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wiedergewinnung der urfassung international vernetzte ...

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1/05<br />

Uni<br />

<strong>der</strong><br />

Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg<br />

WISSENSCHAFTS<br />

JOURNAL<br />

Die Funde von Nebra und ihre<br />

Bedeutung für die Bronzezeit<br />

Im Apollonheiligtum<br />

zu Didyma<br />

Nomaden und Sesshafte<br />

in Steppen und Staaten<br />

Südasienforschung an <strong>der</strong><br />

halleschen Universität<br />

scientia halensis


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Editorial<br />

François Bertemes ................................................................................................................ 4<br />

Kunst-, Orient- und Altertumswissenschaften in Halle<br />

»Archäologie Multimedial«<br />

Die archäologischen Ausgrabungen in Goseck<br />

François Bertemes und Peter F. Biehl ............................................................................... 5<br />

Aufbruch zu neuen Horizonten<br />

Die Funde von Nebra und ihre Bedeutung für die Bronzezeit Europas<br />

François Bertemes ................................................................................................................ 7<br />

Die Alte Geschichte an <strong>der</strong> MarÚ˘n-Luther-Universität<br />

Vier Drittmittelprojekte vorgestellt<br />

Andreas Mehl und Oliver Schmitt ...................................................................................... 10<br />

Im Apollonheiligtum zu Didyma<br />

Grabungen und Forschungen<br />

Andreas Furtwängler ........................................................................................................... 12<br />

Das Robertinum – Anziehungspunkt auf dem Uni-Campus<br />

Bemerkenswerte Sammlungsstücke im Museum<br />

Henryk Löhr .......................................................................................................................... 14<br />

Von Berlin nach Magnesia und zurück<br />

Die Lehr- und Wan<strong>der</strong>jahre des halleschen Philologen Otto Kern<br />

Michael Hillgruber ............................................................................................................... 16<br />

Das Fach Mittel- und Neulatein<br />

an <strong>der</strong> halleschen Universität<br />

Thomas Klein ........................................................................................................................ 18<br />

Nomaden und Sesshafte in Steppen und Staaten<br />

Geschichte und Gegenwart im SFB 586<br />

Stefan Le<strong>der</strong> .......................................................................................................................... 19<br />

Jüdische Tradition in <strong>der</strong> Forschung<br />

Das Seminar für Jüdische Studien in Halle<br />

Gerold Necker ....................................................................................................................... 22<br />

Es gibt keinen deutschen Koran –<br />

ob man Übersetzungen dennoch trauen kann?<br />

Studierende des Instituts für Orientalistik .......................................................................... 24<br />

Ein monumentales Bildgedächtnis<br />

25 000 Großdiapositive im Institut für Kunstgeschichte digitalisiert<br />

Heinrich Dilly ........................................................................................................................ 26<br />

Wahrnehmung und Verfälschung am Beispiel Indien<br />

Ermittlung und Deutung von Entwicklungen in Südasien<br />

Rahul Peter Das ................................................................................................................... 28<br />

Dichterheilige, Nationalschriftsteller und kulturelle Selbstbestimmung:<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Literaturgeschichtsschreibung in Südasien<br />

Hans Har<strong>der</strong> ......................................................................................................................... 30<br />

Moksopaya .<br />

– Wie<strong>der</strong>gewinnung <strong>der</strong> Urfassung<br />

International <strong>vernetzte</strong> Grundlagenforschung Halle – Lund – Rom<br />

Peter Stephan ......................................................................................................................... 32<br />

Indische Philosophie und islamische Rezeption<br />

Analysen Indo-persischer Übersetzungsliteratur<br />

Heike Franke und Susanne Stinner .................................................................................... 34<br />

Personalia .............................................................................................................................. 36<br />

Rätselfoto/Autorenadressen ................................................................................................ 38<br />

Titelbild: Himmelsscheibe von Nebra, Foto: Juraj Lipták<br />

Bildrechte (copyright): Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Inhalt / Impressum<br />

...............................................................................<br />

IMPRESSUM<br />

scientia halensis – Wissenschaftsjournal <strong>der</strong><br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

Ausgabe 1/2005, 9. Jahrgang<br />

erscheint viermal im Jahr<br />

H ERAUSGEBER<br />

Der Rektor <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg<br />

REDAKTION<br />

Dr. Monika Lindner, Ute Olbertz (verantwortlich<br />

für diese Ausgabe), Dr. Margarete Wein<br />

R EDAKTIONSBEIRAT (für scientia halensis –<br />

Universitätszeitung und Wissenschaftsjournal):<br />

Prof. Dr. Wilfried Grecksch (Rektor),<br />

Prof. Dr. Marlis Ahlert, Prof. Dr. Dr. Gunnar<br />

Berg, Prof. Dr. Heinrich Dilly, Prof. Dr.<br />

Wilfried Herget, Prof. Dr. Armin Höland, Dr.<br />

Monika Lindner, Paolo Schubert, Ute Olbertz,<br />

Prof. Dr. Joachim Radke, Katrin Rehschuh,<br />

Dr. Heiner Schnelling, Dr. Ralf-Torsten Speler,<br />

Prof. Dr. Hermann H. Swalve, Ingrid Stude,<br />

Prof. Dr. Jörg Ulrich, Dr. Margarete Wein<br />

GRAFIK-DESIGN<br />

Barbara und Joachim Dimanski<br />

Dipl.-Grafik-Designer AGD/BBK<br />

ANSCHRIFT DER REDAKTION<br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />

Rektorat<br />

Universitätsring 14<br />

06099 Halle (Saale)<br />

Telefon: 0345 55-21420/22/24<br />

Fax: 0345 55-27082, 0345 55-27254<br />

E-Mail:<br />

monika.lindner@verwaltung.uni-halle.de<br />

ute.olbertz@verwaltung.uni-halle.de<br />

margarete.wein@verwaltung.uni-halle.de<br />

Internet: http://www.uni-halle.de<br />

LAYOUT<br />

Ute Olbertz<br />

Jens Gerth (Umschlagseiten)<br />

DRUCKVORBEREITUNG & DRUCK<br />

AF Druck GMbH Holleben<br />

ANZEIGENPREISLISTE<br />

2005<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />

nicht unbedingt die Meinung <strong>der</strong> Redaktion<br />

o<strong>der</strong> des Herausgebers wie<strong>der</strong>.<br />

Für unaufgefor<strong>der</strong>t eingesandte Manuskripte<br />

o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> keine Haftung.<br />

ISSN 0945-9529<br />

scientia halensis erscheint mit freundlicher<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Freunde<br />

und För<strong>der</strong>er <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg e. V.<br />

3


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

editorial<br />

EDITORIAL<br />

François Bertemes<br />

................................................................................<br />

Der Fachbereich Kunst-, Orient- und Al-<br />

4 tertumswissenschaften (KOA) umfasst<br />

ein breites kulturwissenschaftliches Fächerspektrum,<br />

das für disziplinäre und interdisziplinäre<br />

Vielfalt in Forschung und<br />

Lehre steht (s. scientia halensis 2/2000,<br />

Seite 2). Die einzelnen Disziplinen können<br />

auf gut funktionierende Netzwerke<br />

zurückgreifen, die auch das Profil <strong>der</strong> Universität<br />

<strong>der</strong> Zukunft mitbestimmen. Der<br />

Fachbereich KOA gehört personell und<br />

budgetär zu den kleineren <strong>der</strong> Universität.<br />

Forschung, Drittmitteleinwerbung, innersowie<br />

außeruniversitäre Vernetzung zählen<br />

hingegen unbestritten zur Spitze.<br />

Von den zahlreichen Einzelprojekten, Forschungsnetzwerken<br />

und Zentren können<br />

in diesem Heft nur Ausschnitte präsentieret<br />

werden. An erster Stelle steht das<br />

orientwissenschaftliche Netzwerk mit seinem<br />

Zentrum, <strong>der</strong> Bibliothek <strong>der</strong> Deutschen<br />

Morgenländischen Gesellschaft,<br />

dem DFG-Son<strong>der</strong>sammelgebiet und dem<br />

SFB »Differenz und Integration«. Eine<br />

Stärkung wird dieser Verbund in Zukunft<br />

durch die geplante Integration <strong>der</strong> Indologie<br />

erfahren.<br />

Einen weiteren Schwerpunkt bildet ein Verbund,<br />

<strong>der</strong> die für die Region so wichtigen<br />

Themen Denkmalpflege und -management,<br />

Archäologie und Kunstgeschichte in sich<br />

vereint. Neben einer dichten Konzentration<br />

an Kunst-, Boden- und Baudenkmälern<br />

zeichnet sich Sachsen-Anhalt vor allem auch<br />

durch Umfang und Qualität seiner archäologischen<br />

Funde aus. Ein <strong>der</strong>artiges Kulturpaket<br />

bildet ein unschätzbares Kapital auch<br />

für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.<br />

Durch die enge Kooperation mit dem Landesamt<br />

für Denkmalpflege und Archäologie<br />

entstand ein schlagkräftiger Forschungs- und<br />

Lehrbereich. Der interdisziplinäre »Master<br />

of Science in Heritage Management«, an<br />

dem sich neben dem LfDA die Archäologien,<br />

die Kunstgeschichte und die Medien-Kommunikation<br />

<strong>der</strong> halleschen Universität sowie<br />

die Fachhochschule Dessau beteiligen, bildet<br />

nur einen seiner Pfeiler. Seit 2005 ist im FB<br />

zudem die interdisziplinäre DFG-Forschergruppe<br />

For:550 angesiedelt. Im Zentrum<br />

des Vorhabens stehen die einzigartigen Funde<br />

von Nebra und ihr kulturgeschichtliches<br />

Umfeld.<br />

Zukunft mit Tradition garantiert das Institut<br />

für Altertumswissenschaften. Die<br />

Lehr-, Forschungs- und Grabungsaktivitäten<br />

stehen in bester Nachfolge von jenen<br />

solcher Gelehrten wie Ludwig Ross und<br />

Carl Robert.<br />

Die hervorragende außeruniversitäre Vernetzung<br />

erleichtert das Organisieren wissenschaftlicher<br />

Begegnungen, so konnte in<br />

den letzten Jahren eine Reihe wichtiger <strong>international</strong>er<br />

Tagungen nach Halle geholt<br />

werden. Im Jahr 2004 waren dies: »Adolph<br />

Goldschmidt (1863–1944). Normal Art<br />

History im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t«, »Neolithische<br />

Kreisgrabenanlagen in Europa« und <strong>der</strong><br />

29. Deutsche Orientalistentag. Vor kurzem<br />

ging »Der Griff nach den Sternen. Wie Europas<br />

Eliten zu Macht und Reichtum kamen«<br />

zu Ende. Insgesamt über 420 Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler aus<br />

20 Län<strong>der</strong>n beschäftigten sich eingehend<br />

mit <strong>der</strong> europäischen Kulturgeschichte des<br />

3. und 2. Jtds v. Chr.


»ARCHÄOLOGIE MULTIMEDIAL«<br />

DIE ARCHÄOLOGISCHEN AUSGRABUNGEN IN GOSECK<br />

François Bertemes und Peter F. Biehl<br />

Die Neolithische Kreisgrabenanlage in Goseck, Ldkr. Weißenfels, wurde bereits Anfang <strong>der</strong><br />

1990er Jahre durch Flugprospektion entdeckt und dokumentiert. Aufgrund 1995 durchgeführter<br />

geophysikalischer Prospektionen konnten die auf den Luftbil<strong>der</strong>n erkennbaren Befunde<br />

bestätigt und ergänzt werden. Von 2002–2004 wurde die Anlage vom Institut für<br />

Prähistorische Archäologie <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Zusammenarbeit<br />

mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt vollständig<br />

ausgegraben.<br />

Die Gosecker Kreisgrabenanlage datiert in<br />

den Beginn des 5. Jahrtausends v. Chr.<br />

(Stichbandkeramik) und besteht aus zwei<br />

konzentrischen Palisadenringen und einem<br />

vorgelagerten trichterförmigen Graben von<br />

ca. 71 m Durchmesser mit äußerem Erdwall.<br />

Die Anlage besitzt drei Eingangstore,<br />

von denen das Südost- und Südwesttor zusammen<br />

mit den in einer Fluchtlinie liegenden<br />

Einlässen in den Holzpalisaden einen<br />

astronomischen Bezug zur Wintersonnenwende<br />

aufweisen. Zwei Unterbrechungen<br />

im Nordosten und Nordwesten <strong>der</strong> Palisaden<br />

beziehen sich auf die Sommersonnenwende.<br />

Funde, wie z. B. Gefäßreste, Steinwerkzeuge,<br />

Knochenfragmente stammen<br />

vor allem aus <strong>der</strong> Grabenverfüllung, wobei<br />

sich im Bereich <strong>der</strong> Tore Fundkonzentrationen<br />

nachweisen lassen. Im Innenbereich<br />

und außerhalb <strong>der</strong> Anlage fanden sich in<br />

Gruben mit durch intensives Feuer stark<br />

geglühten Wänden Menschenknochen, die<br />

auf rituelle Handlungen hindeuten. Außerhalb<br />

<strong>der</strong> Anlage wurden bisher die linienbandkeramische<br />

Bestattung eines 1–2 Jahre<br />

alten Kindes, dem zwei Gefäße mit ins<br />

Grab beigegeben waren, und ein wahrscheinlich<br />

bronzezeitlicher Hausbefund mit<br />

Südwest-Nordostorientierung freigelegt.<br />

Die vollständige Ausgrabung <strong>der</strong> Kreisgrabenanlage<br />

stellt eine gute Ausgangsbasis für<br />

die Untersuchung <strong>der</strong> Entstehung, Funktion<br />

und Bedeutung dieser Erdwerke in Mitteleuropa<br />

dar. Darüber hinaus ist geplant,<br />

die prähistorische Landschaft <strong>der</strong> Mikroregion<br />

in den kommenden Jahren durch<br />

Surveys, Ausgrabungen und paläobotanische,<br />

archäozoologische und bodenkundliche<br />

Analysen umfassend weiter zu untersuchen,<br />

um somit einen weiteren Schritt in<br />

Richtung einer mo<strong>der</strong>nen Landschaftsarchäologie<br />

zu gehen.<br />

Die Lehrgrabung – Einsatz Neuer Medien<br />

in <strong>der</strong> archäologischen Feldarbeit<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> als Lehrgrabung durchgeführten<br />

archäologischen Untersuchungen<br />

wurden die Studierenden theoretisch und<br />

praktisch in verschiedene Dokumentati-<br />

onsformen eingeführt und mit den in Sachsen-Anhalt<br />

angewendeten mo<strong>der</strong>nen Dokumentationsformen<br />

vertraut gemacht. So<br />

wurden z. B. alle archäologischen Befunde<br />

mittels Tachymeter und angeschlossenem<br />

CAD-Programm digital erfasst. Ausgewählte,<br />

beson<strong>der</strong>s komplexe Befunde (Grabenprofile,<br />

Gruben o<strong>der</strong> Gräber) wurden<br />

fotogrammetrisch – mittels digitaler<br />

Bildentzerrung – dokumentiert und anschließend<br />

im CAD-Programm nachgezeichnet.<br />

Es war das Ziel, eine möglichst<br />

vollständige digitale Dokumentation zu erreichen.<br />

Parallel dazu wurden die meisten<br />

Befunde sowie alle Profilschnitte analog,<br />

d. h. per Hand gezeichnet, um den Studenten<br />

die Fertigkeiten im archäologischen<br />

Zeichnen zu vermitteln. Die Anfertigung<br />

<strong>der</strong> textlichen Dokumentation (analog und<br />

digital), die fotografische und Video-Dokumentation<br />

(digital) und die üblichen archäologischen<br />

Vermessungsarbeiten (Nivelle-<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Prähistorische Archäologie<br />

...............................................................................<br />

ments und die Vermessung <strong>der</strong> umgebenden<br />

Topographie) bildeten ebenfalls einen festen<br />

Bestandteil <strong>der</strong> Ausbildung.<br />

Das Studium – »Archäologie<br />

und Neue Medien«<br />

Als zentraler Bestandteil des Grundstudiums<br />

bzw. Bachelor-Studiums werden den<br />

Studenten grundlegende Multimedia-<br />

Kenntnisse vermittelt, die dann spätestens<br />

während <strong>der</strong> Grabungszeit ihre praktische<br />

Anwendung finden. Schwerpunkte liegen<br />

dabei auf verschiedenen Technologien <strong>der</strong><br />

Datenbankarbeit, <strong>der</strong> digitalen Bild- und<br />

Videobearbeitung und <strong>der</strong> Organisation und<br />

Erstellung von Internetpräsenzen und Präsentationen.<br />

Letztlich soll die Wissensvermittlung<br />

zunehmend über »Blended-Learning«-Lösungen<br />

realisiert werden, <strong>der</strong>en<br />

Inhalte dann nicht mehr nur auf Multimedia-Anwendungen<br />

beschränkt sind, son<strong>der</strong>n<br />

auch Inhalte des Studiums <strong>der</strong> Prähistorischen<br />

Archäologie vermitteln und somit<br />

helfen, die gesamte Lehrqualität zu verbessern.<br />

Außerdem gilt es, Lösungen zu entwickeln,<br />

die es den Studierenden ermöglichen sollen,<br />

sich in einem praktischen Rahmen mit den<br />

Luftbild von <strong>der</strong> Ausgrabung <strong>der</strong> Neolithischen Kreisgrabenanlage von Goseck, Ldkr. Weißenfels<br />

Foto: Ralf Schwarz<br />

5


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Prähistorische Archäologie<br />

................................................................................<br />

logistischen Problemen <strong>der</strong> Grabungsvor-<br />

6 bereitung und -realisierung vertraut zu machen,<br />

um somit dem oftmals an den Landesämtern<br />

auftretenden »Praxisschock« zu<br />

entgehen.<br />

Forschung transparent gestalten<br />

Während <strong>der</strong> eigentlichen Grabungszeit<br />

kommen dann die erlangten Kenntnisse <strong>der</strong><br />

Studierenden unter Anleitung von Spezialisten<br />

des Multimedia Authoring Center for<br />

Teaching in Anthropology (http://mactia.<br />

berkeley.edu/) <strong>der</strong> University of California<br />

Berkeley zum Einsatz. Neben <strong>der</strong> Erfassung<br />

und Aufbereitung archäologischer und<br />

naturwissenschaftlicher Daten üben sich<br />

die Studierenden in <strong>der</strong> Benutzung einer<br />

Totalstation mit CAD und GIS-Anwendungen<br />

und vor allem in <strong>der</strong> digitalen Bilddokumentation<br />

und Bildbearbeitung. Außer<br />

<strong>der</strong> Fotodokumentation <strong>der</strong> Befunde und<br />

Funde kommt hierbei <strong>der</strong> digitalen Videodokumentation<br />

eine immer größere Bedeutung<br />

zu. Sie soll nicht nur einer zusätzlichen<br />

Dokumentation dienen, son<strong>der</strong>n vor<br />

allem eine transparentere Darstellung und<br />

Dokumentation <strong>der</strong> archäologischen Feldforschung<br />

ermöglichen. Die erstellten Videosequenzen<br />

werden danach wie alle an<strong>der</strong>en<br />

Informationen in Datenbanken er-<br />

Rekonstruktionszeichnung<br />

<strong>der</strong> NeolithischenKreisgrabenanlage<br />

von Goseck,<br />

Ldkr. Weißenfels<br />

nach Karol Schauer<br />

fasst und nach <strong>der</strong> Bearbeitung für an<strong>der</strong>e<br />

Anwendungen, z. B. Präsentationen und<br />

für die Internetseite, zur Verfügung gestellt.<br />

Die gegenwärtige, zunehmend schwierige<br />

finanzpolitische Situation an den deutschen<br />

Hochschulen macht eine weitergehende<br />

Öffnung <strong>der</strong> Archäologie gegenüber<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit notwendig. Es gilt das<br />

öffentliche Interesse am Fach zu stärken<br />

und ein allgemeines Verständnis für die<br />

Notwendigkeit archäologischer Forschung<br />

zu erreichen. Auf dieser Grundlage können<br />

neue Wege gefunden werden, zusätzliche<br />

finanzielle Mittel, ggf. über Sponsoring<br />

von einzelnen Projekten, zu akquirieren.<br />

Die Neuen Medien bieten hierzu den einfachsten,<br />

nachhaltigsten und kostengünstigsten<br />

Weg. In diesem Forschungsprojekt<br />

»Archäologie Multimedial« wird versucht,<br />

eine neue Form <strong>der</strong> wissenschaftlichen Arbeit<br />

und <strong>der</strong> Popularisierung <strong>der</strong> regionalen<br />

Geschichte und archäologischer Denkmäler<br />

zu erreichen. Neben <strong>der</strong> praktischen Einbeziehung<br />

interessierter Laien vor Ort, wird<br />

eine stärkere Popularisierung vor allem<br />

durch eine interaktive, multimedial aufbereitete<br />

Internetpräsenz realisiert (http://<br />

www.praehist.uni-halle.de/goseck/index1.<br />

htm). Die transparente Gestaltung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Ausgrabung erhält mit Hilfe<br />

einer Webcam und einer täglichen »liveonline«<br />

Internetübertragung eine neue Di-<br />

mension. Der Bürger kann den Studierenden<br />

»über die Schulter schauen« und an ihrer<br />

Ausbildung »teilhaben«.<br />

Durch die Vermittlung und Anwendung <strong>der</strong><br />

genannten und an<strong>der</strong>er Technologien erhalten<br />

die Studierenden also bereits während<br />

des Grundstudiums Bild- und Medienkompetenzen,<br />

die letztendlich auch ihr Einsatzspektrum<br />

im späteren Berufsleben vergrößern<br />

werden.<br />

W<br />

Prof. Dr. François Bertemes kam 1998<br />

von <strong>der</strong> Universität Saarbrücken an das<br />

Institut für Prähistorische Archäologie<br />

nach Halle. Er ist Sprecher und Koordinator<br />

<strong>der</strong> netzverteilten Forschergruppe FOR<br />

550. Seit 2003 ist er Dekan des Fachbereichs<br />

Kunst-, Orient- und Altertumswissenschaften<br />

<strong>der</strong> Martin-Luther-Universität.<br />

Dr. Peter F. Biehl ist seit 2001 wissenschaftlicher<br />

Assistent am Institut für Prähistorische<br />

Archäologie <strong>der</strong> halleschen<br />

Universität. Von 1996–2000 forschte er zuerst<br />

im Rahmen eines Feodor Lynen-Stipendiums<br />

<strong>der</strong> Alexan<strong>der</strong> von Humboldt-<br />

Stiftung und dann als Gastdozent an <strong>der</strong><br />

University of California Berkeley im Bereich<br />

Neue Medien in <strong>der</strong> Archäologie und<br />

Kulturanthropologie. Seit 2001 ist er Mitglied<br />

<strong>der</strong> Senatsfachkommission »E-Learning«<br />

und ab 2003 »IT und Multimedia«.


AUFBRUCH ZU NEUEN HORIZONTEN<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Prähistorische Archäologie<br />

DIE FUNDE VON NEBRA UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE BRONZEZEIT EUROPAS<br />

François Bertemes<br />

Im Zentrum <strong>der</strong> interdisziplinären Forschergruppe <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

stehen die einzigartige Himmelsscheibe von Nebra, ihre Begleitfunde sowie ihr frühbronzezeitliches<br />

Umfeld. Das Beson<strong>der</strong>e des Forschungsvorhabens liegt in <strong>der</strong> außerordentlichen<br />

kulturgeschichtlichen Bedeutung <strong>der</strong> Nebra-Funde und in den sich daraus ableitenden neuen<br />

Sichtweisen über Mensch, Wirtschaft, Gesellschaft und Religion <strong>der</strong> Frühbronzezeit in<br />

Mitteleuropa. Die Forschungsziele sind den Funden entsprechend komplex und vielschichtig;<br />

sie betreffen die Himmelsscheibe selbst, ihren Fundort und ihr mitteldeutsches<br />

Umland. Antworten auf die einzelnen Fragen sind mittelfristig nur im Rahmen einer eng<br />

kooperierenden, netzverteilten Forschergruppe zu erwarten, die aus Archäologen und Naturwissenschaftlern<br />

<strong>der</strong> Universitäten Halle, Jena, Tübingen und Saarbrücken sowie dem<br />

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle besteht.<br />

Die archäologischen Untersuchungen erstrecken<br />

sich auf den Ziegelrodaer Forst<br />

auf dem Mittelberg bei Nebra sowie auf<br />

das Verbreitungsgebiet <strong>der</strong> sogenannten<br />

Metallgruppe <strong>der</strong> Aunjetitzer Kultur. Die<br />

naturwissenschaftlichen Untersuchungen<br />

beziehen sich v. a. auf die Herstellungstechnologie<br />

<strong>der</strong> Gegenstände des Hortfundes<br />

von Nebra, die Herkunft des Kupfers<br />

und die Erarbeitung von Grundlagen für die<br />

Herkunftsbestimmung von Gold. Die<br />

archäoastronomische Auswertung beschäftigt<br />

sich mit <strong>der</strong> Entschlüsselung des Bildinventars<br />

<strong>der</strong> Himmelsscheibe einerseits<br />

sowie mit <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Bedeutung<br />

astronomischer Kenntnisse im Leben <strong>der</strong><br />

frühbronzezeitlichen Menschen an<strong>der</strong>erseits.<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung für die Wissenschaft<br />

Umfang und Art <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Forschergruppe<br />

geplanten Untersuchung lassen sich aus<br />

geographischer Sicht in eine Mikroregion<br />

(den gesamten Mittelberg und den anschließenden<br />

Bereich des Unstruttales),<br />

eine Makroregion, die in etwa das Verbreitungsgebiet<br />

<strong>der</strong> Metallgruppe <strong>der</strong> Aunjetitzer<br />

Kultur umschreibt und eine Metaregion,<br />

die Gesamteuropa umfasst, unterteilen.<br />

Gezielte überregionale Vergleiche werden<br />

dazu führen, die beson<strong>der</strong>e Stellung<br />

Mitteldeutschlands in <strong>der</strong> europäischen<br />

Frühbronzezeit näher zu umreißen. Dass<br />

sich in <strong>der</strong> Makroregion durch Importe bezeugte<br />

Einflüsse etwa aus dem nordischen,<br />

dem atlantischen Bereich und solche aus<br />

dem Karpatenbecken an<strong>der</strong>erseits treffen,<br />

ist wohl nur zum Teil auf die verkehrsgünstige<br />

Lage zurückzuführen. Die Funde<br />

von Nebra selbst sowie eine Vielzahl weiterer<br />

Funde aus <strong>der</strong> Makroregion lassen<br />

weitreichende und vor allem organisierte,<br />

nicht aber sporadische Handelsbeziehungen<br />

erkennen. An<strong>der</strong>erseits belegt die<br />

Scheibe selbst geistig-religiöse Einflüsse<br />

aus dem östlichen Mittelmeer. Mittel-<br />

deutschland ist aber nicht nur rezipieren<strong>der</strong><br />

– o<strong>der</strong> vermitteln<strong>der</strong> –, son<strong>der</strong>n in großem<br />

Umfang auch geben<strong>der</strong> Partner. Günstige<br />

geomorphologische und ökologische Voraussetzungen<br />

wie auch das Vorkommen für<br />

die Zeit wichtiger Rohstoffe, z. B. Kupfererz<br />

im Ostharz, Mansfel<strong>der</strong> Land und<br />

Thüringer Becken und Sole im Gebiet um<br />

Halle, spielen dabei eine wichtige Rolle.<br />

Erste naturwissenschaftliche Resultate, an<br />

<strong>der</strong>en Zustandekommen insgesamt 19 Wissenschaftler<br />

aus unterschiedlichen Institutionen<br />

beteiligt waren, wurden anläßlich<br />

<strong>der</strong> Internationalen Tagung »Der Griff nach<br />

den Sternen. Wie Europas Eliten zu Macht<br />

und Reichtum kamen« (Halle 16. bis 21.02.<br />

2005) <strong>der</strong> Öffentlichkeit erstmals bekannt<br />

gegeben. Sie bestätigen nicht nur zweifelsfrei<br />

die Echtheit <strong>der</strong> Himmelsscheibe son<strong>der</strong>n<br />

auch die Angaben <strong>der</strong> inzwischen verurteilten<br />

Raubgräber, dass sie zusammen<br />

mit den restlichen Bronzen auf dem Mittelberg<br />

gefunden wurden. Letzteres wurde<br />

durch ein forensisches Gutachten <strong>der</strong> Bodenanhaftungen<br />

durch das LKA Brandenburg<br />

sowie mittels Röntgendiffraktometrie<br />

durch Prof. Dr. Gregor Borg (MLU) eindeutig<br />

bestätigt. Das Metall <strong>der</strong> Scheibe ist<br />

Internet: www.FOR550.uni-halle.de<br />

...............................................................................<br />

in seiner Struktur und Zusammensetzung<br />

typisch für die zweite Hälfte des 2. Jtds. v.<br />

Chr. Die in <strong>der</strong> Scheibe vorgefundenen<br />

Spurenelementmuster im Kupfer treten<br />

bislang in vergleichbarer Konzentration nur<br />

in den Ostalpen auf, wo auch das bronzezeitliche<br />

Kupferbergwerk am Mitterberg in<br />

Österreich liegt. Ob dies aber auch für das<br />

restliche Kupfer <strong>der</strong> mitteldeutschen Aunjetitzer<br />

Kultur zutrifft, kann, so lange jedoch<br />

die hiesigen Erzvorkommen im Harz<br />

o<strong>der</strong> auch im Erzgebirge nicht mit vergleichbarer<br />

Qualität untersucht sind, nicht<br />

definitiv entschieden werden. Unklar ist<br />

auch die Herkunft <strong>der</strong> Goldapplikationen<br />

auf <strong>der</strong> Himmelsscheibe sowie <strong>der</strong> restlichen<br />

Goldartefakten <strong>der</strong> Frühbronzezeit.<br />

Der heute nach wie vor völlig unzulängliche<br />

Forschungsstand lässt keine eindeutigen<br />

Aussagen zu, so dass das vielfach zitierte<br />

Herkunftsgebiet Siebenbürgen spekulativ<br />

bleibt.<br />

Die außerordentliche Bedeutung des Fundes<br />

von Nebra for<strong>der</strong>t die Wissenschaft<br />

heraus, sich systematisch mit dessen kulturellem<br />

Umfeld zu beschäftigen. Die beson<strong>der</strong>e<br />

Stellung des mitteldeutschen<br />

Zweiges <strong>der</strong> klassischen und <strong>der</strong> späten<br />

Aunjetitzer Kultur wurde zwar früh erkannt,<br />

jedoch in den letzten Jahrzehnten<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts kaum weiterführend<br />

untersucht. FOR 550 erlaubt ein umfassendes,<br />

weit über den bisherigen Kenntnisstand<br />

reichendes Weltbild <strong>der</strong> mitteleuropäischen<br />

Frühbronzezeit zu entwerfen, in<br />

dem alle wichtigen Bereiche, wie Handel,<br />

Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie,<br />

Wissen und Religion sowie die Umwelt berücksichtigt<br />

und in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit<br />

untersucht werden.<br />

Kreisgräben bei Egeln, Lkrs. Aschersleben (Luftbild) Foto: Ralf Schwarz<br />

7


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Prähistorische Archäologie<br />

................................................................................<br />

Die einzelnen Projekte<br />

8<br />

Bild rechts: Der Mittelberg bei Nebra<br />

Das Forschungsnetzwerk umfasst 12 thematische<br />

Module mit insgesamt 18 Forschungsvorhaben,<br />

von denen die Hälfte<br />

als Eigenleistung <strong>der</strong> einzelnen Institutionen<br />

erbracht werden.<br />

Modul A1 (Eigenleistung) besteht aus <strong>der</strong><br />

umfassenden archäologischen Untersuchung<br />

unter <strong>der</strong> Leitung von Dr. Harald<br />

Meller (LfDA, Halle) des Fundortes <strong>der</strong><br />

Himmelscheibe, dem Ziegelrodaer Forst<br />

auf dem Mittelberg bei Nebra. Diese Ausgrabungen<br />

sind weitgehend abgeschlossen,<br />

die erzielten Ergebnisse werden zur Zeit<br />

zur Publikation vorbereitet.<br />

Modul A2 (BE 2605/3–1 und 2) untersucht<br />

geophysikalisch und archäologisch<br />

die in Sachsen-Anhalt mittels Luftbildprospektion<br />

entdeckten Kreisgrabenanlagen,<br />

<strong>der</strong>en Grundriss von den üblichen neolithischen<br />

Anlagen abweicht (Leitung Prof. Dr.<br />

F. Bertemes, MLU). Einige zeigen bemerkenswerte<br />

Übereinstimmungen mit in den<br />

letzten Jahren freigelegten frühbronzezeitlichen<br />

Anlagen aus Österreich und <strong>der</strong><br />

Tschechischen Republik. Bei an<strong>der</strong>en suggerieren<br />

Lesefunde eine bronzezeitliche<br />

Zeitstellung. Für das erste Projektjahr ist<br />

geplant, die so definierten 12 Anlagen<br />

durch intensive Geländebegehungen sowie<br />

eine genaue Vermessung und geophysikalische<br />

Prospektion zu dokumentieren.<br />

Gleichzeitig sollen aussagekräftige Schnitte<br />

zu einer genaueren Datierung verhelfen. Ein<br />

chronologischer und kontextueller Bezug<br />

zum Hortfund von Nebra ist sehr wahrscheinlich,<br />

da die österreichischen und<br />

tschechischen Anlagen in den Kulturverband<br />

Böheimkirchen – Mad’arovce – Veterov<br />

gehören, während dessen Existenz<br />

auch die Deponierung auf dem Mittelberg<br />

vorgenommen wurde. Auch wenn die österreichischen<br />

und mährischen Kollegen<br />

eine im weitesten Sinn kultische Funktion<br />

<strong>der</strong> Anlagen postulierten, bleibt ihre genaue<br />

kulturhistorische Bedeutung bislang unbefriedigend<br />

untersucht. Deshalb soll in <strong>der</strong><br />

zweiten Projektphase eines <strong>der</strong> bronzezeitlichen<br />

Rondelle einer umfassenden systematischen<br />

Ausgrabung unterzogen werden.<br />

Ziel ist es, eine Einsicht in die komplexe<br />

Gesamtstruktur einer solchen Anlage zu erlangen<br />

und dadurch zur Klärung ihrer Bedeutung<br />

und Funktion innerhalb <strong>der</strong> bronzezeitlichen<br />

Zivilisation beizutragen.<br />

Modul A3 (ET 20/2–1 und 2) widmet sich<br />

ausschließlich <strong>der</strong> archäologischen und geophysikalischen<br />

Erforschung <strong>der</strong> Höhensiedlungen<br />

in Sachsen-Anhalt und <strong>der</strong>en<br />

Bedeutung und Funktion in <strong>der</strong> Frühbronzezeit<br />

(Leitung Prof. Dr. Peter Ettel, FSU-<br />

Jena). Wie bei Modul A2 handelt es sich<br />

um eine bislang nicht erforschte Quellengattung.<br />

Waren es tatsächlich Zentralorte<br />

von Macht, Herrschaft, Wirtschaft und<br />

Kult, die einerseits sicherlich die Funktion<br />

von befestigten Kontrollorten für den Handel<br />

allgemein an topographisch günstig gelegenen<br />

Punkten inne hatten, an<strong>der</strong>erseits<br />

auch repräsentative Zeichen einer sozial<br />

und kultisch abgehobenen Herrschafts- und<br />

Priesterschicht darstellten, die sich vielleicht<br />

auch auf die Erzeugung und den Handel<br />

mit Kupfer und Salz begründeten.<br />

In Modul A4 soll die Sozialstruktur <strong>der</strong><br />

Gesellschaft am Ende <strong>der</strong> Frühbronzezeit<br />

und dem Beginn <strong>der</strong> Mittelbronzezeit aus<br />

dem Blickwinkel <strong>der</strong> Gräber <strong>der</strong> Makroregion<br />

untersucht werden. Als Basis für diese<br />

Auswertung wird das neu entdeckte, große<br />

Gräberfeld von Esperstedt dienen (Leitung<br />

Prof. Dr. F. Bertemes, MLU sowie Dr. H.<br />

Meller, LfDA).<br />

Internet: www.FOR550.uni-halle.de<br />

Modul A5 (BE 2605/4–1) Bei diesem Vorhaben<br />

(Leitung Prof. Dr. F. Bertemes,<br />

MLU) sollen auf <strong>der</strong> Basis eines geografischen<br />

Informationssystems (GIS) alle vorhandenen<br />

Informationen zur Frühbronzezeit<br />

(Fundmeldungen, Grabungen, Prospektionen,<br />

ökologische und paläoökologische<br />

Daten usw.) aufgenommen, mit den<br />

von <strong>der</strong> Forschergruppe erzielten Resultaten<br />

korreliert und im Sinne einer mo<strong>der</strong>nen<br />

landschaftsarchäologischen Untersuchung<br />

ausgewertet werden. Die Makroregion<br />

zeichnet sich durch beson<strong>der</strong>s reiche Hortfunde,<br />

erste »Fürsten«-Gräber sowie insgesamt<br />

durch Fundreichtum und dichte -konzentration<br />

aus. Erkenntnisse aus diesem<br />

Raum haben Bedeutung für das gesamte<br />

Verbreitungsgebiet des Aunjetitzer Verbandes<br />

und für die europäische Frühbronzezeit<br />

im allgemeinen. Forschungsziel ist die<br />

umfassende landschaftsarchäologische Rekonstruktion<br />

des frühbronzezeitlichen Lebensraumes.<br />

Dieser wird als komplexes<br />

System verstanden und umfassend untersucht.<br />

Landschaftsarchäologie wird somit<br />

als Archäologie einer Kulturlandschaft aufgefasst,<br />

die es im vorliegenden Fall erlaubt,<br />

die komplexe Bedeutung des Hortfundes<br />

von Nebra aber auch des Mittelberges<br />

selbst im Rahmen <strong>der</strong> frühbronzezeitlichen<br />

Landschaft Mitteldeutschlands zu verstehen.<br />

Ausgehend von dem Depot von Nebra<br />

werden in Modul A6 (Eigenleistung) unter<br />

<strong>der</strong> Leitung von Dr. H. Meller (LfDA) alle<br />

Metallhorte <strong>der</strong> Makroregion neuvorgelegt<br />

und ausgewertet, um so <strong>der</strong>en kulturhistorische<br />

Bedeutung deutlich zu machen und<br />

neue Ansätze zur Interpretation des umstrittenen<br />

Phänomens zu liefern.<br />

Modul A7 (Eigenleistung) besteht aus <strong>der</strong><br />

Neuvorlage und Auswertung des frühbronzezeitlichen<br />

Grabhügels von Leubingen.<br />

Bei <strong>der</strong> Bestattung handelt es sich um einen<br />

<strong>der</strong> bedeutendsten frühbronzezeitlichen<br />

Grabfunde Mitteleuropas, da sie zum<br />

ersten Mal eine deutliche soziale Stratifizierung<br />

nördlich <strong>der</strong> Alpen aufzeigt (Leitung:<br />

Dr. H. Meller, LfDA).<br />

Modul A8 (Eigenleistung untersucht unter<br />

<strong>der</strong> Leitung von Prof. Dr. P. Ettel, FSU Jena)<br />

die Bedeutung <strong>der</strong> Salzvorkommnisse<br />

in Nordthüringen und südlichem Sachsen-<br />

Anhalt in <strong>der</strong> Bronzezeit. Salz zählt zu den<br />

lebensnotwendigen Gütern und besaß in<br />

<strong>der</strong> Vorgeschichte, insbeson<strong>der</strong>e auch in <strong>der</strong><br />

Frühbronzezeit, eine herausragende Stellung<br />

für den Menschen. Die Herausbildung<br />

und Entwicklung kulturprägen<strong>der</strong> Elemente<br />

in Mitteldeutschland sind nur vor dem<br />

Hintergrund <strong>der</strong> Salzvorkommen als wichtige<br />

Wirtschafts- und Machtfaktoren zu erklären<br />

und zu verstehen.<br />

Ausgehend von den so genannten Metallurgengräbern<br />

widmet sich Modul A9 (Eigenleistung)<br />

unter <strong>der</strong> Leitung von Prof.<br />

Dr. F. Bertemes (MLU) dem metallverarbeitenden<br />

Werkzeug <strong>der</strong> Frühbronzezeit<br />

sowie <strong>der</strong> gesellschaftlichen Bedeutung <strong>der</strong><br />

frühen Metallurgen. Metallverarbeitung<br />

und -verhandlung stellen einen bedeutenden<br />

wirtschaftlichen und sozialen Faktor in<br />

<strong>der</strong> Mitte des 3. Jtds. v. Chr. dar. Prospektion,<br />

bergmännische Gewinnung und Verarbeitung<br />

von Buntmetallen erfor<strong>der</strong>te erfahrene<br />

Spezialisten mit berufsgebundenen<br />

technischen Kenntnissen, die sich nicht<br />

o<strong>der</strong> zumindest periodisch nicht an <strong>der</strong><br />

Nahrungsmittelproduktion beteiligen<br />

mussten. Der beson<strong>der</strong>e Status dieser Personengruppe<br />

spiegelt sich eindrucksvoll in<br />

ihren Gräbern wi<strong>der</strong>. Aufgrund des restlichen<br />

Grabinventars sowie einer meist aufwändigen<br />

Grabkonstruktion geben sich beson<strong>der</strong>s<br />

die Bestatteten <strong>der</strong> Glockenbecher-Kultur<br />

als Angehörige <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Spitze zu erkennen, die wie<br />

<strong>der</strong> »Amesbury Archer« belegt, über weit-


Der Hortfund von Nebra Fotos (3): Juraj Lipták<br />

reichende Kontakte verfügten o<strong>der</strong> selbst<br />

weit gereist sind. Am Ende <strong>der</strong> klassischen<br />

Stufe <strong>der</strong> Frühbronzezeit lassen die wenigen<br />

sog. späten Metallurgengräber – wie<br />

das Grab von Leubingen andeutet – möglicherweise<br />

einen ganz an<strong>der</strong>en Bezug zwischen<br />

Macht, Herrschaft und Metallurgie<br />

erkennen. Das Mitgeben einzelner metallverarbeiten<strong>der</strong><br />

Werkzeuge hat hier eher<br />

Symbolcharakter. So soll dadurch verdeutlicht<br />

werden, dass <strong>der</strong> Tote die Metallurgiekette,<br />

bzw. -produktion o<strong>der</strong> aber <strong>der</strong>en<br />

Handel kontrolliert hat.<br />

Dr. Heinrich-Chr. Wun<strong>der</strong>lich (LfDA, Halle)<br />

beschäftigt sich in Modul NW1 (WU<br />

233/2–1 und 2) ausgehend von den Nebra-<br />

Funden mit den Techniken bronzezeitlicher<br />

Oberflächenbehandlung und Veredelung,<br />

<strong>der</strong> Rekonstruktion von Herstellungstechniken<br />

sowie dem ursprünglichen Erscheinungsbild<br />

und <strong>der</strong> Ästhetik von Metallarbeiten<br />

<strong>der</strong> frühen Bronzezeit.<br />

Unter <strong>der</strong> Leitung von Prof. Dr. Ernst Pernicka<br />

(Universität Tübingen) werden in<br />

Modul NW2 (PE 405/17-1 und 2) ca.<br />

2000 Kupfergegenstände aus den Beständen<br />

des Museums für Vor- und Frühgeschichte<br />

archäometallurgisch und metallographisch<br />

untersucht. Dieser Fundus ist<br />

für die Beurteilung des Hortfundes von<br />

Nebra und für den Vergleich mit den Metallerzeugnissen<br />

<strong>der</strong> nördlichen Aunjetitzer<br />

Gruppen mit umfangreicher Nutzung und<br />

Verarbeitung von Fahlerzkupfer (mit und<br />

ohne Nickel) sowie von Zinnbronze und<br />

neuen Verarbeitungs- bzw. Gusstechniken<br />

beson<strong>der</strong>s wichtig. Die Ergebnisse werden<br />

in eine Datenbank mit Analysen prähistorischer<br />

Metallfunde aus <strong>der</strong> Alten Welt eingebunden.<br />

Aus dem Vergleich von Formund<br />

Materialtypologie lassen sich Rückschlüsse<br />

auf Produktionszentren und Handel<br />

ziehen.<br />

Die mitteldeutschen Kupfererzvorkommen<br />

standen aufgrund ihrer geographischen<br />

Nähe zu metallreichen prähistorischen<br />

Kulturen immer wie<strong>der</strong> als potentielle Lieferanten<br />

für das bronzezeitlichen Kupfer<br />

Mitteleuropas zur Diskussion. Modul<br />

NW3 (PE 405/18-1 und 2) versucht unter<br />

Leitung von Prof. Dr. E. Pernicka (TU Tübingen)<br />

und Prof. Dr. Gregor Borg (MLU)<br />

auf geochemischem und archäometallurgischem<br />

Weg die prähistorische Buntmetallgewinnung<br />

in Mitteldeutschland zu klären.<br />

Die Herkunftsbestimmung von Gold ist<br />

seit langem ein dringendes Forschungsziel<br />

<strong>der</strong> Archäologie. In Modul NW4 (BO<br />

1345/6–1 und 2) stellt sich Prof. Dr. G.<br />

Borg (MLU) die geochemische und lager-<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Prähistorische Archäologie<br />

...............................................................................<br />

stättenkundliche Charakterisierung <strong>der</strong><br />

Goldvorkommen in Mitteleuropa zum<br />

Ziel, um damit eine gesicherte Basis zur<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Herkunft <strong>der</strong> mitteleuropäischen<br />

Goldartefakte <strong>der</strong> Frühbronzezeit<br />

zu gewinnen.<br />

Die Himmelsscheibe von Nebra ist <strong>der</strong><br />

Schlüsselfund <strong>der</strong> Archäoastronomie<br />

schlechthin. In dem Modul Astronomie beschäftigt<br />

sich Prof. Dr. Wolfhard Schlosser<br />

(Ruhr-Universität Bochum) mit <strong>der</strong> Klärung<br />

des Bildinventars <strong>der</strong> Scheibe in astronomischer<br />

Hinsicht. Darüber hinaus ist eine<br />

Einbettung in die Entwicklung <strong>der</strong> himmelskundlichen<br />

Kenntnisse Mitteleuropas<br />

seit <strong>der</strong> Jungsteinzeit geplant, wobei ein<br />

beson<strong>der</strong>es Augenmerk auf den Kulturaustausch<br />

mit dem Mittelmeerraum zu richten<br />

ist. Ziel des zweiten Teilprojekts ist es, die<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> archäologischen Module<br />

A1–3 (und hierbei vor allem des Moduls<br />

A2) aus astronomischer Sicht zu bewerten.<br />

W<br />

Autoreninformation – siehe Seite 6.<br />

Bild unten: Der Goldschmuck des Fürsten<br />

von Leubingen<br />

9


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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

DIE ALTE GESCHICHTE AN DER MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT<br />

VIER DRITTMITTELPROJEKTE VORGESTELLT<br />

Andreas Mehl und Oliver Schmitt<br />

................................................................................<br />

Die Alte Geschichte ist an deutschen wie an ausländischen Universitäten organisatorisch<br />

10 teils bei <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft, teils bei den Klassischen Altertumswissenschaften<br />

angesiedelt. Für beides gibt es gute Gründe. In Halle sind die Fächer Alte Geschichte, Klassische<br />

Archäologie, Gräzistik sowie Latinistik im Institut für Klassische Altertumswissenschaften<br />

zusammengefasst. Der Lehrstuhl für Alte Geschichte in Halle war allerdings seit<br />

dem vorzeitigen Ruhestand von Prof. Dr. Hans-Joachim Diesner 1977 bis 1992 unbesetzt.<br />

Prof. Dr. Andreas Mehl, <strong>der</strong> seither die Professur bekleidet, ist sowohl Klassischer Philologe<br />

als auch Historiker. Es kann als hallesche Beson<strong>der</strong>heit gelten, dass er zugleich Mitglied<br />

des Fachbereichs Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften und des Instituts<br />

für Geschichte ist. So wird <strong>der</strong> historischen und <strong>der</strong> altertumswissenschaftlichen<br />

Komponente <strong>der</strong> Alten Geschichte gleichermaßen Rechnung getragen.<br />

Innerhalb des Instituts für Klassische<br />

Altertumswissenschaften wird Alte Geschichte<br />

als Haupt- und Nebenfach mit<br />

Magisterabschluss angeboten. Darüber hinaus<br />

ist sie Bestandteil <strong>der</strong> Magister- und<br />

Lehramtsstudiengänge Geschichte. Mit <strong>der</strong><br />

Einführung <strong>der</strong> Bachelor- und Masterstudiengänge<br />

ab 2006 wird die Alte Geschichte<br />

in Halle zusammen mit Gräzistik, Latinistik<br />

und Klassischer Archäologie den BA-<br />

Studiengang »Klassisches Altertum« konstituieren;<br />

und sie wird in den BA »Geschichte«<br />

integriert sein. Es wird möglich<br />

sein, das BA-Studium im Klassischen Altertum<br />

in Halle mit einem MA-Studiengang<br />

fortzusetzen, in dem eines von je zwei<br />

wählbaren Fächern Alte Geschichte sein<br />

kann.<br />

An <strong>der</strong> Professur für Alte Geschichte sind<br />

<strong>der</strong>zeit sieben Wissenschaftler tätig, vier<br />

davon auf befristeten Drittmittelstellen.<br />

Über letztere ist das Fach in <strong>der</strong>zeit drei interdisziplinäre,<br />

von <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

geför<strong>der</strong>te Großpro-<br />

jekte eingebunden. Ein weiterer Erfolg <strong>der</strong><br />

halleschen Alten Geschichte kann darin gesehen<br />

werden, dass apl. Prof. Dr. Burkhard<br />

Meißner, <strong>der</strong> bislang am Lehrstuhl forschte<br />

und lehrte und sich hier auch habilitierte,<br />

kürzlich zum Professor (C 4) für Alte Geschichte<br />

<strong>der</strong> Universität <strong>der</strong> Bundeswehr in<br />

Hamburg ernannt worden ist.<br />

Beson<strong>der</strong>es Forschungsprofil<br />

Gegenstand <strong>der</strong> Alten Geschichte ist die<br />

griechisch-römische Antike, d. h. die Mittelmeerwelt<br />

nebst angrenzenden Völkern,<br />

Län<strong>der</strong>n und Kulturen, sofern sie Berührungspunkte<br />

zur Welt <strong>der</strong> Griechen und<br />

Römer aufweisen. Der zeitliche Rahmen<br />

erstreckt sich von <strong>der</strong> minoischen Kultur in<br />

Griechenland (3. Jahrtausend v. Chr.) bis<br />

zur arabisch-islamischen Expansion im 7.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr. Die Lehrtätigkeit <strong>der</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong> des Lehrstuhls deckt den gesamten<br />

Bereich <strong>der</strong> Alten Geschichte ab;<br />

V. l. n. r.: Dr. Thomas Brüggemann, Dr. Christian Mileta, PD Dr. Isolde Stark, Prof. Dr. Andreas<br />

Mehl, Marius Gerhardt MA, Prof. Dr. Angela Pabst, Henning Handrock, Dr. Oliver Schmitt<br />

die gewaltige Stoffmasse zwingt jedoch in<br />

<strong>der</strong> Forschung zu einer Spezialisierung.<br />

Deren Gebiete sind in Halle zumeist im<br />

östlichen Mittelmeerraum zu suchen. Dazu<br />

treten Untersuchungen über die antike, insbeson<strong>der</strong>e<br />

römische Geschichtsschreibung<br />

und über antike Kulturgeschichte. Neben<br />

althistorischen Themenfel<strong>der</strong>n werden –<br />

eine Rarität – auch solche <strong>der</strong> Byzantinischen<br />

Geschichte bearbeitet. Aus <strong>der</strong> Fülle<br />

<strong>der</strong> aktuellen halleschen althistorischen<br />

Vorhaben werden im Folgenden vier Drittmittelprojekte<br />

vorgestellt:<br />

»Nomaden als Bundesgenossen <strong>der</strong> Römer<br />

im Vor<strong>der</strong>en Orient von 70 v. Chr. bis 630<br />

n. Chr.« (Dr. Oliver Schmitt; bis Juni 2004<br />

DFG-finanziertes Teilprojekt C4 des SFB<br />

586 »Differenz und Integration«): Das<br />

kurz vor <strong>der</strong> Veröffentlichung stehende<br />

Projekt untersucht das Verhältnis <strong>der</strong> arabischen<br />

Nomaden des Nahen Ostens zum römischen<br />

Imperium unter politisch-militärischen<br />

Aspekten und im Hinblick auf die<br />

Beziehungen <strong>der</strong> Nomaden zur sesshaften<br />

Bevölkerung. Raubzüge <strong>der</strong> Nomaden bildeten<br />

in den Steppen- und Wüstenrandgebieten<br />

des Reiches über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg<br />

eine in <strong>der</strong> nomadischen Lebensweise<br />

wurzelnde konstante Realität, die seitens<br />

<strong>der</strong> aus römischer Sicht verfassten Quellen<br />

erst verstärkte Aufmerksamkeit fand, als<br />

das Imperium im Laufe seines Expansionsprozesses<br />

immer weiter in die nomadische<br />

Lebenswelt hineingewachsen war. Der dadurch<br />

entstandene Eindruck, dass die von<br />

den Nomaden ausgehende Bedrohung stetig<br />

gewachsen sei, trügt, die Nomaden selbst<br />

sind nie eine ernsthafte Bedrohung gewesen.<br />

»Nomaden auf dem Boden des spätrömischen<br />

und byzantinischen Reiches vom 3.<br />

bis zum frühen 14. Jahrhun<strong>der</strong>t« (Dr. Thomas<br />

Brüggemann; DFG-finanziertes Teilprojekt<br />

D8 des SFB 586 »Differenz und<br />

Integration«): Analysiert werden Ansiedlungs-<br />

und Akkulturationsprozesse bei nomadischen<br />

Bevölkerungsgruppen (Hunnen,<br />

Petschenegen, Türken) auf dem Boden<br />

des oströmischen und byzantinischen Reiches<br />

im Balkan und in Kleinasien. Im Zentrum<br />

stehen die Auswirkungen einer zumeist<br />

staatlich gelenkten Ansiedlung von<br />

Nomaden auf <strong>der</strong>en Lebensweise und Kultur.<br />

Mit einer Ansiedlung ging nicht notwendig<br />

eine Sesshaftwerdung einher; speziell<br />

in den Randgebieten des Reiches<br />

machte die lokale Bevölkerung bisweilen<br />

mit den Neuankömmlingen gemeinsame Sa-


Die seit dem 4. Jahrhun<strong>der</strong>t in den westpontischen Raum einwan<strong>der</strong>nden Bevölkerungen lieferten<br />

sich mit Byzanz auch um Philippopolis (Plovdiv) Auseinan<strong>der</strong>setzungen. Das Amphitheater<br />

wurde erst 343 n. Chr. errichtet. Fotos (2): Thomas Brüggemann<br />

che. Die oft dürftigen Aussagen <strong>der</strong> literarischen<br />

Quellen müssen durch Sammlung<br />

und Interpretation <strong>der</strong> archäologischen<br />

Hinterlassenschaft ergänzt werden. Deshalb<br />

kooperiert das Projekt mit <strong>der</strong> Klassischen<br />

Archäologie (Prof. Dr. Manfred<br />

Oppermann).<br />

»Religiöse Konflikte durch Kultimport und<br />

Kultinvasion in Rom von <strong>der</strong> Entstehung<br />

des römischen Reiches bis in die Spätantike«<br />

(PD Dr. Isolde Stark; DFG-finanziertes<br />

Projekt im SPP 1080 »Römische<br />

Reichsreligion und Provinzialreligion«):<br />

Hier werden Konflikte untersucht, die<br />

durch neue Götter und ihre Kultanhänger<br />

entstanden sind, sowie die Art und Weise,<br />

wie <strong>der</strong> römische Staat auf diese Kulte reagierte.<br />

Erschienen fremde Götter und Kulte<br />

mit den Kriterien des mos maiorum (<strong>der</strong><br />

römischen Sitte und Tradition) vereinbar,<br />

so konnten sie integriert o<strong>der</strong> gar assimiliert<br />

werden; war das nicht <strong>der</strong> Fall, ergab<br />

sich ein Konfliktpotenzial. Abwehrreaktionen<br />

des römischen Staates trafen nicht nur<br />

unkontrolliert eingedrungene Götter und<br />

Kultpraktiken, son<strong>der</strong>n auch solche, die<br />

durch einen kultischen Rechtsakt offiziell<br />

»importiert« worden waren.<br />

»Vom hellenistischen Herrscherkult zum<br />

römischen Kaiserkult. Die kultische Verehrung<br />

Roms durch die Griechenstädte<br />

Kleinasiens (195–29. v. Chr.)« (Dr. Christian<br />

Mileta; DFG-finanziertes Projekt im<br />

SPP 1080 »Römische Reichsreligion und<br />

Provinzialreligion«): Das Projekt erforscht<br />

die von den Städten Kleinasiens zwischen<br />

195 und 29 v. Chr. eingerichteten prorömischen<br />

Kulte und kultischen Spiele. Untersucht<br />

werden Merkmale dieser Kulte, ihre<br />

Bindungseignung zwischen griechischen<br />

Untertanen und römischen Herren sowie<br />

ihre Funktion als vermittelnde Instanz<br />

zwischen hellenistischem Herrscherkult<br />

und römischem Kaiserkult. Verän<strong>der</strong>ungen,<br />

die an diesen Kulten und ihrer Organisation<br />

in <strong>der</strong> langen und politisch bewegten Zeitspanne<br />

vorgenommen wurden, sollen aufzeigen,<br />

dass <strong>der</strong> Weg vom hellenistischen<br />

Herrscherkult zum römischen Kaiserkult<br />

nicht so direkt verlief wie bislang angenommen.<br />

Mit den benachbarten Universitäten steht<br />

die hallesche Alte Geschichte unter an<strong>der</strong>em<br />

durch die jedes Semester an wechseln-<br />

ANZEIGE<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

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dem Ort abgehaltenen »Mitteldeutschen<br />

Althistorikertreffen« in ständigem Kontakt;<br />

und weit über Deutschland hinaus<br />

weisen in den letzten Jahren geknüpfte<br />

rege personale und thematische Verbindungen<br />

mit <strong>der</strong> Alten Geschichte an zahlreichen<br />

Universitäten beson<strong>der</strong>s im Mittelmeerraum,<br />

in Großbritannien, den USA, in<br />

Bulgarien, Polen und Russland. National<br />

und <strong>international</strong> besticht die Alte Geschichte<br />

in Halle durch ihr beson<strong>der</strong>es Forschungsprofil.<br />

W<br />

Andreas Mehl ist seit 1992 Inhaber <strong>der</strong><br />

C4-Professur für Alte Geschichte an <strong>der</strong><br />

Martin-Luther-Universität und Dr. Oliver<br />

Schmitt wissenschaftlicher Assistent.<br />

11


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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

IM APOLLONHEILIGTUM ZU DIDYMA<br />

GRABUNGEN UND FORSCHUNGEN<br />

Andreas Furtwängler<br />

................................................................................<br />

Das in <strong>der</strong> Antike weit bekannte Orakelheiligtum von Didyma liegt nur 12 km südlich von<br />

12 Milet an <strong>der</strong> kleinasiatischen Westküste. Sein Gründungsalter geht, nach Aussage des antiken<br />

Historikers Herodot, in die vorgriechische Zeit zurück, in welche auch die Gründungslegende<br />

weist: So soll Leto ihren Sohn Apollon an <strong>der</strong> später berühmten Orakel-Quelle von<br />

Zeus empfangen haben. Apollon setzte <strong>der</strong> Sage nach einen Hirten namens Branchos zum<br />

Hüter <strong>der</strong> Quelle ein und verlieh diesem die Sehergabe. Didyma und Branchos sind keine<br />

griechischen, son<strong>der</strong>n karische Namen und bis zu den Perserkriegen im frühen 5. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

v. Chr. lag das Heiligtum in den Händen eines karischen Priestergeschlechtes, den<br />

Branchiden.<br />

Reiseberichte und Quellenlektüre hatten<br />

bereits im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t das Interesse für<br />

die berühmte Orakelstätte und den von den<br />

Architekten Daphnis und Paionios um die<br />

Mitte des 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts v. Chr. entworfenen,<br />

fast 110 m langen Tempel geweckt.<br />

Drei riesige, aufrecht erhalten gebliebene<br />

Säulen prägten seine Erscheinung, auch als<br />

im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t die Trümmer durch eine<br />

Windmühle überbaut wurden.<br />

Erste Versuche französischer Archäologen<br />

1873, diesen nach Größe und Erhaltung bedeutendsten<br />

Tempel des Altertums freizu-<br />

Grundriss des »Jüngeren Didymaion«<br />

legen, scheiterten. Resigniert gaben sie ihr<br />

Ziel auf, auch das von Herodot überlieferte<br />

archaische Heiligtum (7./6. Jh. v. Chr.) wie<strong>der</strong>zufinden.<br />

Erfolgreiche Grabungen ab 1905<br />

Mehr Erfolg hatte das Engagement Theodor<br />

Wiegands und Hubert Knackfuß’, die<br />

den großen Tempel ab 1905 in acht Grabungskampagnen<br />

freilegten und später ausführlich<br />

publizierten. Dieses sog. Jüngere<br />

Didymaion, das die Mitte des Heiligtums<br />

einnimmt, besitzt eine doppelte Ringhalle<br />

von 108 Säulen, die den Kernbau umgibt.<br />

Über den siebenstufigen Unterbau mit großer<br />

Freitreppe im Osten (im Grundriss: A)<br />

erreicht man eine tiefe Vorhalle mit 12 Säulen<br />

(B). Diese führt zu einem gewaltigen<br />

Portal mit einer 1,5 m hohen Schwelle (C),<br />

unüberschreitbar und menschlichen Maßstäben<br />

entrückt. Nur über schmale seitliche<br />

Tunnelgänge (D) gelangt man in den offenen<br />

Hof (E). Der hinter <strong>der</strong> Schwelle liegende<br />

Zweisäulensaal (H), an dessen<br />

Schmalseiten zwei Treppenhäuser (J) zur<br />

Dachebene führen, ist nur von diesem Hof<br />

aus über eine breite Freitreppe (G) zu erreichen.<br />

Im Innern des Hofes erkennt man<br />

die Fundamente des im westlichen Teil gelegenen<br />

sog. Naiskos (F), einem ursprünglich<br />

als Kultbildschrein gedeuteten Bau, <strong>der</strong><br />

aber heute allgemein für die eigentliche<br />

Orakelstätte (Manteion) mit <strong>der</strong> heiligen<br />

Quelle gehalten wird. Die gewaltigen über<br />

20 m hohen Hofwände werden durch große<br />

Pilaster auf hohem Sockel geglie<strong>der</strong>t.<br />

Einiges zur Orakelstätte ist über Inschriftenfunde<br />

bekannt geworden, die man mit<br />

weiteren antiken Quellen verknüpft hat.<br />

Bereits Herodot berichtet von Weihungen<br />

in archaischer Zeit, so von <strong>der</strong> Rüstung des<br />

ägyptischen Pharao Necho o<strong>der</strong> von den<br />

kostbaren Weihgeschenken des lydischen<br />

Königs Kroisos. Über Schatzurkunden erfahren<br />

wir auch, dass Antiochos I. um 299<br />

v. Chr. in Milet eine Markthalle errichten<br />

ließ, aus <strong>der</strong>en Verpachtung Einnahmen für<br />

die Finanzierung <strong>der</strong> Bauarbeiten am Tem-<br />

Ansicht des überbauten Tempels um 1900<br />

pel gewonnen werden sollten. In den Jahren<br />

54 und 48 v. Chr. wurden vom ptolemäischen<br />

Hof zwei Lieferungen mit insgesamt<br />

1276 kg Elfenbein gestiftet, die für<br />

die Verkleidung <strong>der</strong> geplanten Türflügel des<br />

großen Portals im 12-Säulensaal bestimmt<br />

waren.<br />

Zahlreiche auch <strong>der</strong> archaischen Weihungen<br />

waren noch über 800 Jahre lang für je<strong>der</strong>mann<br />

sichtbar aufgestellt, wie die sog.<br />

Branchiden, lebensgroße Sitzstatuen, an<br />

<strong>der</strong> heiligen Straße von Didyma nach Milet<br />

(ein Abguss befindet sich im hiesigen Archäologischen<br />

Museum <strong>der</strong> Universität).<br />

An<strong>der</strong>e fielen den Zerstörungen <strong>der</strong> Perser<br />

zum Opfer, als die Orakelstätte infolge des<br />

Ionischen Aufstandes (494 v. Chr.) geplün<strong>der</strong>t<br />

und gebrandschatzt wurde (Herodot<br />

VI, 19.3).<br />

Kult im Apollonheiligtum<br />

Ferner sind die Bauurkunden zu dem nie<br />

vollendeten »Jüngeren Didymaion« von<br />

Bedeutung. Die bekannten Jahresausgaben<br />

beliefen sich auf ca. 40 000 Drachmen, eine<br />

Summe, die etwa den Kosten für eine einzige<br />

<strong>der</strong> insgesamt geplanten 120 Säulen<br />

entsprach (das jährliche Gehalt eines<br />

Sport- und Grammatiklehrers in Milet um<br />

205 v. Chr. lag zum Vergleich bei ca. 360–<br />

480 Drachmen). Aus Mangel an Finanz-


Die Ruinen des »Jüngeren Didymaion« heute Abbildungen (5): Archiv Robertinum<br />

mitteln kamen die Arbeiten oft ins Stocken.<br />

Von nicht min<strong>der</strong>em Interesse sind auch die<br />

Nachrichten aus hellenistischer und römischer<br />

Zeit über das Kultpersonal und seine<br />

Funktionen im Rahmen des Kultes und des<br />

Orakels. Die höchste Würde im Apollonheiligtum<br />

hatte <strong>der</strong> zugleich dem Orakel<br />

vorstehende Prophetes inne. Da das jährliche<br />

Amt hohe Repräsentationskosten auferlegte<br />

(Bewirtung von Delegationen und<br />

<strong>der</strong>gleichen), blieb es nur den großen und<br />

reichen Familien Milets vorbehalten.<br />

Selbst römische Kaiser übernahmen diese<br />

Würde: Trajan (kurz nach 100 n. Chr.),<br />

Hadrian (137 o<strong>der</strong> 138 n. Chr.) und zuletzt<br />

Julian (361/363), <strong>der</strong> sich bemühte, den absterbenden<br />

Kult nochmals zu beleben.<br />

Schlecht unterrichtet ist man hingegen über<br />

den Ablauf des Prophezeiungsrituals. Bei<br />

dem Neuplatoniker Iambikos ist die Rede<br />

von einer Prophetin in Didyma: Sie empfing<br />

nach mehrtägigem, <strong>der</strong> Orakelbefragung<br />

vorausgehendem Fasten und Reinigungsritualen<br />

die göttliche Inspiration aus<br />

dem Wasser <strong>der</strong> Heiligen Quelle im Manteion<br />

des Apollontempels. In einer Inschrift<br />

des 1. Jahrhun<strong>der</strong>ts n. Chr. wird<br />

eine Priesterin bzw. Hydrophoros <strong>der</strong> Artemis<br />

Pythie erwähnt, <strong>der</strong>en Urgroßmutter<br />

durch Orakelspruch in ihr Amt eingesetzt<br />

wurde. Dies lässt den Schluss zu, dass die<br />

Prophetin eine alte Kulttradition verkörpert,<br />

und <strong>der</strong> Kult des Apollon unmittelbar<br />

mit dem seiner Schwester Artemis verknüpft<br />

war.<br />

Neue Forschungen<br />

Die Grabungen wurden im Jahr 1962 neu<br />

aufgenommen. Neben Sondagen zur Erforschung<br />

<strong>der</strong> archaischen Vorgängerbauten<br />

des »Jüngeren Didymaion« richtete sich<br />

<strong>der</strong> Blick nun auch auf das römische und<br />

das spätantike Didyma. Darüber hinaus<br />

wurde das Umfeld des Tempels in die Untersuchungen<br />

einbezogen und ein rund 200<br />

Meter langen Stück <strong>der</strong> Heiligen Straße<br />

freigelegt. Vor wenigen Jahren kamen an einem<br />

nur 150 m vom Tempel gelegenen Hügel<br />

Füll- und Brandschichten mit zahlreichen<br />

archaischen Kleinfunden zu Tage.<br />

Im Jahr 2002 wurde die Leitung <strong>der</strong> traditionsreichen<br />

Grabung des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts in Didyma dem<br />

Verfasser übertragen, an den Grabungskampagnen<br />

und <strong>der</strong> Aufarbeitung <strong>der</strong> Ergebnisse<br />

sind nun auch hallesche Studenten<br />

beteiligt. Die Arbeiten konzentrieren sich<br />

dabei auf das archaische Heiligtum. Ziel ist<br />

eine Gesamtdarstellung im Sinne einer umfassenden<br />

Vorlage <strong>der</strong> Bautätigkeit, <strong>der</strong><br />

Denkmäler, <strong>der</strong> Kultgeschichte und <strong>der</strong><br />

Kleinkunst, die <strong>der</strong> Bedeutung dieses Heiligtums<br />

im 7. und 6. Jh. v. Chr. historisch,<br />

kunst- und kultgeschichtlich – über die bisherigen<br />

disparaten Einzelstudien hinaus –<br />

gerecht wird. Verbunden damit ist eine genaue<br />

Aufarbeitung und Überprüfung <strong>der</strong><br />

Ergebnisse <strong>der</strong> früheren Forschungen, <strong>der</strong>en<br />

Dokumentation teilweise verloren ist.<br />

Im Jahr 2004 durchgeführte Sondagen bestätigten,<br />

dass um die Mitte des 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

eine übergreifende Neuplanung<br />

des Heiligtums stattfand, in <strong>der</strong>en Mittelpunkt<br />

<strong>der</strong> archaische Tempel mit seinen<br />

reliefgeschmückten Säulen stand. Mit den<br />

Fragmenten eines geometrischen Dreifußes<br />

aus den Jahren um 730 v. Chr. wurde <strong>der</strong><br />

bislang früheste Metallfund geborgen und<br />

damit die Existenz des Kultplatzes bereits<br />

im 8. Jh. v. Chr. nachgewiesen. W<br />

Andreas E. Furtwängler studierte Klassische<br />

Archäologie, Prähistorie und Alte Geschichte<br />

in Heidelberg, Bern, Paris und<br />

Ankara. 1973 wurde er in Heidelberg promoviert,<br />

war von 1976 bis 1981 Referent<br />

beim Deutschen Archäologischen Institut in<br />

Athen und von 1982 bis 1990 wiss. Assistent<br />

an <strong>der</strong> Universität des Saarlandes.<br />

Nach seiner Habilitation 1991 war er dort<br />

bis 1993 Privatdozent. Seit 1994 ist er Professor<br />

für Klassische Archäologie an <strong>der</strong><br />

Martin-Luther-Universität.<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

...............................................................................<br />

13<br />

Rekonstruktionszeichnung eines vollständigen<br />

Dreifußkessels, die Lage des Fragments<br />

ist grau unterlegt<br />

Fragment eines geometrischen Dreifußes, gefunden<br />

im Sommer 2004


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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

DAS ROBERTINUM – ANZIEHUNGSPUNKT AUF DEM UNI-CAMPUS<br />

BEMERKENSWERTE SAMMLUNGSSTÜCKE IM MUSEUM<br />

Henryk Löhr<br />

................................................................................<br />

Das Institut für Klassische Altertumswissenschaften im Robertinum am Universitätsplatz<br />

14 vereint die Fächer <strong>der</strong> Klassischen Archäologie, Alten Geschichte und Klassischen Philologie<br />

mit ihren Spezialisierungen Gräzistik und Latinistik, seit Neuerem ergänzt durch das<br />

Mittellatein. Diese räumliche und organisatorische Verbindung ist eine Beson<strong>der</strong>heit in<br />

Deutschland. Das Institut verfügt über mehrere Sammlungen antiker Kunst- und Schriftzeugnisse,<br />

die einerseits unverzichtbares Material für die akademische Ausbildung bieten,<br />

an<strong>der</strong>erseits auch einer interessierten Öffentlichkeit eine Anschauung antiker Kulturleistungen<br />

vermitteln sollen.<br />

Mit dieser Intention ist das Gebäude in<br />

den Jahren 1889–91 bereits errichtet worden,<br />

als Archäologisches Museum zur Aufnahme<br />

<strong>der</strong> Sammlungen antiker Münzen<br />

und Kleinkunst und <strong>der</strong> Gipsabgüsse plastischer<br />

Bronze- und Marmorwerke. Ein eigener<br />

Sammlungssaal war anfänglich den<br />

Kupferstichen vorbehalten, die das Anschauungsmaterial<br />

für das Studium <strong>der</strong><br />

neuen Kunstgeschichte bildeten. Der großzügige<br />

Aufstellungsort mit zentraler Stellung<br />

an <strong>der</strong> Universität entsprach <strong>der</strong> Bedeutung,<br />

die dem Studium <strong>der</strong> antiken<br />

Wurzeln europäischer Kultur beigemessen<br />

wurde. Außerdem wurde einer Tradition<br />

Rechnung getragen, die bis in die Anfangszeit<br />

<strong>der</strong> Universität zurückreicht: Johann<br />

Heinrich Schulze (1732–1744 Professor<br />

für Altertumskunde, Beredsamkeit und<br />

Medizin) setzte erstmalig an einer deutschen<br />

Universität Münzen als Lehrmaterial<br />

in den Collegs ein – Stücke aus seinem eigenen<br />

Besitz, die später den Grundstock<br />

<strong>der</strong> heutigen umfangreichen Münzsammlung<br />

bildeten. Der Aufbau einer Sammlung<br />

von Gipsabgüssen antiker Statuen und Reliefs,<br />

ergänzt durch originale Beispiele <strong>der</strong><br />

Kleinkunst, hatte 1845 mit <strong>der</strong> Berufung<br />

von Ludwig Ross zum ersten Professor für<br />

Römisches Zimmer im Archäologischen<br />

Museum seit <strong>der</strong> Neueinrichtung 1998<br />

Archäologie in Halle begonnen. Anfänglich<br />

waren diese höchst beengt und provisorisch<br />

in Räumen <strong>der</strong> alten Universitätsbibliothek<br />

(am heutigen Friedemann-Bach-<br />

Platz) untergebracht. Mit <strong>der</strong> Einweihung<br />

des neuen Museums und dem Direktorat<br />

von Carl Robert von 1890 bis 1920 erlebten<br />

die Sammlungen eine Blütezeit; beträchtliche<br />

staatliche und private För<strong>der</strong>ung<br />

bezeugt die Ausstrahlung, die sie damals<br />

erreichten.<br />

Robert hatte immer die enge Verflechtung<br />

<strong>der</strong> altertumswissenschaftlichen Disziplinen<br />

<strong>der</strong> Archäologie, Philologie und Alten<br />

Geschichte vertreten. An <strong>der</strong> halleschen<br />

Universität sind diese Fächer seit 1928 in<br />

dem Gebäude vereint, dem in Würdigung<br />

von Roberts Verdiensten nach seinem Tod<br />

1922 <strong>der</strong> Name Robertinum gegeben wur-<br />

Marius Gerhard<br />

Das Verbundprojekt <strong>der</strong> Papyrussammlungen<br />

in Halle, Jena und Leipzig hat sich<br />

zum Ziel gesetzt, die jeweiligen Bestände<br />

(Papyri, Ostraka, Wachstafeln etc.) nach<br />

gemeinsam entwickelten Kriterien zu katalogisieren<br />

und zu digitalisieren. Nach <strong>der</strong><br />

zentral in Leipzig vorgenommenen restau-<br />

Attisch-schwarzfigurige Lekythos (Ende 6. Jh.<br />

v. Chr.), Kampf des Helden Kaineus gegen<br />

steineschwingende Kentauren, Inv. Nr. 141<br />

de. Die Sammlungen erhielten dabei Bereicherung<br />

durch die vor allem in den Jahren<br />

1907 bis 1913 erworbenen griechischen<br />

Papyri.<br />

Eigener Charakter des Museums<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Zusammenführung wandelte<br />

sich das Museum mit kleiner Handbibliothek<br />

zu einem Institut mit angeschlosse-<br />

Papyrus P.Hal. I 8: Amtlicher Brief einen blinden Nachtwächter betreffend (231 v. Chr.)<br />

ratorischen und konservatorischen Behandlung<br />

vieler Objekte findet in Jena eine Sicherheitsverfilmung<br />

sowie die Erstellung<br />

von hochauflösenden, digitalen Images<br />

statt. Danach erfolgt die wissenschaftliche<br />

Katalogisierung wie<strong>der</strong> lokal, wobei frühere<br />

Aufzeichnungen (Inventarbücher etc.) einbezogen<br />

werden. Die dabei entstehende<br />

Datenbank dient gleichzeitig als Inventarbuch,<br />

Katalog, internes Arbeitsinstrument<br />

sowie als Grundlage für spätere Editionsvorhaben<br />

und ist mit ähnlichen Projekten<br />

weltweit verlinkt. Das Ergebnis steht über<br />

das Internet sowohl den Spezialisten als<br />

auch einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung:<br />

http://papyri.uni-lepizig.de


Besucherandrang in <strong>der</strong> Museumsnacht 2003 Bil<strong>der</strong> (6): Archiv Robertinum<br />

nem Museum. Die an Bedeutung und Umfang<br />

gewachsene gemeinsame Institutsbibliothek<br />

mit je<strong>der</strong>zeit verfügbarem Bücherbestand<br />

beanspruchte Platz, die Ausstellungsfläche<br />

verringerte sich. In <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

gab es empfindliche Verluste in<br />

<strong>der</strong> Abguss-Sammlung durch Auslagerung.<br />

Verschiedentliche Bestrebungen zur Auflösung<br />

des Museums wurden glücklicherweise<br />

nie umgesetzt. Das Museum behielt seine<br />

öffentliche Funktion und Wirksamkeit,<br />

erfuhr sogar – 1956 und 1973 – eine zweimalige<br />

Neugestaltung und Aktualisierung.<br />

Die Bausubstanz des Robertinums war allerdings<br />

durch Vernachlässigung bereits<br />

stark gefährdet, als direkt nach <strong>der</strong> Wende<br />

1990 eine bestandssichernde Sanierung des<br />

Hauses erfolgte. Seither hat sich die Aus-<br />

Ludwig Ross<br />

Holsteinischer Patriot –<br />

Wegbereiter <strong>der</strong> Archäologie in Griechenland<br />

–<br />

Unangepasster Gelehrter an <strong>der</strong> Universität<br />

Halle<br />

Unter diesem Titel wird <strong>der</strong>zeit eine Ausstellung<br />

vorbereitet, die anlässlich seines<br />

200. Geburtstages (am 22. Juli 2006) an einen<br />

bedeutenden Archäologen des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

erinnern soll, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> halleschen<br />

Universität gelehrt hat. Seine große<br />

Leistung lag in <strong>der</strong> Erkundung Griechenlands<br />

in dessen Zeit als junger Nationalstaat<br />

(1833–1845), als sich die europäische<br />

gebildete Öffentlichkeit mit beson<strong>der</strong>em<br />

Interesse diesem lange Zeit schwer zugänglichen<br />

Land zuwandte. Ross hat die ersten<br />

und methodisch wegweisenden Ausgrabungen<br />

auf <strong>der</strong> Akropolis von Athen geleitet,<br />

mit dem Niketempel zum ersten Mal ein<br />

antikes Bauwerk wie<strong>der</strong>errichtet, daneben<br />

auf zahlreichen Reisen topographische Beobachtungen,<br />

Inschriften und antike<br />

Kunstzeugnisse gesammelt und schnellstmöglich<br />

bekannt gemacht. Nach einer Professur<br />

an <strong>der</strong> Universität Athen erhielt er<br />

1845 den neu gegründeten archäologischen<br />

Lehrstuhl in Halle. Hier hat er viele seiner<br />

stattung des Instituts wesentlich verbessert,<br />

zahlreiche dem Denkmalcharakter des<br />

Gebäudes angemessene Erneuerungen wurden<br />

vorgenommen. Für Erwerbungen in<br />

den Sammlungen sind z. Zt. keine Mittel<br />

verfügbar, doch ist <strong>der</strong> vorhandene Bestand<br />

untrennbarer und geschätzter Teil des Instituts.<br />

Münzen, Papyri, Keramikscherben und<br />

Abgüsse werden regelmäßig in Lehrveranstaltungen<br />

einbezogen, um den Studierenden<br />

die praktische Arbeit mit den Quellen<br />

zu vermitteln. Einzelne Objekte bieten<br />

Stoff für Qualifikationsarbeiten, es laufen<br />

mehrere Projekte zur Datenbankinventarisation.<br />

Die Datenbank zu den Papyri wird<br />

auf Seite 14 vorgestellt, die Datenbank <strong>der</strong><br />

originalen Kleinkunstsammlung (Robertin)<br />

Ludwig Ross (1806–1859)<br />

Lithographie von A. Maurin 1842<br />

Forschungsergebnisse aufgearbeitet und<br />

die Archäologische Sammlung begründet,<br />

sich auch aktiv am bewegten politischen<br />

Zeitgeschehen beteiligt, bis eine schwere<br />

Krankheit allzubald seine Möglichkeiten<br />

einschränkte.<br />

Die Ausstellung wird im April und Mai<br />

2006 in Halle und anschließend in Kiel<br />

gezeigt werden.<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

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15<br />

Chimäre von Arezzo<br />

Mo<strong>der</strong>ner Bronzenachguss einer etruskischen<br />

Bronzeplastik (um 400 v. Chr.) im Archäologischen<br />

Museum Florenz<br />

wurde bereits in <strong>der</strong> scientia halensis<br />

2/2000 angekündigt und ist seit über drei<br />

Jahren im Internet verfügbar (http://robertin.uni-halle.de).<br />

Auch hier werden die Ergebnisse<br />

wissenschaftlicher Forschung<br />

verknüpft mit <strong>der</strong> Aufbereitung für ein interessiertes<br />

Publikum, zu einer Reihe von<br />

Stücken gibt es allgemeinverständliche<br />

Texterläuterungen. Diese Führungstexte<br />

stehen in gedruckter Form auch dem Museumsbesucher<br />

zur Verfügung. Gelegenheit<br />

zur Besichtigung <strong>der</strong> Sammlungen besteht<br />

regelmäßig jeden Donnerstag von 15.00 bis<br />

17.00 Uhr, zu den monatlichen angekündigten<br />

Sonntagsführungen o<strong>der</strong> auf vorherige<br />

Anfrage. Die meisten Besucher zählt das<br />

Museum bei Ereignissen wie <strong>der</strong> Museumsnacht<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Langen Nacht <strong>der</strong> Wissenschaften.<br />

Für die Studierenden sind die Museumswie<br />

auch die Magazinräume je<strong>der</strong>zeit zugänglich,<br />

zahlreiche Abgüsse sind im Foyer,<br />

in <strong>der</strong> Bibliothek und den Hörsälen<br />

aufgestellt. Diese Präsenz <strong>der</strong> antiken<br />

Kunst wie auch die in Teilen historisch erhaltene<br />

Ausstattung <strong>der</strong> Räume verleiht<br />

dem Institut einen ganz eigenen Charakter,<br />

<strong>der</strong> manche Unzulänglichkeit aufwiegt und<br />

auch von Gästen häufig gewürdigt wird.<br />

Wertschätzung von Tradition verbindet<br />

sich hier mit aktueller und lebendiger Forschung.<br />

W<br />

Der Autor studierte von 1984–1989 Klassische<br />

Archäologie in Halle und ist als Mitarbeiter<br />

am Archäologischen Museum <strong>der</strong><br />

Universität beschäftigt.


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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

VON BERLIN NACH MAGNESIA UND ZURÜCK<br />

DIE LEHR- UND WANDERJAHRE DES HALLESCHEN PHILOLOGEN OTTO KERN<br />

Michael Hillgruber<br />

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Zu den noch immer verborgenen Schätzen unserer Universität wird man gewiss auch die<br />

16 Jugen<strong>der</strong>innerungen zählen dürfen, die <strong>der</strong> Klassische Philologe Otto Kern (1863–1942)<br />

dem Institut für Altertumswissenschaften vor mehr als sechzig Jahren hinterließ. Weihnachten<br />

1939 hatte er sie abgeschlossen, um seinen akademischen Lehrern ein ehrendes<br />

Andenken zu bewahren; eine Veröffentlichung in Buchform aber kam in den folgenden,<br />

vom Krieg überschatteten Jahren nicht zustande, und nur <strong>der</strong> Initiative seiner Frau ist es<br />

zu verdanken, dass das Manuskript nach seinem Tode wenigstens in maschinenschriftliche<br />

Form gebracht wurde. So hat es die Zeiten in einigen wenigen Exemplaren überdauert, ohne<br />

doch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden.<br />

Nun hat sich eine kleine Arbeitsgruppe im<br />

Robertinum zusammengefunden, um eine<br />

kommentierte Neuausgabe vorzubereiten<br />

und damit nicht nur das Versäumte nachzuholen,<br />

son<strong>der</strong>n zugleich einen Gelehrten zu<br />

ehren, <strong>der</strong> sich lange Jahre um das Wohl <strong>der</strong><br />

halleschen Universität verdient gemacht<br />

hat. Von 1907 bis 1931 wirkte er hier als<br />

Ordinarius für Klassische Philologie, wurde<br />

schon neun Jahre nach seiner Berufung<br />

zum Rektor gewählt, führte lange Zeit den<br />

Vorsitz <strong>der</strong> einflussreichen »Gesellschaft<br />

<strong>der</strong> Freunde <strong>der</strong> Universität« und durfte<br />

nach seiner Emeritierung zum Dank für seine<br />

Bemühungen um das Lauchstädter<br />

Theater auch noch die Goethe-Medaille aus<br />

<strong>der</strong> Hand des Reichspräsidenten entgegen<br />

nehmen.<br />

Studienzeit in Berlin<br />

Wer hierzu in den »Erinnerungen« nähere<br />

Informationen sucht, wird freilich enttäuscht.<br />

Denn Kern wollte darin nicht seine<br />

eigene Person in den Mittelpunkt rücken,<br />

son<strong>der</strong>n die tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck<br />

bringen, die er seinen Lehrern gegenüber<br />

empfand. So werden wir statt mit <strong>der</strong><br />

halleschen Professorenzeit mit den jugendlichen<br />

Lehr- und Wan<strong>der</strong>jahren des Autors<br />

konfrontiert und erhalten dabei interessante<br />

Einblicke in die akademische Welt des späten<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, als die deutsche Altertumswissenschaft<br />

auf dem Höhepunkt<br />

ihres Ansehens stand.<br />

Als Sohn eines Gymnasiallehrers, <strong>der</strong><br />

Deutsch und Alte Sprachen unterrichtete,<br />

lernte Kern diese Welt von Kindheit an aus<br />

nächster Nähe kennen. In Schulpforte, wo<br />

<strong>der</strong> Vater 1860 eine Lehrerstelle übernommen<br />

hatte, wurde er geboren, und später, in<br />

Stettin und am Köllnischen Gymnasium in<br />

Berlin, nahm er auch an dessen Unterricht<br />

teil, so dass er rückblickend mit Stolz vermerken<br />

kann, vom Vater persönlich »zu<br />

den Griechen und zu Goethe« geführt worden<br />

zu sein. Auf die Schulzeit folgte seit<br />

dem Frühjahr 1883 ein Studium <strong>der</strong> Klassischen<br />

Philologie und Archäologie in Berlin,<br />

Porträtzeichnung Otto Kerns von Emil<br />

Stumpp (1930)<br />

und hier fand Kern in Hermann Diels und<br />

Carl Robert, dem späteren Namenspatron<br />

des Robertinums, seine wichtigsten akademischen<br />

Lehrer.<br />

Robert, damals selbst noch ein junger<br />

Mann von wenig mehr als dreißig Jahren,<br />

begeisterte die Studenten vor allem durch<br />

seine unkomplizierte Art des Umgangs, die<br />

rasch dazu führte, dass man sich in den<br />

Abendstunden auch außerhalb <strong>der</strong> Universität<br />

traf, um »bei einem Glase Bier und einer<br />

Zigarre« griechische Dramen zu lesen.<br />

Da mit verteilten Rollen operiert wurde<br />

und Robert die schwierigen Chorlie<strong>der</strong><br />

auch schon einmal selbst übernahm, kam<br />

man rasch voran. Die Teilnehmer aber entwickelten<br />

ein festes Gefühl <strong>der</strong> Zusammengehörigkeit,<br />

wollten sich gar zu einem<br />

Verein zusammenschließen und verfielen<br />

schließlich, als Robert sie vor bindenden<br />

Satzungen warnte, auf den kühnen Gedanken,<br />

einen Club <strong>der</strong> Gesetzlosen, die sogenannte<br />

»Anomia«, ins Leben zu rufen.<br />

Kein an<strong>der</strong>er als <strong>der</strong> junge Kern hatte die<br />

Ehre, als erster das Amt des Vorsitzenden<br />

zu übernehmen, und ihm ist es auch zu<br />

verdanken, dass sich eine umfangreiche<br />

Mappe mit Drucksachen, Manuskripten<br />

und Zeichnungen aus jener Zeit bis heute<br />

im Robertinum erhalten hat.<br />

Diels, obwohl nur wenig älter als Robert,<br />

konnte das Schulmeisterliche dagegen nie<br />

ganz ablegen und hatte sich für den Unterricht<br />

»offenbar stets einen Plan gemacht,<br />

nach dem er die Diskussion von vornherein<br />

leitete und den er unbeirrt mit fester Hand<br />

durchführte.« Für Kern hatte dieser strenge<br />

Lehrbetrieb den Vorteil, dass sein Studium<br />

schon bald eine konkrete Richtung erhielt.<br />

Diels betraute ihn in einer seiner Übungen<br />

mit einer Arbeit über die mythographische<br />

Schrift des vorsokratischen Philosophen<br />

Pherekydes von Syros, von wo aus leicht<br />

zu Epimenides und den Orphikern zu gelangen<br />

war, und genau dieser Thematik<br />

widmete <strong>der</strong> junge Gelehrte denn auch seine<br />

1888 erschienene Dissertation. Jahrzehnte<br />

später, als die Professur in Halle<br />

längst erreicht war, nahm Kern den Faden<br />

wie<strong>der</strong> auf, brachte eine Sammlung <strong>der</strong><br />

Orphikerfragmente heraus, die erst im vergangenen<br />

Jahr durch eine neue ersetzt wurde,<br />

und legte schließlich als Summe seiner<br />

religionshistorischen Forschungen auch<br />

noch ein dreibändiges Werk über die »Religion<br />

<strong>der</strong> Griechen« vor.<br />

Eindrucksvolle Wan<strong>der</strong>jahre<br />

Nicht weniger prägend als das Studium<br />

sollten die darauf folgenden Wan<strong>der</strong>jahre<br />

werden, die Kern über Rom und Neapel<br />

nach Griechenland führten. Hier wollte es<br />

<strong>der</strong> Zufall, dass er mit dem bedeutendsten<br />

Philologen <strong>der</strong> Zeit, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff,<br />

zusammentraf, <strong>der</strong> just<br />

zu diesem Zeitpunkt seine zweite Griechenlandreise<br />

antrat. Im Sommer 1885 hatten<br />

sie sich näher kennen gelernt, als Kern<br />

ein Gastsemester in Göttingen verbrachte<br />

und die Lehrveranstaltungen des Meisters<br />

eifrig besuchte. Nun stiegen sie gemeinsam<br />

auf die Athener Akropolis und wan<strong>der</strong>ten<br />

in Begleitung des mit Kern eng befreundeten<br />

Hiller von Gaertringen sowie einiger<br />

Studenten, die Wilamowitz aus Göttingen<br />

mitgebracht hatte, kreuz und quer durch<br />

Attika. Auch die Landschaften Mittelgriechenlands<br />

wurden bereist sowie die<br />

wichtigsten Stätten <strong>der</strong> Peloponnes, wo<br />

sich die Gruppe <strong>der</strong> kundigen Führung<br />

Wilhelm Dörpfelds anvertrauen durfte.<br />

Die überraschendste Wendung aber nahm


Postkarte Otto Kerns an seinen Onkel Max Runge in Göttingen (Athen 25 / VIII. 99)<br />

die ganze Reise, als Kern im Winter 1890<br />

davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass er<br />

an einer Grabung in Magnesia am Mäan<strong>der</strong><br />

teilnehmen sollte, <strong>der</strong>en Leitung das Deutsche<br />

Archäologische Institut Carl Humann<br />

übertragen hatte, dem berühmten Entdecker<br />

von Pergamon. Die äußeren Umstände<br />

waren nicht gerade günstig, da das Ausgrabungsgelände<br />

in einem Sumpfgebiet lag<br />

und erst einmal trockengelegt werden<br />

musste. Am Ende aber wurde die Mühe belohnt,<br />

und auch Kern kam auf seine Kosten,<br />

da er die Auswertung <strong>der</strong> reichen<br />

Inschriftenfunde übernehmen durfte. So<br />

wurde er gleichsam über Nacht und im Felde<br />

zum Epigraphiker und hatte dabei sogar<br />

das Glück, dass sich ein Stein, auf dem zuerst<br />

nur ganz geringe Buchstabenreste un-<br />

ter <strong>der</strong> dicken Sinterschicht zu erkennen<br />

gewesen waren, später als die sogenannte<br />

»Gründungsgeschichte von Magnesia« entpuppte.<br />

»Allein <strong>der</strong> Schlag des Meißels<br />

för<strong>der</strong>te in zwei Sommermonaten die viel<br />

besprochene Urkunde ans Tageslicht, zu<br />

<strong>der</strong>en Textfeststellung mir dann noch Diels<br />

und Hiller wertvolle Hilfe liehen, so dass<br />

ich sie am 6. November 1894 Ernst Curtius<br />

zu seinem 50. Doktorjubiläum in einer<br />

Son<strong>der</strong>schrift überreichen durfte.« Die Bearbeitung<br />

des ganzen Inschriftencorpus<br />

nahm noch Jahre in Anspruch; erst 1900<br />

konnten alle Texte in einer Sammelpublikation<br />

<strong>der</strong> Königlichen Museen zu Berlin<br />

veröffentlicht werden.<br />

Unterdessen hatte sich Kern 1894 mit einer<br />

Arbeit über die magnesischen Inschriften<br />

in Berlin habilitiert, war 1897 als außerordentlicher<br />

Professor nach Rostock berufen<br />

worden und unternahm von dort aus<br />

im Frühjahr und Herbst 1899 nochmals<br />

zwei längere Reisen nach Griechenland, um<br />

die Veröffentlichung des thessalischen<br />

Inschriftencorpus vorzubereiten. Erst danach<br />

waren seine epigraphischen Studien,<br />

die ihm später als ein bloßes »Zwischenspiel«<br />

erscheinen sollten, beendet; <strong>der</strong><br />

Gang nach Halle, <strong>der</strong> ihn mit seinem ehemaligen<br />

Lehrer Robert erneut zusammenführte,<br />

machte den Weg frei für eine Rückkehr<br />

zu den religionshistorischen Themen<br />

<strong>der</strong> Studienzeit.<br />

In zwei Jahren, wenn sich die Berufung<br />

Kerns nach Halle zum hun<strong>der</strong>tsten Male<br />

jährt, soll die kommentierte Edition <strong>der</strong><br />

»Erinnerungen« abgeschlossen sein; auch<br />

eine kleine Ausstellung zum Thema wird<br />

dann eröffnet werden.<br />

W<br />

Der Verfasser studierte 1981–85 Griechische<br />

und Lateinische Philologie sowie Alte<br />

Geschichte an <strong>der</strong> Universität zu Köln,<br />

wurde dort 1986 promoviert und habilitierte<br />

sich 1993 an <strong>der</strong> Universität Bern.<br />

Seit Oktober 1995 ist er Professor für<br />

Klassische Philologie (Gräzistik) an <strong>der</strong><br />

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

...............................................................................<br />

17<br />

Der Stein mit <strong>der</strong> »Gründungsgeschichte von<br />

Magnesia« (O. Kern, Inscriptiones Graecae.<br />

Tabulae in usum scholarum 7, Bonn 1913, 36)


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Klassische Altertumswissenschaften<br />

DAS FACH MITTEL- UND NEULATEIN<br />

AN DER HALLESCHEN UNIVERSITÄT<br />

Thomas Klein<br />

................................................................................<br />

Das Fach Mittel- und Neulateinische Philologie, das im Jahr 2002 an <strong>der</strong> Martin-Luther-<br />

18 Universität eingerichtet wurde, beschäftigt sich mit <strong>der</strong> lateinischen Literatur, Sprache und<br />

Schrift im Zeitraum von 500 bis 1650. Es glie<strong>der</strong>t sich in folgende Bereiche: Mittel- und<br />

neulateinische Texte und Literaturtheorie: Erschließung <strong>der</strong> lateinischen Literatur aller Gattungen<br />

im genannten Zeitraum; Literarhistorische Beziehungen zu profanantiken Autoren,<br />

zur Väterliteratur <strong>der</strong> Spätantike, zu den volkssprachlichen Literaturen des Mittelalters<br />

und <strong>der</strong> Frühen Neuzeit; Formengeschichte: metrische und rhythmische Formen, Reim;<br />

Geschichte <strong>der</strong> lateinischen Sprache im Mittelalter und in <strong>der</strong> Frühen Neuzeit: sprachhistorische<br />

Entwicklungsprozesse, soziale, regionale, funktionale Erscheinungsformen;<br />

Schriftkunde: schriftgenetische Entwicklung von <strong>der</strong> Antike bis zur Frühen Neuzeit, mit<br />

Analyse und Lektüre <strong>der</strong> wichtigsten Schriftarten.<br />

Studiengänge<br />

Im Rahmen des Studiengangs Lateinische<br />

Philologie (Magisterstudiengang) ist <strong>der</strong>zeit<br />

im Hauptstudium eine Spezialisierung auf<br />

das Fach Mittel- und Neulateinische Philologie<br />

möglich. Es können die Abschlüsse<br />

»Magister/Magistra Artium« im Hauptund<br />

Nebenfach erworben werden. Gegenwärtig<br />

wird das Fach im Sinne <strong>der</strong> BA-<br />

MA-Studiengänge umstrukturiert und soll<br />

in einen Studiengang »Klassisches Altertum«<br />

integriert werden.<br />

Forschungsschwerpunkte<br />

Weltchronistik (Guido von Bazoches,<br />

Cronosgraphia); Pragmatische Schriftlichkeit<br />

(Alexan<strong>der</strong> Neckam; Gilles de<br />

Corbeil, Medizinische Lehrschriften; Konrad<br />

von Mure); Gen<strong>der</strong>-Studies: Mathieu<br />

de Boulogne; Christine de Pizan; Jehan<br />

Lefèvre; Liebeslyrik des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

(Kommentar zu den Liebeslie<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Carmina Burana); Lateinische Tierdichtung<br />

(Epos; Fabel) des Mittelalters<br />

und <strong>der</strong> Frühen Neuzeit; Hagiographie<br />

(Theophilus; Alexius; Brendan; Thomas<br />

Becket); Verssatire und Invektive (Gilles<br />

de Corbeil, Hierapigra ad purgandos<br />

prelatos; Michael of Cornwall); Exempelliteratur<br />

des Hochmittelalters (Petrus-<br />

Alfonsi-Rezeption); Schwankliteratur.<br />

Derzeitige Projekte<br />

1. Eine im Zusammenhang mit <strong>der</strong> von<br />

Thomas Klein vorgelegten Edition des mittellateinischen<br />

Autors Odo von Magdeburg<br />

(13. Jahrhun<strong>der</strong>t) stehende Studie zur<br />

Literaturlandschaft des Erzbistums<br />

Magdeburg vom 10. Jahrhun<strong>der</strong>t bis<br />

zur Frühen Neuzeit. Eine solche wurde<br />

bereits von Seiten <strong>der</strong> älteren Germanistik<br />

für diesen Literaturraum vorgelegt.<br />

2. DFG-Projekt: Fortschreiben des Supplementbandes<br />

zum »Bonner Incipitarium«:<br />

Schaller/Könsgen, Initia carminum<br />

Latinorum saeculo undecimo antiquiorum,<br />

Bibliographisches Repertorium<br />

für die lateinische Dichtung <strong>der</strong><br />

Antike und des früheren Mittelalters,<br />

das 1977 mit einem Basisband begonnen<br />

hatte und mit einem ersten Supplementband<br />

von 2005 aktualisiert wurde. Hauptsächliches<br />

Ziel dieser nun in Form einer<br />

Internet-Datenbank geplanten Fortführung<br />

ist es, Fachwissenschaftlern, Forschungsinstitutionen<br />

wie auch den Handschriftenabteilungen<br />

<strong>der</strong> Staats- und Universitätsbibliotheken<br />

im In- und Ausland ein zuverlässiges<br />

Arbeitsinstrument an die Hand zu<br />

geben, das einerseits ein rasches Identifizieren<br />

häufig anonym überlieferter Dichtung<br />

aus Antike und frühem Mittelalter erlaubt,<br />

an<strong>der</strong>erseits den aktuellen Forschungsstand<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Verfasserschaft,<br />

des Editionsortes, <strong>der</strong> Überlieferung<br />

wie auch <strong>der</strong> Interpretation in Kurzform<br />

dokumentiert.<br />

3. Ergänzung und bibliographische Aktualisierung<br />

<strong>der</strong> mittelalterlichen und<br />

frühneuzeitlichen Handschriftenbestände<br />

<strong>der</strong> ULB Halle/Saale. Bibliographisch<br />

aktualisierte und um den Bereich<br />

<strong>der</strong> Frühen Neuzeit (bis 1650) erweiterte<br />

Neuauflage des von Jutta Fliege seinerzeit<br />

in maschinenschriftlicher Form vorgelegten<br />

Interimskataloges <strong>der</strong> ULB Halle/Saale.<br />

(Drittmittelprojekt, demnächst beim Land<br />

Sachsen-Anhalt För<strong>der</strong>ung beantragt)<br />

4. Eine gemeinsam mit Dieter Scheler (Universität<br />

Bochum) geplante kommentierte<br />

Ausgabe <strong>der</strong> neun Bücher mit insgesamt<br />

5923 Versen umfassenden Klerikersatire<br />

»Hierapigra ad purgendos prelatos« des<br />

hochmittelalterlichen Medizinschriftstellers<br />

Gilles de Corbeil. Dieter Scheler<br />

wird für die historischen Teile <strong>der</strong> Arbeit<br />

verantwortlich sein.<br />

W<br />

Der Autor studierte von 1979–1985 in<br />

Bonn Klassische Philologie, Mittellateinische<br />

Philologie und Philosophie. 1985<br />

wurde er in Bonn in <strong>der</strong> Klassischen Philologie<br />

promoviert und 1997 habilitierte er<br />

sich für Lateinische Philologie des Mittelalters<br />

und <strong>der</strong> Neuzeit. 2002 folgte er dem<br />

Ruf auf die Professur für Lateinische Philologie<br />

des Mittelalters und <strong>der</strong> Neuzeit an<br />

<strong>der</strong> Martin-Luther-Universität in Halle.<br />

Giebel des Robertinums mit dem Kopf <strong>der</strong> Göttin Pallas Athena, Schutzherrin <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

und Künste Foto: Archiv Robertinum


NOMADEN UND SESSHAFTE IN STEPPEN UND STAATEN<br />

GESCHICHTE UND GEGENWART IM SFB 586<br />

Stefan Le<strong>der</strong><br />

Nomaden sind seit Jahrtausenden Teil und Träger <strong>der</strong> Zivilisationen im altweltlichen<br />

Trockengürtel von Marokko im Westen bis Nordchina im Osten. So wurden sie allerdings<br />

nicht immer wahrgenommen. Die Wissenschaft hat erst vor wenigen Jahrzehnten gelernt,<br />

Nomaden nicht als ein separates gesellschaftliches Phänomen, als eine faszinierende Son<strong>der</strong>form<br />

menschlicher Lebensweisen zu sehen, son<strong>der</strong>n konsequent als Teil übergreifen<strong>der</strong><br />

gesellschaftlicher Gefüge zu betrachten.<br />

Damit erscheint die Bedeutung von Nomaden<br />

in einem neuen Licht. Im langen Atem<br />

<strong>der</strong> Geschichte bildeten nomadische Bevölkerungen<br />

– auch quantitativ eine bedeutsame<br />

Größe – eigene Lebensformen aus,<br />

standen aber stets mit sesshaften Gesellschaften<br />

in mehr o<strong>der</strong> weniger engem Kontakt<br />

und haben Institutionen, soziale<br />

Strukturen und Wertvorstellungen mitgeprägt.<br />

Nomadische Mobilität prägt eigene Lebensformen.<br />

Stetig zyklisches Wan<strong>der</strong>n, in<br />

<strong>der</strong> Regel in Stammes- bzw. Familiengruppen,<br />

bedingt räumlichen und kulturellen<br />

Abstand zu sesshaften Gesellschaften.<br />

Dies lässt sich auch bei Roma und an<strong>der</strong>en<br />

fahrenden Völkern in Europa beobachten.<br />

Wirtschaftsweise, soziale Organisation,<br />

Rechtswesen, Normenwelt, Sprache und<br />

materielle Kultur von Nomaden unterscheiden<br />

sich in <strong>der</strong> Regel deutlich von ihrer sozialen<br />

Umgebung.<br />

Vielfalt <strong>der</strong> Lebensformen<br />

Nomadische Lebensverhältnisse weisen allerdings<br />

eine beachtliche Vielfalt auf. Beson<strong>der</strong>s<br />

springt das historische Modell <strong>der</strong><br />

berittenen Hirtennomaden ins Auge. Hochmobil<br />

und mobilisierbar, konnten sie sich<br />

lange gegen Staatswesen sesshafter Gesellschaften<br />

behaupten. Ihre zum Teil weit<br />

ausgreifenden Wan<strong>der</strong>bewegungen hatten<br />

nicht selten sesshaft besiedelte Territorien<br />

zum Ziel und konnten diese unter Druck<br />

setzen. Mit <strong>der</strong> Kontrolle über Transportwege<br />

und als dienstbare berittene Streitmächte<br />

verfügten sie neben ihren Herden<br />

über bedeutende Ressourcen, die sich nur<br />

im Kontakt mit sesshaften Gesellschaften<br />

erschlossen. Aber auch Kleinviehnomaden<br />

in den Steppen- o<strong>der</strong> Berggebieten haben<br />

seit alters neben nomadisierenden Formen<br />

<strong>der</strong> Weidenutzung an<strong>der</strong>e ökonomische Aktivitäten,<br />

wie sporadischen Landbau o<strong>der</strong><br />

Lohnarbeit, verfolgt.<br />

Auf diese Weise sind nomadische und sesshafte<br />

Lebensformen seit alters miteinan<strong>der</strong><br />

verflochten. Friedliche Tauschbeziehungen<br />

stehen dabei neben im Einzelnen recht unterschiedlichen,<br />

zum Teil epochalen Konfliktkonstellationen,<br />

die von spezifischen<br />

Interessen, Werten und Identitäten geprägt<br />

sind. Ein Echo dieser Verhältnisse sind das<br />

Misstrauen, die Verachtung, aber auch die<br />

zivilisationskritische Idealisierung, welche<br />

sesshafte Mehrheitsgesellschaften in <strong>der</strong><br />

Regel <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Gesellschaft von Nomaden<br />

entgegenbringen. Umgekehrt erweisen<br />

sich gesellschaftliche Strukturen und ha-<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Son<strong>der</strong>forschungsbereich 586<br />

...............................................................................<br />

dings verlaufen diese Entwicklungen bis in<br />

die Gegenwart regional sehr unterschiedlich.<br />

Ökonomische und soziale Rahmenbedingungen,<br />

oft im Verein mit kulturellen Traditionen,<br />

können das Überleben pastoralistischer<br />

Nischen- und Reservewirtschaft,<br />

mitunter auch die Rückkehr zur nomadischen<br />

Weidenutzung för<strong>der</strong>n.<br />

Vieles spricht dafür, dass die mobile Nutzung<br />

natürlicher Weiden Zukunft hat. Fernund<br />

Wan<strong>der</strong>weidewirtschaft wird heute unter<br />

extremen Bedingungen in ariden Gebieten<br />

sowie in <strong>der</strong> Tundra, in <strong>der</strong> Regel unter<br />

Verwendung motorisierten Transports<br />

praktiziert. Mancherorts weist diese Wirt-<br />

Nomadenlager in Oussikis, Marokko. Obwohl die Nomaden scheinbar »traditionell« wirtschaften,<br />

sind sie doch in (inter)nationale Arbeits- und Warenmärkte eingebunden: Einzelne Familienmitglie<strong>der</strong><br />

sind als Arbeitsmigranten in marokkanischen Großstädten o<strong>der</strong> in Europa tätig;<br />

die Gerste für die Tiere kommt vorwiegend aus den USA. Foto: Ingo Breuer<br />

bituelle Eigenheiten von Nomaden als langlebig,<br />

auch nachdem sie ihre mobile Lebensweise<br />

aufgegeben haben.<br />

Nomaden von heute<br />

Die komplizierten Verhältnisse <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

wirken noch heute fort. Zwar lässt<br />

die mo<strong>der</strong>ne Welt berittenen Hirtennomaden<br />

nur mehr wenig Platz. Im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

haben sich in den meisten Gebieten<br />

Ordnungsmächte etabliert und mo<strong>der</strong>ne<br />

Transportmittel durchgesetzt. Kampagnen<br />

zur Sesshaftmachung von Nomaden, die<br />

Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit<br />

durch Staatsgrenzen, aber auch die Vorteile<br />

neuer Einkommensquellen ließen die auf<br />

Nomadismus gründenden Lebensformen<br />

allgemein an Bedeutung verlieren. Aller-<br />

schaftsweise Zuwachsraten auf. Ökologisch<br />

angepasste, mobile Weidewirtschaft durch<br />

staatlich beaufsichtige und gezähmte Nomaden<br />

erscheint nationalen und <strong>international</strong>en<br />

Agenturen heute wie<strong>der</strong> als eine sinnvolle<br />

Option für regionale Entwicklungen. Allerdings<br />

müssen dazu tradierte Gewohnheiten,<br />

lokale Interessengegensätze und historisch<br />

gewachsene Feindbil<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>iert und<br />

überwunden werden.<br />

SFB mit zahlreichen Teilprojekten<br />

Geschichte und Gegenwart des Zusammenwirkens<br />

nomadischer und sesshafter Lebensformen<br />

prägen bis heute das Antlitz<br />

weiter Gebiete unserer Welt. In einem Son<strong>der</strong>forschungsbereich<br />

<strong>der</strong> Universitäten in<br />

Halle und Leipzig wird die Wirkungsweise<br />

19


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scientia halensis 1/2005<br />

Son<strong>der</strong>forschungsbereich 586<br />

................................................................................<br />

dieses Verhältnisses nun bereits in <strong>der</strong><br />

20 zweiten För<strong>der</strong>phase (2004 bis 2008) in<br />

insgesamt 20 Teil- und Unterprojekten untersucht.<br />

Historiker, Archäologen, Geographen,<br />

Orientwissenschaftler und Ethnologen<br />

arbeiten zusammen, um die Bedingungen<br />

und Folgen von Kohabitation und<br />

Konfrontation <strong>der</strong> Lebensformen zu verstehen.<br />

Dabei wird auch nach den Gründen<br />

und Modalitäten für Verschwinden o<strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>aufleben von nomadischen Lebensformen<br />

gefragt, und es werden die Sichtweisen<br />

aufgenommen, mit denen die Unterschiedlichkeit<br />

<strong>der</strong> Lebensweisen reflektiert<br />

und legitimiert werden.<br />

Die Zusammenarbeit von Spezialisten auch<br />

für weit zurückliegende Epochen mit empirisch<br />

arbeitenden Sozialwissenschaftlern<br />

ist eine Herausfor<strong>der</strong>ung, weil evidente<br />

Verän<strong>der</strong>ungen und Diskontinuitäten <strong>der</strong><br />

Geschichte in die Verständigung über Vergleichbares<br />

einzubeziehen sind. Wie immer<br />

in <strong>der</strong>artigen Forschungsverbünden, vollzieht<br />

sich die Arbeit durch eine Vielzahl<br />

von Perspektiven und Ansätzen, aus denen<br />

sich ein Gesamtbild zusammensetzt.<br />

Hirtengesellschaften, die in <strong>der</strong> Nähe von<br />

Städten temporäre Siedlungsplätze unterhielten,<br />

lebten schon früh mit sesshaften<br />

staatlichen Organisationen zusammen, wie<br />

die Archive des Stadtstaates von Mari am<br />

Euphrat (19./18. Jh. v. Ch.) in allen Einzelheiten<br />

belegen. Hier lässt sich verfolgen,<br />

wie das Verlangen staatlicherseits, die teil-<br />

Fragment einer Stele, von einem ehem. nomadischen<br />

Amurriter für das Wohlergehen<br />

Hammurabis geweiht (18. Jh. v. Chr.)<br />

Ruine <strong>der</strong> mittelalterlichen Burg von Tadmur (Palmyra), Syrien Foto: Dr. Kurt Franz<br />

weise nomadischen Hirtengruppen zu kontrollieren<br />

und zu besteuern, ausbalanciert<br />

werden musste mit dem Vermögen <strong>der</strong> mobilen<br />

Hirten, sich staatlicher Kontrolle zu<br />

entziehen und Beziehungen nach außen<br />

aufzubauen.<br />

Auswirkung <strong>der</strong> Nomaden<br />

auf ihre Umgebung<br />

Mit <strong>der</strong> Domestizierung des Pferdes und<br />

den resultierenden mobilen Lebensformen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e dem Aufkommen von pferdezüchtenden<br />

Reiternomaden im 2. Jahrtausend<br />

v. Ch., und mit <strong>der</strong> Nutzung des Kamels<br />

als Pack- und Reittier seit Anfang des<br />

1. Jahrtausends v. Ch. entwickelte sich eine<br />

raumgreifende, zum Teil kriegerisch auftretende<br />

nomadische Mobilität.<br />

Zu den Folgen dieser Entwicklung gehört,<br />

dass das Bild waffentragen<strong>der</strong> Nomaden,<br />

wie auch Bestandteile ihrer Ausrüstung<br />

weithin Verbreitung fanden und zu einer<br />

Art Leitbild wurden. Nomadisch geprägte<br />

Herrschaften bzw. Staatsgebilde, wie sie<br />

zum Beispiel im Fruchtbaren Halbmond<br />

des 11. Jh. zu studieren sind o<strong>der</strong> durch<br />

Usbeken im 16. Jh. Gestalt annahmen, zei-<br />

gen exemplarisch die Möglichkeiten und<br />

Grenzen <strong>der</strong> Anpassungsfähigkeit von Nomaden<br />

an die institutionellen Erfor<strong>der</strong>nisse<br />

einer politischen Ordnungsmacht. Am Beispiel<br />

des Nahen Ostens lässt sich zudem<br />

im Detail zeigen, mit welch erheblichem<br />

Aufwand – und welchen Fehlschlägen – die<br />

Versuche verbunden waren, Nomaden zu<br />

beherrschen und integrierende Nomadenpolitik<br />

zu leisten. Für Nordafrika ist nachzuweisen,<br />

dass die nomadische bzw. überwiegend<br />

nomadisch geprägten Umgebung<br />

selbst auf die römische Herrschaft Auswirkungen<br />

zeigte, indem die Domänenwirtschaft<br />

hier eigene Verwaltungs- und<br />

Rechtsformen entwickelte.<br />

Kennzeichnend für diese Wechselwirkungen<br />

sind nicht »Nomadensturm« o<strong>der</strong><br />

»Nomadenstaat«, son<strong>der</strong>n das Einwirken<br />

von Nomaden auf Gesellschaften und Staaten.<br />

Wenn heute gut bewaffnete Milizen<br />

von Hirtennomaden im Westen des Sudan<br />

gegen die bäuerliche Bevölkerung des Darfûr<br />

zu Felde ziehen, scheint damit auch ein<br />

uralter Gegensatz weiterzuleben. Doch<br />

handelt es sich nicht nur um einen Streit<br />

um Ressourcen in <strong>der</strong> Rivalität zwischen<br />

Weide und Feld, son<strong>der</strong>n um eine Konfliktkonstellation,<br />

die aus vorherigen Konflikten<br />

und politischen Rahmenbedingungen<br />

resultiert und aus dieser Dynamik unter<br />

an<strong>der</strong>em zu <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Janjaweed-Banden<br />

durch die sudanesische Regierung<br />

führte.<br />

Diese Situation hat etwas Exemplarisches<br />

für Gegenwart und Geschichte. Auch die<br />

gegenwärtigen entwicklungspraktischen<br />

Perspektiven des befriedeten Nomadismus<br />

in Tibet und Zentralasien, im arabischen<br />

Nahen Osten und in Nordafrika werden<br />

wesentlich auf nationalen und <strong>international</strong>en<br />

Politikfel<strong>der</strong>n, oft fern ab vom Ort des<br />

Geschehens, bestimmt. Es bleibt eine Aufgabe<br />

<strong>der</strong> beobachtenden o<strong>der</strong> begleitenden<br />

Wissenschaft, die wirtschaftlichen Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> mobilen Weidewirtschaft und<br />

die soziale Funktion einer nomadischen<br />

o<strong>der</strong> als nomadisch wahrgenommenen Lebensweise<br />

aus dem lokalen Kontext in die<br />

Entscheidungsprozesse einzubringen.<br />

Ebenso gilt die Bedeutung politischer Rah-


Hirtenjunge in <strong>der</strong> Westmongolei Foto: Uta Schilling<br />

menbedingungen für das historische Verhältnis<br />

zwischen Nomaden und Sesshaften.<br />

Denn die Einfälle mächtiger Nomadenverbände<br />

aus den Steppen, zum Beispiel<br />

zur Zeit <strong>der</strong> von Djingis Khan geführten<br />

Mongolen im 13. Jahrhun<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> zur<br />

Zeit <strong>der</strong> Expansion arabischer Stämme im<br />

7. Jahrhun<strong>der</strong>t, sind spektakuläre Ausnahmeerscheinungen.<br />

Ermöglicht durch das<br />

Wirken einer nach innen einigenden Idee<br />

bzw. Religion, waren sie begünstigt durch<br />

die Zustände in den eroberten Gebieten –<br />

China und Byzanz. Die Eroberungen gingen<br />

auch mit einer raschen Anpassung <strong>der</strong><br />

Nomaden an die sesshafte Lebensweise<br />

Rentiernomaden bei <strong>der</strong> Migration auf<br />

<strong>der</strong> Halbinsel Yamal, Westsibirien<br />

Foto: Dr. Florian Stammler<br />

und Staatsorganisation einher.<br />

Die Wirkung des Nomadentums liegt auch<br />

in alternativen Weltsichten und Lebensauffassungen.<br />

Wie Beschreibungen <strong>der</strong> Schönheiten<br />

des Nomadenlebens, im arabischen<br />

Kontext schon seit <strong>der</strong> Spätantike bekannt,<br />

verdeutlichen können, regt die Differenz<br />

<strong>der</strong> nomadischen Lebensform zu den Lebensverhältnissen<br />

sesshafter Gesellschaften<br />

die Bildung von Konzeptionen an, in<br />

denen die symbolische Repräsentanz des<br />

Nomaden kollektiv wirksame Identifikationsangebote<br />

machen kann. Diese Vorstellungen<br />

erzeugten eigene, im arabischen<br />

Kontext beson<strong>der</strong>s lang anhaltende Wir-<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Son<strong>der</strong>forschungsbereich 586<br />

...............................................................................<br />

kungen. Der nomadische Ursprung <strong>der</strong><br />

Kasachen wird heute in Kasachstan als<br />

eine quasi nationale Identität betrachtet.<br />

Üblicher noch ist die Funktionalisierung<br />

des Negativbildes. Seit alter Zeit gilt in vielen<br />

Gesellschaften <strong>der</strong> Nomade als zivilisationsbedrohen<strong>der</strong><br />

Eroberer, o<strong>der</strong>, wie im<br />

kolonialen Kontext des zaristischen Russland,<br />

als ein kulturell inferiorer Wil<strong>der</strong> und<br />

– in <strong>der</strong> komplementären Idealisierung – als<br />

ein Wil<strong>der</strong>, <strong>der</strong> ursprüngliche menschliche<br />

Fähigkeiten bewahrt. Wesentliche Teile <strong>der</strong><br />

Geschichte werden durch diese tradierten<br />

Wahrnehmungsraster, die uns auch in <strong>der</strong><br />

aramäischen Literatur wie<strong>der</strong> begegnen, allerdings<br />

gänzlich ignoriert und müssen erst<br />

freigelegt werden.<br />

Tatsächlich haben Nomaden nicht im Gegeneinan<strong>der</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n immer wie<strong>der</strong> im zivilisatorischen<br />

Miteinan<strong>der</strong> gewirkt. Nomadisch<br />

geprägte Städte wie Hatra und<br />

Hira, die im Irak an <strong>der</strong> Grenze zum Steppenland<br />

gelegen in <strong>der</strong> 1. Hälfte des 1.<br />

Jahrtausends n. Ch. blühten, sind Beispiele<br />

sowohl für die politische Integration in die<br />

persischen Großreiche wie für die komplexe<br />

Funktionalität <strong>der</strong> Mischung nomadischer<br />

und sesshafter Elemente bei den Bewohnern.<br />

Nomaden und Sesshafte bilden in <strong>der</strong> Geschichte<br />

ein Beziehungsgeflecht, in dem<br />

sich auf fast allen Ebenen gesellschaftlichen<br />

Handelns Differenzaspekte und Konfliktlinien<br />

mit integrativen Bewegungen von<br />

beiden Seiten überkreuzen. Wenn diese für<br />

die Gegenwart immer noch prägenden Verhältnisse<br />

nun systematisch wahrgenommen<br />

werden können, entsteht ein neuer Baustein<br />

für unser Verständnis von Geschichte<br />

und Gesellschaft weiter Teile Afrikas und<br />

Asiens.<br />

W<br />

Der Autor ist Sprecher des Son<strong>der</strong>forschungsbereichs<br />

586 »Differenz und Integration<br />

– Wechselwirkung zwischen nomadischen<br />

und sesshaften Lebensformen in<br />

Zivilisationen <strong>der</strong> Alten Welt«<br />

(www.nomadsed.de)<br />

21


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scientia halensis 1/2005<br />

Seminar für Jüdische Studien<br />

JÜDISCHE TRADITION IN DER FORSCHUNG<br />

DAS SEMINAR FÜR JÜDISCHE STUDIEN IN HALLE<br />

Gerold Necker<br />

................................................................................<br />

Die heutige wissenschaftliche Beschäftigung mit jüdischer Kultur, Philosophie und Ge-<br />

22 schichte blickt auf eine Entwicklung zurück, die zwei verschiedene Wurzeln hat: die christliche<br />

Hebraistik, <strong>der</strong>en Anfänge in <strong>der</strong> Renaissance liegen, und die Wissenschaft des Judentums,<br />

eine jüdisch-emanzipatorische Bewegung, die auf dem Hintergrund <strong>der</strong> Aufklärung in<br />

Deutschland entstand und sich bald in Europa und Amerika verbreitete. Beide sind Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Wissenschaftsgeschichte <strong>der</strong> Universitäten Wittenberg und Halle. Reformatoren,<br />

Theologen und Orientalisten hatten von Anbeginn ein großes Interesse an <strong>der</strong> Erforschung<br />

<strong>der</strong> hebräischen Sprache und entwickelten nicht nur eine rege Tätigkeit auf dem Gebiet<br />

<strong>der</strong> Bibelwissenschaft, son<strong>der</strong>n integrierten auch das Studium nachbiblischer hebräischer<br />

und jiddischer Literatur in das universitäre Curriculum.<br />

Die Ausbildung jüdischer Studenten hat an<br />

<strong>der</strong> Universität Halle eine lange Tradition:<br />

Nach <strong>der</strong> Universität Frankfurt/O<strong>der</strong> war<br />

die 1694 gegründete Alma mater Fri<strong>der</strong>iciana<br />

die zweite preußische Universität, die<br />

bereits ab 1695 jüdische Studenten in großer<br />

Zahl zum Medizinstudium zuließ.<br />

Ein neues Fach<br />

Die Judaistik, die erst in den sechziger Jahren<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts Eingang in die<br />

deutschen Universitäten fand, wird seit<br />

1997 in Halle durch Prof. Giuseppe Veltri<br />

als Lehrstuhlinhaber vertreten. Prof. Veltri<br />

begründete 1998 auch das Leopold-Zunz-<br />

Zentrum zur Erforschung des europäischen<br />

Judentums an <strong>der</strong> Stiftung LEUCOREA in<br />

Wittenberg. Unter seiner Ägide wird die<br />

Verbandszeitschrift <strong>der</strong> European Association<br />

for Jewish Studies und die monographische<br />

Reihe Studies in European Judaism<br />

herausgegeben.<br />

Das Seminar für Jüdische Studien an <strong>der</strong><br />

Martin-Luther-Universität hat es sich zur<br />

Aufgabe gemacht, Philosophie, Literatur<br />

und Geschichte des Judentums wissenschaftlich<br />

zu erforschen und als Hauptund<br />

Nebenfach zu lehren. Dabei sind sowohl<br />

die inner-jüdischen Entwicklungen als<br />

auch die Wechselwirkungen mit <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Umgebung von Belang. Mittelpunkte<br />

bilden die Spätantike (2.–7. Jahrhun<strong>der</strong>t)<br />

sowie Europa vom 16. bis 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

In beiden Epochen stand das Judentum im<br />

Spannungsfeld von produktiver Akkulturation<br />

und Bewahrung <strong>der</strong> eigenen Identität.<br />

Alte Quellen<br />

Vor zwei Jahren begann in Zusammenarbeit<br />

mit Prof. Erich Zenger von <strong>der</strong> Universität<br />

Münster das DFG-Projekt Midrasch<br />

Tehillim. Der Midrasch Tehillim ist ein<br />

spannendes Zeugnis für den exegetischen<br />

Umgang <strong>der</strong> Rabbinen mit den Psalmen.<br />

Die Zweigbibliothek Judaistik befindet<br />

sich in Haus 31 <strong>der</strong> Franckeschen Stiftungen.<br />

Sie umfasst neben dreißig<br />

judaistischen Fachzeitschriften, die<br />

laufend bezogen werden, zur Zeit insgesamt<br />

ca. 9 000 Bände. Der Grundbestand<br />

wurde z. T. mit Mitteln <strong>der</strong><br />

VW-Stiftung erworben.<br />

Einbeziehung aller wichtigen Manuskripte,<br />

einschließlich <strong>der</strong> Fragmente aus <strong>der</strong> berühmten<br />

Geniza in Kairo, soll eine vorlagengetreue,<br />

kolumnen-synoptische Edition<br />

mit kritischem Apparat erstellt werden.<br />

Die wichtigsten Textzeugen <strong>der</strong> vier verschiedenen<br />

Rezensionen können in dieser<br />

Ausgabe parallel gelesen werden, alle an<strong>der</strong>en<br />

Handschriften sind im Apparat vertreten.<br />

Geplant ist auch die Überführung in<br />

eine elektronische Editionsform. Mit die-<br />

Makulaturfragment Ms. Hr. 15, Nr. 23v (Marburg, Hessisches Staatsarchiv)<br />

Midrash Tehillim 19:ll–15 und 22:15–17<br />

Die ältesten Texte dieser Schrift sind in talmudischer<br />

Zeit entstanden, die Endredaktion<br />

fand jedoch erst im Mittelalter statt.<br />

Mit computergestützter Texterfassung und<br />

sem Projekt soll eine neue Textgrundlage<br />

sowohl für die weitere Forschung an Midrasch<br />

Tehillim als auch für wissenschaftlich<br />

fundierte Übersetzungen in mo<strong>der</strong>ne<br />

Sprachen geschaffen werden.<br />

Nach zwei abgeschlossenen Habilitationen<br />

ANZEIGE


(Hanna Liss, Gianfranco Miletto) wird nun<br />

ein weiteres Habilitationsprojekt von Gerold<br />

Necker am Seminar vorbereitet: Abraham<br />

Cohen de Herrera, Leben und Werk<br />

eines jüdischen Grenzgängers im Barock.<br />

Historischer Hintergrund sind die Migrationsbewegungen<br />

<strong>der</strong> aus Spanien und Portugal<br />

vertriebenen Juden, die sich noch bis<br />

weit ins 17. Jahrhun<strong>der</strong>t in <strong>der</strong> kontinuierlichen<br />

Flucht vor <strong>der</strong> Inquisition fortsetzten.<br />

Das führte nicht nur zum Aufschwung<br />

neuer jüdischer Zentren in Europa (Hamburg,<br />

Amsterdam), son<strong>der</strong>n auch zu einer<br />

eigenwilligen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

Kultur des Siglo de Oro. Die abenteuerliche<br />

Lebensgeschichte von Abraham Cohen<br />

de Herrera (gest. 1635), die ihn von <strong>der</strong><br />

Toskana nach Spanien, in die Gefangenschaft<br />

nach England und schließlich in die<br />

jüdische Gemeinde von Amsterdam führte,<br />

ist typisch für das wechselvolle Schicksal<br />

vieler von <strong>der</strong> Iberischen Halbinsel stammenden,<br />

unter Zwang zum Christentum<br />

konvertierten Juden, den sogenannten<br />

Marranos. Herreras Werke reflektieren sowohl<br />

den christlichen Bildungsstand seiner<br />

Zeit als auch die umfassende Kenntnis jü-<br />

discher Mystik und Traditionsliteratur.<br />

Mit dieser Biographie soll in exemplarischer<br />

Weise das facettenreiche Bild des<br />

sefardischen Judentums <strong>der</strong> frühen Neuzeit<br />

innerhalb <strong>der</strong> christlichen Kultur beleuchtet<br />

werden.<br />

Jüdische Musik hat wohl je<strong>der</strong> schon einmal<br />

gehört. Aber jiddische Lie<strong>der</strong> des 16.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts? Diana Matut, seit 2003<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, ediert zur<br />

Zeit eine <strong>der</strong> ältesten bekannten jiddischen<br />

Liedsammlungen. Dieses Manuskript wurde<br />

vermutlich um 1600 in Worms verfasst<br />

und beinhaltet nicht nur hebräisch-jiddische,<br />

son<strong>der</strong>n auch deutsche Volkslie<strong>der</strong> in<br />

hebräischen Buchstaben sowie mehrere<br />

Purimstücke und -lie<strong>der</strong>, die den berühmten<br />

Fastnachtspielen des Hans Sachs nicht<br />

unähnlich sind. Die Handschrift ist somit<br />

ein außergewöhnliches Zeugnis des christlich-jüdischen<br />

Kulturtransfers. Das Projekt<br />

geht jedoch über eine reine Edition <strong>der</strong> Texte<br />

weit hinaus. Diana Matut widmet sich<br />

auch <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Verbreitung und Publikation<br />

<strong>der</strong> Lie<strong>der</strong>, ihren Aufführungsorten<br />

und -gelegenheiten sowie <strong>der</strong> musikalischen<br />

Aufführungspraxis jener Zeit.<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Seminar für Jüdische Studien<br />

...............................................................................<br />

Seit 2001 werden am Seminar für Judaistik<br />

unter <strong>der</strong> bibliothekarischen Betreuung von<br />

Andreas Döhrer und Lucie Renner die ca.<br />

6 000 Bände <strong>der</strong> Privatbibliothek von Rabbiner<br />

H. Hominer (Jerusalem), die 1997 erworben<br />

wurde, mit Mitteln <strong>der</strong> DFG katalogisiert.<br />

Der Großteil dieser Bände<br />

stammt aus Israel, aber auch aus verschiedenen<br />

Druckorten in Osteuropa (Warschau,<br />

Lemberg, Wilna), <strong>der</strong> Heimat von<br />

Hominers Vater. Einige Ausgaben sind inzwischen<br />

selten und bieten einen Fundus<br />

für Forschungen auf verschiedenen Gebieten.<br />

W<br />

Gerold Necker studierte Theologie in Tübingen,<br />

Bonn und Berlin und Judaistik in<br />

Köln, Berlin und Jerusalem; Promotion<br />

(1999) im Fach Judaistik an <strong>der</strong> Freien<br />

Universität Berlin, danach Hochschulassistent<br />

am Seminar für Judaistik in<br />

Frankfurt am Main sowie Kurt-David-<br />

Brühl-Gastprofessor an <strong>der</strong> Universität<br />

Graz. Seit 2002 ist er Dozent für Jüdische<br />

Studien an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg.<br />

23


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Arabistik/Islamwissenschaft<br />

ES GIBT KEINEN DEUTSCHEN KORAN –<br />

OB MAN ÜBERSETZUNGEN DENNOCH TRAUEN KANN?<br />

Studierende des Instituts für Orientalistik haben es untersucht<br />

................................................................................<br />

Der Koran ist die Offenbarungsschrift des Islam und damit <strong>der</strong> wichtigste Bezugstext für<br />

24 Millionen von muslimischen Mitbürgern. Das Naheliegendste scheint daher, sich in einer<br />

deutschen Übersetzung ein Bild über die Fundamente des islamischen Glaubens zu machen.<br />

Für Muslime ist <strong>der</strong> Koran bekanntlich nicht Menschenwerk, son<strong>der</strong>n Gotteswort.<br />

Bedeutungsvielfalt und -tiefe des arabischen Wortlauts, <strong>der</strong> selbst dem Kenner dieser Sprache<br />

Rätsel aufgibt, können demnach nicht vollständig und gültig in eine an<strong>der</strong>e Sprache<br />

übertragen werden.<br />

Aber auch unabhängig von dieser Sichtweise<br />

bemerkt man, dass <strong>der</strong> Text in Aufbau<br />

und Stil unseren Lesegewohnheiten wi<strong>der</strong>spricht<br />

und sich nicht leicht erschließt.<br />

Sprunghafte Wechsel von Themen und<br />

Redeformen prägen den Text. Aussagen<br />

werden oft in elliptischer Form vorgetragen<br />

und nehmen Bezug auf die gedanklichen<br />

Ausgangspositionen unterschiedlicher<br />

Adressaten. Emphatische Ausdrucksformen<br />

mit unüblichem Satzbau, Metaphern,<br />

leitmotivische Formeln und Reime ergänzen<br />

die rhetorische Gestaltung. Einzelne<br />

Begriffe werden mit vielen Bedeutungsvarianten<br />

benutzt. Diese Eigenschaften ergeben<br />

einen in Komposition, Semantik und<br />

Redeformen hochkomplexen, schwer ergründbaren<br />

und gerade deshalb faszinierenden<br />

Text.<br />

Das generell geltende Unvermögen, alle Eigenheiten<br />

eines Originals zu übertragen,<br />

verlangt in diesem Falle noch dringlicher als<br />

gewöhnlich eine Entscheidung: Welche Aspekte<br />

des Quellentextes können und sollen<br />

bei <strong>der</strong> Übertragung in die Zielsprache berücksichtigt<br />

werden? Eine primäre, gleichwohl<br />

längst nicht immer befriedigend eingelöste<br />

For<strong>der</strong>ung betrifft die korrekte Wie<strong>der</strong>gabe<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> syntaktischen<br />

Gegebenheiten.<br />

Im Wintersemester 2004/05 wurden einige<br />

historische und heute verbreitete Übersetzungen<br />

einer Stichprobenuntersuchung anhand<br />

<strong>der</strong> 9. Sure des Korans (»Die Reue«)<br />

unterzogen. Schon die ersten Ergebnisse erlauben<br />

eine vergleichende Beurteilung.<br />

1. Die bis ins 19. Jahrhun<strong>der</strong>t hinein maßgebende<br />

englische Übersetzung von George<br />

Sale (London 1734) wurde von Theodor<br />

Arnold verdeutscht (Lemgo 1746). Die Bedeutung<br />

seiner Vorlage besteht in <strong>der</strong> Abkehr<br />

von <strong>der</strong> apologetischen Tradition<br />

durch den Versuch einer unbefangenen und<br />

nüchternen Übertragung des Korantextes,<br />

zu dessen Verständnis und Erläuterung er<br />

auch zahlreiche an<strong>der</strong>e arabische Quellen –<br />

vermittelt durch die lateinische Übersetzung<br />

Marraccis – berücksichtigte. Im Ver-<br />

Bild rechts: Eine Seite aus <strong>der</strong> Koranübersetzung<br />

von Murad W. Hofmann<br />

gleich zum arabischen Original fallen allerdings<br />

Ungenauigkeiten ins Auge. Lexikalische<br />

und stilistische Umformulierungen,<br />

Ausschmückungen und nicht gekennzeichnete<br />

Ergänzungen sind durchgängig festzustellen.<br />

Sie sind zwar dem Bemühen um<br />

größtmögliche Verständlichkeit geschuldet,<br />

doch stehen dieser Tendenz unklare Formulierungen<br />

und teils Fehler entgegen. Die<br />

Einteilung <strong>der</strong> Koransuren in Verse wird<br />

ignoriert. Die Übersetzung hat bis heute ihren<br />

Wert als ein Dokument <strong>der</strong> Aufklärungszeit.<br />

2. Mit <strong>der</strong> ersten deutschen Direktübersetzung<br />

vom arabischen Original betrat<br />

David Friedrich Megerlin 1772 mit seiner<br />

in Frankfurt gedruckten Koranübertragung<br />

Neuland. Megerlin (1698–1778) war<br />

Theologe, was sich nicht nur in <strong>der</strong> christli-


Ein Ausschnitt aus <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Koran-Kalligraphie<br />

chen Interpretation koranischer Begriffe<br />

nie<strong>der</strong>schlägt. So übersetzt er Tauba<br />

(»Umkehr«, »Reue«) irrig mit »Buße« und<br />

spricht von »Gnadenstufen« vor Gott. Im<br />

Vergleich zum Werk von G. Sale/ Th. Arnold<br />

bedeutet seine polemisch-apologetischen<br />

Haltung einen deutlich Rückschritt:<br />

Muhammad ist für ihn »<strong>der</strong> große Antichrist«,<br />

<strong>der</strong> Koran »ein Lügenbuch« und<br />

<strong>der</strong> Islam »eine politische Scheinreligion«.<br />

Er glaubt, den Leser vor den ketzerischen<br />

Einflüssen des Korans schützen zu müssen<br />

und setzt deshalb Kommentare zum übersetzten<br />

Text hinzu, so am Beginn <strong>der</strong> ersten<br />

Sure: »Im Namen des dreyeinigen Gottes«<br />

– in bewusster Gegenüberstellung zur<br />

islamischen Anrufung. Seine Übersetzung,<br />

von syntaktischen und semantischen Fehlern<br />

gezeichnet, repräsentiert eine in seiner<br />

Zeit noch weit verbreitete Sichtweise.<br />

3. Der Dichter und Philologe Friedrich<br />

Rückert (1788–1866), bekannt für seine<br />

meisterlichen Übersetzungen aus dem Arabischen,<br />

Persischen und Sanskrit, hat auch<br />

Auszüge aus dem Koran übersetzt (hrg.<br />

von Hartmut Bobzin, 3. Aufl. Würzburg<br />

2000). Er bemüht sich einerseits, dem Stil<br />

des Originals treu zu bleiben, und ahmt<br />

dazu die arabische Satzstellung auch dann<br />

nach, wenn sich für das Verständnis<br />

Schwierigkeiten ergeben. An<strong>der</strong>seits kommentiert<br />

er Verse, erklärt in seinen Kommentaren<br />

Hintergründe, verweist auf an<strong>der</strong>e<br />

Verse und Suren. In seinem Bemühen,<br />

den Text für den Leser verständlicher zu<br />

machen, wird er sogar zum Koautor und<br />

gruppiert Verse um, wenn es ihm für den<br />

Zusammenhang hilfreich erscheint.<br />

Rückert versucht, in seiner Übersetzung<br />

den Stil (Reime!) und Geist des Korans ins<br />

Deutsche zu übertragen, was ihm zum Teil<br />

auch gelingt.<br />

4. Die von Ludwig Ullmann veröffentlichte<br />

Koranübersetzung (Crefeld 1840)<br />

erlebte bis in die achtziger Jahre des 20. Jh.<br />

zahlreiche Neuauflagen in <strong>der</strong> Bearbeitung<br />

von L. W. Winter (München: Goldmann)<br />

und fand weite Verbreitung. Die Überset-<br />

zung ist stark von Interpretation geprägt,<br />

die den allgemeinen Sinn in etwa korrekt<br />

aufnimmt und um Verständlichkeit bemüht<br />

ist, sich aber auch im Hinblick auf den<br />

Satzbau allzu oft vom Original löst und eigene<br />

Wege geht. Die Suche nach möglichst<br />

eindeutigen Übersetzungen entfernt sich<br />

daher zu weit vom Original und führt zu<br />

Bedeutungen, die nicht nachvollziehbar<br />

sind. Zahlreiche Anmerkungen erläutern<br />

den historischen Zusammenhang <strong>der</strong> koranischen<br />

Aussagen in knapper und korrekter<br />

Weise.<br />

5. Rudi Paret (1901–1983), war Professor<br />

für Islamwissenschaft und Semitistik in<br />

Tübingen und erstellte seine bis heute<br />

Maßstäbe setzende Übertragung mit Kommentar<br />

(2. Bde., 6. Aufl., Stuttgart 2001)<br />

als Ergebnis einer philologischen Analyse.<br />

Spezielle Lexeme und Wortkombinationen<br />

werden im Kontext verglichen, um eine<br />

stringente Übersetzung <strong>der</strong> Terminologie<br />

zu erreichen. Die Syntax wird vollständig<br />

berücksichtigt. Um den Sinn zu verdeutlichen,<br />

weicht Paret allerdings von <strong>der</strong> wörtlichen<br />

Übersetzung vielfach ab; durch<br />

Klammern sind Erläuterungen und alternative<br />

Interpretationen eingefügt, was die<br />

Lesbarkeit erschweren kann. Der Stil des<br />

Korans bleibt ganz im Hintergrund. Die eigenständige<br />

Glie<strong>der</strong>ung kleinerer Versgruppen<br />

in Absätze liefert einen hilfreichen<br />

Interpretationsansatz. Die Übersetzung<br />

bleibt ein Meilenstein <strong>der</strong> Koranphilologie.<br />

6. Murad Wilfried Hofman, Jurist, ehem.<br />

Diplomat und seit 1980 Muslim, überarbeitete<br />

die zuerst 1901 (Leipzig: Reclam)<br />

unter dem Pseudonym Max Henning erschienene<br />

Koranübersetzung in einer zweisprachigen<br />

Ausgabe (Kreuzlingen/München.<br />

2001). Korrekturbedürftig erschienen<br />

ihm die alte Verszählung, die Kleinschreibung<br />

auf Gott bezogener Pronomen, das altertümliche,<br />

an Bibelübersetzungen mahnende<br />

Deutsch, die zeitbedingt islamfeindlichen<br />

Fußnoten und die gleichbleibende<br />

Übersetzung bestimmter Termini, ohne den<br />

Kontext zu beachten. Hofmann bevorzugt<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Arabistik/Islamwissenschaft<br />

...............................................................................<br />

im Vergleich mit An<strong>der</strong>en eine Ausdrucksweise,<br />

welche Passsagen militanten Sinnes<br />

abmil<strong>der</strong>t. Im Vergleich zu Parets Übersetzung<br />

ist nicht immer gleiche Genauigkeit<br />

gewährleistet, da die Übersetzung Gegebenheiten<br />

<strong>der</strong> arabischen Syntax übersieht.<br />

6. Scheich Abdullah as-Samit Frank<br />

Bubenheim und Nadeem Elyas legen<br />

eine Übersetzung des Korans vor, <strong>der</strong>en<br />

Titel, »Der edle Qur’an und die Übersetzung<br />

seiner Bedeutung in die deutsche<br />

Sprache«, den islamischen Glauben erkennen<br />

lässt. Sie ist durch die För<strong>der</strong>ung Saudi-Arabiens<br />

(King-Fahd-Foundation) zusätzlich<br />

legitimiert (Medina 2003). Diese<br />

Übersetzung, die sich oft an Paret orientiert,<br />

ist nah am Original, zeigt aber eine gewisse<br />

Inkonsequenz bei hinzugefügten Erklärungen<br />

o<strong>der</strong> Interpretationen, zumal diese<br />

nicht immer kenntlich gemacht werden.<br />

Zudem neigt Bubenheim zu semantischen<br />

Verstärkungen, was sich möglicherweise<br />

durch den religiösen Hintergrund seiner<br />

Koranübersetzung erklären lässt. Festzustellen<br />

bleibt, dass sich Bubenheim um eine<br />

schlichte, möglichst zutreffende Übersetzung<br />

bemüht hat, die gut lesbar und von<br />

groben Fehlern frei ist.<br />

8. Die Übersetzung durch Ahmad v. Denffer<br />

(München: Islamisches Zentrum, 5.<br />

Aufl. 1998) enthält sich so weit wie möglich<br />

je<strong>der</strong> Interpretation und sucht größtmögliche<br />

Nähe zur Grundbedeutung des<br />

Originals. Dafür wird in Kauf genommen,<br />

dass es dem Satzbau <strong>der</strong> Übersetzung und<br />

folglich auch den Aussagen nicht selten an<br />

Klarheit mangelt. Der auf diese Weise »verfremdete«<br />

Text markiert bewusst den Abstand<br />

des Korans zum alltäglichen Sprachgebrauch.<br />

Dieser mystifizierenden Tendenz<br />

wirken erklärende, aus den arabischen Korankommentaren<br />

übersetzte Anmerkungen<br />

entgegen.<br />

Des Weiteren wurden die Übersetzungen<br />

von Adel Khoury und Mirza Nasir Ahmad<br />

unter die Lupe genommen.<br />

W<br />

AutorInnen: Juliane Barta, Christoph<br />

Carmesin, Katia Gerhardt, Tjark Hanssen,<br />

Tiana Hickel, Sarah Kaptein, Stefan<br />

Le<strong>der</strong>, Janette Lemke, Johannes Rosenbaum,<br />

Sarah Schmitz.<br />

Die Autorengruppe, Studierende <strong>der</strong> Arabistik/Islamwissenschaft<br />

im 3. und 4. Studienjahr,<br />

hat sich in einem Seminar (von<br />

Prof. Dr. Stefan Le<strong>der</strong>) zu »Der Koran und<br />

seine mo<strong>der</strong>nen Übertragungen: Tendenzen,<br />

Ziele, Methoden« zusammengefunden.<br />

25


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Kunstgeschichte<br />

EIN MONUMENTALES BILDGEDÄCHTNIS<br />

25 000 GROSSDIAPOSITIVE IM INSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE DIGITALISIERT<br />

Heinrich Dilly<br />

................................................................................<br />

Nehmen wir einmal an, wir hätten Gelegenheit, einen <strong>der</strong> weltweit bekannten bildenden<br />

26 Künstler durch die Martin-Luther-Universität zu führen, <strong>der</strong> zu den Spurensicherern gezählt<br />

wird, ich wette, Christian Boltanski, Jannis Kounellis, Anne und Patrick Poirier o<strong>der</strong><br />

manch an<strong>der</strong>er würde uns beschwören: Rettet Eure Sammlungen! Lasst sie um Himmels<br />

willen genau so wie sie sind – allen voran das Geiseltal- und das Kühnmuseum! Aber auch<br />

alle antiquiert erscheinenden Schränke voller Modelle, getrockneter Pflanzen und alter<br />

Photographien! Joseph Beuys hätte sie Euch abgeluchst und mit ihnen in einer seiner<br />

wahrlich merkwürdigen Installationen die unterschiedlichsten Energien und Lebensmittel –<br />

geistige und materielle – im weitesten Sinne des Wortes gezeigt.<br />

Stolz könnten wir dann antworten: Seht<br />

her, in einem, zugegeben nicht ganz so prominenten<br />

Fall ist es uns mit Hilfe <strong>der</strong> Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft gelungen,<br />

eine dieser Gehirnzellen einer historisch<br />

bewussten Universität zu wahren! Im Fall<br />

<strong>der</strong> Großdiasammlung des Instituts für<br />

Kunstgeschichte nämlich! 25 Tausend Diapositive<br />

vom Format 8,4 zu 9,8 cm werden<br />

dort in werk- und sachgerechten Schränken<br />

aufbewahrt, die auf den ersten Blick zwar<br />

wie Apothekerschränke erscheinen, dann<br />

aber Bil<strong>der</strong> enthalten. Diese werden nicht<br />

nur konserviert, son<strong>der</strong>n so reproduziert,<br />

dass mit den Reproduktionen intensiver als<br />

bislang geforscht werden kann.<br />

Illustration <strong>der</strong> gesprochenen Texte<br />

Vor allem in Lehrveranstaltungen wurden<br />

sie fast hun<strong>der</strong>t Jahre lang genutzt und<br />

machten so einen Gutteil <strong>der</strong> Anziehungskraft<br />

des Faches aus. Groß standen ihre<br />

leuchtenden Bil<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Leinwand im<br />

Dunkel vor Augen und zeigten so manches<br />

ikonographisch höchst bedeutsame Detail.<br />

Unmittelbar konnten alle Hörer das Gesagte<br />

überprüfen und eigene Einsichten spontan<br />

gewinnen. Daher hing fast alles von <strong>der</strong><br />

Illustration <strong>der</strong> gesprochenen Texte ab, so<br />

dass die meisten Kunsthistoriker nach immer<br />

besseren Reproduktionen geradezu jagten,<br />

diese für teures Geld erwarben und<br />

dann in Büchern und Vorträgen so überzeugend<br />

verbreiteten, dass man mit Herman<br />

Grimm festhalten musste: Hand aufs Herz!<br />

Uns stehen die Reproduktionen, nicht die<br />

Originale in <strong>der</strong> Erinnerung.<br />

Diese und weitere, ähnliche Erfahrungen<br />

haben an<strong>der</strong>e Forscher veranlasst, über das<br />

Verhältnis von Text und Bild in den kunsthistorischen<br />

Medien selbst – Vorlesung, Seminar,<br />

Exkursion und kunsthistorisches<br />

Buch bzw. Zeitschrift – nachzudenken.<br />

Wie beeinflusst <strong>der</strong> Stand <strong>der</strong> reproduktiven<br />

Techniken die kunsthistorische Forschung<br />

und Lehre, ist die generelle<br />

Brecht’sche Grundfrage. Im Speziellen<br />

wird dann zum Beispiel danach gefragt,<br />

wie stark die Erfahrung des originalen<br />

Kunstwerks von <strong>der</strong> seiner Reproduktion<br />

abweicht und wie die Tatsache, dass man<br />

überhaupt Kunstwerke – sei es manuell,<br />

sei es technisch – zu reproduzieren versteht,<br />

sich auf die gesamte Kunstproduktion<br />

ausgewirkt hat. Walter Benjamin hat<br />

dazu gleich zwei plausible Antworten gegeben.<br />

Er behauptete, dass die originalen<br />

Kunstwerke durch die technische Reproduzierbarkeit<br />

ihre Aura verlieren. Unter<br />

Aura verstand er ihr einmaliges Hier und<br />

Jetzt. Doch ging er noch weiter und<br />

schrieb, dass die Kunst seitdem von Aus-<br />

Einer <strong>der</strong> Großdiaschränke, geschlossen<br />

stellungswerten und nicht mehr von Kultwerten<br />

bestimmt werde. Wie sich dies wie<strong>der</strong>um<br />

auf die Kunstgeschichtsschreibung<br />

selbst ausgewirkt hat, wird gerade in Halle<br />

immer subtiler ermittelt. Denn Reproduktionsstiche<br />

und Galeriewerke, Holzstiche,<br />

photographische Aufnahmen und darauf<br />

beruhende Drucke, filmische Inszenierungen<br />

und Fernsehfeatures sorgen nicht nur<br />

für die massenhafte Verbreitung und damit<br />

für die Kenntnis von Kunstwerken, son<strong>der</strong>n<br />

auch dafür, dass man mit Fug und<br />

Recht vom selbstreferenziellen System <strong>der</strong><br />

bildenden Kunst sprechen kann.<br />

Unter den Reproduktionen kommt nun <strong>der</strong><br />

Gattung <strong>der</strong> Diapositive die angesprochene,<br />

beson<strong>der</strong>s verführerische Funktion zu.<br />

Hier unterscheidet man wie<strong>der</strong>um zwei Arten:<br />

Abgesehen von <strong>der</strong> Unterscheidung<br />

zwischen Schwarz-Weiß- und den Farb-<br />

Aufnahmen sind dies das Groß- und das<br />

Kleindia. Während das Kleindia wohl noch<br />

wenige Jahre neben den digitalisierten Bil<strong>der</strong>n<br />

genutzt werden wird, hat das erheblich<br />

ältere Großdia seines Gewichtes, sei-


Einer <strong>der</strong> Großdiaschränke, geöffnet Fotos (2): Heinrich Dilly<br />

ner Größe und seiner Empfindlichkeit, vor<br />

allem aber seiner schwierigeren Bedienung<br />

im unbeweglichen Projektor wegen längst<br />

ausgedient. Deshalb hat man in vielen an<strong>der</strong>en<br />

Instituten den größten Teil dieser<br />

Dias entsorgt.<br />

In Halle jedoch blieben diese erhalten! Aufgrund<br />

<strong>der</strong> Unversehrtheit während des<br />

Krieges, aufgrund <strong>der</strong> Not in den Nachkriegsjahren<br />

und des Mangels an Devisen<br />

während <strong>der</strong> DDR-Zeit blieben sie sogar<br />

fast vollständig bewahrt. Und erhalten<br />

blieb sogar das Inventarbuch, in dem von<br />

<strong>der</strong> Anschaffung des allerersten Projektors<br />

im Jahre 1895 an alle Diapositive verzeichnet<br />

sind, die bis 1952 – soweit reicht das<br />

Buch – bei Fotoagenturen und Reproduktionsfotografen<br />

bestellt worden sind.<br />

Möglichkeiten dank einer Datenbank<br />

Auf diesen 25 000 Großdiapositiven sind<br />

Kunstwerke aus allen Epochen <strong>der</strong> mittleren,<br />

neueren und mo<strong>der</strong>nen Kunstgeschichte<br />

reproduziert, die, wie gesagt, nach und<br />

nach für bestimmte Lehrveranstaltungen<br />

besorgt bzw. eigens hergestellt worden<br />

sind. Im Laufe eines halben Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

entstand dadurch so etwas wie ein immenser<br />

Atlas o<strong>der</strong> ein riesiges Bil<strong>der</strong>buch <strong>der</strong><br />

Kunstgeschichte. Zu einem Gutteil handelt<br />

es sich dabei sogar um Originalaufnahmen,<br />

die die Architekturen, Bildwerke, Gemälde<br />

und Graphiken in höchster Qualität, aber<br />

auch in einem Zustand zeigen, wie er heute<br />

nur höchst selten noch erfahrbar ist. Daher<br />

sind diese Fotos auch wertvollste Dokumente<br />

für die aktuelle Kunst- und Denkmalpflege.<br />

Dieses Bild-, aber auch Kunstarsenal, ja<br />

dieses Imaginäre Museum <strong>der</strong> Kunstgeschichte,<br />

wie André Malraux solche Bestände<br />

einmal genannt hat, wird also nun<br />

mit Hilfe <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

digitalisiert und in einer leicht<br />

handhabbaren Bilddatenbank registriert.<br />

Dafür müssen die Bil<strong>der</strong> zuerst nach Rissen<br />

im Glas o<strong>der</strong> Brüchen im Film untersucht,<br />

dann vom Staub <strong>der</strong> Jahrzehnte vorsichtig<br />

gereinigt und schließlich – wenn nötig<br />

– repariert werden. Anschließend werden<br />

sie gescannt und zwar auf zweifache<br />

Weise. Mit Durchlicht wird das Bild auf<br />

dem Film eingelesen, mit Auflicht die Beschriftung<br />

an den Rän<strong>der</strong>n des Glasbildes<br />

aufgenommen, damit keine <strong>der</strong> Informationen<br />

zum jeweiligen Bild, Bau- o<strong>der</strong> Bildwerk<br />

verloren geht. Die Legenden mit<br />

Künstlernamen, Bezeichnung des Kunstwerks<br />

und Entstehungsdaten werden dann<br />

in eine Datei aufgenommen, die so strukturiert<br />

ist, dass man im allgemeinen nur wenige<br />

Daten ergänzen muss, die keinen Platz<br />

auf dem Rand des Glases gefunden haben.<br />

Meist sind es die Vornamen <strong>der</strong> Urheber,<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Kunstgeschichte<br />

...............................................................................<br />

die vollen Namen <strong>der</strong> Aufbewahrungsorte,<br />

die Daten <strong>der</strong> Entstehung des Kunstwerks,<br />

aber auch die des Photographen bzw. <strong>der</strong><br />

Bildagentur. Denn es geht ja um die Erhaltung<br />

eines Mediums!<br />

Und es geht darum, diese als bildlich historische<br />

Quelle nicht nur deshalb versiegen<br />

zu lassen, weil die einzelnen Glasplatten<br />

zu kostbar und die Bedienungsapparatur<br />

inzwischen zu schwerfällig geworden sind.<br />

Die Digitalisierung des Bestandes und seine<br />

Erschließung durch die Datenbank verhin<strong>der</strong>n,<br />

dass ein ganzer Kontinent bildlichen<br />

Wissens untergeht, bloß weil die Datenträger<br />

höchst empfindlich sind. Über die<br />

<strong>der</strong>zeitige alphabethische Ordnung nach<br />

Künstler- und Ortsnamen hinaus kann dieses<br />

Arsenal sogar auf neuen Pfaden erschlossen<br />

werden. Es lässt sich nun zum<br />

Beispiel auswerten, wie weit <strong>der</strong> bildliche<br />

Horizont einzelner Lehrveranstaltungen zu<br />

Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts reichte. Wie<br />

viel und welche Werke von Rembrandt<br />

wurden in einer Vorlesung über den Künstler<br />

reproduzierend besprochen? Welche<br />

Skulpturen wurden gezeigt, wenn es um<br />

deutsche Kunst ging o<strong>der</strong> etwa um die<br />

Museologie? Denn in wenigen Fällen –<br />

Adolph Goldschmidt und Alois Schardt<br />

z. B. – hat sich <strong>der</strong> persönlich gewählte<br />

Dia-Bestand erhalten. In an<strong>der</strong>en Fällen,<br />

wie etwa dem von Wilhelm Worringers legendärer<br />

Barockvorlesung aus dem Sommer<br />

1947 ist er nun relativ leicht rekonstruierbar.<br />

Doch vor allem würden sich Joseph<br />

Beuys, Christian Boltanski, Jannis Kounellis<br />

und die an<strong>der</strong>en Künstler darüber<br />

wun<strong>der</strong>n und freuen, dass nunmehr auch<br />

Informatiker mit diesen Bil<strong>der</strong>n arbeiten<br />

und eines versuchen können, was bislang<br />

nur pathetisch in dem Satz »Bil<strong>der</strong> kommen<br />

von Bil<strong>der</strong>n« ausgedrückt wurde:<br />

Jetzt geht es in einer neuen Bildwissenschaft<br />

unter an<strong>der</strong>em darum, ob Bil<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

erkennen! Prosaisch heißt dies: Es geht<br />

um Mustererkennung!<br />

W<br />

Heinrich Dilly, geb. 1941, seit 1997 Professor<br />

für Neueste Kunstgeschichte und<br />

Kunsttheorie an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität.<br />

1967 Meisterschüler <strong>der</strong> Hochschule<br />

für bildende Künste in Berlin; 1977<br />

Promotion an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin<br />

aufgrund <strong>der</strong> disziplingeschichtlichen<br />

Dissertation »Kunstgeschichte als Institution«<br />

(Frankfurt am Main 1979); 1984 Habilitation<br />

an <strong>der</strong> Universität Stuttgart.<br />

27


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scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

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28<br />

WAHRNEHMUNG UND VERFÄLSCHUNG AM BEISPIEL INDIEN<br />

ERMITTLUNG UND DEUTUNG VON ENTWICKLUNGEN IN SÜDASIEN<br />

Rahul Peter Das<br />

Kollektivgebilde wie Staaten sind keine abstrakten Größen, son<strong>der</strong>n Konglomerate von<br />

Menschen. Bezeichnet man eine solche Entität als handelnd, so meint man die diese<br />

Entität bildenden Menschen, die agieren und interagieren. Menschliches Handeln kann<br />

durch äußere Umstände bedingt werden, basiert aber dennoch auch auf Entscheidungsautonomie;<br />

in Situationen mit den gleichen äußeren Bedingungen können daher Entscheidungen<br />

und Handlungen betroffener Individuen o<strong>der</strong> Gruppen verschieden ausfallen.<br />

Ein Hauptgrund für diese Verschiedenartigkeit ist die unterschiedliche Beeinflussung durch<br />

prägende Denkmuster und Wahrnehmungsweisen, die wie<strong>der</strong>um abhängig sind vom jeweiligen<br />

sozialen und geistigen Umfeld – in an<strong>der</strong>en Worten: von <strong>der</strong> jeweiligen Kultur. Die in<br />

diesem Zusammenhang relevanten und – im Gegensatz zu messbaren und empirisch verifizierbaren<br />

»harten Fakten« – <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> sogenannten »weichen Fakten« zuzuordnenden<br />

Faktoren werden sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich zunehmend<br />

ernster genommen.<br />

Spätestens seit Robert Kagans vieldiskutierter<br />

These von inzwischen fundamentalen<br />

Unterschieden zwischen Europäern und<br />

US-Amerikanern, die, teilweise durch unterschiedliche<br />

Perzeptionen und Wertvorstellungen<br />

bedingt, zu verschiedenartigen<br />

Prioritäten und Handlungen auf <strong>international</strong>er<br />

Ebene führten, dürfte die Bedeutung<br />

»weicher Fakten« allgemein anerkannt sein.<br />

Damit werden kulturwissenschaftliche Fragestellungen,<br />

die sich unter an<strong>der</strong>em mit<br />

Prägungs- und Gedankenmustern, Perzeptionen,<br />

Identitäten und <strong>der</strong>gleichen befassen,<br />

auch in Bereichen relevant, in denen<br />

ihnen <strong>der</strong>artige Relevanz nicht immer zugestanden<br />

wurde.<br />

Es geht dabei nicht so sehr um die Feststellung<br />

des tatsächlich messbar Vorhandenen<br />

und um mögliche Konsequenzen, die sich<br />

aus diesem Gegebenen ergeben könnten.<br />

Hierbei kann aus kulturwissenschaftlicher<br />

Sicht nur auf die Ergebnisse <strong>der</strong> Untersuchungen<br />

für diese Aufgabe besser gerüsteter<br />

Disziplinen Bezug genommen werden. Es<br />

geht vielmehr vor allem um die Art und<br />

Weise, in <strong>der</strong> nicht nur das Vorhandene<br />

wahrgenommen, analysiert und bewertet,<br />

son<strong>der</strong>n überhaupt als etwas Vorhandenes<br />

erkannt und anerkannt wird.<br />

So ist beispielsweise die globale Bedeutung<br />

eines Staates nicht als absolute Größe darstellbar,<br />

son<strong>der</strong>n nur als eine Größe relativ<br />

zu an<strong>der</strong>en Größen, <strong>der</strong>en Wertungsparameter<br />

überdies je nach Betrachtungswinkel<br />

an<strong>der</strong>s ausfallen können. Bei <strong>der</strong> Beschreibung<br />

und Analyse solcher Prozesse relativer<br />

und variabler Wertungen kann man sich<br />

daher nicht allein auf die Berücksichtigung<br />

von Faktoren beschränken, die sich aus<br />

dem Wesen dieses Staates ergeben. Vielmehr<br />

ist es erfor<strong>der</strong>lich, auch Faktoren, die<br />

diese Wertungen beeinflussen, mit zu berücksichtigen,<br />

darunter auch die Wahrnehmungsmechanismen<br />

und -prozesse <strong>der</strong><br />

Wertenden, die bisweilen dazu führen kön-<br />

nen, dass die Realität nicht als solche<br />

wahrgenommen wird, weil sie sich vorhandenen<br />

Gedankenmustern nicht fügt. Der<br />

Aufstieg Indiens in die Riege <strong>der</strong> <strong>international</strong><br />

bedeutendsten Staaten und das deutsche<br />

Indienbild sind hierfür ein gutes Beispiel.<br />

Wachsende Bedeutung Südasiens<br />

Mit den USA, China und Russland wird<br />

Indien zunehmend zu den big four, den das<br />

zukünftige Weltgeschehen maßgeblich bestimmenden<br />

Staaten gerechnet. Das deckt<br />

sich einerseits mit <strong>der</strong> Verlagerung des bestimmenden<br />

Zentrums dieses Geschehens<br />

nach Asien – nach Andre Gun<strong>der</strong> Frank als<br />

reOrient(ation) zu begreifen (auf deutsch<br />

sowohl »Re-Orientierung« als auch »Re-<br />

Orientalisierung«) –, an<strong>der</strong>erseits mit <strong>der</strong><br />

wachsenden Bedeutung <strong>der</strong> Region Südasien<br />

überhaupt. Dort werden bald nicht<br />

nur über 25 Prozent aller Menschen leben,<br />

son<strong>der</strong>n befinden sich auch <strong>der</strong> prozentual<br />

größte Anteil von Muslimen weltweit<br />

(etwa 30 Prozent) und zwei deklarierte, an<br />

eine dritte, ostasiatische Nuklearmacht angrenzende<br />

Nuklearmächte.<br />

Der Aufstieg Indiens wird durch die neueste<br />

globale Studie des dem CIA nahestehenden<br />

National Intelligence Council <strong>der</strong> USA<br />

belegt. Dem gegenüber steht eine Sichtweise<br />

in Teilen Europas und speziell Deutschland,<br />

die für Europa nachteilige Verschiebungen<br />

macht- und weltpolitischer Geltung<br />

missachtet, unter an<strong>der</strong>em auch deshalb,<br />

weil an<strong>der</strong>e Faktoren als Wirtschaftsmacht<br />

auf <strong>der</strong> eigenen Bewertungsskala eine untergeordnete<br />

Rolle spielen. Dass Indien inzwischen<br />

auf <strong>international</strong>er Bühne nicht<br />

nur gleichberechtigt, son<strong>der</strong>n in vielen Analysen<br />

auch bedeuten<strong>der</strong> als Europa erscheint<br />

und von den USA entsprechend behandelt<br />

wird, verträgt sich nicht mit dem<br />

vorherrschenden Bild Indiens als Land, das<br />

vornehmlich in Kategorien <strong>der</strong> Entwicklungshilfe,<br />

Katastrophen und Spiritualität<br />

zu betrachten sei.<br />

Indien als wichtiger Akteur<br />

Dadurch werden etwa seine Leistungen in<br />

zukunftsträchtigen Bereichen wie Raumfahrt-,<br />

Elektronik-, Nuklear- und Biotechnologie<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Pharmazie oft übersehen,<br />

auch wenn seine IT-Kompetenz allgemein<br />

anerkannt ist. Als Rivale im wirtschaftlichen<br />

Bereich ist Indien trotz zunehmendem<br />

Outsourcing hochqualifizierter Arbeitsstellen<br />

und eigener Entwicklungen<br />

größtenteils noch unvorstellbar. Auch sein<br />

Wille, den Anspruch auf <strong>international</strong>e<br />

Geltung politisch, strategisch und militärisch<br />

zu untermauern, sein Machtzuwachs<br />

im indischen Ozean sowie die Beanspruchung<br />

einer Sicherheitszone, die an Europa<br />

grenzt, werden kaum wahrgenommen, somit<br />

auch nicht die Implikationen für Sicherheit,<br />

Energieversorgung und Handel.<br />

Dabei ist Indien ein bedeuten<strong>der</strong> Akteur im<br />

auch für Europa wichtigen Zentralasien; es<br />

beginnt angeblich sogar, militärische Stützpunkte<br />

in an<strong>der</strong>en Staaten zu errichten. Indien<br />

ist <strong>der</strong> Hauptrivale Chinas in Asien;<br />

beide versuchen durch Bündnisse und<br />

Stützpunktbildung, sich gegenseitig einzukreisen.<br />

Bedeutsam sind die inzwischen<br />

enge indische Zusammenarbeit mit den<br />

USA, mit <strong>der</strong> teilweise militärische Interoperabilität<br />

wie in <strong>der</strong> NATO angestrebt<br />

wird, sowie die Quasi-Allianz mit Israel.<br />

Stephen Blank vom Strategic Studies Institute<br />

des U.S. Army War College nennt die<br />

Partnerschaft mit Indien »one of the fundamental<br />

points of the Administration’s<br />

agenda«, was notwendigerweise eine indische<br />

Präsenz im Nahen Osten impliziere.<br />

Tatsächlich haben sowohl die alte wie auch<br />

die neue indische Regierung nur aus vornehmlich<br />

innenpolitischen Rücksichten davon<br />

Abstand genommen, Truppen in den<br />

Irak zu entsenden.<br />

Zwar hat die deutsche Wirtschaft Indien<br />

inzwischen »entdeckt«, doch in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

und auch bei sogenannten Entscheidungsträgern<br />

gibt es nach wie vor ein<br />

erhebliches Wahrnehmungsdefizit, das politische<br />

und an<strong>der</strong>e Vorgaben und Maßnahmen<br />

beeinflusst. Das kann gravierende Folgen<br />

haben: In ihrer Einstellung zu Macht<br />

und Gewaltanwendung, dem Stellenwert<br />

<strong>international</strong>er Normen und Organisationen


Abb.: Ungefähre Ausdehnung <strong>der</strong> von Indien beanspruchten Sicherheits- und Einflusssphäre<br />

»südliches Asien« (Zeichnung von Rahul Peter Das nach einer europazentrierten Freeware-<br />

Kartenvorlage von WorldAtlas.com)<br />

einschließlich <strong>der</strong> Ablehnung des Internationalen<br />

Strafgerichtshofes, und in dem<br />

Willen, den eigenen Geltungsanspruch<br />

durchzusetzen, ähneln die big four einan<strong>der</strong><br />

so sehr, dass Europa als die Ausnahme<br />

erscheinen muss. Auch die Wertung des Individuums<br />

an sich ist mehrheitlich an<strong>der</strong>s.<br />

Wenn Europa dennoch weiterhin davon<br />

ausgeht, dass die eigenen Werte und Maßstäbe<br />

<strong>international</strong> bestimmend sein<br />

müssten, sind Fehlurteile unausweichlich.<br />

Eine realistische Betrachtungsweise hätte<br />

dagegen zu berücksichtigen, dass an<strong>der</strong>e<br />

Wertvorstellungen und Maßstäbe zunehmend<br />

normativ wirken könnten, mit entsprechen<strong>der</strong><br />

Beeinflussung so genannter <strong>international</strong>er<br />

Rechte und Gesetze. Dabei<br />

müsste allerdings das Gefühl <strong>der</strong> Superiorität,<br />

das zur Wahrnehmungsverfälschung<br />

und zu Fehlschlüssen verleitet, abgelegt<br />

werden, was beson<strong>der</strong>s im Falle Indiens<br />

ANZEIGE<br />

schwer fiele. Doch nur so kann eine Neuevaluierung<br />

stattfinden. Dann könnte beispielsweise<br />

eine sachdienliche und zutreffende<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> den Afghanistankonflikt<br />

vornehmlich bestimmenden<br />

südasiatischen Faktoren erfolgen; auch <strong>der</strong><br />

erhobene deutsche Zeigefinger, <strong>der</strong> im Falle<br />

Kaschmirs so irrelevant ist wie in Palästina,<br />

würde sich dann vielleicht senken.<br />

Forschungen in Halle bedeutend<br />

Bei einer Korrektur <strong>der</strong> Wahrnehmungsprozesse<br />

dürfte man erwarten, dass gerade<br />

<strong>der</strong> akademische Bereich Bedeutendes leistet.<br />

Doch kommt eine vom Institut für<br />

Asienkunde in Hamburg herausgegebene<br />

Studie zu dem Schluss, dass adäquate<br />

Strukturen für die akademische Beschäftigung<br />

mit dem neuzeitlichen Südasien in<br />

Deutschland fehlen. Vor diesem Hintergrund<br />

wurde im Bereich <strong>der</strong> Südasienwissenschaften<br />

<strong>der</strong> Universität Halle-Wittenberg<br />

beschlossen – nicht zuletzt als Dienst<br />

an dem Staat und <strong>der</strong> Gesellschaft, die die<br />

Möglichkeit universitären Agierens gewährleisten<br />

–, ein Instrumentarium zur<br />

Analyse und zum Aufzeigen <strong>der</strong> beschrie-<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

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benen Wahrnehmung zu entwickeln und<br />

dieses öffentlichkeitswirksam einzusetzen,<br />

allerdings nicht nur auf Indien bezogen,<br />

son<strong>der</strong>n auf Südasien überhaupt.<br />

Nach <strong>der</strong> Einführung des Studienganges<br />

Sprachen und Kulturen des neuzeitlichen<br />

Südasiens im Jahre 2000 wurde dieses Instrumentarium<br />

auf <strong>der</strong> Basis einer in <strong>der</strong><br />

klassischen Indologie – und damit letztendlich<br />

<strong>der</strong> vornehmlich deutschen altsprachlichen<br />

Philologie – gebräuchlichen analytischen<br />

Methodik entwickelt und mit sozialwissenschaftlichen<br />

Komponenten angereichert.<br />

Dieses Instrumentarium dient unter<br />

an<strong>der</strong>em dem Aufzeigen von Interaktionsund<br />

Wahrnehmungsmechanismen in Bezug<br />

auf Südasien und Deutschland, wie auch<br />

<strong>der</strong> Ermittlung und Deutung von Entwicklungen<br />

in Südasien und <strong>der</strong> Erstellung entsprechen<strong>der</strong><br />

Prognosen.<br />

Das auf <strong>der</strong> Basis dieses Instrumentariums<br />

bisher Entwickelte ist dem obigen Anspruch<br />

gerecht geworden. Die geschil<strong>der</strong>te<br />

Problematik ist inzwischen auch in Einrichtungen<br />

wie <strong>der</strong> Führungsakademie <strong>der</strong><br />

Bundeswehr und <strong>der</strong> Bundesakademie für<br />

Sicherheitspolitik thematisiert worden, und<br />

das Büro für Sicherheitspolitik des österreichischen<br />

Bundesministeriums für Landesverteidigung<br />

hat bereits zwei impulsgebende<br />

sicherheitspolitische Tagungen auf<br />

<strong>der</strong> Basis von am Institut für Indologie und<br />

Südasienwissenschaften entwickelten Konzepten<br />

durchgeführt. Die Südasienwissenschaften<br />

in Halle sind beratend bzw. fe<strong>der</strong>führend<br />

an einschlägigen Aktionen verschiedener<br />

bedeuten<strong>der</strong> öffentlicher Stiftungen<br />

in Deutschland beteiligt, und werden<br />

inzwischen auch bei <strong>der</strong> amtlichen Formulierung<br />

von neuen Parametern deutscher<br />

Politik zu Bangladesch und Indien berücksichtigt.<br />

Das beweist, dass auch im Bereich sogenannter<br />

»exotischer« Fächer Wissenschaft<br />

und Forschung durchaus aus dem Kreis <strong>der</strong><br />

Selbstreferentialität und Nichtwahrnehmbarkeit<br />

ausbrechen können.<br />

W<br />

Rahul Peter Das wurde 1994 auf die Professur<br />

für Neuindische Philologie berufen.<br />

Weitere Einzelheiten zu ihm können <strong>der</strong><br />

Webseite http://www.suedasien.uni-halle.de<br />

/das.html entnommen werden.<br />

29


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scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

DICHTERHEILIGE, NATIONALSCHRIFTSTELLER UND KULTURELLE SELBSTBESTIMMUNG:<br />

DIE ROLLE DER LITERATURGESCHICHTSSCHREIBUNG IN SÜDASIEN<br />

Hans Har<strong>der</strong><br />

................................................................................<br />

»Wer hat die älteste Literatur, wer den wichtigsten Autor?« Eine vierköpfige Forschungs-<br />

30 gruppe am Institut für Indologie und Südasienwissenschaften erkundet die Eigenarten südasiatischer<br />

Literaturgeschichtsschreibung. Auf dem indischen Subkontinent mit seiner beeindruckenden<br />

sprachlichen und ethnischen Vielfalt spielt kulturelle Selbstbehauptung<br />

auch in nachkolonialen Zeiten eine große Rolle, was man unter an<strong>der</strong>em einer zum Teil erstaunlich<br />

umfangreichen Produktion an Literaturgeschichten entnehmen kann. Wie sieht<br />

man die eigene Geschichte und Entwicklung im Spiegel <strong>der</strong> Literatur? Erstmals soll in diesem<br />

Projekt die Literaturgeschichtsschreibung für drei <strong>der</strong> größten südasiatischen Sprachen<br />

zusammenhängend auf ihre ideologischen Grundlagen hin abgeklopft werden.<br />

Literaturgeschichten kann man als Landkarten<br />

<strong>der</strong> literarischen Produktion in einer gegebenen<br />

Sprache auffassen. Von den ersten<br />

Quellen bis hin zum zeitgenössischen Literaturschaffen<br />

werden Autoren und Werke<br />

verzeichnet und eingeordnet, Entstehung<br />

und Entwicklung von Gattungen dargestellt<br />

und Abgrenzungen von Epochen vorgenommen.<br />

Eine Fülle von Material wird organisiert,<br />

geordnet und zumeist in sinnstiften<strong>der</strong><br />

Weise aufeinan<strong>der</strong> bezogen.<br />

Literaturgeschichte als eigenes Genre<br />

Als Leser benutzen wir Literaturgeschichten<br />

in <strong>der</strong> Regel sehr zielorientiert: Wie<br />

Karten konsultieren wir sie, um uns einen<br />

Überblick über ein bestimmtes Gebiet zu<br />

verschaffen o<strong>der</strong> um die Position eines bestimmten<br />

Werkes unseres Interesses in Erfahrung<br />

zu bringen. Von solchen praktischen<br />

Bedürfnissen angetrieben, neigen wir<br />

üblicherweise nicht dazu, Dinge zu hinterfragen,<br />

die uns normal bis trivial vorkommen,<br />

wie etwa die klar abgrenzbare Existenz<br />

einer deutschen, englischen, persischen<br />

o<strong>der</strong> bengalischen Literatur, die Un-<br />

terscheidung zwischen Vers- und Prosagattungen,<br />

die Abfolge von Epochen usw.<br />

Betrachtet man Literaturgeschichtsschreibung<br />

aber nicht nur als eine Ansammlung<br />

von Handbüchern mit Verweischarakter,<br />

son<strong>der</strong>n als ein erzählendes Genre mit seinen<br />

eigenen Entwicklungen, so eröffnen<br />

sich zahlreiche Fragestellungen, die solche<br />

Grundannahmen ins Wanken bringen. Was<br />

wird überhaupt als Literatur behandelt,<br />

was wird ausgeschlossen? Was wird zur<br />

betreffenden Sprache gezählt, was nicht?<br />

Wo werden die Grenzlinien zwischen <strong>der</strong><br />

eigenen und den benachbarten Literaturen<br />

gezogen? Wie werden Literatur und Gesellschaft<br />

zueinan<strong>der</strong> in Beziehung gesetzt?<br />

Auf welchen methodischen und ideologischen<br />

Grundlagen basiert diese »Kartographie«<br />

<strong>der</strong> Literatur, und inwiefern verän<strong>der</strong>t<br />

sie sich?<br />

Schriftsprache und Kulturnation<br />

Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich seit<br />

April 2004 eine von <strong>der</strong> Volkswagen-Stiftung<br />

geför<strong>der</strong>te vierköpfige Forschungsgruppe<br />

unter <strong>der</strong> Leitung von Hans Har<strong>der</strong><br />

Projektmitarbeiterin Navina Gupta bei <strong>der</strong> Arbeit an einer Hindi-Literaturgeschichte<br />

am Institut für Indologie und Südasienwissenschaften<br />

<strong>der</strong> Martin-Luther-Universität.<br />

In dem Projekt »Nationalist Ideology<br />

and the Historiography of Literature in<br />

South Asian Cultures« (2004–7) untersuchen<br />

Navina Gupta, Thomas Anzenhofer<br />

und Sourav Kargupta die Literaturgeschichtsschreibung<br />

für drei <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Literatursprachen des indischen Subkontinents:<br />

Hindi, Tamil und Bengali.<br />

Gerade im multiethnischen und multilingualen<br />

Südasien entbehrt dieses Thema<br />

nicht <strong>der</strong> Brisanz. Viele <strong>der</strong> etwa dreißig<br />

Nobelpreisträger Rabindranath Tagore<br />

(1861–1941): Erreichte er den Gipfel seiner<br />

Kreativität in Indien o<strong>der</strong> auf dem Boden<br />

des heutigen Bangladesch?<br />

großen Sprachen dieser Region sind zwar<br />

alte Literatur-, aber keine Staatssprachen.<br />

Die große Mehrzahl unter ihnen waren des<br />

Weiteren früher Volkssprachen; analog zum<br />

Europa <strong>der</strong> Renaissance mussten sie sich<br />

gegen Gelehrtensprachen wie Sanskrit und<br />

Persisch durchsetzen, und erst ab dem<br />

neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t begannen sie, zu<br />

mo<strong>der</strong>nen Schriftsprachen zu werden.<br />

Während <strong>der</strong> britischen Kolonialherrschaft<br />

kam es zu einer raschen kulturellen Entwicklung:<br />

Im Zeitraffertempo wurden zugleich<br />

europäische Literaturgattungen wie<br />

Roman o<strong>der</strong> Bühnentheater übernommen,<br />

nationalistisches Gedankengut verbreitet<br />

und die Literaturgeschichtsschreibung aus<br />

<strong>der</strong> Taufe gehoben. Letzteres geschah nicht<br />

zufällig, denn wollte man sich als Kulturnation<br />

behaupten, so konnte die Literaturgeschichte<br />

den Nachweis für die historische<br />

Tiefe und das unverwechselbare Eigengepräge<br />

<strong>der</strong> Nation liefern.<br />

Doch welche Nation sollte es sein? Der


Literaturgeschichte in Südasien – eine umfangreiche kulturelle Produktion<br />

junge südasiatische Nationalismus Britisch-Indiens<br />

schwankte immer wie<strong>der</strong><br />

zwischen regionalen, pan-indischen und religiösen<br />

Nationsbegriffen, und in den sieben<br />

nachkolonialzeitlichen südasiatischen<br />

Staaten, die sich größtenteils durch ethnische<br />

und sprachliche Vielfalt auszeichnen,<br />

sind die subnationalen ethnischen und<br />

sprachlichen Gemeinschaften bis heute ein<br />

ausgesprochen wichtiger Faktor geblieben.<br />

Die Literaturgeschichtsschreibung zu und<br />

in diesen Sprachen ist ein bedeutendes kulturelles<br />

Betätigungsfeld solcher »Subnationalismen«,<br />

und die apologetische Stoßrichtung<br />

wendet sich dieser Tage weniger<br />

gegen ehemalige Kolonisatoren als vielmehr<br />

gegen innersüdasiatische Konkurrenten.<br />

Tamilisches Ur-Dravidentum<br />

Das beste Beispiel hierfür ist das Tamil.<br />

Nicht nur auf Sri Lanka, son<strong>der</strong>n auch in<br />

Südindien, wo die große Mehrzahl <strong>der</strong> Tamilen<br />

lebt, wird seit langem Wert auf kulturelle<br />

Eigenständigkeit gelegt. Dies wurzelt<br />

unter an<strong>der</strong>em in <strong>der</strong> Arier-Ideologie, die<br />

Ende des neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts in Britisch-Indien<br />

populär wurde, da sie eine<br />

Gleichwertigkeit o<strong>der</strong> gar Überlegenheit gegenüber<br />

den Kolonialherren zu erweisen<br />

schien. Die nicht-indoarischen, dravidischsprachigen<br />

Völker Südindiens blieben dabei<br />

freilich, an<strong>der</strong>s als die »arischen« Singhalesen<br />

Sri Lankas, ausgeklammert, und in Tamil<br />

Nadu begann man, eine Gegenideologie<br />

zu entwerfen.<br />

Anfang des zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

wurde die auf bis zu zweitausend Jahre alt<br />

veranschlagte tamilische Cankam-Literatur<br />

wie<strong>der</strong>entdeckt, die den meisten tamilischen<br />

Literaturgeschichtlern seitdem als Inbegriff<br />

eines hochkultivierten Ur-Dravidentums<br />

gilt. In diesem Konzept schlägt sich<br />

eine tamilische Identität nie<strong>der</strong>, die als<br />

Bollwerk gegen vermeintliche Überfremdung<br />

durch brahmanisch-indoarische, nordindische<br />

Einflüsse fungiert.<br />

Gezerre um alte Texte<br />

und Nobelpreisträger<br />

An<strong>der</strong>s liegen die Dinge in <strong>der</strong> bengalischen<br />

Literaturgeschichtsschreibung. Die Caryapadas,<br />

eine Sammlung von tantrischen Lie<strong>der</strong>n<br />

aus dem zehnten o<strong>der</strong> elften Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />

gelten als ältestes Dokument <strong>der</strong> bengalischen<br />

Literatur. Doch auch Literaturgeschichtler<br />

des Assamesischen, Oriya,<br />

Maithili und Hindi nehmen sie für ihre jeweiligen<br />

Literaturen in Anspruch.<br />

Ein Zankapfel ist auch <strong>der</strong> erste südasiatische<br />

Literaturnobelpreisträger, Rabindranath<br />

Tagore. Nach heutigen Maßstäben<br />

war er Westbengale, war aber auch Gutsherr<br />

im Osten. Seit <strong>der</strong> Teilung Bengalens<br />

in das indische Westbengalen und Ostpakistan<br />

– seit 1971 Bangladesch – gilt es für<br />

manche, auch sein Erbe aufzuteilen. In<br />

Bangladesch gibt es Versuche, Tagores auf<br />

ostbengalischem Boden verfasste Texte als<br />

Apotheose seines Schaffens zu werten und<br />

ihn damit vor den Karren einer spezifisch<br />

bangladeschischen Literaturgeschichte zu<br />

spannen; folgerichtig ist auch die bangla-<br />

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scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

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deschische Nationalhymne – wie die indische<br />

– eine Dichtung Tagores.<br />

Die junge indische Staatssprache Hindi<br />

Das Hindi schließlich ist ein beson<strong>der</strong>s<br />

strittiger Fall. Als indische Staatssprache<br />

genießt es einen hohen Status, aber das<br />

heutige Standard-Hindi ist ein sehr junges<br />

Idiom. In Literaturgeschichten verbirgt sich<br />

hinter dem Wort »Hindi“ denn auch eine<br />

ganze Reihe eigenständiger Literatursprachen,<br />

die von den frühen Literarhistorikern<br />

wie selbstverständlich als Dialekte des<br />

Hindi verbucht wurden – zur Mehrung des<br />

Ruhmes <strong>der</strong> künftigen indischen Nationalsprache.<br />

Halt machte man jedoch vor dem Urdu, obwohl<br />

es mit dem Hindi grammatisch nahezu<br />

identisch ist: Aufgrund seiner arabischen<br />

Schrift und seines mit muslimischen<br />

Herrschaftszeiten verbundenen Entstehungshintergrunds<br />

war es zu »muslimisch«<br />

und seit den 1940er Jahren auch zu »pakistanisch«<br />

konnotiert, um unter dem großen<br />

Mantel <strong>der</strong> Hindi-Literaturgeschichte Platz<br />

zu finden.<br />

Solche Abgrenzungsgefechte, Statusrangeleien<br />

und Identitätssuchen gehören ganz<br />

wesentlich zum heutigen Südasien. Sie<br />

werden von diversen Nationalismen und<br />

Subnationalismen getragen und schlagen<br />

sich in einigen Regalmetern von Literaturgeschichten<br />

nie<strong>der</strong>, um von diesen aus über<br />

die Schulen und Universitäten ins allgemeine<br />

Bewusstsein zu gelangen. Ziel des Projektes<br />

ist es, diese umfangreiche kulturelle<br />

Produktion erstmals zusammenhängend<br />

und kritisch auf ihre ideologischen Grundlagen<br />

hin zu untersuchen und damit Neues<br />

über das kulturelle Selbstverständnis im so<br />

heterogenen Südasien herauszufinden. W<br />

Der Verfasser, Jahrgang 1966, studierte<br />

seit 1986 Indologie/Südasienkunde mit<br />

vornehmlich neusprachlicher Ausrichtung<br />

und Ethnologie. Seit 1995 ist er als wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter bzw. Assistent am<br />

Institut für Indologie und Südasienwissenschaften<br />

<strong>der</strong> Martin-Luther-Universität beschäftigt<br />

(Promotion 1997, Habilitation<br />

voraussichtlich 2005). Seine Forschungsinteressen<br />

konzentrieren sich auf die kolonialzeitlichen<br />

und zeitgenössischen Literaturen<br />

sowie neuere religiöse Entwicklungen<br />

in Südasien (Neohinduismus, bengalischer<br />

Islam). Das Projekt ist in <strong>der</strong> Emil-Ab<strong>der</strong>halden-Str.<br />

9 untergebracht. Homepage:<br />

www.suedasien.uni-halle.de/vw-projekt/.<br />

31


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scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

MOKSOPAYA – WIEDERGEWINNUNG DER URFASSUNG<br />

.<br />

INTERNATIONAL VERNETZTE GRUNDLAGENFORSCHUNG HALLE – LUND – ROM<br />

Peter Stephan<br />

................................................................................<br />

Indologische Forscher an den Universitäten Halle, Lund und Rom haben sich zusammenge-<br />

32 schlossen, um das gigantische Werk eines indischen Philosophen, eines anonymen Denkers<br />

aus dem Kaschmir des 10. Jahrhun<strong>der</strong>ts, in seiner erst unlängst entdeckten und als solcher<br />

erkannten Urfassung erstmalig herauszugeben und ins Englische zu übersetzen, den sog.<br />

Moksopaya. . Seine in literarische Kunstformen gegossene Außenseiter-Philosophie wurde<br />

von späteren Generationen gewollt aus <strong>der</strong> Wahrnehmung verdrängt, sein Werk umgeschrieben<br />

und unter an<strong>der</strong>em Namen (Yogavasistha) . . weiterüberliefert. Durch entsprechende<br />

Bearbeitungen verhüllten die Überlieferer sogar die menschliche Autorschaft des Werkes,<br />

weil dies ihrem frommen, an Mythos und Tradition geschulten Geist wi<strong>der</strong>sprach.<br />

Die Initiative für die Wie<strong>der</strong>gewinnung <strong>der</strong><br />

kaschmirischen Urfassung ging von Halle<br />

aus, seit die DFG 1999 die För<strong>der</strong>ung einer<br />

Muster-Teiledition beschloss, die das dritte<br />

»Buch« des besagten Werkes mit 6 200<br />

Doppelversen – und damit ca. ein Fünftel<br />

des Gesamtwerkes – umfassen wird. Dieses<br />

Projekt befindet sich <strong>der</strong>zeit in <strong>der</strong> Abschlussphase<br />

(Projektleiter: Prof. Walter<br />

Slaje, Bearbeiter: PD Dr. Jürgen Hanne<strong>der</strong>,<br />

Peter Stephan M.A.). An den textkritischen<br />

Arbeiten zur Rekonstruktion <strong>der</strong> Urfassung<br />

beteiligen sich flankierend nun auch<br />

Forscherteams aus Schweden (Projektleiter:<br />

Prof. Qvarnström, Bearbeiter: Dr. Gansten)<br />

und Italien (Projektleiter: Prof. Torella,<br />

Bearbeiter: Dr. LoTurco). Das Swedish<br />

Research Council hat zu diesem<br />

Zwecke ein »Moksopaya Translation Pro-<br />

.<br />

ject« eingerichtet, und die Università La Sapienza<br />

in Rom för<strong>der</strong>t die kritische Edition<br />

eines wichtigen, gleichwohl nur fragmentarisch<br />

erhaltenen Kommentars zu diesem<br />

Werk, unter wissenschaftlicher Rückkopplung<br />

und Nutzung <strong>der</strong> in Halle gesammelten<br />

Manuskriptmaterialien. Das Übersetzungsprojekt<br />

<strong>der</strong> Universität in Lund<br />

stützt sich dabei auf den in Halle hergestellten<br />

kritischen Text, <strong>der</strong> den schwedischen<br />

Bearbeitern bereits im Vorfeld <strong>der</strong><br />

Edition zugänglich gemacht wird, so dass<br />

bei nur geringer zeitlicher Versetzung zur<br />

kritischen Edition auch eine philologisch<br />

fundierte, englische Übersetzung des Textes<br />

vorliegen wird.<br />

Sanskrit-Manuskripte entdeckt<br />

Am Anfang des »Moksopaya-Projekts«<br />

.<br />

stand <strong>der</strong> unerwartete Fund einiger Sanskrit-Manuskripte<br />

während <strong>der</strong> 90er Jahre<br />

in einer vorwiegend in Kaschmir geläufigen<br />

und ausschließlich für Manuskripte und<br />

Inschriften verwendeten Schrift. Erst diese<br />

Funde gaben den Anstoß für weiterführende<br />

Forschungen zur Genese dieses enorm<br />

umfangreichen Werkes (30 000 Doppelverse)<br />

mit ungewöhnlich reichem Datenmaterial<br />

auch zur indischen Kulturgeschichte.<br />

Mit <strong>der</strong> textuellen Erschließung <strong>der</strong>jenigen<br />

Manuskripte, die den Urtext, nämlich den<br />

sog. Moksopaya (»Weg zur Befreiung«)<br />

zusammen mit dem <strong>der</strong>zeit noch in Rom<br />

unter abschließen<strong>der</strong> Bearbeitung stehenden<br />

Kommentar überlieferten, konnten erste<br />

Eckdaten festgemacht und die Text- und<br />

Rezeptionsgeschichte dieses Werkes zurück<br />

bis in das Kaschmir des zehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

verfolgt werden. Mit <strong>der</strong> gesicherten<br />

Erkenntnis, dass die als Yogava-<br />

sistha pan-indisch verbreitete Fassung eine<br />

. .<br />

.<br />

spätere, von normabweichenden Inhalten<br />

»gereinigte« Umarbeitung darstellte, und<br />

auf einer von <strong>der</strong> DFG gebotenen Finanzierungsgrundlage,<br />

konnte in Halle die textkritische<br />

Wie<strong>der</strong>herstellung dieses Meilensteins<br />

<strong>der</strong> indischen Literatur- und Philosophiegeschichte<br />

begonnen werden. Im Zuge<br />

dieser Arbeiten wurde auch die weltweit<br />

umfangreichste Kollektion von Yogava-<br />

sistha- bzw. Moksopaya-Manuskripten in<br />

. .<br />

.<br />

Form einer Forschungsbibliothek zusammengetragen.<br />

Alle relevanten Birkenrinden-,<br />

Palmblatt- und Papiermanuskripte<br />

wurden in den Handschriftenabteilungen<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Bibliotheken und privaten<br />

Sammlungen in Indien und Europa lokalisiert<br />

und Duplikate davon beschafft. Dabei<br />

kamen eine ganze Anzahl weiterer Adaptionen<br />

und Epitomen dieses Werkes zum<br />

Vorschein, <strong>der</strong>en Genese, lokale Verbreitung<br />

und Wirkungsgeschichte einer systematischen<br />

Erforschung im Rahmen einer<br />

<strong>der</strong>zeit in Ausarbeitung begriffenen Dissertation<br />

in Halle unterzogen werden. Im September<br />

2004 organisierte PD Dr. J. Hanne<strong>der</strong><br />

im Rahmen des Deutschen Orientalis-<br />

tentags in Halle ein »Moksopaya Panel«,<br />

dessen wissenschaftliche Erträge im Frühjahr<br />

2005 in einem Sammelband <strong>der</strong> Reihe<br />

Indologica Halensis veröffentlicht werden.<br />

Beispiel einer Manuskriptquelle <strong>der</strong> Textedition<br />

.


Projektbearbeiter beim Kollationieren<br />

Bedeuten<strong>der</strong> Erkenntnisgewinn erwartet<br />

Die <strong>der</strong>zeit textkritisch wie<strong>der</strong>herzustellende<br />

Urfassung des Werkes könnte – unter<br />

<strong>der</strong> bei Kulturvergleichen angebrachten Zurückhaltung<br />

– vorsichtig als Produkt eines<br />

indischen Frühaufklärers des 10. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

charakterisiert werden, insofern dieser<br />

einen Geistmonismus – vergleichbar <strong>der</strong><br />

»Welt als Wille und Vorstellung« Schopenhauers<br />

– entwirft, auf dessen Grundlage<br />

Offenbarungsgläubigkeit, Gott- und<br />

Schicksalsergebenheit ebenso wie asketische<br />

Weltabgewandtheit relativiert und expressis<br />

verbis kritisiert werden. Doch wurden<br />

beson<strong>der</strong>s diese Inhalte des Mokso- .<br />

paya in <strong>der</strong> späteren, weit verbreiteten<br />

Yogavasistha-Fassung getilgt, um dem<br />

. .<br />

Werk den Anschein einer frommen, traditionellen<br />

Anschauungen nicht wi<strong>der</strong>sprechenden,<br />

ja geoffenbarten Instruktion in<br />

Übereinstimmung mit <strong>der</strong> konventionellen<br />

Werte- und Gesellschaftsordnung zu verleihen.<br />

Der Autor des Moksopaya trat für<br />

ANZEIGE<br />

.<br />

skeptisches Räsonieren und gesellschaftlich<br />

aktives Leben ein – Bekenntnisse, die<br />

in den späteren Fassungen zu einer Soteriologie<br />

gottergebener Frömmigkeit umgewertet<br />

wurden. Offensichtlich im Umfeld<br />

des indischen Adelsstandes entstanden und<br />

an dessen (auch muslimischen) Höfen bis<br />

in die frühe Neuzeit rezipiert, hatte <strong>der</strong><br />

Autor ein Erlösungsmodell entwickelt, das<br />

ohne Notwendigkeit einer Weltflucht ausschließlich<br />

einer höheren, inneren Entsagung<br />

den Vorzug gibt. Um eine solch innere<br />

Distanz zur Welt zu entwickeln und diese<br />

unter Erfüllung <strong>der</strong> Alltagspflichten aufrechtzuerhalten,<br />

bedarf es einer fundamentalen<br />

Einsicht in die Wirklichkeit des Seins<br />

und individuellen Daseins, angeleitet von<br />

Vernunft. Die im Moksopaya mit Nach-<br />

druck vertretene vita activa lässt eben nicht<br />

die Annahme zu, dass dessen Erlösungslehre<br />

religionssoziologisch in einem asketisch-kontemplativen<br />

Milieu (Yoga) zu<br />

verorten wäre, wie <strong>der</strong> später aufgekomme-<br />

ne Werktitel Yogavasistha es nahe legen<br />

möchte. Die Erzähltechnik des Autors erinnert<br />

an Platon, <strong>der</strong> dem nach Wissen strebenden<br />

Menschen mit seinen Parabeln einen<br />

Weg aus <strong>der</strong> Dunkelheit zum Licht<br />

weisen wollte. Und so vermittelt auch <strong>der</strong><br />

kaschmirische Anonymus seine abstrakten<br />

Lehren anhand begleiten<strong>der</strong>, anschaulicher<br />

Erzählungen, die er mit seinen philosophischen<br />

Ausführungen geschickt verbindet.<br />

.<br />

. .<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

...............................................................................<br />

Sein Werk ist in eine »erleuchtungsdidaktische«<br />

Erzählstruktur gefasst, die dem<br />

sich graduell vertiefenden Verständnishorizont<br />

des Schülers Rechnung trägt. Die Erzählstoffe<br />

als solche faszinierten die Zuhörer<br />

und verhalfen so dem Werk zu seiner<br />

pan-indischen Verbreitung, auch durch<br />

Übersetzungen in viele neuindische Idiome<br />

und außerindische Sprachen – allerdings in<br />

<strong>der</strong> philosophisch-weltanschaulich völlig<br />

»entschärften« Yogavasistha-Fassung. . .<br />

Die<br />

Umgestaltung, welche die zentralen Lehren<br />

des Moksopaya durch die oben beschrie-<br />

.<br />

bene, systematisch redaktionelle Textrevision<br />

erfuhren, käme – bei entsprechen<strong>der</strong><br />

Übertragung auf den europäischen philosophiegeschichtlichen<br />

Kontext – einer vereinnahmenden<br />

Umarbeitung von Sprache<br />

und Gedanken Schopenhauers o<strong>der</strong> Nietzsches<br />

durch – beispielsweise – asketisch<br />

o<strong>der</strong> mystisch ausgerichtete, christliche<br />

Frömmigkeitsbewegungen gleich.<br />

Das Ziel <strong>der</strong> Forschung in Halle richtet<br />

sich zunächst auf die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong><br />

kaschmirischen Rezension des Moksopaya<br />

mittels <strong>der</strong> Methoden mo<strong>der</strong>ner Textkritik.<br />

Denn nur mit Hilfe des kritisch wie<strong>der</strong>hergestellten<br />

Originalwortlauts werden sich<br />

die im Laufe jahrhun<strong>der</strong>tlanger Überlieferungsprozesse<br />

verloren gegangenen Ideen<br />

des anonymen kaschmirischen Autors wie<strong>der</strong>gewinnen,<br />

in ihren inneren Zusammenhängen<br />

erschließen, deuten und sodann in<br />

eine Universalgeschichte <strong>der</strong> philosophischen<br />

Ideen und <strong>der</strong> Literatur einordnen<br />

lassen.<br />

Der regelmäßige wissenschaftliche Austausch<br />

mit den assoziierten Forschern in<br />

Lund und Rom verspricht über die primären<br />

Forschungsziele <strong>der</strong> schwerpunktmäßig<br />

unterschiedlich bearbeiteten Fel<strong>der</strong> hinaus<br />

wichtigen Erkenntnisgewinn auch für Linguistik,<br />

Philosophiegeschichte, Religionssoziologie<br />

(vita activa contra vita contemplativa),<br />

Universalgeschichte (indischer Erlösungsrationalismus,<br />

Ansätze zu Aufklärungsideen),<br />

Literatur (stoffliche Neuschöpfungen)<br />

und für die Kultur- und Realienkunde<br />

des mittelalterlichen Kaschmir.<br />

W<br />

Peter Stephan MA studierte Indologie und<br />

Philosophie in München, Pune (Indien) und<br />

Halle. Innerhalb seines Forschungsgebietes,<br />

<strong>der</strong> indischen Philosophie, arbeitete er<br />

.<br />

überwiegend an einer Studie über Sankaras<br />

Bhagavadgita-Exegese.<br />

.<br />

33


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

INDISCHE PHILOSOPHIE UND ISLAMISCHE REZEPTION<br />

ANALYSEN INDO-PERSISCHER ÜBERSETZUNGSLITERATUR<br />

Heike Franke und Susanne Stinner<br />

................................................................................<br />

Seit Oktober 2002 för<strong>der</strong>t die DFG das Projekt »Indo-persische Übersetzungsliteratur«, in<br />

34 dessen Mittelpunkt die kulturelle Interaktion von Muslimen und Hindus zur Zeit <strong>der</strong> Mogulherrscher<br />

steht. Lokalisiert ist das Projekt an den Instituten für Orientalistik und Indologie<br />

<strong>der</strong> MLU. Die gemeinsame Arbeit <strong>der</strong> beiden Bearbeiter setzt auf philologisch-historische<br />

und komparatistische Methoden und wäre ohne die interdisziplinäre Verschränkung<br />

von indologischer und islamwissenschaftlicher Fachkompetenz undenkbar, gilt es doch<br />

dem jeweils an<strong>der</strong>en so komplexe und gegensätzliche, räumlich wie zeitlich ausgedehnte<br />

Traditionen zu erschließen, wie es die islamische und die hinduistische sind.<br />

In seiner ursprünglichen Gestalt in Vergessenheit<br />

zu geraten drohte nicht nur <strong>der</strong><br />

Moksopaya (siehe den vorangehenden Bei-<br />

.<br />

trag zur Moksopaya Research Group).<br />

Auch die reiche, aus diesem Werk schöpfende<br />

altindische Literatur, die Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

gedanklicher Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

dem im 10. Jh. verfassten monumentalen<br />

Text bezeugt, ruhte unerschlossen und sogar<br />

unbekannt, in einem oft beklagenswerten<br />

Zustand in den Bibliotheken Indiens<br />

und Europas.<br />

Die Arbeit <strong>der</strong> Moksopaya Research<br />

Group führte unter an<strong>der</strong>em zur Entdekkung<br />

origineller kürzerer Fassungen des<br />

Textes in verschiedenen indischen Schriften.<br />

Eine in ganz Indien verbreitete, immerhin<br />

noch ca. 6 000 Verse umfassende<br />

»Kurzversion« ist das sogenannte Laghu-<br />

Yogavasistha (LYV), das auch in einer An-<br />

. .<br />

.<br />

.<br />

zahl von persischen Übersetzungen existiert.<br />

Da die persischen Übersetzungen, die im<br />

späten 16. Jahrhun<strong>der</strong>t entstanden, zu den<br />

ältesten noch existierenden Zeugnissen des<br />

LYV überhaupt gehören, liefern sie <strong>der</strong> Indologie<br />

wichtige Belege für die Textgestalt<br />

und -geschichte dieses Werkes. Aufgrund<br />

des verhältnismäßig überschaubaren Textumfangs<br />

lassen sich – oft stillschweigend<br />

und anonym vorgenommene – redaktionelle<br />

Eingriffe beson<strong>der</strong>s gut verfolgen und in ihren<br />

typischen Verläufen darstellen.<br />

Aus islamwissenschaftlicher Perspektive<br />

ist das persische LYV im weiteren Kontext<br />

<strong>der</strong> umfangreichen Übersetzungsaktivitäten<br />

von Interesse, die von den muslimischen<br />

Mogulherrschern des 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

unternommen wurden und <strong>der</strong>en Untersuchung<br />

seit langem zu den Desi<strong>der</strong>ata<br />

<strong>der</strong> Islamwissenschaft gehört. Eigens eingesetzte<br />

»Übersetzerteams« übertrugen zahlreiche<br />

wissenschaftliche, philosophische<br />

sowie mythologische und religiöse Werke<br />

aus <strong>der</strong> indigenen Wissenschafts- und Literatursprache<br />

Sanskrit in das Persische, das<br />

als Verwaltungs- und Umgangsidiom <strong>der</strong><br />

höfischen Eliten diente.<br />

Die Hauptmotivation <strong>der</strong> Mogulherrscher<br />

für die sprachliche Erschließung des den<br />

Muslimen fremden Kulturgutes scheint in<br />

erster Linie politisches Kalkül gewesen zu<br />

sein, wollten sich doch Akbar ^ (reg. 1556–<br />

1605) und sein Nachfolger Gahangir (reg.<br />

1605–1628) nicht nur als Herrscher eines<br />

muslimischen Reiches, son<strong>der</strong>n eines alle<br />

Völker und Religionen einschließenden Imperiums<br />

verstanden wissen. Die Übertragung<br />

<strong>der</strong> Sanskrit-Literatur in die Hofsprache<br />

ist zweifelsohne als <strong>der</strong> Versuch<br />

zu deuten, das altindische Erbe offiziell als<br />

Teil <strong>der</strong> eigenen Kultur, <strong>der</strong> mogul-indischen<br />

Reichsidentität, anzuerkennen.<br />

Gleichzeitig dürfen wir von einem persönlichen<br />

Interesse an den Sanskrit-Werken<br />

ausgehen, wie es deutlich aus den ^ eigenen<br />

Worten des Prinzen Dara Sikoh (st. 1659)<br />

im Vorwort zu <strong>der</strong> von ihm veranlassten<br />

Neuübersetzung des LYV hervorgeht.<br />

Kostbare Illustrationen<br />

Von Akbars Begeisterung für verschiedene<br />

Sanskrit-Schriften erfahren wir insbeson<strong>der</strong>e<br />

aus dem Bericht des Historikers<br />

Bada’uni. Akbar war nicht nur <strong>der</strong>jenige<br />

Mogulherrscher, <strong>der</strong> die meisten Übersetzungen<br />

in Auftrag gab, er war es auch, <strong>der</strong><br />

viele dieser Bände durch die höfischen Maler<br />

kostbar bebil<strong>der</strong>n ließ. Die künstlerische<br />

Ausgestaltung eines LYV geht mit seinen<br />

41 Illustrationen hingegen auf Akbars Sohn<br />

^<br />

Gahangir zurück.<br />

So entstanden – zwischen Herrschaftsstrategie<br />

und dem Interesse für das Denken <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en – Zeugnisse einer indo-islamischen<br />

Kultur. Die Bearbeitung dieser Quellen erfor<strong>der</strong>te<br />

die Etablierung einer deutschlandweit<br />

einzigartigen interdisziplinären Projektarbeit<br />

zwischen Islamwissenschaft und<br />

Indologie. Im Vor<strong>der</strong>grund dieser Projektarbeit<br />

steht die Frage, inwieweit die muslimische<br />

Annäherung an die religiöse und<br />

philosophische Geisteswelt <strong>der</strong> Hindus gelungen<br />

ist. Auskunft darüber soll die genaue<br />

Untersuchung <strong>der</strong> Übersetzungsmethode(n)<br />

geben: Es gilt herauszufinden, auf<br />

welche Weise Konzepte aus dem hinduistischen<br />

Kontext in die Begrifflichkeit des<br />

Persischen transferiert wurden. Welche<br />

Chance hatte man, mit einer durch den Is-<br />

lam und die islamische Mystik geprägten<br />

Sprache hinduistisches Gedankengut auszudrücken?<br />

Inwieweit haben die Übersetzer<br />

die Intention des Ausgangstextes verstanden?<br />

Und in welchem Ausmaß haben<br />

sie möglicherweise Uminterpretationen ihrer<br />

Vorlage vorgenommen, die Rückschlüsse<br />

auf ihre eigene Zielsetzung o<strong>der</strong> auf die<br />

ihres Auftraggebers zulassen?<br />

Voraussetzung für den Vergleich von Ausgangstext<br />

und Übersetzung war zunächst<br />

die Identifikation <strong>der</strong> richtigen Vorlage für<br />

die Übersetzungen. Danach konnten Originaltext<br />

und persische Fassungen Zeile für<br />

Zeile vergleichend gelesen und grammatisch-syntaktisch<br />

sowie inhaltlich analysiert<br />

werden. Da sich die einzige Sanskrit-<br />

Edition des Textes aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

als unbrauchbar erwies, sollten alle bekannten<br />

indischen Hss möglichst vollständig<br />

beschafft werden. Angesichts <strong>der</strong> zunehmend<br />

restriktiv gehandhabten Kulturpolitik<br />

in Indien und des voranschreitenden<br />

Verfalls des Materials bedeutet die erfolgreiche<br />

Deponierung von mittlerweile 21 indischen<br />

Hss (darunter bislang unbekannte<br />

Versionen, nie publizierte Kommentare<br />

und Kopien von Palmblatthandschriften)<br />

in Halle die Bewahrung unwie<strong>der</strong>bringlicher<br />

Werke. Eine für Ende 2005 geplante<br />

Beschaffungsreise in den Süden Indiens<br />

soll die Sammlung komplettieren und<br />

gleichzeitig eine in dieser Weise nirgendwo<br />

vorhandene, schrittweise zu digitalisierende<br />

Materialbasis für langfristige For-<br />

Beginn einer südindischen Laghuyogavasistha-Handschrift<br />

auf Palmblatt.<br />

. .<br />

schungsarbeit am Standort Halle begründen.<br />

Zusätzliche Unterstützung und wertvolle<br />

Informationen steuert die Gemeinschaft<br />

<strong>der</strong> in Halle, Rom und Lund (Schwe-<br />

den) mit dem Moksopaya befassten For-<br />

.<br />

scher bei.<br />

Zu den längerfristigen Zielen zählt die Erstellung<br />

einer kritischen Edition des Sanskrit-Textes.<br />

Damit werden die im Projekt


erarbeiteten philologischen und exegetischen<br />

Kriterien zur Erschließung des<br />

Originalmaterials <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Öffentlichkeit vorgestellt und verlässliche<br />

Grundlagen für vergleichende Studien allgemein<br />

zugänglich gemacht.<br />

Für die islamwissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

ergaben sich etwas an<strong>der</strong>e Aufgaben.<br />

Zunächst war es notwendig, Ordnung in<br />

die äußerst verworrene Handschriftensituation<br />

zu bringen und die genaue Anzahl und<br />

Entstehungszeit <strong>der</strong> persischen LYV-Übersetzungen<br />

zu bestimmen. Zwar stellte sich<br />

heraus, dass zwei <strong>der</strong> drei Übersetzungen<br />

des Werkes als Editionen existieren. Deren<br />

Beschaffung gestaltete sich indessen als<br />

ungleich schwieriger als <strong>der</strong> Erwerb <strong>der</strong><br />

Handschriften selbst, auf welche die Bearbeiterin<br />

während des gesamten ersten<br />

Projektjahres ausschließlich zurückgreifen<br />

musste. Nur dank <strong>der</strong> Hilfe eines im Iran<br />

tätigen französischen Forschers, <strong>der</strong> eine<br />

<strong>der</strong> Editionen in einem Teheraner Antiquariat<br />

ausfindig machen konnte, gelangte die<br />

Druckausgabe schließlich nach Halle und<br />

gehört nun zu <strong>der</strong> bereits recht umfangreichen<br />

Sammlung von Manuskripten, Steindrucken<br />

und Editionen von Werken <strong>der</strong><br />

indo-persischen Übersetzungsliteratur und<br />

damit zusammenhängen<strong>der</strong> Abhandlungen<br />

und Kommentare.<br />

Die aktuelle Frage nach den Bedingungen<br />

und Möglichkeiten von Religions- und<br />

Kulturkontakten – beispielhaft untersucht<br />

am islamisch beherrschten Indien <strong>der</strong> Vor-<br />

Bild rechts: »Die Sprachkundigen unter den<br />

Muslimen und ^ Hindus bereiten zusammen<br />

.<br />

mit Sayh Abu’l Fazl die Übersetzung ^<br />

des<br />

Mahabharata vor.«<br />

Aus einem Mahabharata von 1598. The<br />

Free Library of Philadelphia, Pennsylvania,<br />

USA.<br />

Bild links: »Siva und seine Gemahlin Parvati<br />

statten dem Weisen Vasistha . . einen Besuch<br />

^<br />

ab.«<br />

^<br />

^<br />

Aus einem Gog basistha von 1602. Chester<br />

Beatty Library, Ms. 5, Fol. 230r.<br />

mo<strong>der</strong>ne – bildet einen <strong>der</strong> Schwerpunkte<br />

innerhalb <strong>der</strong> Projektarbeit. Wie rezente<br />

Forschungstätigkeit gezeigt hat, gilt es,<br />

gängige Klischees – etwa von Akbars reli-<br />

^<br />

giöser Toleranz o<strong>der</strong> Gahangirs Vorbehalten<br />

gegen den Hinduismus – mit Hilfe neuer<br />

Quellen aufzuarbeiten. Die zu erwartenden<br />

Antworten aus den Bereichen <strong>der</strong> Kulturund<br />

Religionsgeschichte beruhen auf direkten<br />

Analysen von Sprache, Text und geschichtlichem<br />

Kontext und sind daher unmittelbares<br />

Ergebnis indologischer und islamwissenschaftlicherGrundlagenforschung.<br />

W<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Indologie und Südasienwissenschaften<br />

...............................................................................<br />

Dr. Heike Franke studierte in Bonn Vergleichende<br />

Religionswissenschaft, Japanologie,<br />

Islamwissenschaft und Orientalische<br />

Kunstgeschichte und wurde 2002 mit einer<br />

Arbeit über Legitimation und Selbstinszenierung<br />

<strong>der</strong> frühen Mogulherrscher promoviert.<br />

Susanne Stinner MA studierte Indologie<br />

und Religionswissenschaft in Leipzig, Halle<br />

und Wien. In ihrer Magisterarbeit untersuchte<br />

sie Erlösungskonzepte in <strong>der</strong> Yoga-<br />

Philosophie.<br />

35


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Personalia<br />

................................................................................<br />

36<br />

BERUFUNGEN, EHRUNGEN, GREMIEN,<br />

WEGBERUFUNGEN UND ERRATA<br />

FACHBEREICH<br />

GESCHICHTE,<br />

PHILOSOPHIE<br />

UND SOZIAL-<br />

WISSENSCHAFTEN<br />

Prof. Dr. rer. pol. Reinhold Sackmann<br />

Universitätsprofessor für Soziologie, insbeson<strong>der</strong>e<br />

Sozialstrukturanalyse mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften<br />

(C4), am FB Geschichte, Philosophie<br />

und Sozialwissenschaften seit 1. Dezember<br />

2004.<br />

Geboren am 28. November 1959 in Passau.<br />

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:<br />

1981–1985 Studium d. Sozialwissenschaft<br />

an d. Universität Bremen<br />

1987–1993 Wiss. Mitarb. im Institut für<br />

empirische u. angewandte Soziologie<br />

(EMPAS), Univ. Bremen<br />

1990 Promotion zum Dr. rer. pol.<br />

1993–1999 Wiss. Assistent am Institut für<br />

Soziologie, Universität Bremen<br />

1997–2002 Leiter des Projektes A4 am SFB<br />

186 »Statuspassagen und Risikolagen<br />

im Lebensverlauf«<br />

1998 Habilitation und Venia Legendi:<br />

Soziologie<br />

1998/99 Vertretungsprofessor an <strong>der</strong><br />

Universität des Saarlandes, Saarbrücken<br />

1999–2004 Hochschuldozent (C2) am Institut<br />

für Soziologie, Univ. Bremen<br />

2000/2001 Vertretungsprofessor an <strong>der</strong> FU<br />

Berlin<br />

2002–2006 Leiter des Projektes C4 am SFB<br />

597 »Staatlichkeit im Wandel«<br />

2004 Universitätsprofessor in Halle<br />

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:<br />

Sozialstrukturanalyse, allgemeine Soziologie,<br />

Arbeitsmarkt-, Lebenslauf-, Bildungs- und<br />

Bevölkerungssoziologie<br />

Publikationen (Auswahl):<br />

• Sackmann, Reinhold: Konkurrierende Generationen<br />

auf dem Arbeitsmarkt. Altersstrukturierung<br />

in Arbeitsmarkt und Sozialpolitik.<br />

Opladen 1998<br />

• Sackmann, Reinhold/Wingens, Matthias<br />

(Hrsg.): Strukturen des Lebenslaufs. Übergang<br />

– Sequenz – Verlauf. Weinheim 2001<br />

• Sackmann, Reinhold: Internationalisierung<br />

von Bildungsmärkten? Empirische Daten zur<br />

Kommerzialisierung von Bildung in Deutschland<br />

und den USA. In Beiträge zur Hochschulforschung<br />

26, 4 (2004), 62–92<br />

Prof. Dr. habil. Mario Schirmer<br />

FACHBEREICH<br />

GEOWISSEN-<br />

SCHAFTEN<br />

Universitätsprofessor für Hydrogeologie und<br />

Modellierung (C3) am FB Geowissenschaften<br />

seit 15. Dezember 2004 und (bereits seit<br />

2002) Departementsleiter am Umweltforschungszentrum<br />

(UFZ) Leipzig-Halle GmbH.<br />

Geboren am 24. Juli 1964 in Dresden.<br />

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:<br />

1986–1991 Studium d. Diplom-Geophysik<br />

an d. Universität Freiberg<br />

08.02.1991 Diplom<br />

1991–1993 Wiss. Mitarb. am Institut für<br />

Wasserbau d. Univ. Stuttgart<br />

1993–1998 Studium d. Geowissenschaften<br />

an <strong>der</strong> University of Waterloo<br />

(Ontario, Kanada)<br />

24.11.1998 Promotionsverteidigung<br />

1998–1999 Postdoc, University of Waterloo,<br />

Dep. of Earth Sciences<br />

1999–2001 Postdoc, UFZ Leipzig-Halle<br />

20.11.2002 Habilitation in Tübingen<br />

seit 2002 Departmentsleiter am o. g. UFZ<br />

2004 Universitätsprofessor in Halle<br />

Wissenschaftspreise und Auszeichnungen:<br />

1995–1996 Government of Canada Award<br />

1999 Dresdner Grundwasserforschungspreis<br />

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:<br />

Numer. Strömungs- u. reaktive Transportmodellierung;<br />

naturnahe Sanierungsstrategien<br />

f. großfl. kontaminierte Grundwasserleiter;<br />

Skalierung v. Parametern urbaner Hydrogeologie;<br />

kolloidaler Transport im Grundwasser;<br />

passive Grundwasserprobennehmer; tiefenorientierte<br />

Grundwasserprobennahme; integriertes<br />

Wasser- u. Bodenmanagement<br />

Publikationen (Auswahl):<br />

• Schirmer, M., Durrant, G. C., Molson, J.<br />

W. and Frind, E. O. 2001. Influence of transient<br />

flow on contaminant biodegradation.<br />

Ground Water, 39(2), 276–282<br />

• Schirmer, M., Butler, B. J., Church, C. D.,<br />

Barker, J. F. and Nadarajah, N. 2003. Laboratory<br />

evidence of MTBE biodegradation in<br />

Borden aquifer material. Journal of Contaminant<br />

Hydrology, 60(3–4), 229–249<br />

• Schirmer, M., Butler, B. J. 2004. Transport<br />

behaviour and natural attenuation of organic<br />

contaminants at spill sites. Toxicology,<br />

205(3), 173–179<br />

Heinz-Hermann Krüger<br />

in einem Fachkollegium <strong>der</strong> DFG<br />

und in einer Ministeriumskommission<br />

Im Dezember 2004 wurde Prof. Dr. Heinz-<br />

Hermann Krüger – Lehrstuhl für Allgemeine<br />

Erziehungswissenschaft am Institut für Pädagogik<br />

des Fachbereichs Erziehungswissenschaften<br />

<strong>der</strong> Martin-Luther-Universität – in<br />

das Fachkollegium Erziehungswissenschaft<br />

<strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft gewählt.<br />

Er übt in diesem Gremium zudem das<br />

Amt des stellvertretenden Sprechers aus.<br />

Vom Bundesministerium für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend wurde Professor<br />

Krüger bereits vor geraumer Zeit in die<br />

Kommission zur Erstellung des 12. Kin<strong>der</strong>und<br />

Jugendberichtes berufen, die im April<br />

2005 – nach knapp zweijähriger Arbeit –<br />

ihren Bericht zum Thema »Bildung und Erziehung<br />

vor und außerhalb <strong>der</strong> Schule« dem<br />

Deutschen Bundestag und <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

vorlegen wird.<br />

Günther Schilling in Amerika<br />

Die Biographie von Professor Dr. habil.<br />

Günther Schilling, Landwirtschaftliche Fakultät,<br />

Altrektor <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg (1990–92), wurde in<br />

das Werk »Great Minds of the 21 st Century,<br />

2004 Edition« aufgenommen. Herausgeber<br />

ist das American Biographical Institute, Inc.<br />

Wegberufungen 2003/2004<br />

Juristische Fakultät:<br />

– Prof. Dr. Paul Oberhammer seit 30.<br />

September 2003 Universität Zürich<br />

– Prof. Dr. Peter Jung seit 1. Oktober<br />

2004 Universität Basel<br />

Wirtschaftwissenschaftliche Fakultät:<br />

– Prof. Dr. Bernd Weitz seit 31. Juli 2004<br />

Universität Köln<br />

Medizinische Fakultät:<br />

– Prof. Dr. Heinz Kölbl seit 30. September<br />

2003 Universität Mainz<br />

– Prof. Dr. Sylvia Heywang-Köbrunner<br />

seit 1. November 2003 TU München<br />

– Prof. Dr. Stefan Burdach seit 1. Dezember<br />

2003 Klinik rechts <strong>der</strong> Isar München<br />

– Prof. Dr. Thomas Braun seit 15. November<br />

2004 Universität Gießen<br />

FB Biologie/Institut für Pflanzengenetik und<br />

Kulturpflanzenforschung Gatersleben:<br />

– Prof. Dr. Uwe Sonnewald seit 15. Dezember<br />

2004 Universität Erlangen-Nürnberg<br />

Errata – Prof. Dr. rer. nat. Thomas Groth<br />

In die Berufungsmeldung von Professor<br />

Groth (»scientia halensis« 4/04, Seite 35)<br />

haben sich – von <strong>der</strong> Redaktion lei<strong>der</strong> nicht<br />

bemerkt – zwei Fehler eingeschlichen:<br />

– Thomas Groth wurde 1991 zum Dr. rer.<br />

nat. (nicht: Dr.-Ing.) promoviert.<br />

– Sein Geburtsjahr ist 1956 (nicht: 1953).


BERUFUNGEN<br />

MEDIZINISCHE<br />

FAKULTÄT<br />

Prof. Dr. med. Christoph Thomssen<br />

Universitätsprofessor für Gynäkologie und<br />

Geburtshilfe (C4) an <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

seit 30. Dezember 2004.<br />

Geboren am 5. Januar 1957 in Waldshut.<br />

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:<br />

1976–1978 Medizinstudium in Göttingen<br />

1978–1983 Medizinstudium an d. Technischen<br />

Universität München<br />

1983 Staatsexamen u. Approbation<br />

1984–1986 Assistenzarzt in Fürstenfeldbruck<br />

1986–1996 Assistenzarzt/Oberarzt an d. TU<br />

München, Klinikum re. d. Isar<br />

1989 Promotion an d. TU München<br />

1991 Facharzt für Frauenheilkunde u.<br />

Geburtshilfe<br />

seit 1996 Ltd. Oberarzt u. Stellv. d. Klinikdirektors,Universitätskrankenhaus<br />

Eppendorf (Frauenklinik)<br />

1998 Habilitation an <strong>der</strong> TH München<br />

2001 Universitätsprofessor (C3) am<br />

Klinikum Hamburg-Eppendorf<br />

2003–2004 Vertretungsprofessur an d. MLU<br />

2004 Universitätsprofessor in Halle<br />

Forschungsschwerpunkte:<br />

Adjuvante Behandlung u. palliative Therapie<br />

des Mammakarzinoms, Prognosefaktoren u.<br />

prädiktive Faktoren beim Mammakarzinom;<br />

operative Techniken d. Axilladissektion u.<br />

Komplikationen; operat. Therapie bei Ovarialkarzinom;<br />

antiemetische Therapie; fetale<br />

Zustandsdiagnostik; Wehenformanalysen u. a.<br />

Publikationen (Auswahl):<br />

• Harbeck N, Thomssen C. Prognosefaktoren<br />

und prädiktive Faktoren. In: Aktuelle<br />

Empfehlungen zur Therapie primärer und<br />

fortgeschrittener Mammakarzinome. v.<br />

Minckwitz G für die AGO-Organkommission<br />

Mamma* (eds.). München-Bern-Wien-New<br />

York 2003, S. 16–22. (*u. a. Thomssen C)<br />

• Thomssen C. Prognostische und prädiktive<br />

Faktoren bei Mamma-, Zervix- und Ovarialkarzinom.<br />

In: Medikamentöse Therapie des<br />

Mammakarzinoms. Elling D (ed.). Bremen,<br />

London, Boston 2003, S. 23–31.<br />

• Thomssen C, Scharl A. Nachsorge. In. Aktuelle<br />

Empfehlungen zur Therapie primärer<br />

und fortgeschrittener Mammakarzinome. v.<br />

Minckwitz G für die AGO-Organkommission<br />

Mamma* (eds.). München-Bern-Wien-New<br />

York, 2003, S. 110–126. (*u. a. Thomssen C)<br />

FACHBEREICH<br />

KUNST-,<br />

ORIENT- UND<br />

ALTERTUMS-<br />

WISSENSCHAFTEN<br />

Prof. Dr. phil. Hans-Georg Stephan<br />

Universitätsprofessor für Archäologie des<br />

Mittelalters und <strong>der</strong> Neuzeit (C 3) am FB<br />

Kunst-, Orient- und Altertumswissenschaften<br />

seit 30. Dezember 2004.<br />

Geboren 30. Mai 1950 Dalhausen/Westfalen.<br />

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:<br />

1968–1975 Studium d. Ur- u. Frühgeschichte,<br />

Volkskunde u. Hist. Hilfswissenschaften<br />

in Münster, München<br />

u. Cardiff/Wales<br />

1973 Magister Artium<br />

1975 Promotion<br />

1975–1977 Wiss. Angest. im SFB 127 d.<br />

Universität Kiel, Tätigkeit in<br />

<strong>der</strong> Stadtarchäologie Lübeck<br />

1977–2004 Akademischer Rat u. apl. Prof.<br />

an <strong>der</strong> Universität Göttingen<br />

1991/92 Habilitation<br />

2004 Universitätsprofessor in Halle<br />

Arbeitsschwerpunkte:<br />

Interdisziplinäre u. praxisorientierte archäologische<br />

Forschung im 1. und 2. nachchristl.<br />

Jahrtausend, vornehml. in Mitteleuropa;<br />

mittelalterl. Siedlungs- u. Landschaftsgesch.;<br />

Stadttopographie u. Baugeschichte; materielle<br />

Kultur, insbeson<strong>der</strong>e Keramik u. Glas; Wirtschaftsgeschichte,<br />

bes. Töpferei, Metallurgie<br />

u. Glasproduktion; Archäometrie.<br />

Publikationen (Auswahl <strong>der</strong> Monografien):<br />

• Großalmerode. Ein Zentrum <strong>der</strong> Herstellung<br />

von technischer Keramik, Steinzeug und<br />

Irdenware in Hessen. Die Geschichte <strong>der</strong> keramischen<br />

Gewerbe in Großalmerode und die<br />

Entwicklung ihrer Produktion vom 12 bis<br />

zum 19. Jahrhun<strong>der</strong>t. Teil I, 1986, II, 1995<br />

• Die bemalte Irdenware <strong>der</strong> Renaissance in<br />

Mitteleuropa. Ausstrahlungen und Verbindungen<br />

<strong>der</strong> Produktionszentren im gesamteuropäischen<br />

Rahmen. Forschungshefte d. Bayerischen<br />

Nationalmuseums München 12, 1987<br />

• Keramik <strong>der</strong> Renaissance im Oberweserraum<br />

und an <strong>der</strong> unteren Werra. Beiträge <strong>der</strong><br />

Archäologie zur Erforschung <strong>der</strong> Sachkultur<br />

<strong>der</strong> frühen Neuzeit. Zeitschrift für Archäologie<br />

des Mittelalters, Beiheft 7, 1992<br />

• Studien zur Siedlungsentwicklung u. -struktur<br />

v. Stadtwüstung u. Reichskloster Corvey<br />

(800–1670). Eine Synopse auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

<strong>der</strong> archäologischen Quellen. Göttinger<br />

Schriften zur Ur- u. Frühgeschichte 26, 2000<br />

..............................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Personalia<br />

...............................................................................<br />

FACHBEREICH<br />

SPRACH- UND<br />

LITERATUR-<br />

WISSENSCHAFTEN<br />

Prof. Dr. phil. Manfred Kammer<br />

Universitätsprofessor für Multimedia und<br />

Medienpolitik (C3) am FB Sprach- und Literaturwissenschaften<br />

seit 30. Dezember 2004.<br />

Geboren 23. November 1949 in Mettmann.<br />

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:<br />

1970–1978 Studium d. Germanistik u. Geografie<br />

an d. RWTH Aachen<br />

1978–1981 Wiss. Ass. an d. RWTH Aachen<br />

1981 Promotion zum Dr. phil.<br />

1981–1991 Wiss. Angest. an d. RWTH<br />

Aachen u. d. Universität-Gesamthochschule<br />

(UGH) Siegen<br />

1986–2000 Mitgl. d. SFB 240 »Bildschirmmedien«<br />

an d. UGH Siegen<br />

1992 Habilitation an d. UGH Siegen<br />

1992–1998 HS-Dozent an d. UGH Siegen<br />

1993–1997 Vertretung d. Professur für<br />

Medienwissenschaft ebenda<br />

1998 Gastprofessur an d. Keio-Universität<br />

in Tokyo/Japan<br />

1998–2001 Vertretung d. Professur f. Multimedia<br />

an d. Universität Siegen<br />

2001–2004 Wiss. Angest. an d. Univ. Siegen<br />

2002–2004 Mitglied d. Forschungskollegs/<br />

SFB 615 »Medienumbrüche«<br />

an d. Univ. Siegen<br />

2004 Universitätsprofessor in Halle<br />

Arbeits- und Forschungsscherpunkte:<br />

Multimedia u. »Neue Medien« in Theorie,<br />

Geschichte u. Analyse; Einsatz und Nutzung<br />

d. »Neuen Medien« in d. Praxis (einschließlich<br />

d. World Wide Web)<br />

Publikationen (Auswahl):<br />

• Geschichte <strong>der</strong> Digitalmedien. In: Schanze,<br />

Helmut (Hrsg.): Handbuch <strong>der</strong> Mediengeschichte.<br />

Stuttgart 2001, S. 519–554<br />

• Lexikonartikel zu: Archiv, Binäres System,<br />

CD-ROM, Computer, Cyberspace, Elektronischer<br />

Text, Hypertext, Internet, Neue<br />

Technologien. In: Metzler Lexikon Kultur<br />

<strong>der</strong> Gegenwart. Themen und Theorien, Formen<br />

und Institutionen seit 1945, hrsg. von<br />

Ralf Schnell. Stuttgart 2000<br />

• Vom ›Live‹ zur Interaktion. In: Hallenberger,<br />

Gerd, Helmut Schanze (Hrsg.): Live is<br />

Life. Mediale Inszenierungen des Authentischen.<br />

Baden-Baden 2000. S. 123–136<br />

Schanze, Helmut, Manfred Kammer (Hrsg.):<br />

Interaktive Medien und ihre Nutzer. Bd. 1–4.<br />

Baden-Baden 1998–2002<br />

37


....................................................................................<br />

scientia halensis 1/2005<br />

Rätsel/AutorInnen<br />

................................................................................<br />

Zeigt das Foto<br />

38<br />

WETTEN, SIE<br />

WISSEN’S<br />

NICHT ...<br />

a) Flüssigkristalle unter dem Mikroskop<br />

b) Details eines Schmuckstücks aus beson<strong>der</strong>em<br />

Blickwinkel<br />

o<strong>der</strong><br />

c) etwas ganz An<strong>der</strong>es und wenn ja, was?<br />

Wer uns als erste(r) die richtige Lösung<br />

übermittelt (per Telefon, Fax o<strong>der</strong> Mail),<br />

erhält ZWEI FREIKARTEN – wahlweise<br />

für ein Konzert des Instituts für Musikpädagogik<br />

bzw. Collegium musicum o<strong>der</strong><br />

für eine Aufführung <strong>der</strong> Sprechbühne des<br />

Instituts für Sprechwissenschaft/Phonetik.<br />

AUTORINNEN<br />

DIESER AUSGABE:<br />

Martin-Luther-Universität<br />

Halle Wittenberg<br />

Fachbereich Kunst-, Orient- und<br />

Altertumswissenschaften<br />

Postanschrift:<br />

06099 Halle (Saale)<br />

Institut für Prähistorische Archäologie<br />

Hausanschrift:<br />

Brandbergweg 23c, 06120 Halle<br />

Prof. Dr. François Bertemes<br />

Telefon: 0345 55-24059<br />

Fax: 0345 55-27057<br />

E-Mail: francois.bertemes@praehist.unihalle.de<br />

Dr. Peter F. Biehl<br />

Telefon: 0345 55-24053<br />

Fax: 0345 55-27057<br />

E-Mail: peter.biehl@praehist.uni-halle.de<br />

Internet: www.praehist.uni-halle.de<br />

Institut für Klassische Altertumswissenschaften<br />

Hausanschrift:<br />

Universitätsplatz 12, 06108 Halle<br />

Prof. Dr. Andreas Mehl<br />

Telefon: 0345 55-24020<br />

Fax: 0345 55 2-7069<br />

E-Mail: mehl@altertum.uni-halle.de<br />

Dr. Oliver Schmitt<br />

Telefon: 0345 55-24013<br />

Fax: 0345 55-27069<br />

E-Mail: schmitt@altertum.uni-halle.de<br />

Das Bild in <strong>der</strong> Dezemberausgabe 2004 (Foto: Margarete Wein) zeigte einen Teil des halleschen<br />

Marktplatzes zwischen Galeria Kaufhof und dem »Kultur-Kaufhaus« – bevor die Ausgrabungen<br />

vor dem Weihnachtsmarkt wie<strong>der</strong> verschlossen werden mussten.<br />

Prof. Dr. Andreas Furtwängler<br />

Telefon: 0345 55-24019<br />

Fax: 0345 55-27069<br />

E-Mail: furtwaengler@altertum.unihalle.de<br />

Henryk Löhr<br />

Telefon: 0345 55-24018<br />

E-Mail: henryk.loehr@altertum.unihalle.de<br />

Prof. Dr. Michael Hillgruber<br />

Telefon: 0345 55-24022<br />

Fax: 0345 55-27069<br />

E-Mail: michael.hillgruber@altertum.unihalle.de<br />

Prof. Dr. Thomas Klein<br />

Telefon: 0345 55-24017<br />

Fax: 0345 55-27069<br />

E-Mail: klein@altertum.uni-halle.de<br />

Institut für Orientalistik<br />

Hausanschrift:<br />

Mühlweg 15, 06114 Halle<br />

Prof. Dr. Stefan Le<strong>der</strong><br />

Telefon: 0345 55-24070<br />

Fax: 0345 55-27123<br />

E-Mail: le<strong>der</strong>@orientphil.uni-halle.de<br />

Seminar für Judaistik/Jüdische<br />

Studien,<br />

Franckesche Stiftungen,<br />

Franckeplatz 1 Haus 26,<br />

06110 Halle<br />

Dr. Gerold Necker<br />

Tel.: 0345 55-24061<br />

Fax: 0345 55-27200<br />

E-Mail: gerold.necker@judaistik.unihalle.de<br />

Institut für Kunstgeschichte<br />

Hausanschrift:<br />

Hoher Weg 4, 06120 Halle<br />

Prof. Dr. Heinrich Dilly<br />

Telefon: 0345 55-24313<br />

Fax: 0345 55-27040<br />

E-Mail: heinrich.dilly@kunstgesch.unihalle.de<br />

Institut für Indologie und<br />

Südasienwissenschaften<br />

Hausanschrift:<br />

Heinrich-undThomas-Mann-Str. 26<br />

06108 Halle (Saale)<br />

Prof. Dr. Rahul Peter Das<br />

Telefon: 0345 55-23652<br />

Fax: 0345 55-27226<br />

E-Mail: das@suedasien.uni-halle.de;<br />

das.rp@t-online.de<br />

Dr. Hans Har<strong>der</strong><br />

Telefon: 0345 55-23675<br />

Fax: 0345 55-27370<br />

E-Mail: har<strong>der</strong>@suedasien.uni-halle.de<br />

Peter Stephan,<br />

Telefon: 0345 55-23656<br />

Fax: 0345 55-27211<br />

E-Mail: peter.stephan@indologie.unihalle.de<br />

Heike Franke, Susanne Stinner<br />

Telefon: 0345 55-23508<br />

Fax: 0345 55-27211<br />

E-Mail: heike.franke@indologie.unihalle.de<br />

E-Mail: susanne.stinner@indologie.unihalle.de


VEREINIGUNG DER FREUNDE UND FÖRDERER DER<br />

MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE–WITTENBERG E.V.<br />

Ehrenvorsitzende des Kuratoriums: Senator e.h. Dr. h.c. mult. Hans-Dietrich Genscher, Senator e.h. Dr. Gerhard Holland<br />

Aufklärung durch Forschung<br />

VFF unterstützt Tagung zum 350. Geburtstag von Christian Thomasius<br />

Die Gründung <strong>der</strong> Universität Halle ist<br />

maßgeblich <strong>der</strong> Initiative und dem Engagement<br />

von Christian Thomasius zu verdanken.<br />

Nun haben freilich viele Universitäten<br />

namhafte Grün<strong>der</strong> o<strong>der</strong> schmücken sich<br />

zumindest mit den Namen großer Figuren.<br />

Das Beson<strong>der</strong>e an Thomasius ist aber,<br />

dass sein Werk auch nach mehr als 300<br />

Jahren noch Gegenstand umfangreicher<br />

wissenschaftlicher Forschung ist. Zwar hat<br />

er nicht wie Christian Wolff ein geschlossenes<br />

wissenschaftliches System geschaffen,<br />

aber als vielseitig interessierter und<br />

überaus streitbarer Gelehrter war seine<br />

Wirkung schon zu Lebzeiten enorm. Wie<br />

kein Zweiter hatte er ein Gespür für populäre<br />

Themen und symbolische Aktionen<br />

mit weitreichen<strong>der</strong> Bedeutung. Er war<br />

einer <strong>der</strong> ersten Professoren, <strong>der</strong> 1687<br />

seine Vorlesungen auf deutsch ankündigte<br />

und hielt. Für seine konservativen Kollegen<br />

in Leipzig war das ein ganz unerhörter<br />

Affront. Kurz darauf gründete er die erste<br />

deutsche Monatszeitschrift, die „Monatsgespräche“.<br />

Der darin gepflegte satirische<br />

und angriffslustige Ton brachte ihm zahlreiche<br />

weitere Gegner ein. Im März 1690<br />

musste er schließlich die Leipziger Universität<br />

verlassen und zog nach Halle. Zeit<br />

seines Lebens kämpfte Thomasius gegen<br />

Aberglauben, Vorurteile, Autoritäten und<br />

irrationale Überzeugungen. Zu Beginn des<br />

18. Jahrhun<strong>der</strong>ts schrieb er bahnbrechende<br />

juristische Abhandlungen gegen Folter<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> des Kuratoriums: Jörg Henning<br />

Ehrenvorsitzende des Kuratoriums: Senator e.h. Dr. Hans-Dietrich Genscher, Senator e.h. Dr. Gerhard Holland<br />

Präsident: Senator e.h. Dr. Wolfgang Röller<br />

Geschäftsführer: Dr. Heinz Bartsch, Wolfgang Grohmann, Peter Weniger<br />

c/o Martin-Luther-Universität Halle –Wittenberg, 06099 Halle (Saale)<br />

Telefon: 0345 55-2 10 24/25<br />

Telefax: 0345 55-2 70 85<br />

e-mail: HBartsch@vff.uni-halle.de<br />

Internet: http://www.uni-halle.de/vff/<br />

Für Mitgliedsbeiträge und Spenden wurden folgende Konten eingerichtet:<br />

Dresdner Bank Halle,<br />

Konto-Nr. 857 362 100, BLZ 800 800 00<br />

Stadt- und Saalkreissparkasse Halle,<br />

Konto-Nr. 386 300 762, BLZ 800 537 62<br />

Ausschnitt aus einem Gemälde von Johann Christian Heinrich Sporle<strong>der</strong>, Zentrale Kustodie <strong>der</strong> Universität<br />

und Hexenverfolgung. Die systematische<br />

Unterscheidung zwischen Recht und Moral<br />

und damit die grundlegende Neuorientierung<br />

<strong>der</strong> praktischen Philosophie geht auf<br />

ihn zurück. Philosophen, Germanisten und<br />

Literaturwissenschaftler haben sich in den<br />

letzten 20 Jahren wie<strong>der</strong> verstärkt mit<br />

diesem schillernden Gelehrten und seinem<br />

Werk beschäftigt. Heiner Lück, Professor<br />

für Bürgerliches Recht, Europäische,<br />

Deutsche und Sächsische Rechtsge-<br />

schichte, hat nun im Januar dieses Jahres<br />

ein großes Symposion organisiert, zu dem<br />

fast alle renommierten Thomasius-<br />

Forscher nach Halle kamen. Ziel des Symposions<br />

war es, Thomasius’ umfangreiches<br />

Werk im rechtswissenschaftlichen<br />

Kontext neu zu beleuchten. Nicht zuletzt<br />

das erfreuliche Echo in <strong>der</strong> überregionalen<br />

Presse hat gezeigt, dass das Interesse<br />

an Thomasius auch 350 Jahre nach seiner<br />

Geburt ungebrochen ist.<br />

Spenden zur Verwirklichung <strong>der</strong> Ziele <strong>der</strong> Vereinigung und zum Nutzen <strong>der</strong> Universität sind je<strong>der</strong>zeit willkommen. Diese Spenden können an<br />

eine Zweckbestimmung gebunden sein. Die Vereinigung ist berechtigt, steuerwirksame Spendenbescheinigungen auszustellen.


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