Preisverleihung 1987 - Theodor-Heuss-Stiftung
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Dank und Berichte<br />
der Preisträger<br />
Klaus Michael Meyer-Abich<br />
Öffentliche Verantwortung für die<br />
Wissenschaft<br />
Ich bin Wissenschaftler. Ich habe mich bemüht,<br />
Verantwortung für die Wissenschaft, für das<br />
wissenschaftliche Erkenntnishandeln wahrzunehmen.<br />
Ich spreche heute über unser aller<br />
Verantwortung, die öffentliche Verantwortung<br />
für die Wissenschaft.<br />
Kein Außen- oder Verteidigungsminister hat<br />
die internationalen Verhältnisse je so nachhaltig<br />
geprägt wie die Chemiker Hahn und Straßmann<br />
durch die Entdeckung der Atomenergie kurz<br />
vor dem Beginn des 11. Weltkriegs. Und in<br />
neuerer Zeit hat die Halbleiterphysik in ihrer<br />
wirtschaftspolitischen Tragweite durch die Mikroelektronik<br />
jeder Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik<br />
durch politische Akteure bei weitem<br />
den Rang abgelaufen. Denn noch kein<br />
Arbeits- oder Wirtschaftsminister hat je so gewirkt,<br />
daß seine Tätigkeit jedem zweiten Arbeitsplatz<br />
anzusehen gewesen wäre. Walter<br />
Scheel sagte deshalb vor einigen Jahren zu<br />
Recht: Die Politiker laufen hinter der Wissenschaft<br />
her und versuchen, die Folgen aufzufangen<br />
.<br />
Dabei suchen die Wissenschaftler im wesentlichen<br />
nach Erkenntnis, und in der Regel wollen<br />
sie damit weder die Welt verändern noch sind<br />
sie es, die diese Veränderung ins Werk setzen.<br />
Durch das Erkennen aber entstehen immer<br />
auch neue Handlungsmöglichkeiten , und letztlich<br />
sind diese sogar das eigentlich Gesuchte.<br />
Denn ein Phänomen gilt heute gerade dann als<br />
erkannt, wenn der Wissenschaftler es selbst hervorbringen<br />
kann. Neue Handlungsmöglichkeiten<br />
in die Welt zu setzen wiederum, verändert in<br />
jeder einmal gegebenen historischen Situation<br />
die Möglichkeiten des Austrags der jeweiligen<br />
Konflikte. Es ist so, als würden während eines<br />
Spiels die Spielregeln verändert - dies ist immer<br />
mit relativen Vorteilen einiger zu Lasten anderer<br />
verbunden.<br />
Die Politiker müssen insoweit reagieren auf das,<br />
was die Wissenschaft in die Welt setzt, und das<br />
alte Spiel mit neuen Handlungsmöglichkeiten<br />
oder nach veränderten Regeln weiterspielen.<br />
Oder hätte man zum Beispiel die Mikroelektronik<br />
verbieten sollen? Sind dann aber nicht die<br />
Wissenschaftler mindestens mitverantwortlich<br />
für die Probleme der wissenschaftlich-technischen<br />
Welt? Dies ist die Frage, die mich bewegt.<br />
Als ich während meines Physikstudiums aus<br />
dem Hörsaal in den Hof des nebenan gelegenen<br />
Untersuchungsgefängnisses hinuntersehen<br />
konnte und dort die gestreiften Herren ihren<br />
geregelten Bahnen folgen sah, war mir sehr<br />
bewußt, daß kaum zehn Jahre zuvor die Wissenschaft,<br />
die ich gerade studierte, durch die Atombombe<br />
den größten Schrecken über die<br />
Menschheit gebracht hat, den je ein Wissen zu<br />
verantworten hatte. Ich habe mich damals gefragt,<br />
wie lange die Menschheit sich den Fortgang<br />
dieser Wissenschaft noch gefallen lassen<br />
und wann man uns Physiker unsere Kreise dort<br />
unten im Hof ziehen lassen würde. Die Frage<br />
hat mich seither begleitet.<br />
Wir Wissenschaftler sind ganz gewiß mitverantwortlich<br />
für die Krisen und Probleme der heutigen<br />
Welt. Forscher etwa vom Range Otto<br />
Hahns haben sich auch nie hinter der billigen<br />
Ausrede versteckt, man habe ja nur Grundlagenforschung<br />
getrieben und für die Bombe oder<br />
andere Folgen seien andere verantwortlich. Was<br />
sollte denn der amerikanische Präsident tun, als<br />
er 1941 erfuhr, daß die Deutschen nun wüßten,<br />
wie die furchtbarsten Waffen aller Zeiten möglich<br />
sind? Daß man lediglich »Grundlagenforschung«<br />
betreibe, ist aber bis heute eine beliebte<br />
Abschirmung gegen die Einsicht in die gesellschaftliche<br />
Tragweite nicht erst der Anwendungen,<br />
sondern bereits des wissenschaftlichen Er-<br />
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