Abiturrede 2012 - Augustinerschule Friedberg

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Name und Stil des berühmten Pariser Vorbilds wurden von zahlreichen anderen Varietés und Diskotheken auf der ganzen Welt kopiert. 2/5 Was hat das aber mit Ihnen und Ihrer Schulzeit zu tun, so dass Sie es in Ihr Motto einbinden? War etwa die <strong>Augustinerschule</strong> für Sie ein lockerer Tanzsaal, eine Revue der netten Unterhaltung, eine große Operette des leichten Lebens und des soften Herzschmerzes oder nur ein Aquarium des nackten Wissens, in dem Sie als die Stars geschwommen sind? Und dazu Ihre Forderung: „Raus aus dem Rotstiftmilieu!“ Was meinen Sie damit? War die <strong>Augustinerschule</strong> doch nicht so unterhaltend? Als Absolventen einer höheren Bildungseinrichtung könnten Sie vielleicht an unseren deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe gedacht haben und wollten frei nach seinem Gedicht „Nur wer die Sehnsucht kennt“ an manche Klausurerfahrung erinnern. Ich rezitiere: „Nur wer den Rotstift kennt“ frei nach Johann Wolfgang von Goethe Nur wer den Rotstift kennt, weiß was ich leide. Allein morgens verpennt so gar keine Freude Seh´ ich am Klausurenend´ all meine Pleite. Ach, ob der vorne mich noch liebt und kennt, lieber Gott, bleib an meiner Seite. Es schwindelt mir, es brennt, Oh! Einen Punkt, welches Leide. Nur wer den Rotstift kennt, weiß was ich leide. Diese Situation haben Sie bestimmt so oder anders in Ihrer Schulzeit erlebt – und: Sie sind daran gewachsen! Denn wir sind heute hier zusammengekommen, weil Sie die Herausforderungen der Rotstifte angenommen und erfolgreich gemeistert haben. Und nur deshalb geht es heute, wie Sie es in Ihrem Motto ausgesprochen haben, raus aus dem Rotstiftmilieu. Aber in welches Milieu werden Sie wechseln? Mit welchen Menschen werden Sie sich umgeben? Und kommen Sie wirklich raus aus dem Rotstiftmilieu? Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert übrigens die Begriffe „Milieu“ und „Sozialisation“ wie folgt: Ich zitiere: „Milieu: (franz.) Milieu bezeichnet das spezielle (in der Regel kleinräumige) soziale Umfeld, in dem eine Person aufwächst (Herkunfts-Milieu) oder in dem sie lebt (z.B. kleinbürgerliches Milieu).“
3/5 Ich zitiere weiter: „Sozialisation: Soziologischer Begriff für das in unterschiedlichen Bezugsgruppen vermittelte Erlernen von Werten, Symbolen, Verhaltensweisen, Techniken etc. Unterschieden wird zwischen der primären Sozialisation, die überwiegend in der Familie stattfindet, und der sekundären Sozialisation, die beispielsweise über Medien vermittelt wird bzw. im Kindergarten, der Schule etc. stattfindet; darüber hinaus hat die berufliche Sozialisation wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung junger Menschen.“ Sie sehen, die Formulierung „Raus aus diesem Rotstiftmilieu“ muss also nicht allein die Überwindung einer unangenehmen Signalfarbe aus einem Schreibgerät bedeuten. Sie kann im Sinne der eben genannten Definitionen auch darüber hinausgehend verstanden werden. Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht? Und haben Sie in diesem Kontext auch schon erkannt, dass der Rotstift mehr als ein Korrekturstift sein kann, der nur richtig oder falsch anzeigt? Er bietet nämlich Denkansätze, Chancen zum Hinterfragen eigener Sichtweisen sowie Anregungen für die Weiterarbeit. Und damit öffnet er verschiedene Dimensionen des Reflektierens und Wissens, Könnens und Handelns – vorausgesetzt, man begegnet den roten Anmerkungen mit Offenheit und Interesse und tauscht sich mit anderen darüber aus. Dafür braucht man allerdings das passende Milieu. Wie auch immer, eins ist sicher: Sie wechseln demnächst in ein Milieu, in dem Sie sich wieder Anforderungen und Bewertungen stellen müssen. Und dabei werden sie merken, dass Ihnen nicht immer ein Stift in klarer Signalfarbe zeigt, wie ihre Arbeit bewertet wird. Denn Bewertung geschieht oft auch im Verborgenen und im Verklausulierten. Der Rotstift bot Ihnen dagegen die Chance zum offenen Diskurs mit der Person, die ihn verwendet hatte. Denken Sie daran, wenn Sie sich das nächste Mal sagen hören: „Hätte mir das doch nur jemand offen und ehrlich gesagt!“ Was möchte ich Ihnen nun mit auf den Weg geben? Erinnern Sie sich dazu bitte kurz an die vorhin zitierten Definitionen von „Milieu“ und „Sozialisation“ der Bundeszentrale für politische Bildung. Seien Sie sich in diesem Kontext bewusst, dass Sie aus Ihrer bisherigen primären und sekundären Sozialisation Werte und Normen erlernt haben, die Ihr Leben bestimmen. Diese können Sie weiterhin annehmen, aber auch in Teilen oder ganz verwerfen und neue suchen. Aber Achtung: Dabei bewegen Sie sich nicht in einem wertefreien Raum. Und noch etwas dazu: Gehen Sie Ihr Leben lang einen Wertediskurs ein. Seien Sie offen und neugierig für Neues und Unbequemes! Warum? Offenheit und Neugier machen es erst möglich, dass Sie alles um sich herum aufmerksam wahrnehmen. Und nur Offenheit kann in eine kritische Haltung als Grundlage für Ihre innere Freiheit führen. Die kritische Haltung sollte sich aber immer in einer Auseinandersetzung mit Ihren Mitmenschen vollziehen; im offenen, fairen Dialog, in einer positiven Streitkultur, die auch die andere Position mitdenkt und respektiert. Und aus dieser Haltung erwachsen Verantwortung, Empathie und Mündigkeit.
Seite 1: 1/5 Verabschiedung der Abiturientin
Seite 5: 5/5 Und denken Sie daran: Die Farbe

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