gangart_10_schwerpunkt
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Schwerpunkt<br />
HEIMAT<br />
®<br />
Ausgabe <strong>10</strong>, April 2018, € 2,50, Zugestellt durch Österreichische Post<br />
Sommer 2018<br />
Einfach draußen<br />
Zwischen Tracht und Prügel<br />
Mein Kraftplatz<br />
Wild auf Jagd<br />
So kann's nicht weitergehen<br />
Arbeit mit Sinn, Reisen mit Tiefgang<br />
Tipp: GEA Akademie<br />
Waldviertler-Taschen<br />
selber machen S. 46<br />
<strong>gangart</strong> 1
SCHWERPUNKT HEIMAT<br />
ZWISCHEN TRACHT<br />
UND PRÜGEL<br />
Ein Beitrag von Wolfgang Tonninger<br />
Ideologisch aufgeladen, touristisch verkitscht, intellektuell verhöhnt<br />
und vom globalen Markt ausgehöhlt erscheint der Begriff Heimat als<br />
die Summe seiner Vereinnahmungen. Doch was ist Heimat? Ein Bild im<br />
Kopf, das sich eingebrannt hat? Ein Geschmack, der Brücken schlägt?<br />
Der Klang einer Sprache? Ein Gefühl der Geborgenheit und des<br />
Verstandenwerdens? Ein Ort, an dem man sich zurücklehnen kann?<br />
12 <strong>gangart</strong>
„Was die Erde braucht, ist eine<br />
Menschheit, die sie nicht länger<br />
als Supermarkt, sondern als<br />
Heimat betrachtet.“<br />
Yann Arthus-Bertrand<br />
Ich kenne einen Seefahrer, der hat in seinem<br />
Hosensack immer eine Kastanie von zuhause<br />
eingesteckt. Manchmal, wenn er Heimweh<br />
hat, holt er sie heraus, und knetet sie in seiner<br />
Handfläche. Der Druck, den er damit erzeugt,<br />
lindert den Druck, der auf seinem Herzen<br />
lastet. „Wer niemals von zuhause weg war, weiß<br />
nicht, was Heimat ist“, meint er, „und braucht<br />
es auch nicht zu wissen.“<br />
Vielleicht ist Heimat immer da, wo man gerade<br />
nicht ist. Und wir reden über sie, wenn wir<br />
sie verloren haben oder im Begriff sind, sie<br />
zu verlieren. Kein Wunder, dass sie heute<br />
wieder in aller Munde ist. Als Gegengewicht<br />
zu einem globalisierten Markt und besondere<br />
Ausprägung des Regionalen. Als Antwort auf<br />
die zunehmende Virtualisierung der Welt, in<br />
der feste Beziehungen und Arbeitsplätze die<br />
Ausnahme sind und wir Astronauten gleich<br />
in immer neuen Konfigurationen um Projekte<br />
schweben. Und als Abgrenzung gegenüber<br />
anderen Kulturen, die sich im Zuge der großen<br />
Fluchtbewegungen mit dem Vertrauten reiben<br />
und vermischen.<br />
Weil im Deutschen "daheim" ein anderes Wort<br />
für "zu Hause" ist, beginnt die Geschichte der<br />
Heimat, wie wir sie heute verstehen, mit dem<br />
Heimweh derer, die unterwegs sind – freiwillig,<br />
weil sie anderswo studieren, arbeiten<br />
oder ihr Glück versuchen. Oder unfreiwillig,<br />
weil sie vor Krieg, Hunger und unerträglicher<br />
Not fliehen und alles, was ihnen wichtig war,<br />
zurücklassen mussten. „Meine Heimat war die<br />
Hölle und ich wollte diese Heimat stürzen,“ erinnert<br />
sich der Syrer Omar Khir Alanam, der<br />
Lederhosentauglich<br />
Waldviertler Kommod Flex<br />
handgemacht aus Rindsleder,<br />
für Damen und Herren<br />
braun, schwarz, flachs<br />
€ 145,—<br />
> Fortsetzung nächste Seite<br />
<strong>gangart</strong> 13
sich mittlerweile in der österreichischen<br />
Poetry-Slam-Szene einen Namen gemacht<br />
hat, an die Zeit vor seiner Flucht aus Damaskus.<br />
Wie verläuft ein Leben, das seinen<br />
Ausgangspunkt in der Hölle nimmt? Ich<br />
muss an einen meiner Lehrmeister denken,<br />
der einmal nur diese eine Frage stellte<br />
und mit ihr durch die Runde ging: „Urvertrauen:<br />
Ja oder Nein?“<br />
Wieviel Heimat braucht der Mensch?<br />
Wer über Heimat spricht, muss aufpassen.<br />
Weil sie gern unter der Hand zum Kitsch<br />
verkommt oder zum Kampfbegriff mutiert,<br />
wenn man sie aus der Tasche des Selbstverständlichen<br />
holt. Besonders in Wahlkampfzeiten,<br />
wenn Politiker ihre Lederhosen<br />
auspacken und versuchen, im Dialekt zu<br />
sprechen, ist Vorsicht angebracht. Zumal<br />
zwischen kleinbürgerlicher Verklärung<br />
und Ausgrenzungsrhetorik Ängste und<br />
Sehnsüchte gern gegeneinander ausgespielt<br />
werden. Und dann ist man schnell bei den<br />
Försterfilmen und im eigenen Schrebergarten,<br />
der mit Thujenhecken gegen das<br />
Artfremde geschützt werden muss. Braucht<br />
Heimat unseren Schutz? Wer darf Tracht<br />
tragen und wer nicht? Und wer entscheidet<br />
jeweils darüber, was echt ist und würdig?<br />
Heimat kann auch Enge bedeuten, aber es<br />
ist ein Zustand, in dem alle Dinge an ihrem<br />
Platz sind. Ein Zustand der Ordnung. Wenn<br />
die Heimat weg ist, wird es unordentlich.<br />
„Wo Heimat aufgehört hat, Heimat zu sein,<br />
da entsteht das Heimatmuseum“, meint<br />
der Kabarettist Gerhard Polt mit einem<br />
Augenzwinkern. Und macht sich damit<br />
über all jene lustig, die so tun, als könnte<br />
man dieses fragile Konstrukt, das uns alle<br />
durchs Leben begleitet, ob wir wollen oder<br />
nicht, zur Schau stellen und mit einem<br />
Zertifikat versehen.<br />
Und doch gibt es sie heute mehr denn je.<br />
Diese Sehnsucht nach Geborgenheit und<br />
festem Boden unter den Füßen. Je sprunghafter,<br />
widersprüchlicher und uneindeutiger<br />
diese Welt daherkommt. Uns fehlt der<br />
Maßstab für so vieles. Wir schauen nach<br />
vor und zurück und entdecken die Heimat<br />
wieder. Doch ist sie etwas, woher wir kommen<br />
oder etwas, wohin wir wollen? Wer<br />
Heimat in den Mund nimmt, spricht von<br />
Verlust. Von einem Zustand, in dem das,<br />
was getrennt oder verstreut ist, zusammen<br />
war. Das, was entzweit ist, eins war. Einem<br />
Zustand vor der Entfremdung, vor dem<br />
Herausgefallensein.<br />
Heimat verleiht so etwas wie eine innere<br />
Schwerkraft und damit ein Gefühl, besser<br />
an der Erde befestigt zu sein. Aber was<br />
sollen diese Befestigungen im Zeitalter<br />
der totalen Mobilmachung, in dem selbsternannte<br />
Apologeten der Zukunft* die<br />
neue Schwerelosigkeit und Flexibilität<br />
preisen. Der scharfsinnige Karl-Markus<br />
Gauß mahnt deshalb in diese Richtung zur<br />
Vorsicht: Für ihn ist der Heimatlose nicht<br />
der freie, der Enge entronnene Mensch,<br />
sondern die gänzlich austauschbar und<br />
verfügbar gewordene Arbeitskraft. Die<br />
transnationale Ökonomie „reißt die Menschen<br />
aus ihrer Verwurzelung im Regionalen,<br />
Besonderen, ihrer Sprache und ihren<br />
Traditionen, sie befreit sie aus ihren Fesseln<br />
– um sie, wehr- und gedächtnislos Gewordene,<br />
von hier nach dort zu beordern.“<br />
So sind wir im schlechten Fall unbehaust,<br />
verängstigt, rat- und rastlos umherirrend,<br />
wie Arno Geiger seinen demenzkranken<br />
Vater als Prototyp des Heimatlosen beschreibt:<br />
„Der quälende Eindruck, nicht zu<br />
Hause zu sein, gehört zum Krankheitsbild. ...<br />
Es ist als wäre man aus dem Schlaf gerissen,<br />
man weiß nicht, wo man ist, die Dinge kreisen<br />
um einen her, Länder, Jahre, Menschen.<br />
Man versucht, sich zu orientieren, aber es<br />
gelingt nicht. Die Dinge kreisen weiter, Tote,<br />
Lebende, Erinnerungen, traumartige Halluzinationen,<br />
Satzfetzen, die einem nichts<br />
sagen – und dieser Zustand ändert sich nicht<br />
mehr für den Rest des Tages.“<br />
Wenn ich nicht wüsste, dass es hier um<br />
einen Demenzkranken geht, hielte ich es<br />
für eine vielleicht etwas überzogene aber<br />
doch stimmige Beschreibung einer ganzen<br />
Generation. Ich erinnere mich an die junge<br />
Frau im Zug neben mir, der ich für knapp<br />
zehn Minuten über die Schultern schaute.<br />
Ich weiß, so etwas tut man nicht. Aber ich<br />
konnte einfach nicht aufhören, zwischen<br />
ihren Fingern und ihrem Mienenspiel<br />
hin- und herzuwandern. Ihren Daumen zu<br />
beobachten, der rastlos durch die Timeline<br />
scrollte, und alle paar Sekunden durch<br />
einen beinahe unmerklichen Doppelklick<br />
14 <strong>gangart</strong>
einzelne Beträge mit einem Herz-Icon<br />
versah, um ihren virtuellen Freunden in Erinnerung<br />
zu rufen, dass sie noch da ist und<br />
wartet – auf einen Blick, eine Hand, das echte<br />
Leben? Kann man heimatloser sein, als<br />
in dieser einsamen Reiz-Reaktionsschleife,<br />
die uns langsam und unmerklich den Boden<br />
unter den Füßen wegzieht? Sollen wir<br />
also tunlichst dort bleiben, wo wir hingehören?<br />
Oder müssen wir uns ohnehin immer<br />
wieder auf den Weg machen, um etwas über<br />
unseren Ausgangspunkt zu erfahren?<br />
In „Unterleuten“, dem viel beachteten Heimatroman<br />
von Julie Zeh, ringen alle Protagonisten<br />
mit dem Begriff Heimat, weil die<br />
Suche nach Identität ihre Existenz begleitet.<br />
Die Fragen: „Wer bin ich?“ und „Woher<br />
komme ich?“ werden im gleichen Atemzug<br />
beantwortet. Eine Dorfbewohnerin sagt:<br />
„Unterleuten ist ein Gefängnis“. Und ein<br />
Zugezogener sagt: „Unterleuten ist Freiheit“.<br />
Das Dorf hält den Leuten einen Spiegel vor.<br />
Und der Begriff Heimat tut es auch. Sage<br />
mir, wie du Heimat definierst und ich sage<br />
dir, wer du bist. Gut. Fangen wir an.<br />
> Fortsetzung nächste Seite<br />
<strong>gangart</strong> 15
Da unten ist nun nichts mehr groß<br />
die Straße ist ein Strich –<br />
doch plötzlich weiß ich von dem Moos<br />
und weiß den Wald, des Wurz ich riech,<br />
und weiß, da drunten lag einst ich<br />
und lag in meiner Heimat Schoß.<br />
Die Straße ist ein Strich.<br />
Wie pfeilgrad endlos ist der Strich –<br />
hier ist nur stählernes Gebraus<br />
pfeilgerade geht der Flug.<br />
Dort drunten steht ein Bauernhaus,<br />
ich weiß, dort drunten geht ein Pflug<br />
ganz still und langsam, schnell genug<br />
fürs stille Brot, jahrein, jahraus.<br />
Pfeilgrad und stählern geht der Flug –<br />
Hermann Broch schrieb<br />
dieses Gedicht auf der Flucht.<br />
Im Flugzeug von Österreich<br />
nach England 1938.<br />
16 <strong>gangart</strong>
Meine Heimat ist nicht braun<br />
Als Kind wuchs ich in der Mitte von Etwas auf, das<br />
sich Österreich nennt. Und in dieser Mitte war ich<br />
der Nabel einer Welt aus Wiesen und Seen, „um die<br />
sich die Berge die Hand reichen“, wie ein Dichter<br />
vor <strong>10</strong>0 Jahren über meine Heimat geschrieben<br />
hat. Alles schien an seinem vertrauten Platz und<br />
ich konnte mich darauf verlassen, ohne dass ich es<br />
wusste.<br />
Naturgemäß war es jedes Mal ein Erlebnis, wenn<br />
wir im Urlaub die Grenze überschritten, meist nach<br />
Italien. Ich erinnere mich an den kindlichen Blick<br />
aus dem Autofenster kurz vor dem Loiblpass, der<br />
die Gehöfte diesseits und jenseits der Grenze sah<br />
und sich hineinzudenken versuchte in die Köpfe<br />
und Herzen der Menschen, die so nah an ihr lebten.<br />
Diese Beinahe-Italiener oder Fast-Schon-<br />
Österreicher, je nach Fahrtrichtung und<br />
Reiseziel. Ich war damals neun oder zehn<br />
Jahre alt und konnte mir auch mit viel<br />
Denkaufwand diesen Zusammenprall von<br />
natürlicher Lebenswelt und willkürlicher<br />
Grenzziehung nicht vorstellen. Es war<br />
eine empathische Ferne, die ich in mir<br />
spürte und die soweit ging, dass mir unter<br />
der Hand mein eigenes Leben, das ich bis<br />
dahin so schicksalshaft und unhinterfragt<br />
in mir trug, von diesen mir völlig unbekannten<br />
Niemandslandbewohnern aus der<br />
Bahn geworfen schien. Vom Schicksalshaften<br />
hineingeworfen in die Zufälligkeit.<br />
Das Ende der Geborgenheit. Ich begann,<br />
in alten Kisten zu kramen, Ahnenbücher<br />
zu durchforsten – nur, um eine Spur zu<br />
finden, die mich hinausträgt aus diesem<br />
Land. Der Grenzgänger war geboren.<br />
Der Madeleine-Moment<br />
Meine Heimat war niemals Österreich.<br />
Außer vor dem Fernseher bei den Sportarten,<br />
die mir wichtig waren oder viel später<br />
an entlegenen Orten der Welt, wenn es<br />
um meine Herkunft ging. Von wo ich jetzt<br />
auf den Sommer meiner Kindheit schaue,<br />
wirkt alles beinahe hermetisch abgeriegelt<br />
gegenüber jedem Blick von außen. Denn es<br />
gab alles damals außer Distanz. Der Sommer<br />
war unbedingt nahe und da, als prickelndes<br />
Wassers auf der Haut, als Geruch<br />
nach verbranntem Gras, das auf den Feldern<br />
lag, oder als feuchte Wärme, die sich<br />
als Gewitterregen auf den heißen Asphalt<br />
legte. Als Erinnerung nehme ich noch<br />
heute die Jahreszeiten vor allem durch die<br />
Nase wahr oder über den Gaumen.<br />
Wenn ich heute über Heimat schreibe, geht<br />
es mir ein bisschen wie Marcel Proust’s<br />
Held auf seiner Suche nach der verlorenen<br />
Zeit, der ein kleines, in Tee aufgeweichtes<br />
Stück Sandtörtchen mit einem Löffel an<br />
seine Lippen führt und plötzlich aus Glück<br />
zusammenzuckt, als dieser mit dem Kuchengeschmack<br />
gemischte Schluck Tee seinen<br />
Gaumen berührt und von einer Heimat<br />
erzählt, die unwiederbringlich verloren<br />
scheint: „Und dann mit einem Male war<br />
die Erinnerung da. Der Geschmack war der<br />
jener Madeleine, die mir am Sonntagmorgen<br />
in Combray, sobald ich in ihrem Zimmer gu-<br />
> Fortsetzung nächste Seite<br />
<strong>gangart</strong> 17
ten Morgen sagte, meine Tante Léonie anbot,<br />
nachdem sie sie in ihren Tee getaucht hatte.“<br />
Ab da ist es um den Erzähler geschehen.<br />
Er wird in ein wogendes Meer aus Erinnerungen<br />
geworfen, dem er erst 3.000 Seiten<br />
später wieder entrinnen wird.<br />
Heimat kann ein Wort sein, eine Melodie,<br />
ein Erlebnis, eine Tracht oder ein vertrauter<br />
Ort. Wobei die Neurowissenschaft<br />
mittlerweile bewiesen hat, was der Literat<br />
Proust bereits Anfang des letzten Jahrhunderts<br />
ahnte. Dass nämlich Geschmack und<br />
Geruch die einzigen Sinne sind, die direkt<br />
mit dem Hippocampus, dem Zentrum<br />
für das Langzeitgedächtnis des Gehirns,<br />
verbunden sind. Die anderen werden durch<br />
die mit der Sprache betroffenen Teile verarbeitet<br />
und können dadurch keine ganz<br />
so intensiven oder spontanen Erinnerungen<br />
produzieren. Kein Wunder, dass nichts<br />
so unmittelbar die Stimmung beeinflusst,<br />
wie der Geschmack und Duft von dem, was<br />
wir essen – auch wenn es nur ein schlichter<br />
Kuchen ist.<br />
Held heim und muss feststellen, dass<br />
niemand auf ihn wartet. Kein Freudenfeuer,<br />
keine Ehrung, kein gar nichts.<br />
Niemand kümmert sich um ihn. Das<br />
Leben ist weitergegangen. Man hat ihn<br />
vergessen. Dort, wo er herkommt, ist er<br />
nichts mehr. So ist das Leben.<br />
Heimat ist ein Bild, das wir in uns<br />
tragen. Es kann nach vorne weisen oder<br />
weit zurück in die Vergangenheit. Ein<br />
Vielleicht ist Heimat nicht dort, wo man<br />
geboren wurde, sondern etwas, das<br />
ständig in Bewegung ist wie die Welt, die<br />
uns umgibt. „Ein schmaler Landstrich,<br />
der durch die Kindheit und durch die<br />
Herzen führt“, wie Christoph Ransmayr<br />
es formuliert. „Jenseits davon ist jeder<br />
fremd, ist jeder Ausländer oder Flüchtling<br />
und auf Hilfe und Beistand von Eingeborenen<br />
angewiesen.“<br />
Der einsame Krieger<br />
Das ist weniger banal, als es klingt und der<br />
Nährboden großer Stoffe. Im Film Gladiator<br />
spielt Russel Crowe den Bauern, der zum<br />
einsamen Krieger wird. Ihm wurde alles<br />
genommen: sein Rang, sein Ruhm, seine<br />
Zukunft, seine Götter und sein Glaube, seine<br />
Familie, sein Besitz. Am Ende ist er ein<br />
Heimatloser und Spielball in der Arena der<br />
Macht. Aber Bauer wird er immer bleiben –<br />
wenn er sich bückt, etwas Sand oder Erde<br />
vom Boden aufhebt, in der Hand verreibt<br />
und daran riecht.<br />
Wer die Heimat nicht kennt, ist für die<br />
Tragödie nicht geeignet, das haben uns<br />
die Heldengeschichten der letzten tausend<br />
Jahre gelehrt. Das Abenteuer beginnt, indem<br />
wir unser vertrautes Leben verlassen.<br />
Die Komfortzone, in der alles an seinem<br />
Platz ist. Wir brechen auf, um einen Schatz<br />
zu suchen. Wir bestehen Prüfungen, überwinden<br />
Hindernisse, bekämpfen Ungeheuer,<br />
um irgendwann am Ziel zu sein. Aber<br />
mit dem Sieg über sich und das bedrohlich<br />
Fremde endet die Geschichte nie. Es folgt<br />
der lange Weg nach Hause, der wie in der<br />
Odyssee ganze Epen füllen kann. Und irgendwann,<br />
wenn alles gut geht, kommt der<br />
Bild das sich ändert, wenn die Welt sich<br />
ändert. Ein Bild, das mitschwingt aber<br />
auch abfedern kann, wenn die Dinge<br />
rund um uns in Bewegung geraten.<br />
Kann es ein Zufall sein, dass Ernst<br />
Bloch sein Monumentalwerk „Prinzip<br />
Hoffnung“ auf Seite 1628 mit dem<br />
Wort „Heimat“ schließt? Erst wenn der<br />
Mensch sich an seiner Wurzel fasst,<br />
heißt es da, „entsteht in der Welt etwas,<br />
das allen in die Kindheit scheint und worin<br />
noch niemand war: Heimat.“<br />
Es war irgendwann in den Anden, als<br />
ich allein auf einem Berg biwakierte.<br />
Die Sterne über mir funkelten, wie ich<br />
es noch nie zuvor erlebt hatte. Ich fühlte<br />
mich klein und ausgesetzt, hinausgehalten<br />
in den Weltraum und behütet<br />
zugleich. Nichts machte mir Angst.<br />
Und nichts beruhigte mich. Ich war da<br />
und bereit, nicht mehr zu sein. Damals<br />
hatte ich den Anflug eines Gedankens,<br />
dass Heimat vielleicht etwas ist, wo<br />
man begraben sein möchte.<br />
18 <strong>gangart</strong>
Hoamat<br />
von Else Primetzhofer<br />
Is des da Klang da Muattasprach?<br />
Is des des Rauschn vo mein Bach?<br />
Is des de Katz de ummastreicht?<br />
Is des da Gruch von Haus vielleicht?<br />
Is des da alte Äpfelbam?<br />
I moa, de Hoamat is alls zamm.<br />
Und hoaßn tuat mas Vatahaus –<br />
do d Muattaliab macht d Hoamat aus!<br />
QUER<br />
GEDACHT<br />
Ein Beitrag von Werner Pfeffer<br />
Name Werner Pfeffer<br />
Zeremonienmeister,<br />
Ideen-Coach und Künstler<br />
www.pepperworks.at<br />
DAS JETZT,<br />
DAS IST ES,<br />
WAS ICH SUCHE<br />
Wenn ich Kopfhöre, wo bin ich dann?<br />
Wenn ich mich im Netz verliere, wann bin ich dann?<br />
Wenn mir jeder Sinn für Zeit abhanden kommt, wo träume<br />
ich dann?<br />
Bin ich dort, wo ich atme?<br />
Atme ich dort, wo ich bin?<br />
Kennt ein Innehalten das Jetzt?<br />
Ist das Jetzt da, wo ich mein Smartphone in der Hand halte?<br />
Oder bin ich in der zweidimensionalen Flachwelt des Bildschirms,<br />
der mich anschaut?<br />
Kennt die Empfängerin meiner Nachricht mein Jetzt?<br />
Bin ich in der Cloud, die mich und meine Bilder archiviert?<br />
Ist sie mein Paradies? Schwebe ich schon auf der Wolke, von<br />
der ich immer geträumt habe?<br />
Brauche ich ein Zuhause, von dem ich fort gehen kann, um<br />
zu suchen? Ist Suche ohne ein “Von hier weg” möglich?<br />
Der zweidimensionale Vereinfacher sagt mir: Dort ist die<br />
Welt! Dort ist es schön! Dort willst Du dazu gehören! Dort<br />
ist das Jetzt.<br />
Ich verenge den Blick, beuge den Kopf nach vorn, bewege ihn<br />
nicht. Den Daumen schon. Schnell. Ich suche. Auf 16-daumenfacher<br />
Größe. Ist es auf dem Schirm? Dahinter? Oder<br />
dort, wo keiner weiss, wo das ist was ich sehe? Also dem<br />
Daumen nah vielleicht? Ob er es spürt, der Daumen? Spürt.<br />
Das Dort, das meines Auges Blick nur Glas entgegensetzt.<br />
LITERATUR & FILME:<br />
Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung<br />
Karl-Markus Gauß: Zu früh, zu spät<br />
Arno Geiger: Der alte König im Exil<br />
Gerhard Polt: Kleine Heimatkunde<br />
Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit<br />
Julie Zeh: Unterleuten<br />
Ridley Scott: Gladiator mit Russel Crowe als Maximus<br />
*Anmerkung: Matthias Horx: Zukunftsreport 2018<br />
Dann tippe ich und dreh die Kamera, um sicher zu sein,<br />
dass ich es bin. Ich sehe mich. Jetzt lächle ich. Ja, das beruhigt.<br />
Ich bin mir selbst das Gegenüber.<br />
In mein Smartphone zu schauen ist der verzweifelte Versuch,<br />
dem Hier zu entfliehen, um im Dort mein Jetzt zu<br />
finden. Das Smartphone ist mein Immerort geworden. Es<br />
gibt keine Heimat mehr.<br />
Wenn ich nicht weiß, wo ich bin, komme ich auch nicht hin.<br />
Hast Du Nachricht von den Freunden?<br />
<strong>gangart</strong> 19