlich neu<br />
verliehene Spendengütesiegel steht für<br />
unseren verantwortungsvollen Umgang<br />
mit Ihrem Geld. Mit diesem Geld können<br />
wir über Menschenrechtsverletzungen<br />
informieren, intervenieren und Betroffene<br />
unterstützen.<br />
1.595.871<br />
Beiträge inter nat. <strong>Amnesty</strong>-Bewegung und Relief<br />
Kosten Publikationen/Kampagnen<br />
Infrastruktur und Betriebsaufwand<br />
SpenderInnen-Werbung<br />
Personalaufwand<br />
Kommunikation, Porto, Telefon<br />
Zinsen und ähnliche Aufwendungen<br />
Dotierung Reservefonds<br />
Finanzbericht 2009 in EUR<br />
Erträge EUR<br />
Spenden und Mitgliedsbeiträge 4.550.544,59<br />
Spenden aus Aktionen 99.115,30<br />
Sachspenden 1.242,81<br />
Erbschaften 53.499,72<br />
Infomaterialien 4.697,57<br />
AMS und Gemeindeförderungen 13.860,95<br />
Erträge aus Kapitalvermögen 16.472,28<br />
Aufl. von RSt. und Wertberichtigungen 36.898,80<br />
Sonstige Erträge und Kostenersätze 42.790,73<br />
Gesamt 4.819.122,75<br />
Aufwendungen EUR<br />
% der<br />
Einnahmen<br />
Beiträge internat. <strong>Amnesty</strong>-Bewegung und Relief 821.110,98 17,04 %<br />
Kosten für Publikationen, und Kampagnen 1.595.871,33 33,12 %<br />
Infrastruktur und Betriebsaufwand 492.525,33 10,22 %<br />
SpenderInnen-Werbung 562.051,62 11,66 %<br />
Personalaufwand 1.010.299,94 20,96 %<br />
Kommunikation, Porto, Telefon 242.098,63 5,02 %<br />
Zinsen und ähnliche Aufwendungen 5.185,30 0,11 %<br />
Dotierung Reservefonds 52.250,00 1,08 %<br />
Überschuss 37.729,62 0,78 %<br />
Gesamt 4.819.122,75 100,00 %<br />
21
Aktiv für Menschenrechte<br />
22<br />
Es braucht keinen Grund,<br />
Menschen zu helfen!<br />
Andreas Edl, Student am Höheren Kolleg für Wirtschaftsingenieurwesen<br />
Betriebsinformatik im oststeirischen<br />
Weiz, hat eine lokale <strong>Amnesty</strong>-Gruppe ins Leben gerufen:<br />
„In letzter Zeit wurde ich oft gefragt, aus welchem Grund<br />
ich eine neue <strong>Amnesty</strong>-Gruppe gegründet habe. Für mich<br />
braucht es keinen besonderen Grund, Menschen zu helfen!<br />
Ein Mensch sollte immer die Unterstützung bekommen,<br />
die er braucht! Ich muss mich nicht fragen, was ich<br />
dafür bekomme. Die Hauptsache ist, dass man aktiv wird.<br />
Ich hatte das Glück, Leute zu kennen, die meine Meinung<br />
mit mir teilten, und so stand mir durch die Unterstützung<br />
meiner Freunde nichts mehr im Weg. Derzeit besteht die<br />
<strong>Amnesty</strong>-Gruppe Weiz, die wir im November 2009 gründeten,<br />
aus sechs Leuten: David Kraxner, Eva Wolf, Anita<br />
Zeiler, Nadja Baumgartner, Christian Kienreich und natürlich<br />
mir selbst. Ich hoffe, dass sich vor allem junge Menschen<br />
durch unsere Aktionen angesprochen fühlen und<br />
sich an unserem Engagement ein Beispiel nehmen und<br />
selbst aktiv werden. Es ist wichtig, dass gerade jungen<br />
Menschen die Ideologie von <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> näher<br />
gebracht wird.“<br />
<strong>Amnesty</strong> Weiz E-Mail: amnesty.weiz@gmx.at<br />
www.myspace.com/amnesty.weiz<br />
Sie wollen sich auch in einer <strong>Amnesty</strong>-Gruppe engagieren?<br />
Schauen Sie nach im Gruppenfinder auf<br />
http://www.amnesty.at.<br />
Justitia mit Waage, Collage von Verena Friedl, 2009<br />
<strong>Amnesty</strong> Youth:<br />
Jugend im Einsatz<br />
„Menschenrechte sind mir ein großes Anliegen, und ich möchte<br />
etwas für meine Überzeugung tun“, beschreiben viele Jugendliche<br />
ihr Engagement für <strong>Amnesty</strong>. In <strong>Österreich</strong> sind etwa<br />
800 14- bis 20-Jährige aktiv. In Gruppen oder als Einzelmitglieder<br />
planen sie Aktionen und machen auf Menschenrechtsverletzungen<br />
aufmerksam. So auch die Gruppe „Esperance“<br />
aus Imst in Tirol. Die fünf Jugendlichen sind regelmäßig an der<br />
Imster Kunststraße präsent, wo sie mit kreativen Aktionen auf<br />
Menschenrechtsthemen hinweisen. Zuletzt gestalteten sie zusammen<br />
mit vier heimischen KünstlerInnen – Elmar Peintner,<br />
Willi Pechtl, Clemens Schmid und Verena Friedl – Bilder zu<br />
einzelnen Menschenrechtsparagrafen und verkauften diese<br />
anschließend erfolgreich als Postkarten.<br />
Häufig geben LehrerInnen den ersten Anstoß für eine <strong>Amnesty</strong>-Youth-Gruppe,<br />
manche gründen sogar eigene Schulgruppen.<br />
„Die Hauptinitiative ergreifen jedoch die Jugendlichen selber,<br />
die sich für Menschenrechte einsetzen und etwas bewirken<br />
wollen“, erklärt Aleksandar Prvulovic, ´<br />
der <strong>Amnesty</strong>-Youth-Koordinator.<br />
Die Jugendlichen veranstalten Infostände und Konzerte,<br />
organisieren Menschenrechtstage, schreiben Appellbriefe,<br />
verbreiten Fotobotschaften oder drehen Videos.<br />
Weitere Informationen zu <strong>Amnesty</strong> Youth erhältst du auf<br />
http://www.amnesty.at/aktiv_werden/amnesty_youth/, per E-<br />
Mail an aleksandar.prvulovic@amnesty.at oder telefonisch unter<br />
(01) 7 80 08-25.<br />
Recht auf Meinungsfreiheit, Kohlezeichnung von Clemens Schmid, 2009
Aktiv für Menschenrechte<br />
Sie können unmittelbar etwas bewegen – mit den angehängten Postkarten. Der massive internationale Druck von<br />
Menschen wie Ihnen zeigt Wirkung: Unschuldige werden freigelassen, bedrohte Menschen werden geschützt,<br />
zum Tode Verurteilte werden nicht hingerichtet. Ihre Unterschrift macht einen Unterschied! (Bitte schicken Sie<br />
die Appelle direkt an die angegebene Adresse und nicht an das AI-Büro.)<br />
Wenn Sie sich regelmäßig gegen drohende Menschenrechtsverletzungen einsetzen möchten, werden Sie doch<br />
Teil unseres Urgent-Action-Netzwerks (schreiben Sie dazu ein E-Mail an urgent.action@amnesty.at mit dem Betreff<br />
„UA-Netzwerk“)! Weitere Appelle finden Sie außerdem auf unserer Website www.amnesty.at.<br />
Bosnien-Herzegowina:<br />
Tomislav Matanovic´<br />
Griechenland:<br />
Konstantina Kuneva<br />
<strong>Amnesty</strong>-Demo gegen Verschwindenlassen, London, August 2008 <strong>Amnesty</strong>-AktivistInnen vor der Akropolis in Athen<br />
Tomislav Matanovic, ´ ein junger katholischer Pfarrer, wurde gemeinsam<br />
mit seinen Eltern 1995 von der Polizei verhaftet und später Opfer des<br />
Verschwindenlassens. Sechs Jahre später fand man ihre sterblichen<br />
Überreste und Hinweise darauf, dass die Polizei für ihre außergerichtlichen<br />
Hinrichtungen verantwortlich gewesen sein könnte. Ein erstes<br />
Verfahren gegen die mutmaßlichen TäterInnen endete mit Freisprüchen.<br />
Bis heute ist niemand für die Verbrechen zur Rechenschaft gezogen<br />
worden.<br />
Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des Krieges in Bosnien-Herzegowina<br />
sind noch immer mindestens 13.000 Menschen vermisst. Viele<br />
davon sind dem Verschwindenlassen durch Angehörige von Armeen,<br />
Polizeikräften und paramilitärischen Gruppierungen zum Oper gefallen.<br />
In vielen Fällen sind die TäterInnen nicht vor Gericht gestellt worden,<br />
und die Angehörigen der Verschwundenen kämpfen noch immer<br />
mit Traumata.<br />
Fordern Sie Gerechtigkeit für die Familie Matanovic! ´<br />
(Porto für Postkarte bis: EUR 0,65)<br />
Unterschreiben Sie auch unsere Online-Appelle auf:<br />
www.amnesty.at/matanovic<br />
Die Gewerkschafterin Konstantina Kuneva engagierte sich für die Rechte<br />
von ArbeitnehmerInnen. Ihre gewerkschaftlichen Aktivitäten brachten<br />
ihr Probleme ein, sie wurde schikaniert und bedroht. Nachdem der<br />
Konflikt mit ihrem Arbeitgeber eskalierte, geschah das Unfassbare: Als<br />
sie im Dezember 2008 am Abend nach der Arbeit nach Hause kam, wurde<br />
sie von einem Mann angegriffen, der ihr Schwefelsäure ins Gesicht<br />
schüttete. Sie ist noch immer in medizinischer Behandlung, während<br />
die TäterInnen nicht gefasst sind.<br />
Nach dem Attentat lag sie mehrere Tage im Koma. Erst vor kurzem wurde<br />
sie aus dem Krankenhaus entlassen, braucht aber noch mehrere<br />
Operationen. Zuerst wurde ihr Fall geschlossen, obwohl die Schuldigen<br />
noch nicht gefunden waren. Im Dezember 2009 entschied der Staatsanwalt,<br />
weitere Untersuchungen zu veranlassen – zusätzlicher Druck<br />
auf die Regierung ist dennoch notwendig, damit die TäterInnen ausfindig<br />
gemacht werden!<br />
Fordern Sie die umfassende und unabhängige Untersuchung des Angriffs!<br />
(Porto für Postkarte bis: EUR 0,65)<br />
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www.amnesty.at/kuneva<br />
Circle Up Now/AI