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FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2018

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Auf der Flucht vor dem rufmord: Rosalie Thomass<br />

Zuhause ist es doch am<br />

schönsten, sagt das eine<br />

Sprichwort; daheim sterben<br />

die Leut‘, sagt das andere.<br />

Und das Fernsehen hat ohnehin<br />

eine besondere Beziehung<br />

zum privaten Raum, in dem<br />

es regelmäßig als Eindringling<br />

willkommen geheißen wird.<br />

Die Heimat, aktuell sowieso<br />

ein umstrittener Begriff,<br />

nimmt manchen die Luft zum<br />

Atmen. Zu eng sein kann es<br />

zwischen Mauern ebenso wie<br />

auf Almwiesen und freiem<br />

Feld. Wenn die politische<br />

Situation unerträglich wird,<br />

dann bleibt vielleicht nur<br />

noch ein bisschen Land auf<br />

dem Meer als Fluchtpunkt,<br />

um eine Inselutopie zu leben.<br />

Die wirkliche Welt findet<br />

sich derweil in einem Umbruch,<br />

der brutale Wellen<br />

schlägt – bis tief hinein in das<br />

private Umfeld eines nicht<br />

wirklich fiktiven Treuhandchefs,<br />

der sich den Feind in<br />

seine Nähe holt. Die ach so<br />

lieben Nächsten erweisen sich<br />

sowieso nicht selten als eingefleischte<br />

Terrorgruppe, die<br />

ihre Reißzähne zum Beispiel<br />

dann auspackt, wenn es gilt,<br />

das Erbe des Familienoberhauptes<br />

zu verteilen.<br />

So richtig irre wird es, wenn<br />

dieses Erbe in die Heimatkultur<br />

hineinfließt und die<br />

Streithennen auf dem goldenen<br />

Nass ausrutschen, das die<br />

Stammtische am Leben erhält.<br />

Weniger bodenständig, aber<br />

mindestens so münchnerisch<br />

geht es auf dem umkämpften<br />

Pflaster der Maximilianstraße<br />

zu, wo ein Original ludwighaften<br />

Ausmaßes sich womöglich<br />

der Stillosigkeit des<br />

Mammons unterwerfen muss<br />

und ganz gewiss seiner schrillschrulligen<br />

Mama.<br />

Die Heimat mag also etwas<br />

je Typisches an sich haben,<br />

doch so viele der kleinen Heimaten<br />

überall auf der Welt<br />

teilen ihre Übersichtlichkeit:<br />

Jede sieht jeden. Was für ein<br />

Faszinosum für ein visuelles<br />

Medium; was für ein Albtraum<br />

für die, die im Dunkeln bleiben<br />

möchten! Weil Lügen über sie<br />

verbreitet werden oder weil<br />

sie gerne Lügen verbreiten<br />

möchten. Vielleicht lässt sich<br />

die Heimat auch danach beurteilen,<br />

wem sie es leichter<br />

macht auf dem Weg zur Wahrheit<br />

oder fort von dieser.<br />

Flucht kann da eine Lösung<br />

sein, auch wenn es nicht um<br />

Leib und Leben geht. Die Ferne<br />

kann man sich wohl doch nicht<br />

so einfach vom Halse halten,<br />

jedenfalls nicht, wenn die eigene<br />

Tochter verschluckt wird<br />

von den Umwälzungen in<br />

anderen Regionen der Welt.<br />

Überhaupt, dieses Ineinander<br />

von Wirklichkeit und Enge: Ein<br />

Verbrecher zwingt eine Therapeutin<br />

sieben Stunden mit<br />

seinem Körper und womöglich<br />

ein Leben lang mit der Erinnerung<br />

daran in seine Gewalt.<br />

Der Fernsehfilm behauptet<br />

sich zwischen der großen<br />

Geste des Kinos, die er sich<br />

zutrauen darf, und dem großen<br />

Erzählatem der Serie, den er<br />

komprimieren kann. So wie die<br />

heftigsten Emotionen sich<br />

manchmal herausquetschen<br />

aus der quälendsten Enge.<br />

Tim Slagman<br />

NEUES DEUTSCHES FERNSEHEN<br />

UNGEL<br />

97

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