Regiearbeiten 1998 – 2007 Jens Dierkes-Kuper - Gräfin Tamara
Regiearbeiten 1998 – 2007 Jens Dierkes-Kuper - Gräfin Tamara Regiearbeiten 1998 – 2007 Jens Dierkes-Kuper - Gräfin Tamara
Regiearbeiten 1998 – 2007 Jens Dierkes-Kuper
- Seite 2 und 3: NORA oder Ein Puppenheim Nora (der
- Seite 4 und 5: Premierenkritiken Kindchen wird Fra
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- Seite 12 und 13: Romeo und Julia von William Shakesp
- Seite 14 und 15: Es war die Lerche Komödie von Ephr
- Seite 16 und 17: das neue Stück „Es war die Lerch
- Seite 18: Schlägern bewaffnet vor dem Publik
<strong>Regiearbeiten</strong> <strong>1998</strong> <strong>–</strong> <strong>2007</strong><br />
<strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong>
NORA oder Ein Puppenheim<br />
Nora (der Titel stammt vom ersten deutschen Überset-<br />
zer) ist nach Stützen der Gesellschaft (1877) das zweite<br />
jener realistischen Dramen, in denen Ibsen Probleme und<br />
Widersprüche der sich damals in Norwegen entfaltenden<br />
bürgerlichen Gesellschaft aufzeigt. Nora, die Gattin des<br />
Advokaten Torvald Helmer, sitzt - im Gegensatz zu allen<br />
anderen Frauen des Stücks - im scheinbar goldenen Käfi g<br />
ihres „Puppenheims“; Hausarbeiten und Kinderpfl ege wer-<br />
den von den Dienstboten besorgt. Die Helmers gehören<br />
freilich nicht zur alteingesessenen Oberschicht. Torvald hat<br />
sich emporgearbeitet, er ist ein Karrierist, der sein Berufs-<br />
ziel soeben erreicht hat: An Neujahr wird er die Direktion<br />
der Bank und damit eine Position übernehmen, die ein<br />
sicheres Auskommen verspricht und den Aufstieg in jene<br />
Führungselite, die Entscheidungen über wichtige gesell-<br />
schaftliche Entwicklungen trifft - Torvald Helmer vergibt<br />
Kredite. Um ein Darlehen dreht sich auch die Intrige des<br />
an drei hektischen Weihnachtstagen spielenden Familien-<br />
dramas. Nora „hat eine Fälschung begangen“, vermerkte<br />
Ibsen, „und das ist ihr Stolz; denn sie hat es aus Liebe<br />
getan, um ihm [Torvald] das Leben zu retten.“ Vor acht<br />
Jahren setzte Nora die Unterschrift ihres Vaters auf einen<br />
Schuldschein, um sich so durch Rechtsanwalt Krogstad<br />
ein Darlehen zu sichern, das dem todkranken Helmer ei-<br />
Die Inszenierung<br />
Die Inszenierung Henrik Ibsens Nora ist für mich wesent-<br />
lich mehr als ein Stück Zeitdokument. Was mich reizt, sind<br />
Gelegenheiten, im Werk Psychologie- und Sozialstudien zu<br />
betreiben. Der Zuschauer fühlt sich - bei einer feinfühligen<br />
Umsetzung für die Bühne - in der von Ibsen so klug betrie-<br />
benen Strickart wie jemand, der wie bei einer Kriminalge-<br />
schichte zu einer Art „Seelendetektiv“ wird. Der in früheren<br />
Tagen meist einzig gesehene Blickwinkel der Emanzipati-<br />
onsbewegung ist berechtigt - mir jedoch zu klein, da, wenn<br />
man diesen Begriff überhaupt benutzen darf, alle Personen<br />
der Handlung „Opfer“ waren. Nicht mehr zeitgemäß fi nde<br />
ich einzig und allein die Frage, ob eine Inszenierung von<br />
Nora dieses heutzutage noch ist. Die Erfahrungen, die die<br />
Protagonisten Noras machen, sind Erfahrungen der Zeit,<br />
und somit sind sie es immer wieder wert, in all ihrer Kom-<br />
plexität betrachtet und gedeutet zu werden. Ich erhoffe mir<br />
für alle sieben Aufführungen nicht wie Nora „den wunder-<br />
baren Moment“, sondern möglichst viele dieser Art. (<strong>Jens</strong><br />
<strong>Dierkes</strong>)<br />
nen Aufenthalt im Süden ermöglichte. Als Helmer, der von<br />
dieser dunklen Geschichte nichts ahnt, Krogstad aus der<br />
Bank entlässt, setzt Krogstad den Schuldschein mit der<br />
gefälschten Unterschrift im Kampf um seine Stelle ein: Er<br />
erpresst Helmer. Helmer erweist sich nun nicht als Gatte,<br />
der - wie Nora es erhofft hat - alle Schuld auf sich nimmt.<br />
Helmer geht vielmehr ganz in seiner Rolle als Berufs-Mann,<br />
der seine Laufbahn gefährdet sieht, auf. Er überhäuft Nora<br />
mit Vorwürfen, ja er spricht ihr, der „Betrügerin“, das mo-<br />
ralische Recht zur Erziehung der Kinder ab. Als schließlich<br />
eine günstige Wendung Krogstad veranlasst, die Drohung<br />
zurückzuziehen und das Corpus delicti zu vernichten, „ver-<br />
zeiht“ Helmer, für den die Gefahr eines Skandals gebannt<br />
ist, seiner Frau. Nora aber verlässt ernüchtert und desil-<br />
lusioniert Mann und Kinder, obwohl Helmer sie jetzt fl e-<br />
hentlich bittet zu bleiben. Denn Nora hat erkannt, dass<br />
sie in ihrer Ehe nur als Attribut ihres Mannes, als Helmers<br />
„Lerche“, als seine Puppe einen Wert hatte; jetzt will sie<br />
aber versuchen, „ein Mensch zu werden“. [...] „Ich muss<br />
mich davon u�berzeugen, wer recht hat, die Gesellschaft<br />
oder ich“, sagt Nora, bevor sie aus ihrer Rolle aus- und in<br />
eine ungewisse Zukunft aufbricht.<br />
Quelle: Keel, Aldo. Aus: Ibsen, Hendrik: Nora (Ein Puppenheim). Philipp<br />
Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, <strong>1998</strong>. S. 95-96
Das Ensemble<br />
Inszenierung: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong><br />
Bühnenbild: Jörn Schäfer<br />
Kostüme: Ute Stöttner, Imke Strothmann<br />
Technische Leitung: Jörn Schäfer<br />
Torvald Helmer, Rechtsanwalt: Michael Kneisel<br />
Nora, seine Frau: Henriette Mudrack<br />
Doktor Rank: Udo Eickelmann<br />
Frau Linde: Martina Brune<br />
Nils Krogstad: Klaus-Peter Lefmann<br />
Hannah Helmer: Andrea Lehmkühler, Nora-Christin Lohmeyer<br />
Ivar Helmer: Tobias Schindler, Tobias Stöttner<br />
Emmi Helmer: Sabine Lehmkühler, Felicitas Lömker Marie,<br />
Das Kindermädchen: Kristina Rohmann<br />
Helene, das Hausmädchen: Imke Möller<br />
Eine Marktfrau: Ulla Donnermeyer<br />
Regieassistenz und Abendspielleitung: Katharina Quindt<br />
Dramaturgie und Programmheft: Barbara Lücke<br />
Technische Einrichtung: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>, Udo Eickelmann,<br />
Rainer Möller, Doris Rikeit, Heiner Rikeit, Jan Rikeit, Tim<br />
Rikeit, Jörn Schäfer, Ute Stöttner<br />
Prospektgestaltung: Karolin Mudrack<br />
Kostümwerkstatt: Anne Geschwinder, Ute Stöttner,<br />
Imke Strothmann<br />
Choreographie: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>, Klaus Lutterbey<br />
Licht- und Tontechnik: Oliver Daake, Ingo Strothmann<br />
Maske: Susanne Bure, Andrea Jasper<br />
Requisite: Ulla Donnermeyer<br />
Souffl age: Doris Rikeit, Horst Lehmkühler<br />
Programmheftlayout: Udo Eickelmann<br />
Plakatentwurf: Gabriel Pielke<br />
Unser ganz besonderer Dank gilt: Antiquitäten Schwohn<br />
Dreierwalde, Ofendiele Ibbenbüren, Städt. Bühnen Osnab-<br />
rück, Mitarbeiterinnen Wichernhaus, Ulla Nöh (Fotografi e),<br />
Christel Müller, Herrn Steingröver, Herrn Nölling, Herrn Ries-<br />
kamp, Elke Quindt, Herrn Göhler, Boutique Elisa Ibbenbüren,<br />
Parfümerie Douglas, Kanal 4, Autoverleih <strong>Dierkes</strong><br />
Aufführungsrechte: Felix Bloch Erben, 10623 Berlin<br />
Premiere am 18. November <strong>1998</strong>, Alte Sparkasse Ibbenbüren
Premierenkritiken<br />
Kindchen wird Frau - Henriette Mudrack begeisterte als<br />
Nora Wilm Froese. Ibbenbüren.<br />
Ein fast unglaubliches Debüt einer Schauspielerin am<br />
Quasi So-Theater konnte man am Mittwoch abend in der<br />
Alten Sparkasse erleben. In der Titelrolle von Henrik Ibsens<br />
Schauspiel „Nora oder Ein Puppenheim“ fesselte Henriette<br />
Mudrack die Zuschauer fast vier Stunden lang durch eine<br />
facettenreiche, durchgängig glaubhafte und technisch bril-<br />
lante Personendarstellung.<br />
Der im Stück so abrupte Umbruch vom verheirateten „Kind-<br />
chen“ zur selbstbewussten und überlegenen Frau gelang<br />
ihr deshalb, weil von Anfang an alles und noch mehr in ih-<br />
rem Spiel angelegt war. Und ihr Aussehen macht auch die<br />
Reaktionen der Männer in ihrer Umgebung verständlich.<br />
Deren Rollen waren ebenfalls gut besetzt. Michael Kneisel<br />
hatte zwar Mühe, Noras Gatten Torvald Helmer genügend<br />
„fi es“ darzustellen, brachte aber Liebe und Ehrpusselig-<br />
keit, Berufsrolle und Gattenrolle geschickt zur Deckung.<br />
Dem Hausfreund Dr. Rank gibt Udo Eickelmann als von Tra-<br />
gik umfl orten Bonvivant, eine einleuchtende und durch-<br />
gehaltene Mischung. Klaus Peter Lefmann ist als Krogstad<br />
anfänglich so kalt, dass man die dahinterstehende Unsi-<br />
cherheit und Existenzangst nicht glauben möchte, doch<br />
der Umschwung, den die Liebe einer Frau hervorruft, ist<br />
stimmig. Diese Frau, Noras Freundin Christine, gibt Martina<br />
Brune, vielleicht ein wenig zu bedrückt, als eine Frau-<br />
voller kaschierter Lebensangst, die ihr Selbstwertgefühl<br />
ausschließlich aus der treuen Erfüllung von irgendwel-<br />
chen Pfl ichten bezieht. Trotz dieser für ein Amateurtheater<br />
ausgesprochen guten Schauspielerleistungen, an denen<br />
der Regisseur natürlich großen Anteil hat, waren beson-<br />
ders die letzten 15 Minuten der Aufführung von einer Art<br />
Langatmigkeit. Der Regisseur <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong> hatte bei sei-<br />
nem Debüt als Spielleiter manchmal zu viel Respekt vor<br />
den Worten des Dichters. Durch gezieltere Striche hätte<br />
die psychologische Dichte, die <strong>Dierkes</strong> in der Behandlung<br />
der Rollen ja herausarbeitet, schärfer hervortreten können.<br />
Und der Aspekt, dass die Sprengung der traditionellen<br />
Frauenrolle auch die von Mann und Kindern (ganz süß<br />
die drei Kleinen) freier werden lässt, dass Ibsens Emanzi-<br />
pation auf menschliche, nicht auf weibliche Freiheit zielt,<br />
wäre nicht so untergegangen. Die kleinen handwerklichen<br />
Fehler in einer von der gedanklichen Konzeption und der<br />
Personenführung wirklich gelungenen Arbeit sind umso<br />
mehr zu bedauern, als vom Bühnenbild unter Einbezie-<br />
hung des Treppenturms bis zum Programmheft auch das<br />
Drumherum durchaus mit den professionellen Tourneethe-<br />
atern mithalten kann. Der lange Premierenbeifall ist also<br />
bestimmt verdient.<br />
Ibbenbürener Volkszeitung, 20. November <strong>1998</strong><br />
Nora - ein gewagtes QUASI SO-Projekt Dieter Michel.<br />
Ibbenbüren<br />
190 Zuschauer fanden sich am Mittwochabend in der Al-<br />
ten Sparkasse zur ausverkauften VHS-Premiere von Henrik<br />
Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ aus dem Jahre 1879<br />
ein. <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong> gab mit neuen und altbewährten The-<br />
aterleuten des über die Stadtgrenzen hinaus bekannten<br />
QUASI SO-Theaters sein Regiedebüt und lieferte ein in<br />
vielen Einzelheiten tragfähiges Inszenierungskonzept ab.<br />
Die Eingangshalle vor der Stadtbücherei bot mit ihrer reiz-<br />
vollen Möblierung in ihrer gekonnten Funktionalität und<br />
mit ihren aparten Details (Kompliment an Jörn Schäfer)<br />
den stilsicheren voyeuristischen Einblick in die (allerdings<br />
lampenlose) Wohnstube der Familie Helmer, wo sich ein<br />
- zu Ibsens Zeiten - revolutionärer Emanzipationskampf<br />
abspielte. Die Story um das verwöhnte Zwitscherlerch-<br />
lein, das erst nach acht Jahren und drei Kindern der eit-<br />
len Patriachalität ihres egoistischen Mannes entsagt, hat<br />
augenscheinlich nicht nur für das Ensemble nichts von<br />
ihrer Problematik eingebüßt. Und so wartete denn diese<br />
Inszenierung mit einer fast buchstabengetreuen, langen<br />
Aufführung auf, der man allenthalben das bemerkenswer-<br />
te Gespür des Regisseurs für die vielschichtigen sozial-<br />
psychologischen Nuancen dieses Ehedramas anmerkte.<br />
Mit seiner imposanten Sensibilität für szenische Wirkung<br />
und für die das Milieu dominierenden Spielarten der<br />
Selbstsucht krönte <strong>Dierkes</strong> zweifellos sein Erstlingswerk.<br />
Das spiegelte sich zuvörderst in der Titelfi gur, der Henri-<br />
ette Mudrack mit einer höchst diszipliniert erspielten Am-<br />
bivalenz von naivem Aufbegehren, umgarnender Raffi nes-<br />
se, mädchenhafter Launenhaftigkeit sowie verkrampfter<br />
Zukunftsgläubigkeit eine frappierend einfühlsame Kontur<br />
lieh. Vom Lidaufschlag bis zum fl irrenden Trippelschritt<br />
bot sie eine imponierend stimmige Nora und hielt die-<br />
sen auch physischen Kraftakt nervöser Flatterhaftigkeit<br />
bravourös bis zum Schlusssatz durch. Gleichermaßen<br />
überzeugte Martina Brune als vom Schicksal einer lieb-<br />
losen Ehe gekennzeichnete Witwe, indem sie etwa zu<br />
Beginn ihre „unsägliche“ innere Leere beklemmend spür-<br />
bar werden ließ und sich am Ende in ihrer verzweifelten
Sehnsucht nach einem Lebenssinn eine späte Ehe aus-<br />
gerechnet mit Krogstad mühevoll errang. Diesen Geset-<br />
zesbrecher aus Not spielte Klaus Peter Lefmann in ausge-<br />
zeichnet prägnanter Artikulation und sehr glaubwürdiger<br />
Fahrigkeit, da es ihm bewundernswert gelang, einseitige<br />
Schurkenhaftigkeit zu vermeiden und das zerrüttete Getrie-<br />
bensein dieses „Schiffbrüchigen“ auch in seiner Körper-<br />
sprache zu vermitteln. Dem langjährigen Hausfreund der<br />
Helmers wusste Udo Eickelmann in der Rolle des Dr. Rank<br />
glaubwürdige Züge, besonders als Zyniker, zu verleihen,<br />
wobei sein durch Syphilis-Erbschaden bedingtes Sterben<br />
eher seinen Worten als seinem (vielleicht doch zu gesun-<br />
dem) Auftreten zu entnehmen war. Die anspruchsvollste,<br />
weil für ein junges Amateur-Ensemble heikelste Rolle hat-<br />
te Michael Kneisel als Noras perfi d-gesellschaftskonformer<br />
Gatte zu füllen, der sich sein Luxusweibchen als durch<br />
Heirat legitimierten Besitz (dumm) zu halten sucht: „Jetzt<br />
spricht das Rotkehlchen, als ob es ein Mensch wäre.“ Die-<br />
sen bornierten Übervater von Beginn an völlig negativ zu<br />
überzeichnen, das ist sicherlich eine diskutierbare Inter-<br />
pretation. Angesichts vieler guter Akzentuierungen, etwa<br />
in den Momenten eitler Selbstgefälligkeit, mochte das<br />
Lampenfi eber wesentlich dazu beigetragen haben, dass<br />
sich sein Wechselbad der Gefühle manchesmal zu sehr<br />
lediglich in überproportionaler Lautstärke spiegelte. Die<br />
weiteren Ensemblemitglieder, darunter drei liebliche Kin-<br />
der, wussten durch überzeugende Auftritte zu gefallen.<br />
Sehr ansprechend war auch die zeitgenössische Kostümie-<br />
rung (Ute Stöttner, Imke Strothmann) mit stilsicher nuan-<br />
cierten Accessoires. Die Frage, an der sich möglicherweise<br />
bei dieser Aufführung die Geister scheiden, resultiert aus<br />
dem Faktum, dass 120 Jahre Fortschritt gottlob auch das<br />
Bewusstsein des Publikums hinsichtlich bourgeoischer<br />
Ehestrukturen verändert haben, so dass dem dramati-<br />
schen Stoff das zuzeiten Ibsens provozierend Neue heute<br />
fehlt. Trägt sich dann aber eine bloß historisch verpfl ichte-<br />
te Inszenierung ohne eigene entschiedene Akzentuierung<br />
(etwa in absurder oder parodistischer Schärfung)? Reichen<br />
schauspielerische Leistungen, die zu Recht den freneti-<br />
schen Schlussapplaus des bis zum Schluss gefesselten<br />
Premierenpublikums einheimsten? Gelegenheit, dies für<br />
sich selbst zu entscheiden, bietet sich noch heute, morgen<br />
und übermorgen (Alte Sparkasse) sowie vom 27. bis 29.<br />
November (Kepler-Gymnasium) jeweils um 20 Uhr.
Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)<br />
von Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfi eld<br />
Das Stück<br />
Lieben Sie Shakespeare? Wir auch. Aber seien wir einmal<br />
ehrlich: Die Zeiten, in denen Shakespeare geschrieben hat,<br />
sind endgültig vorbei. Oder können Sie sich vorstellen, un-<br />
ter freiem Himmel, dichtgedrängt an ihren schwitzenden<br />
und stinkenden Nachbarn sich nur ein Stück anzusehen.<br />
Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Genießen Sie statt-<br />
dessen den ganzen Shakespeare an einem Abend. Peter,<br />
Johannes und Christoph, drei hoffnungsvolle, junge Talen-<br />
te entführen Sie in die wunderbare Welt William Shake-<br />
speares. Mit Esprit und Elan werden Sie mit 37 Stücken<br />
bekannt gemacht, wobei die beliebtesten Höhepunkte der<br />
Shakespeareschen Kunst nicht vergessen werden: Die Bal-<br />
konszene aus Romeo und Julia, der herrliche Hamlet-Mo-<br />
nolog und und und ...<br />
Die Vorstellung beginnt:<br />
Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie<br />
hier bei uns im Schauspielhaus, und herzlich willkommen<br />
zu unsrer heutigen Vorstellung von „Shakespeares sämtli-<br />
che Werke (leicht gekürzt)“. Bevor wir anfangen, habe ich<br />
noch ein paar kurze Ankündigungen für Sie. Das Fotogra-<br />
fi eren mit Blitzlicht sowie die Aufzeichnung der Aufführung<br />
auf Bild- oder Tonträger ist von der Direktion des Hauses<br />
streng verboten. Bitte verzichten Sie während der Vorstel-<br />
lung ferner auf Essen, Trinken, Rauchen - verzichten Sie<br />
auf alles. Sollten Sie ein natürliches Bedürfnis verspüren,<br />
so fi nden Sie die Toiletten im Foyer. Bitte richten Sie Ihre<br />
Aufmerksamkeit jetzt für einen Augenblick auf die Notaus-<br />
gänge und überzeugen Sie sich, welcher Ihrem Platz am<br />
nächsten liegt. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Mein<br />
Name ist Peter Kaspar, und ich werde mich heute Abend<br />
mit meinen beiden Partnern an ein Kunststück wagen, das<br />
nach unserem bescheidenen Dafürhalten in der Geschich-<br />
te des Theaters ohne Beispiel ist. Nämlich: den Zauber,<br />
die Genialität, die überragende Größe von „Shakespea-<br />
res Sämtlichen Werken“ in einem einzigen Theatererleb-<br />
nis dingfest zu machen. Also da müssen wir heute Abend<br />
eine ganze Menge durchziehen, und deshalb würde ich<br />
Ihnen an diesem Punkt gern einen Herrn vorstellen, der zu<br />
den überragendsten Shakespeare Forschern im gesamten<br />
deutschsprachigen Raum gehört. Er hat seinen Magister an<br />
der Universität Gießen gemacht, wo er, soweit ich weiß,<br />
zwei ganze Bücher über Shakespeare gelesen hat. Er ist<br />
heute Abend hier, um eine kurze Einführung zu „Shakespe-<br />
ares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ zu geben. Also bitte<br />
einen schönen, großen Abtritts-Aufl auf für Herrn John Pa-<br />
trick Melchior ...<br />
Das Ensemble<br />
Regie: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong><br />
Bühnenbild: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>, Imke Strothmann<br />
Kostüme: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>, Ute Stöttner<br />
Technische Leitung: Tim Rikeit<br />
Chris: Udo Eickelmann<br />
Jon: Hans-Günter Schwarze-Beßler<br />
Peter: Robert Kötter<br />
Regieassistenz und Abendspielleitung: Birgit Seiffert<br />
Umziehhilfen: Petra Frehe, Katharina Quindt, Doris Rikeit,<br />
Bärbel Struck<br />
Musikarrangements: Hans Günter Schwarze-Beßler<br />
Prospektentwurf und -gestaltung: Imke Strothmann<br />
Dramaturgie und Programmheft: Barbara Lücke<br />
Plakat- und Pressefotos: Anja Kückelmann<br />
Technische Einrichtung und Durchführung: Oliver Daake,<br />
Sebastian Frehe, Manfred Hagemann, Rainer Möller, Jan<br />
Rikeit, Tim Rikeit, Ute Stöttner, Imke Strothmann<br />
Stellwerksbeleuchter: Tim Rikeit<br />
Technische Inspektion: Heiko Büchter<br />
Requisite: Petra Frehe<br />
Souffl age: Henriette Kötter<br />
Unser ganz besonderer Dank gilt: Maria Hoppe, Christel<br />
Averbeck, Begegnungszentrum für Ausländer und Deut-<br />
sche, Kostümfundus TPZ Lingen, Oliver Daake, Ulla Do-<br />
renkamp, Holger Hennemann-Brune, Dr. med Peter Hole,<br />
Kinkerlitzchen, Joachim Wildt, Andrea Jasper Heinl, Jürgen<br />
Frehe, Firma Heim-Bau-Service, Hannelore Schlimmbach,<br />
Franz-Josef und Angelika Mönninghoff, Dirk Bode, Norbert<br />
und Theresia Schmidt, Wilhelm Stroht, Firma Fischbach<br />
und Müller, Jutta Lefmann, Doris Rikeit, Kaufhaus Magnus<br />
Aufführungsrechte: Felix Bloch Erben Verlag, Berlin<br />
Premiere: 18. August 1999, Bürgerhaus Ibbenbüren
Premierenkritiken<br />
Da musste Ophelia verrückt werden, Barbara Gerhardt.<br />
Ibbenbüren.<br />
Eine intelligente, prallgefüllte Textvorlage und drei Schau-<br />
spieler, denen das unernste Fach auf den Leib geschneidert<br />
scheint - ideale Voraussetzungen für einen Theaterabend,<br />
an dessen Ende das Publikum steht. Mit „Shakespeares<br />
Werken (leicht gekürzt)“ haben drei Mitglieder der Reduced<br />
Shakespeare Company, Daniel Singer, Jess Winfi eld und<br />
Adam Long, ein weltweit erfolgreiches Stück geschrieben.<br />
Man hatte den klugen Zuschnitt eines immensen Nachlas-<br />
ses auf grundsätzliche, der Verjüngung dienende Muster<br />
gewagt und die naheliegende Konsequenz gezogen, das<br />
Ergebnis irgendwo zwischen Parodie und Travestie anzu-<br />
siedeln.<br />
Dabei hüteten sich die drei Briten sehr geschickt davor,<br />
Shakespeare zum bloßen Komödiantenschriftsteller mit Ge-<br />
schmacksvorlieben fürs Straßentheater zu entzaubern. Es<br />
blieb - auch bei der Aufführung am Mittwochabend - genü-<br />
gend Klassisch-Ideales, Historisch-Romantisches übrig, um<br />
- wenn man denn Zeit zum Atemholen hatte - hinter den<br />
Tumult der Bürgerhausbühne zu sehen und zu horchen.<br />
Die für die ersten Minuten noch premierenfi ebrigen Hans<br />
Günter Schwarze-Beßler und Robert Kötter als Jon und Pe-<br />
ter, vor allem ein überragender Udo Eickelmann als Chris,<br />
wüteten sich in Vor- und Rückwärtsgang mit schreienden<br />
Aktionen durch Königsdramen, Tragödien und Komödien,<br />
badeten im lustvollen Stoff und spielten das Ganze, dass<br />
es die reine Lust war. Hans Günter Schwarze-Beßler brach-<br />
te zunächst in Erzählfunktion mit eindrucksvoll platzier-<br />
ter Gestik etwas Ruhe in die Familienfehden der Capulets<br />
und Montagues und ließ den gewaltig gelockten Romeo<br />
mit seiner Julia sich in der köstlich vorgeführten Kunst der<br />
Liebe üben. Vor allem als Hamlet hatte er - obschon an-<br />
sonsten dem Komödiantentum nicht abhold - seine starke<br />
Stunde und stand als integrer Held souverän inmitten all<br />
der Unruhe und nicht mehr nur noch witzigen Wortspielen.<br />
Sein Mitspieler Udo Eickelmann schlüpfte blitzschnell in<br />
Frauen/-Männerrollen und explodierte schier vor innerem<br />
Sprengstoff. Ihn erquickten ganz offensichtlich selbst die<br />
derben Späße und Sprache der Straße, deren (Unterhal-<br />
tungs-) Wert und Wichtigkeit bei Shakespeares Sorge um<br />
die ehrliche Beschaffenheit gesellschaftlicher Moral nicht<br />
hinter die Rampe fallen durfte. Ganz gleich, ob nun als<br />
Narr, der weiß, was in der ersten Reihe ankommt, oder im<br />
geschnürten Korsettkleid der Ophelia (verständlich, dass<br />
die unter diesen Umständen wahnsinnig werden musste),<br />
als Performancetänzer, als Gespenst oder Mörderbube,<br />
Claudius Eickelmanns Potential an Rollenvariationen ist<br />
enorm. Der Dritte im Tumultbunde, Robert Kötter, spielte<br />
sich trotz dieser Übermacht zunehmend frei (auch was die<br />
deutlichere Artikulation anging) und ihm war der schwieri-<br />
ge Teil, vollkommen konträre Rolleninhalte rasch hinterein-<br />
ander zu bringen, zugedacht. Großes Kompliment für seine<br />
Leistung. Bei einer derartig darstellerischen Dichte war es<br />
eine kluge Entscheidung des Regisseurs (<strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>), sich<br />
einmal Quasi So - unüblich nur mit einem schlichten Büh-<br />
nenbild zu begnügen. Die vielen Regieeinfälle, die schö-<br />
nen Kostüme brauchten nicht mehr. Bleibt den künftigen<br />
Aufführungen zu wünschen, dass das Bürgerhaus ebenso<br />
gefüllt sein möge wie bei der Premiere.<br />
Ibbenbürener Volkszeitung, 20. August 1999
Hamlet rückwärts, Antje Kahle. Ibbenbüren.<br />
37 Stücke in zwei Stunden? Mit nur drei Schauspielern?<br />
Alle, die ein solches Vorhaben für unmöglich hielten, be-<br />
lehrte die Truppe des QUASI SO-THEATERS eines Besseren.<br />
Sie brachten am Mittwochabend „Shakespeares sämtliche<br />
Werke (leicht gekürzt)“ nach Ibbenbüren. Die Premie-<br />
re des Stückes, das seit Ende der 80er in den USA und<br />
Großbritannien Erfolge feierte, brachte selbst die spröden<br />
Westfalen zum Feiern. Mit Standing-Ovations entließ das<br />
Publikum die drei Schauspieler Udo Eickelmann (Chris),<br />
Hans Günter Schwarze-Beßler (Jon) und Robert Kötter (Pe-<br />
ter) sowie Regisseur <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>. Ihnen war das Kunst-<br />
stück gelungen, fast alle Stücke des wohl bekanntesten<br />
englischsprachigen Dramatikers in vergleichsweise kurzer<br />
Zeit zu präsentieren, nebenbei atemberaubend schnell die<br />
Kostüme zu wechseln und alle Nörgler davon zu überzeu-<br />
gen, dass die Welt Shakespeares durchaus nicht langweilig<br />
und angestaubt sein muss. Shakespeare-Kenner werden<br />
angesichts einer Vielzahl von manchmal geradezu absurd<br />
anmutenden Verfremdungen gelegentlich geglaubt haben,<br />
im falschen Film zu sitzen. Da will Julia ihren Romeo - an-<br />
ders als in der literarischen Vorlage - gar nicht küssen.<br />
Titus Andronicus wird kurzerhand zur Kochsendung umge-<br />
staltet. Und sämtliche Königsdramen gehen in Form eines<br />
Fußballspiels über die Bühne.<br />
Doch von vorne. Bereits in der Einleitung, der Vorstellung<br />
des großen Literaten, hat Chris, der angebliche Shakes-<br />
peare-Experte, mit der genauen Biografi e des Dramatikers<br />
so seine Schwierigkeiten. Schreibt er dem großen Briten<br />
doch neben einer Vielzahl von Tragödien und Komödien<br />
auch das Machwerk „Mein Kampf“ sowie den Einmarsch<br />
in polnisches Terrain zu. Nach wenigen Minuten konnte<br />
das Publikum sicher sein, dass an diesem Abend nicht nur<br />
bierernste Monologe und tragische Momente der Weltlite-<br />
ratur zu erwarten waren. Begonnen wurde mit der wohl<br />
berühmtesten und vielleicht auch beliebtesten Tragödie<br />
Shakespeares: „Romeo und Julia“. Hier beeindruckte be-<br />
sonders Udo Eickelmann in der Rolle der Julia, einer gars-<br />
tigen Zicke, die ihren Romeo zum Narren hält und ihn<br />
um nichts in der Welt küssen will. Romeo, wunderbar als<br />
liebeskranker Trottel mit viel zu großer Elvis-Perücke ge-<br />
spielt von Robert Kötter, gibt aber nicht auf und schafft<br />
es schließlich, seiner Geliebten - allerdings im wahrsten<br />
Sinne des Wortes über deren Leiche - einen Kuss abzurin-<br />
gen. Der Tod der beiden Liebenden wird nicht etwa von<br />
einer traurigen Zeremonie begleitet, nein, ein Rockkonzert<br />
mit Gummigitarren fegt über die Bühne. Überhaupt ha-<br />
ben sich die „Erfi nder“ von „Shakespeares sämtliche Wer-<br />
ke (leicht gekürzt)“, Adam Long, Daniel Singer und Jess<br />
Winfi eld von der „Reduced Shakespeare Company“, viele<br />
Gedanken darüber gemacht, wie man den über 400 Jahre<br />
alten Stoff dem Publikum des ausgehenden 20. Jahrhun-<br />
derts zugänglich machen kann. So nahm Titus Andronicus<br />
den Platz von Alfred Biolek ein und bittet zum „blutigen<br />
Schänder im Schlafrock“. Die Komödien wurden gnaden-<br />
los zusammengestrichen. „Shakespeare hat doch eh nur<br />
geklaut“, wurde das Publikum belehrt. „Er hat die zwei,<br />
drei witzigsten Gags seiner Zeit aufgegriffen und in sei-<br />
ne 16 Komödien gepackt.“ Aus diesem Grund wird aus 16<br />
Stücken auch nur eins: „Der Liebesdampfer nach Verona“.<br />
Auf wenige Minuten wurden die Inhalte gekürzt und ver-<br />
langten höchste Konzentration von Schauspielern wie Zu-<br />
schauern, die den oft verwirrenden Textpassagen gebannt<br />
folgten. Kleinere Minuspunkte glichen die drei Akteure<br />
durch ihr komisches Talent, eine große Verwandlungsgabe<br />
und ihren enormen Einsatz mehr als aus. Schnell zeig-<br />
te sich, dass Regisseur <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong> die Rollen geradezu<br />
meisterhaft besetzt hatte. So sorgte Udo Eickelmann, der<br />
alle tragischen Frauengestalten verkörperte, immer wieder<br />
für Begeisterung. Auch bei der Dame in der ersten Reihe,<br />
die darunter zu leiden hatte, dass Chris, alias Udo Eickel-<br />
mann, von der Vorstellung beseelt war, dass alle häss-<br />
liche Perücken tragende Heldinnen sich im Todeskampf<br />
zu übergeben pfl egen. Wie dem auch sei, die Dame hielt<br />
den gelegentlichen Übelkeitsattacken geradezu heldenhaft<br />
stand. Nach über zwei Stunden, die den Zuschauern soli-<br />
des Sitzfl eisch abverlangten, aber Kurzweil und Vergnügen<br />
bescherten, nach Othello vorwärts, Hamlet rückwärts und<br />
Romeo und Julia total verdreht, durfte das Publikum in<br />
dem Bewusstsein nach Hause gehen, alle Werke des Meis-<br />
ters - so behaupten es die Autoren - gesehen zu haben.<br />
Nicht-Kenner hatten zwar mitunter ihre Mühe, alle Stücke<br />
in dem Sprachen-, Zitate- und Kostüm-Wirrwarr wiederzu-<br />
entdecken. Dem Spaß tat das aber keinen Abbruch.<br />
Westfälische Nachrichten, 20. August 1999w
Pterodaktylus<br />
von Nicky Silver<br />
Das Stück<br />
Der Pterodactylus ist ein Saurier, eine ausgestorbe-<br />
ne Gattung. Das Aussterben der Familie Duncan verfolgt<br />
die absurd-böse, von schwarzem Humor gekennzeichne-<br />
te Komödie „Um Leben und Tod - Pterodactylus“. Unter<br />
der Oberfl äche von Wohlanständigkeit und Schönrederei<br />
verbergen sich Lüge, Verdrängung und ruinöse Familien-<br />
verhältnisse, die nicht durch Auseinandersetzung, sondern<br />
durch zerstörerische Vorwürfe allmählich ans Tageslicht be-<br />
fördert werden. Tochter Emma, hypochondrisch und mit<br />
erheblichen Erinnerungslücken, eröffnet ihrer Mutter, dass<br />
sie Tommy heiraten will. Der Kellner Tommy passt der Ban-<br />
kiersgattin aber gar nicht so recht in ihr Bild vom Schwie-<br />
gersohn: und so stellt sie ihn als Dienstmädchen ein, eine<br />
Rolle, die er bald sehr willig auszufüllen bereit ist.<br />
Unter den familiären Verdrängungsstrategien und dem plät-<br />
schernden Geplauder wird die Nachricht von Sohn Todd<br />
niedergequasselt, der eröffnet, dass er an AIDS erkrankt<br />
ist. Todd, von seinem Vater stets mit falschem Namen an-<br />
gesprochen, ist fortwährend damit beschäftigt, Saurierkno-<br />
chen aus dem Garten heranzuschleppen und sie allmäh-<br />
lich zu einem kompletten Skelett zusammenzubauen. Mit<br />
der Rekonstruktion der ausgestorbenen Gattung geht das<br />
Aussterben der sich selbst verleugnenden Familie einher.<br />
Nachdem Emma erfährt, dass sich ihr Verlobter Tommy in<br />
ihren Bruder Todd verliebt hat, will sie nichts mehr hören,<br />
verliert ihr Gehör und erschießt sich schließlich. Nicht die<br />
geplatzte Hochzeit oder gar der Tod der Tochter sind die<br />
Gründe für die Verzweifl ung von Mutter Grace, sondern die<br />
sinnlos gewordenen Partyvorbereitungen, die sie betrieben<br />
hat. Tommy stirbt mysteriös, bleibt aber unbegraben, weil<br />
den Familienmitgliedern der Erdboden zu hart gefroren ist,<br />
um ein Begräbnis vorzunehmen. Der inzwischen arbeits-<br />
los gewordene Vater Arthur wird aus dem Haus gejagt.<br />
Die Mutter stirbt plötzlich und unspektakulär. Übrig blei-<br />
ben nicht nur der zunächst scheinbar todgeweihte Todd in<br />
Umarmung mit dem Geist seiner Schwester, sondern auch<br />
das nun fertiggestellte Saurierskelett. Absurde Situationen<br />
und temporeiche, groteske Dialoge entlarven mit galligem<br />
Humor eine Hölle namens Familie. So wie der Pterodacty-<br />
lus, eine prähistorische Flugechse, zwar mit den Sauriern<br />
lebte, eigentlich aber kein Saurier war, so lebte Todd unter<br />
seinesgleichen: Der vermeintlich Kranke, der AIDS-Infi zier-<br />
te, wird zum Indikator eines Untergangs, zum Todesengel<br />
unserer Tage, in denen dem Aussterben der Dinosaurier<br />
eher unser Interesse gilt, als den natürlichen Katastrophen<br />
der Wirklichkeit. Nicky Silver, geb. 1960 in einem Vorort<br />
von Philadelphia, wurde von der amerikanischen Presse<br />
als „Exorzist vom Hudson-River“ bezeichnet, seine Stücke<br />
sind keine larmoyanten Jammerstücke über AIDS und Ver-<br />
fall, sondern im Stil einer bitter-schwarzen Komödie liefert<br />
er die kaum erträgliche Realität einem befreienden Lachen<br />
aus. Seine Stücke spielen in einer Zeit lange nach der Ab-<br />
schaffung aller Freundlichkeiten: Es sind wahrlich vernich-<br />
tende Farcen, in denen Silver uns die Wunden unserer Zeit<br />
zeigt und versucht, dem heilsamen Vorgang so viel Spaß<br />
abzugewinnen, wie es nur geht. Das alles ist zwar nicht ko-<br />
misch, bloß zum Totlachen. Tommy verliebt sich in Todd.
Das Ensemble<br />
Todd Duncan: Henning Strübbe<br />
Emma Duncan: Henriette Mudrack<br />
Tommy McKorckle: Peter Tombrink<br />
Grace Duncan: Jutta Lefmann<br />
Arthur Duncan: Michael Kneisel<br />
Inszenierung: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong><br />
Kostüme: Evelyn Book, Anne Geschwinder<br />
Technische Leitung: Udo Eickelmann<br />
Regieassistenz: Steffen Ungruh<br />
Premiere: 21. März 2001,<br />
Foyer des Bürgerhauses Ibbenbüren<br />
Premierenkritiken<br />
Pterodaktylus im Bürgerhaus<br />
Standing Ovations für Quasi So-Truppe nach einer gelun-<br />
genen Premiere<br />
Annette Kleinert. Ibbenbüren.<br />
Einen neuen Triumph feierte das Quasi So-Theater der<br />
VHS am Mittwochabend im Foyer des Bürgerhauses. Die<br />
Premiere von „Pterodactylus“, dem Spiel „um Leben und<br />
Tod“ von Nicky Silver, bot alles, was Theaterfreunde sich<br />
erträumen: Spannung, Unterhaltung, Tiefgang, Action. Auf<br />
fast leerer Bühne und ohne Requisiten forderte die Auffüh-<br />
rung sowohl von Akteuren als auch vom Publikum, sich in-<br />
tensiv in die Geschichte hineinzudenken. Um Verdrängung<br />
von Problemen geht es in „Pterodactylus“: Familie Duncan<br />
lebt in einer Scheinidylle. Vater Arthur ist ein scheinbar<br />
erfolgreicher Bankdirektor, Mutter Grace managt scheinbar<br />
mühelos Haushalt und Familie, und das naive Töchterchen<br />
Emma verlobt sich. Sehr schnell wird jedoch deutlich, wie<br />
falsch das Weltbild der Duncans ist, wie sie sich selbst<br />
ständig belügen. Die Scheinwelt der Duncans hat keine<br />
Zukunft - wie einst die Dinosaurier, zu denen auch die Gat-<br />
tung Pterodactylus zählte. An Emma Duncan zeigen sich<br />
die Folgen der Verdrängung von Problemen besonders<br />
krass, denn sie „funktioniert“ keinesfalls mehr perfekt: Die<br />
teils kindisch-verspielte Göre, teils zickige Hypochonderin<br />
steuert unaufhaltsam auf ihren Selbstmord zu. Die Flucht<br />
in den Tod ist die letztlich erfolgreichste Form der Verdrän-<br />
gung! Auch ihr Verlobter Tommy hält den Anschein eines<br />
normalen Lebens lange verzweifelt aufrecht. Die Erniedri-<br />
gungen, die er im Dienst der Familie hinnimmt, übertreten<br />
alle Grenzen. Seine homosexuelle Liebe zu Emmas Bruder<br />
Todd, die ihn zu sich selbst zurückführen könnte, bringt<br />
auch ihm den Tod. Todd Duncan, der aidskranke Sohn,<br />
ist der Dreh- und Angelpunkt des Stücks. Der HIV-Positive<br />
konfrontiert alle Familienmitglieder mit ihren Grenzen, den<br />
realistischen von Leben und Tod und den durch ihre ego-<br />
istische Oberfl ächlichkeit selbst geschaffenen. Todd, der<br />
ausspricht, was er denkt, schafft unerträgliche Situationen.<br />
Eltern, Schwester und Liebhaber erkennen in ihm ihre ei-<br />
genen Lügen und aussichtslose Lage. Ihre Konsequenzen<br />
sind ebenso individuell wie erfolglos, was eine wirkliche<br />
Lösung ihrer Probleme angeht: Emma erschießt sich und<br />
erlebt erst im „Paradies“ ihre wahre Liebe. Tommy infi -<br />
ziert sich mit dem HIV-Virus und stirbt, Vater Arthur verliert<br />
Stellung und Verstand und verlässt schließlich die Familie.<br />
Mutter Grace trinkt ihren „Scotch“ jetzt in aller Öffentlich-<br />
keit; sie zerbricht daran, dass sie allmählich die ausweglo-<br />
se Realität sieht. Und Todd, der Aids hat, überlebt sie alle<br />
- als Einziger, der wirklich in der Realität lebt und sich ihr<br />
bewusst stellt. Schwere Kost für das Publikum? Für alle,<br />
die sich der Problematik öffnen wollen, sicherlich, doch<br />
geht das Ganze mit tiefschwarzem Humor und rasanten<br />
Dialogen einher, was die Risiken und Nebenwirkungen zu-<br />
nächst zu verringern scheint. Die bravouröse darstellerische<br />
Leistung aller Akteure am Mittwochabend ging zusätzlich<br />
unter die Haut: Allen voran Henriette Mudrack: Sie zeigte<br />
eine naive, zickige Emma Duncan, überdreht und immer<br />
im richtigen Moment kindlich, „krank“ oder gar „taub“,<br />
immer glaubhaft lebensuntüchtig. Sie hüpft und wälzt sich,<br />
hat unglaubliche Möglichkeiten der Mimik und der Stim-<br />
me, wirkt so locker-leicht bei allem, dass die Oberfl ächlich-<br />
keit der naiven Tochter auch in der Gestik zum Ausdruck<br />
kommt. Peter Tombrink bot als Tommy McKorckle ebenfalls<br />
eine Glanzleistung: als schüchtern-verklemmter Verlobter,<br />
als umwerfendes Dienstmädchen im „kleinen Schwarzen“<br />
und als verzweifelt Verliebter, der seine große Liebe zu<br />
spät entdeckt. Immer blieb den Zuschauern das Lachen<br />
im Hals stecken, waren sie gefesselt und mitgerissen von<br />
Tombrinks Spielweise. Michael Kneisel alias Vater Arthur<br />
hatte es schwer, seinen darstellerischen Stand in dieser<br />
tollen Truppe zu behaupten, denn die Rolle gab zunächst
Mit Jutta Lefmann als Grace Duncan steht und fällt das<br />
Stück. Als immer nur ansatzweise funktionierende Mut-<br />
ter, Ehefrau und Gastgeberin stöckelt sie geziert über die<br />
Bühne, kanzelt Freundinnen und Familie ab und übertönt<br />
stimmlich die Familienmitglieder, wann immer sie will. Als<br />
betrunkene Grace, die zum Schluss mit wirrem Haar und<br />
teilweise klarem Verstand die Zusammenhänge erahnt,<br />
jagt Jutta Lefmanns Ausdruckskraft den Zuschauern Schau-<br />
er über den Rücken. Henning Strübbe hat mit der Rol-<br />
le des Todd den Part dessen, der zwischen Familie und<br />
Realität steht. Er überwindet unmenschliche Grenzen auf<br />
seinem Weg in die persönliche Freiheit, die letztlich auch<br />
ihn in den Tod führt. Wann immer er agiert, beherrscht er<br />
durch seine überzeugende Mimik und Gestik Familienmit-<br />
glieder und Publikum: Henning Strübbe ist in seiner Rolle<br />
über alle Klischees hinausgewachsen, erzeugt Gänsehaut,<br />
Angst - und Begeisterung. Viele „Vorhänge“ und Standing<br />
Ovations gab es nach dieser Premiere. Das Pterodactylus-<br />
Erlebnis im Ibbenbürener Bürgerhaus gibt es noch öfter:<br />
heute Abend, am 24., 25. und 31. März sowie am 1., 6., 7.<br />
und 8. April.<br />
Ibbenbürener Volkszeitung, 25.März 2001<br />
Eine Steigerung des Schwarzen Humors<br />
Pterodaktylus vom Quasi So-Theater/<br />
Bitterböse und schaurig-schöne Theaterunterhaltung lb-<br />
benbüren. Schade eigentlich, dass es keine Steigerung zu<br />
,Schwarz‘ gibt. Gäbe es nämlich eine Farbe, die im Symbol-<br />
gehalt noch dunkler und böser ist, dann gäbe es auch eine<br />
Steigerung von ,Schwarzem Humor‘. Da es aber nun mal<br />
nur ein ,Schwarz‘ gibt, ist das neue Stück des Quasi So-<br />
Theaters eine extrem ,Schwarze Komödie‘. Am Mittwocha-<br />
bend feierte „Pterodaktylus - Auf Leben und Tod“ im Bür-<br />
gerhaus Premiere. Wie bei jedem Stück der faszinierenden<br />
Theatertruppe der Volkshochschule zog auch „Pterodakty-<br />
lus“ die Zuschauer schon in den ersten Minuten in seinen<br />
Bann. Schonungslos, brutal aber dennoch unterhaltend<br />
und schaurigschön: Dem derben Charme des Stückes von<br />
Nicky Silver konnte sich niemand entziehen. <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong><br />
hatte das „Familienhöllenfeuerwerk“ für das Ibbenbürener<br />
Publikum in Szene gesetzt. Er verzichtete dabei auf jegliche<br />
Requisite. Schonungslos wird der Blick des Zuschauers auf<br />
die Charaktere und ihre Realitätsfl uchten gelenkt. Diese<br />
Unmittelbarkeit zu Schauspielern und Story wird bei „Pte-<br />
rodaktylus“ noch verstärkt durch die ungewöhnliche aber<br />
wirkungsvolle Platzierung von Publikum und Mitwirkenden.<br />
Ist die Geschichte nun absurd oder traurig-schaurig-wahr?<br />
Im Bürgerhaus wurde ein spezieller Raum für das Stück<br />
geschaffen. Die Zuschauer sitzen direkt bei den Akteuren<br />
auf der Bühne. So bietet sich ihnen keine Gelegenheit,<br />
sich als Betrachter zu fühlen. Das Publikum wird direkt<br />
konfrontiert mit den: abnormen und gefühlskalten Hand-<br />
lungsträgern. Über drei Stunden zieht sich der sarkastische<br />
Epos von Aids, Tod, Gefühlskälte und Realitätsverdrängung<br />
hin. Doch diese Zeit vergeht bei „Pterodaktylus“ wie im<br />
Fluge. Die Mannen des Quasi So-Theaters haben einmal<br />
mehr eine mitreißende aber auch schockierende Inszenie-<br />
rung auf die Beine gestellt. Vor allem Henning Strübbe als<br />
aidskranker Todd Duncan zieht jeden mit einer atembe-<br />
raubenden Schauspielleistung in seinen Bann. Henriette<br />
Mudrack als Todds Schwester Emma überzeugt in der Rol-<br />
le der naiven, wirklichkeitsfl iehenden Tochter aus gutem<br />
Haus. Jutta Lefmann gibt eine faszinierende Verkörperung<br />
der alkoholkranken, oberfl ächlichen Mutter Grace Duncan.<br />
Ein überzeugender Michael Kneisel als Vater Arthur Dun-<br />
can vervollständigt das verkorkste Familienverhältnis: Als<br />
Bankchef ist ihm die Arbeit wichtiger als seine Familie, und<br />
nur zu seiner Tochter Emma pfl egt er eine Liebe, die star-<br />
ke Züge von Kindesmissbrauch trägt.<br />
Last but not least: Peter Tombrink als Verlobter Tommy<br />
von Töchterchen Emma. Er ist als Kind im Waisenhaus von<br />
Priestern missbraucht worden, wird von Todd verführt und<br />
erkennt so seine homosexuellen Neigungen. Als Emma ih-<br />
ren Bruder und Tommy kurz vor der Hochzeit in fl agranti<br />
erwischt, begeht sie Selbstmord - mit der Pistole, die ihr<br />
Todd als Hochzeitsgeschenk gegeben hat. Und was heißt<br />
nun Pterodaktylus? Pterodaktylen waren Flugsaurier. Todd<br />
fi ndet im Garten das Skelett eines Sauriers (allerdings<br />
ein Tyrannosaurus Rex) und philosophiert über die Grün-<br />
de ihres Aussterbens. Es könnte an der Kälte der Eiszeit<br />
gelegen haben. Hat diese Gefühlskälte und die Unfähig-<br />
keit, die Wahrheit zu akzeptieren, auch zum Aussterben<br />
der Duncans geführt? „Pterodaktylus“ sollte sich auf jeden<br />
Fall niemand entgehen lassen: Unverblümt, offen und fern<br />
ab jeglicher Konventionen räumt das Quasi So-Theater auf<br />
mit oberfächlicher Lala-Unterhaltung, die vor Tabuthemen<br />
zurückschreckt. Eine super Performance!<br />
Westfälische Nachrichten, 23. März 2001
Romeo und Julia<br />
von William Shakespeare<br />
Das Stück<br />
Schauplatz der Handlung ist Verona. Die beiden reichen<br />
Familien Capulet und Montague sind verfeindet und has-<br />
sen sich bis auf den Tod. Romeo, ein Montague, verliebt<br />
sich jedoch in Julia, die ihrerseits eine Capulet ist. Heim-<br />
lich heiraten die beiden, doch nach einem Zusammenstoß<br />
Romeos mit Tybalt, einem Mitglied der Familie Capulet,<br />
kommt es zum Kampf und Tybalt stirbt. Infolgedessen wird<br />
Romeo aus der Stadt verbannt. Um zu ihm zu kommen,<br />
täuscht Julia mit der Hilfe von Pater Lorenzo (zusammen<br />
mit Julias Amme einer der wenigen Vertrauten, die sie ha-<br />
ben), der sie auch getraut hat, ihren Tod vor, denn ihre<br />
Eltern hatten Julias Hochzeit mit dem reichen Paris schon<br />
vorbereitet. Doch Romeo erfährt nicht rechtzeitig von dem<br />
Plan, sondern vernimmt nur die Neuigkeit, dass Julia ge-<br />
storben sei. Er kommt zu ihrem „Grab“ und erdolcht sich.<br />
Als Julia wenige Minuten danach erwacht und ihren Gelieb-<br />
ten Romeo neben sich liegen sieht, begeht sie ebenfalls<br />
Selbstmord.<br />
Das Ensemble<br />
Romeo: Paul Hohenhaus<br />
Julia: Manuela Schmiemann<br />
Mercutio: Henning Strübbe<br />
Tybalt: Hauke Holtkamp<br />
Gregorius: Jonathan Waßmuth<br />
Pater Lorenzo: Klemens Hergemöller<br />
Amme: Verena Lücke<br />
Gräfi n Capulet: Hannelore Berk<br />
Graf Capulet: Radulf Beuleke<br />
Gräfi n Montague: Anke Jansen, Birgit Lücke<br />
Graf Montague: Christoph Hergemöller<br />
Escalus: Peter Tombrink<br />
Benvolio: Patrick Sohrt<br />
Balthasar: Volker Hüntemeyer<br />
Abraham: Henning Struck<br />
Bruder Johannes: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong><br />
Simson: Bastian Schallenberg<br />
Apotheker: Peter Tombrink<br />
Graf Paris: Hubert Attermeier<br />
In weiteren Rollen: Maren Feldmann, Alexandra Golly, He-<br />
lena Kriege, Marita Kriege, Nora Lohmeyer, Maike Pagen-<br />
kämper, Rosi Strübbe, Hannah Struck, Katharina Veerkamp,<br />
Clara Veerkamp<br />
Inszenierung und Choreographie: <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong><br />
Bühnen- und Kostümbild: Barbara Sibylle Heberle<br />
Sprecherziehung: Christel Müller<br />
Regieassistenz: Lida Askari, Leila Askari<br />
Maske: Evelyn Book<br />
Souffl age: Lena Strübbe<br />
Technische Einrichtung und Durchführung: Evelyn Book,<br />
Volker Hüntemeyer, Karolin Laurer, Markus Maisner, Rainer<br />
Möller, Tobias Mudrack, Tim Rikeit, Steffen Ungruh<br />
Dank an: Thomas Anlauf, Karl Heinz Hagedorn, Klaus Rie-<br />
ping, IVZ & IVD, Herbert Telgkamp, Janina Maldonado,<br />
Christel Avabeck, Maria Hoppe, Die Schneiderinnen des<br />
Begegnungszentrums für Ausländer und Deutsche, <strong>Jens</strong><br />
Priggemeier, Steffen Ungruh, Dieter Schmiemann, Heiko<br />
Büchter, Christell Möller und Norbert Massmann
Premierenkritik<br />
Premiere: 11. September 2002, Bürgerhaus Ibbenbüren<br />
Diese ‚Romeo und Julia‘ bleiben im Gedächtnis<br />
Wilm Froese. Ibbenbüren.<br />
Ganz sicher wird die mit einiger Spannung erwartete Ins-<br />
zenierung des Quasi So-Theaters der VHS von Shakespea-<br />
res „Romeo und Julia“ im Gedächtnis bleiben. Hohenhaus<br />
strahlt so verliebt, Julia leidet so voninnen, dass man die<br />
Floskelhaftigkeit ihrer Worte kaum wahrnimmt. Damit wer-<br />
den sie Shakespeare wohl gerechter als der Übersetzer<br />
Erich Fried. Der billigt allen Figuren eher Rollenattitüden<br />
als Gefühle zu und sieht sie als Funktionen ihrer Situa-<br />
tion. Das spiegelt sich in den schlicht-elegant stilisierten<br />
Kostümen von Barbara Sibylle Heberle, die die Gruppen-<br />
zugehörigkeiten durch die Farbgebung herausstellt, die In-<br />
dividualität durch den Schnitt und die Kopfbedeckung. So<br />
füllen denn auch die anderen Schauspieler ihre Klischees<br />
aus und betonen so die Sonderstellung des berühmtesten<br />
Liebespaares der Welt. Dabei leisten die jungen Leute Be-<br />
achtliches, indem sie ihren Figuren trotzdem Leben einhau-<br />
chen. Peter Tombrink macht als giftiger Prinz von Verona<br />
kaum kaschierte Grausamkeit deutlich. Henning Strübbe<br />
gibt dem Gruppenclown Mercutio ein fast verzweifeltes<br />
Bemühen um Aufmerksamkeit, Patrick Sohrt als Freund<br />
Benvolio ist dagegen der in sich ruhende Fluchtpunkt der<br />
Clique um Romeo. Hauke Holtkamp als Tybalt gibt den<br />
kampfeslüsternen Macho, während Jonathan Waßmuth es<br />
mit Körpersprache fast ohne Text fertig bringt, den Feigling<br />
zu zeigen, der den Macho spielt. Die Eltern von Romeo und<br />
Julia, die verfeindeten Montagues und Capulets, werden<br />
von Christoph Hergemöller, Birgit Lücke, Radulf Beuleke<br />
und Hannelore Berk als Figuren gespielt, die Rollenspiele<br />
betreiben. Hass und Versöhnung sind ohne Ursache, Ein-<br />
sicht in Schuld gibt es nicht. Auch nicht bei den beiden<br />
Figuren, die das Spiel in Gang halten, Julias Amme und<br />
Pater Lorenzo. Verena Lücke kann sich leider nicht zu ei-<br />
ner in sich logischen Darstellung entschließen, wohl auch,<br />
weil die Komödiantin in ihr auf Publikumsreaktionen sofort<br />
anspringt. Dagegen gibt Klemens Hergemöller dem Pater<br />
das Gewicht und die Persönlichkeit, die das Vertrauen al-<br />
ler rechtfertigt. Das ganze Geschehen konzentriert sich in<br />
der Regie von <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> auf eine Spielfl äche aus<br />
einem dekorationslosen Kreuz von zur Mitte hin anstei-<br />
genden Podesten im Zentrum der als Zuschauerraum ge-<br />
nutzten Bühne des Bürgerhauses. Das Publikum sitzt um<br />
diese Bühne herum. Was der Regisseur an Arbeit geleistet<br />
hat, damit seine Darsteller sich nach allen Seiten öffne-<br />
ten, und das so elegant, dass die Richtungsänderungen<br />
wie zufällig wirkten, ist kaum hoch genug einzuschätzen.<br />
Überhaupt war die Bewegungsregie exzellent. Nicht minder<br />
außergewöhnlich gut war die sprachliche Ausgestaltung.<br />
Dass durch die Betonung neue Zusammenhänge herge-<br />
stellt werden konnten, verdanken Regisseur und Spieler<br />
wohl auch der Sprecherziehungsarbeit von Christel Müller.<br />
<strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> ließ Mercutio fast ungehemmt schwadro-<br />
nieren, so dass sein Duell mit Tybalt zwar eher beiläufi g<br />
passierte, aber weil der schon fast Tote immer noch rede-<br />
te, war Romeos Rache an Tybalt schließlich keine Affekt-<br />
handlung mehr, von klassisch-tragischer Verstrickung ganz<br />
zu schweigen. So gelungen diese Szene für sich war, im<br />
Gefüge des Stücks fehlt es ihr an Entschiedenheit. Die feh-<br />
lende Arbeit mit dem Rotstift an dieser mitunter schlechten<br />
Fried Übersetzung hätte diese sonst handwerklich überaus<br />
gelungene Regiearbeit vielleicht auch retten können vor<br />
den Brüchen in der Stilebene. Ist das Fest bei den Capulets<br />
noch auf expressionistisch durchgestaltete Ausdrucksspra-<br />
che reduziert, so gehen das Jammern um den jeweils verlo-<br />
ren geglaubten Partner oder das Klagen am Totenbett der<br />
Liebenden von Verona in expressiv ausgelebter Darstellung<br />
bis in die Nähe von Titanic-Schwulst.<br />
Und wenn dann echte Rosenblätter vom Bühnenhimmel<br />
regnen, bleibt die Enttäuschung, dass die große Leistung<br />
aller Beteiligten nicht durch ein konsequent großes Ergeb-<br />
nis belohnt wurde.<br />
Ibbenbürener Volkszeitung, 12. September 2002
Es war die Lerche<br />
Komödie von Ephraim Kishon<br />
Shakespeare mal ganz anders:<br />
Ehekrise bei Romeo und Julia<br />
Theater Fatale bringt Komödie von Kishon auf die Bühne,<br />
Nordenham (kzw). Da fehlen sogar dem großen William<br />
Shakespeare die Worte: Nach 30 Ehejahren hat auch Ro-<br />
meo und Julia der schnöde Alltag eingeholt. Es kriselt im<br />
Hause Montague, und zwar heftig. Aus der Feder des Sa-<br />
tirikers Ephraim Kishon stammt die Komödie „Es war die<br />
Lerche“, die jetzt das Theater Fatale auf die Bühne bringt.<br />
Romeo kuschelt nur noch mit seiner Wärmfl asche, Julia will<br />
eine Putzfrau. Und Lucretia, die pubertierende Tochter des<br />
berühmtesten Liebespaares der Welt, hat für ihre Eltern<br />
nichts als Verachtung übrig. Zu allem Überfl uss taucht auch<br />
noch der Geist William Shakespeares auf. Schwer beleidigt,<br />
weil Romeo und Julia die schönen Verse, die er ihnen in<br />
den Mund gelegt hat, längst durch Schimpfworte ersetzt<br />
haben, will er die Geschichte endlich in seinem Sinne en-<br />
den lassen: mit dem Tod der beiden Liebenden.<br />
Das ist die Ausgangslage für ein „heiteres Trauerspiel“, das<br />
zum einen von dem Wortwitz Ephraim Kishons lebt, zum<br />
anderen aber auch von dem Tempo, mit dem die Fatalen es<br />
inszenieren. Im vergangenen Jahr hatte das Theater Fatale<br />
den Thriller „Die Hölle wartet nicht“ gespielt. Jetzt ist es<br />
wieder einmal Zeit für eine Komödie. Aber eine ganz be-<br />
sondere. „Uns reizt es, ein Stück zu spielen, das auf einem<br />
Klassiker basiert“, erklärt Spielleiter Detlef Glückselig.<br />
Und noch etwas fi nden die Fatalen spannend: „Es war die<br />
Lerche“ ist das erste Kostümstück, das die Gruppe auf<br />
die Bühne bringt - eine echte Herausforderung für Fatale-<br />
Schneiderin Trudie Stuyt sowie auch für Rita Lüddecke, die<br />
bei der Amateurbühne für den Bereich Kostüme, Maske<br />
und Requisite zuständig ist. Auf der Suche nach den pas-<br />
senden Kleidern ist sie im Theaterpädagogischen Zentrum<br />
(TPZ) in Lingen und bei der Niederdeutschen Bühne Neu-<br />
enburg fündig geworden.<br />
Rolf Wilkens und Inge Hoppe spielen Romeo und Julia.<br />
Außerdem zum Ensemble gehören René Maréchal als<br />
Shakespeare, Traute Funk als Amme, Reiner Gebauer als<br />
Pater Lorenzo sowie Fee An-thea Ricker und Celia Werner,<br />
die sich die Rolle der Lucretia teilen.<br />
Für die Inszenierung haben sich die Fatalen professionelle<br />
Hilfe geholt - in Gestalt von <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> aus Ibben-<br />
büren. Der 33-Jährige, der für die Probenzeit eine Wohnung<br />
in Nordenham bezogen hat, ist Schauspieler und Regis-<br />
seur. Mit 15 Jahren spielte er am Quasi-so-Theater in Ibben-<br />
büren seine erste Rolle, mit 24 inszenierte er sein erstes<br />
Stück. Auf der Bühne hat sich <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> mit seiner<br />
Kunstfi gur Gräfi n <strong>Tamara</strong> einen Namen gemacht. Für zwei<br />
Wochen müssen die Fatalen jetzt auf ihren Regisseur ver-<br />
zichten, weil er mit seiner Travestie- und Comedy-Show auf<br />
dem Kreuzfahrtschiff „Aida“ ein Engagement hat. Anschlie-<br />
ßend soll mit Hochdruck wieder an „Es war die Lerche“<br />
gearbeitet werden.<br />
Am Freitag, 26. Mai, fi ndet in der Stadthalle Friedeburg die<br />
Premiere statt. Der Zeitplan ist eng. Erst seit drei Wochen<br />
proben die Fatalen im Güterschuppen an der Müllerstraße.<br />
Sie sind aber schon sehr weit. Fast alle Szenen sind insze-<br />
niert, und <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> hat auch bereits eine Menge<br />
Feinarbeit geleistet und an vielen Details gefeilt. Geprobt<br />
wird bis auf mittwochs jeden Abend und an den Wochen-<br />
enden bis zu zwölf Stunden am Tag - fast ein Full-Time-Job<br />
für die Darstellerinnen und Darsteller. Parallel dazu arbei-<br />
ten Bühnenbau-Chef Axel de Grave und seine Mannschaft<br />
an den Kulissen, die im Güterschuppen fertig aufgebaut<br />
werden sollen und dann für die Aufführungen lediglich<br />
noch in die Friedeburg geschafft werden müssen.<br />
Insgesamt zwölf Mal wird „Es war die Lerche“ in der Stadt-<br />
halle sehen sein. Den Saal werden die Fatalen wie ge-<br />
wohnt in der Mitte abteilen. Im vorderen Bereich soll eine<br />
italienische Taverne entstehen. Karten für die etwas ande-<br />
re Shakespeare-Inszenierung gibt es ab dem kommenden<br />
Montag, 10. April, bei Nordenham Marketing & Touristik.<br />
Premierenkritiken<br />
Vergnügte Stunden in der Ehehölle<br />
Theater Fatale landet mit „Es war die Lerche“ einen Volltref-<br />
fer - Durchweg glänzende schauspielerische Leistungen<br />
Von unserem Redaktionsmitglied Ellen Reim, Nordenham.<br />
Wer herzlich lachen möchte, ist beim neuen Stück des The-<br />
aters Fatale richtig: „Es war die Lerche“ von Ephraim Kis-<br />
hon spielen die Akteure so gut, dass Amüsement garantiert<br />
ist.<br />
Drei Mal zeigten die Fatalen das „heitere Trauerspiel“ des
israelischen Satirikers Kishon (1924-2005) am Wochenen-<br />
de - und drei Mal hatte das Publikum seinen Spaß. Bei „Es<br />
war die Lerche“ stimmt fast alles: Das Stück ist kurzweilig,<br />
die Regie hat allerfeinste Arbeit geleistet, alle Rollen sind<br />
glänzend besetzt, die Ausstattung ist toll. So können alle<br />
zufrieden sein - bis auf William Shakespeare (René Maré-<br />
chal).<br />
Er leidet unter der Entwicklung, die Romeo (Rolf Wilkens)<br />
und Julia (Inge Hoppe) genommen haben. Eigentlich hätten<br />
die beiden am Schluss des nach ihnen benannten Stückes<br />
sterben sollen, doch das haben sie geschickt vermieden.<br />
Nun sind sie seit 30 Jahren ein Ehepaar, und keines von<br />
der glücklichen Sorte.<br />
Romeo ist ein neurotischer Waschlappen, der nur seine<br />
Wärmfl asche und Rettiche liebt. Julia keift und träumt statt<br />
von der Liebe von einer Haushilfe, halbtags. Das Produkt<br />
der einst so wortmächtigen und poetischen Liebe ist Luc-<br />
retia (Fee Ricker im Wechsel mit Celia Werner), eine Rotz-<br />
göre, die von ihren Eltern nichts hält und lieber mit Shake-<br />
speares Willi „das Haus rockt“.<br />
Der gute William aus Stratford upon Avon ist aber auch<br />
kein Engel. Er geistert durch das bescheidene Heim der<br />
Montagues und versucht, die Geschichte doch noch in sei-<br />
nem Sinne zu einem Ende zu bringen. Dabei lässt er es an<br />
schönen Worten nicht fehlen - Shakespeare bleibt Shake-<br />
speare. Romeo, Julia und die anderen drücken sich weniger<br />
blumig aus.<br />
Regisseur <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> hat dafür gesorgt, dass Kis-<br />
hons im Grunde nicht sonderlich originelle Satire aus den<br />
Tiefen der Ehehölle auf der Bühne der Friedeburg glänzt<br />
und leuchtet. Unter seiner Anleitung laufen die Schauspie-<br />
lerinnen und Schauspieler zu Höchstform auf. Inge Hoppe<br />
als gealterte und gar nicht mehr romantisch gestimmte<br />
Julia ist wunderbar. Dass ihr Romeo lieber die Wärmfl asche<br />
als sie anschmachtet, ist leicht zu verstehen.<br />
Leicht zu verstehen ist aber auch, dass Julia von Romeo<br />
nicht mehr beeindruckt ist. Rolf Wilkens bringt auf urko-<br />
mische Art einen Schlappschwanz auf die Bühne, der zu<br />
gerne genug Geld hätte, um sich seine Faulheit endlich<br />
leisten zu können.<br />
Die aufmüpfi ge Tochter, der schon ziemlich trottelige Pa-<br />
ter Lorenzo (Reiner Gebauer), die alte und durchtriebene<br />
Amme (Traute Funk) sind jeder für sich sehenswert. Den<br />
Vogel ab schießt René Maréchal als Shakespeare. Der<br />
kommt nicht als Dichterfürst, sondern als eingebildeter<br />
Possenreißer daher.<br />
Auch das Team hinter der Bühne leistet ganze Arbeit und<br />
verhilft dem Theater Fatale zu einem professionellen Auf-<br />
tritt. Der Besuch lohnt sich. Nur eines stört ein bisschen:<br />
Am Ende geht alles sehr schnell. Doch was soll‘s, lustig ist<br />
es jedenfalls.<br />
Auf „Lerche“ folgen Liebe und Erotik<br />
Fatale-Regisseur <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> tritt als Gräfi n <strong>Tamara</strong><br />
in der Friedeburg auf - Vom Brot im Backofen rund um die<br />
Welt<br />
Nordenham (kzw). „Zieh mich raus, zieh mich raus, ich<br />
verbrenne!“ <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> war in der 4. Klasse, als<br />
er seine ersten Sätze auf einer Bühne sprach. In „Frau<br />
Holle“ spielte er das Brot im Backofen. Inzwischen ist <strong>Jens</strong><br />
<strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> als frei schaffender Künstler tätig. Mit seiner<br />
Figur Gräfi n <strong>Tamara</strong> gastiert er im Juni in der Friedeburg.<br />
Gestern feierte er dort mit dem Theater Fatale Premiere,<br />
dessen neues Stück er inszeniert hat.<br />
<strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> stammt aus Ibbenbüren. Kontakt zu<br />
ihm haben die Fatalen über ihren Vorsitzenden Dietmar<br />
Günther bekommen, der den 33-Jährigen bei einer Frei-<br />
lichtaufführung in Tecklenburg kennen gelernt hatte. Als für
das neue Stück „Es war die Lerche“ ein Regisseur gesucht<br />
wurde, sprachen die Fatalen <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> an. Man<br />
traf sich und vereinbarte, die Kishon-Komödie gemeinsam<br />
auf die Bühne zu bringen. Für das Ergebnis spendeten ges-<br />
tern 150 Premieren-Gäste in der Friedeburg viel Beifall.<br />
Entstanden ist das Stück in lediglich fünf Proben-Wochen.<br />
Die jedoch gestalteten sich für die Mitwirkenden wie ein<br />
Full-Time-Job. <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> hatte das gesamte Stück<br />
in einzelne „Bilder“ zerlegt - ein Flickenteppich, der, nach-<br />
dem die einzelnen Szenen saßen, wieder zusammengesetzt<br />
werden musste. Bis das so weit war, leisteten Regisseur<br />
und Ensemble ungeheuer viel Detailarbeit. „Im Stück ist<br />
nichts dem Zufall überlassen, jede noch so kleine Handbe-<br />
wegung geplant“, sagt <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong> <strong>Kuper</strong>.<br />
Regiearbeit ist das eine Standbein des 33-Jährigen. Grä-<br />
fi n <strong>Tamara</strong> ist das zweite. Die Figur existiert inzwischen<br />
im zehnten Jahr. Die Nordenhamer werden am Freitag, 23.<br />
Juni, mit ihr in der Friedeburg Bekanntschaft machen. Es<br />
wird das 658. Mal sein, dass <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> ins Ta-<br />
mara-Kostüm schlüpft, Lieder von Liebe, Leidenschaft und<br />
Erotik singt und zwischendurch mit dem Publikum fl irtet.<br />
Jedes nicht gesungene Wort auf der Bühne ist improvisiert,<br />
das Spiel mit dem Publikum ein wesentlicher Bestandteil<br />
der Show. Die Lieder, die Gräfi n <strong>Tamara</strong> und ihr „unsteter<br />
Begleiter“ Carsten Rust am Piano zum Besten geben, sind<br />
mal lustig, mal melancholisch, dabei aber niemals platt.<br />
„Nimm mich“<br />
„Nimm mich - das erotische Happening“ ist Gräfi n <strong>Tamara</strong>s<br />
inzwischen sechstes Programm. Entdeckt wurde <strong>Jens</strong> Dier-<br />
kes-<strong>Kuper</strong>, als er, gerade 16 Jahre alt, bei einer Kreuzfahrt<br />
an einer Playback-Show für Kinder und Jugendliche teil-<br />
nahm. <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> war der einzige, der live sang,<br />
und das tat er so überzeugend, dass eine Vertreterin der<br />
Reederei ihm riet, sich als Entertainer zu bewerben.<br />
Gesagt, getan, <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> warf seinen Hut in den<br />
Ring, landete auf einer Warteliste. Das Angebot, probewei-<br />
se auf einem Schiff anzuheuern, trudelte punktgenau ein.<br />
Der Ibbenbürener hatte gerade seinen Zivildienst beendet,<br />
als ihn die Reederei als Animateur anheuerte. Er ging auf<br />
Kreuzfahrt in die Antarktis. An diesen Trip schlossen sich<br />
dreieinhalb Jahre an, in denen er auf verschiedenen Schif-<br />
fen als Conferencier und Entertainer die Gäste unterhielt<br />
und die halbe Welt kennen lernte.<br />
Mehr um seinen Eltern einen Gefallen zu tun, begann <strong>Jens</strong><br />
<strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong> anschließend eine Ausbildung zum Erzieher,<br />
die er aber nicht beendete. Inzwischen war die Kunstfi gur<br />
Gräfi n <strong>Tamara</strong> entstanden, und ihr Schöpfer beschloss, sie<br />
zu seinem Broterwerb zu machen.<br />
Die Gräfi n hat mittlerweile auf vielen Bühnen von Lust und<br />
Liebe gesungen, unter anderem im Hamburger Schmidt-<br />
Theater, wo im Oktober erneut ein Gastspiel auf dem Pro-<br />
gramm steht. Im August geht‘s mit einem Kreuzfahrtschiff<br />
zum Nordkap, im Herbst ist wieder einmal die Karibik an<br />
der Reihe. Vorerst becirct <strong>Tamara</strong> jetzt aber das Nordenh-<br />
amer Publikum. Die ersten Reihen werden dabei eindeutig<br />
eine Gefahrenzone sein. Aber keine Sorge, vorzugsweise<br />
macht die Gräfi n Witze auf ihre eigenen Kosten.<br />
Karten für „Nimm mich - das erotische Happening“ gibt es<br />
bei Nordenham Marketing & Touristik am Marktplatz.
Von Mail zu Mail<br />
Komödie von Frank Pinkus<br />
Das Stück<br />
Sie sind alle drei moderne Menschen: der Fahrradspezi<br />
Mark, der Fußball-Profi Knut und die Buchhändlerin Nina<br />
wissen, wie man sich heutzutage kennen lernen kann:<br />
natürlich per Mail und Internet. Allerdings: Man kann im<br />
Chatroom zwar Rollen annehmen, die nur schwer zu durch-<br />
schauen sind. Wenn man sich dann in der Realität trifft,<br />
wird es jedoch genauso schwer, wie es schon immer war<br />
<strong>–</strong> vor allem, wenn man sich plötzlich in der schönsten Drei-<br />
er-Chose befi ndet. Der Clou des Stücks: Nina wendet sich<br />
am Ende ans Publikum, um sich eine Entscheidungshilfe<br />
zu holen, welchen der beiden Herzensbrecher sie denn nun<br />
wählen soll. Und je nachdem, wie sich das Publikum ent-<br />
scheidet, wird einer von drei möglichen Schlüssen gespielt.<br />
„Von Mail zu Mail“ ist eine Komödie des deutschen Autors<br />
Frank Pinkus. Für die Inszenierung holt sich das Theater<br />
Fatale erneut Hilfe bei <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong><strong>Kuper</strong>, der als Regisseur<br />
bereits das jüngste FataleStück „Es war die Lerche“ zum<br />
Erfolg geführt hatte.<br />
Das Ensemble<br />
Nina: Claudia Büsing<br />
Mark: Olaf De Grave<br />
Knut: Axel De Grave<br />
Regieassistenz: Marlis Heeren<br />
Premierenkritiken<br />
Echter Werder-Schweiß fl ießt in Strömen<br />
Theater Fatale spielt „Von Mail zu Mail“ <strong>–</strong> 140 Zuschauer<br />
erleben gelungene Premiere<br />
Die Komödie von Frank Pinkus schildert die Irrungen und<br />
Wirrungen, die drei moderne Menschen beim Kennenler-<br />
nen per E-Mail und Internet-Chat erleben. Theaterfreunde<br />
haben noch dreimal Gelegenheit, die Akteure Claudia Bü-<br />
sing, Olaf de Grave und Axel de Grave bei den folgenden<br />
Vorstellungen zu sehen: Freitag, 23. Februar, Sonnabend,<br />
24. Februar, und Sonntag, 25. Februar, jeweils ab 20 Uhr<br />
in der Jahnhalle. Karten gibt es im Vorverkauf bei Norden-<br />
ham Marketing & Touristik am Marktplatz Die drei Haupt-<br />
darsteller leben in ihren Rollen auf. Sie stellen die nach<br />
Liebe suchenden glaubhaft dar.<br />
NORDENHAM - Werder-Profi Knut Schneider (gespielt von<br />
Axel de Grave) möchte sein Leben ändern. Der ewigen<br />
kleinen Affären überdrüssig, will der geschiedene Fußbal-<br />
ler endlich eine ernsthafte Beziehung aufbauen. Er sucht<br />
dazu im Internet. Sein Bruder Mark (Olaf de Grave) sucht<br />
ebenfalls im World-Wide-Web nach der wahren Liebe. Und<br />
beide werden sie fündig. Welch ein Zufall, dass die unglei-<br />
chen Brüder bei derselben Frau landen <strong>–</strong> beim Werder-Fan<br />
Nina nämlich (Claudia Büsing).<br />
So beginnt die verwirrende Dreiecksbeziehung, die das<br />
Theater Fatale wieder mit Hilfe des Regisseurs <strong>Jens</strong> Dier-<br />
kes-<strong>Kuper</strong> unter dem Titel „Von Mail zu Mail“ auf die Büh-<br />
ne der Jahnhalle gebracht hat. Wer sich an den fast lethar-<br />
gisch agierenden Tom Hanks in dem Kino-Klassiker „EMail<br />
für Dich“ an der Seite von Meg Ryan erinnert, muss beim<br />
Fatale-Stück anerkennend feststellen, wie dynamisch und<br />
künstlerisch ansprechend solch eine Story witzig und mit<br />
dem nötigen Esprit umgesetzt werden kann. Die 140 Zu-<br />
schauer in der ausverkauften Jahnhalle haben ihren Spaß<br />
bei der gelungenen Premiere am Donnerstagabend. Am<br />
Computer lässt es sich zunächst treffl ich miteinander fl ir-<br />
ten. Und auch das eigene Erscheinungsbild kann man in<br />
gewisser Weise korrigieren <strong>–</strong> der andere merkt es ja nicht.<br />
Ungebunden, spontan, fl exibel: Alle drei Akteure suchen<br />
den passenden Partner und geben ähnliche Eigenschaften<br />
an. Ein humorvoller Parcours beginnt <strong>–</strong> mit einem Ausgang,<br />
den das Publikum selbst bestimmt. Die drei Fatale-Akteu-<br />
re spielen prächtig auf und brillieren in ihren Rollen. Sie<br />
füllen die Figuren, die der Autor Frank Pinkus geschaffen<br />
hat, mit Leben, sie nehmen vor dem Publikum glaubhaft<br />
Gestalt an: Da hauen sich zum einen Axel und Olaf de<br />
Grave die Squash-Bälle um die Ohren, wobei sie mit zwei
Schlägern bewaffnet vor dem Publikum hin und her het-<br />
zen, dabei fast jedem imaginären Ball nachjagen und sich<br />
auch vor der Bühne wälzen. Sie kommen dabei mächtig ins<br />
Schwitzen. Das macht aber nichts, handelt es sich dabei<br />
doch um „echten Werder-Schweiß“. Dann wieder fetzen sie<br />
sich, schreien sich an <strong>–</strong> ihre Gesichter sind verzerrt, die<br />
Muskeln angespannt. Das ist schon kein gespieltes Theater<br />
mehr, das ist realistisch dargeboten und erste Güte. Ruhi-<br />
ge Passagen und dann wieder „Action-Szenen“ wechseln<br />
einander ab, wobei immer wieder kleinere Umbauphasen<br />
eingestreut sind, die den Handlungsstrang zwar nicht un-<br />
terbrechen, dennoch ein wenig störend wirken. Das Thea-<br />
ter Fatale löst die kurzen Unterbrechungen jedoch elegant,<br />
indem die Halle abgedunkelt wird und sanft Musik erklingt:<br />
Mal ist es Herbert Grönemeyer mit seinem WM-Hit „Zeit,<br />
dass sich was dreht“, dann der Klassiker von Reinhard<br />
Fendrich „Es lebe der Sport“. Es ist eine temperamentvol-<br />
le, kurzweilige und äußerst sehenswerte Geschichte, die<br />
das Theater Fatale in gut zwei Stunden erzählt. Das Stück<br />
ist mit Alex de Grave, Claudia Büsing und Olaf de Grave<br />
bestens besetzt.<br />
Auf der Suche nach der wahren Liebe<br />
Theater Fatale bietet mit „Von Mail zu Mail“ einen Theater-<br />
abend mit Witz und Klasse - Schauspieler in Bestform<br />
Von Ellen Reim Nordenham.<br />
Durch das Internet wird die Liebe einfacher. Oder nicht?<br />
Die Antwort auf diese Frage müssen Nina, Knut und Mark<br />
fi nden. Sie sind die drei Protagonisten des Stückes „Von<br />
Mail zu Mail“ von Frank Pinkus. Das Theater Fatale bietet<br />
damit seinem Publikum einen erstklassigen Theaterabend.<br />
Bei diesem Stück stimmt fast alles. Die Komödie ist witzig<br />
und modern, und sie rührt an ernsthafte Themen. Was ist<br />
das eigentlich, die Liebe? Wie fi ndet man sie, und - noch<br />
viel wichtiger - wie lässt sie sich halten?<br />
Das Thema ist uralt und höchst aktuell. Auch in den Zeiten<br />
der Chatrooms geht es modernen Singles nicht nur um<br />
Sex, zumindest nicht immer. Gefühl ist letzten Endes doch<br />
das Maß aller Dinge. Die einzig echte und wahre Liebe<br />
suchen auch die Buchhändlerin Nina (Claudia Bartels), der<br />
Fußballprofi Knut (Axel de Grave) und sein radfahrender<br />
Bruder Mark (Olaf de Grave). Mehr Personen treten nicht<br />
auf, mehr sind für eine Dreiecksgeschichte ja auch nicht<br />
nötig. Weil die drei Fatale-Mimen ganz großartig spielen,<br />
wünscht sich sowieso niemand mehr Personal auf der Büh-<br />
ne. Claudia Bartels schwankt zwischen Romantik und Ver-<br />
nunft. Einerseits möchte ihre Nina den Mann fürs Leben<br />
fi nden, andererseits wäre eine wilde Nacht mit einem fast<br />
Unbekannten nicht das Schlechteste. Einerseits schätzt<br />
sie Knut, den Werder-Profi , andererseits gefällt ihr Mark,<br />
der zwar kein Geld, es aber faustdick hinter den Ohren<br />
hat. Überschwang und Zweifel, Prinzipien und Lässigkeit<br />
bringt Claudia Bartels so gut auf die Bühne, dass man ihr<br />
immerzu applaudieren möchte. Ein Mann wie ein Vulkan<br />
Auch Olaf de Grave hat keine schwachen Momente. Mit<br />
zwei abgebrochenen Studiengängen und einer wenig lu-<br />
krativen Beschäftigung als Fahrradbastler wirkt sein Mark<br />
nicht eben wie der geborene Sieger. Eher ein bisschen ver-<br />
schroben kommt er zunächst rüber, doch bald stellt sich<br />
heraus: In dem Mann steht ein Vulkan kurz vor dem Aus-<br />
bruch. Dabei nimmt es Mark mit der Wahrheit nicht so<br />
genau. Verwerfl ich, aber liebenswert. Mindestens ebenso<br />
liebenswert ist auch Knut, der Fußballprofi . Auf den ers-<br />
ten Blick wirkt er wie der routinierte Aufreißer, der alles<br />
mitnimmt, was sich ein Trikot schenken lässt. Doch Knut<br />
hat auch ganz andere Seiten, ist voller Selbstzweifel, ver-<br />
letzlich und empfi ndsam. Hut ab vor Axel de Grave, der<br />
nie der Versuchung erliegt, Klischees zu bedienen, und<br />
der die ganze Tiefe der Rolle auszuloten versteht. In den<br />
lustigen Szenen, von denen es jede Menge gibt, läuft er<br />
ebenso zu großer Form auf. Regisseur <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-<strong>Kuper</strong>,<br />
mit dem das Theater Fatale bereits bei „Es war die Ler-<br />
che“ erfolgreich zusammengearbeitet hatte, hat bei „Von<br />
Mail zu Mail“ ganze Arbeit geleistet. Das Stück hat keine<br />
Längen, denn <strong>Jens</strong> <strong>Dierkes</strong>-Küper beherrscht die schwere<br />
Kunst des richtigen Timings. Die Gags sitzen, die Figuren<br />
setzen in den richtigen Momenten Akzente. Da ist nichts<br />
dem Zufall überlassen, und das bekommt der Komödie<br />
bestens. Dass die Jahnhalle nicht die perfekte Theaterbüh-<br />
ne besitzt, stört da nicht im geringsten. Eine fl otte Gruppe<br />
von Helfern sorgt dafür, dass die häufi gen Orts- und Re-<br />
quisitenwechsel wie am Schnürchen klappen. Als Regieas-<br />
sistentin fungiert Marlis Heeren, Sabine Müller souffl iert,<br />
wenn das denn mal nötig sein sollte. Besuch lohnt sich<br />
Für die Zuschauer vergeht die Zeit wie im Flug. Am Ende<br />
muss Nina sich entscheiden. Dazu sucht sie Hilfe beim<br />
Publikum. Also, liebe Theatergänger, aufgepasst, wählt<br />
richtig! Wer sich entschlossen hat, „Von Mail zu Mail“ zu<br />
besuchen, hat auf jeden Fall richtig gewählt. Der Abend in<br />
der schönen Jahnhallen-Atmosphäre lohnt sich. Das Stück<br />
ist noch fünfmal zu sehen. Die Vorstellung am heutigen<br />
Sonnabend ist ausverkauft. Weitere Termine: Sonntag, 18.<br />
Februar, Freitag, 23. Februar, Sonnabend, 24. Februar, und<br />
Sonntag, 25. Februar. Restkarten gibt es noch bei Norden-<br />
ham Marketing & Touristik am Marktplatz.