FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2018
Das kostenlose Filmfest Magazin finden Sie im Festivalzentrum Gasteig und an den Filmfest-Kinos in München. Hier können Sie online im Magazin stöbern.
Das kostenlose Filmfest Magazin finden Sie im Festivalzentrum Gasteig und an den Filmfest-Kinos in München. Hier können Sie online im Magazin stöbern.
- Keine Tags gefunden...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
SO 1.7. 20.00 UHR<br />
FILMMUSEUM<br />
DO 5.7. 17.30 UHR<br />
FILMMUSEUM<br />
HOMMAGE PHILIP GRÖNING<br />
58<br />
1. ZWISCHEN<br />
KÖRPERN<br />
Im Spiel der Körper erzählt der Abstand<br />
untereinander genauso viel wie die Zeit,<br />
die es braucht, um diesen Abstand zu<br />
überwinden – wenn er sich denn überwinden<br />
lässt. Und wer geht los, wer empfängt?<br />
Als Robert nach Hause kommt,<br />
trifft er auf seine Zwillingsschwester<br />
Elena. In einiger Distanz stehen sie sich<br />
gegenüber. Sie halten die Stille. Ein neues<br />
Spiel beginnt. „Kommst du oder komm<br />
ich?“, fragt Elena. Robert zögert. Sie wiederholt<br />
die Frage: „Kommst du oder<br />
komm ich?“. Er fällt die Entscheidung:<br />
„Ich“. Geht auf sie zu. Bleibt vor ihr stehen.<br />
„Und?“, fragt sie. Und als ob Robert diese<br />
Nähe nicht aushält, die Möglichkeiten, die<br />
in dieser Nähe lauern, geht er abrupt wieder<br />
weg.<br />
Noch zweimal werden die Zwillinge<br />
dieses Spiel im Lauf von Philip Grönings<br />
mein bruder heisst robert und ist ein<br />
idiot (<strong>2018</strong>) spielen. Zudem fängt Grönings<br />
Kamera immer wieder ihre Körper<br />
ein, ganz nah zusammen, innig, sich bewusst<br />
wie nebensächlich berührend, in<br />
einem Feld vor einer Tankstelle, umgeben<br />
von Reclam-Heftchen und anderem<br />
Lernmaterial, denn Elena muss übers<br />
SOMMER<br />
SUMMER<br />
Deutschland 1986 • Regie Philip Gröning • Buch Philip Gröning, Nicolas Humbert,<br />
Ralf Zöllner • Darsteller Michael Schech, Philipp Rankl, Barbara von Baur, Lene Beyer<br />
Länge 105 Min. • OF<br />
Wochenende für die Abiturprüfung in<br />
Philosophie lernen. Gleichzeitig hat sie<br />
den Verdacht, dass Robert mit ihrer Klassenkameradin<br />
Cecilia geschlafen hat, was<br />
sie eifersüchtig macht und zu weiteren<br />
Spielchen führt, mit Tränen und demonstrativ<br />
rot geschminkten Lippen, auf dass<br />
die Zähne auch rot gefärbt sind, von<br />
Hauptdarstellerin Julia Zange anschaulich<br />
in die Kamera gefletscht. Das Verhältnis<br />
der beiden ist vampirisch-symbiotisch:<br />
zwei gleichen Bluts und ein Hin<br />
und Her des Aussaugens.<br />
Die Distanz eines ganzen Felds steht<br />
nach einem Streit plötzlich zwischen den<br />
Zwillingen, aber Robert (Josef Mattes)<br />
rennt irgendwann zurück, weil es zwischen<br />
ihnen eine magische Anziehungskraft<br />
gibt, die sich nicht so einfach durch<br />
einen Zwist zerstören lässt. „Kommst du<br />
oder komm ich?“ ist wirklich nur ein Spiel:<br />
Wer geht und wer empfängt ist letztlich<br />
eine Scheinfrage, denn die zwei fühlen<br />
sich so eng verbunden, dass einer schon<br />
gehen wird. Die Distanz der Körper lässt<br />
Gröning gegen Ende in der Tankstelle auf<br />
ein Nichts schrumpfen. Dann kommt die<br />
Abiturprüfung, bei der Elena über die Zeit<br />
spricht, indem sie die Natur der Musik<br />
ergründet: Die Töne stehen eigentlich<br />
jeweils für sich, aber in der zeitlichen<br />
Abfolge, in unserem Bewusstsein ergeben<br />
sie eine Melodie.<br />
2. ZWISCHEN<br />
TÖNEN<br />
Ein Cello hat der Vater in Grönings erstem<br />
Spielfilm sommer (1987) in den<br />
Urlaub mitgebracht. Er hat sich mit seinem<br />
autistischen Sohn in ein Hotel in<br />
den bayerischen Alpen eingecheckt und<br />
versucht sanft, aber mit Nachdruck seinem<br />
Kind näher zu kommen. Das Cello<br />
ist eine der Strategien zur Überwindung<br />
der Distanz: Der Vater spielt ein paar<br />
Töne darauf, dreht den bauchigen Körper<br />
des Instruments zunächst in seinen Händen,<br />
spannt es dann mit einem Seil zwischen<br />
Boden und Decke auf, so dass es<br />
sich, leicht angestoßen, wie von selbst<br />
dreht. Die Kreisbewegung ist etwas Beständiges,<br />
Bekanntes, Stabiles. So lockt<br />
der Vater den Jungen an, dass er näher<br />
kommt, an dem Instrument zupft, mitspielt.<br />
Gleichsam verführerisch ist ein<br />
weiteres Mitbringsel des Vaters: ein Oszillograph,<br />
der die Schwingungen seiner<br />
Stimme, Ton für Ton, magisch in sichtbare<br />
Wellenlinien verwandelt.<br />
Dem Spiel des Vaters mit dem Oszillographen<br />
stehen die gellenden Schreie<br />
des Jungen gegenüber. Der Junge reagiert<br />
damit auf jede Störung seiner Ordnung,<br />
manchmal rätselhaft, manchmal