FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2018
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SO 1.7. 18.00 UHR<br />
HFF KINO 2<br />
MO 2.7. 19.00 UHR<br />
FILMMUSEUM<br />
RETROSPEKTIVE LUCRECIA MARTEL<br />
52<br />
sagte Martel 2002 in einem Interview<br />
mit dem Tagesspiegel. Bereits nach seinem<br />
Erscheinen sorgte Martels abendfüllender<br />
Erstling rasch für internationale<br />
Aufmerksamkeit. Als erster<br />
argentinischer Film seit 13 Jahren<br />
schaffte er den Sprung in den Wettbewerb<br />
der Berlinale 2001 und gewann<br />
den Alfred-Bauer-Preis für das beste<br />
Debüt. Der spanische Regisseur Pedro<br />
Almodóvar war so begeistert von dem<br />
Werk, dass er Martels Folgeprojekt la<br />
niña santa koproduzierte.<br />
DER MORAST<br />
LA CIÉNAGA<br />
Argentinien 2000 • Buch Lucrecia Martel • Darsteller Mercedes Morán, Graciela Borges,<br />
Martín Adjemián, Leonora Balcarce • Länge 103 Min. • OmdU • FSK 12<br />
P E S C A D O S<br />
Argentinien 2010 • Musik Juana Molina • Länge 5 Min. • OmeU<br />
Im selben Jahr, in dem la ciénaga<br />
entstand, weitete sich Argentiniens<br />
Wirtschaftskrise zum Staatsbankrott<br />
aus. Es kam zu gewaltsamen Ausschreitungen<br />
in und um Buenos Aires mit vielen<br />
Toten, der damals amtierende Präsident<br />
Fernando de la Rúa sah sich zum<br />
Rücktritt gezwungen. Tatsächlich beschreibt<br />
der Film, wie auch ihre folgenden,<br />
den desolaten Zustand der<br />
argentinischen Gesellschaft inklusive<br />
tief sitzendem Rassismus und unterschwelligem<br />
Todestrieb. Die Verhältnisse<br />
zwischen Verwandtschaft und<br />
Liebschaft, Herrschaft und Dienerschaft<br />
verschwimmen. Jeder betrügt<br />
jeden, und alles erscheint verletzlich<br />
und verwundbar. Unter den vielen Kratzern,<br />
blutigen Nasen und Schussverletzungen<br />
liegen innere Wunden. Äußerlich<br />
verdeutlicht sich die ruinöse<br />
Seelenlage ihrer Protagonisten aus der<br />
Provinz. Auch deshalb wird Martel oft<br />
als Tschechow des argentinischen Kinos<br />
bezeichnet.<br />
Mit einer besonderen Sensibilität<br />
für Atmosphäre thematisiert die Regisseurin<br />
in ihrer „Salta-Trilogie“ die misslungene<br />
Umstellung zur Demokratie<br />
aus der Perspektive sozial privilegierter<br />
Frauen, die den patriarchalen Vorstellungen<br />
ihrer Umgebung nicht entsprechen,<br />
und zwar in jeweils unterschiedlichen<br />
Stadien: während der Kindheit in<br />
la ciénaga, während des sexuellen Erwachens<br />
in la niña santa und schließlich<br />
im Erwachsenenalter in la mujer<br />
sin cabeza.<br />
la niña santa spielt, außergewöhnlich<br />
für Martels Werk, im Winter. In<br />
einem heruntergekommen Thermenhotel,<br />
gelegen in Martels Heimatstadt,<br />
wohnt die 15-jährige Amalia mit ihrer<br />
geschiedenen Mutter, der Besitzerin<br />
des Hotels. Als ein HNO-Ärztekongress<br />
dort stattfindet, macht sie unfreiwillig<br />
Bekanntschaft mit dem verheirateten<br />
Dr. Jano, zu dem sich auch ihre<br />
Mutter hingezogen fühlt. Der Arzt hat<br />
durchaus sexuelles Interesse an der<br />
Minderjährigen und presst in einer<br />
Menschenmenge sein Gesäß von hinten<br />
an das Mädchen, ohne zu wissen,<br />
wessen Tochter sie ist. Die religiös erzogene<br />
Amalia sieht es als ihre – nicht<br />
ganz selbstlose – Mission an, Dr. Janos<br />
Seele zu retten, weshalb sie mit ihrer<br />
sexuellen Wirkung zu spielen beginnt<br />
und damit den Arzt in eine missliche<br />
Situation bringt.<br />
Das Hotel wird in dem düsteren Melodram<br />
zum Ort der unterdrückten und<br />
unerfüllbaren Emotionen. Während in<br />
la ciénaga die dreckige Brühe des Privatpools<br />
den Sumpf symbolisiert, in den<br />
die Figuren gezogen werden, ist in Martels<br />
zweitem Film der Hotelpool ein Ort<br />
der körperlichen und seelischen Reinigung<br />
sowie der Verführung, von Mutter<br />
und Tochter gleichermaßen genutzt.<br />
la niña santa mit freundlicher Genehmigung vom Österreichischen Filmmuseum