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HAMMER<br />
Christoph Zurfluh<br />
1
HAMMER<br />
Von der «Chupferstrecki» 1690 bis zur «Ära Lüdi» 2017<br />
Christoph Zurfluh
2017<br />
Imposant: der<br />
«Hammer» der Ära<br />
Lüdi mit seinen<br />
Stallungen (oben),<br />
der Villa (Mitte) und<br />
dem Mühlehaus mit<br />
Turbinengebäude<br />
(unten).<br />
2 3
1996<br />
Ein Wintermärchen:<br />
Der «neue Hammer»<br />
nach seinem Umbau<br />
durch Margrit und<br />
Andrea von Planta.<br />
4 5
1984<br />
In die Jahre gekommen,<br />
aber mit viel Charme:<br />
Mühlehaus (rechts) und<br />
Waschhäuschen vor der<br />
«Ära von Planta».<br />
6 7
1935<br />
Das sogenannte<br />
«Chalet» nach<br />
seinem Ausbau zum<br />
«neuen Hammer»<br />
durch Emy und<br />
Robert Naville.<br />
8 9
1925<br />
Robert (links) und<br />
Raoul Naville vor<br />
dem «Chalet», das<br />
wenige Jahre später<br />
zum «neuen Hammer»<br />
ausgebaut wird.<br />
Dahinter der «alte<br />
Hammer».<br />
10 11
1922<br />
Der «Hammer» machte<br />
schon früh mobil.<br />
Robert Naville etwa<br />
baute sogar selber<br />
ein Auto. Im Bild:<br />
Chauffeur mit einem<br />
Wagen der Marke<br />
Richard-Brasier.<br />
12 13
1917<br />
Die vier Papierfabrik-<br />
Erbinnen und ihre<br />
Kinder (von links):<br />
Alice, Olga, Emy und<br />
Ellen bei einem<br />
Familientreffen im<br />
«Hammer».<br />
14 15
1915<br />
Das «Chalet» nach<br />
seiner Erweiterung<br />
im Stil der nordamerikanischen<br />
Landhäuser<br />
– ähnlich,<br />
wie sie die Gebrüder<br />
Page der Chamer<br />
«Milchsüdi»<br />
gebaut hatten.<br />
16 17
1910<br />
Die alte Hammer-<br />
Villa war auf schlechtem<br />
Grund gebaut: Sie<br />
rutschte in Richtung<br />
Lorze und musste<br />
abgerissen werden.<br />
18 19
1905<br />
«Grand Slam» im<br />
«Hammer»: die<br />
Vogel-Töchter auf<br />
dem Tennisplatz<br />
zwischen Pferdestallungen<br />
und<br />
Wohnhaus.<br />
20 21
1900<br />
Stolze Bauern: Das<br />
Hammergut oberhalb<br />
der Villa galt schon<br />
früh als landwirtschaftlicher<br />
Vorzeigebetrieb.<br />
22 23
1899<br />
Fahrt ins Blaue:<br />
Der «Hammer» war<br />
schon zu Vogels<br />
Zeiten ein Paradies<br />
für Kinder, die hier<br />
viel Auslauf hatten.<br />
24 25
1890<br />
Ein richtiges<br />
«Hammer»-Kind<br />
reitet – auf selbst<br />
gezüchteten Pferden!<br />
Zum Beispiel die<br />
kleine Emy Vogel.<br />
26 27
1837<br />
Das Hammergut,<br />
gemalt vom bekannten<br />
Kunstmaler Salomon<br />
Corrodi (1810–1892),<br />
zwölf Jahre nachdem<br />
es Johann Jakob<br />
Vogel-Nötzli gekauft<br />
hatte.<br />
28 29
INHALT<br />
Der «Hammer» bewegt 33<br />
Der «Hammer»? Drei «Hämmer» geben den Takt! 35<br />
Krieg in Europa: Die Eidgenossenschaft ist eine Insel 36<br />
Alte Zöpfe – blanker Neid: Zuger Wirtschaftspolitik im 17. und 18. Jahrhundert 38<br />
Ein einziges Desaster: der erste «Hammer» (1635/36) 40<br />
Die Hammerschmiede: Mechanisierung als Vorstufe der Industrialisierung 44<br />
Vergleichsweise bescheiden: der zweite «Hammer» (1657) 46<br />
Dr. Müllers «Chupferstrecki»: der dritte «Hammer» (1690) 48<br />
Fremde Fötzel, falscher Glaube:<br />
Abschottung als Teil der katholisch-konservativen Kultur 50<br />
«Die Vogels waren bestimmt nicht willkommen» 54<br />
Vom einfachen Gewerbebetrieb zur repräsentativen Liegenschaft: die Ära Vogel 59<br />
Ein schlauer Trick: Wie Vogel zum «Hammer» kommt 60<br />
Weit gereist und gut gebildet: die Familie Vogel 61<br />
Hand in Hand: der «Hammer» und die «Papieri» 65<br />
Heinrich Ulrich Vogels genialer Streich: Papier statt Eisen 69<br />
Idealisierte Naturlandschaft: ein Garten nach englischem Vorbild 76<br />
Ein Leben für die «Papieri»: Carl Vogel-von Meiss 81<br />
Es werde Licht: Das Mühlehaus wird zum Kraftwerk 82<br />
Natürliches Wachstum: die Bauetappen im «Hammer» 87<br />
Der «Hammer» wird Firmenbesitz: die Ära Naville 91<br />
Teilen statt erben: die Nachfolgeregelung der «Papieri»-Erbin 94<br />
Bauernhof mit Modellcharakter: das Hammergut 98<br />
Aus drei wird eins: der neue «Hammer» 102<br />
Michael Funk: Ferien im «Hammer» 120<br />
Mann mit anderen Eigenschaften: Robert E. Naville 124<br />
Familie als Hypothek: Jacqueline Naville und der «Hammer» 128<br />
Der Traum von der Altersresidenz: die Ära von Planta 133<br />
Warum eigentlich nicht? «Hammer» statt «Villette» 134<br />
Von Zürich nach Cham: Margrit und Andrea von Planta 138<br />
Eine Überraschung nach der anderen: der Umbau 143<br />
Barock bis unters Dach: die Hammer-Villa 150<br />
Hang zum Historismus: die Rixheimer Tapete und andere Originale 154<br />
Stein um Stein: das Mühlehaus 161<br />
Gutsherr ohne Gut: Gerhard Ecker und «sein Hammer» 168<br />
Ein hübsches Paar für die Lorzenterrasse: das Waschhäuschen und die «Gartenlaube» 170<br />
Badefreuden im Versteckten: der Pool in der Orangerie 173<br />
Eine Tradition fortgeführt: die «Hammer»-Pferde 178<br />
Interessent 127: Der «Hammer» findet einen Käufer 182<br />
Robert E. Naville: Trauriger Abschied vom «Hammer» 188<br />
Vorher – nachher: der Umbau von 1984 bis 1991 190<br />
«Macht doch, was ihr wollt …» 204<br />
Abschied vom Barock, aber nicht von der Geschichte: Die Ära Lüdi 207<br />
Gesucht: Luxus-Residenz 208<br />
Ein wohlbehütetes Mittelstandskind 209<br />
Zwei Mal knapp am Tod vorbei 212<br />
Von Neugier getrieben, vom Schicksal gelenkt 219<br />
Zwischenstopp in Kanada 224<br />
Liebe auf den ersten Blick: Ariel Lüdi und der «Hammer» 226<br />
Und jetzt einfach mal loslegen … 227<br />
«Ein richtig netter Mensch» 232<br />
Neubeginn beim Pferdestall 233<br />
«Mister Impossible» 236<br />
Auf die Schnelle geht nichts im «Hammer» 240<br />
Kurswechsel: Das Atelier Zürich bringt Farbe ins Projekt 243<br />
Feinstes Stuckwerk 244<br />
Mehr Farbe ins Leben 250<br />
Hightech vom Keller bis unters Dach 253<br />
Brasilianische Lebensfreude im «Hammer» 256<br />
Ein sportlicher Finish 260<br />
Das Hammer-Team wächst und wird auch digital 261<br />
Das Hammer-Fest im Sommer 2017 264<br />
Vorher – nachher – heute 266<br />
Der «Hammer» steckt voller Energie 272<br />
Die Hammer-Villa heute 274<br />
Bildnachweis 296<br />
Autor 297<br />
Dank 297<br />
Die «Hammer-Dynastien» Vogel und Naville 299
DER «HAMMER» BEWEGT<br />
Herausgeber Ariel<br />
Lüdi (links) beim<br />
ersten Treffen mit<br />
Autor Christoph<br />
Zurfluh im Restaurant<br />
Wart in Cham.<br />
Er gilt zu Recht als Ur-Chamer Wahrzeichen. Doch es sind praktisch ausnahmslos Auswärtige,<br />
welche die Geschichte des «Hammers» prägen. 1690 vom Zuger Dr. Müller als<br />
«Chupferstrecki» erstellt, schlittert der Betrieb von einer Krise in die andere, bis er 1826 –<br />
keineswegs zur Freude der Einheimischen – vom Zürcher Eisenhändler Johann Jakob Vogel<br />
gekauft wird.<br />
Drei Generationen Vogel machen aus dem «Hammer» einen herrschaftlichen Landsitz<br />
inklusive Modellbauernhof und Pferdezucht. Die Hammerschmiede geben sie zwar auf,<br />
dafür kaufen sie die benachbarte Papiermühle, die sie zum florierenden Unternehmen weiterentwickeln<br />
und mit Strom aus dem eigenen Wasserkraftwerk versorgen.<br />
Mit Robert Naville, der eine Vogel-Tochter heiratet, übernimmt 1911 ein Genfer aus vornehmem<br />
Haus das Zepter im «Hammer». Zusammen mit seiner Frau Emy baut er unter<br />
anderem die neue Hammer-Villa. Auch sein Sohn Robert E. Naville wird mit seiner Familie<br />
hier residieren, bis 1984 der Zürcher Andrea von Planta, ein gebürtiger Bündner, die Anlage<br />
kauft und während Jahren komplett um- und ausbaut. Als ihm der «Hammer» sowohl<br />
finanziell als auch kräftemässig über den Kopf wächst, ist es der Aargauer Ariel Lüdi, der<br />
Ende 2013 hier einzieht und den «Hammer» erneut nach seinen Bedürfnissen umgestaltet.<br />
Ein Jahr will er sich dafür Zeit geben. Am Ende sind es drei. Vor allem die Hammer-Villa ist<br />
danach von innen kaum mehr wiederzuerkennen: Aus einem barocken Schlösschen mit<br />
unzähligen Zimmern macht Lüdi ein <strong>gross</strong>zügiges, luxuriöses Einfamilienhaus. Unter ihm<br />
wird der «Hammer» aber auch wieder das, was er einmal war: ein Unternehmenszentrum.<br />
Auch dass er die Kraft der Lorze nützt und seinen eigenen Strom produziert, verbindet ihn<br />
mit seinen Vorgängern: Energie ist von Anfang an eines der Kernthemen im «Hammer».<br />
Herausgeber Ariel Lüdi, Cham<br />
Text/Produktion Christoph Zurfluh, Muri (diemagaziner.ch)<br />
Gestaltung Nicole Laubacher, Muri (kuettel-laubacher.ch)<br />
Lektorat Michael van Orsouw, Zug (michaelvanorsouw.ch)<br />
Korrektorat Julia Schwegler-Wieland, Sarnen (korrigiert.ch)<br />
Bildredaktion Roger Zoller, Zürich<br />
Druck Heller Druck AG, Cham<br />
www.<strong>hammer</strong>cham.ch<br />
Dass der «Hammer» heute als schützenswertes Objekt gilt, liegt hingegen nicht daran,<br />
dass er architektonisch besonders wertvoll wäre. Es ist der einzigartige Charme des<br />
Ensembles, das schon immer vor allem die Geschichte seiner Besitzer erzählte. Es ist eine<br />
turbulente, mitunter berührende Geschichte, die mit Ariel Lüdi ihren vorläufigen Abschluss<br />
findet – und dank ihm in diesem Buch weiterlebt. Aber garantiert nicht endet.<br />
Christoph Zurfluh<br />
ISBN 978-3-033-06468-3<br />
© 2017 Ariel Lüdi, Cham, und Christoph Zurfluh, Muri<br />
33
DER «HAMMER»? DREI «HÄMMER»<br />
GEBEN DEN TAKT!<br />
In der Geschichte der Chamer Hammerschmieden<br />
herrschte lange Zeit Unklarheit.<br />
Bis die Geschichtsschreibung<br />
vor Kurzem Licht ins Dunkel bringen<br />
konnte. Heute ist klar: Es gab drei<br />
«Hämmer» an der Lorze. Und «unser<br />
Hammer» ist der unterste in der Reihe.<br />
35
Krieg in Europa: Die Eidgenossenschaft ist eine Insel<br />
Zug, 1635: In ganz Europa herrscht Krieg. Katholiken und Reformierte kämpfen um den<br />
wahren Glauben, Habsburger, Spanier, Schweden und Franzosen mit ihren Verbündeten<br />
um die Vorherrschaft in Europa. Der Dreissigjährige Krieg, der mit dem Prager Fenstersturz<br />
am 23. Mai 1618 seinen Anfang nimmt, ist in vollem Gange. Längst hat er sich vom Aufstand<br />
der protestantischen böhmischen Stände zum europäischen Flächenbrand mit 600 000<br />
toten Landsknechten und Millionen von zivilen Opfern entwickelt. Noch schlimmer als<br />
Morgensterne und Musketen wüten aber Hunger, Pest, Typhus und Cholera. Auf jeden in<br />
der Schlacht gefallenen Soldaten kommen zu dieser Zeit zwei, die an Krankheiten sterben.<br />
Doch von alledem ist im Herzen der Eidgenossenschaft wenig zu spüren. Obwohl die damalige<br />
Schweiz mitten im Brandherd liegt, kann sie sich aus dem Konflikt heraushalten<br />
und sogar wirtschaftlich davon profitieren. Politisch betroffen ist sie dennoch. Um ihren<br />
Einfluss zu stärken, halten sich alle Mächte Agenten und in ihrem Interesse agierende<br />
Schweizer, meist Reislaufoffiziere wie der Urner Sebastian Peregrin Zwyer von Evibach und<br />
der Zuger Beat Zurlauben, die über ihre militärische Karriere und mit ihrem politischen Einfluss<br />
zu Gunsten der verschiedenen Kriegsparteien auf die Innenpolitik einwirken sollen.<br />
Mit wenig Erfolg allerdings.<br />
Von besonderem Interesse, vor allem für die Habsburger, sind beispielsweise die Routen<br />
über die Alpenpässe, die den deutschen und den norditalienischen Kriegsschauplatz verbinden.<br />
Wer genügend Geld hat, deckt sich in der Schweiz ausserdem mit Nahrungsmitteln<br />
und anderen kriegswichtigen Gütern wie Pferden ein. Das macht das Land zum wichtigen<br />
Partner, von dem man vor allem dann profitiert, wenn man ihn in Ruhe lässt. Ganz abgesehen<br />
davon betonen die Eidgenossen immer wieder ihre Politik der Nichteinmischung<br />
und signalisieren, dass sie durchaus bereit sind, sich mit allen Mitteln zu verteidigen.<br />
So scheitern die Bemühungen der kriegführenden Mächte, das Machtvakuum inmitten<br />
Europas zu neutralisieren: Niemandem gelingt es, die Eidgenossenschaft exklusiv für sich<br />
zu verpflichten. Aber alle profitieren von ihrem wichtigsten Exportgut: den Söldnern.<br />
Gerade in Landkantonen wie Zug wird zu jener Zeit das Militärunternehmertum zum herausragenden<br />
und praktisch einzigen bedeutenden Wirtschaftszweig, der so viele fähige<br />
Köpfe bindet, sodass sich – im Gegensatz zu den Stadtkantonen – kein anderer so richtig<br />
entwickeln kann. Wenige Familien bringen es zu <strong>gross</strong>em Reichtum, und unzählige einfache<br />
Männer finden im Solddienst ein Auskommen, das ihnen immerhin das Überleben<br />
sichert – bis sie im Kampf fallen, an einer Krankheit sterben oder im besten Fall unverkrüppelt<br />
zurückkehren.<br />
Not, Elend, Tod: Der<br />
Dreissigjährige Krieg<br />
verwüstete <strong>gross</strong>e Teile<br />
Europas – hier die<br />
Plünderung des<br />
belgischen Dorfes<br />
Wommelgem um 1620.<br />
Die Eidgenossenschaft<br />
blieb allerdings weitgehend<br />
verschont.<br />
Im Kanton Zug ist es vor allem die Familie Zurlauben, die mit ihrem Militärunternehmertum<br />
zu einigem Reichtum kommt und dank ihrem Geld und Einfluss in die höchsten politischen<br />
Ämter aufrückt. Den Grundstein legt 1567 Anton Zurlauben, der das Regiment<br />
Pfyffer des französischen Königs Karl IX. mit Urschweizer Haudegen versorgt. Von 1619 bis<br />
zum Ausbruch der Französischen Revolution wird die Familie Zurlauben für Nachschub im<br />
königlichen Garderegiment von Frankreich sorgen, der stolzesten Söldnertruppe, in die<br />
ausschliesslich Eidgenossen aufgenommen werden: Sie bewachen den König als dessen<br />
Leibgarde Tag und Nacht. Daneben befehligen die Zurlaubens auch weitere Truppen in<br />
fremden Diensten.<br />
Dass die damalige Schweiz sich aus den Kriegswirren heraushalten kann, liegt nicht zuletzt<br />
am minimalen politischen Konsens, den man über alle konfessionellen, politischen und sozialen<br />
Gräben hinweg zustande bringt. Ein Leben-und-leben-Lassen, das vermutlich auch<br />
zum Entscheid der Stadt Zug beigetragen haben mag, auswärtigen Unternehmern die Erlaubnis<br />
zur Errichtung einer Sägessen- oder Hammerschmiede an der Lorze zu geben …<br />
36 37
lte Zöpfe –<br />
lanker Neid:<br />
uger Wirtschaftsolitik<br />
im 17. und<br />
8. Jahrhundert<br />
Alte Zöpfe – blanker Neid:<br />
Zuger Wirtschaftspolitik<br />
im 17. und 18. Jahrhundert<br />
Weshalb die frühindustrielle Entwicklung in der Innerschweiz auf keinen fruchtbaren<br />
Boden trifft, hat viele Gründe. Einer davon ist bestimmt die konservative,<br />
vergangenheitsorientierte Bergler- und Bauernmentalität. Zwar stellt das ländliche<br />
Gebiet durchaus einen Markt für frühe Industriebetriebe dar, beispielsweise für die<br />
Zürcher Textilindustrie, die hier in Heimarbeit produzieren lässt, doch es siedelt sich<br />
– einmal abgesehen von den Mühlen – kaum ein Unternehmen an, das Handwerk<br />
mit Mechanik unterstützt, wie es bei den Hammerschmieden der Fall ist.<br />
Das Soldwesen war<br />
ein wichtiger Wirtschaftszweig:<br />
hier der<br />
Zuger Zuzüger Johann<br />
Baptist Brandenberg<br />
(Bild von 1792).<br />
Rechts: Fuhrmann<br />
auf dem Zuger<br />
Schanzenplatz, dem<br />
heutigen Postplatz.<br />
So fehlt auch der Zuger Obrigkeit das Verständnis für eine Mechanisierung bzw.<br />
vorindustrielle Entwicklung. Wirtschaftliches Wachstum gibt es in ihrem Denken<br />
nicht. Und man setzt vehement auf Handwerk, wie es die Gewerbebetriebe – durchaus<br />
in hoher Qualität – seit Menschengedenken ausüben.<br />
Hinzu kommt, dass man zu jener Zeit in allen fünf Innerschweizer Orten Uri,<br />
Schwyz, Unterwalden, Luzern und Zug das Soldunternehmertum pflegt. Wenige<br />
Familien ziehen hier die Fäden und bringen es zu Reichtum und Ansehen – und<br />
viele andere profitieren davon. Kein Wunder, halten sie so lange als möglich daran<br />
fest und zeigen kein Interesse, in andere Wirtschaftsbereiche einzusteigen. Dieses<br />
Geschäft ist anspruchsvoll und braucht Kenntnisse, die ein einfacher Handwerker<br />
schlichtweg nicht haben kann. Mit der Folge, dass jene klugen Köpfe, die es zur Industrialisierung<br />
brauchen würde, bereits ans Militärunternehmertum gebunden<br />
sind und nicht mehr zur Verfügung stehen.<br />
Diese These bestätigt auch die Tatsache, dass es noch lange Zeit fast durchwegs<br />
Auswärtige sind, die in Zug die Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung<br />
vorantreiben. Dass dies in der Regel Reformierte sind, die auch eine reformierte<br />
Arbeiterschaft mitbringen, ist ein weiterer Grund für die ablehnende Haltung der<br />
politischen Elite. Und sie nährt auch immer wieder Neid und Missgunst in der Bevölkerung,<br />
die zu Recht fürchtet, allmählich den Anschluss zu verpassen. Die Zuger<br />
Landis & Gyr rekrutierte ihre Fachkräfte beispielsweise bis in die 1980er-Jahre in der<br />
ganzen Schweiz; ihre Arbeiterinnen und Arbeiter stammten vor allem aus Italien.<br />
38<br />
39
Ein einziges Desaster: der erste «Hammer» (1635/36)<br />
Sein Ärger muss <strong>gross</strong> gewesen sein: Ausgerechnet über den Kopf von Ammann Beat<br />
Zurlauben hinweg bewilligt der Rat der Stadt Zug, unter dessen Hoheit die Vogtei Cham-<br />
Ennetsee steht, einem Konsortium von reformierten St. Galler Kaufleuten Bau und Betrieb<br />
einer Hammerschmiede an der Lorze in Cham. Die auswärtigen Unternehmer haben wohl<br />
schlichtweg vergessen, den einflussreichen Zuger für sich zu gewinnen. Stattdessen wickeln<br />
sie den Handel über Statthalter Wolfgang Wickart ab – einen Intimfeind Zurlaubens.<br />
Unglücklicher hätte die Geschichte des ersten Chamer «Hammers» also nicht beginnen<br />
können. Von Anfang an ist klar, dass Beat Zurlauben schon den kleinsten Verstoss gegen<br />
die Auflagen der Zuger Regierung gnadenlos ahnden und dazu benützen würde, den<br />
«fremden Fötzeln» das Leben schwer zu machen. Auch die Bevölkerung ist gespalten. Opposition<br />
gegen das Projekt zeichnet sich ab. Es riecht nach Konflikt.<br />
Was genau die St. Galler Kaufleute (die Erben von Kaspar Schlumpf dem Älteren sowie<br />
Junker Daniel Zollikofer und Verwandte) dazu veranlasst, ausgerechnet in Cham, weit weg<br />
von ihrem Stammgebiet, eine Hammerschmiede zu bauen und damit einen für sie völlig<br />
neuen Geschäftszweig zu etablieren, ist bis heute nicht ganz klar. Die Lorze war sicher<br />
nicht ausschlaggebend. Ein Wasserrad braucht nicht die Dimensionen der Lorze, wie bescheidenere<br />
Beispiele in Frankreich zeigen. Und es kann auch kaum die Überlegung dahinter<br />
gesteckt haben, dass es doch ganz nett wäre, ein neues Geschäft aufzubauen. Dann<br />
hätten sie dies in der Nähe von Zürich oder St. Gallen getan und – in einer Zeit grösster<br />
konfessioneller Spannungen – nicht einen Standort im katholisch-konservativen «Feindesland»<br />
gewählt, wo sie im besten Fall geduldet, aber nie wirklich willkommen sein würden.<br />
Vielleicht ist es der Innerschweizer Bergbau, der zu dieser Zeit in Uri und Obwalden eine<br />
kurze Blüte erlebt: Aufgrund der beschwerlichen Transportwege macht es Sinn, seine Produktionsstätte<br />
so nah am Rohmaterial wie möglich zu betreiben. Denn obwohl es zu jener<br />
Zeit keine Businesspläne im heutigen Sinn gibt, ist den Unternehmern ökonomisches Denken<br />
nicht fremd und die Rechnung schnell gemacht: Je weiter ich eine Ware transportieren<br />
muss, desto mehr Zollabgaben muss ich leisten, was das Produkt (vor allem ein so schwerwiegendes<br />
wie Eisen) über die Massen verteuert. Ausserdem geht es darum, möglichst nah<br />
am Absatzmarkt zu sein. Sensen, die in der Hammerschmiede hergestellt werden sollen,<br />
braucht man genau hier, im Bauern- und Hirtenland der Zentralschweiz.<br />
Kupfer<strong>hammer</strong> und<br />
Papiermühle an der<br />
Lorze auf einer Karte<br />
von Heinrich Keller<br />
(1778–1862) aus dem<br />
Jahr 1828.<br />
40 41
So sind es also St. Galler Kaufleute, welche die Bewilligung für den Bau und Betrieb einer<br />
Hammerschmiede vor der ersten Gefällstufe der Lorze, etwa 800 Meter oberhalb der<br />
heutigen Liegenschaft Hammer, bekommen. Dafür haben sie eine Reihe von Abgaben zu<br />
leisten, müssen – theoretisch – jedem Zuger eine verbilligte Sense zum Eigengebrauch<br />
abgeben, dürfen im Kanton lediglich Bauholz, aber nicht Holzkohle beziehen, die sonst<br />
möglicherweise knapp geworden wäre, und verpflichten sich, als Hammerschmied einen<br />
Katholiken anzustellen; das Gesinde darf zwar reformiert sein, den eigenen Glauben aber<br />
nicht öffentlich ausüben. Ausserdem dürfen sie die Lorze unter gar keinen Umständen<br />
höher als 2 Schuh (60,8 Zentimeter) stauen, um die Seeabsenkung nicht zu gefährden. Im<br />
Gegenzug verpflichtet sich Zug, auf Stadtgebiet niemand anderem die Konzession zum<br />
Betrieb einer Hammerschmiede zu geben.<br />
Schon bevor die St. Galler mit dem Bau ihrer <strong>gross</strong> dimensionierten Anlage beginnen, die<br />
wohl mehrere Hämmer umfasst, sorgt der übergangene Beat Zurlauben für Unruhe: Dass<br />
der Rat dem Projekt zugestimmt habe (und zwar zweimal!), entspreche keineswegs der<br />
Wahrheit. Wirklich zum Kippen bringt er das Unternehmen aber erst, als sich herausstellt,<br />
dass die Stauhöhe tatsächlich überschritten wurde, obwohl er die Verantwortlichen schon<br />
im Vorfeld gewarnt hat, man würde ihnen die Lizenz sofort entziehen, wenn dies der Fall<br />
sein sollte.<br />
Die Stimmung kippt im Sommer 1636, als die Zuger Bürgergemeinde beschliesst, die<br />
Schmiede wieder zu schliessen. Zollikofer muss den Betrieb einstellen. Da er in der Zwischenzeit<br />
eine Menge Schulden hat, muss er das Inventar, das sich «unter dem Dach der<br />
Schmiede» befindet, so lange als Pfand zurücklassen, bis diese beglichen sind.<br />
Bestimmt trägt auch der Dreissigjährige Krieg zu diesem Entscheid bei: Die Handels- und<br />
Verkehrswege sind davon stark beeinträchtigt. Sensen – etwa aus dem Tirol – finden kaum<br />
mehr den Weg nach Zug. Gewiefte Unternehmer wie Zollikofer und Schlumpf können da<br />
schon mal auf die Idee kommen, ihr Geschäft in der Zentralschweiz aufzuziehen. Stellt sich<br />
einzig die Frage, warum denn die Zuger dies nicht selber gemacht haben. Lag es am fehlenden<br />
Know-how? Oder – viel wahrscheinlicher – an der fehlenden Innovationsbereitschaft?<br />
Denn die Hammerschmiede an der Lorze basiert auf einer völlig neuen Wirtschaftsform:<br />
Auswärtiges, fremdes Kapital baut mit auswärtigem Know-how und auswärtiger Belegschaft,<br />
die erst noch anderer Konfession ist, ein frühindustrielles Unternehmen!<br />
Unternehmerfamilien<br />
wie die Zollikofers<br />
machten St. Gallen<br />
zum Zentrum der<br />
Leinenindustrie.<br />
Zollikofer zieht sich zähneknirschend zurück – finanziell derart angeschlagen, dass er die<br />
Zuger wissen lässt, der Verlust werde seiner Familie noch über Generationen zu schaffen<br />
machen. Was nichts anderes bedeutet, als dass er – zumindest nach eigenem Ermessen –<br />
riesige Summen ins Unternehmen investiert hat. Denn die Familie Zollikofer hat Geld. So<br />
viel Geld, dass sie eine Art «Risikokapital» ins Chamer Projekt stecken konnte. Unternehmerfamilien<br />
wie die Zollikofers waren es nämlich, welche die Stadt St. Gallen im 16. Jahrhundert<br />
zum Zentrum der Leinenindustrie gemacht und ihre Gewebe nach ganz Europa<br />
exportiert hatten. Das Chamer Abenteuer hingegen kommt sie teuer zu stehen.<br />
Erleichtert darüber, dass die «lutherische Schmitte» (so das Ratsprotokoll) nun definitiv<br />
Geschichte ist, lassen die Zuger diese einfach mal so stehen; immerhin gehört sie de facto<br />
auch noch Zollikofer. Schliesslich übernimmt ein Färber das Grundstück – und damit endet<br />
die Geschichte des ersten Chamer «Hammers». Erst zwanzig Jahre später steigen ein paar<br />
Einheimische ins Geschäft ein und errichten den zweiten «Hammer».<br />
42 43
ie Hammerchmiede:<br />
Die Hammerschmiede:<br />
Mechanisierung als<br />
Vorstufe der Industrialisierung<br />
So geht das: Der Eisen<strong>hammer</strong><br />
im sächsischen<br />
Dorfchemnitz aus dem<br />
Jahr 1567 ist immer noch<br />
funktionsfähig.<br />
Es kommt nicht von ungefähr, dass die ersten vorindustriellen Betriebe im Kanton<br />
Zug an der Lorze gebaut werden. Die Wasserkraft des kleinen Flusses ermöglicht<br />
eine Mechanisierung der Produktionsprozesse, so wie sie die mächtigen Hämmer<br />
der Hammerschmieden darstellen.<br />
Auch der «Hammer» nutzt das Wasser der Lorze, die ein vier bis fünf Meter hohes,<br />
unterschlächtiges Wasserrad – die älteste und einfachste Form – antreibt. Dabei<br />
wird das Wasser durch einen dem Rad angepassten Kanal (Kropf) geleitet, der ver<br />
echanisierung<br />
hindert, dass es ungenutzt seitlich oder unterhalb vorbeifliesst.<br />
ls Vorstufe<br />
er Indutrialisierung<br />
Parallel zur Verlängerung der Achse des Wasserrads dreht sich in der eigentlichen<br />
Schmiede eine Nockenwelle, die einen oder auch mehrere Schwanzhämmer im<br />
Rhythmus des Wasserrads anhebt und auf das zu schmiedende Teil niedersausen<br />
lässt. Der Schmied braucht das glühende Werkstück also nur noch richtig unter den<br />
Hammer zu halten und muss es nicht mehr aus eigener Kraft bearbeiten, was nicht<br />
bloss eine enorme Erleichterung, sondern auch eine massive Effizienzsteigerung<br />
bedeutet. Daneben befinden sich die Esse und ein – ebenfalls durch Wasserkraft<br />
betriebener – <strong>gross</strong>er Blasbalg, welcher der Glut Luft zuführt.<br />
Aufgrund der enormen Feuergefahr ist das Gebäude nicht aus Holz, sondern gemauert<br />
und mit Ziegeln bedeckt. Das hat seinen Preis, ist aber so etwas wie die Feuerversicherung<br />
des Unternehmens.<br />
Die Arbeit im «Hammer» verlangt von den Schmieden – bei ohrenbetäubendem Lärm<br />
– ein Höchstmass an Konzentration. Eine falsche Bewegung und der Hammer zerschmettert<br />
das Werkstück. Doch Materialverluste sind nur das eine. Die Verletzungsgefahr<br />
ist aufgrund fehlender Schutzmassnahmen enorm, die Folgen sind verheerend.<br />
Der «Hammer» stellt eine frühe Form der Industrialisierung dar, die lediglich darin<br />
besteht, dass eine einfach konstruierte Maschine, die weder müde wird noch Gnade<br />
kennt, den Arbeitstakt vorgibt. Braucht der Schmied eine Pause, kann er den Hammer<br />
abhängen und die Nockenwelle leer drehen lassen – was allerdings unüberhörbar<br />
ist und deshalb nicht allzu häufig gemacht werden kann …<br />
44<br />
45
Vergleichsweise bescheiden: der zweite «Hammer» (1657)<br />
Es dauert eine Weile, bis sich nach dem St. Galler Fiasko wieder jemand ein Herz fasst<br />
und eine neue Hammerschmiede in Cham installiert. Dieses Mal sind es Einheimische, die<br />
irgendwo unterhalb der ersten Gefällstufe der Lorze eine Nagelschmitte betreiben: den<br />
zweiten «Hammer». Der genaue Standort ist heute nicht mehr bekannt. Allerdings dürfte<br />
der zweite «Hammer» bereits in der Nähe des dritten gestanden haben. Möglicherweise<br />
sogar in unmittelbarer Nähe, was zur Verwirrung beigetragen haben könnte, die bisher in<br />
der Geschichte der Chamer «Hämmer» herrschte.<br />
Nicht nur, dass viele Stellen in den Zuger Ratsprotokollen fälschlicherweise als Hinweise<br />
auf Hammerschmitten betrachtet wurden, obwohl es sich bloss um ganz gewöhnliche<br />
Schmiedebetriebe handelte. Man ging bisher auch von lediglich zwei Hammerschmitten<br />
aus, weshalb der dritte «Hammer» über dreissig Jahre zu früh in den Geschichtsbüchern<br />
auftaucht. Erst die Forschungsarbeiten des ehemaligen Zuger Staatsarchivars Peter Hoppe<br />
schafften hier vor Kurzem Klarheit: Es gab definitiv drei «Hämmer» an der Lorze. Und der<br />
heute als «Hammer» bekannte Ort ist der letzte.<br />
Von seinen Ausmassen her ist der zweite «Hammer» nicht vergleichbar mit dem ersten,<br />
<strong>gross</strong>en «Hammer» Zollikofers. Dass es aber eine Hammerschmiede ist, davon kann ausgegangen<br />
werden, denn sonst hätte man ihn ja nicht an die Lorze bauen müssen. Allerdings<br />
werden hier kaum Werkstücke in der Dimension von Glockenschwengeln geschmiedet,<br />
sondern vor allem Nägel, möglicherweise auch Waffen produziert. Vermutlich mit mechanisch<br />
betriebenen, kleineren Hämmern, die pro Minute 120 bis 180 Mal niederprasseln. Es<br />
muss ein ohrenbetäubender Lärm gewesen sein – ein guter Grund also, die Anlage weit<br />
ausserhalb des Dorfes zu bauen. Ist die Nachfrage nach Nägeln nicht gegeben, können die<br />
Hämmer abgehängt oder andere Schmiedearbeiten ausgeführt werden.<br />
Dass der zweite «Hammer» auch nach dem Bau des dritten weiter betrieben wird, belegen<br />
die Zuger Ratsprotokolle. Noch im 18. Jahrhundert gibt es immer wieder Hinweise darauf,<br />
dass sich die beiden Etablissements arrangieren und versprechen mussten, einander nicht<br />
ins Handwerk zu pfuschen. Die beiden bilden also so etwas wie ein kleines Kartell, das sich<br />
im Hinblick auf Produktion und Preise abspricht, was damals nicht unüblich war.<br />
Eine Hammerschmiede<br />
Mitte des 16. Jahrhunderts:<br />
Im sogenannten<br />
Rennofen hinten<br />
schmilzt das Eisenerz,<br />
vorne wird das Werkstück<br />
unter dem<br />
Hammer bearbeitet.<br />
46 47
Dr. Müllers «Chupferstrecki»: der dritte «Hammer» (1690)<br />
Als in den Zuger Ratsprotokollen der dritte und letzte «Hammer» erstmals auftaucht, wird<br />
– vermutlich nur einen Steinwurf entfernt – bereits seit 33 Jahren mit mechanischer Unterstützung<br />
geschmiedet. Der dritte «Hammer», den ein Dr. Müller aus Zug baut, wird zwar<br />
deutlich grösser als die Konkurrenz «um die Ecke», aber vermutlich erreicht auch er nicht<br />
die Dimensionen des ersten, den Zollikofer 55 Jahre früher gebaut hat.<br />
Da wohl in erster Linie Kupfer verarbeitet wird, erhält dieser «Hammer» später den Namen<br />
«Chupferstrecki». Doch die Vermutung liegt nahe, dass auch andere Schmiedewaren produziert<br />
werden. Und die Geschichte zeigt, dass es kein einfaches Geschäft ist. Immer wieder<br />
wechselt der «Hammer» den Besitzer, wobei sich die Zuger dagegen wehren, dass<br />
Auswärtige oder gar Reformierte in den Besitz des Betriebs kommen.<br />
Um 1730 ist ein Hauptmann Johann Utiger Besitzer des «Hammers», der sich in der Folge<br />
aber als wenig rentabel erweist. Utiger nimmt 1766 bei der Stadt eine Hypothek von 2000<br />
Gulden auf den «Hammer» auf, der bereits mit 3400 Gulden hoch verschuldet ist. 1778<br />
geht der «Hammer» an einen Sylvan Schwerzmann über, der allerdings nur als Strohmann<br />
reicher Luzerner fungiert, die als Auswärtige nicht kaufberechtigt sind. Es kommt deswegen<br />
zum Streit. Hans Jakob Villiger ist ab 1792 der letzte Schmied, der den «Hammer»<br />
auch besitzt. Aber er ist nicht der Letzte, der am Unternehmen scheitert. 1813 verkauft er<br />
das Ganze an den Zuger Melchior Schwerzmann und die Chamer Ratsherren Ulrich Stutz<br />
und Josef Bär.<br />
Dann geht es Schlag auf Schlag: Der «Hammer» wechselt seinen Besitzer jetzt im<br />
Schnellzugstempo. Das zeigen die Eintragungen im Verzeichnis der Brandschutz-Versicherungs-Anstalt,<br />
die auf Beschluss der Zuger Landsgemeinde 1813 eingeführt wird. Die<br />
Hammerschmiede am Lorzenufer in Cham trägt die Nummer 114 und fällt vor allem dadurch<br />
auf, dass sie ab 1820 von einer Hand in die andere geht: von Stutz und Bär 1821 an<br />
Stadtschreiber Bossard von Zug, nur ein halbes Jahr später wieder an Bär, der ihn an den<br />
auswärtigen Heinrich Häberli aus Knonau verpachten darf, da dieser als sein «Dienstbote»<br />
zu betrachten sei. Schliesslich kauft dessen Schwiegervater Aloys Bernauer von Gippingen<br />
bei Koblenz den «Hammer». Dies ist bloss deshalb möglich, weil Bernauer katholisch ist<br />
und sich verpflichtet, den Betrieb nie einem Reformierten zu vererben.<br />
Trügerische Idylle:<br />
Das Leben der Zuger<br />
Bauern – hier um 1838<br />
– war hart. Viele von<br />
ihnen waren hochverschuldet.<br />
Warum die Chamer Hammerschmiede von einem Konkurs in den andern schlittert, mag<br />
daran liegen, dass das Geschäft material- und damit kapitalintensiv ist. Die ganze Produktion<br />
inklusive die teuren Rohstoffe vom Eisen über das Kupfer bis zur Holzkohle, die es in<br />
<strong>gross</strong>en Mengen zum Betrieb braucht, muss auf lange Zeit vorfinanziert werden. Gerade<br />
die Bauern können in der Regel erst dann bezahlen, wenn sie ihre Ernte abgesetzt haben.<br />
Bei Missernten bleiben sie dem Unternehmen die geforderten Summen schuldig. Nicht<br />
selten deshalb, weil sie ohnehin schon bis unter den letzten Dachziegel verschuldet sind,<br />
was zu jener Zeit gang und gäbe ist: Mittel- und Unterschicht sind oft gleich mehrere<br />
Zinsraten im Rückstand, was auch ihre Gläubiger in Liquiditätsengpässe bringt und viele<br />
Bauern- und Gewerbebetriebe in den Ruin treibt.<br />
Das dürfte auch beim «Hammer» der Fall gewesen sein. Bis zu jenem Zeitpunkt, als Johann<br />
Jakob Vogel-Nötzli auftaucht und eine neue Ära einläutet. Der Zürcher Eisenhändler übernimmt<br />
den «Hammer» 1825 von Bernauer, der mit dem Betrieb ebenfalls hohe Verluste<br />
eingefahren hat – doch der Kauf geht nicht ohne Misstöne über die Bühne …<br />
48 49
emde Fötzel,<br />
Fremde Fötzel, falscher Glaube:<br />
alsche Gläubige:<br />
Abschottung als Teil<br />
der katholisch-konservativen Kultur<br />
Gutes Geld: Auf den<br />
Zuger Märkten wie<br />
dem Schweinemarkt<br />
Ausgerechnet dann, als die reformierten St. Galler im katholischen Stammland nach<br />
auf dem Postplatz<br />
einer Bewilligung für ihre Hammerschmitte nachsuchen, verschärfen sich die konfessionellen<br />
Gegensätze in der Eidgenossenschaft wieder. Zwar herrscht, etwa zwi<br />
bschottung<br />
1839 waren Auswärtige<br />
willkommen. Sie<br />
schen dem katholischen Zug und dem benachbarten reformierten Zürich, kein kalter<br />
Krieg. Im Gegenteil: Die Bevölkerung ist bemüht, gute Beziehungen zu pflegen.<br />
waren es auch, welche<br />
die Industrialisierung<br />
Schliesslich geht es auch ums Geschäft – die Zürcher kommen nach Zug auf den<br />
vorantrieben – zum<br />
Beispiel der Amerikaner<br />
George Page<br />
im Kanton niederlassen.<br />
Markt und bringen gutes Geld. Doch will man nicht, dass sich die «fremden Fötzel»<br />
bei der «Milchsüdi».<br />
Manchmal lässt sich das allerdings nicht verhindern, vor allem, wenn Fachkräfte<br />
gebraucht werden. Dann geht es um Schadensbegrenzung. So heisst es im Vertrag<br />
ls Teil der kathoisch-konservativen<br />
zwischen der Stadt Zug und Schlumpf & Zollikofer von St. Gallen denn auch, dass<br />
der Meister Hammerschmied und seine Familie katholisch sein müssen, dann dürften<br />
sein Gesinde und der Diener der St. Galler Unternehmer vor Ort reformiert sein.<br />
Natürlich unter der Auflage, dass sie ihren Glauben nicht öffentlich ausüben.<br />
Die Politik der konfessionellen Abschottung hält bis weit ins 19. Jahrhundert an, teilweise<br />
sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein. Es erstaunt nicht, dass bei der ersten eidgenössischen<br />
Volkszählung von 1850, zwei Jahre nach Gründung des Bundesstaats, in Cham 1300<br />
Katholiken und gerade mal 22 Protestanten leben! Das Häufchen Andersgläubiger verschanzt<br />
sich gewissermassen auf einer Insel: rund um den «Hammer» und die «Papieri».<br />
Es ist ein interessantes Phänomen, dass sich das konfessionelle und fremde Element<br />
wie ein roter Faden durch die ganze «Hammer»-Geschichte zieht oder sogar durch<br />
die ganze Industriegeschichte von Cham und des Kantons Zug. Immer wieder sind<br />
es Auswärtige, oft Nichtkatholiken, die ins Zugerland kommen, um die wirtschaftliche<br />
Entwicklung voranzutreiben: vom Zürcher Eisenhändler Johann Jacob Vogel,<br />
der den «Hammer» übernimmt, bis zu George Page, der die Anglo-Swiss Condensed<br />
Milk Company gründet, die 1905 mit Nestlé fusioniert.<br />
ultur<br />
Im «Hammer» selber zieht sich das «fremde Element» bis heute durch: Auf die<br />
Dynastie der reformierten Zürcher Vogel folgt jene der calvinistischen Naville. Mit<br />
dem gebürtigen Bündner Andrea von Planta endet zwar die Verbindung mit der<br />
«Papieri»-Geschichte, aber auch er ist ein Zugezogener. Diese «Tradition» setzt heute<br />
der jüngste Besitzer, der Aargauer Ariel Lüdi, fort …<br />
50 51
Der «Hammer» um 1900:<br />
Rund um die alte Hammer-<br />
Villa (ganz rechts) wurde<br />
ein <strong>gross</strong>er Park angelegt.<br />
Im Riegelbau in der Mitte<br />
war die eigentliche Schmitte<br />
untergebracht.<br />
52 53
«DIE VOGELS WAREN<br />
BESTIMMT<br />
NICHT WILLKOMMEN»<br />
Alt Staatsarchivar Peter Hoppe über falsch interpretierte Quellen,<br />
unerklärliche Entscheide und ungeliebte Unternehmer.<br />
Herr Hoppe, Sie bringen erstmals Ordnung in die Geschichte der Chamer Hammerschmitten.<br />
Woher kam eigentlich das Durcheinander?<br />
Weil man die Quellen falsch interpretierte. Oft glaubte man, eine Stelle beziehe sich auf<br />
eine Hammerschmitte, obwohl es sich nur um eine gewöhnliche Schmiede handelte, von<br />
denen es in Zug einige gab. Dann wurde der kleinere, ältere Stadtzuger «Hammer» mit<br />
dem ersten Chamer «Hammer» verwechselt, so dass die Existenz des letzteren lange verborgen<br />
blieb. Und schliesslich gab es auch noch eine Verwirrung zwischen dem zweiten<br />
und dem dritten «Hammer».<br />
Und warum glauben Sie, dass es drei und nicht bloss zwei «Hämmer» waren?<br />
Wenn man die Zuger Ratsprotokolle anschaut, sieht man im 18. Jahrhundert, dass der Kupfer<strong>hammer</strong><br />
(der dritte) und die Nagelschmitte (der zweite) unterschiedliche Objekte sein<br />
müssen. Denn es gibt Stellen, an denen die beiden in einen direkten Zusammenhang gestellt<br />
werden.<br />
Wir wissen, wo der erste «Hammer» war und wo der dritte ist. Wo war denn der zweite?<br />
Das kann ich nicht genau sagen. Mit Sicherheit war er unterhalb der ersten Gefällstufe der<br />
Lorze, also zwischen «Hammer» eins und drei.<br />
Egal, von welchem «Hammer» wir sprechen: Ein Thema taucht immer wieder auf –<br />
die Holzkohle. Weshalb eigentlich?<br />
Weil man <strong>gross</strong>e Mengen davon brauchte, um eine Schmiede zu betreiben. Es ging dabei<br />
weniger um den Preis als um einen möglichen Mangel: Es gab nicht genug, und dann hätte<br />
es Lieferprobleme mit anderen Handwerkern geben können, die auch Holzkohle brauchten.<br />
Ein Zuger Phänomen?<br />
Keineswegs! Wir finden das auch in Zürich. Wälder waren die Ressource schlechthin. Wenn<br />
nun also ein «protoindustrieller» Unternehmer mit einem <strong>gross</strong>en Bedarf an Holzkohle<br />
sich ansiedeln wollte, knüpfte man an die Konzession oft die Auflage, dass er die Holzkohle<br />
auswärts besorgen musste.<br />
Es gibt mehrere Gründe, weshalb reformierte St. Galler im fernen Cham eine Hammerschmitte<br />
aufbauten. Könnte es auch eine Frage des Know-hows gewesen sein?<br />
Das kommt für mich am wenigsten in Frage. Know-how kann man sich beschaffen. Die<br />
St. Galler hatten es ja auch nicht. Ausserdem war die Branche nicht so furchtbar komplex, dass<br />
es dazu den Entwicklungsprozess übers Know-how zum Unternehmer brauchte. Wichtig<br />
waren ökonomisches Denken und ein Schmiedmeister, der zum Rechten schaute.<br />
Der erste «Hammer» war <strong>gross</strong> dimensioniert. Beschäftigte er auch viele Arbeiter?<br />
Das ist schwierig zu sagen. Wir finden in den Quellen zum endgültigen Aus des «Hammers»<br />
sinngemäss die Meldung: «Die hauen einfach ab, obwohl sie viele Schulden gemacht haben.»<br />
Das bedeutet: Es war eine ganze Anzahl von Leuten, die sich auf und davon machte. Eine<br />
genaue Zahl möchte ich allerdings nicht nennen.<br />
Für die Zuger war es von enormer Bedeutung, dass die Stauhöhe nicht überschritten<br />
wurde, weil dadurch die Seeabsenkung in Frage gestellt worden wäre. Warum hat man<br />
die Konzession denn trotzdem für einen Platz vor der ersten Gefällstufe erteilt? Weiter<br />
unten hätte das keine Rolle mehr gespielt.<br />
Das frage ich mich auch. Es macht tatsächlich keinen Sinn. Nachvollziehbar ist hingegen<br />
der Beschluss der Zuger, Zollikofer wegzuschicken. Er hatte die Stauhöhe nämlich massiv<br />
überschritten, was <strong>gross</strong>e Auswirkungen hatte auf den Pegelstand des Sees.<br />
54 55
Der erste «Hammer» überlebte zwar nicht lange, aber er hätte eine Initialzündung für<br />
eine vorindustrielle Entwicklung sein können. Doch nichts passierte …<br />
Das ist tatsächlich erstaunlich: Was in dieser Richtung entstand, scheint alles zufällig und<br />
hat keine Dynamik. Offenbar war es den Zugern nicht wichtig. Zug war aber auch eine<br />
kleine Stadt. Als die «Papieri» kam, hatte man noch nicht mal eine Buchdruckerei!<br />
Es sind immer wieder Auswärtige, die für einen gewissen Drive sorgen. Allerdings selten<br />
zur Freude der Einheimischen.<br />
Das stimmt: Als die Vogels kamen, waren sie bestimmt nicht willkommen. Man konnte<br />
aber einfach nicht anders, als ihnen den «Hammer» zu überlassen. Der «Hammer» war<br />
also eine Insel. Aber je länger je mehr arbeiteten dort auch Einheimische. Dadurch wurden<br />
die Zuzüger Teil der Gemeinde.<br />
Der Historiker Peter Hoppe (geboren 1946) war mehr als dreissig Jahre Staatsarchivar<br />
des Kantons Zug. Unter seiner Leitung wurde das Archiv zum Dokumentationszentrum<br />
der Verwaltung und zur Kompetenzstelle für das Archivwesen im Kanton Zug.<br />
Seine Recherchen zu den beiden Seeabsenkungen brachten unlängst auch mehr<br />
Klarheit in Bezug auf die Chamer Hammerschmitten.<br />
Das «Chalet» um 1915:<br />
Es wurde in mehreren<br />
Etappen zum schmucken<br />
Riegelbau erweitert.<br />
Danach entstand daraus<br />
die neue Hammer-Villa<br />
im Stil eines barocken<br />
Schlösschens.<br />
56 57
VOM EINFACHEN GEWERBEBE-<br />
TRIEB ZUR REPRÄSENTATIVEN<br />
LIEGENSCHAFT: DIE ÄRA VOGEL<br />
Innerhalb von drei Generationen bringen<br />
die Zürcher Kaufleute und Roheisenhändler<br />
der Familie Vogel die einfache<br />
Hammerschmiede auf Touren, bauen<br />
die Liegenschaft zum repräsentativen<br />
Herrensitz aus, inklusive Park, französischem<br />
Garten, Vorzeigebauernhof und<br />
Pferdestallungen. Und sie setzen erfolgreich<br />
auf die kleine Papiermühle in<br />
der Nähe, die sie zur modernen Papierfabrik<br />
machen.<br />
59
Ein schlauer Trick: Wie Vogel zum «Hammer» kommt<br />
Der arme Heinrich Häberli, der für seinen Schwiegervater Aloys Bernauer den Chamer<br />
«Hammer» in den 1820er-Jahren betreibt, hat wenig Grund zur Freude. Immer mehr Schulden<br />
türmen sich auf, und er sucht verzweifelt nach einem Käufer. Den findet er im Zürcher<br />
Roheisenhändler Johann Jakob Vogel, mit dem er schon seit geraumer Zeit geschäftet.<br />
Bernauer, der auch bei Vogel tief in der Kreide steht, weil er von ihm <strong>gross</strong>e Eisenlieferungen<br />
erhalten hat, hofft, mit dem Verkauf des Betriebs die Schulden loszuwerden. Für den<br />
Händler andererseits geht es darum, den Verlust in Grenzen zu halten. Ausserdem liegt<br />
die Überlegung nahe, dass Vogel seine Eisenhandlung mit fertigen Produkten anreichern<br />
will. Dass Cham von Zürich aus vergleichsweise gut erschlossen ist, mag ein weiteres Argument<br />
für ihn sein.<br />
Doch Vogel hat ein Problem: Er ist Zürcher und reformiert – schlechtere Voraussetzungen,<br />
um im erzkatholischen Cham etwas kaufen zu können, gibt es nicht. Als Bernauer und<br />
Vogel im Herbst 1825 den Kaufvertrag vom Chamer Rat absegnen lassen wollen, stossen<br />
sie auf erbitterten Widerstand. Gegen einen Kauf durch Vogel spreche schon die Tatsache,<br />
dass «die römisch-katholische Religion die einzige unseres Kantons» sei, Reformierte hier<br />
also nichts zu suchen hätten. Ausserdem habe man von den Zürchern keine Garantie, dass<br />
sie die Zuger ebenso fair behandeln würden.<br />
Bernauer ist enttäuscht. Aber Vogel lässt sich so schnell nicht unterkriegen. Und er hat<br />
einen Plan: Er lässt Bernauer den «Hammer» noch einmal um den horrenden Betrag von<br />
5200 Gulden zu seinen Gunsten belasten. Danach zieht man den Betrieb in den Konkurs,<br />
und Vogel hätte – aufgrund des sogenannten Näherrechts – die Möglichkeit, sich als<br />
«Erbe» durchzusetzen. Das in Zug geltende Näherrecht begünstigt nämlich jenen, der am<br />
meisten Anrecht auf einen Besitz hat. Das sind in der Regel die Erben; im Fall des «Hammers»<br />
ist es aber eindeutig Vogel als weitaus grösster Gläubiger.<br />
Die Absicht Vogels bleibt nicht unbemerkt. «Fünf der angesehensten Männer» von Cham<br />
verlangen die Einberufung einer Gemeindeversammlung, in der man den Zürcher erneut<br />
in die Schranken weist. Da Vogel nicht locker lässt, geht die Angelegenheit von der Gemeinde-<br />
auf die Kantonsebene.<br />
Im Grossrat, dem damaligen Zuger Kantonsrat, erklären die Chamer darauf, mit Vogel käme<br />
nicht bloss eine reformierte Familie ins Land, er wolle sicher auch noch eine Maschine installieren,<br />
die ihnen noch mehr reformierte Arbeiter bescheren würde. Selbst der Pfarrer<br />
von Cham schaltet sich höchst besorgt ein, doch dem Grossrat gehen allmählich die Argumente<br />
aus: Immerhin ist der Kanton dem Konkordat der Eidgenossenschaft beigetreten, das<br />
Fremden in gewissen Fällen (wie Konkursen) gleiche Rechte zusichert wie Kantonsbürgern.<br />
In einem letzten verzweifelten Versuch verlangen die Zuger von der Zürcher Regierung<br />
ein «Gegenrechtszeugnis» als amtlich beglaubigte Garantie für eine Gleichbehandlung der<br />
eigenen Kantonsbürger in Zürich. Vogel, der beste Verbindungen zur Zürcher Obrigkeit hat,<br />
beschafft das Zeugnis innerhalb von nur vier Tagen, und der Grossrat muss in den sauren<br />
Apfel beissen. Am 16. Februar 1826 ist Johann Jakob Vogel offiziell Besitzer des «Hammers».<br />
Eine neue Ära beginnt: die Ära Vogel, deren direkte Nachfahren bis 1984 im «Hammer»<br />
residieren werden.<br />
Weit gereist und gut gebildet: die Familie Vogel<br />
Dem Zürcher Geschlecht der Vogels entstammen im 18. Jahrhundert eine Reihe erfolgreicher<br />
Handwerker – vom Nagelschmied, Küfer und Wagner bis zum Schlosser. Ein Zweig<br />
davon bringt es in der Zürcher Zunft zur Zimmerleuten und in der Stadt selber zu Ämtern<br />
und Ehren. Den Grundstein zum Erfolg dieses Zweigs, dem Johann Jakob Vogel, der neue<br />
Besitzer des Chamer «Hammers», angehört, legt dessen Vater Johann Jakob Vogel-Ulrich<br />
(1743–1825). Dieser heiratet Anna Elisabeth Ulrich, welche die angesehene Zürcher «Eisenhandlung<br />
zum Schwarzen Horn» in die Ehe bringt, was ihrem Mann – einem Handwerker<br />
und städtischen Beamten – nicht nur eine Menge Geld, sondern auch das höhere Ansehen<br />
eines Kaufmanns beschert.<br />
In der «Eisenhandlung zum Schwarzen Horn» wächst sein Sohn Johann Jakob auf, der das<br />
Geschäft später zusammen mit seinem Bruder leitet. 1806 heiratet ersterer Maria Ursula<br />
Nötzli, mit der er sieben Kinder hat. Johann Jakob junior ist überdurchschnittlich begabt und<br />
ambitioniert. Er kauft auch im Ausland ein und reist deswegen nach England und Belgien.<br />
Auch seine Söhne schickt er zur Ausbildung ins Ausland. Als er 1826 den «Hammer» kauft,<br />
sieht er bereits dessen Potenzial, das er konsequent ausnützt: Er macht aus dem konkursiten<br />
Betrieb ein blühendes Geschäft – und baut die Liegenschaft systematisch aus.<br />
Als Vogel mit seiner Familie in den Chamer «Hammer» zieht, besteht dieser aus einem<br />
Wohnhaus mit Schmitte (dem heutigen Mühlehaus), einem zweiten Wohnhaus und einem<br />
Kohlehaus mit Keller. Vier einfache Nebengebäude aus Holz ergänzen das unspektakuläre<br />
Ensemble an der Lorze. Die Gebäudeversicherung schätzt den Wert der Liegenschaften<br />
(ohne Boden) auf gut 13 000 Gulden, was damals dem Wert von drei bis vier Bauernhöfen<br />
entspricht. Vogel hat <strong>gross</strong>e Pläne und setzt diese auch schnell um: Er baut bereits ein gutes<br />
Jahr nach seinem Einzug ein elegantes Herrenhaus (die alte Hammer-Villa direkt an der Lorze)<br />
und legt einen hübschen Park mit einem Garten im französischen Stil an. Und er erweitert<br />
seinen Besitz kontinuierlich. Da ihm die Chamer Behörden dabei dauernd Steine in den Weg<br />
legen, lässt er seine Kaufverträge schon gar nicht mehr von der Gemeinde ausfertigen. Als<br />
er stirbt, sind sieben Verträge im Wert von über 13 000 Gulden nicht ratifiziert. Doch da die<br />
Fakten nun mal geschaffen sind, stimmt die Gemeinde Jahre später widerwillig zu.<br />
60 61
Johann Jakob Vogels Frau<br />
Anna brachte mit der Zürcher<br />
«Eisenhandlung zum Schwarzen<br />
Horn» Vermögen in die<br />
Ehe, das Vogel im «Hammer»<br />
investierte. Zürich – hier das<br />
Sonnenquai um 1845 – blieb<br />
zweiter Wohnsitz.<br />
62 63
Hand in<br />
Vogel leitet den «Hammer» selber, pendelt aber zwischen Zürich und Cham, da er auch<br />
die Eisenhandlung in der Stadt weiterführt. Dank seinen Beziehungen steigert er den Absatz<br />
seiner Ware markant und baut den Betrieb in Cham aus. Doch es ist nicht nur sein<br />
Netzwerk, das ihn erfolgreich produzieren lässt: Vogel nützt alle Möglichkeiten, die sich<br />
ihm eröffnen. Er kennt sich aus in seinem Fach, hat Visionen, ausreichend Kapital und ein<br />
geradezu industrielles Denken, wie es sich zu dieser Zeit innerhalb der wirtschaftlichen<br />
Elite in den reformierten Gebieten der Eidgenossenschaft allmählich entwickelt. Vogel ist<br />
seiner Zeit voraus – oder zumindest jener der Chamer, die sich immer noch wehren gegen<br />
die «fremden Fötzel», die an einer alten Ordnung rütteln, die auf Religion, Handwerk und<br />
Landwirtschaft beruht.<br />
Als Johann Jakob Vogel 1841 – vermutlich während eines Kuraufenthalts in der 1839 eröffneten<br />
Wasserheilanstalt Bad Albisbrunn – im nahen Hausen am Albis stirbt, umfasst der<br />
«Hammer» zehn renovierte Gebäude unterschiedlicher Art. Ein hübsches Erbe für seinen<br />
jüngeren Sohn Heinrich Ulrich, der das Unternehmen erfolgreich weiterführt und eine<br />
viel versprechende Akquisition tätigt …<br />
Hand: Der<br />
«Hammer»<br />
und die<br />
Hand in Hand:<br />
«Papieri»<br />
der «Hammer» und die «Papieri»<br />
Die Geschichte des «Hammers» ist ab 1861 eng verbunden mit jener der Papierfabrik.<br />
Und sie beschränkt sich keineswegs darauf, dass – nach einem ungeschriebenen Gesetz<br />
– jene Familie dort das Wohnrecht hat, die auch in der Fabrik federführend ist,<br />
was bis zum Verkauf der Liegenschaft an Margrit und Andrea von Planta so bleibt.<br />
Der «Hammer» widerspiegelt die Entwicklung der «Papieri» auch äusserlich: Er mausert<br />
sich im Gleichtakt von der bescheidenen Gewerbeliegenschaft zum repräsentativen<br />
Herrschaftssitz. Dass gleichzeitig derart viel Land und Liegenschaften rundherum<br />
dazukommen, dass man noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sagt, halb<br />
Cham gehöre der «Papieri», ist eine andere Geschichte.<br />
Bereits Johann Jakob Vogel baut 1827 neben der Hammerschmiede an der Lorze die<br />
erste Hammer-Villa. Allerdings nicht auf besonders gutem Grund: Der Bergdruck<br />
schiebt das Haus auf der Molasseplatte Richtung Wasser; da seine Substanz ohnehin<br />
nicht die allerbeste ist, wird es gut hundert Jahre später (1932) abgerissen.<br />
64 65
Hand in Hand:<br />
Der «Hammer» und<br />
die «Papieri»<br />
Doch es ist der Anfang einer baulichen Entwicklung, die bis heute anhält und mit<br />
dem Kauf der Papierfabrik so richtig Fahrt aufnimmt. Sie bildet die wachsende Bedeutung<br />
der «Papieri» und ihrer Besitzerfamilie eins zu eins ab. Die Liegenschaft<br />
verändert sich dauernd. Alte Gebäude werden abgerissen, neue gebaut. Die Villa<br />
wird schöner und grösser. Sie wächst organisch (wie die Fabrik) in vier Etappen,<br />
die bis heute sichtbar sind. Pferdestallungen kommen hinzu; doch Pferde sind nicht<br />
nur die Leidenschaft der Familie Vogel, sie haben auch Repräsentationszweck. Man<br />
fährt im Vierspänner durchs Dorf und erntet anerkennende Blicke. Auf dem Bock<br />
sitzt der Kutscher. Wer ein Vogel ist, lernt ausserdem reiten. Die stolzen Pferde stammen<br />
aus eigener Zucht. Um sie kümmert sich fachkundiges Personal, das auch im<br />
«Hammer» wohnt.<br />
Ein Englischer Garten umgibt das Gut, das keine Grenzen zu haben scheint. Auf dem<br />
Rasen vor dem Haus wird Tennis gespielt. Stilvolle Empfänge und – dies vor allem –<br />
unbeschwerte Familienfeste, an denen auch die Kinder dabei sind, geben dem Fabrikantenalltag<br />
die nötige Würze. Es geht aber nicht ums Protzen. Man weiss einfach, zu<br />
welcher Gesellschaftsschicht man gehört, und man pflegt den entsprechenden Umgang.<br />
Carl Vogel-von Meiss<br />
mit Kutscher Harsch<br />
um 1890 vor der<br />
alten Hammer-Villa<br />
(oben) und beim<br />
Fototermin auf der<br />
Lorzenterrasse<br />
(Zweiter von links),<br />
vermutlich anlässlich<br />
eines Fests der<br />
Familie von Meiss.<br />
Nur produziert wird im «Hammer» – nachdem er noch eine Zeit lang Holzschleiferei,<br />
Schreinerei und Wagnerei ist – kaum noch etwas. Allenfalls auf dem hauseigenen<br />
Hof, der nicht von einem Verwalter geleitet, sondern von einem eigentlichen<br />
Gutsherrn orchestriert wird. So jedenfalls, heisst es, habe sich dieser gefühlt. Produziert<br />
wird hingegen nebenan in der Papierfabrik, die wächst und wächst. Firmenwohnungen<br />
in ganz Cham, die im <strong>gross</strong>en Stil gebaut werden, sind ein Abbild der<br />
Personalentwicklung. Cham ohne die «Papieri»? Kaum vorstellbar. Aufgrund der ökonomischen<br />
Bedeutung der Papierfabrik fangen sich die Kulturen an zu mischen: Reformierte<br />
werden im Verlauf des 20. Jahrhunderts allmählich zu gleichberechtigten<br />
Gemeindemitgliedern. Die Grenzen der konfessionellen Enklave «Papieri-Hammer»<br />
werden durchlässig.<br />
Der «Hammer» behält seine zentrale Rolle auch dann, als die «Papieri» in eine Familien-AG<br />
umgewandelt wird: Hier finden die Generalversammlungen statt, die gleichzeitig<br />
Familientreffen sind. Nicht immer verlaufen diese ohne Misstöne; es geht<br />
schliesslich um viel Macht und Geld. Erst als die Firma zur Publikums-AG wird, geht<br />
die Geschichte des «Hammers» als Dreh- und Angelpunkt der Familien Vogel-Naville<br />
zu Ende. Und als die «Papieri» 1982 unter dem Druck der kreditgebenden Banken<br />
beginnen muss, ihre Reserven aufzulösen, um die hohen Verluste zu decken, ist es<br />
nur eine Frage der Zeit, bis auch der «Hammer» auf den Immobilienmarkt kommt.<br />
Robert Naville junior sieht dem Verkauf mit Verzweiflung entgegen – er lebt auch<br />
nach seiner Pensionierung hier. Und er liebt seinen «Hammer». Doch es ist nicht<br />
sein «Hammer»; er ist hier nur geduldet. Sein Ausscheiden aus der Firma fällt unglücklicherweise<br />
zusammen mit dem Verlust des einstigen Herzstücks der Familie:<br />
des «Hammers». Dass auch die Papierfabrik ins Trudeln gerät und heute – nach<br />
einer Phase der Konsolidierung und Fokussierung – ihre Produktion in Cham <strong>gross</strong>enteils<br />
eingestellt hat, mutet schicksalhaft an – und zeigt ein letztes Mal, wie eng<br />
die beiden Geschichten miteinander verbunden sind.<br />
66 67
Heinrich Ulrich Vogels genialer Streich: Papier statt Eisen<br />
Als Heinrich Ulrich Vogel 1841 in die Fussstapfen seines Vaters tritt, ist die Industrialisierung<br />
in England bereits weit fortgeschritten und nimmt in der Schweiz ihren Anfang. Immer mehr<br />
setzen sich industrielle Produktionsformen gegenüber den agrarischen durch: Maschinen<br />
machen, was bisher Menschen taten – sie produzieren Güter, und dies kostengünstiger<br />
und effizienter.<br />
Vogel, der in Paris und England ausgebildet wird, ist offen für Neues und angetan von den<br />
zukunftsweisenden Produktionsformen. Dass er zu einem der Zuger Industriepioniere wird,<br />
ist die logische Folge. Dass er sich mit seinen Ideen allein auf weiter Flur befindet, ebenso:<br />
Es wird noch lange dauern, bis Zug als einer der wichtigsten Schweizer Landwirtschaftskantone<br />
die Zeichen der Zeit erkennt, auch wenn die beiden Spinnereien in Unterägeri<br />
(ab 1834) und jene an der Lorze in Baar (1854) erste Zeichen der Industrialisierung darstellen.<br />
Aber noch lange werden es vor allem Auswärtige sein, welche diese vorantreiben.<br />
Heinrich Ulrich Carl Vogel kommt am 1. März 1822 in Zürich zur Welt. Zwar pendelt die<br />
Familie noch zwischen Zürich und Cham, Heinrich wächst aber auch im «Hammer» auf,<br />
den er liebt. Er fühlt sich wohl hier, denn Natur und Landwirtschaft interessieren ihn ebenso<br />
wie Mechanik und Industrie. Vogel heiratet geschickt: Carolina Saluzzi, die sich später<br />
auch gerne vornehm von Saluz nennt, ist die Tochter des Bergamasker Seidenindustriellen<br />
Otto Saluzzi. Ihre Ehe ist standesgemäss. Ihr Leben auch. Mit ihren sechs Kindern wird<br />
im eigenen Haus ebenso selbstverständlich Französisch wie Deutsch gesprochen. Vogels<br />
äusserer Ausdruck seiner elitären Stellung ist der schwarze Zylinder, ohne den er kaum je<br />
gesehen wird.<br />
Heinrich Ulrich Vogel lässt die Liegenschaft weiter ausbauen. Schmuckstück des «Hammers»<br />
ist der Französische Garten, der dem Grundstück, das etwas ungünstig zwischen Hang und<br />
Fluss liegt, Stil und Noblesse verleiht. Ausserdem legt er – selber ein leidenschaftlicher<br />
Jäger – auf der östlichen Seite der Lorze einen Hirschpark an: die sogenannten Anlagen.<br />
Hier flaniert man in scheinbarer Wildnis, und es scheint so, als ob die künstlerisch begabte<br />
Anna von Meiss, die Frau von Heinrichs Sohn Carl, sich hier gerne zum Malen inspirieren<br />
lässt. Unsignierte Bilder der «Anlagen» dürften ihrem Talent zugeschrieben werden.<br />
Festangestellte Gärtner kümmern sich um die weitläufige Garten- und Parkanlage.<br />
Er brachte die Papierfabrik<br />
in die Familie:<br />
Heinrich Ulrich Vogel<br />
(1822–1893) und seine<br />
Frau Carolina Saluzzi<br />
(1825–1902), beide um<br />
1900.<br />
Heinrich Ulrich Vogels Liebe zur Natur und sein Pioniergeist bilden auch die Grundlage für<br />
ein weiteres, leidenschaftlich verfolgtes Projekt Vogels: 1854 erstellt er an der neu ausgebauten<br />
Sinserstrasse einen Bauernhof mit Modellcharakter. Gehalten wird die gesamte Palette<br />
an Nutztieren. Obst- und Gemüsegärten bilden einen malerischen Rahmen, die Gerätschaften<br />
sind auf dem neusten Stand. Im Sommer geht’s auf die Alp: auf den Zugerberg!<br />
68 69
Lustwandeln in den Anlagen:<br />
Zum «Hammer» gehörte<br />
sogar ein Hirschpark. In dieser<br />
gepflegten Wildnis entspannten<br />
sich die Vogels – oder malten<br />
wie Anna Vogel-von Meiss (1858–<br />
1942), Carl Vogels Frau, von der<br />
vermutlich dieses Bild stammt.<br />
70 71
Vogels genialster Streich ist allerdings der Kauf der kleinen Papiermühle in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft zum «Hammer». Hier wurde aus «Hadern», also Stofffetzen und alten Lumpen,<br />
Papier hergestellt. Die «Papieri», wie die Fabrik im Volksmund noch heute genannt wird,<br />
war 1657 als einfache Papiermühle von Johann Kaspar Brandenberg und Beat Jakob Knopfli,<br />
zwei Exponenten des Zuger Militärunternehmertums, gegründet, aber nie geleitet worden.<br />
Das völlig runtergewirtschaftete Unternehmen steht 1861 – nach vielen Aufs und Abs – vor<br />
dem Konkurs. Und schon wieder ist es ein reformierter Auswärtiger, der hier zuschlägt.<br />
Vermutlich nicht zur Freude der Chamer, die wohl fürchten, dass Vogel erneut eine Menge<br />
Auswärtiger ins Land bringen würde.<br />
Viel wichtiger als sein Vieh ist ihm aber die Pferdezucht, die er auf seinem Landgut betreibt.<br />
Damit begründet er eine Tradition, die den «Hammer» bis heute prägt. Seine Liebe<br />
zu Pferden entdeckt er während seiner Lehr- und Wanderjahre in England, wo er an Pferderennen<br />
teilnimmt. Zurück in der Schweiz, zieht er im November 1847 als 25-jähriger Artillerieleutnant<br />
in den kurzen Sonderbundskrieg, den letzten Bürgerkrieg der Schweiz. Doch viel<br />
wichtiger als das Militärwesen sind ihm auch hier die Pferde.<br />
Vogel, der als Zürcher auf der Seite der liberalen Stände steht, kommt als «Sieger» aus dem<br />
Krieg zurück – in einen zutiefst gedemütigten katholisch-konservativen Kanton Zug. Das<br />
dürfte ihn bei den Chamern nicht unbedingt zum Freund gemacht haben … Sein Interesse<br />
gilt aber nicht der Politik, sondern der Pferdezucht: Zusammen mit dem Abt von Einsiedeln<br />
betreibt er eine <strong>gross</strong>e «Veredelung schweizerischer Pferderassen». Diese Allianz mit dem<br />
geistlichen Herrn machte der lokalen Bevölkerung hingegen sicherlich Eindruck.<br />
Vogels Know-how als Gutsherr ist so <strong>gross</strong>, dass er an der Weltausstellung von Paris 1855 als<br />
«Schweizerischer Kommissär für Landwirtschaft» auftritt. Dass er ausserdem Mitglied des<br />
ersten zugerischen Eisenbahnkomitees ist, erstaunt ebenso wenig wie sein Engagement im<br />
evangelisch-reformierten Kirchenrat des Kantons Zug (1865–86): Es gilt, den Weg zu ebnen<br />
für die Andersgläubigen, die mit der «Industrie» ins Land kommen. Ausserdem scheint es<br />
ein weiterer Versuch zu sein, die Distanz zwischen Unternehmer und Volk zu verkleinern.<br />
Heinrich Ulrich Vogel<br />
begründete um<br />
1850 die Pferdezucht.<br />
Natürlich gehörte<br />
auch ein Kutscher<br />
zum Personal.<br />
Warum er sich zum Kauf entschliesst, ist unklar. Mag sein, dass es einfach die schiere Nähe<br />
zum eigenen Landgut mit der immer noch produzierenden Hammerschmiede ist. Oder ist<br />
es sein grundsätzliches Interesse an der Industrie? Hat er Kapital, das investiert sein will?<br />
Oder einfach Lust auf etwas Neues? Bestimmt sieht Heinrich Ulrich Vogel das Potenzial:<br />
Während der Absatz von Schmiedewaren begrenzt ist, eröffnet sich mit der Papierfabrik ein<br />
völlig neuer, stark wachsender Markt. Immer mehr Buchdruckereien decken einen immer<br />
grösseren Bedarf an Lesestoff, der sich nicht mehr auf die Bibel beschränkt, sondern auch<br />
zunehmend Produkte des Alltags wie Zeitungen umfasst. Die Alphabetisierung der ganzen<br />
Eidgenossenschaft ist im Gang. Zudem benötigt die stark wachsende Industrie Papier und<br />
Papierprodukte für Etiketten, Werbung und als Verpackungsmaterial.<br />
Vogel ist ein guter Unternehmer. Die «Papieri» wächst unter seiner Leitung massiv und<br />
wird innert kürzester Zeit von der handwerklichen Mühle zum industrialisierten Betrieb.<br />
Bereits 1873/74 lässt er für seine Angestellten auf dem Firmenareal Reihenhäuser bauen. So<br />
entsteht eine Art konfessionelle Insel in Cham, denn viele seiner Arbeiter sind reformiert.<br />
1881 schliesst er mit dem deutschen Chemiker Alexander Mitscherlich für teures Geld einen<br />
Lizenzvertrag ab, dank dem die «Papieri» ab 1882 als erster Betrieb in der Schweiz im Sulfitverfahren<br />
– einem chemisch-industriellen Prozess – Cellulose aus Holz herstellen kann.<br />
Vogel möchte das Verfahren in der Schweiz nur zu gerne monopolisieren, was ihm – für<br />
einmal – aber nicht gelingt. Als er 1893 stirbt, hat sein Sohn Carl längst die Nachfolge angetreten;<br />
bereits 1884 übernimmt dieser die unternehmerische Verantwortung und wohnt<br />
ab da mit seiner Familie auch im «Hammer», den er weiter ausbaut – zum noblen Landgut.<br />
Den Betrieb der Hammerschmiede hat sein Vater zu diesem Zeitpunkt eingestellt. Kurz<br />
nach dem Kauf der Papierfabrik wird es ruhiger an der Lorze. Die Hämmer geben hier nicht<br />
mehr den Takt an. Aber der Name bleibt: «Hammer».<br />
72 73
Im Sommer gings in die Höhe:<br />
Emy Naville besucht um 1918<br />
zusammen mit ihren Kindern<br />
Hortense, Raoul und Robert<br />
und dem Kindermädchen ihre<br />
Alp auf dem Zugerberg; sie<br />
war Teil des Hammerguts.<br />
74 75
dealisierte<br />
aturlandschaft:<br />
in Garten nach englichem<br />
Vorbild<br />
Idealisierte Naturlandschaft:<br />
ein Garten nach englischem Vorbild<br />
Anders als der französische Barockgarten, der die Natur in strenge geometrische<br />
Formen zwingt und sich durch exakt angelegte, blühende Blumenbeete auszeichnet,<br />
versucht sich der klassische Englische Garten mehr nach dem zu richten, was die<br />
Natur an sich bereits an Ausblicken zu bieten hat. In Englischen Gärten, die ab dem<br />
18. Jahrhundert angelegt werden, findet man das Prinzip einer natürlichen Ideallandschaft:<br />
Sie sind abwechslungsreich gestaltet, überraschen mit ihren Perspektiven<br />
und wollen eigentlich begehbare Landschaftsgemälde sein. Doch die vermeintliche<br />
Natürlichkeit täuscht: Der Englische Garten ist ein Kunstwerk, das aufwendiger<br />
Pflege bedarf.<br />
Schon die Vogels gestalten ihre Umgebung vergleichsweise im <strong>gross</strong>en Stil, aber<br />
noch nicht einheitlich als Englischen Garten. Auf der östlichen Lorzenseite schafft<br />
Johann Jakob Vogel mit den «Anlagen» einen imposanten natürlichen Park, in dem<br />
er auch ein Hirschgehege anlegt. Vom «Hammer» aus geniesst man den Blick in<br />
die gepflegte «Wildnis», wo man zwischen verwunschenen alten Bäumen spazieren<br />
und sich zurückziehen kann.<br />
Oberst Richard Vogel<br />
(1870–1950) legte den<br />
Hammer-Park nach<br />
englischem Vorbild<br />
an; bis heute wurde<br />
wenig daran verändert.<br />
Vogel gestaltete<br />
auch die Gartenanlage<br />
seiner «Solitude».<br />
Auf der anderen Seite ist es eine Art französischer Garten, der von einer Gärtnerschar<br />
gehegt und gepflegt wird. Der Aufbau des Musterbauernhofs an der Sinserstrasse,<br />
der bestens ins Gesamtbild passt und dessen Hauptgebäude sich gestalterisch<br />
an den Fachwerkbau der alten Hammer-Villa anlehnt, spiegelt schliesslich das<br />
offensichtliche Bedürfnis, die Landschaft im ganz <strong>gross</strong>en Stil zu gestalten.<br />
Als die alte Villa Hammer gegen Ende der 1920er-Jahre baufällig wird und die<br />
«Papieri» aus dem bereits dreifach vergrösserten und umgebauten Gästehaus, dem<br />
sogenannten Chalet, in unmittelbarer Nähe so etwas wie ihr architektonisches<br />
Pendant im Stil eines welschen Landhauses bauen lässt, erfährt auch der Garten<br />
eine Umgestaltung. Es ist Carls Bruder Richard (1870–1950), der sich darum kümmert.<br />
Richard, der als Junggeselle selber lange im «Hammer» wohnt, ist als Oberst Berufsmilitär<br />
und im Verwaltungsrat der Papierfabrik, hat aber – wie auch sein Bruder<br />
Max, der Architekt ist – eine kreative Ader. So gestaltet er beispielsweise auch den<br />
Garten der Villa Solitude am See.<br />
«Riggel», wie ihn seine Familie nennt, perfektioniert den Englischen Garten des<br />
«Hammers»: Er räumt mit allen französischen Elementen auf, deckt Bächlein zu,<br />
um Weite zu gewinnen. Sein Ziel ist es, Blickachsen zu konstruieren, die aus dem<br />
«Loch» hinausführen und für freie Sicht und Weite sorgen. Für mehr Grosszügigkeit<br />
sorgt er auch ums Haus: Er planiert die Umgebung, die vorher ansteigt, und macht<br />
damit möglich, dass man von allen Wohnräumen der Villa einen direkten Zugang<br />
ins Grüne hat.<br />
Als Andrea von Planta, selber ein Liebhaber Englischer Gärten, den «Hammer» 1984<br />
übernimmt, ist es ihm ein <strong>gross</strong>es Anliegen, den «Vogelschen Park», beziehungsweise<br />
das, was von ihm übrig geblieben ist, auf gar keinen Fall zu verpfuschen. Denn von<br />
Planta kauft nur einen Teil der riesigen Liegenschaft Hammer, wie sie die Vogels und<br />
Navilles kannten; im Laufe der Zeit ist ein Grossteil davon zur Landwirtschaftszone<br />
geworden. Und so meint er lächelnd: Mit 18 000 Quadratmetern habe er zwar eher<br />
eine «Bonsai-Version» eines Englischen Gartens, «aber eine sehr gefreute». Seine<br />
Eingriffe sind deshalb im Vergleich zu jenen im Haus minimal. Aber er restauriert<br />
und ergänzt Brunnenanlagen, leitet den Seidelbach oberhalb der Vorfahrt über eine<br />
Dreierkaskade, ersetzt Bäume und installiert Weg- und Gartenbeleuchtungen.<br />
76<br />
77
Die Weltausstellung in Paris<br />
1855 orientierte sich an der<br />
englischen Grand Exhibition<br />
von 1851 und sollte diese gar übertreffen.<br />
Fünf Millionen Besucher<br />
pilgerten in die französische<br />
Metropole. Monumental war<br />
unter anderem der Industriepalast<br />
an der Champs-Elysées.<br />
78 79
Ein Leben für die «Papieri»: Carl Vogel-von Meiss<br />
Carl Vogel hat nicht nur das Glück, in die richtige Familie hineingeboren zu werden. Er<br />
bringt auch das passende Rüstzeug mit. Sein Vater, der selber überdurchschnittlich gut<br />
gebildet ist, schickt ihn – nach der Grundausbildung in Zürich und der strengen Internatsschule<br />
Schnepfenthal in Thüringen – ans 1855 gegründete Eidgenössische Polytechnikum<br />
nach Zürich (die heutige ETH). Dort studiert er Chemie, was ihm als künftigem Papierfabrikanten<br />
zugute kommen soll. Praktisches Fachwissen holt er sich später bei der Oberösterreicher<br />
«Steyrermühl Papier- und Verlagsgesellschaft». Mit 34 Jahren ist er bereit, das<br />
Werk des Vaters zu übernehmen.<br />
Seine Heirat mit Anna von Meiss, der Tochter des Zürcher Kaufmanns und belgischen<br />
Handelskonsuls Hans von Meiss von Wülflingen und Anna von Muralt, ist einmal mehr<br />
standesgemäss. Das Zürcher Adelsgeschlecht von Meiss verheiratet sich nicht mit irgendwem<br />
– ein Zeichen dafür, dass die Familie Vogel zur damaligen besseren Gesellschaft zählt.<br />
Die beiden haben vier Töchter und einen Sohn, der aber sehr früh bei einem Reitunfall<br />
ums Leben kommt – mit einschneidenden Folgen für die ganze Familiengeschichte …<br />
Die Familie lebt im Sommer im «Hammer», den Winter verbringt sie in ihrem Stadtsitz<br />
am Hirschengraben in Zürich. Das Hin und Her ist aufwendig, aber Anna ist eine Frau mit<br />
Organisationstalent.<br />
Carl Vogel (1850–1911)<br />
erweiterte die Papierfabrik<br />
und gestaltete zusammen<br />
mit seiner<br />
Frau Anna von Meiss<br />
(1858–1942) den «Hammer»<br />
zur repräsentativen<br />
Liegenschaft um.<br />
Die Papierfabrik, die jetzt «Papierfabrik Cham, C. Vogel» heisst, baut Vogel sukzessive aus,<br />
das Landgut entwickelt er weiter zum Musterhof. Ausserdem beginnt er mit dem Ausbau<br />
eines Ökonomiegebäudes, das schliesslich in vier Etappen zur heutigen Hammer-Villa<br />
werden sollte. Fast zwanzig Jahre sitzt er für den Freisinn im Zuger Kantonsrat, was seine<br />
liberale Gesinnung unterstreicht. Sein bürgerliches Engagement beweist er, indem er 1888<br />
nach einem verheerenden Brand die kläglichen Reste der Spinnerei und Weberei Hagendorn<br />
aufkauft und den Kindern, die dort in der Kinderarbeitsanstalt auf schlimmste Art und<br />
Weise ausgebeutet wurden, ein neues Zuhause schenkt: Er funktioniert die Kinderanstalt<br />
zum Waisenhaus um – und legt damit den Grundstein für das heutige Heilpädagogische<br />
Zentrum Hagendorn. Schwester Regula Wildhaber zieht mit 13 Kindern ein – sie und ihre<br />
Schützlinge sind im «Hammer» gern gesehene Gäste, was das ehrliche Engagement der<br />
Vogels unterstreicht.<br />
80 81
s werde<br />
icht:<br />
Es werde Licht:<br />
Das Mühlehaus wird<br />
zum Kraftwerk<br />
Carl Vogel ist von Natur aus Unternehmer, sein Denken das eines Industriellen. Er<br />
setzt auf Menschen und Maschinen. Und auf die Energie, die es zum Betrieb dieser<br />
Maschinen braucht. Bei seiner Schmiede treibt die Lorze ein unterschlächtiges Wasserrad<br />
an, das die Hämmer hebt und niedersausen lässt. So lässt sich Energie gewinnen.<br />
Aber nicht transportieren.<br />
as Mühleaus<br />
wird<br />
um Kraftwerk<br />
Viele Jahre, nachdem sein Vater Heinrich Ulrich Vogel den Schmiedebetrieb eingestellt<br />
hat, kauft Carl Vogel 1894 eine damals sehr moderne Dynamomaschine, die er<br />
ans alte Wasserrad anschliesst und im «Hammer» Strom produziert. Es ist das erste<br />
Kraftwerk weit und breit und sorgt für elektrisches Licht in der nahen Villa und<br />
in der «Papieri» lorzeaufwärts. «29 elektrische Flammen» werden dort mit Energie<br />
versorgt und machen die russigen Petroleumlampen in der Fabrik überflüssig. Vogel,<br />
der genau weiss, wie wichtig Strom für seine Fabrik auch in Zukunft sein wird, kauft<br />
schon seit geraumer Zeit ein Kleinkraftwerk nach dem anderen hinzu – bereits 1885<br />
beispielsweise die Untermühle, wo sich 1898 im neuen Kraftwerk die erste Turbine<br />
dreht, 1888 das Kraftwerk Hagendorn.<br />
1905 wird aufgerüstet: Der «Hammer» erhält eine neuzeitliche Francis-Turbine mit<br />
höherem Wirkungsgrad. Eine zweite elektrische Kraftzentrale für die «Papieri» wird<br />
eingerichtet. Sie produziert nicht nur Energie für die Papierfabrik, sondern auch für<br />
den Eigenbedarf der Bewohner des «Hammers». Auch der Elektro-Peugeot von Robert<br />
Naville-Vogel wird während des Zweiten Weltkriegs nachts in der Garage neben dem<br />
Kraftwerk mit hausgemachtem Strom aufgeladen. Beim Umbau der «Kraftzentrale<br />
Hammer» 1956 wird die erste Turbine durch eine neue Kaplan-Turbine ersetzt.<br />
Diese Turbine ist auch noch im Einsatz, als Andrea von Planta 1984 den «Hammer»<br />
kauft. Sie deckt allerdings nur noch einen verschwindend kleinen Teil des Strombedarfs<br />
der Papierfabrik. Dafür produziert sie ein konstantes Drehgeräusch, wodurch<br />
sich die Mieter im Mühlehaus gestört fühlen. Man findet einen Kompromiss darin,<br />
dass die «Papieri» die Turbine gegen eine Gebühr von 500 Franken abschaltet, wenn<br />
die Bewohner mal ihre Ruhe haben oder Gäste empfangen wollen.<br />
Seit über 300 Jahren<br />
liefert die Lorze die<br />
Energie im «Hammer»,<br />
heute treibt sie eine<br />
Turbine im kleinen<br />
Gebäude zwischen<br />
Mühlehaus (links)<br />
und «Magazin» an.<br />
Doch dann ist sowieso Schluss. Als die hydraulische Steuerung der Laufradschaufeln<br />
ein Leck hat, stellt sich die Frage, ob die Kaplan-Turbine revidiert oder ersetzt<br />
werden soll. Andrea von Planta entscheidet sich für den Ersatz, da er vermutet, dass<br />
in der Maschine noch weitere Schäden schlummern. Allerdings wartet er wohlweislich<br />
mit der Investition, bevor nicht alle Details mit den zuständigen Ämtern geklärt<br />
sind. Dies betrifft unter anderem die KEV, die kostendeckende Einspeisevergütung,<br />
und vor allem die baulichen Massnahmen zur Gewährung der freien Fischwanderung<br />
lorzeauf- und abwärts, die mit enorm hohen Kosten verbunden wären.<br />
So steht der Generator vorerst still, und die Wärmepumpe der zentralen geothermischen<br />
Heizung wird mit «Papieri-Strom» betrieben. Noch bevor alle Abklärungen getroffen<br />
sind, findet der «Hammer» endlich einen Käufer. Ariel Lüdi ist es schliesslich,<br />
der sich 2014 dazu entscheidet, das kleine Kraftwerk an der Lorze wieder in Betrieb<br />
zu nehmen (siehe Seite 272).<br />
82 83
Schwester Regula Wildhaber<br />
(links) und ihre Kinder: Carl Vogel<br />
kaufte 1888 die abgebrannte<br />
Spinnerei Hagendorn und machte<br />
aus der Kinderarbeitsanstalt<br />
ein Heim für Waisenkinder.<br />
Die Menzinger Schwestern und<br />
ihre Schützlinge waren gern<br />
gesehene Gäste im «Hammer».<br />
84 85
Natürliches Wachstum: die Bauetappen im «Hammer»<br />
Ansonsten meidet Carl Vogel die Öffentlichkeit und redet nicht gerne. Dass auch er die<br />
Pferde liebt, liegt in der Familie. Der «Hammer» ist seine Insel, die «Papieri» offensichtlich<br />
sein Leben. Welche Bedeutung die Fabrik für den Ort hat, zeigt sich daran, dass die Gemeinde<br />
Cham ihn 1906, fünf Jahre vor seinem Tod, zum Ehrenbürger macht, trotz seines<br />
reformierten Glaubens und trotz der nicht immer einfachen Vorgeschichte mit den Vogels.<br />
1898 übernimmt seine Frau Anna von Meiss die «Villette». Sie kann den zauberhaften,<br />
1865/66 errichteten herrschaftlichen Sitz direkt am See von ihrem Onkel, dem Zürcher Bankier<br />
und Eisenbahnbaron Heinrich Schulthess von Meiss, zu einem Familienpreis kaufen,<br />
da seine Frau Bertha ihre Patin ist und die beiden keine Kinder haben. Das «Villettchen»,<br />
wie Schulthess seine Villa zärtlich nennt, wird quasi zur «Dépendance» des «Hammers».<br />
Doch Anna möchte aus dem Sommersitz eine Ganzjahresresidenz machen und baut ihn<br />
1903/04 aufwendig um. 1912 zieht sie definitiv in die «Villette», wo sie bis zu ihrem Tod 1942<br />
bleibt. Den «Hammer» überlässt sie ihrer Tochter Emy und Schwiegersohn Robert Naville,<br />
der die Leitung der Papierfabrik übernimmt.<br />
Wir sind dann mal<br />
weg … Die Vogels im<br />
Urlaub in Blankenberge<br />
an der belgischen<br />
Nordseeküste<br />
(um 1900).<br />
1690 Der Zuger Dr. Müller erhält die Konzession für Bau und Betrieb einer Hammerschmiede an der Lorze.<br />
1825 Johann Jakob Vogel kauft den «Hammer» von Aloys Bernauer; zur Anlage gehören das heutige Mühlehaus,<br />
ein weiteres Wohnhaus, ein Kohlenhaus mit Keller und ein paar einfache Nebengebäude aus Holz.<br />
1827 Bau des «alten Hammers», der ehemaligen Villa, direkt an der Lorze.<br />
1834 Auf der dem Mühlehaus gegenüberliegenden Kanalseite wird das «Fabrikgebäude» (das heutige<br />
Turbinenhaus) gebaut.<br />
1841 Beim Tod Johann Jakob Vogels umfasst der «Hammer» zehn renovierte Gebäude.<br />
1854 Heinrich Ulrich Vogel-Saluzzi lässt das Hammergut oberhalb der heutigen Villa Hammer bauen –<br />
vermutlich als Ersatz für den kleinen, traditionellen Bauernhof, der zum «Chalet» umgebaut wird.<br />
1861 Nach dem Kauf der Papiermühle stellt Heinrich Vogel den Schmiedebetrieb ein; der «Hammer» wird<br />
zur Holzschleiferei, Schlosserei und Wagnerei, ab 1892 zum Kraftwerk für die «Papieri».<br />
–1870 Heinrich Ulrich Vogel fängt am heutigen Standort der Hammer-Villa damit an, ein kleines «Chalet»<br />
(Gartenhaus) umzubauen, möglicherweise als Gästehaus.<br />
– 1870 Das «Chalet» erhält einen zweigeschossigen Anbau: einen Kopfbau mit Sägeornamenten im Giebel.<br />
1873/74 Pferdeliebhaber Heinrich Ulrich Vogel baut die Stallungen als stilreines Gebäude des 19. Jahrhunderts<br />
im Schweizer Chaletstil.<br />
1915 Der Kopfbau der späteren Villa wird um eine Fensterachse im selben Stil verbreitert; gegen Norden<br />
entsteht ein Treppenhausvorbau. Das Haus ähnelt jetzt den «nordamerikanischen Landhäusern»,<br />
wie sie die Gebrüder Page der Chamer «Milchsüdi» bauten.<br />
1929/30 Wilhelm Hauser baut das Haus im Auftrag der Papierfabrik für Emy und Robert Naville im Stil eines<br />
barocken französischen Landschlösschens um.<br />
1931 Das Mühlehaus als ältestes Gebäude der Anlage brennt ab und wird neu errichtet; 1991 wird es komplett<br />
ausgekernt und praktisch neu aufgebaut.<br />
1932 Die baufällige alte Hammer-Villa wird abgerissen.<br />
1984 Andrea und Margrit von Planta kaufen den «Hammer» und bauen Villa, Mühlehaus, Waschhäuschen<br />
und Pferdestall während sieben Jahren um. Neu entstehen ein Gartenhäuschen und ein Schwimmbad<br />
mit Vortragssaal im Stil einer Orangerie aus dem 18. Jahrhundert.<br />
2013 Ariel Lüdi erwirbt den «Hammer» und beginnt mit dem Umbau. Er fängt mit dem Waschhäuschen<br />
an, das ihm vorübergehend als Wohnung dient; die Kegelbahn wird zum «Mehrzweckraum».<br />
2014 Die Pferdestallungen werden modernisiert. Schafstall und Autounterstand werden zu fünf zusätzlichen<br />
Pferdeboxen umgebaut, die Umgebung wird neu gestaltet und um einen Reitplatz ergänzt.<br />
2016 Nach dreijähriger Umbauzeit ist die Hammer-Villa Ende Jahr bezugsbereit. Aussen praktisch unverändert,<br />
ist sie innen nicht wiederzuerkennen: Grosszügigkeit, Komfort und eine geglückte Kombination<br />
von historischen und modernen Elementen prägen den Charakter.<br />
86 87
1866 liess Eisenbahnbaron<br />
Heinrich Schulthess-von Meiss<br />
vom bekannten Zürcher Villen-<br />
Architekten Leonhard Zeugheer<br />
die «Villette» am See bauen<br />
(im Bild 1872). 1904 wandelte<br />
Anna Vogel-von Meiss das<br />
«Sommerhaus» zur Ganzjahresresidenz<br />
um.<br />
88 89
DER «HAMMER» WIRD FIRMEN-<br />
BESITZ: DIE ÄRA NAVILLE<br />
Nach dem Tod Carl Vogels 1911 treten<br />
zwei seiner Schwiegersöhne die Nachfolge<br />
an: Leo Bodmer amtet als Verwaltungsratspräsident,<br />
Robert Naville<br />
übernimmt als Delegierter die operative<br />
Leitung der Papierfabrik. Mit dem Einverständnis<br />
von Vogels Witwe Anna<br />
wandeln sie das Unternehmen 1912<br />
in eine Familien-AG um. Dort wird der<br />
ganze Besitz eingebracht. Auch der<br />
«Hammer».<br />
91
Ein Lächeln für den Fotografen:<br />
Die Vogel-Kinder 1891 auf<br />
der Lorzenterrasse der alten<br />
Hammer-Villa (von links): Ellen,<br />
Emy, Olga, Alice und Alex.<br />
In Weiss: eine kleine Besucherin.<br />
92 93
Teilen statt erben: die Nachfolgeregelung der «Papieri»-Erbin<br />
Es ist ein herber Schicksalsschlag: Alexander, der einzige Sohn von Anna und Carl Vogel,<br />
stirbt 1905 gerade mal 25-jährig bei einem Reitunfall. Er ist Kavallerieoffizier und zur Nachfolge<br />
in der Papierfabrik vorgesehen. Auch sein Vater stirbt überraschend: Erst 61-jährig, erleidet<br />
er einen Schlaganfall, der ihn linksseitig lähmt. Er kann nicht mehr alleine ausser Haus<br />
gehen und zieht sich in die Zürcher Familienresidenz zurück, die Villa zum Lindengarten.<br />
Es ist das Haus seiner Frau Anna, die es – wie die «Villette» – von ihrer Patentante Bertha<br />
und ihrem Onkel Heinrich Schulthess zu einem symbolischen Betrag übernehmen konnte.<br />
Um die Kontinuität in der Firma zu sichern und künftig keine Erbstreitigkeiten zu provozieren,<br />
wird der ganze Besitz – Papierfabrik und Liegenschaften – 1912 in eine Familien-AG<br />
eingebracht. Erst so wird das Erbe dereinst unter Annas Töchtern Emy, Alice, Olga und<br />
Ellen (so ihre Rufnamen) vernünftig teilbar: Jede von ihnen erhält 25 Prozent der Aktien.<br />
Jeder der vier «Stämme» bekommt ausserdem das Recht auf eine Vertretung im Verwaltungsrat,<br />
um das Schicksal des Unternehmens – und damit natürlich auch ihres Erbes –<br />
mitbestimmen zu können.<br />
Auch der «Hammer» wird Bestandteil des Firmenbesitzes. Wer dort leben darf, wird zwar<br />
nicht vertraglich geregelt, aber man einigt sich darauf, dass jenes Familienmitglied hier<br />
Wohnrecht hat, das in Cham zuhause und in der Papierfabrik tätig ist. Dies ist der Grund,<br />
weshalb im «Hammer» sämtliche Generalversammlungen der neu geschaffenen Papierfabrik<br />
Cham AG stattfinden. Als das Erbe beim Tod von Anna Vogel 1942 geteilt wird, erhält<br />
Tochter Emy und mit ihr die Familie Naville das Wohnrecht im «Hammer». Dieses «Recht»<br />
gilt so lange, bis die Familien-AG geöffnet wird.<br />
Zwar kommt der Tod Carl Vogels überraschend und für alle zu früh, ein Führungsvakuum<br />
hinterlässt er in der «Papieri» deswegen aber nicht. Die operative Leitung der Fabrik hat<br />
seit 1905 Direktor Hermann Guggenbühl. Ausserdem haben Carl Vogel und seine Frau<br />
Anna die Nachfolgeregelung – vermutlich auch aufgrund des frühen Todes von Sohn<br />
Alexander – sorgfältig geplant.<br />
Tragisches Schicksal:<br />
Alexander Vogel verunglückte<br />
1905 bei einem<br />
militärischen Reitwettbewerb<br />
tödlich.<br />
94 95
In die Fussstapfen Carl Vogels soll einerseits Schwiegersohn Robert Naville treten, der mit<br />
seiner Frau Emy 1911 in Darmstadt lebt, wo auch ihre Tochter Hortense zur Welt kommt. An<br />
der Technischen Universität von Darmstadt, das als europäisches Zentrum der Papierfabrikation<br />
gilt, lässt er sich zu jener Zeit zum Papieringenieur weiterbilden.<br />
Naville, der aus vornehmem Hause stammt, ist eine perfekte Partie. Nicht nur, dass er als<br />
Ingenieur über das richtige Fachwissen verfügt. Die Familie Naville ist vermögend, eine<br />
Tatsache, die nicht unwesentlich ist. Denn die Töchter von Carl Vogel verfügen zwar über<br />
Vermögenswerte, aber nicht unbedingt über viel Geld. Und so gesellt sich mit den Navilles<br />
auch in dieser Hinsicht ein durchaus willkommener neuer Zweig hinzu. Roberts Vater<br />
Gustave Naville ist Teilhaber der renommierten Maschinenbaufirma Escher, Wyss & Co., in<br />
der er vor allem den Turbinenbau für Flusskraftwerke und den Dampfschiffbau vorantreibt.<br />
Zudem ist er Verwaltungsrat bei der Schweizerischen Kreditanstalt und gilt als Pionier<br />
der Aluminiumindustrie: Gemeinsam mit Georg Robert Neher (Eisenhüttenwerk Laufen<br />
am Rheinfall), dem Industriellen Peter Emil Huber-Werdmüller (Maschinenfabrik Oerlikon)<br />
und dem Chemiker Paul Louis Toussaint Héroult gründet er 1888 die erste Aluminiumfabrik<br />
Europas, die «Aluminium Industrie Aktiengesellschaft», die später zur Alusuisse wird.<br />
Glückliche Mutter<br />
– stolzer Vater: Emy<br />
Naville und Ehemann<br />
Robert mit den gemeinsamen<br />
Kindern<br />
Hortense, Robert und<br />
Raoul um 1917.<br />
96 97
auernhof mit<br />
odellcharakter:<br />
as Hammergut<br />
Bauernhof mit<br />
Modellcharakter:<br />
das Hammergut<br />
Noch bevor der Hammerschmied und Roheisenhändler Heinrich Ulrich Vogel-Saluzzi<br />
1861 die Papierfabrik übernimmt, beweist er sich bereits als vielseitiger Unternehmer.<br />
1854 legt er die an seine Liegenschaft angrenzenden kleinen Bauernhöfe zusammen<br />
und baut einen Musterbauernhof von Format: das Hammergut. Dazu lässt er einen<br />
repräsentativen Riegelbau mit Wohnhaus und Stall erstellen, wo er auch seine edlen<br />
Pferde züchtet. Im Gegensatz zu den sonst organisch gewachsenen Höfen der Umgebung,<br />
die aus einer eher wild zusammengewürfelten Anordnung von Gebäuden bestehen,<br />
wird das Hammergut planmässig angelegt. Der dominierende Fachwerkbau<br />
des eindrücklichen Wohnhauses erinnert an die alte Hammer-Villa. Zum ursprünglichen<br />
Hof gehören eine Scheune, ein Wagen- sowie ein Kohleschopf. Im Laufe der<br />
Jahrzehnte wird das Ensemble stark erweitert.<br />
Die Führung des Hofs übernimmt ein gut ausgebildeter Verwalter, der auch in Zukunft<br />
immer mehr Gutsherr als Bauer sein wird; seine Stellung innerhalb der «Hammersippe»<br />
ist denn auch nicht die eines Bediensteten, sondern eher die eines nahezu<br />
gleichberechtigten Partners.<br />
Als die Papierfabrik 1912 in eine Familien-AG umgewandelt wird, kommt auch das<br />
Hammergut ins Firmenportfolio. Aus der «Papieri» wird damit auch eine Viehzüchterin<br />
und Produzentin von Milchprodukten. Sowohl in der Viehzucht als auch im<br />
Ackerbau gilt der Hof als pionierhaft. Seine schiere Grösse macht ihn zum bedeutendsten<br />
weit und breit. Die Maschinen gehören immer zu den neusten, und auch<br />
die Bauern der Umgebung profitieren: Sie leihen sich nicht nur die modernen Gerätschaften<br />
aus; in Notzeiten verschafft ihnen der Gutsverwalter schon mal einen<br />
Hilfsjob in der Papierfabrik.<br />
Auch wenn auf dem<br />
Hammergut von<br />
Anfang an nach<br />
modernsten Erkenntnissen<br />
gearbeitet<br />
wurde, war der<br />
Ertrag gering. In<br />
der Mitte: Verwaltertochter<br />
Ursula Frey<br />
um 1950.<br />
Mit der Gründung der Industrieholding Cham 1973 kommt das Hammergut ins Portfolio<br />
der neu gegründeten Immobilienfirma, die als Reminiszenz an die Geschichte<br />
der «Papieri» Hammer AG getauft wird. Diese hat durchaus Ambitionen, was den<br />
Betrieb des Hofes anbelangt. Sie baut einen Maststall für nahezu 500 Rinder und<br />
industrialisiert die Landwirtschaft. Die Tierhaltung unter dem ausserordentlich<br />
tüchtigen neuen Verwalterpaar Ruedi und Anna Inderwildi-Ryser (1972 bis 2001) ist<br />
beispielhaft – und beginnt richtig zu rentieren. Dank seines Mastbetriebs schreibt<br />
das Hammergut erstmals seit Langem wieder schwarze Zahlen.<br />
Auch die Navilles haben Freude an ihrem Bauernhof. Er ist – geografisch wie sozial<br />
– so etwas wie das Bindeglied zwischen der gehobenen Gesellschaft im «Hammer»<br />
und dem einfachen Volk von Cham. Für die Kinder ist er vor allem ein Tummelplatz.<br />
Wenn Robert Navilles Enkel Hanspeter und Michael Funk im «Hammer» zu Gast<br />
sind, findet man sie oft auf dem Bauernhof. Mit der Tochter Ursula von Verwalter<br />
Werner Frey, der das Gut von 1941 bis 1976 leitet, verbindet sie eine freundschaftliche<br />
Beziehung. «Vater Frey war für uns der <strong>gross</strong>e Manitu des Betriebs», erinnert<br />
sich Michael Funk.<br />
Zehn Jahre nachdem der Gutsbetrieb eingestellt wurde, entsteht auf dem Hammergut<br />
eine <strong>gross</strong>e Überbauung, die zwar einen Teil der historischen Bausubstanz integriert.<br />
Doch geht mit ihr die lange Zeit der Landwirtschaft im «Hammer» zu Ende.<br />
98<br />
99
Ebenso klar ist zu jenem Zeitpunkt, dass Schwiegersohn Nummer zwei, der junge Maschineningenieur<br />
Leo Bodmer, eine leitende Funktion in der Firma übernehmen wird. Bodmer, der<br />
mit Alice Vogel verheiratet ist, macht gerade Karriere bei Brown Boveri in Baden, wo er es<br />
bis zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrats bringen wird.<br />
Früher als geplant übernehmen der erst 28-jährige Robert Naville und sein 32-jähriger<br />
Schwager Leo Bodmer die Leitung der «Papieri», die sie bis zu Bodmers Ausscheiden 1959<br />
gemeinsam innehaben werden: Naville ist offiziell zuständig für Fabrikation und Verkauf,<br />
Bodmer für Bauten und Maschinen. In Tat und Wahrheit amtet Leo Bodmer aber von Anfang<br />
an als Präsident des Verwaltungsrats und ist nicht sehr oft in Cham anzutreffen. Naville<br />
ist sein Delegierter, was dem heutigen CEO entspricht. Diese beiden Strategen prägen die<br />
Geschichte der Papierfabrik Cham während über vierzig Jahren – was nicht nur für ihre<br />
hohe Wirtschaftskompetenz spricht, sondern auch für die geschickte Nachfolgeplanung<br />
von Carl und Anna Vogel.<br />
Nachdem Anna Vogel 1912 in ihre «Villette» am See gezogen ist (das Haus ist damals nicht<br />
Bestandteil der «Papieri»-Immobilien), ziehen Emy und Robert Naville im «Hammer» ein.<br />
Sie sind es, die Ende der 1920er-Jahre den Grundstein legen zum neuen «Hammer».<br />
Bestimmte zusammen<br />
mit Robert Naville den<br />
Kurs der «Papieri»: Verwaltungsratspräsident<br />
Leo Bodmer (links),<br />
im September 1937 im<br />
«Hammer» mit Schwiegersohn<br />
Willy Baur.<br />
100 101
Aus drei wird eins: der neue «Hammer»<br />
Unter Naville und Bodmer blüht die «Papieri» auf. Neue, auf Papier basierende Produkte<br />
werden lanciert. Dazu gründen die beiden die Firmen Pavag (Papiersäcke), Pavatex<br />
(Dämmplatten) und Aerofiber (Vorläufer des Kunststoffs, z.B. für Koffer) und akquirieren<br />
Tochterfirmen in Deutschland (Papierfabrik Gemmrigheim) und Frankreich (Papeteries de<br />
Bretagne in Rennes).<br />
Parallel zum positiven Wachstum der Firma entwickelt sich auch der «Hammer»: Das sogenannte<br />
«Chalet», das bereits eine Reihe baulicher Veränderungen erfahren hat, aber nie als<br />
Wohnhaus diente, wird 1929/30 im Auftrag der Papierfabrik relativ aufwendig zum Landschlösschen<br />
im französischen Stil ausgebaut. Das kommt nicht von ungefähr: Die Navilles<br />
haben als vornehmes Genfer Geschlecht eine starke Affinität zur französischen Kultur, was<br />
sich auch darin äussert, dass sie zuhause französisch sprechen. Und sie lieben es gediegen.<br />
Dass die neue Hammer-Villa im Grunde genommen aber nicht viel anderes ist als eine<br />
Kopie der alten, weist auf die Verbundenheit mit ihrer Geschichte hin sowie auf den Einfluss<br />
der «Vogel-Frauen», die am Stil des alten «Hammers» hängen.<br />
Dass die Navilles aus dem eher einfachen «Chalet» ein veritables kleines Schloss machen,<br />
liegt allerdings kaum daran, dass man in einem Wettbewerb zur Chamer Oberschicht<br />
steht – etwa zur amerikanischen Familie Page, die in Cham erfolgreich ihr Kondensmilchgeschäft<br />
aufgezogen und die Milchwirtschaft industrialisiert hat. Es ist ganz einfach standesgemäss.<br />
So lebt auch die Witwe von George Page, Adelheid Page-Schwerzmann, nicht<br />
irgendwo, sondern im Schloss St. Andreas, das sie 1903 über einen Strohmann erwerben<br />
kann: Noch zu dieser Zeit haben es Nicht-Chamer offensichtlich schwer, in der Gemeinde<br />
etwas zu kaufen, vor allem etwas so Einzigartiges wie das schicke Schloss am See …<br />
Zwar präsentiert sich das Landschlösschen im «Hammer» von aussen als architektonische<br />
Einheit. Da es aber drei unterschiedliche Gebäude unter einem Dach vereint, weisen die<br />
Böden nicht überall dasselbe Niveau auf, und die verwendeten Materialien – etwa bei den<br />
Aussenmauern – sind unterschiedlich. Ein Teil wird mit baulichen Massnahmen mehr vertuscht<br />
als ausgeglichen, ein Teil bleibt bestehen – vorderhand. Ohnehin geht es mehr darum,<br />
gegen aussen zu repräsentieren, als innen zu protzen, auch wenn das Interieur des<br />
neuen «Hammers» durchaus stilvoll ist – was der Hausherrin Emy Naville entspricht: Sie ist<br />
eine elegante Frau mit einem ausgesprochen guten Geschmack. Der zeigt sich auch in ihrer<br />
Garderobe: Emy Naville trägt derart selbstverständlich Haute Couture, dass man es kaum<br />
wahrnimmt. Sie übertreibt dabei nie, denn es geht ihr nicht ums Auffallen. Es ist ihre Art.<br />
Und noch ein Anbau:<br />
Das «Chalet» wurde<br />
1915 ein letztes Mal<br />
erweitert, bevor<br />
es 1930 im «neuen<br />
Hammer» seine definitive<br />
Gestalt erhielt.<br />
102 103
Genauso präsentiert sich auch ihr Haus: Kunstvoll verlegte Parkettböden (auch aus dem<br />
alten «Hammer») zieren die Räume, teilweise bedeckt von wertvollen Teppichen. Die Wände<br />
schmücken teure Tapeten; einen Blickfang par excellence bildet die mit Jagdmotiven<br />
bedruckte Rixheimer Tapete im ersten Stock, den man über eine elegant geschwungene,<br />
ausladende Holztreppe erreicht. Von den Stuckdecken hängen Kristallleuchter, Kachelöfen<br />
unterschiedlicher Herkunft oder mit Marmor verkleidete offene Cheminées verbreiten im<br />
Winter wohlige Wärme. Die Räume sind liebevoll eingerichtet, nicht spärlich, aber doch<br />
nur so, dass Luft zum Atmen und das Gefühl von Grosszügigkeit bleibt. Das Mobiliar ist<br />
klassisch, manches mag als echte Antiquität durchgehen, das meiste hat einfach Stil. Im<br />
Gartenzimmer, dessen breite Fensterfront ins Grüne geht, gibt man Empfänge, und hier<br />
treffen sich die Familienaktionäre zur Generalversammlung der «Papieri». Obwohl jeder<br />
Raum optisch eine Welt für sich ist, bildet der «Hammer» doch eine Einheit: Er versprüht<br />
den diskreten Charme der Bourgeoisie …<br />
Leben im «Hammer»:<br />
Edouard Naville (links)<br />
im Gespräch mit<br />
Oberst Richard Vogel,<br />
der unverheiratet blieb<br />
und lange Zeit selber<br />
im «Hammer» wohnte<br />
– links sein Zimmer.<br />
Anders als sein Schwiegervater ist Robert Naville allerdings nicht mehr Eigentümer des<br />
«Hammers»; die Liegenschaft gehört mittlerweile zum Immobilienportfolio der Familien-<br />
AG, an der seine Frau Emy – und nicht er! – einen Viertel hält. Zum Zeitpunkt des Umbaus<br />
sind die Aktien allerdings noch im alleinigen Besitz ihrer Mutter Anna, die erst 1942 stirbt.<br />
104 105
Robert Naville führte<br />
die «Papieri» ein halbes<br />
Jahrhundert. Es heisst,<br />
seine Frau Emy, die<br />
das «Unternehmen<br />
Hammer» schmiss,<br />
habe aber oft im<br />
Hintergrund die Fäden<br />
gezogen.<br />
Emy und nicht ihr Mann Robert ist es denn auch, die in Absprache mit Mutter und Schwestern<br />
den Umbau an die Hand nimmt und leitet. Sie ist es, die das «KMU Hammer» mit seinen<br />
Angestellten und Beauftragten leitet, die mit Architekten und Handwerkern verhandelt<br />
und Entscheide trifft. «Die Geschichte des Hammers», ist Navilles Enkel Michael Funk<br />
überzeugt, «ist eine Geschichte der Frauen – im Gegensatz zur Papierfabrik, die von den<br />
Männern geprägt wird.»<br />
So ganz ohne Einfluss sind die Frauen allerdings auch nicht, wenn es ums Geschäft geht:<br />
«Meine Grossmutter verstand zwar nicht viel von der Papierfabrikation», sagt Jacqueline<br />
Naville, «aber sie hatte ein ausgeprägtes industrielles Gespür – und wirbelte im Hintergrund:<br />
Sie hat die Fäden gezogen.» Ihrer Enkelin erzählt sie oft, dass sie ihren Mann, Robert<br />
Naville, wieder habe bremsen oder in eine bestimmte Richtung beeinflussen müssen.<br />
Stundenlang diskutieren die beiden über die Fabrik, und Robert nimmt die Meinung seiner<br />
Frau ernst. Kein Wunder: Sie gehört ihr ja zu einem Viertel.<br />
Ihre Grossmutter Emy sei es denn auch gewesen, glaubt Jacqueline Naville, die ihren Sohn<br />
Raoul als Generaldirektor der Fabrik durchgesetzt – und wenige Jahre später schweren<br />
Herzens wieder abgesetzt habe. «Raoul war ihr Liebling, aber das hinderte sie nicht daran,<br />
gegen ihn zu argumentieren, als klar wurde, dass er mit der Aufgabe überfordert war.»<br />
Es läuft viel im Hintergrund, wo Fäden gezogen und kleine Intrigen geschmiedet werden,<br />
denn Geschäft und Privates vermischen sich dauernd bei «Hammer» und «Papieri». Aber<br />
grundsätzlich verstehen sich die Vogel-Erbinnen gut. Dass die baufällige alte Hammer-Villa<br />
1932 abgerissen wird, sorgt zwar für einigen Zwist innerhalb der Familie: Emys Schwestern<br />
und ihre Mutter ärgern sich offenbar über den Entscheid – wohl eher aus emotionalen<br />
Gründen, denn aus finanziellen Überlegungen (die Familien-AG trägt natürlich auch die<br />
Kosten für den Abbruch). Doch glätten sich die Wogen bald wieder, so dass auch der neue<br />
«Hammer» bald zum Dreh- und Angelpunkt der Familientreffen werden kann.<br />
Während Emy Naville das «KMU Hammer» mit straffer Hand leitet, führt Robert Naville<br />
die Fabrik umsichtig und erfolgreich. Er ist ein guter Unternehmer. Und auch ein guter<br />
Patron. Seine Arbeiter schätzen ihn, da er mit anpacken kann. Als im Zweiten Weltkrieg<br />
Not am Mann ist, arbeitet er am Sonntag höchstpersönlich in der Werkstatt. Und er sucht<br />
106 107
immer wieder den Austausch mit seinen Leuten: Oft übernimmt er es selber, die Löhne<br />
– damals noch in bar auf die Hand – auszuzahlen. Dazu ruft er seine Angestellten in sein<br />
Büro und benützt die Gelegenheit für einen Schwatz. Das dauert manchmal so lange, dass<br />
sich die Lohnauszahlungen über ein, zwei Wochen hinziehen, was für den einen oder anderen<br />
zum Problem wird.<br />
Seine Nähe zum einfachen Arbeiter verschafft ihm Respekt, sie täuscht aber nicht darüber<br />
hinweg, dass Robert Naville keiner von ihnen ist. Seine Macht und sein Einfluss selbst auf<br />
die Entwicklung der Gemeinde sind derart unübersehbar, dass er – nicht ohne Anerkennung<br />
– «König von Cham» genannt wird. Mehr als dies liebt er die Bezeichnung «Papieri-<br />
Vater», die er durchaus zu Recht trägt. Als er 1912 in die Firma einsteigt, beschäftigt diese<br />
gerade mal 150 Mitarbeitende und produziert auf zwei Maschinen 4000 Tonnen Papier.<br />
Bei seinem Rücktritt 1964 wird auf fünf Maschinen mehr als das Zehnfache hergestellt.<br />
Und eine ganze Reihe weiterer Geschäftsbereiche und Firmen sind hinzugekommen.<br />
In der Gemeinde engagiert er sich vor allem im Schulwesen, 27 Jahre sitzt er im Kantonsparlament,<br />
2 Jahre lang ist er Nationalrat. Dem Protestanten-Verband Cham-Hünenberg<br />
schenkt die Papierfabrik 1912 ein Grundstück zum Bau einer Kirche, Naville präsidiert die<br />
Kommission für den Bau des ersten protestantischen Gotteshauses im Raum Ennetsee.<br />
Als dieses drei Jahre später eingeweiht wird, haben die Navilles ihrer Familie auch optisch<br />
ein Denkmal gesetzt: Auf einem der Glasgemälde – einem Geschenk seiner Frau Emy an<br />
die Gläubigen – ist Jesus mit drei Kindern zu sehen: Es sind Abbilder von Hortense, Raoul<br />
und Robert E. Naville …<br />
Während Robert und Emy Naville in der Öffentlichkeit die Nähe zum einfachen Volk pflegen,<br />
ist der «Hammer» ganz und gar das Reich der Oberschichtfamilie Naville: Hier verkehren<br />
nicht Kreti und Pleti, sondern die Mitglieder der besseren Gesellschaft. Das wird sich auch<br />
unter ihrem Sohn Robert E. Naville nicht ändern. So freundlich der Umgang mit den Angestellten<br />
und der Bevölkerung von Cham auch ist – die standesgemässe Distanz wird<br />
jederzeit gewahrt. Auf beiden Seiten.<br />
Malerische Idylle:<br />
Der «Hammer»<br />
um 1900 aus der<br />
Sicht von Carl Vogel,<br />
der sich hier als<br />
Aquarellist versuchte.<br />
108 109
«Chez les Roberts»: Die Navilles<br />
feiern 1955 Silvester im<br />
«Hammer». Vorne, von links:<br />
Angèle Seeburger, Jacqueline<br />
Naville, Reiner Seeburger,<br />
Sabine und Ellen Seeburger,<br />
Hortense Funk und Robert<br />
Naville. Hinten: Robert E. Naville<br />
und Michael Funk.<br />
110 111
Innerhalb der eigenen Familie bleiben Spannungen allerdings nicht aus. Robert liebt seine<br />
Tochter Hortense; mit seinen Söhnen tut er sich oft schwer. Dass Robert junior aufgrund<br />
seiner anders liegenden Begabungen nie als Nachfolger in Frage kommt, ist für den erfolgverwöhnten<br />
Vater eine Enttäuschung. Immerhin ermöglicht er ihm aber den Aufstieg bis in<br />
die zweite, dritte Reihe – eine Karriere, die er ohne «Familienbonus» schwerlich gemacht<br />
hätte, auch wenn er geschäftliche Erfolge durchaus verbuchen kann: Robert E. Naville ist<br />
es, der den Grundstein legt für Aerofiber – das neuartige Material ist seine Erfindung, die<br />
Fabrik blüht unter seiner Leitung auf, und schliesslich gehört sie ihm sogar. Ausserdem leitet<br />
er die Tochterfirma Pavatex clever; mit seinen Pavag-Säcken fordert er den legendären<br />
Ochsner-Kübel heraus und bringt auch die Idee auf, Abfallsäcke aus Plastik zu produzieren.<br />
Trotzdem hat Robert junior in Bezug auf seine «Papieri»-Karriere keine <strong>gross</strong>en Ambitionen,<br />
und er lebt gut damit. Seine Frau nicht. Was Vater und Sohn hingegen verbindet, ist ihre<br />
Leidenschaft für die Niederwildjagd; hier finden und schätzen sich die beiden.<br />
Ganz anders der um ein Jahr ältere Raoul. Körperlich seinem jüngeren Bruder weit unterlegen<br />
und auch gesundheitlich immer wieder angeschlagen (er leidet in der Jugend unter<br />
starkem Asthma), hat er durchaus das Zeug dazu, in der «Papieri» Karriere zu machen. Mit<br />
seiner Ausbildung zum Papieringenieur schlägt er auch den richtigen Weg ein. Doch seine<br />
Ehe mit der Jüdin Marga Wertheimer, die unter anderem Sekretärin von Rainer Maria Rilke<br />
war, führt vorübergehend zum Bruch mit dem Vater. Naville ist kein Antisemit. Aber er<br />
stösst sich daran, dass Marga Wertheimer zehn Jahre älter ist als sein Sohn. Und sie ist ihm<br />
entschieden zu forsch. «Woher nimmt sie sich das Recht, meinen Sohn so herumzukommandieren?»,<br />
scheint er sich dauernd zu fragen.<br />
Raoul bleibt deshalb vorerst im «Exil» im deutschen Gemmrigheim, wo er die Papierfabrik,<br />
eine Tochterfirma, leitet. Er ist eine gewinnende Persönlichkeit und der Liebling aller. Nur<br />
als Vorgesetzter geniesst er nicht den nötigen Respekt, was auch seinem Neffen Michael<br />
Funk auffällt, der ein Jahr lang unter Raoul Naville in Deutschland arbeitet.<br />
Emy Naville stiftete<br />
der Reformierten<br />
Kirche von Cham<br />
ein Fenster – und<br />
verewigte ihre Kinder<br />
Raoul, Hortense<br />
und Robert darauf<br />
(von links).<br />
Schon während dieser Zeit nähern sich die Parteien aber wieder an und verbringen sogar<br />
Sommerferien im <strong>gross</strong>en Familienkreis an der italienischen Riviera. Als sich Raoul von<br />
Marga Wertheimer scheiden lässt, entspannt sich nicht nur das Verhältnis zu seinen Eltern.<br />
Er frönt auch wieder öfter seiner wahren Leidenschaft: dem Malen. Mit seiner zweiten Frau<br />
lebt er diesbezüglich auf, reist oft in die Provence und malt Hunderte von Landschaftsbildern.<br />
Menschen kommen darin nie vor – vielleicht deshalb, weil er von ihnen enttäuscht<br />
wurde und an ihrer Integrität zweifelt. «All diese Intrigen!», klagt er immer wieder bei<br />
seiner Nichte Jacqueline, die während ihrer Schulzeit in Cham jahrelang am Mittwoch bei<br />
ihm zu Mittag essen darf. «Es ist ein wahres Wespennest!»<br />
112 113
Es ist die Zeit, als Raoul voller Hoffnung und Ambitionen nach Cham zurückkehrt, um das<br />
Erbe seines Vaters als Generaldirektor anzutreten. Am 1. April 1961 übernimmt er, vor allem<br />
dank des geschickten Taktierens seiner Mutter, die Leitung der Papierfabrik Cham, die er<br />
drei Jahre innehat. Sein Vater nimmt den Entscheid des Verwaltungsrats zähneknirschend<br />
an. «Raoul hat mich von meinem Sessel verdrängt», wird er später seiner Enkelin Jacqueline<br />
Naville sagen. Doch es ist wohl eher seine Unzufriedenheit nach dem definitiven Ausscheiden<br />
aus der «Papieri», die sich hier äussert, denn Robert Naville wird keineswegs verdrängt – es<br />
ist ganz einfach Zeit zu gehen.<br />
Aber Raoul agiert in der «Papieri» glücklos, auch wenn er sich vornimmt, es «zehnmal besser<br />
zu machen» als sein Vater, wie er der jungen Jacqueline immer wieder versichert. Schliesslich<br />
wird er von einem Tag auf den anderen abgesetzt, «im gegenseitigen Einverständnis»,<br />
heisst es. Doch das ist nicht der Fall. Raoul, der sich als brillanter Kopf mit genialen<br />
Ideen erweist, zeigt so viele Führungsschwächen, dass der Verwaltungsrat sich nach langem<br />
Ringen entscheidet, ihn in die Wüste zu schicken.<br />
Federführend bei diesem Entscheid ist – neben seiner Mutter Emy, die im Versteckten<br />
wirkt – Gian Carlo Enrico Vogel, der als Vertreter des «fünften Stammes» der Familien-AG<br />
im Verwaltungsrat der «Papieri» sitzt. Bis 1950 stellen die Familien der vier Vogel-Erbinnen<br />
Emy, Alice, Olga und Ellen – jede hat 25 Prozent der Aktien – die Mitglieder des Verwaltungsrats.<br />
Weil man zu jener Zeit aber auf eine Finanzspritze angewiesen ist (so die Vermutung<br />
von Michael Funk, der selber als möglicher Nachfolger gehandelt wird), nimmt<br />
man einen besonders begüterten Zweig der entfernten Verwandtschaft mit ins Boot: die<br />
Nachkommen von Carl Vogels Bruder Robert. Durchaus wahrscheinlich ist aber auch, dass<br />
man die «Naville’sche Vorherrschaft» in der «Papieri» ein wenig zurückbinden will. Dieser<br />
Meinung ist jedenfalls Funks Cousine Jacqueline Naville, die sagt: «Man hat Gianni Vogel<br />
geholt, um meinen Grossvater zu entmachten.» Jedenfalls verfügt ab 1950 jeder «Stamm»<br />
über 20 Prozent der Aktien – und das Recht, eine Vertretung im Verwaltungsrat zu stellen.<br />
Gian Vogel (1922–2007) ist der Enkel von Robert Vogel. Und er sorgt für frischen Wind bei<br />
der Papierfabrik Cham: als Erstes mit der Entlassung von Raoul Naville, zu dessen Nachfolger<br />
er wird. Er ist es aber auch, der sie schliesslich öffnen und mit einem geradezu<br />
genialen Coup an die Börse bringen wird. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass er selber<br />
ein «Phantast» ist wie Raoul – und die «Papieri» tief in die roten Zahlen führt. Als er 1978<br />
als Delegierter des Verwaltungsrats abgesetzt wird, besteht seine Bilanz aus 50 Millionen<br />
Franken Schulden.<br />
«Ein wahres Wespennest»:<br />
Gianni Vogel<br />
(links) sorgte dafür,<br />
dass Raoul Naville vom<br />
Verwaltungsrat der<br />
«Papieri» als Direktor<br />
abgesetzt wurde.<br />
Es kann gut sein, dass der gescheiterte Versuch, Raoul doch noch zum erfolgreichen CEO<br />
der «Papieri» zu machen, mit ein Grund dafür ist, dass Robert Naville sich im Alter schwer<br />
damit tut, loszulassen: Er klammert sich an die Firma, bis ihn seine Tochter auf Druck des<br />
Verwaltungsrats, dem sie selber als einzige Frau angehört, mit sanfter Gewalt zur Vernunft<br />
bringt: «Jetzt gehen wir und räumen dein Büro», sagt sie. Und genau das tun die beiden auch.<br />
Die enge Beziehung, die Robert Naville zu seiner Tochter hat, kommt nicht von ungefähr.<br />
Nach dem frühen Tod ihres Mannes verbringt sie mit den beiden Kindern Hanspeter und<br />
Michael viel Zeit im elterlichen «Hammer», der für die junge Familie zum zweiten Zuhause<br />
wird. Vor allem aus der Sicht der Buben ist der «Hammer» ein Paradies. Von Spannungen<br />
innerhalb der Familie bekommen sie nichts mit. Sie leben in ihrer kleinen, heilen Welt – die<br />
auf sie allerdings riesen<strong>gross</strong> wirkt: Der «Hammer» ist ein einziger Abenteuerspielplatz,<br />
gehegt und gepflegt von einer ganzen Schar Angestellter, zu denen die Kinder einen herzlichen<br />
Draht haben. Für sie gibt es kein Oben und Unten, für sie zählt nur das Erlebnis (siehe<br />
«Ferien im Hammer», Seite 120).<br />
114 115
Kind und Kegel: Der «Hammer»<br />
war immer ein Ort der Begegnung.<br />
Während der «Ära Vogel»<br />
und der «Ära Naville» traf sich<br />
hier vor allem die Verwandtschaft<br />
– wie bei diesem Familientreffen<br />
um 1920. Die von<br />
Plantas öffneten den «Hammer»<br />
später auch für andere Anlässe.<br />
116 117
Das Leben im «Hammer» ist herrschaftlich. Drei festangestellte Gärtner pflegen die aufwendige<br />
Umgebung, ein Chauffeur sorgt für die nötige Mobilität mit Stil; dessen technisches<br />
Geschick macht ihn zum Mann für alle Fälle, seine freundliche, aber bestimmte Art<br />
zum Ersatzvater für Enkel Michael Funk und seinen Bruder Hanspeter. Diese Personal kosten<br />
übernimmt die Papierfabrik. Aus der eigenen Tasche bezahlt Robert Naville eine festangestellte<br />
Köchin und zwei, ebenfalls zu hundert Prozent für ihn tätige «Mädchen für alles».<br />
Einmal im Monat kommen Frauen, die sich um die reichlich anfallende Wäsche kümmern.<br />
Viel Personal zwar, aber noch ist der Haushalt wenig automatisiert – weder Waschmaschinen<br />
noch Staubsauger gehören zum Inventar. Emy Naville hat alle Hände voll zu tun, die Arbeiten<br />
zu koordinieren. Aber sie tut es routiniert und mit Leidenschaft.<br />
Zu Beginn der 1950er-Jahre versuchen Emy und Robert Naville, den «Hammer» zu kaufen.<br />
Doch sie finden, vor allem zum Leidwesen von Emy, keine Mehrheit bei den Familienaktionärinnen<br />
– und ziehen deshalb in die Villa Solitude am See, die ihnen bereits gehört.<br />
Das 18 000 Quadratmeter <strong>gross</strong>e Grundstück Täubmatt (oder Taubenmatt), auf dem das<br />
herrschaftliche Haus bis heute steht, hatte Emys Grossvater Heinrich Ulrich Vogel-Saluzzi<br />
bereits 1870 gekauft. Doch erst dessen Sohn, Oberst Richard Vogel, machte es «bewohnbar».<br />
Nachdem der leidenschaftliche Gartenplaner und Antiquitätensammler bereits die Parkanlage<br />
des «Hammers» gestaltet hatte, verwirklichte er sich hier seinen Traum von der<br />
Altersresidenz und baute 1934/35 die Villa Solitude. Als Vorbild diente ihm das Schlösschen<br />
Ursellen bei Konolfingen. Nach seinem Tod 1950 wohnen hier Emy und Robert Naville<br />
senior, deren Tochter Hortense und schliesslich die Familie ihres Sohns Michael, der noch<br />
heute im Besitz der «Solitude» ist.<br />
So packen im Sommer 1953 Emy und Robert Naville also ihre Koffer und Kisten im<br />
«Hammer», um Platz zu machen für ihren Sohn, der hier mit seiner Familie einziehen wird.<br />
Treues Personal:<br />
«Facility Managerin»<br />
Hulda Egli, Köchin<br />
Johanna Liechti,<br />
Haushalthilfe Annette<br />
Ribeaux (die Frau des<br />
Gärtners) und Rosy<br />
Denzler, die bei<br />
Hortense Funk in<br />
118<br />
Baden arbeitete.<br />
119
erien im<br />
Hammer»<br />
Michael Funk:<br />
Ferien im «Hammer»<br />
Das Eheglück von Hortense Funk-Naville steht unter einem schlechten Stern. Ihr<br />
Mann Hans Funk ist erst 47 Jahre alt, als er 1941 erkrankt und wenig später stirbt.<br />
Hortense selber ist 31, ihr Sohn Hanspeter 2. Der zweite Sohn, Michael, ist noch nicht<br />
einmal geboren; er kommt drei Monate nach dem Tod seines Vaters zur Welt.<br />
So sucht Hortense Familienanschluss und verbringt mit ihren Kindern viel Zeit im<br />
elterlichen «Hammer», wo die junge Familie stets willkommen ist. Vater Robert Naville<br />
liebt seine Tochter. Und er liebt seine Enkel, die sich auf dem <strong>gross</strong>elterlichen<br />
Gut austoben dürfen. Bis zum Wegzug seiner Grosseltern in die Villa Solitude am<br />
See verbringt Michael Funk viel Zeit im «Hammer», der ihm als riesiger Abenteuerspielplatz<br />
in Erinnerung bleiben wird – und nicht etwa als herausgeputzte Parkanlage,<br />
die nicht betreten werden darf.<br />
Momente des Glücks<br />
(von links): Michael<br />
und Hanspeter Funk<br />
mit Rosy und Gisela<br />
Eberle im Villette-<br />
Park, mit dem heutigen<br />
Verleger Peter<br />
Wanner (ganz rechts)<br />
auf dem «Abenteuerspielplatz<br />
Hammer»<br />
und mit den Grosseltern<br />
Robert und<br />
Emy Naville.<br />
In den 1940er-Jahren ist der «Hammer» scheinbar grenzenlos: Das Areal, mindestens<br />
zehnmal grösser als heute, umfasst inklusive Landwirtschaft eine Fläche, die<br />
von der Obermüli über das Streckiwäldli fast bis Lindencham, zur Lorzenweid und<br />
zum Teuflibach reicht. Hier finden die Buben alles, was das Leben spannend macht:<br />
einen Bach zum Fischen, Wald zum Verstecken, <strong>gross</strong>e, alte Bäume zum Klettern,<br />
Wiesen zum Fussballspielen, einen <strong>gross</strong>en Findling – den «Elefantenfelsen» – zum<br />
Bergsteigen. Und einen Bauernhof mit Tieren. Hier, auf dem Hammergut, beobachtet<br />
Michael, wie die erste Melkmaschine installiert wird. Technik fasziniert ihn. Und<br />
der Bauernhof bietet eine ganze Menge davon.<br />
Der <strong>gross</strong>e Rasen zwischen Villa und Stall, wo die Vogels einst Tennis spielten,<br />
wird zum Fussballplatz. Im feuchten Luftschutzkeller, vor den die «Orangerie» mit<br />
Schwimmbad gebaut wurde, lernen die Kinder das Gruseln. In der Remise entdecken<br />
sie alte Kutschen und Autos – unter anderem jenes, das ihr Grossvater eigenhändig<br />
gebaut hat! Hinter den Pferdestallungen locken alte Spielgeräte von Alder & Eisenhut,<br />
etwas weiter findet sich ein idealer Platz fürs Indianerzelt, in dem die Jungs auch<br />
mal übernachten. Das Badehäuschen (als charmantes Blockhaus 1874 oberhalb der<br />
Hammerbrücke gebaut), in dem sich Männlein und Weiblein getrennt umziehen und<br />
dann unten rausschwimmen konnten, um sich schliesslich im kühlen Wasser der<br />
Lorze züchtig wieder zu treffen, ist nur noch ein Versteck. Mehr als ein halbes Jahrhundert<br />
später wird es der «Fischereiverein Hammer» sanieren und zur schmucken<br />
Fischerhütte ausbauen.<br />
120 121
erien im<br />
Hammer»<br />
Zum Schwimmen radeln die Kinder zur «Villette», wo in der einen Haushälfte ihre<br />
Grosstante Ellen Seeburger-Vogel, die Schwester von Emy Naville, wohnt. In der<br />
anderen lebt ihr Sohn Rainer mit seiner Frau Angèle. «Ellen hat immer eine <strong>gross</strong>e<br />
Schar von Kindern im Garten gehabt», erinnert sich Michael Funk, «nicht nur die<br />
Verwandtschaft, auch die Kinder der Angestellten des ‹Hammers› und des Hammerguts.»<br />
Vor allem Angèle aber freut sich über das ausgelassene Treiben vor ihrer<br />
Haustür und tischt den Buben und Mädchen auch gerne mal ein Zvieri auf: «Mutschli<br />
mit Schoggistängeli».<br />
In der <strong>gross</strong>en Villa schauen sich die Buben an regnerischen Tagen die 3-D-Bilder<br />
ihrer Grosseltern an, hören Schallplatten auf dem alten Grammophon und spielen mit<br />
der elektrischen Eisenbahn der amerikanischen Marke Lionel. Das <strong>gross</strong>e Treppengeländer<br />
dient ihnen als Rutschbahn, der Estrich erscheint ihnen als das grösste Spielzimmer<br />
der Welt, und in der Vorratskammer sehen sie sich mit einem leisen Schaudern<br />
die Hasen an, die Grossvater und Onkel Robert von der Jagd mitgebracht haben.<br />
Freundschaft schliessen die Buben auch mit dem Personal, das ansonsten einen<br />
Club für sich bildet: mit Köchin Johanna Liechti sowie den Haushalthilfen Hulda Egli<br />
und Hedi Rütimann. Sie helfen den drei Gärtnern beim Rasenmähen und Bambusschneiden;<br />
einer von ihnen, Ami Ribeaux, wohnt mit seiner Frau Annette im Gärtnerhaus;<br />
sein Sohn Fredy ist einer der Stars des Chamer Fussballclubs. Auf ihn sind<br />
Hanspeter und Michael mächtig stolz. Näher ist ihnen aber der junge Gärtner Heiri<br />
Hafen, mit dem sie sich bestens verstehen.<br />
Eine besonders enge Beziehung verbindet Michael mit dem Chauffeur Gottfried<br />
Frey. Dieser ist schon zu Zeiten von Carl und Anna Vogel-von Meiss Kutscher im<br />
«Hammer»; später fährt er die eleganten Autos der Navilles. Michael hilft ihm beim<br />
Putzen, Flicken und Tanken – der «Hammer» hat eine eigene Zapfsäule! Frey ist<br />
vielseitig begabt und sehr belesen; es scheint fast, als gäbe es nichts, was er nicht<br />
wüsste oder könnte. Da er ein ausgesprochenes Talent zum Malen hat, bastelt er den<br />
Kindern Kulissen, wenn sie Theater spielen.<br />
Hans Funk (linke<br />
Seite) stirbt früh, so<br />
wird der «Hammer»<br />
eine Art Zuhause für<br />
seine Familie (von<br />
links): Michael Funk,<br />
Hanspeter Funk mit<br />
Götti Raoul Naville,<br />
«Ersatzvater»<br />
Chauffeur Frey.<br />
Im «Hammer» hat Gottfried Frey eine Art Sonderstellung. Nicht unbedingt gegenüber<br />
dem Personal, zu dem er gar nicht gehört: Angestellt ist er von der «Papieri».<br />
Seine klare, unmissverständliche Art macht ihn zur Persönlichkeit und für die Kinder<br />
zur Respektsperson. Ausserdem ist seine Frau eine Schulkollegin von Emy Naville,<br />
was zu einer fast freundschaftlichen Beziehung zwischen den Navilles und den<br />
Freys führt. Auch in der «Papieri» wird Gottfried Frey geschätzt: Man stellt ihn dort<br />
nicht einfach als Chauffeur ein, man will ihn vor allem als Sänger für den Fabrikchor.<br />
Für Michael wird Gottfried Frey zum Ersatzvater während seiner ganzen Jugendzeit.<br />
Und zum Teil des Glücks, das er im «Hammer» empfindet.<br />
Als der «Hammer» in den 1980er-Jahren verkauft werden soll, bemüht sich Michael<br />
Funk darum, dass die Liegenschaft in Familienbesitz bleibt. Aus emotionalen Gründen,<br />
denn im Grunde weiss er, dass seine Mutter die bessere Entscheidung getroffen hat:<br />
Sie übernimmt die «Solitude», in der er heute selber mit seiner Frau lebt.<br />
122<br />
123
Mann mit anderen Eigenschaften: Robert E. Naville<br />
Im Unterschied zu seinem Vater hat Robert E. Naville wenig Durchsetzungsvermögen und<br />
auch deutlich weniger Ehrgeiz. Er ist ganz zufrieden damit, in der zweiten oder sogar bloss<br />
dritten Reihe zu stehen. Vermutlich ist ihm bewusst, dass er es ohne «Familienbonus»<br />
überhaupt nie so weit gebracht hätte. Die Leitung der Papierfabrik zu übernehmen, ist für<br />
ihn weder Ambition noch Ziel und im Verwaltungsrat auch nie ein Thema. Anders sieht es<br />
seine Frau Marie-Louise Ferrière: Sie hadert mit seinem Schicksal und drängt ihren Mann,<br />
sich ein bisschen anzustrengen.<br />
Robert E. Naville kommt zur Welt, als sein Vater gerade mal ein Jahr die Leitung der<br />
Papierfabrik innehat: 1913 im «Hammer». Er entwickelt sich schnell zu einem stattlichen<br />
Mann und einer echten Sportskanone. Man kennt ihn als verwegenen Reiter und halsbrecherischen<br />
Skifahrer. Er ist <strong>gross</strong> gewachsen, muskulös und attraktiv und überflügelt<br />
seinen älteren Bruder Raoul in dieser Beziehung bald bei Weitem. Dass dieser darunter<br />
leidet, bekommt er später zu spüren: Als Raoul Generaldirektor der «Papieri» und damit<br />
Vorgesetzter von Robert wird, lässt er ihn mehr als einmal wissen: «Hier habe ich das<br />
Sagen!» Robert nimmt es mit einem Lächeln – seine Frau nicht; sie ärgert sich über die<br />
Arroganz ihres Schwagers, der ihr einmal mehr zu spüren gibt, dass ihr Mann nicht dort<br />
ist, wo sie ihn gerne hätte.<br />
Robert E. Naville macht eine Ausbildung zum Kaufmann und studiert anschliessend an der<br />
ETH Zürich Chemie. Viel lieber wäre er Landwirt geworden, doch es scheint nun mal Tradition<br />
zu sein, dass die «Papieri»-Nachfolger Naturwissenschaften studieren. Da es keine<br />
Frage ist, wohin sein beruflicher Weg führen soll, bildet er sich in diversen Papierfabriken<br />
weiter, bevor er mit 27 Jahren die Betriebsleitung der Tochterfirma Papeteries de Bretagne<br />
in Rennes übernimmt. Er wird diese zuerst vor Ort, später von Cham aus über zwanzig<br />
Jahre lang betreuen.<br />
Mit 26 Jahren heiratet er die Genfer Pianistin Marie-Louise Ferrière, mit der er zwei Kinder<br />
hat: André (*1945) und Jacqueline (*1949). Mit seiner Frau verbindet ihn oft weniger, als ihn<br />
von ihr trennt. Aber sie wird dennoch immer seine ganz <strong>gross</strong>e Liebe bleiben, und keinen<br />
Augenblick zweifelt er daran, dass sie die Frau seines Lebens ist. Was tatsächlich zutrifft:<br />
Die beiden bleiben bis zu ihrem Tod ein Paar.<br />
Robert E. Naville mit<br />
seiner Familie unterwegs<br />
in Italien und<br />
als leidenschaftlicher<br />
Reiter auf dem Sprung<br />
in sein ganz persönliches<br />
Glück.<br />
124 125
Vor allem bei den stilvollen Empfängen im «Hammer» finden sie sich: Marie-Louise und<br />
Robert sind die perfekten Gastgeber. Hier blühen sie auf. Hier werden sie zu dem, was<br />
sie sonst nicht sind: zum perfekt harmonierenden Paar. Robert ist ein Philanthrop, sein<br />
Wissenshunger enorm. Er weiss viel, nur für den rauen Wirtschaftsalltag kann er sich nicht<br />
wirklich begeistern. Mit Geld wird er nie richtig umgehen können. Die Karriere bedeutet<br />
ihm wenig. Marie-Louise hingegen ist ambitioniert. Sie ist eine ebenso leidenschaftliche<br />
wie fordernde Frau und eine eher bemühte als liebevolle Mutter. Die berufliche Laufbahn<br />
ihres Mannes begeistert sie wenig. Dass sie ihm das auch sagt, sorgt immer wieder für<br />
Spannungen.<br />
Doch Robert E. Naville macht seinen Job ordentlich. Als Spross der «Papieri»-Familie wird<br />
er in dieser Branche <strong>gross</strong> und verfügt schon bald über ein enormes Fachwissen. Das hilft,<br />
in der Firma weiterzukommen. Andernorts wäre er die Karriereleiter kaum so hoch hinaufgestiegen.<br />
Mit dem Führen ist er überfordert. Er kann sich nur schwer durchsetzen und<br />
geniesst nie jenen Respekt der Arbeiterschaft, wie ihn sein Vater hat. Als er 1953 Vizedirektor<br />
der Papierfabrik wird, zieht er mit seiner Familie in den «Hammer», in dem – nach dem ungeschriebenen<br />
Familiengesetz – die Familie Naville das Wohnrecht hat. Da Robert Naville<br />
und seine Frau Emy des ewigen Hin und Hers zwischen Genf, «Hammer» und «Solitude»<br />
ein wenig müde sind, machen sie letztere zum einzigen Wohn- beziehungsweise Alterssitz<br />
– und damit Platz für ihren Sohn, der noch so gern in den «Hammer» zieht. «Vermutlich<br />
zogen Robert und Emy auch auf sanften Druck ihrer Schwiegertochter Marie-Louise um»,<br />
bemerkt Jacqueline Naville lächelnd. «Denn meine Grossmutter war zu dieser Zeit noch<br />
voll im Saft – die hätte nicht die geringsten Probleme gehabt, sogar noch eine weitere<br />
<strong>gross</strong>e Liegenschaft zu managen …» Doch ihrem Mann Robert ist es recht so: Er mag das<br />
Wasser und freut sich auf seinen Lebensabend am Zugersee.<br />
Robert junior liebt den «Hammer». Für ihn ist er eine Herzensangelegenheit. Hier jemals<br />
wieder wegzuziehen, kann er sich nicht vorstellen. Als Tierliebhaber – auch dies eine Leidenschaft,<br />
die er mit seiner Frau teilt – vergöttert er seine Hunde und Pferde und erfreut sich<br />
an der Nähe zur Landwirtschaft des Hammerguts, auch wenn er die damit verbundenen<br />
Immissionen nicht immer schätzt. Als Gastgeber liebt er die Möglichkeiten, stilvolle Empfänge<br />
auszurichten. Und als gegen innen gekehrter Mensch die selbst gewählte Isolation.<br />
Der «Hammer» wird zu seiner Insel. Das Leben, das er hier führen darf, mag ihn dafür entschädigen,<br />
dass er in der Firma mehr gefordert ist, als ihm lieb ist. Für seinen Einsatz erntet<br />
er wenige Lorbeeren.<br />
Wirklich erfolgreich wirkt er allerdings bei der «Papieri»-Tochter Pavag, der legendären<br />
Papiersackfabrik im luzernischen Nebikon, wo er von 1961 bis 1973 als Delegierter des Verwaltungsrates<br />
tätig ist. Während seiner Zeit wächst die Pavag in jeder Beziehung um das<br />
Zwei- bis Dreifache. Darauf ist er stolz. Als sich die Papierfabrik 1973 dem Publikum öffnet<br />
und zur börsenkotierten Industrieholding AG wird, übernimmt Robert E. Naville die<br />
neu geschaffene Immobilienfirma Hammer AG und betreut fortan auch das Hammergut.<br />
Damit geht sein Jugendtraum, Bauer zu werden, in gewisser Weise doch noch in Erfüllung.<br />
1980 geht Robert E. Naville in Pension. Der Abschied von der Firma fällt ihm schwer, weil er<br />
seinen Alltag durcheinander bringt. Er liebt die Rituale, vermisst die Routine – und scheint<br />
sich darüber zu ärgern, dass man die Frechheit hat, ihn tatsächlich in den Ruhestand zu<br />
schicken. Sein Gemütszustand verschlechtert sich, als feststeht, dass er seinen «Hammer»<br />
verlassen muss. Es gibt für die Industrieholding, die zu dieser Zeit in einer Krise steckt,<br />
keinen vernünftigen Grund mehr, die kostenintensive Liegenschaft, die jährlich eine halbe<br />
Million Franken an Unterhaltskosten verschlingt, jemandem zum Dumpingpreis zu überlassen,<br />
nur weil er der Familie Naville angehört. Da Robert E. Naville nicht die finanziellen<br />
Möglichkeiten hat, den «Hammer» selber zu übernehmen, wird er verkauft. «Mit dem Verkauf»,<br />
wird er später seiner Tochter Jacqueline sagen, «ist ein Teil von mir gestorben.»<br />
Dasselbe gilt auch für seine Frau.<br />
Im «Hammer» haben derweil die Jahrzehnte seit dem Einbringen der Liegenschaft in die<br />
Familien-AG immer offensichtlicher ihre Spuren hinterlassen. Die Aktionärinnen waren<br />
wohl schlichtweg nicht bereit, so viel zu investieren, wie nötig gewesen wäre, um die zahlreichen<br />
Gebäude in Schuss zu halten. Das ohnehin einfach und schnell gebaute Mühlenhaus<br />
ist aus den Fugen geraten, die Stallungen haben ihren einstigen Glanz verloren, das<br />
Gärtnerhaus ist verlottert. Selbst von der Hammer-Villa blättert allmählich die Farbe; die<br />
Heizung sollte ersetzt werden, die Entkalkungsanlage funktioniert nicht mehr richtig,<br />
durch die Fenster pfeift da und dort der Wind. Aber Charme hat es, das Herrschaftshaus,<br />
in dem Robert und Marie-Louise Naville 1984 verzweifelt ihre Koffer packen, um das zu<br />
verlassen, was sie am meisten lieben.<br />
126 127
Familie als Hypothek: Jacqueline Naville und der «Hammer»<br />
Wenn die kleine Jacqueline nachts durch die <strong>gross</strong>en Korridore der Hammer-Villa schleicht,<br />
kommt ihr das Haus gespenstisch vor: Die Holzböden knarren, in den <strong>gross</strong>en Spiegeln<br />
zeichnet sich der Nachthimmel ab, besonders dramatisch dann, wenn der Mond scheint.<br />
Jacqueline, die eine blühende Fantasie hat, sieht allerhand Geister, die ihr Angst machen.<br />
Doch sie ist zu klein, um den Lichtschalter zu erreichen und dem Spuk ein Ende zu bereiten.<br />
Die unheimlichen Bilder bleiben. Sie fühlt sich alleingelassen.<br />
Später wird sie sagen, sie habe sich gefühlt wie der kleine Danny in Stanley Kubricks «The<br />
Shining», dem Horror-Klassiker nach dem gleichnamigen Buch von Stephen King. Auch er<br />
streift nachts allein durch das verlassene Haus, lebt in einer einsamen Welt. Seiner Welt,<br />
von der niemand weiss und zu der niemand Zugang hat. Der «Hammer» ist für Jacqueline<br />
Naville ein Geisterhaus. Aber auch sie liebt ihn. Und eigentlich würde sie sich hier richtig<br />
wohl fühlen – wäre sie nicht so alleine.<br />
Als Robert Naville junior 1953 mit seiner Familie in den «Hammer» zieht, ist Jacqueline vier<br />
Jahre alt, ihr <strong>gross</strong>er Bruder André vier Jahre älter. Sie liebt ihren Bruder, zu dem sie stolz<br />
aufblickt und der ihr Sicherheit vermittelt. Umso schlimmer ist es für sie, als die Eltern den<br />
rebellischen André ins Lyceum Alpinum nach Zuoz im Oberengadin schicken. Obwohl es<br />
die beste Internatsschule der Schweiz ist, fühlt sich André verstossen. Nur ein paar Mal<br />
pro Jahr darf er die Familie im «Hammer» besuchen, sonst ist er schon mit zehn Jahren auf<br />
sich selber gestellt.<br />
André verzeiht seinen Eltern diesen Entscheid nie, obwohl sie es gut meinen und ihren<br />
Sohn nicht einfach abschieben wollen. Die Familie wird für ihn zum roten Tuch. Sie hätten<br />
ihn rausgeworfen, wirft er seinen Eltern vor, verstossen. Er wird später nie mehr in den<br />
«Hammer» zurückkehren. An Familienfesten und Beerdigungen lässt er sich nicht mehr blicken.<br />
Dass er sich am Ende sogar mit seiner Schwester über das Erbe streitet, hat wenig mit<br />
Geld und Gut zu tun; es ist die Familiengeschichte, welche die beiden auseinanderbringt.<br />
So wächst Jacqueline Naville schon bald als eine Art Einzelkind auf. Und nicht nur dies:<br />
Sie ist ein Einzelkind auf einer einsamen Insel. Kontakt zu anderen Kindern hat sie kaum.<br />
Die Eltern erachten dies nicht als standesgemäss; nie kommt es vor, dass sie «Gschpänli»<br />
nach Hause einladen darf. Nie wird sie von diesen zu sich eingeladen. Nur auf dem langen<br />
Schulweg nach Cham hat sie Gesellschaft; das sind kleine Momente des Glücks.<br />
«Kiki», wie die kleine<br />
Jacqueline Naville genannt<br />
wurde, mit ihrem<br />
Bruder André und den<br />
«Hammer-Hunden»<br />
– eine Leidenschaft<br />
von Marie-Louise und<br />
Robert E. Naville.<br />
Als Reformierte hat sie es auch bei den Klosterfrauen nicht einfach, die sie während den<br />
ersten vier Schuljahren unterrichten. Oft wird sie von ihnen schlecht behandelt. Jacqueline<br />
versteht die Welt nicht mehr. «Religion», sagt sie rückblickend, «hat mich schon früh geprägt<br />
– im Positiven und Negativen.» Gerade weil sie so viel von den anderen Kindern<br />
unterscheidet, tut sie alles, um nicht aufzufallen; ihre Andersartigkeit beschämt sie. Ihre<br />
Eltern verstehen das und unterstützen sie dabei, möglichst gleich zu sein wie alle andern:<br />
Jacqueline bekommt dieselben Kleider (wenn sie zur Schule geht) und erhält auch nur ein<br />
bescheidenes Taschengeld.<br />
Glücklich ist sie, wenn sie auf dem Hammergut sein darf. Sie liebt die Tiere und – wie alle<br />
Kinder – die «Dreckarbeit». Wenn sie abends nach Hause kommt, riecht sie nach Kuhmist<br />
und Milch. Das mag sie. Aber nicht ihre Mutter, für die Ordnung, Sauberkeit und standesgemässes<br />
Benehmen das A und O sind. Sie sieht es auch nicht gerne, wenn sich ihre Tochter<br />
in der Küche rumtreibt. Doch Jacqueline kocht nun mal fürs Leben gerne und schleicht sich<br />
deshalb nachts in die Küche, um die wildesten Gerichte zu kreieren – und wohl auch eine<br />
Menge Unordnung anzurichten. Ein Glück, versteht sie sich so gut mit der Köchin Santina<br />
Lira, die mit ihrem <strong>gross</strong>en italienischen Herz die Kleine gewähren lässt.<br />
128 129
Marie-Louise Ferrière ist keine schlechte Mutter. Sie bemüht sich, ihre Aufgaben zum Besten<br />
ihrer Kinder zu erledigen. Aber sie schafft es nicht, eine herzliche Beziehung zu ihrer Tochter<br />
aufzubauen. Sie weiss das und leidet vermutlich selber darunter. «Schau mal, Puppe», wird<br />
sie viel später einmal zu Jacqueline sagen, «das bin ich!» Und sie zeigt dabei auf ein Gemälde<br />
von Giovanni Segantini, den sie sehr verehrt. «Die bösen Mütter» heisst es.<br />
Marie-Louise ist – im Gegensatz zu ihrem Mann – eine schillernde Figur. Sie ist eine begnadete<br />
Pianistin und Künstlerin und leitet das «Unternehmen Hammer» wie die Frauen vor<br />
ihr mit viel Geschick und Leidenschaft. Sie liebt den Umgang mit der Zürcher und Genfer<br />
High Society. Robert ist oft weniger ihr Partner als ihr Gefolgsmann.<br />
Doch zu ihm hat Jacqueline die herzlichere Beziehung. Er ist es, der ihr abends Gutenachtgeschichten<br />
erzählt. Der sie immer wieder in ihr Bett bringt, wenn sie nachtwandelt (das tut<br />
sie, bis sie 18 ist). Im «Hammer», ist Tochter Jacqueline bis heute überzeugt, war er es, der<br />
für das Seelenheil der Kinder verantwortlich war. Zwischen den Eheleuten hingegen gibt<br />
es oft Spannungen. Robert, der es allen recht machen will und es schliesslich niemandem<br />
recht macht, ist überfordert. Mit seiner Karriere ebenso wie mit seiner Ehe.<br />
Jacqueline fühlt sich – wie viele Kinder in ähnlichen Situationen – verantwortlich für den Hausfrieden.<br />
Sie will zwischen ihren Eltern schlichten und freut sich dann besonders, wenn sich Marie<br />
Louise und Robert mal wieder so richtig verstehen: bei Gesellschaften, die sie mit <strong>gross</strong>er<br />
Hingabe geben. Hier finden sich die Eheleute und harmonieren prächtig. Der «Hammer»,<br />
auch wenn er bereits ein bisschen in die Jahre gekommen ist, wird dann zur prächtigen Bühne<br />
für die «Von» und «Zu» aus Zürich und Genf. Sein Interieur ist ohnehin stilvoll und <strong>gross</strong>zügig;<br />
aber jetzt erstrahlt es in einem völlig neuen Glanz. Überall brennen Kerzen in schweren Silberleuchtern.<br />
Bedienstete mit weissen Handschuhen reichen Köstlichkeiten. Marie-Louise und<br />
Robert geniessen es, perfekte Gastgeber zu sein und lassen sich das Ganze auch etwas kosten.<br />
«Hier haben sie nie gespart», sagt Jacqueline Naville rückblickend. Vermutlich geht es ihnen<br />
dabei gar nicht ums Protzen; so was gehört sich einfach für ein standesgemässes Leben.<br />
Als Jacqueline im Teenager-Alter ist, gibt sie selber Partys. Und ihre Eltern lassen sie <strong>gross</strong>zügig<br />
gewähren. Doch ihre Feste haben nichts mit denen von Robert und Marie-Louise<br />
Naville zu tun. Jacqueline bietet ihren Gästen das einmalige Ambiente der Hammer-Villa,<br />
wo sie im riesigen, noch nicht ausgebauten Dachgeschoss ausgelassen feiern. Und weg<br />
sind sie plötzlich, die Geister, die dieses Haus nachts heimsuchten …<br />
Noch als Verheiratete kehrt Jacqueline Naville immer wieder in den «Hammer» zurück<br />
– wo sie die dramatischen letzten Wochen vor dem Auszug ihrer Eltern miterlebt (siehe<br />
«Abschied vom ‹Hammer›», Seite 188). «Ich habe mich gewundert», erinnert sie sich, «dass<br />
sie das Haus am Ende nicht noch abgefackelt haben.»<br />
Emy Naville gratuliert<br />
Beat Walpoth zur<br />
Hochzeit mit ihrer<br />
Enkelin Jacqueline.<br />
Links: Emys Sohn<br />
Raoul.<br />
130 131
DER TRAUM VON DER ALTERS-<br />
RESIDENZ: DIE ÄRA VON PLANTA<br />
Im November 1984 kaufen Margrit und<br />
Andrea von Planta den «Hammer». Sie<br />
sind fasziniert von seiner Geschichte<br />
und wollen ihn im historischen Sinn<br />
erhalten. Sieben Jahre dauern die Renovierungs-<br />
und Ausbauarbeiten. Doch<br />
der Plan, eine Altersresidenz für Freunde<br />
und Familie zu machen, scheitert. Es<br />
ist nicht der einzige Rückschlag. Auch<br />
keiner der Söhne will die Liegenschaft<br />
übernehmen. Und besonders schwierig<br />
gestaltet sich am Ende der Verkauf.<br />
133
Warum eigentlich nicht? «Hammer» statt «Villette»<br />
Cham, Februar 1984. Eben haben sich Margrit und Andrea von Planta zusammen mit Alois<br />
Steiner, dem Gemeindepräsidenten von Cham, in der «Villette» getroffen. Sie sind interessiert,<br />
die baufällige Villa am See zu kaufen, um das aussergewöhnliche Werk des renommierten<br />
Zürcher Architekten Leonhard Zeugheer für die Nachwelt zu erhalten und einen<br />
Kontrapunkt zur «grassierenden Schuhschachtelarchitektur» (O-Ton von Planta) zu setzen.<br />
Doch sie haben die Rechnung ohne die 17-köpfige Baukommission gemacht, die dem Verkauf<br />
der Liegenschaft zustimmen muss.<br />
1981 konnte die Gemeinde Cham die «Villette» nämlich samt Park zu einem eher symbolischen<br />
Betrag von der «Papieri» kaufen. Noch lieber hätte sie das Ganze geschenkt bekommen,<br />
doch dazu war die Papierfabrik verständlicherweise nicht bereit, obwohl sie die<br />
Liegenschaft von Anfang an am liebsten in den Händen der Gemeinde gesehen hätte. Um<br />
einen sanften Druck auf die Chamer auszuüben und sie zum Kauf zu motivieren, begann<br />
die Immobilienfirma der «Papieri», die Hammer AG, sogar Pläne für eine Überbauung auszuarbeiten<br />
– vom Luxushotel bis zu exklusiven Eigentumswohnungen. Das wirkte: Cham<br />
kaufte die «Villette», wobei es vor allem darum ging, die herrliche Parkanlage direkt am See<br />
für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.<br />
Was mit der Villa geschehen sollte, war hingegen lange nicht klar; zu hoch erschienen die<br />
Kosten für eine Sanierung, zu ungenau waren die Vorstellungen, wozu sie genutzt werden<br />
könnte. Doch an einen erfolgreichen Verkauf der «Villette» – natürlich ohne den dazugehörigen<br />
Park – glaubte niemand so richtig. Bis Denkmalpfleger Josef Grünenfelder die<br />
Probe aufs Exempel machte und privat in der Neuen Zürcher Zeitung ein Chiffre-Inserat<br />
schaltete. Zwanzig ernsthafte Interessenten meldeten sich. Also versuchte man es weiter.<br />
Gegen 200 potenzielle Käufer zeigten Interesse – zuletzt Margrit und Andrea von Planta …<br />
Mit den Verhandlungen jedoch harzt es: Politisch gemischt, kann sich das zuständige Gremium<br />
so lange auf nichts einigen, bis man sich dazu entschliesst, aus der «Villette» eine<br />
Stiftung zu machen, was sich tatsächlich als die beste Lösung erweisen wird, da sie dem<br />
politischen Gerangel ein Ende setzt. Margrit und Andrea von Planta, die zu dieser Zeit bereits<br />
im Besitz des «Hammers» sind, beteiligen sich aus kulturellem Interesse und sozialem<br />
Engagement sogar am Umbau: Sie kommen für die Kosten der Sanierung des Erkersalons<br />
und des früheren Musikzimmers auf, das auch südlicher Bankettsaal genannt wurde – weshalb<br />
dieser heute ihnen zu Ehren «Von Planta-Saal» heisst.<br />
Im Frühjahr 1984 steht das Haus aber noch zum Verkauf, und es wird mühsam über die<br />
Verkaufsbedingungen verhandelt. Von allen Seiten kommen Wünsche und Forderungen<br />
auf die von Plantas zu. «Das reinste Politkabarett», wie Andrea von Planta es in seiner<br />
schwarzhumorigen Art nennt. Man habe zwar grundsätzlich nichts gegen einen Verkauf,<br />
heisst es von Seiten der Gemeinde, aber die «Villette» sei für die Chamer Bevölkerung<br />
nun mal wichtig. So wichtig offenbar, dass der 46 000 Quadratmeter <strong>gross</strong>e Park bis vor<br />
die Haustür für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben müsste. Ausserdem könne man den<br />
Besitzern auf gar keinen Fall erlauben, mit dem Auto zur «Villette» zu fahren, und es wäre<br />
natürlich wünschenswert, wenn die repräsentativen Räumlichkeiten im Erdgeschoss weiterhin<br />
für besondere Empfänge von Gemeinde und Kanton offen blieben.<br />
Nach langem Hin und Her haben Margrit und Andrea von Planta die Nase voll. Sie sind<br />
zwar bereit, Kompromisse einzugehen. Aber über den Tisch ziehen lassen sie sich nicht. Als<br />
auch noch der ernst gemeinte Vorschlag kommt, sie könnten die «Villette» im Baurecht auf<br />
zehn (!) Jahre übernehmen, steigen die «Interessenten Nummer 200» aus.<br />
Andrea von Planta ist nach der Besichtigung mit dem Gemeindepräsidenten im Februar<br />
1984 mit seiner Frau auf der Fahrt nach Hause, als diese unterhalb der Strasse ein Hausdach<br />
erblickt, das auf eine stattliche Liegenschaft schliessen lässt. Sie biegen von der<br />
Sinserstrasse ab und landen vor dem «Hammer». Im Mühlehaus brennt Licht, das sich im<br />
schwarzen Wasser der Lorze spiegelt. Es ist ein idyllisches, versöhnliches Bild. «Das wäre<br />
doch etwas», sagt Margrit von Planta. Ihr Mann nickt. Und nimmt sich vor, ein paar Nachforschungen<br />
anzustellen.<br />
Dass der «Hammer» tatsächlich zu haben wäre, erfährt er im Juni 1984. Mit ein paar Freunden,<br />
unter denen sich auch der Zürcher Architekt Cedric Guhl befindet, unterhält sich Andrea<br />
von Planta über seine Absichten, ein historisches Haus wie die Chamer «Villette» zu kaufen.<br />
Guhl, der den «Hammer» bereits für einen anderen Interessenten unter die Lupe genommen<br />
hat, schlägt ihm vor, sich an Claude Ebnöther, den Chef der Hammer AG, zu wenden.<br />
Was von Planta auch umgehend tut, denn er will nun endlich Nägel mit Köpfen machen: Er<br />
ist schon lange auf der Suche nach einem Objekt, das er für erhaltenswert erachtet – und<br />
die Zeit drängt umso mehr, als die alte 14-Zimmer-Villa an der Titlisstrasse 39 in Zürich, in<br />
der er mit seiner Familie lebt, ein Abbruchobjekt ist. «Es war schon freundlich», erinnert er<br />
sich mit einem Lächeln, «dass uns das Haus mit seinen zerbröselnden Elektroinstallationen<br />
nicht abgebrannt ist, während wir noch drin wohnten.»<br />
134 135
«Wenn man schon einen so<br />
schönen Pferdestall hat, kommt<br />
man auch auf die Idee, ihn zu<br />
beleben»: Andrea von Planta<br />
liebt Pferde und ist ein leidenschaftlicher<br />
Kutschenfahrer.<br />
Um seine drei Tiere kümmerte<br />
sich Pflegerin Susi Bolliger.<br />
Links: «Hofhund» Timi.<br />
Ausserdem haben sich vor noch nicht allzu langer Zeit die Pläne für ein anderes Projekt<br />
zerschlagen: Nur zu gerne hätten sie eine geschichtsträchtige Villa in der Nachbarschaft<br />
ihrer Zürcher «Abbruchresidenz» übernommen (O-Ton von Planta), die sie ursprünglich für<br />
eineinhalb Jahre mieteten, schliesslich aber 17 Jahre bewohnten und pflegten. Mit einem<br />
Generalunternehmer, der «die alte Hütte» am liebsten abgerissen und eine <strong>gross</strong>e Überbauung<br />
realisiert hätte, hatten sie sich bereits geeinigt, als die Besitzerfamilie selber auf<br />
den Geschmack kam – und das Haus wieder vom Markt nahm.<br />
Wie eng das Schicksal der «Villette» mit jenem des «Hammers» verbunden ist, weiss<br />
Andrea von Planta zu jenem Zeitpunkt noch nicht. Doch die Liegenschaft fasziniert ihn.<br />
Und ihrer Geschichte würde er schon noch auf die Spur kommen. Denn von Planta ist ein<br />
neugieriger Mensch. Er mag Geschichte. Und er mag Geschichten. Im «Hammer», da ist er<br />
sicher, stecken viele davon.<br />
Andrea und Margrit von Planta schauen sich den «Hammer» mehrmals an. Sie treffen sich<br />
dabei mit Robert E. Naville, der sich seltsam zurückhaltend gibt. Er ist nicht unfreundlich.<br />
Aber er ist teilnahmslos, und es macht den Anschein, als ob es ihm nicht bewusst wäre,<br />
dass es hier um sein Zuhause geht, das verkauft werden soll. Andrea von Planta spricht ihn<br />
mehrmals darauf an. Ob er den «Hammer» denn nicht selber kaufen wolle, fragt er. Doch<br />
Naville weicht aus, verneint halbherzig.<br />
Gegen Ende 1984 macht Andrea von Planta ernst: Sie würden den «Hammer» jetzt also<br />
kaufen, informiert er Robert E. Naville und gibt ihm ein halbes Jahr Zeit, den Auszug vorzubereiten<br />
und sein Zuhause zu räumen. Naville ist gestresst und genervt. Und wie immer,<br />
wenn er sauer ist, spricht er mit Andrea von Planta französisch. Dieser steigt zwar darauf<br />
ein, versteht aber nicht, weshalb Naville derart wütend ist auf ihn. Er bietet ihm – auch um<br />
die Situation ein bisschen zu entspannen – sogar an, einen Teil des Inventars, vor allem<br />
Antiquitäten und Bilder, zu übernehmen. Ein Gemälde des berühmten Schweizer Malers<br />
Ernst Morgenthaler (1887–1962) hat es ihm dabei besonders angetan: Es zeigt Roberts Frau<br />
Marie-Louise mit Töchterchen Jacqueline auf den Knien. «Das war weit mehr als ein Familienstück»,<br />
ist von Planta überzeugt, «es war ein gutes, künstlerisch wertvolles Gemälde.»<br />
Dass die Navilles den «Morgenthaler» schliesslich im Zorn verbrennen werden, ahnt er<br />
damals nicht.<br />
136 137
on Zürich<br />
Von Zürich nach Cham:<br />
Margrit<br />
ach<br />
und Andrea<br />
Cham<br />
von Planta<br />
Eigentlich hätte er am liebsten Architektur oder Kunstgeschichte studiert. Aber aus<br />
familiären Gründen landete er in der Textilindustrie. Nach seinen Lehr- und Wanderjahren<br />
durch die Welt der Baumwollspinnerei und Weberei sowie nach einem Baumwollprojekt<br />
der Weltbank wird Andrea von Planta als neutraler Schweizer zum Direktor<br />
des europäischen Exportkartells der Zellwollproduzenten. Ein Job, bei dem Diplomatie,<br />
Industrie- und Marktverständnis gefragt sind.<br />
Die Organisation stellt allerdings ein seltsames vereinigtes Europa dar und durchläuft<br />
zahlreiche schwierige Momente. Es gelingt aber immerhin, die Sanierung der<br />
Branche in einigermassen geordneten Bahnen durchzuziehen. Waren es bei Plantas<br />
Eintritt 15 Produktionsstandorte in Europa, sind es bei seinem Rücktritt noch 6 – und<br />
heute gerade mal 3.<br />
Die Aufgabe seines Direktorenpostens eröffnet ihm neue Wirkungsfelder: Zuerst gilt<br />
es, das <strong>gross</strong>elterliche Haus in Susch im Engadin zu renovieren, was der «verhinderte<br />
Architekt und Kunstgeschichtler» mit Hingabe und dem Ziel angeht, es in seiner Art auf<br />
gar keinen Fall zu verpfuschen. Auch da ist er ein typischer von Planta: In seiner Engadiner<br />
Heimat sorgt die «Planta’sche Bauwut» immer wieder für Gesprächsstoff – oft für<br />
Bewunderung, manchmal für Kopfschütteln. «Die Lust am Bauen», erklärt er lachend,<br />
«liegt bei uns in den Chromosomen; diesen Schaden hatten schon meine Vorfahren.»<br />
Andrea von Planta kommt 1932 in Winterthur zur Welt. Doch seine Engadiner Wurzeln<br />
vergisst er nie. Seine Familie besitzt in Susch Häuser. Hierhin ziehen sich schon die<br />
Vorfahren zurück, wenn sie sich von den Geschäften in fremden Diensten, die sie<br />
in alle Welt verschlagen, erholen oder zur Ruhe setzen wollen. Man sieht es ihren<br />
Häusern an, dass sie nicht von den Erträgen einer bescheidenen Berglandwirtschaft<br />
gebaut und unterhalten werden können.<br />
«Alle meine Vorfahren waren im Ausland tätig», sagt Andrea von Planta, «ursprünglich<br />
als Militärunternehmer und Söldner in französischen, holländischen und savoyischen<br />
Diensten, später auch als Textilkaufleute.» Als «Alt Fry Raetien» zur Eidgenossenschaft<br />
geschlagen wird, steigen sie in die Zuckerbäckerbranche und die Gastronomie<br />
ein, wobei sein Grossvater und dessen Bruder während der Belle Epoque erfolgreich<br />
ein Hotel in Nizza gründen, das vom Ersten Weltkrieg allerdings – wie viele andere<br />
vergleichbare Häuser – in den Ruin getrieben wird.<br />
Margrit und Andrea<br />
von Planta legten<br />
auch <strong>gross</strong>en Wert<br />
auf die Parkgestaltung<br />
im «Hammer»<br />
– und hatten ihren<br />
Spass dabei …<br />
Seine Leidenschaft für schöne Häuser teilt Andrea von Planta mit seiner Frau<br />
Margrit (einer geborenen Roth), deren Wurzeln bis ins Elsass reichen. Sie kommt<br />
1934 in Zürich zur Welt, wächst aber ebenfalls in Winterthur auf. «Wir haben sozusagen<br />
über den Miststock geheiratet», sagt ihr Mann lachend.<br />
Margrit von Planta stellt ihre berufliche Karriere in der Krankenpflege zurück und<br />
kümmert sich um die drei Söhne und den Haushalt, der an sich schon ein Vollzeitjob<br />
ist: «Den Frauen der Plantas werden oft <strong>gross</strong>e Häuser zugemutet», sagt Ehemann<br />
Andrea schmunzelnd. Das letzte, bevor sie den «Hammer» kaufen, hat 14 Zimmer. Weil<br />
sie zur Unterstützung Hausmädchen braucht, macht sie den in Zürich obligatorischen<br />
Hauswirtschaftskurs. «Hier habe ich gelernt, rationell zu arbeiten, vorauszuplanen<br />
und zu organisieren», sagt sie. Diese Fähigkeiten braucht sie später im «Hammer»<br />
ganz besonders.<br />
Das Arbeitspensum im «Hammer» ist gewaltig und nicht alleine zu bewältigen. Doch<br />
Margrit von Planta hat mit Santina und Lino Lira-Prez zwei erfahrene Hausangestellte<br />
zur Seite, die schon bei Familie Naville gewirkt haben. Als sich die beiden in den Ruhestand<br />
ins heimische Udine zurückziehen, treten Lilian und Bruno Kaufmann-Zingg<br />
in ihre Fussstapfen, beides erfahrene Gastronomen. Ebenfalls mit dem Gastgewerbe<br />
vertraut sind ihre Nachfolger Verena und Gerhard Ecker-Felber. Der Allrounder Ecker<br />
wird auch nach dem Verkauf der Liegenschaft an Ariel Lüdi im «Hammer» wirken<br />
– als «Gutsherr ohne Gut» (siehe Porträt Seite 168). Je nachdem wird ausserdem<br />
stunden- oder tageweise Personal angestellt, denn im Hammer finden auch viele gesellschaftliche<br />
Anlässe statt. Als Margrit von Planta einmal spasseshalber die Gäste<br />
zählt, die sie während eines Jahres offiziell in ihrem Haus empfangen hat, kommt sie<br />
auf über 500!<br />
Ihr Mann, der mit 51 Jahren «in Pension geht», um sich zunächst der Renovation des<br />
<strong>gross</strong>elterlichen Hauses in Susch zu widmen, was ihm die Zuversicht gab, das Grossprojekt<br />
«Hammer» anzugehen, hat <strong>gross</strong>en Respekt vor der Leistung seiner Partnerin:<br />
«Der wichtigste Faktor bei einer Liegenschaft wie dem ‹Hammer› ist die Frau», erklärt<br />
er. «Wer sich nur als Gast im Fünfsternehotel eignet, passt hier nicht hin.»<br />
138 139
Die Motivation, den «Hammer» zu kaufen, sei «völlig irrational» gewesen, erklärt von<br />
Planta später. «Es ging mir einfach um die Rettung eines Hauses, das im schlimmsten Fall<br />
vielleicht sogar einmal abgerissen worden wäre.» Dass er (noch) keine Beziehung dazu<br />
hat, stört ihn nicht. Es ist, wie er es ausdrückt, ein gutes Haus mit einer schönen Anlage –<br />
«gmögig» halt. Und er hat <strong>gross</strong>e Pläne. Als «verhinderter Architekt und Kunsthistoriker»<br />
fängt er an, «ein bisschen zu webstüblern und zu spinnen», wie er lachend erzählt. So beginnt<br />
die Ära von Planta, die aus dem sanierungsbedürftigen «Hammer» eine herrschaftliche<br />
Liegenschaft werden lassen sollte.<br />
Am 30. November 1984 wird der «Hammer» verschrieben. Doch die Ära von Planta startet<br />
nicht ohne Misstöne: Robert und seine Frau Marie-Louise «sabotieren» nun den Einzug der<br />
neuen Besitzer auf verzweifelte Art und Weise (mehr dazu: «Abschied vom ‹Hammer›»,<br />
Seite 188). Sie werden mit Andrea und Margrit von Planta danach nie mehr ein Wort<br />
wechseln – und auch nie mehr in ihr altes Zuhause zurückkehren.<br />
2,5 Millionen Franken bezahlen die von Plantas für den «Hammer». Sie wollen die ganze<br />
Liegenschaft in drei Jahren restaurieren – allein vier Jahre wird schliesslich der Umund<br />
Ausbau der Villa dauern. Während dieser Zeit leben sie im nahen Direktorenhaus der<br />
«Papieri» am Bergacker in Cham. Andrea von Planta, der sich zu jener Zeit nur noch mit der<br />
Renovierung seiner Häuser beschäftigt, will täglich auf der Baustelle sein, damit alles so<br />
läuft, wie er sich das vorstellt. «Bei Umbauten stösst man laufend auf Überraschungen», sagt<br />
er. «Damit es weitergehen kann, müssen Massnahmen beschlossen und schnelle Entscheide<br />
getroffen werden. Da ist es besser, man übernimmt die Verantwortung dafür selber.»<br />
Er nennt das Direktorenhaus seine «Baubaracke», was dem Objekt allerdings nicht ganz<br />
entspricht: Es ist ein stattliches Haus, das er kauft, ohne es von innen gesehen zu haben.<br />
Seine Frau Margrit macht die Besichtigung, er verlässt sich auf ihr Urteil. Als sie sich gleich<br />
vor Ort entscheidet, ruft der Direktor, dessen Zuhause gerade den Besitzer zu wechseln<br />
droht, Andrea von Planta an: Ob er sich bewusst sei, dass seine Frau gerade im Begriff sei,<br />
eine Villa zu kaufen. Als dieser fröhlich bejaht, ist der Deal perfekt.<br />
Das Interieur, das nach einem ungeschriebenen Gesetz jeder «Papieri»-Direktor nach seinem<br />
Gusto gestalten und umbauen kann, ist aus Sicht der Käufer allerdings von seltener<br />
Geschmacklosigkeit: Das Haus ist von oben bis unten mit einem braunen, langhaarigen<br />
Teppich ausgelegt. «Es sah aus wie ein gigantisches Bärenfell», sagt Margrit von Planta,<br />
«und es bedeckte einfach alles, sogar Treppe, Bar und die Hocker dazu. Nur in den Bädern<br />
hatte es Fliesen.» Als zeitlich beschränkte Unterkunft, da waren sich die beiden einig, liess<br />
es sich aber durchaus hier wohnen.<br />
Während des Umbaus<br />
lebten die von Plantas<br />
in ihrer «Baubaracke»<br />
am Bergacker (rechts).<br />
Oben: Baubüro im<br />
Waschhäuschen im<br />
«Hammer».<br />
140 141
Über den raschen Entscheid freut sich besonders der Immobilienverwalter Claude Ebnöther.<br />
Ihm, der sich mit dem Direktor der Papierfabrik nicht sonderlich gut versteht, scheint es<br />
– ganz abgesehen vom Geld, das nun in seine Kassen fliesst – ein gewisses Vergnügen zu<br />
bereiten, die Liegenschaft so schnell als möglich zu verkaufen und diesen zum Umzug zu<br />
zwingen. So jedenfalls empfindet es Andrea von Planta, dem es natürlich nur recht sein<br />
kann, wenn er so schnell als möglich nach Cham ziehen kann.<br />
Die von Plantas mögen ihr neues «Haus auf Zeit». Es ist das älteste und höchste am Bergacker<br />
und bietet deshalb eine fantastische Aussicht über den See und in die Berge. Die Villa<br />
thront wie ein Adlerhorst über dem Dorf, während man vom «Hammer» aus vor allem auf<br />
zwei Bäche und viel Grün schaut. Nicht zuletzt deswegen werden ihre Gäste sie immer<br />
wieder fragen, warum um Himmels Willen sie nicht hier bleiben wollten. Doch ihnen geht<br />
es nicht um die Aussicht, ihnen geht es um den «Hammer», den sie in seiner Ganzheit als<br />
«wohlproportioniertes Anwesen» betrachten und in den sie sich schon fast ein bisschen<br />
verliebt haben.<br />
Von Dezember 1984 bis Juli 1988 ist die Direktorenvilla das Zuhause der Familie von Planta.<br />
Und der heizbare Pool im Garten wird sie später auf die Idee bringen, den «Hammer» mit<br />
einem Schwimmbad aufzuwerten.<br />
Eine Überraschung nach der anderen: der Umbau<br />
Hans-Peter Bärtsch,<br />
der bauleitende Architekt,<br />
1984 beim Start<br />
des Umbaus und 2014<br />
nach dem Verkauf an<br />
Ariel Lüdi.<br />
Als Margrit und Andrea von Planta den «Hammer» kaufen, ist der Zürcher Architekt Creed<br />
Kuenzle Verwaltungsratspräsident der Papierfabrik. Und dies nicht zufällig: Schon sein Vater<br />
Adolf P. Kuenzle, ein Schwiegersohn Leo Bodmers, der die «Papieri» zusammen mit Robert<br />
Naville von 1912 bis Ende der 1950er-Jahre leitet, hat dieses Amt inne. Kuenzle gibt von<br />
Planta den Rat, sich für den Umbau mit einem <strong>gross</strong>en, erfahrenen Architekturbüro zusammenzutun:<br />
mit seinem eigenen, der Bühler Kuenzle Gerber Architekten AG.<br />
Nach der Projektierung durch Hans Gerber wird der junge Hans-Peter Bärtsch, der eben in<br />
die Geschäftsleitung aufgestiegen ist, zum bauleitenden Architekten bestimmt. Während<br />
sieben Jahren trägt er die Verantwortung für die komplexe Baustelle und bewältigt diese<br />
Aufgabe souverän. Nicht zuletzt seiner erfolgreichen Arbeit im «Hammer» verdankt er<br />
schliesslich seine Wahl in den Verwaltungsrat der Bühler Kuenzle Gerber Architekten AG.<br />
Bis in die Ära Lüdi wird er die Bauarbeiten und den Unterhalt im «Hammer» überwachen<br />
und koordinieren.<br />
Bärtsch richtet sich im Waschhäuschen beim Mühlehaus ein Baubüro ein und macht sich<br />
an die Bestandesaufnahme. Er bespricht sich immer wieder mit Andrea von Planta, der<br />
sehr klare Vorstellungen hat, und erstellt aufgrund von dessen Ideen ein paar Studien. Er<br />
geht von einer sanften, einfachen Sanierung der Anlage aus und kommt auf Gesamtkosten<br />
von 2,5 Millionen Franken für alles. Bärtsch betrachtet das als ziemlich viel und «beichtet»<br />
von Planta, dass das in der Tat das Minimum sei. Dieser lässt sich durch die Summe – die<br />
dem Kaufpreis entspricht! – nicht sonderlich beeindrucken und holt im Keller eine Flasche<br />
Weisswein. Als sie miteinander auf das Projekt anstossen, sagt er trocken: «Wenn ich mir<br />
ansehe, was Sie da pro Haus budgetieren, erscheint mir das viel zu wenig, auch wenn es<br />
insgesamt eine Menge Geld ist.»<br />
142 143
Eine sanfte Renovation<br />
sieht anders aus – und<br />
dennoch ging es den<br />
von Plantas um den<br />
Erhalt des historischen<br />
Erbes im «Hammer».<br />
144 145
Andrea von Planta sollte Recht behalten. Nicht etwa deshalb, weil Bärtsch falsch budgetiert<br />
hätte; der Architekt rechnet einfach nicht mit so vielen unvorhersehbaren Überraschungen<br />
bei der Renovation – und den ausgefallenen Ideen des Bauherrn, für den es immer noch<br />
ein bisschen «gefreuter» sein muss. Von Planta, welcher der Meinung ist, 90 Prozent der<br />
Kosten seien ohnehin gegeben und nur mit den letzten 10 Prozent könne man noch «etwas<br />
Lustigeres» machen (was der Architekt kaum unterschreiben würde), lebt – wie er selber betont<br />
– ganz nach dem Motto Napoleons: «Si vous faites des bêtises, il faut au moins qu’elles<br />
réussissent – wenn Sie schon Fehler machen, sollten sie wenigstens gelingen.»<br />
Und so zieht sich der Umbau, der nach einer rund einjährigen Projektierungsphase beginnt,<br />
nicht bloss in die Länge, «das Kostendach», so von Planta, «musste durch die normative<br />
Macht des Faktischen immer wieder erhöht werden.» Allein das Schwimmbad, das später<br />
im Stil einer Orangerie gebaut wird, kostet so viel, wie Hans-Peter Bärtsch einst für die<br />
Sanierung der ganzen Liegenschaft budgetiert hatte …<br />
Die Idee löst allerdings schon bei ihren Freunden, mit denen sie sich eine Art Alters-WG<br />
vorstellen könnten, nicht die erhoffte Begeisterung aus. «Cham», sagt Margrit von Planta,<br />
«scheint von Zürich unendlich weit entfernt zu sein. Niemand konnte sich vorstellen, hierher<br />
zu ziehen.» Ein weiterer Dämpfer folgt, als Andrea von Planta seine Idee mit den Verantwortlichen<br />
des «Tertianums» bespricht. Die junge, stark expandierende Spezialistin für Seniorenresidenzen<br />
rechnet ihm vor, dass es mindestens sechzig Einheiten brauche, um eine solche<br />
Institution rund um die Uhr kostendeckend betreiben zu können. Und aus ist der Traum …<br />
Dennoch halten Margrit und Andrea von Planta an ihrem Konzept mit den vielen Wohnungen<br />
fest. Sie stehen in der Villa nun einfach der eigenen Familie und Gästen zur Verfügung;<br />
jene im Mühlehaus werden vermietet, die in den Pferdestallungen bekommt das Personal.<br />
Im «Hammer» kehrt wieder Leben ein. Doch sind es vorerst nicht Gäste, sondern Bauarbeiter<br />
und Handwerker, die hier ein- und ausgehen. Jahrelang.<br />
Der «Hammer» ist in einem schlechten Zustand. Mehr noch: Er ist <strong>gross</strong>enteils schon<br />
schlecht gebaut. Das liegt nicht nur daran, dass man nicht genügend Geld in die Bauten<br />
investieren wollte oder konnte: Das Material war oft nicht in ausreichender Menge vorhanden<br />
und musste gestreckt werden. Mauerwerke, die mit Zeitungen gestopft wurden, sind keine<br />
Ausnahme. Und so erlebt Andrea von Planta beim Umbau eine Überraschung nach der anderen.<br />
Weil er und Hans-Peter Bärtsch bald einmal wissen, dass sie besser eine Probe zu viel<br />
als zu wenig machen, geben sie sich alle erdenkliche Mühe, die Bausubstanz seriös zu prüfen<br />
– mit wenig Glück. «Mit echter Boshaftigkeit lagen wir immer fünfzig Zentimeter neben dem<br />
neuralgischen Punkt», erinnert sich von Planta, «man hätte verzweifeln können.» Doch das<br />
tut er nicht. Andrea von Planta ist kein Mann, der sich seine gute Laune so schnell verderben<br />
lässt. Ausserdem ist für ihn das Durchhalten oft die bessere Option. Und was er sich in den<br />
Kopf gesetzt hat, zieht er auch durch. «Ausserdem», sagt seine Frau rückblickend, «was wollen<br />
Sie denn tun, wenn Sie mitten im Umbau stecken? Weitermachen!»<br />
Die Idee von Margrit und Andrea von Planta ist es, aus dem «Hammer» eine Familien- und<br />
Altersresidenz zu machen; in die Überlegungen wird sogar das Hammergut als eventuelle<br />
Erweiterungsmöglichkeit mit einbezogen. Die Villa wird deshalb von Anfang an so umgebaut,<br />
dass sich sechs bis sieben grösstenteils barrierefreie Wohneinheiten integrieren<br />
lassen. Ein Lift soll den barrierelosen Zugang zu allen Räumen gewährleisten. Die Küche<br />
hat Gastronomiestandard. Auch die Nebengebäude werden ins Konzept integriert. Dort<br />
sollen unter anderem Personalwohnungen entstehen.<br />
146 147
Alles Gute kommt von oben:<br />
Das Dach des neu erstellten<br />
Gartenpavillons wurde als<br />
Ganzes mit dem Pneukran auf<br />
das Gebäude gehievt. Jenes des<br />
deutlich grösseren Waschhäuschens<br />
nebenan wurde in zwei<br />
Teilen montiert.<br />
148 149
Barock bis unters Dach: die Hammer-Villa<br />
Bereits drei Bauetappen sind es, die das einstige «Chalet» zum Landschlösschen machen,<br />
als Andrea von Planta den Umbau in Angriff nimmt. Der bisher grösste Eingriff geht<br />
auf Emy Naville-Vogel zurück. Zusammen mit ihrem Mann Robert Naville senior hat sie<br />
1929/30 den abbruchreifen alten «Hammer» gewissermassen kopiert und das bestehende<br />
Gebäudeensemble in Anlehnung an die alte Villa in einen repräsentativen Herrschaftssitz<br />
nach französischem Vorbild umgebaut. Man hat dabei nicht wirklich geklotzt, aber ein<br />
bisschen was hermachen sollte das Haus schon.<br />
Obwohl der Chalet-Teil nach wie vor besteht und der «Hammer» im Grunde ein Riegelbau<br />
ist, präsentiert er sich, als ob er durchwegs gemauert wäre. Überhaupt scheint er ein<br />
bisschen mehr, als er wirklich ist: Die Bausubstanz lässt nämlich zu wünschen übrig. Die<br />
Heizung ist hoffnungslos veraltet und ineffizient; es gibt einen Elektrokessel und eine kleine<br />
Ölheizung, ausserdem finden sich im Haus eine Reihe wertvoller Kachelöfen – die aber<br />
keineswegs nur Dekorationszweck haben. Im Winter müssen Vorfenster montiert werden,<br />
damit die Kälte draussen und die Wärme drinnen bleibt.<br />
Der schlechte Zustand der Liegenschaft ist nicht in erster Linie auf schlechte Arbeit zurückzuführen.<br />
Es ist auch eine Folge des minimalen Unterhalts; die «Papieri» als Besitzerin des<br />
«Hammers» hat am Ende schlicht zu wenig Interesse und auch nicht die überschüssigen<br />
Mittel, um mehr zu investieren, als unbedingt nötig ist. Vermutlich hat man aber bereits<br />
beim <strong>gross</strong>en Umbau nicht mehr ausgegeben als nötig: Da zur Zeit von Emy und Robert<br />
Naville der <strong>gross</strong>e Kosten- und Knackpunkt nicht die Arbeit, sondern das Material ist, wird<br />
ein Teil des Interieurs, etwa des Täfers und des Parketts, aus der alten Hammer-Villa ausund<br />
in der neuen wieder eingebaut. Das mag auch emotionale Gründe gehabt haben: Emy<br />
und Robert Naville haben den alten «Hammer» ja nicht deshalb verlassen, weil sie Lust auf<br />
etwas Neues, Grösseres gehabt hätten, sondern weil er nicht zu retten war. Andererseits<br />
liegt es auf der Hand, dass die Familien-AG, die vermutlich den Löwenanteil der Kosten<br />
übernimmt, grundsätzlich auf die Sparbremse tritt, weil nur eine der vier Schwestern tatsächlich<br />
davon profitiert: Roberts Frau Emy.<br />
So sehen sich Andrea von Planta und sein bauführender Architekt gut fünfzig Jahre später<br />
immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Und weil sie es besonders gut machen<br />
wollen, laufen ihnen die Zeit und die Kosten aus dem Ruder. Ein Glück, hat sich von Planta<br />
auch die Worte des ebenfalls an der Architekten AG beteiligten Hans Gerber zu Herzen<br />
genommen. Dieser rät ihm eindringlich, nur gerade an jenem Gebäude Gerüste zu stellen,<br />
an dem auch wirklich gearbeitet werden soll; bei Sanierungs- und Umbauarbeiten seien<br />
Verzögerungen normal, und man komme dann weniger unter Druck.<br />
Barock im Stil, liebevoll im<br />
Detail: Die neue Hammer-Villa<br />
wurde während vier Jahren<br />
umgebaut und wenn immer<br />
möglich in ihrem Charakter<br />
erhalten. Andrea von Planta<br />
machte sich auf die Suche nach<br />
jenen Elementen, die von ihrer<br />
Geschichte her passten.<br />
150 151
Die Gerüste an der Villa stehen lange. Die Eingriffe sind massiv. Dass man für den Umbau<br />
nicht irgendeine Firma engagiert, sondern auf Rat von Hans-Peter Bärtsch auf eine auf<br />
Umbauten spezialisierte Truppe der Zürcher Firma Locher setzt, zahlt sich aus. Die Männer<br />
– alle aus demselben Dorf in Spanien – verstehen sich und ihr Handwerk und leisten ganze<br />
Arbeit. Sie gehen nicht mit der Brechstange, sondern mit Sorgfalt ans Werk. Andrea von<br />
Planta ist glücklich, dass die Firmen aus der Region überlastet waren und wenig Interesse am<br />
Auftrag hatten. «Ihre Offerten», erinnert sich der Bauherr, «konnte man nur so verstehen:<br />
Wir wollen lieber nicht.»<br />
Die verschiedenen Ausbauetappen, die von aussen nicht auf den ersten Blick erkennbar<br />
sind, machen sich innen umso bemerkbarer. So gibt es beispielsweise unterschiedliche<br />
Niveaus, die von mächtigen doppelten Decken kaschiert werden. Schlecht gebaute Wände<br />
müssen eingerissen und neu gemacht werden. Die ganzen «Eingeweide» werden herausgerissen<br />
und ersetzt; allein der Elektriker verlegt dreissig Kilometer Röhrchen … Die Wünsche<br />
des Bauherrn fordern die ganze Kreativität des Architekten. Und weil der «Hammer» als<br />
schützenswert gilt, redet die Denkmalpflege mit.<br />
Josef Grünenfelder, der zu dieser Zeit der Denkmalpfleger des Kantons Zug ist, begleitet<br />
den Umbau von Anfang an. Er wird für ihn zu einem erfreulichen Projekt, weil er für einmal<br />
weniger verhindern muss, als kreativ mitarbeiten darf. Unter seinem wachsamen Auge<br />
erfährt die Liegenschaft eine Reihe von massiven Änderungen und Erweiterungen, ohne<br />
dass sie ihren ursprünglichen Charakter verliert. Das gilt auch für die Villa, die zwar in<br />
kunsthistorischer Hinsicht weniger wertvoll ist als Mühlehaus und Pferdestall, aber sie ist<br />
historisch interessant, weil sie ein Spiegel der Besitzergeschichte ist, eng verbunden mit<br />
der Papierfabrik (siehe Interview S. 204).<br />
Der mächtige Kachelofen<br />
im Dachstock<br />
der Villa ist eine Arbeit<br />
der berühmten Freiburger<br />
Hafner-Dynastie<br />
Stern.<br />
Die von Plantas haben klare Vorstellungen: Sie wollen viel Raum. Eine Wohnung für Mutter<br />
von Planta, die allerdings noch während des Provisoriums im Bergacker sterben wird, eine<br />
für Hausangestellte, Platz für sich, die Familie und Gäste. Der wirklich <strong>gross</strong>e Eingriff passiert<br />
im ersten Stock der Villa. Hier wird an der Raumaufteilung derart viel geändert, dass sich<br />
sogar mit dem Haus Vertraute später kaum mehr richtig zurechtfinden. Doch kann dort –<br />
im denkmalschützerischen Sinn – nicht viel zerstört werden. Anders als im Erdgeschoss,<br />
wo alte Parkettböden und Antiquitäten den historischen Charakter prägen. Hier wird zwar<br />
auch im <strong>gross</strong>en Stil saniert, aber wenig verändert. Das ist nicht nur der Wunsch des Denkmalpflegers,<br />
das ist auch ganz im Sinn von Andrea von Planta. Er will möglichst viel erhalten.<br />
Und ihm gefallen die <strong>gross</strong>en, repräsentativen Räume, deren Täfer er im Stil des 18. Jahrhunderts<br />
«elegant abtönen» lässt.<br />
152 153
ang zum Historismus:<br />
Hang zum Historismus:<br />
die Rixheimer Tapete und<br />
ie Rixheimer Tapete<br />
andere Originale<br />
Andrea von Planta ist ein leidenschaftlicher Sammler. Und er liebt Objekte mit Geschichte.<br />
Im Mühlehaus und in der Hammer-Villa finden sich deshalb verschie dene,<br />
andere Originale<br />
vor allem barocke und neobarocke Elemente, die aus abgebrochenen oder ausgekernten<br />
historischen Bauten stammen: wertvolle Türen und Täfer aus dem «Ochsen» in<br />
Alt dorf, von italienischen Künstlern Anfang des 18. Jahrhunderts bemaltes Täfer<br />
aus dem Haus zur Sagenmatt in Schwyz, ein Turmofen aus dem Zürcher Haus zum<br />
Ochsen, eine prunkvolle Treppe aus alten Zürcher Villa, in mit seiner Familie<br />
vor dem Umzug nach Cham gewohnt hatte. Die Liste liesse sich fast beliebig verlängern.<br />
Aber von Planta denkt und handelt pragmatisch. Weil sich der alte Parkettboden aus<br />
massivem Holz in Kombination mit einer Bodenheizung gar nicht verwenden lässt<br />
in der Hammer-Villa, lässt er ihn einfach längs halbieren und die Nutzschicht auf<br />
bodenheizungstaugliche Lagen aufziehen. Und als sich die historische, achteckige<br />
Stützsäule im «Schmiederaum» als zu schwach herausstellt, zögert er nicht, ihr einen<br />
massiven Kern aus Stahl zu verpassen. Schliesslich muss ein Haus am Ende nicht nur<br />
ansprechend aussehen, sondern statisch funktionell und in Ordnung sein. Den mächtigen<br />
Dampfabzug aus der Küche kaschiert er mit einer extra angefertigten Rosette<br />
im barocken Stil an der Aussenfassade über der Haustür; sie sieht aus, als ob sie<br />
schon immer dort gewesen wäre. Da die Stuckdecke im ersten Obergeschoss der Villa<br />
nicht mehr gerettet werden kann, macht er sie «sinngemäss neu», wie er selber sagt.<br />
Besonders aufwendige Elemente zeichnet sein Innenarchitekt Walter Zwahlen gleich<br />
selber und lässt sie eigens für den «Hammer» anfertigen.<br />
«La grande chasse»<br />
im Vestibül<br />
des ersten Obergeschosses.<br />
Die seit 1797 bestehende französische Tapetenfabrik ist heute – jedenfalls nach<br />
eigenen Angaben – die weltweit letzte Produktionsstätte für Tapeten und Stoffe, die<br />
noch traditionell mit Holzmodellen arbeitet. Im Archiv der Firma lagern über 100 000<br />
gravierte Holzblöcke aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Sie stehen als «historische Monumente»<br />
sogar unter Denkmalschutz. Der Produktionsprozess ist allerdings unvorstellbar<br />
aufwendig, was dazu führt, dass die Tapeten von Zuber nur in sehr kleinen<br />
Auflagen produziert werden und enorm teuer sind.<br />
Im «Hammer» schmücken gleich zwei Rixheimer Panoramatapeten von Zuber die<br />
Wände: «La grande chasse» und «Eldorado», das im 19. Jahrhundert die Wände vieler<br />
Salons und Korridore schmückt. «Eldorado» zeigt einen Blumengarten, in dem architektonische<br />
Versatzstücke auf die vier Erdteile verweisen. Die mit Blumen bewachsene<br />
Terrasse in der Mitte etwa weist auf Europa hin, das aus dem Wald herausragende<br />
Minarett auf Asien. Die ganze Tapete setzt sich aus insgesamt 24 Bahnen zusammen,<br />
die mit 1554 Holzmodeln bedruckt werden. Die 13 Meter lange Landschaft wurde von<br />
drei Künstlern 1848 speziell für den Tapetendruck gemalt. Dann haben Formschneider<br />
sie auf die 1554 Holzdruckstöcke übertragen, und die Bildelemente wurden mit zweihundert<br />
Farben nacheinander per Hand auf 24 Tapetenbahnen gedruckt. Die Herstellungskosten<br />
sollen seinerzeit so hoch gewesen sein, dass «Eldorado» erst nach einer Auflage<br />
von über 300 Stück Gewinn abwarf. Heute muss man dafür einen fünfstelligen<br />
Frankenbetrag aufwenden. Der Druck einer kleinen Auflage von «Eldorado» dauert<br />
rund ein Jahr.<br />
Die komplizierte, etappenweise Baugeschichte der Hammer-Villa macht den Umbau<br />
nicht einfacher. Vor allem die unterschiedlichen Bodenniveaus werden nun ausgeglichen.<br />
Das führt allerdings dazu, dass sich die Raumhöhen teilweise massiv ändern.<br />
Zum Problem wird dies, als die historischen Panoramatapeten nun plötzlich zu kurz<br />
werden: Ihnen fehlt oben ein halber Meter. Die Tapeten selber lassen sich schon deshalb<br />
unmöglich erhalten, sie sind aber auch sonst nicht mehr im besten Zustand und<br />
zeigen viele Alters- und Wasserschäden. Da aber sowohl Denkmalpfleger Josef Grünenfelder<br />
als auch Andrea von Planta und sein Innenarchitekt Walter Zwahlen das historische<br />
Ambiente bewahren möchten, machen sie sich auf die Suche nach einem<br />
Ersatz – und finden ihn tatsächlich: bei Zuber & Cie. Im Elsass.<br />
Es ist allerdings nicht die berühmte Zuber-Panoramatapete «Eldorado» im Korridor<br />
des zweiten Obergeschosses, die im «Hammer» ersetzt werden soll, sondern «La<br />
grande chasse» im Vestibül des ersten Obergeschosses. Man findet einen qualitativ<br />
guten Druck aus den 1960er-Jahren, der dem zentralen Raum bis heute ein «fröhliches<br />
Ambiente verleiht, das zu einer ‹Campagne› gut passt», so Andrea von Planta.<br />
«Die Geschichte der Rixheimer Tapete in der Hammer-Villa», so Josef Grünenfelder<br />
rückblickend, «ist ein interessantes Beispiel für den Umgang mit dem innenarchitektonischen<br />
Erbe.»<br />
154<br />
155
Doch Andrea von Planta will noch mehr Wohnraum. Es ist sein erklärtes Ziel, möglichst<br />
viel Nutzfläche aus der Villa herauszuholen, und er nimmt sich den Dachstock vor, wo<br />
bloss drei einfache Zimmer untergebracht sind und sich die «Hammer-Kinder» im Halbdunkel<br />
des Estrichs einst austoben konnten. Er baut den ganzen Dachstock zu einer Art<br />
Loft aus: mit einem riesigen Wohn- und Arbeitsraum inklusive Küche und Nasszellen. Auf<br />
einer zweiten Ebene integriert er ein weiteres Zimmer mit Bad. In der Mitte des Raums<br />
steht ein schmucker Kachelofen, welcher der berühmten Freiburger Hafner-Dynastie Stern<br />
zuzuschreiben ist. Die ausgefallenste Idee ist aber der Einbau der mächtigen, im reinsten<br />
Jugendstil geschnitzten Holztreppe aus der Zürcher Villa, in der die von Plantas zuletzt<br />
lebten und die jedem Schloss gut anstehen würde: Sie führt lediglich unters Dach – und<br />
endet auf dem Vorplatz des «Serails», wie er die Räumlichkeiten unter dem Dach liebevoll<br />
nennt … Dass sie aufwendig restauriert, umgebaut und ergänzt werden musste, sieht man<br />
ihr nicht mehr an: Sie ist, wie das meiste im Haus, perfekte Handwerksarbeit.<br />
Der Zusatzraum lässt sich gewinnen, ohne dass das Dach angehoben werden muss. Nur an<br />
Tageslicht fehlt es. Also plant er einen massiven Ausbau des Dachs mit Lukarnen, mondund<br />
halbmondförmigen Fenstern. Um zu sehen, wie sich der Einbau dieser Fenster auf den<br />
Gesamteindruck auswirkt, werden Maquetten im Massstab 1:1 hergestellt und auf dem<br />
Dach montiert. Dabei macht von Planta eine Entdeckung, über die er heute noch lächelt:<br />
Ein Haus braucht eine Stirn, eine fensterlose Fläche unterhalb des Giebels, die eine gewisse<br />
Grösse hat. «Hat es keine Stirn», erklärt er schmunzelnd, «sieht es saudumm aus. Stellen<br />
Sie sich vor: ein Haus, das dumm aussieht …»<br />
Andrea von Planta verfolgt keinen spezifischen Stil. Er hat ganz einfach Freude an den<br />
unterschiedlichsten Objekten «in ihrer eigenen Aussage», die zeitlich, also historisch gesehen,<br />
einigermassen harmonieren. Im «Hammer» finden sich bis unters Dach barocke<br />
Elemente, die nach seinem Empfinden Leichtigkeit vermitteln sollen. Man könnte sagen,<br />
er habe den alten Charme des «Lotteri-Hammers», wie Jacqueline Naville ihr ehemaliges<br />
Zuhause liebevoll nennt, unter vielen barocken Elementen begraben. Doch gerade dies<br />
macht den Charakter des Gebäudes aus: Es trägt immer die Handschrift seiner Besitzer.<br />
Und das ist es schliesslich, was es, auch historisch gesehen, wertvoll macht.<br />
Während Hans-Peter Bärtsch vor allem für alles Bauliche verantwortlich ist, kümmert sich<br />
Andrea von Planta zusammen mit seinem Innenarchitekten um das Interieur. Er versteht<br />
sich hervorragend mit dem Berner Oberländer Walter Zwahlen aus Guggisberg, den er zufällig<br />
im «Haus zum Paradies» in der Zürcher Altstadt kennenlernt. Zwahlen, der gleich um<br />
die Ecke an der Zürcher Kirchgasse ein Antiquitätengeschäft führt, ist auch ein gefragter<br />
Innenarchitekt und Restaurator. In dieser Funktion kommt er bei der Sanierung der Liegenschaft<br />
«zum Paradies» zum Zug.<br />
Margrit und Andrea von Planta<br />
arbeiteten eng mit dem Berner<br />
Innenarchitekten Walter Zwahlen<br />
zusammen. Dieser war auch<br />
verantwortlich für die Gestaltung<br />
des Wintergartens eines<br />
Mieters zwischen Mühlehaus<br />
und Waschhäuschen, mit dem<br />
er «Werbung in eigener Sache»<br />
betrieb.<br />
156 157
Andrea von Planta interessiert sich vor allem für ein besonders schönes Täfer, von dem eine<br />
Wand beweglich ist und zur Küche hin geschlossen werden kann. Dieser als «Panneau»<br />
bemalte, verschiebbare Teil scheint ihm die perfekte Lösung für sein künftiges Büro im<br />
«Hammer». Er lädt Zwahlen nach Cham ein und merkt schnell, dass ihre Auffassungen<br />
perfekt harmonieren. Zu sagen, dies sei der Beginn einer wunderbaren Freundschaft gewesen,<br />
mag etwas übertrieben wirken. Mit Sicherheit aber ist dies der Anfang einer fruchtbaren,<br />
langen Zusammenarbeit. «Von da an», sagt Andrea von Planta, «hatte Zwahlen überall<br />
die Hände im Spiel. Denn aufgrund seiner Berner Herkunft hat er das historisierende Haus<br />
im Stil der ‹welschen Campagne›, aber auch die Seele der anderen Bauten, verstanden.»<br />
Zwahlen macht weit mehr als die bewegliche Holzwand im Büro. Er macht Pläne für die<br />
Täferung des Dachstocks, der alles andere als symmetrisch ist, danach aber so wirkt. «Ein<br />
Meister der Täuschung» sei er gewesen, sagt Hans-Peter Bärtsch anerkennend. Zwahlen<br />
zeichnet auch eigenhändig die Stuckmuster für die Gipsdecken im ersten Stock, gräbt aus<br />
seinem schier unerschöpflichen Fundus passende Antiquitäten aus, besorgt in ganz Europa<br />
Baumaterial, das dem barocken Stil des «Hammers» gerecht wird. Und er findet immer<br />
die richtigen Handwerker. «Er kannte für alles und jedes einen Spezialisten», erinnert sich<br />
Andrea von Planta. «Auf sein Urteil konnten wir uns verlassen.»<br />
Zwahlen und von Planta sind Feuer und Flamme für ihr Projekt. So sehr, dass sie Margrit<br />
von Planta immer wieder bremsen muss. Unterstützung erhält sie dabei von Hans-Peter<br />
Bärtsch, der nicht nur die meist beeindruckenden Kostenfolgen sieht, sondern auch zu verhindern<br />
versucht, dass das Haus «overstyled» wird. Zwahlen und er seien die Unvernünftigen<br />
gewesen, gesteht derweil Andrea von Planta. «Aber wir haben gegenüber meiner Frau<br />
auch immer wieder nachgegeben – wobei sie das vermutlich ein wenig anders sieht.»<br />
Andrea von Planta ist ein Sammler. Dauernd schleppt er neue Errungenschaften an: Täfer,<br />
Türen und Parkett aus alten Liegenschaften. Kunstobjekte und historisches Baumaterial.<br />
Sogar eine ganze Kegelbahn. Was ihm erhaltenswert scheint, kann er nicht wegwerfen.<br />
So auch viele Stücke, die in der Villa ausgebaut werden. Hans-Peter Bärtsch lässt auf der<br />
Lorzenterrasse beim Waschhäuschen ein riesiges Zelt aufstellen, wo das Material gelagert<br />
wird. Es ist so viel, dass er einen Katalog führen muss, um die Übersicht nicht zu verlieren.<br />
Doch Andrea von Planta hat nicht nur Freude an gutem Handwerk: Er liebt Dinge mit<br />
eigener Geschichte. Auch deswegen stammen Parkettböden und Täfer aus alten Herrschaftshäusern,<br />
kauft er in Paris eine Serie von Keramikplatten und baumelt im Dachstock<br />
der Villa von der Decke ein Lüster, der in den 1920er-Jahren das Verwaltungsratszimmer<br />
der Zürcher Bank Leu erleuchtet hat. Wie sagte er doch noch? «Der Hammer ist keine<br />
Geschichte der Vernunft, aber er macht Freude.»<br />
«Welsche Campagne»<br />
nennt Andrea von<br />
Planta den Stil der<br />
Hammer-Villa. Die<br />
Pergola wurde durch<br />
einen Wintergarten<br />
ersetzt.<br />
Weniger Freude hat er allerdings, als ihm bei der Sanierung eines Badezimmers im ersten<br />
Stock fast der Boden unter den Füssen wegsackt. Er weiss zwar, dass man dort sicherheitshalber<br />
schon lange nicht mehr gebadet hat, aber er kann sich nicht vorstellen, wie mies die<br />
Bausubstanz hier tatsächlich ist: Jahrzehntelang läuft hier Wasser der Wand entlang in die<br />
Bodenkonstruktion. Als diese geöffnet wird, stellt sich heraus, dass die Balkenköpfe total<br />
verfault sind und der Boden sich nur noch auf den Gipskehlen abstützte …<br />
Vier Jahre nach Beginn des Umbaus – die Hammer-Villa hat jetzt statt der verrotteten Pergola<br />
einen <strong>gross</strong>en Wintergarten an der Westseite – ziehen Andrea und Margrit von Planta ein.<br />
Glücklich und stolz auf ihr neues Zuhause, das sie mit viel Leidenschaft und <strong>gross</strong>em Aufwand<br />
genau nach ihren Bedürfnissen gestaltet haben. Keinen Moment denken sie an einen Verkauf.<br />
158 159
Stein um Stein: das Mühlehaus<br />
Kaum haben Emy und Robert Naville ihr «Schlösschen» 1930 bezogen, wird das Mühlehaus,<br />
das älteste und bedeutendste Gebäude der ganzen Liegenschaft, ein Raub der Flammen.<br />
Es brennt 1931 aus ungeklärten Gründen ab, wird aber im selben Stil wieder aufgebaut.<br />
Allerdings nicht in derselben Qualität, wie sich später herausstellt. Die Substanz des<br />
«neuen» Mühlehauses ist praktisch durchs Band schlecht, was beim Umbau 1990/91 zu<br />
dramatischen Situationen führt.<br />
Ungeheures Glück haben die von Plantas bereits zu Beginn der Umbauarbeiten, als eines<br />
Tages der Küchenboden der Wohnung, in der noch zwei Wochen zuvor der Melker des<br />
Hammerguts mit seiner Familie wohnte, einstürzt und einen Stock tiefer in der Schmitte<br />
landet. Wie sich später herausstellt, hing er lange Zeit praktisch nur noch an den Elektrorohren;<br />
kaum waren diese herausgerissen, sackte das Ganze ab. Dass dies über die<br />
Mittagspause geschieht, ist eine glückliche Fügung des Schicksals. «Nicht auszudenken,<br />
was passiert wäre, wenn die Arbeiter am Werk gewesen wären», erinnert sich Margrit von<br />
Planta mit einem Schaudern.<br />
Das Mühlehaus ist eigentlich der dritte «Hammer». Die Hammerschmitte und spätere<br />
«Chupferstrecki» wird 1690 direkt auf jener Felsschwelle in der Lorze errichtet, in die der<br />
Kanal für das unterschlächtige Wasserrad gehauen wird. Das Erdgeschoss, in dem sich die<br />
Schmiede befindet, wird aus Sicherheitsgründen für teures Geld gemauert, das Dach wird<br />
– ebenfalls eine Brandschutzmassnahme – mit Ziegeln gedeckt. Im Stockwerk über der<br />
Werkstatt befinden sich Wohnräume.<br />
Wann das Ökonomiegebäude auf der anderen Seite des Kanals gebaut wird, ist nicht klar.<br />
Sicher ist hingegen, dass es 1852 durch das sogenannte Magazingebäude ersetzt wird. Im<br />
Zusammenhang mit dem Ausbau des «Hammers» zum Kleinkraftwerk ist der Verbindungsbau<br />
zwischen den beiden Gebäuden zu sehen, in dem sich noch heute die Turbine befindet.<br />
Echte Idylle:<br />
Das frisch herausgeputzte<br />
Mühlehaus<br />
und die Hammer-Villa<br />
spiegeln sich im<br />
Wasser der Lorze.<br />
Als Andrea von Planta die Liegenschaft kauft, will die «Papieri» das Magazingebäude und<br />
das Turbinenhaus nicht auch noch dazu geben, denn die Grundstücksgrenze verläuft dem<br />
Ufer der Lorze entlang. Doch sein Argument, man müsse das Ensemble, das als Ganzes<br />
unter Ortsbildschutz steht, zusammenhalten, überzeugt. Allerdings bekommt er die beiden<br />
Bauten lediglich zur Nutzniessung – und unter der Auflage, sie zu sanieren; elf Jahre<br />
braucht er deswegen keinen Zins dafür zu bezahlen. Und so beginnt 1991 der Umbau des<br />
Mühlehauses, der am Ende gewissermassen in einem unplanmässigen «Abbruch» gipfelt …<br />
160 161
1931 wurde das Mühlehaus ein<br />
Raub der Flammen. Es brannte<br />
aus unerfindlichen Gründen ab.<br />
Die Polizeidirektion des Kantons<br />
Zug schickte Robert Naville<br />
Aufnahmen. Klären konnte sie<br />
den Fall nicht. Das Mühlehaus<br />
wurde im alten Stil wieder aufgebaut.<br />
162 163
Vorgesehen ist, die beiden Obergeschosse zu Wohnungen mit hohem Standard auszubauen,<br />
während in der ehemaligen Schmiede wie zuvor eine Waschküche und Technikräume eingerichtet<br />
werden sollen. Doch genau dies ist dem Denkmalpfleger Josef Grünenfelder ein<br />
Dorn im Auge: Er betrachtet das Mühlehaus als besonders wertvoll und möchte den Charakter<br />
der Schmiede als «ältesten vorindustriellen Gewerberaum des Kantons» erhalten.<br />
Mit diesem Argument rennt er bei Andrea von Planta offene Türen ein, denn der Raum wirkt<br />
ohne Einbauten viel <strong>gross</strong>zügiger und schöner. Als leidenschaftlicher Hobby-Historiker<br />
kann er Grünenfelders Argumente ausserdem gut nachvollziehen, und er ist bereit, die Pläne<br />
zu ändern. Um Haustechnik und Waschküche doch noch im Mühlehaus unterbringen zu<br />
können, wird gegraben: Ein Teil des Schmiederaums wird unterkellert – mit fatalen Folgen.<br />
Das Fundament des Gebäudes, auch wenn es aus Bruchsteinen aus dem eigenen Steinbruch<br />
gleich in der Nähe im Giebelwäldli gemauert ist, erweist sich als zu wenig stark und bricht<br />
dort, wo es an die Lorze grenzt, weg. Das Haus wird geflutet und läuft Gefahr, einzustürzen.<br />
Das Team von Planta-Bärtsch ist einmal mehr gefordert – und reagiert erneut schnell. Böden<br />
werden abgestützt, die Lorze in die Schranken gewiesen. Die baufällige Mauer westlich des<br />
Unterwasserkanals muss neu gebaut werden. Und wenn man schon mal an der Arbeit ist,<br />
soll sie auch richtig gemacht werden: Die Mauer bekommt deshalb einen Fuss, der dem<br />
Bergdruck sicher standhält.<br />
So wird dem Kanal entlang mit schwerem Gerät ein langer Graben ausgehoben, in den die<br />
Winkelstützen eingesetzt werden. Als der Baumeister den Graben am Ende zuschütten<br />
will, stoppt ihn von Planta: «Da machen wir doch besser einen Keller draus», sagt er, «man<br />
kann nie wissen …». Natürlich überlegt er sich bereits eine ganze Reihe von Nutzungsmöglichkeiten.<br />
Als Raum für die Geothermie-Anlage, die im Turbinenhaus steht, das er von der<br />
«Papieri» gemietet hat? Als Lagerraum für Feldfrüchte und Chabisköpfe des Hammerguts?<br />
Als Schiesskeller für die Polizei? Oder sogar als Kegelbahn? Dann allerdings bräuchte es am<br />
Ende eine <strong>gross</strong>e Vertiefung für den Kugelfang. Und die macht man am besten, solange die<br />
Spundwände für die Kanalmauer noch stehen – also jetzt gleich, egal ob hier schliesslich<br />
eine Kegelbahn eingebaut wird oder nicht.<br />
Der Zufall will es, dass Andrea von Planta tatsächlich bald über ein besonders schönes<br />
Exemplar stolpert: Er besucht mit seinem Sohn Felix die Liquidation eines Hauses in Zürich-<br />
Wollishofen. Die beiden sind früh dran, um gleich beim ersten Einlass dabei zu sein. Sie<br />
sind auf der Suche nach einem Carambolage-Billardtisch, als der Liquidator ihn völlig unvermittelt<br />
fragt, ob er denn nicht Interesse hätte an einer elektromechanischen Kegelbahn.<br />
Von Planta kann nicht widerstehen: 50 Franken kostet ihn die Anlage, die er dann allerdings<br />
auf eigene Kosten ausbauen, transportieren und natürlich auch wieder im «Hammer»<br />
installieren muss.<br />
Als Andrea von Planta<br />
das Mühlehaus im<br />
Oktober 1988 unterkellerte,<br />
brach die<br />
Mauer gegen die Lorze<br />
ein. Das Gebäude<br />
drohte einzustürzen.<br />
164 165
So sieht sich die ansonsten wohlwollende Behörde genötigt, auf politisch korrekte Art einzugreifen,<br />
indem sie nach einer baulichen Massnahme sucht, die sie ablehnen kann, ohne<br />
Schaden anzurichten. Man einigt sich auf die «ohne Arg» bereits eingebauten Fenster der<br />
Kegelbahn auf den Unterwasserkanal hinaus und verpflichtet Andrea von Planta dazu, sie<br />
wieder verschwinden zu lassen! Dieser lässt die nötigen Holzverkleidungen – ein wenig<br />
Spott muss sein – mit Fensterszenen bepinseln und nennt seine Kunst am Bau verschmitzt<br />
«Der Sommermorgen in der unteren Etage».<br />
«Ein Sündenfall», sagt er lachend, «denn kein Mensch auf der Baustelle hatte auch nur die<br />
entfernteste Ahnung, wie man eine Kegelbahn baut.» Zum Glück findet er in Erich Rihm<br />
einen der letzten Schweizer Kegelbahnbauer. Architekt, Bauingenieur, Elektriker, Schlosser<br />
und Bauherr folgen aufmerksam – und immer besorgter – seinen Erläuterungen: Es braucht<br />
eine Menge baulicher Massnahmen, um eine Kegelbahn richtig zum Funktionieren zu bringen.<br />
Ausserdem, so Rihm, würde man anstelle der alten elektromechanischen Kegel-Stellmaschine<br />
viel besser eine zeitgemässe elektronische einbauen.<br />
Andrea von Planta gibt dem Elektriker Hans Bucher und dem Schlosser Anton Bühler zehn<br />
Stunden Zeit, um die Anlage zum Laufen zu bringen. Ansonsten sei er bereit, die Übung<br />
abzubrechen. Schon zwei Stunden später präsentieren ihm seine «Helden der Technik»<br />
die auf Malerböcken aufgestellte, funktionierende Anlage. Nun kann er einfach nicht mehr<br />
Nein sagen. «Das wäre vernichtende seelische Grausamkeit ihnen gegenüber gewesen»,<br />
sagt er lachend. «Das galt es zu vermeiden.»<br />
So wird die Kegelbahn also im neuen Keller des «Hammers» eingebaut und die gemütliche<br />
Sitzecke mit dem nostalgischen Arventäfer ausgekleidet, die Andrea von Planta aus dem<br />
elterlichen Haus bereits vorsorglich nach Cham gebracht hat.<br />
Dass er auf der ganzen Länge auch noch Fenster einbauen will, ist für den Denkmalpfleger<br />
zwar kein Problem, geht aber der Baukommission dann doch ein bisschen zu weit. Ganz<br />
abgesehen davon, dass eine Wohnnutzung an dieser Stelle nicht vorgesehen ist, kann sich<br />
Andrea von Planta auch aus politischen Gründen nicht alles erlauben: Vor allem die Chamer<br />
Bauern und Bürger, die sich mit dem aus Zürich zugezogenen Engadiner noch nicht richtig<br />
anfreunden konnten, haben ein wachsames Auge auf die vielen Baugesuche. Diese erfolgen<br />
gestaffelt und – dem Ergebnis des Bauermittlungsgesuchs entsprechend – ordnungsgemäss.<br />
Aber gerade das erweckt den Anschein, man bewillige von Plantas Ideen am Laufmeter, und<br />
am Stammtisch wird schon mal gepoltert, dass man diesem mehr erlaube als ihnen selber.<br />
Der Luzerner Maler<br />
Walter Vogel pinselt<br />
den «Sommermorgen<br />
in der unteren Etage»<br />
auf die Lorzenmauer.<br />
Hier wiederholt sich auf spannende Weise das Element des Fremden in der Geschichte des<br />
«Hammers»: Nie sind seine Besitzer auf Anhieb willkommen. Immer sind es Auswärtige,<br />
meist auch noch anderer Religion, die sich ihren Platz in der Gemeinde erarbeiten müssen.<br />
Sie tun es mit Erfolg – sowohl die Vogels als auch die Navilles verdienen sich durch ihre<br />
Leistung erst den Respekt, später auch die ehrlich gemeinte Sympathie der Chamer. Die<br />
von Plantas schlagen einen anderen Weg ein: Sie verstehen sich nicht nur als Teil einer<br />
besseren Gesellschaft, die sich vornehm in den «Hammer» zurückzieht und nur mit ihresgleichen<br />
verkehrt. Sie wollen ein Teil der Bevölkerung sein, welcher sie ihren «Hammer»<br />
auch immer wieder öffnen für Anlässe aller Art.<br />
1992 ist der Umbau des Mühlehauses abgeschlossen. Der Schmiederaum wird zum stimmungsvollen<br />
Eventkeller. Die beiden Gusssäulen, die nötig waren, um die Balkenlage der<br />
riesigen Decke zu tragen, sind verschwunden. Stattdessen schlummert jetzt versteckt im<br />
Innern der achteckigen Holzsäule in der Mitte des Raums eine ganze Menge Eisen. Auch die<br />
einst tragenden Deckenbalken, nach dem System einer «Zimmermannssäge» ineinander<br />
verzahnt, sind nur noch Zierde: Sie kaschieren die massiven Eisenträger, die dem Ganzen die<br />
nötige Stabilität geben und die neue Betondecke darüber tragen. «Für Puritaner natürlich<br />
ein Sakrileg», gesteht Andrea von Planta, «aber wir finden das legitim.»<br />
In den oberen beiden Stockwerken befinden sich gemütliche Mietwohnungen mit allem<br />
Komfort. Die dringende Mahnung des Architekten, die Wohnungen nicht im selben Stil<br />
auszubauen wie jene in der Hammer-Villa, nimmt Andrea von Planta zwar dankend an,<br />
meint aber lächelnd zu Hans-Peter Bärtsch: «Ich mache trotzdem, was ich will – denn ich<br />
möchte dem Hammer etwas zuliebe tun.» Bärtsch ist nämlich der Überzeugung, dass ein<br />
allzu üppiges Interieur nicht dem aktuellen Zeitgeist entspreche. Mit der Konsequenz, dass<br />
die Wohnungen dadurch eher schwierig vermietbar und letztlich praktisch unverkäuflich<br />
würden oder mindestens weit unter dem Wert der getätigten Investitionen. Natürlich weiss<br />
Bärtsch, dass es nie die Absicht Andrea von Plantas ist, dem Zeitgeist zu entsprechen.<br />
Und so zieren historisches Täfer, hübsche Kachelöfen und Parkettböden auch das neue<br />
Mühlehaus, das sich so in seinem Innern ebenfalls ausgesprochen ländlich präsentiert.<br />
Mieter finden sich dennoch. Erst beim Verkauf des «Hammers» zeigt sich, wie recht Bärtsch<br />
mit seiner Aussage hatte. Allerdings, so relativiert dieser, sei es ja auch nie das Ziel der von<br />
Plantas gewesen, die Liegenschaft zu verkaufen.<br />
166 167
utsherr ohne Gut:<br />
Gutsherr ohne Gut:<br />
Gerhard Ecker<br />
erhard Ecker<br />
und «sein Hammer»<br />
«Mein Arbeitstag beginnt um 7.30 Uhr – wenn er nicht schon mitten in der Nacht begonnen<br />
hat. Denn es kommt bei einer Liegenschaft von dieser Grösse schon mal vor,<br />
«sein Hammer»<br />
dass ein Alarm losgeht. Oft ist es nicht nötig, dass ich gleich etwas unternehme; dann<br />
gehe ich wieder ins Bett und warte mit den nötigen Massnahmen bis zum Morgen.<br />
Als Erstes hole ich morgens die Post und gehe dann weiter ins Turbinenhaus, um zu<br />
prüfen, ob mit der Technik alles in Ordnung ist. Das ist nur eine Sichtkontrolle, falls<br />
etwas Gravierendes wäre. Früher hatte ich noch Fische, Goldfische und einen Koi,<br />
die ich fütterte. Heute gehe ich direkt weiter in die Kegelbahn und mache eine kurze<br />
Raumklima-Kontrolle im Weinkeller.<br />
Als Nächstes steht das Badehaus auf dem Programm. Auch hier checke ich Temperatur,<br />
Luftfeuchtigkeit und Technik. Ist ja alles schon ein bisschen in die Jahre gekommen.<br />
Da ist immer wieder das eine oder andere zu reparieren.<br />
Mittlerweile ist es 8.30 Uhr geworden und ich gehe nach Hause – das sind etwa 10<br />
Sekunden vom Badehaus aus, denn ich wohne mit meiner Familie in einer wunderschönen<br />
Wohnung im Pferdestall gleich daneben. Ich trinke Kaffee und füttere meine<br />
Tiere: Hund, Katze, Fische, Schildkröten.<br />
Das tönt jetzt alles ein bisschen so, als ob mein Tagesablauf monoton wäre. So kann<br />
man sich täuschen! Kein Tag ist wie der andere. Meistens mache ich mir ein Programm,<br />
aber an neun von zehn Tagen kann ich bei Weitem nicht alles erledigen, was ich mir<br />
vorgenommen habe. Vor allem jetzt während des Umbaus habe ich viele Termine mit<br />
Handwerkern, und es gibt dauernd irgendwo einen kleinen Brand zu löschen …<br />
Weil im Moment so viele Leute im «Hammer» ein- und ausgehen, ist es ganz wichtig,<br />
den Überblick zu bewahren. Ich will immer wissen, wer wann kommt und was er hier<br />
zu tun hat. Wenn ein Neuer kommt, will ich den erst mal persönlich sehen. Dabei<br />
geht es mir nicht nur darum, den Menschen kennenzulernen, sondern auch darum,<br />
einen Blick auf seine Arbeit zu werfen. Genau so habe ich mir nämlich mein Wissen<br />
geholt: Ich habe den Handwerkern ein Loch in den Bauch gefragt. Heute kann ich<br />
deswegen vieles selber in Ordnung bringen.<br />
Die guten Seelen<br />
des «Hammers»:<br />
Verwalter-Ehepaar<br />
Verena und Gerhard<br />
Ecker.<br />
Wie ich nach Cham gekommen bin? Die Liebe war es. Meine zweite Frau ist Schweizerin,<br />
und so lag es nahe, nach meiner Scheidung in Österreich hier einen Neuanfang zu machen.<br />
Das war gar nicht so einfach, denn man war nicht in allen Branchen auf ausländische<br />
Arbeitskräfte angewiesen. Vor allem nicht in meiner als Kaufmann. So landete ich<br />
im Gastgewerbe, wo auch meine Frau tätig war. Und so kamen wir in den ‹Hammer›.<br />
Die von Plantas wollten ein Verwalter-Ehepaar aus dem Gastgewerbe, und genau das<br />
konnten wir bieten. So sind wir am 1. April 1998 von Hergiswil nach Cham gezogen,<br />
zusammen mit unserer einjährigen Tochter. Hier habe ich sehr viele Leute kennengelernt,<br />
denn die von Plantas veranstalteten <strong>gross</strong>e Feste und wunderschöne Konzerte,<br />
von denen ich allerdings keines wirklich gesehen habe: Ich musste ja arbeiten. Wir<br />
haben die Vorbereitungen für diese Anlässe getroffen und am Ende aufgeräumt; da<br />
blieb nicht viel Zeit für Musse. Die von Plantas haben sich da voll auf uns verlassen.<br />
Aber eben: Wir waren ja bei meinem Tagesablauf. Wenn ich nicht grad mit irgendeinem<br />
Servicearbeiter zu tun habe, gehe ich beispielsweise in den Garten, wo es einfach<br />
immer eine Menge zu tun gibt, obwohl wir auch Gärtner beschäftigen. Oder ich habe<br />
etwas zu reparieren. Wenn das mit der Reparatur nicht so eilt, lege ich das gute Stück<br />
in die Werkstatt und nehme mir vor, es im Winter zu flicken. Das tue ich jetzt seit<br />
17 Jahren, und im Frühling ist nie alles gemacht. So ist das einfach: Es gibt immer<br />
etwas, das noch dringender ist.<br />
Mein Job ist es, dass im ‹Hammer› alles gut läuft. Ich mache das so, als ob es mein<br />
‹Hammer› wäre. Aber ich bin ja nicht grössenwahnsinnig. Ich weiss sehr wohl, dass<br />
er das nicht ist. Ich bin ein Gutsverwalter ohne Gut. Aber der ‹Hammer› ist mir ganz<br />
einfach ans Herz gewachsen. Das merke ich vor allem, wenn wir aus dem Urlaub<br />
zurückkehren. Der schönste Moment ist für mich, wenn wir durch das Tor in den<br />
‹Hammer› fahren. Dann wird mir jedes Mal bewusst, was für einen wunderschönen<br />
Arbeitsplatz ich habe. Und ich bin richtig dankbar dafür.»<br />
Gerhard Ecker. Der gebürtige Österreicher und gelernte Einzelhandelskaufmann war schon in allen<br />
möglichen Berufen tätig – vom Lastwagenfahrer über den Fuhrparkleiter bis zum Schreiner. Seit Ende<br />
der 1990er-Jahre ist er Verwalter im «Hammer», wo er mit seiner Familie auch lebt. Wie ein «ganz<br />
normaler» Arbeitstag aussieht, erzählte er im Frühjahr 2014. Daran hat sich bis heute zwar einiges<br />
geändert, aber geblieben ist seine Leidenschaft für den «Hammer».<br />
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Ein hübsches Paar für die Lorzenterrasse:<br />
das Waschhäuschen und die «Gartenlaube»<br />
«Ein Waschhaus ist heute 60 mal 60 mal 180 Zentimeter <strong>gross</strong>», sagt Andrea von Planta<br />
lachend. «Ein Waschturm reicht; da braucht es kein ganzes Haus mehr.» Und so hätten<br />
sie sich eben schon bald überlegt, was sie denn mit dem hübschen neobarocken Gebäude<br />
anfangen sollten.<br />
Seine heutige Form hat das Waschhäuschen zwischen dem Mühlehaus und dem 1930 abgerissenen,<br />
baufälligen alten «Hammer» 1928 vom renommierten Zuger Architekten-Duo<br />
Dagobert Keiser und Richard Bracher bekommen, die unter anderem in Zug das Theater-<br />
Casino planten, in Cham das Schloss St. Andreas sanierten und in Altdorf das Tellspielhaus<br />
umbauten.<br />
Andrea von Planta findet das schmucke Gebäude mit seinem eleganten Mansarddach von<br />
Anfang an «lustig» und richtet dort das Baubüro ein. Hier reift der Plan, im Waschhäuschen<br />
später eine weitere Wohnung unterzubringen, was ebenfalls Teil des «Bauermittlungsgesuchs»<br />
ist. Er weiss mittlerweile nur zu gut, dass bauliche Eingriffe in einer Sonderzone, wie sie der<br />
«Hammer» darstellt, auch einer Sonderbehandlung durch den Kanton bedürfen, und ist deshalb<br />
darauf gefasst, dass «das ganze Rösslispiel», also sämtliche massgebenden Instanzen,<br />
antraben wird, um sich das fragliche Objekt genauer anzusehen.<br />
Wirklich kompliziert wird es allerdings erst, als der Raumplaner im Umbau in ein kleines<br />
Wohnhaus eine Umnutzung sieht und sich dagegen ausspricht. Dass sich die alte Nutzung,<br />
nämlich die eines Waschhauses, auch dann nicht mehr aufrechterhalten liesse, wenn man<br />
es noch wollte, scheint ihn nicht zu irritieren. «Wohnen», so Andrea von Planta rückblickend,<br />
«scheint ein ganz niederträchtiger Zweck für ein Haus in einer Liegenschaft zu sein,<br />
in der vor allem gewohnt wird …» Um den quasi gewerblichen Anstrich des Hauses einigermassen<br />
wahren zu können, schlägt der Raumplaner vor, einen Handwerker oder eine<br />
Töpferin einzuquartieren. Die von Plantas gehen auf diese Idee ein, bestehen aber darauf,<br />
der künftigen Töpferin eine standesgemässe Infrastruktur zu bieten: Sie bekommen die<br />
Erlaubnis, Nasszellen und eine Küche einzubauen.<br />
Als es Sommer wird, erstrahlt es in neuem Glanz. Walter Zwahlen ist vom neuen Waschhäuschen<br />
derart begeistert, dass er es den «kleinen Hammer» nennt. Das neue Waschhäuschen<br />
sieht zwar exakt so aus wie vorher, aber man spürt geradezu, dass hier kaum ein Stein auf<br />
dem anderen geblieben ist. Eine besonders spektakuläre Aktion ist die Aufsetzung des<br />
neuen Dachs, das in zwei fixfertigen Elementen auf das Gebäude gehievt und zentimetergenau<br />
platziert wird.<br />
Zusammen mit dem frisch herausgeputzten Mühlehaus ergibt das nun zwar ein durchaus<br />
attraktives Ensemble am Ufer der Lorze. Aber von Planta ist noch nicht zufrieden mit dem<br />
Bild, das sich ihm bietet. Er ist der Überzeugung, dass das Waschhäuschen ein bisschen<br />
einsam in der Landschaft steht – und beschliesst, dort, wo sich einst der alte «Hammer»<br />
befand, eine Gartenlaube im selben Stil zu bauen. So erhält das Waschhäuschen – mit dem<br />
Segen der Denkmalpflege – kurz darauf eine «architektonische Anlehnung». Im Grunde<br />
genommen ist das Gartenhäuschen nichts anderes als eine verkleinerte Kopie des Waschhäuschens.<br />
Doch es ist um neunzig Grad gedreht, wodurch zwischen den drei Gebäuden<br />
eine charmante Hofsituation entsteht.<br />
Mal abgesehen vom «einfach gmögig sein» erfüllt die Gartenlaube allerdings nie eine echte<br />
Funktion. Die Bewohner des Waschhauses entdecken das kleine Bijoux nicht, obwohl es<br />
über die ganze moderne Infrastruktur verfügt und an einem der sonnigsten Plätze der<br />
ganzen Liegenschaft steht. Freude macht es dennoch. «Das Ensemble bietet doch einen<br />
richtig schönen Anblick», schwärmt Andrea von Planta.<br />
Ende Jahr 1989 beginnen die Umbauarbeiten, und dies – wie fast immer – mit einer bösen<br />
Überraschung: Die Bausubstanz ist viel schlechter als befürchtet. Der Dachstock ist morsch,<br />
die Mauern sind schwach, das Haus ist kaum anständig zu sanieren. Da der Winter vor der<br />
Tür steht, wird das Waschhäuschen fürs Erste «warm eingepackt» und verschwindet für ein<br />
paar Monate hinter einer Bauabdeckung.<br />
170 171
Die Idee, das Schwimmbad im<br />
Stil einer Orangerie aus dem<br />
18. Jahrhundert zu bauen, hatte<br />
Denkmalpfleger Josef Grünenfelder.<br />
«Ich hätte nie gedacht,<br />
dass ich einmal einen griechischen<br />
Tempel bauen würde»,<br />
meinte derweil Architekt Hans-<br />
Peter Bärtsch.<br />
Badefreuden im Versteckten: der Pool in der Orangerie<br />
Wenn Margrit von Planta etwas an ihrer «Baubaracke» am Chamer Bergacker besonders<br />
geniesst, ist es das heizbare Schwimmbad im Garten. Als sie gemeinsam Pläne schmieden<br />
für den «Hammer», fragen sich die beiden, ob es denn nicht möglich wäre, auch dort einen<br />
Pool unterzubringen. Hans-Peter Bärtsch sondiert die Lage und bekommt den Tipp, dass<br />
eine solche Erweiterung dann wohl möglich und vom Ortsbildschutz her vertretbar wäre,<br />
wenn sie als Aufwertung des «Hammers» betrachtet würde. Ein Schwimmbad irgendwo in<br />
der Gartenanlage empfinden die von Plantas als Pfusch, ein offener Pool würde ganz einfach<br />
nicht in Richard Vogels Garten passen und ihm von seiner Grosszügigkeit nehmen.<br />
Bei Gesprächen mit Josef Grünenfelder reift die Idee, ein Hallenbad vor den ehemaligen<br />
Luftschutzkeller im Hang zu bauen. Vom Stil her, so der Input des Denkmalpflegers, könnte<br />
da ein Gebäude in der Tradition einer Orangerie aus dem 18. Jahrhundert in Frage kommen.<br />
«Solche Orangerien», so Grünenfelder rückblickend, «waren recht typisch für schlossähnliche<br />
Anlagen, wie sie der ‹Hammer› darstellt.» Allerdings, gibt er zu, hätten sie da schon ein<br />
bisschen Historismus betrieben. «Aber wir wollten ja auch kein Baudenkmal schaffen, sondern<br />
etwas, das irgendwie ins Ganze passt.»<br />
Andrea von Planta ist begeistert. Er hat – inspiriert von Orangerien, denen er auf Reisen<br />
durch England begegnet ist und nicht zuletzt vom Bibliothekhaus in der «Solitude» beim<br />
Bahnhof Cham – schon selber an eine ähnliche Lösung gedacht. Josef Grünenfelder macht<br />
den Vorschlag, eine Lösung zu skizzieren – und sich auch dafür einzusetzen, dass sie bewilligt<br />
wird und realisiert werden kann. Seine Freude am Projekt ist echt, und die architektonischen<br />
Proportionen sind korrekt. Allerdings zeigen die Baugespanne, dass es an<br />
dieser Stelle zu dominant wirkt. Und tatsächlich sind sich alle einig, dass es ein bisschen<br />
weniger auch tun würde. Man einigt sich darauf, die Höhe des Baus bis auf die Traufhöhe<br />
(die Tropfkante) des Pferdestalls zu reduzieren.<br />
So machen sich die BKG-Architekten an die Planung. «Nie im Leben hätte ich gedacht, dass<br />
ich jemals einen griechischen Tempel bauen würde», sagt Hans-Peter Bärtsch lachend.<br />
Ähnlich reagierte seinerzeit auch sein Kollege Hans Gerber, der die Orangerie zeichnete.<br />
Schmunzelnd habe er erklärt, dass dies wohl das erste und letzte Mal seit seinem Studium<br />
sei, dass er eine toskanische Säule berechnen müsse, erinnert sich von Planta. Was gar<br />
nicht so einfach ist: Toskanische Säulen haben nicht bloss eine genau definierte Evolvente,<br />
sondern auch eine klare Ordnung. Hält man sich nicht daran, wirkt das Ganze disharmonisch.<br />
172 173
Innert Kürze wird<br />
aus dem Schwimmbad<br />
ein Festsaal, in dem<br />
locker 120 Gäste und<br />
ein ganzes Symphonieorchester<br />
Platz finden.<br />
Erstaunt zeigt sich von Planta allerdings über den Kostenvoranschlag für den Bau des Hallenbades,<br />
das auch als Festsaal verwendet werden kann, und er hofft auf Einsparungen bei<br />
der Ausführung. Seine Sparbemühungen zerschlagen sich aber bereits, als er wenig später<br />
auf einer Reise nach Paris der Versuchung nicht widerstehen kann: Begeistert ruft er Hans-Peter<br />
Bärtsch an, um ihm mitzuteilen, dass er grad eine Serie wunderschöner zodiakaler, also auf<br />
den Tierkreis bezogener, Kachel-Panneaus aus der Bloempot-Manufaktur in Rotterdam erstanden<br />
haben. Die einzigartigen Keramikplatten von Mitte des 18. Jahrhunderts stammten<br />
aus einer abgebrochenen Orangerie in Faubourg St. Honoré und würden genau zwischen<br />
die Abluftsäulen an der Rückwand des Hallenbads passen … In der Tat sind diese Panneaus<br />
derart wertvoll, dass die Kunsthistorikerin Jeanette Gerritsma 2012 einen schmalen Bildband<br />
darüber herausgegeben hat mit dem Titel: «The Jan Aalmis Tableaux at Hammer».<br />
Als die Orangerie 1992 eingeweiht werden kann, kostet sie exakt so viel, wie Hans-Peter<br />
Bärtsch budgetiert hat. Aber alle Beteiligten sind glücklich. Der Neubau im «Retro-Look»<br />
fügt sich hervorragend ins Ensemble ein, und es entsteht eine gelungene Hofsituation, die<br />
auch akustisch etwas hergibt. Das wird sich später bei diversen Veranstaltungen auf dem<br />
<strong>gross</strong>en Rasen zwischen Villa, Orangerie und Pferdestallungen zeigen.<br />
Denn Margrit und Andrea von Planta gestalten den «Hammer» im Unterschied zu seinen<br />
früheren Bewohnern nicht als ihre Insel, sondern öffnen ihn ein Stück weit für die Chamer<br />
Bevölkerung. Die Liegenschaft ist auch Teil des Industriepfads Lorze. Und auf dem Grundstück<br />
finden diverse öffentliche Veranstaltungen statt, so etwa jedes Jahr ein Gottesdienst<br />
der Reformierten Kirche von Cham. Als die Rhododendren blühen, organisiert Margrit von<br />
Planta einen Tag der offenen Tür. Im «Hammer» geht einmal ein einwöchiger «Meisterkurs»<br />
der Schweizerischen Caruso-Gesellschaft über die Bühne, für den die von Plantas<br />
Räumlichkeiten und Instrumente zur Verfügung stellen und die «Maestri» sowie einen Teil<br />
der Musikerinnen und Musiker beherbergen und verpflegen. Am Schlusskonzert in der<br />
Orangerie – man kann das Schwimmbad zudecken und einen Festsaal daraus machen –<br />
strömen so viele Menschen in den Hammer, dass man das Badehaus öffnen und mehr<br />
als hundert weitere Stühle auf der Wiese aufstellen muss. Überhaupt wird die Orangerie<br />
immer wieder zum Vortrags-, Hochzeits-, Geburtstags- und Konzertsaal. Mehrmals spielt<br />
hier das Symphonieorchester Cham-Hünenberg: 45 Musiker und 120 Zuschauer finden im<br />
Schwimmbad Platz!<br />
«Zum Glück», sagt Margrit von Planta lächelnd, «haben wir im ‹Hammer› von Anfang an<br />
ziemlich viele WCs eingeplant …»<br />
174 175
Zusammen mit Villa und<br />
Pferdestall bildet die vermeintliche<br />
Orangerie eine gelungene<br />
Hofsituation, in der sich auch<br />
die Akustik hören lassen darf,<br />
wie verschiedene Freiluftkonzerte<br />
während der «Ära von<br />
Planta» bewiesen haben.<br />
176 177
Eine Tradition fortgeführt: die «Hammer»-Pferde<br />
Wenn Andrea von Planta als Bub seine Ferien bei den Grosseltern in Flums verbringt, freut<br />
er sich auf etwas ganz speziell: die Fahrten mit Kutscher Stähli. Dieser bringt täglich Baumwollballen<br />
vom Bahnhof zur Baumwollspinnerei Spoerry (die im April 2009 ihren Betrieb<br />
nach 143 Jahren eingestellt hat) und fährt die Kisten mit dem gesponnenen Garn wieder<br />
zurück zur Bahn. Der kleine Andrea darf vorne auf dem Bock sitzen und auch die Leitseile<br />
in die Hand nehmen.<br />
Hier nimmt seine Beziehung zu den – nicht immer einfachen – Pferden ihren Anfang. Der<br />
Umgang mit ihnen ist Teil der Erziehung. Denn früher waren die männlichen Familienmitglieder<br />
in den Kreisen der von Plantas ganz selbstverständlich bei der Kavallerie oder<br />
der berittenen Artillerie. Und so wird auch Andrea von Planta Artillerist – nur leider kein<br />
berittener. Das Reiten lernt er aber während seiner Studienjahre. Zum Train kommt hingegen<br />
sein jüngster Sohn, und dessen Offiziers-Reitpferd Ponpon findet sogar ein Zuhause in<br />
den alten, ziemlich heruntergekommenen Stallungen des «Hammers», die wieder ihrem<br />
ursprünglichen Zweck zugeführt werden.<br />
«Wirklich gefreut» ist das Gebäude aus dem Jahr 1872 im lupenreinen Schweizer Chaletstil<br />
allerdings erst nach seiner Totalsanierung. Die Kutscher- und die Knechtewohnung werden<br />
zu den originellsten im ganzen «Hammer». Wagen-Remise, Sattel- und Geschirrkammer,<br />
Werkstätte und Geräteräume werden liebevoll renoviert. In den drei <strong>gross</strong>en Boxen werden<br />
die verrosteten Gitter durch Holzbanden ersetzt und die fehlenden Schlagbäume neu angefertigt,<br />
damit sie – wie schon zu Vogels Zeiten vorgesehen – in sechs Stände umgewandelt<br />
werden können.<br />
Als Erste ziehen der Wallach Ponpon und zu seiner Gesellschaft Sämi, das Pferd der Tierpflegerin<br />
Susi Bolliger, ein. Ponpon ist sowohl im Sattel als auch im Zug ein vielseitiges Pferd und wird<br />
schliesslich über 30 Jahre alt. Den schweren Landauer kann er trotzdem nicht alleine hinauf<br />
zur Sinserstrasse ziehen. Deswegen suchen die von Plantas ein zweites Pferd und verlassen sich<br />
dabei ganz auf den Rat ihres «Rösseler-Gewährsmanns» Sepp Bächler aus Lindencham. Bächler,<br />
der selber internationale Vierspänner-Rennen fährt, schlägt vor, seinen Schwager Theo Schaedle<br />
zu besuchen, der seines Wissens ein Pferd zu verkaufen habe.<br />
Als Andrea von Planta mit Sepp Bächler bei Schaedle vorfährt, kommt dieser eben mit einem<br />
ganz aussergewöhnlichen Gespann daher: zwei slowakisch-ungarische Stutenschwestern<br />
von zehn und elf Jahren. «Ein solches Paar durfte man ganz einfach nicht trennen», sagt<br />
Andrea von Planta. «Also haben wir Theo Schaedle davon überzeugt, uns gleich beide<br />
zu verkaufen.» Nemecka wird schliesslich 31-jährig, die etwas schwierigere Nivelace 27. Sie<br />
müssen sich im «Hammer» also durchaus wohlgefühlt haben …<br />
Familienkutsche:<br />
Die von Plantas fahren<br />
am 29. Dezember 1989<br />
aus. Auf dem Bock sitzt<br />
Sohn Felix.<br />
178 179
Die Pferdepflegerin baut den Schafstall derweil zum zertifizierten Freilaufstall aus und bevölkert<br />
ihn mit ihren beiden Pferden Sämi und Lorino sowie einem Esel. Im Hühnerhaus<br />
ziehen die lustigen «Appenzeller Hühner» sowie ein Hahn und Kaninchen ein. Hamster<br />
finden Unterschlupf im einzigartigen «Hamsterhaus». Als sie von ihren Stallhilfen einen<br />
Geissbock geschenkt bekommt, beginnen allerdings die «nachbarschaftlichen Probleme»:<br />
Der Bock fällt in Ungnade, weil er die Pferde dauernd «umparfümiert», so von Planta. Das<br />
ist der Augenblick, in dem er Susi Bolliger bittet, es ihm vorher mitzuteilen, wenn sie beabsichtige,<br />
einen Elefanten anzuschaffen …<br />
Am Ende ist es allerdings nur noch Nemecka, die den Stall im «Chalet Suisse» bewohnt. Was<br />
für die von Plantas keine Lösung ist. «Pferde sind Herdentiere und brauchen ihresgleichen<br />
in der Nähe», sagt Andrea von Planta. Ein junges Pferd anzuschaffen, kommt für das Ehepaar<br />
aber nicht mehr in Frage. Die Familie ist «globalisiert» und lebt in Brasilien und England.<br />
Ausserdem ist bereits der Verkauf des «Hammers» ein Thema. So kommt Nemecka<br />
schliesslich in die Herde der Pferdezucht des Klosters Einsiedeln, was ihr bestens behagt.<br />
Sie geht bis zuletzt gut am Wagen, und erst als sich im Frühjahr 2014 schwere gesundheitliche<br />
Probleme bei ihr zeigen, wird sie von ihren Schmerzen erlöst.<br />
Auch Felix von Planta<br />
– hier mit seinem<br />
Offizierspferd Ponpon<br />
und Familienhund<br />
Timi – ist ein<br />
begeisterter Reiter.<br />
180 181
Es ist ein schwieriger Entscheid für die beiden. Und genau das verbindet sie mit ihren<br />
Vorgängern: Sie lieben ihren «Hammer». Hier zu wohnen, ist eine Leidenschaft, ihr Hobby<br />
gewissermassen. Ihn zu verlassen, fällt schwer. Doch das «facility management» ist ein<br />
100-Prozent-Job für Margrit von Planta. Dass ihr Personal zur Seite steht, erspart ihr zwar<br />
eine Menge Knochenarbeit. Aber es bleibt immer noch viel zu tun. Irgendwann, da sind sich<br />
die beiden einig, wird es zu viel sein. Und sie machen sich auf die Suche nach einem Käufer.<br />
Interessent 127: Der «Hammer» findet einen Käufer<br />
«Chamer Luxus-Residenz lässt sich nicht verkaufen», titelte die «Neue Luzerner Zeitung»<br />
im Dezember 2012 und fragte: «Woran liegt es, dass das Bijou an der Lorze keinen Käufer<br />
findet?» Die Antwort, so spekulierte der Journalist Silvan Meier damals, könnte im Preis<br />
liegen: «Ist ein ‹hoher zweistelliger Millionenbetrag› gerechtfertigt?», fragte er, nur um die<br />
These gleich wieder zu verwerfen: Laut der aktuellen Immobilienstudie der Credit Suisse,<br />
rechnete er seiner Leserschaft vor, müsste die Liegenschaft an die 50 Millionen Franken<br />
wert sein, was allerdings eine recht fantasievolle Schätzung ist.<br />
Was war geschehen? Zwanzig Jahre nachdem Margrit und Andrea von Planta den «Hammer»<br />
gekauft haben, ziehen sie ernsthaft Bilanz: Der Traum von der Altersresidenz hat sich zerschlagen.<br />
Die drei Söhne und ihre Familien, die in alle Winde zerstreut sind, sehen sich<br />
ausserstande, die Liegenschaft zu übernehmen. Unterhalt und Betrieb verschlingen jährlich<br />
<strong>gross</strong>e Summen – zu viel, um aus dem «Hammer» eine Ferienresidenz für die Familie<br />
zu machen. Man muss ganz einfach im «Hammer» wohnen, um ihn auch richtig betreiben<br />
zu können. Und man wird ja auch nicht jünger. Der «Hammer», so ihr trauriges Fazit, muss<br />
früher oder später verkauft werden, wenn die Söhne dereinst nicht eine gigantische Hypothek<br />
erben sollen.<br />
Grund zur Freude:<br />
An Weihnachten<br />
1989 kehrte Sohn<br />
Claudio (rechts) nach<br />
einer spektakulären<br />
Rettungsaktion aus<br />
dem indonesischen<br />
Dschungel zurück, wo<br />
er einen Dokumentarfilm<br />
gedreht hatte.<br />
2004 wird der «Hammer» zum ersten Mal in der «Neuen Zürcher Zeitung» und in der<br />
«Frankfurter Allgemeinen Zeitung» ausgeschrieben. Den Verkauf übernimmt die Zürcher<br />
Immobilienfirma Rhombus Partner AG. Das Interesse ist rege. Nur wollen Käufer und Objekt<br />
einfach nicht passen. Weit über hundert solvente Interessenten schauen sich über die Jahre<br />
die Liegenschaft an. «Eigentlich hätten alle die finanziellen Möglichkeiten gehabt, den<br />
‹Hammer› zu übernehmen», ist sich Andrea von Planta sicher. «Aber ihre Vorstellungen<br />
waren zum Teil anders, manchmal auch abstrus.»<br />
Es sind vor allem Interessenten aus dem Ausland, die sich das Chamer Landgut ansehen.<br />
Geschäftsleute von Kasachstan über Brasilien und Mexiko bis Deutschland. Ein begüterter<br />
Araber wünscht sich für alle seine Frauen identische Zimmer – doch wie soll das gehen in<br />
einer natürlich gewachsenen Villa wie dem «Hammer»? Der Clan aus Kasachstan macht<br />
aus dem Geschäft – laut von Planta – «einen Basar», bis die Verkäufer die Nerven verlieren.<br />
Kurz vor dem Abschluss stehen die Verhandlungen mit einem deutschen Finanzverwalter<br />
– bis die Krise kommt und der Mann nicht mehr gesehen wird.<br />
Doch sind es nicht nur die Ansprüche der Interessenten, die den Verkauf erschweren. Es ist<br />
auch das Gesetz: Wer als Ausländer in Zug etwas kauft, muss hier wohnen. Und die Liegenschaft<br />
darf nicht mehr als 3000 Quadratmeter umfassen. Zwar hätte sich diesbezüglich mit<br />
den stark marktwirtschaftlich denkenden Zuger Behörden allenfalls etwas vereinbaren lassen.<br />
Doch überlegen sich die von Plantas zusammen mit ihrem Architekten Hans-Peter Bärtsch<br />
immer ernsthafter, die Liegenschaft zu unterteilen, «was sünd und schade gewesen wäre»,<br />
wie Andrea von Planta beteuert. «Aber irgendwann muss man einfach etwas unternehmen.»<br />
182 183
Eine Ära beginnt: Am 6. September<br />
2013 wird in Cham der Kaufvertrag<br />
unterschrieben. Andrea<br />
und Margrit von Planta mit Sohn<br />
Claudio (ganz rechts) und dem<br />
neuen Besitzer Ariel Lüdi am<br />
selben Tag im «Hammer».<br />
184 185
«Irgendwann» ist für die von Plantas, nachdem sie zehn Jahre Geduld gezeigt haben. Doch<br />
dann passiert das kleine Wunder: Interessent 127 wird nicht gefunden – er findet den unverkäuflichen<br />
«Hammer» selber. Es ist nicht nur ein Glücksfall, dass er über die finanziellen<br />
Möglichkeiten für Kauf und Unterhalt verfügt. Er ist sogar ein Schweizer, der auch das<br />
uneingeschränkte Recht zum Erwerb desselben hat. Und er gedenkt, den «Hammer» – sehr<br />
zur Freude der von Plantas – als Ganzes zusammenzuhalten. Dass der Aargauer Ariel Lüdi<br />
nicht den gleichen Geschmack hat wie sie selber, damit können die von Plantas leben. Dass<br />
sie den «Hammer» weit unter dem Betrag der getätigten Investitionen verkaufen müssen, tut<br />
zwar ein bisschen weh, aber am meisten beschäftigt Margrit und Andrea von Planta, als sie<br />
den Kaufvertrag am 6. September 2013 unterschreiben, wie sie es schaffen sollen, die Liegenschaft<br />
innert der vorgegebenen Zeit zu räumen: Der neue Besitzer möchte so schnell als<br />
möglich mit dem Umbau beginnen und bittet sie, das Waschhaus zu leeren, damit er mit<br />
seiner Lebensgefährtin dort provisorisch einziehen könne. Auch für das Zügeln der Villa<br />
und aller übrigen Gebäude bleibt nicht viel Zeit.<br />
Die von Plantas – glücklich, dass der «Hammer» endlich einen neuen Besitzer gefunden<br />
hat – bemühen sich, den Wünschen von Ariel Lüdi zu entsprechen. Sie füllen zwölf Mulden<br />
mit allem, was sie künftig nicht mehr brauchen, sowie zehn Zügelwagen, die den grössten<br />
Teil ihrer Habe nach Susch fahren, wo sie in einem Ökonomiegebäude eines Engadiner<br />
Hauses, das sich in ihrem Besitz befindet, vorerst eingelagert wird …<br />
Beste Aussichten:<br />
die neue Hammer-Villa<br />
nach ihrem Umbau<br />
von 1984 bis 1988 aus<br />
der Vogelperspektive.<br />
186 187
auriger Abschied<br />
om Hammer<br />
Robert E. Naville:<br />
Trauriger Abschied<br />
vom «Hammer»<br />
Als Robert E. Naville 1980 in Pension geht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die<br />
«Papieri» sich vom «Hammer» trennt. Für den Verwaltungsrat, der sich den Familien<br />
Naville und Vogel längst nicht mehr verpflichtet fühlt (und sich auch nicht verpflichtet<br />
fühlen darf), gibt es keinen vernünftigen Grund, die kostenintensive Liegenschaft zu<br />
behalten. Im Gegenteil: Die kreditgebenden Banken drängen darauf, dass die Papierfabrik,<br />
die arg ins Trudeln gekommen ist, ihr Familiensilber verscherbelt, um an flüssige<br />
Mittel zu kommen. Denn zu dieser Zeit bringt der «Hammer» bestenfalls einen symbolischen<br />
Mietertrag, kostet aber jährlich rund eine halbe Million Franken an Unterhalt.<br />
Die Rechnung ist also schnell gemacht.<br />
Für Robert E. Naville und seine Frau Marie-Louise wird die Situation zusehends ungemütlich.<br />
Natürlich überlegen sie sich, ob sie die Liegenschaft selber übernehmen können.<br />
Doch die finanziellen Möglichkeiten reichen allenfalls für den Kauf, aber nie für den<br />
Unterhalt. Tochter Jacqueline, die nur zu gut sieht, wie ihre Eltern leiden, wäre bereit,<br />
auf vieles zu verzichten und würde ihnen gern ihr Erbe überlassen, aber auch das wäre<br />
zu wenig, um ihnen einen sorglosen Lebensabend im «Hammer» zu garantieren.<br />
Die letzte Hoffnung erlischt, als auch Neffe Michael Funk, den mit dem «Hammer»<br />
viele schöne Jugenderinnerungen verbinden, seine Bemühungen aufgibt, den<br />
«Hammer» in Familienbesitz zu behalten; es ist vor allem dessen Mutter Hortense,<br />
die sich dagegen ausspricht und stattdessen auf die «Solitude» am See setzt, wo sie<br />
bis zu ihrem Tod wohnen wird.<br />
Als Margrit und Andrea von Planta sich den «Hammer» ansehen, werden sie deshalb<br />
zwar höflich, aber distanziert durch die Liegenschaft geführt: durch die Hausangestellte<br />
Santina Lira, die später zusammen mit ihrem Mann Lino auch für die Familie<br />
von Planta arbeiten wird. Robert E. Naville hat kein Interesse, die Fremden für sein<br />
Zuhause zu begeistern, das er am liebsten für sich behalten möchte. Abweisen kann<br />
er sie allerdings auch nicht; schliesslich ist er nicht Besitzer, sondern lediglich Mieter.<br />
Weihnachten im<br />
«Hammer» (von links):<br />
Jacqueline Naville,<br />
ihr Grossvater Jean<br />
Ferrière, die langjährige<br />
Hausangestellte<br />
Santina Lira-<br />
Prez, Marie-Louise<br />
Naville-Ferrière,<br />
André Naville und<br />
Grossmutter Frida<br />
Ferrière. Es fehlt<br />
Robert E. Naville,<br />
der wohl fotografiert<br />
hat.<br />
Je konkreter der Kauf wird, desto feindlicher wird die Stimmung. Vor allem Robert<br />
E. Naville, der hier geboren wurde und für den der «Hammer» eine Herzensangelegenheit<br />
ist, wird immer verzweifelter. Doch ist es nicht Trauer, was die von Plantas<br />
zu spüren bekommen. Es ist die Wut, die in ihm aufsteigt.<br />
Bei Rundgängen durchs Haus zeigen die künftigen Besitzer die Bereitschaft, Inventar<br />
zu übernehmen – auch als Zeichen der Wertschätzung. Doch weder Robert noch<br />
seine Frau Marie-Louise steigen auf das Angebot ein. Lieber würden sie den ganzen<br />
Bettel verbrennen, als ihn jenen zu verkaufen, die ihnen ihr Zuhause wegnehmen.<br />
Und genau das geschieht schliesslich auch: In einer Kurzschlusshandlung schleppt<br />
Marie-Louise Naville das, was sie am meisten mit dem «Hammer» verbindet, ins Freie<br />
– und zündet es an. Tagebücher, Möbel, Bilder, Literatur: Alles geht in Flammen auf.<br />
Es ist ihre Art von Abschied. Marie-Louise Naville verbrannte buchstäblich ihre Erinnerungen<br />
an den «Hammer». «Ich hätte mich nicht gewundert», erinnert sich Tochter<br />
Jacqueline, «wenn meine Eltern am Ende auch noch die Villa angezündet hätten.»<br />
Sie tun es nicht. Aber als sie den «Hammer» definitiv verlassen, sabotiert Robert<br />
E. Naville den Einzug der von Plantas auf kindlich anmutende Art und Weise. So<br />
schraubt er beispielsweise die alten, hübschen Fenster- und Türbeschläge ab und<br />
versteckt sie in seiner Wohnung in Zürich. Als Jacqueline diese später entdeckt und<br />
ihren Vater darauf anspricht, zuckt dieser bloss traurig mit den Schultern: «Ich habe<br />
sie ihnen einfach nicht gegönnt.»<br />
Mit ihrem Wegzug brechen die Navilles den Kontakt zu den neuen Besitzern endgültig<br />
ab. Erst 30 Jahre später wird ihn Tochter Jacqueline wieder aufnehmen. Als Besitzerin<br />
einer historischen Liegenschaft an der Genfer Rue Calvin tritt sie dem Verein «Domus<br />
Antiqua» bei, in dem sich die Eigentümer alter Häuser treffen. Einer davon ist<br />
Andrea von Planta, mit dem sie sich auf Anhieb gut versteht. So findet die tragische<br />
Geschichte des «Hammer»-Verkaufs doch noch so etwas wie ein Happy End – und<br />
dies ausgerechnet zum Zeitpunkt, als die Liegenschaft erneut den Besitzer wechseln<br />
soll. Andrea von Planta erzählt Jacqueline Naville beim Essen, dass er nach Jahren<br />
des Suchens nun wahrscheinlich einen Käufer gefunden habe: Ariel Lüdi.<br />
188 189
Vorher – nachher:<br />
der Umbau von 1984 bis 1991<br />
190<br />
Die neue Hammer-Villa.<br />
191
192 Tür zum Hof.<br />
193
194<br />
Waschhäuschen (links) und Mühlehaus.<br />
195
196 197<br />
Mühlehaus.
198<br />
Waschhäuschen.<br />
199
200<br />
Pferdestall mit «Kutscherwohnung».<br />
201
202<br />
Gärtnerboutique und Orangerie.<br />
203
«MACHT DOCH,<br />
WAS IHR WOLLT …»<br />
Josef Grünenfelder hat als Denkmalpfleger des Kantons Zug die bauliche Entwicklung<br />
des «Hammers» von der Ära Naville zur Ära von Planta mitgeprägt. Und ist dabei nicht<br />
als Verhinderer aufgetreten, sondern als Berater mit kreativen Ideen.<br />
Herr Grünenfelder, was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie heute an den Um- und<br />
Ausbau des «Hammers» in den 1980er-Jahren zurückdenken?<br />
Ich habe durchwegs positive Erinnerungen an ein gelungenes Projekt. Ich konnte die Anliegen<br />
der Denkmalpflege einbringen, und die Zusammenarbeit mit Andrea von Planta und<br />
Hans-Peter Bärtsch war rundum konstruktiv. Ich hatte in ihnen kompetente Gesprächspartner.<br />
Wir wussten immer gegenseitig, wovon wir redeten.<br />
Der «Hammer» zählt zu den schützenswerten Zuger Baudenkmälern. Wie einzigartig ist<br />
er denn wirklich?<br />
Die Hammer-Villa hat, rein kunsthistorisch betrachtet, keinen besonderen Wert. Sie ist aus<br />
einem bescheidenen Haus entstanden und immer wieder aufgepeppt worden.<br />
Nun besteht der «Hammer» ja nicht bloss aus der Villa …<br />
Ganz richtig. Aus denkmalpflegerischer Sicht sind Mühlehaus und Stallungen sogar viel<br />
wertvoller.<br />
Weshalb?<br />
Der Pferdestall ist ein stilreines Gebäude aus dem 19. Jahrhundert und als Nutzbau enorm<br />
aufwendig gemacht. Er gilt im historischen Bestand des Kantons Zug als sehr wertvoll, weil<br />
es kaum etwas Vergleichbares gibt – allenfalls jene im Schloss Buonas. Das Mühlehaus<br />
wiederum ist das älteste Gebäude der Anlage und ein interessanter Zeuge der Geschichte<br />
des Gewerbes.<br />
Sie waren nicht nur einverstanden damit, den «Hammer» um ein Schwimmbad zu<br />
erweitern – sondern wesentlich beteiligt an der Idee der Orangerie …<br />
Das stimmt. Gerade weil die Anlage kunsthistorisch nicht derart wertvoll ist, war wenig<br />
gegen eine Erweiterung einzuwenden. Dass ich sie selber skizzierte, ist vielleicht ein wenig<br />
aussergewöhnlich. Es ging lediglich darum, dass der Neubau ins Ensemble passt. Wir haben<br />
also ein bisschen Historismus betrieben: Die Orangerie, wie sie bei Schlösschen des 18. Jahrhunderts<br />
oft vorkommt, fügt sich doch eigentlich perfekt ein.<br />
Was macht sie denn zu etwas Schützenswertem?<br />
Genau das: Die Hammer-Villa ist ein gewordenes Kunstdenkmal. Sie hat sich immer wieder<br />
verändert und besitzt heute im Innern ein paar wertvolle Objekte. Wirklich spannend aber ist,<br />
dass sie das Abbild ihrer Besitzer und eng verbunden mit der Geschichte der Papierfabrik ist.<br />
Welche Objekte haben denn einen besonderen Wert?<br />
Es sind, ehrlich gesagt, nicht sehr viele. Und darum wird das Interieur des «Hammers»<br />
bei den Kunstdenkmälern des Kantons Zug in Bezug auf seinen kunsthistorischen Rang<br />
nicht bevorzugt behandelt. Aber es hat im Erdgeschoss beispielsweise einen wunderbaren<br />
Parkettboden – das «Piano Nobile» einer solchen Villa. So etwas sollte man erhalten. Es<br />
gibt aber auch schönes Täfer und alte Kachelöfen – so etwa einen von insgesamt nur drei<br />
existierenden Öfen aus der Zürcher Manufaktur Schoren aus dem Jahr 1751.<br />
Sie betonen immer wieder, dass der «Hammer» kunsthistorisch wenig bedeutend ist.<br />
Weshalb engagierten Sie sich dennoch für seinen weitgehenden Erhalt im alten Stil?<br />
Ein klassischer Denkmalpfleger hätte vielleicht gesagt: «Macht doch, was ihr wollt!» Mich<br />
faszinierte das gewachsene Ensemble als Zeugnis dafür, wie aus einem gewöhnlichen<br />
Gewerbebetrieb mit wachsender Bedeutung der Besitzerfamilie und der «Papieri» eine<br />
schlossähnliche Anlage wird. Das hingegen ist schon ziemlich einzigartig. Und darum ist<br />
der «Hammer» unter Ortsbildschutz.<br />
Josef Grünenfelder, geboren 1942, war zwischen 1974 und 1987 Denkmalpfleger<br />
des Kantons Zug. Während dieser Zeit begleitete er die Um- und Ausbauten<br />
im «Hammer». Ab 1987 bis zu seiner Pensionierung 2007 verfasste er für den<br />
Kanton Zug zwei Bände der Reihe «Kunstdenkmäler der Schweiz».<br />
204<br />
205
ABSCHIED VOM BAROCK,<br />
ABER NICHT VON DER<br />
GESCHICHTE: DIE ÄRA LÜDI<br />
Als Ariel Lüdi den «Hammer» im<br />
September 2013 kauft, weiss er bereits,<br />
dass er ihn gründlich umbauen wird.<br />
Den historischen Charme allerdings<br />
will er bewahren. Etwas anders sieht<br />
es seine Partnerin, die anfänglich für<br />
die Planung verantwortlich ist. Als<br />
sich das Paar trennt, macht er vieles<br />
rückgängig – und den «Hammer»<br />
(wieder) zum Unternehmenszentrum.<br />
206 207
Gesucht: Luxus-Residenz<br />
Am 1. August 2013 übernimmt der Software-Gigant SAP die vergleichsweise kleine, aber<br />
feine «Hybris». Das Unternehmen mit Sitz in Zug beschäftigt insgesamt 600 Mitarbeitende<br />
und ist nach Ansicht von SAP der «weltweit am schnellsten wachsende Softwareanbieter<br />
im Bereich B2B-E-Commerce». Kunden von Hybris sind beispielsweise Nespresso,<br />
H&M, Migros und Lufthansa. Mit der Übernahme macht SAP Hybris-Mitinhaber Ariel Lüdi<br />
über Nacht zum wohlhabenden Mann. Lüdi, der an jenem regnerischen, kühlen Tag in<br />
Zürich unterwegs ist, steht vor dem «Globus» und checkt auf seinem Handy den Kontostand.<br />
Er weiss natürlich, wie viel er für den Verkauf bekommt, doch nun betrachtet er<br />
dennoch staunend die Zahl, die aufgrund ihrer schieren Grösse kaum richtig angezeigt<br />
werden kann: Es ist ein dreistelliger Millionenbetrag. «Und nun?», fragt sich Lüdi. «Was<br />
fange ich jetzt mit all dem Geld an?»<br />
Als Erstes beschliesst er, in eine steuerlich vorteilhafte Gegend zu ziehen. «Es wäre lächerlich<br />
gewesen, hätte ich das nicht getan», sagt er. «Denn im Initialjahr kannst du auf diese<br />
Weise Millionen sparen, mit denen du etwas Sinnvolleres anfangen kannst, als Steuern zu<br />
bezahlen.» Also macht sich Ariel Lüdi, der zu jener Zeit noch im Kanton Aargau wohnt, auf<br />
die Suche nach einer Liegenschaft im Kanton Schwyz oder Zug. Doch etwas, das sein Herz<br />
höherschlagen lässt, will sich partout nicht finden lassen. «Irgend so ein Betonklotz am<br />
Zugersee mit Infinity Pool, 2000 Quadratmetern Land und Nachbarn links und rechts für<br />
15 Millionen Franken oder ein Grundstück an privilegierter Aussichtslage für 10 Millionen»<br />
kommt für ihn nicht infrage. «Nichts von alldem hat Emotionen in mir geweckt», sagt er<br />
rückblickend. Also sucht er weiter.<br />
«Luxus-Residenz Zug» googelt er eines schönen Tages. Und stösst auf einen Artikel in der<br />
«Neuen Luzerner Zeitung» vom Dezember 2012. Titel: «Chamer Luxus-Residenz lässt sich<br />
nicht verkaufen». Die Story weckt seine Neugier, denn die Liegenschaft scheint nicht nur<br />
richtig <strong>gross</strong>, sondern auch richtig historisch. Ob die wohl noch zu haben wäre?<br />
Es ist der Zufall, der ihn auf einen Immobilienmakler treffen lässt, der jahrelang versucht<br />
hat, den «Hammer», um den es sich hier handelt, zu verkaufen. Der Mann hat das Mandat<br />
zwar längst abgegeben, aber er stellt den Kontakt zu Andrea von Planta her. Ob er mal vorbeikommen<br />
dürfe, fragt Lüdi diesen. «Selbstverständlich», freut sich von Planta, der noch<br />
nie etwas gegen netten Besuch und schon gar nichts gegen einen echten Kaufinteressenten<br />
hatte. Ariel Lüdi fährt nach Cham.<br />
Der Empfang ist freundlich. Andrea von Planta zeigt Lüdi voller Stolz seinen «Hammer»<br />
und kommt dabei ins Schwärmen, wie immer, wenn er von seiner «gmögigen Liegenschaft»<br />
erzählt. Eine Geschichte an der anderen sprudelt aus dem alten Mann heraus;<br />
seine Liebe zum Objekt ist fast mit den Händen zu greifen. Hinter dem «Hammer» steckt<br />
eine jahrzehntelange Leidenschaft, die Ariel Lüdi gut nachvollziehen kann. Auch für ihn ist<br />
diese Liegenschaft Liebe auf den ersten Blick: «Ich brauche Platz», sagt er, «und ich will viel<br />
Natur um mich herum.» Alles, was der «Hammer» bietet also. Dass von Plantas üppiger,<br />
barocker Stil nicht der seinige ist, kümmert ihn wenig. Würde er halt alles auf den Kopf<br />
stellen. Die Mittel dazu hat er nun ja.<br />
Das war allerdings nicht immer so …<br />
Ein wohlbehütetes Mittelstandskind<br />
1959 kommt Ariel Lüdi in Wettingen zur Welt. Sein Vater arbeitet als Betriebsleiter beim<br />
Wasserkraftwerk, und genau dort, in einer Dienstwohnung an der Limmat, wohnt Familie<br />
Lüdi auch, bis sie später ins «Tägi»-Quartier zügelt. Ariel wächst mit einer drei Jahre älteren<br />
Schwester als «behütetes Mittelstandskind» auf, wie er selber sagt, und besucht in Wettingen<br />
die Primarschule im Kloster, eine «Übungsschule» für das Lehrerseminar. Es ist eine<br />
schöne, unbeschwerte Zeit, und er ist ein guter Schüler.<br />
Das ändert sich, als er in die Bezirksschule kommt. Er findet keinen Draht zu seinen Mitschülern<br />
und wird zum Aussenseiter. Das wirkt sich auch auf seine Leistungen aus: Er<br />
hat Mühe, das Tempo zu halten, und muss Nachhilfestunden in Französisch und Latein<br />
nehmen. Mit Ach und Krach schafft er schliesslich den Übertritt in die Kantonsschule in<br />
Baden, wo er den mathematisch-naturwissenschaftlichen Weg einschlägt. Aber er fühlt<br />
sich hier wohl, auch wenn er ein Jahr wiederholen muss, weil er die Sache zu wenig ernst<br />
nimmt.<br />
Denn viel lieber als die Schule ist ihm der Sport. Bereits mit sechs Jahren beginnt er, bei<br />
Rotweiss Wettingen Landhockey zu spielen und erreicht hier schliesslich ein semiprofessionelles<br />
Niveau. Als einer der ersten Landhockeyspieler überhaupt wechselt er sein<br />
Heimteam und kämpft ab 1980 für den HC Olten, mit dem er 1985 Schweizer Hallenmeister<br />
wird. 1986 wird er es auch mit seinem neuen Club: den Grasshoppers Zürich. Jahrelang<br />
gehört er als Torhüter der Schweizer Nationalmannschaft an.<br />
208 209
Schon als Fünfjähriger<br />
mit Käppi: Ariel Lüdi<br />
im Garten der Dienstwohnung<br />
seiner Eltern<br />
an der Limmat in<br />
Wettingen.<br />
Erhard und Leonie<br />
Lüdi als junges Paar<br />
(oben links) und mit<br />
ihren Kindern Ariel<br />
und Christa um 1963.<br />
Unten: Weihnachten<br />
1965 in Wettingen.<br />
Mit 17 Jahren packt ihn die Leidenschaft fürs Fallschirmspringen: Schuld daran ist die amerikanische<br />
TV-Serie «Sprung aus den Wolken» aus den frühen 1960er-Jahren. Die beiden<br />
tollkühnen Fallschirmspringer Jim und Ted faszinieren ihn. Genau so möchte er auch sein.<br />
Schon als Teenager spart er auf das Ziel hin, einen Fallschirmkurs im Tessin zu besuchen,<br />
sobald er das Mindestalter erreicht hat. Es ist ein teurer Spass, denn Gleitschirme gibt es<br />
zu jener Zeit noch nicht. Wer fliegen will, muss sich vom Flugzeug in den Himmel tragen<br />
lassen. Dass die meisten Modelle damals «nichts anderes als <strong>gross</strong>e Militärrundkappenschirme»<br />
sind, stört ihn nicht, denn Angst ist nicht sein Ding.<br />
Kaum hat er seinen ersten Sprung hinter sich, ist er angefixt. Wann immer möglich, hebt<br />
er ab, um möglichst spektakulär wieder runterzukommen. So ist seine Kanti-Zeit vor allem<br />
von seinen zeitintensiven Hobbys geprägt: im Winter vom Hockeyspielen, im Sommer vom<br />
Fallschirmspringen. Er fehlt in der Schule derart oft, dass der Rektor einmal scherzhaft meint,<br />
er solle ihm künftig nicht mehr sagen, wann er fehle, sondern wann er in der Schule sei.<br />
210 211
Sicherer Rückhalt:<br />
Ariel Lüdis letzter<br />
Einsatz als Torhüter<br />
des Schweizer<br />
Nationalteams 1991<br />
am European Indoor<br />
Hockey Cup in<br />
Birmingham (die 2<br />
im weissen Shirt).<br />
Fühlte sich als Aussenseiter:<br />
Ariel Lüdi (hintere<br />
Reihe, Fünfter von<br />
links) während seiner<br />
Bezirksschulzeit 1975.<br />
Als er die Matura überraschend locker bestanden hat, fällt er allerdings tiefer als bei einem<br />
Sprung aus dem Pilatus Porter. Er gerät in ein Loch, ist orientierungslos, ohne Perspektiven.<br />
Seine Freunde zerstreuen sich in alle Winde. Er wird keinen von ihnen je wiedersehen.<br />
«Und nun?», fragt er sich – und kommt auf das Naheliegende: Er meldet sich für die Aufnahmeprüfung<br />
zum Sportstudium an der ETH Zürich an. Allerdings, ohne sich darauf vorzubereiten.<br />
Und so fällt er hochkant durch. «Am schlimmsten», erinnert er sich lächelnd,<br />
«war wohl der Moment, als ich tanzen sollte …» Weil er immer die Herausforderung sucht,<br />
überlegt er nicht, wo er seine Stärken hat, sondern exakt das Gegenteil: in welchem Fach<br />
er während seiner Kanti-Zeit am schlechtesten war. Er entscheidet sich dafür, an der ETH<br />
Zürich Physik zu studieren.<br />
Zwei Mal knapp am Tod vorbei<br />
Doch der Start missglückt gründlich: Nach einer an sich harmlosen Operation überlebt<br />
er nur mit viel Glück eine massive Blutvergiftung, die wohl auch daran schuld ist, dass<br />
er zusätzlich an einer chronischen Darmentzündung, dem Morbus Crohn, erkrankt. Alle<br />
Organe bis aufs Herz versagen. 15 Liter Blutkonserven sind nötig, um ihn am Leben zu<br />
halten. Er kommt erneut unters Messer. Als ihm kurz nach der Operation und noch auf<br />
der Intensivstation irrtümlicherweise gebratenes Poulet mit Pommes Frites serviert wird,<br />
kann er nicht widerstehen – und kollabiert wieder. Sein Leben hängt an einem Faden, und<br />
es dauert lange, bis er das Krankenhaus verlassen darf. Zu jenem Zeitpunkt ist er derart<br />
abgemagert, dass ihn seine Bekannten kaum noch erkennen.<br />
Ariel Lüdi erholt sich zwar schnell, den Einstieg ins Studium hat er allerdings verpasst. Und<br />
weil er keine Ahnung hat, was er sonst tun sollte, bewirbt er sich auf Rat eines Hockeykollegen<br />
bei einer amerikanischen Universität um ein Praktikum. Er landet an der Virginia<br />
Union University in Richmond, wo er den Studierenden, die ausnahmslos afroamerikanischer<br />
Herkunft sind, beim Lernen seiner Muttersprache Deutsch helfen soll. Es ist ein<br />
ziemlich schwieriges Unterfangen, da diese nach Lüdis Empfinden noch nicht mal richtig<br />
Englisch können und sich in einem Slang unterhalten, den er nicht versteht. Er fühlt sich<br />
hier nicht bloss fehl am Platz: Er leidet. Und er erfährt so etwas wie «umgekehrte Apartheid»<br />
– er wird gemobbt und bestohlen. Weil die Universitätsleitung Angst um ihn hat,<br />
lässt man ihn kaum aus dem Haus, und das Essen ist für ihn ungeniessbar. «Es war einfach<br />
nur der Horror», sagt er. Als er einen Rückfall hat und ins Spital eingeliefert werden muss,<br />
beschliesst er, die Uni zu verlassen. Was er nun tun soll, weiss er allerdings nicht. Nach<br />
Hause zurückkehren will er jedenfalls nicht.<br />
212 213
Dann besinnt er sich auf das, was er bisher am liebsten tat, und beginnt wieder mit dem<br />
Fallschirmspringen. Damit er es sich leisten kann, nimmt er allerhand Gelegenheitsjobs<br />
an. Er legt auf dem Flugplatz Fallschirme zusammen und arbeitet als Sicherheitsbeamter.<br />
Dass er dazu sogar eine Waffe tragen muss, macht ihm keine Mühe. Doch sein Einkommen<br />
reicht kaum zum Leben. Immer wieder sitzt er verzweifelt in seinem alten Auto – «den<br />
Tank voll, das Portemonnaie leer». Der Hunger war sein ständiger Begleiter. «Ich war mehr<br />
als einmal dem Verzweifeln nah», erinnert er sich.<br />
Doch wann immer möglich springt er und lernt dabei spannende Menschen kennen:<br />
FBI-Agenten, Navy Seals, Sheriffs, Marshals und Drogenhändler. «Die sind am Wochenende<br />
friedlich zusammen gesprungen, bevor sie während der Woche wieder hintereinander herrannten»,<br />
erzählt er. Damit er offiziell in den USA arbeiten und seinen Lebensunterhalt<br />
verdienen kann, heiratet er mit 20 Jahren pro forma eine Frau, die er nur flüchtig kennt.<br />
Sie tut ihm diesen Gefallen, ohne etwas dafür zu verlangen. Mal abgesehen davon, dass<br />
die Ehe automatisch aufgelöst wird, sobald er das Land verlässt. Ihr richtiger Partner amtet<br />
sogar als Trauzeuge … «Es waren wilde Zeiten», sagt Lüdi lachend.<br />
Besonders wild treibt er es mit dem Fallschirmspringen. Er wagt immer mehr und gehört<br />
bald zu einer Stunt-Formation. Hier passiert es: Bei einem Sprung, bei dem er auf den<br />
Schirm des Untermanns stehen muss, verheddert er sich. Es ist ein fataler Fehler, und<br />
seinem Kollegen bleibt nichts anderes übrig, als seinen Schirm, in den sich Lüdi verwickelt<br />
hat, zu kappen. «Sorry, my friend, to leave you with that shit – tut mir leid, mein Freund,<br />
dich in dieser Scheisse hängen zu lassen», bedauert dieser, löst sich und zieht den Reservefallschirm.<br />
Ariel Lüdi, der sich in die zwei halboffenen Schirme hoffnungslos verwickelt hat,<br />
Wilde Zeiten: Ariel Lüdi<br />
mit seinem ersten eigenen<br />
Fallschirm, gesponsert<br />
von der Wettinger<br />
Firma Aquasant, und als<br />
bewaffneter Wachmann<br />
in den USA. Dank einer<br />
Scheinehe mit Lisa<br />
Gilbertson – hier beim<br />
Fallschirmfalten in<br />
Suffolk (Virginia) – darf<br />
er in den USA arbeiten.<br />
Rechts: Lüdi nach<br />
seinem Absturz auf dem<br />
Weg ins Krankenhaus.<br />
kommt ins Trudeln. «Wenigstens dreht sich das Ganze wie verrückt», denkt er, «das bremst<br />
ein bisschen.» Nach endlos langen Sekunden, in denen er wie ein Kreisel auf die Erde<br />
zurast, knallt er auf die Betonpiste. Aber er hat Glück im Unglück und bricht sich lediglich<br />
das Handgelenk und die Ferse. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, fragt er sich<br />
als Erstes, wie er sich mit einer gebrochenen Hand und einem kaputten Fuss überhaupt<br />
fortbewegen soll, und als Zweites, ob er das Schicksal wohl allmählich genug herausgefordert<br />
habe: Immerhin ist er mit 20 Jahren bereits zwei Mal dem Tod von der Schippe<br />
gesprungen. Er beschliesst, etwas Seriöses mit seinem Leben anzufangen.<br />
Zwar hat er in seinem Jahr in den USA bewiesen, dass er sich seinen Lebensunterhalt mehr<br />
schlecht als recht verdienen kann, aber er hat keine Lust, künftig auf dem Existenzminimum<br />
zu leben und zu darben. Deshalb beschliesst er, das Abenteuer USA zu beenden und<br />
nun doch eine Ausbildung in der Schweiz zu machen. Er bittet seine Schwester, ihm Geld<br />
fürs Rückflugticket zu schicken, das er sich sonst unmöglich leisten könnte.<br />
Zusammen mit einem Kollegen fährt er nach Miami, von wo aus er nach Hause fliegen will.<br />
Hier trifft er im Hotel auf eine Frau, die sich gleich selber zum Essen einlädt. Ihre direkte<br />
Art gefällt ihm. Ein paar Jahre später werden die beiden in der Schweiz heiraten. Dass Ariel<br />
Lüdi länger in Miami bleibt als geplant, liegt allerdings nicht an ihr: Sein Kollege ist schwer<br />
krank, und er tauscht mit ihm sein Ticket, damit dieser schneller in die Schweiz zurückkehren<br />
kann. Doch als er ein paar Tage später mit dessen Ticket einchecken will, lässt ihn die<br />
Fluggesellschaft nicht an Bord. Ratlos steht er in der Reihe vor dem Schalter, denn er hat<br />
das Geld nicht, sich ein neues Ticket zu kaufen. Dass ihm ein wildfremder Mensch den Betrag<br />
einfach so vorschiesst, stärkt in ihm die Überzeugung, dass es immer einen Weg gibt …<br />
214 215
Im freien Fall: Ariel Lüdi (rechts)<br />
als Fallschirminstruktor mit<br />
einem Schüler 1985 hoch über<br />
Locarno. Mit der neuen Lernmethode<br />
«Accelerated Free Fall»<br />
setzte das Paracentro Locarno<br />
als lizenzierter Ausbildungsbetrieb<br />
Massstäbe.<br />
216 217
Von Neugier getrieben, vom Schicksal gelenkt<br />
Es ist der Zufall, der ihn auf ein Inserat in der NZZ stossen lässt, über das IBM Studienabgänger<br />
als Programmierer sucht. Es ist das erste und einzige Mal in seinem Leben, dass<br />
sich Ariel Lüdi bewirbt. Er wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen und muss eine ganze<br />
Reihe von Tests über sich ergehen lassen. Besonders gut schneidet er beim Intelligenztest<br />
ab. «Ich hatte extrem Freude daran», sagt er, «und war wohl deshalb so gut.» Er bekommt<br />
den Job bei IBM und beginnt mit dem Programmieren – «das einzige Fach, das mir an der<br />
ETH Spass gemacht hat».<br />
Als Ariel Lüdi Ende 1981 in die Schweiz zurückkehrt, spricht er ein holpriges Deutsch und<br />
fühlt sich ohnehin ein bisschen fremd in der Heimat. Doch er beginnt tatsächlich ein zweites<br />
Mal mit dem Physikstudium, fällt aber bereits beim ersten Vordiplom durch. Beim zweiten<br />
Versuch klappt es zwar, aber da hat er schon einen Job im Para Centro Locarno, wo er sich<br />
zum Fallschirminstruktor ausbilden lässt. Da er als junger Mann besonders viel Ehrgeiz im<br />
Sport hat, schmeisst er die Ausbildung und arbeitet mehrere Jahre im Tessin, wo er nun<br />
auch lebt, als Lehrer und Fallschirmwart. Bald hat er alle Lizenzen, die man hier haben<br />
kann. Mehr noch: Er wird zum gefragten Stuntman und springt unter anderem mehrmals<br />
für eine Filmaufnahme mit einem Klavier auf 8000 Metern aus einer Herkules-Maschine,<br />
landet nachts im Zürcher Letzigrundstadion, auf den Brissago-Inseln, im Krüger Nationalpark<br />
oder wo auch immer ein Veranstalter ihn haben möchte.<br />
Er lebt derart in der Welt des Fallschirmspringens, dass er an keinem Flugplatz vorbeifahren<br />
kann, wenn er die Leute springen sieht. Er ist ein verwegener Springer. Aber er ist<br />
ein Profi. Bewusst Risiken eingegangen sei er nie, sagt er. Stimmen die Voraussetzungen<br />
nicht, springt er auch dann nicht, wenn am Boden Tausende von Zuschauern auf ihn warten.<br />
«Ich habe deshalb auch nie eine Sportart betrieben, bei der ich mein Schicksal nicht<br />
selber in den Händen hatte.» Sieben Mal muss er beim Springen den Notfallschirm ziehen.<br />
«Beim Basejumping von Felswänden oder Gebäuden wäre ich sieben Mal tot gewesen …»<br />
Er geniesst das Abenteuer, wie er selber sagt, doch irgendwann fühlt er sich intellektuell<br />
unterfordert. «Ich wäre ohne diese Erfahrung nicht da, wo ich heute bin, aber ich brauchte<br />
eine neue Herausforderung.»<br />
In jeder Beziehung<br />
auf dem Weg nach<br />
oben: Ariel Lüdi nach<br />
seinem Einstieg als<br />
Programmierer bei IBM<br />
mit seiner Frau Sandra<br />
1985 und auf dem Weg<br />
zur Fallschirmspringerlizenz<br />
in Locarno<br />
Ende der 1970er-Jahre<br />
(Zweiter von links).<br />
Aber auch bei IBM wird es ihm nach wenigen Jahren langweilig, und es kommt ihm gerade<br />
recht, als er 1985 von einer «komischen Consulting-Bude» abgeworben wird. Hier verdient<br />
er zwar das Vierfache und fährt einen Geschäftswagen, aber so richtig glücklich wird er<br />
trotzdem nicht. Immerhin spricht es sich in der Szene herum, dass er ein IT-Talent ist, und<br />
er erhält ein Angebot von einer kleinen, damals unbedeutenden Firma namens Oracle …<br />
Oracle – 2016 ein Unternehmen mit weltweit 135 000 Mitarbeitenden und einem Umsatz<br />
von 37 Milliarden Franken – beschäftigt zu dieser Zeit in der Schweiz gerade mal zehn<br />
Personen. Es ist nicht das, was man auf den ersten Blick einen glanzvollen Karriereschritt<br />
nennen könnte, doch die Herausforderung reizt Ariel Lüdi, und er nimmt das Angebot an,<br />
auch wenn er finanziell deutlich zurückbuchstabieren muss. Acht Jahre wird er bei Oracle<br />
arbeiten und bis in die Geschäftsleitung aufsteigen. Dabei gestaltet er den kometenhaften<br />
Aufstieg des Unternehmens zum Marktführer im Datenbankgeschäft mit. Als er Oracle<br />
1996 verlässt, weil er nicht die Chance bekommt, international zu arbeiten, ist das Schweizer<br />
Team auf 250 Mitarbeitende angewachsen.<br />
Der Zufall mag zwar mitspielen, aber es ist bestimmt auch seine Fähigkeit, die <strong>gross</strong>en<br />
Branchentrends instinktiv richtig und rechtzeitig zu erkennen, die ihn zu seinem nächsten<br />
Arbeitgeber führt. Als er – als Vielflieger – auf Einladung von United Airlines das einzige<br />
Mal in seinem Leben eine Oper besucht, trifft er auf einen Bekannten, der ihm von einem<br />
Start-up erzählt, das ihn interessieren könnte: von BroadVision.<br />
BroadVision ist zu dieser Zeit ein unbedeutendes Unternehmen mit ein paar Angestellten,<br />
aber noch ohne Kunden. Ariel Lüdi hat keine Ahnung, was BroadVision macht, und fliegt<br />
in die USA, um es sich anzusehen. CEO Pehong Chen überzeugt ihn vom Potenzial der<br />
Firma. Lüdi sagt zu und steigt im April 1996 in den E-Commerce ein. Am Ende leitet er für<br />
BroadVision das gesamte Europageschäft und generiert einen Umsatz von 150 Millionen<br />
Franken. Die Firma selber steigt im Wert während dieser Zeit von 0 auf 27 Milliarden Franken.<br />
Lüdi, der eine ganze Menge Aktien besitzt, verfügt auf dem Papier plötzlich über ein<br />
Vermögen. Als er 1999 zum ersten Mal Anteile auf E-Trade verkauft, ist er Millionär …<br />
218 219
Die Mustang P-51 TF mit ihren<br />
1650 PS und 12 Zylindern aus<br />
dem Jahr 1944 ist heute ein Liebhaberobjekt.<br />
«Doch die besitzt<br />
man nicht», sagt Ariel Lüdi,<br />
«man bewahrt damit Geschichte.»<br />
Der historische Jagdbomber<br />
gehört zur «Flotte» Lüdis, der ein<br />
leidenschaftlicher Flieger ist.<br />
220 221
Er weiss nicht recht, was er mit dieser Situation anfangen soll, denn Geld ist für ihn zu<br />
dieser Zeit etwas Surreales, auch wenn es ihm eine gewisse Sicherheit gibt. So änderte er<br />
auch seinen Lebenswandel bisher kaum und hat keine Mühe, bei einem Jobwechsel ein Risiko<br />
oder finanzielle Kompromisse einzugehen. «Niemand konnte mich damals begreifen»,<br />
sagt er. «Und die meisten haben mich belächelt, wenn ich die Karriereleiter mal wieder<br />
vermeintlich abgestiegen bin. Denn ich habe in jedem neuen Job zuerst weniger verdient<br />
als im alten.» Warum er das getan habe? «Aus Naivität, aus Leidenschaft, aus Interesse?<br />
Oder weil ich einen Sinn in der Arbeit suchte? Wohl von allem etwas!»<br />
Als die Internetblase platzt, geht es auch BroadVision ans Eingemachte. Lüdi muss sechs<br />
Entlassungsrunden durchziehen. 2002 hat er genug und verlässt das Unternehmen. Dank<br />
dem Verkauf seiner Aktien hat er immerhin ein paar Millionen auf dem Konto. Er kauft<br />
sich ein Schiff, beginnt zu golfen und fährt – wie viele seiner Kollegen – einen Ferrari. Den<br />
verkauft er aber schon nach wenigen Monaten, weil es ihm «schlicht zu blöd» ist. Als er<br />
sich, einmal mehr, zu langweilen beginnt, bittet er seinen Ex-Chef, ihn dem CEO von Salesforce<br />
vorzustellen. Auch dieses Unternehmen ist erst ein paar Jahre alt, aber in den USA<br />
mit seinen Cloud-Lösungen für Firmen bereits mächtig auf Kurs. Zwei Stunden dauert das<br />
Gespräch mit CEO Marc Benioff. Dann hat er den Job: Ariel Lüdi soll das Europageschäft<br />
aufbauen. Er tut es, wie alles, was er anpackt, mit Enthusiasmus und ist entsprechend erfolgreich.<br />
Doch er hat seine liebe Mühe mit dem Geschäftsgebaren der Salesforce-Spitze<br />
und verlässt das Unternehmen nach dessen Börsengang, der ihm wenigstens ein hübsches<br />
finanzielles Polster beschert. Ausserdem wartet bereits ein spannender neuer Job auf ihn.<br />
Denn noch bevor er sich von Salesforce trennt, kommt er mit Hybris in Kontakt. Das Startup<br />
beschäftigt in München erst 20 Personen, doch die Geschäftsidee der E-Commerce-<br />
Plattform überzeugt Lüdi. Nach intensiven Gesprächen mit dem Hybris-Team und einer<br />
«Due-Diligence-Prüfung», über die er die Risiken sorgfältig analysiert und abwägt, steigt<br />
er als CEO ein. Dabei legt er das ganze Geld, das er mit Sales force gemacht hat, auf den<br />
Tisch und sichert sich die Option, bei Gelegenheit noch mehr Aktien kaufen zu können.<br />
Wenn er sich schon aufs Abenteuer Hybris einlässt, denkt er sich, dann richtig. Doch das<br />
Unternehmen entwickelt sich alles andere als erfreulich. Drei Mal schrammt es innerhalb<br />
weniger Jahre am Konkurs vorbei: zu wenig Umsatz, betrügerische Machenschaften, das<br />
ganze Programm. 2006, dem schlimmsten Jahr in der Firmengeschichte, macht Hybris<br />
einen Kapitalschnitt. Ariel Lüdis Geld ist damit praktisch weg. Doch er glaubt nach wie vor<br />
an Hybris, nimmt aufs Haus und bei Freunden und Bekannten Kapital auf und setzt zum<br />
zweiten Mal alles auf eine Karte.<br />
Und dann wird alles gut. Sehr gut sogar. 2011 ist Hybris Weltmarktführer und kauft sogar<br />
eine Firma in Kanada hinzu. 2013 will man an die Börse und hat schon die angesehensten<br />
Finanzinstitute für den Börsengang im Rücken, als Kaufanfragen kommen. Das überrascht<br />
nicht: Solange eine Firma nicht an der Börse gehandelt wird, ist es deutlich einfacher, sie<br />
zu übernehmen. Adobe bietet ungefragt 1,6 Milliarden Franken. Es ist ein atemberaubendes<br />
Angebot, aber Lüdi hält nichts von der Strategie, die Adobe verfolgen würde, und winkt<br />
ab, was seinen Investor die Wände hochgehen lässt.<br />
Doch dann kommt SAP. «Die haben uns überzeugt», erinnert er sich, «weil sie nicht meinten,<br />
sie könnten alles besser.» Ariel Lüdi und seine Geschäftspartner schlagen ein und<br />
verkaufen Hybris für 1,5 Milliarden Franken. Sie verpflichten sich, noch zwei Jahre im Boot<br />
zu bleiben. Im Rahmen dieser Firmenübernahme kauft SAP sämtliche Aktien von Hybris.<br />
Und dies zu einem Preis, der weit über dem ursprünglichen Anschaffungspreis liegt. So<br />
werden Lüdi und seine Kompagnons nicht nur selber wohlhabend, sie generieren gegen<br />
100 Millio näre. Die vielen rührenden Rückmeldungen seiner ehemaligen Mitarbeitenden<br />
freuen ihn aufrichtig. Und stärken in ihm die Sicherheit, mit dem Verkauf – nicht nur für<br />
sich selber – das Richtige getan zu haben.<br />
Die Karriere von Ariel Lüdi wird in der Branche eifersüchtig mitverfolgt. Denn was immer<br />
er tut: Er tut es erfolgreich. Er selber sieht es entspannter: «Ich habe vermutlich einfach<br />
gemerkt, wenn etwas vielversprechend war. Mag sogar sein, dass ich aus den falschen<br />
Gründen zugesagt habe, aber am Ende hat es sich immer ausbezahlt. Einen Karriereplan<br />
hatte ich nie. Das hat mehr mit Glück zu tun und mit dem richtigen Timing.» Und wohl<br />
auch mit seinem Engagement: Hat er Spass an der Arbeit, geht er darin auf, und die Ideen<br />
sprudeln nur so aus ihm raus. «Wenn ich die Freude am Produkt verlor, musste ich gehen,<br />
weil ich dann nicht mehr bringen konnte, was ich eigentlich wollte.»<br />
222 223
Zwischenstopp in Kanada<br />
Während Ariel Lüdi nach seiner Rückkehr in die Schweiz beruflich eine eindrückliche Karriere<br />
aufs Parkett legt, läuft es ihm privat nicht immer nach Wunsch. So scheitert seine Ehe<br />
beispielsweise bald nach der Geburt der beiden Kinder. Dabei fängt alles so gut an.<br />
Kaum hat sich Lüdi in seiner alten Heimat eingelebt, nimmt er den Kontakt zu jener Frau<br />
auf, die er bei seiner Abreise in Miami zufällig getroffen hat. Die gebürtige Kanadierin<br />
besucht ihn darauf mehrmals in der Schweiz, wo es ihr gut gefällt. Sie findet sogar eine<br />
Stelle im «Gambrinus» in Brugg. Nur arbeiten darf sie hier eigentlich nicht – es sei denn,<br />
sie heirate einen Schweizer. Also geben sich Ariel Lüdi und Sandra Turner 1982 das Jawort.<br />
Es ist kein Déjà-vu: Im Gegensatz zu seiner Scheinehe in den USA meint er es dieses Mal<br />
ernst. 1990 kommt Sohn Jeremy zur Welt, zwei Jahre später Tochter Jessica. Doch die Ehe<br />
läuft nicht so, wie es sich die beiden vorgestellt haben: Als Jeremy in den Kindergarten<br />
kommt, trennt sich das Paar. Sie zieht wenig später mit den Kindern nach Kanada, um in<br />
der Nähe ihrer Familie zu sein; er stürzt sich in die Arbeit. Auch deshalb, weil die finanzielle<br />
Belastung <strong>gross</strong> ist.<br />
Noch grösser ist allerdings die emotionale: Ariel Lüdi sieht seine Kinder während zwei<br />
Jahren kaum. Wenn er für Oracle in die USA reisen muss, macht er einen Zwischenstopp in<br />
Toronto, mietet sich ein Auto und fährt durch halb Ontario, um seine Familie in Woodstock<br />
zu besuchen. «Der Abschied», sagt er, «war immer furchtbar.» Ein Glück für ihn, hält es<br />
seine Ex-Frau nicht lange in Kanada aus – sie hat Sehnsucht nach der Schweiz, die für sie<br />
mehr als zehn Jahre Heimat war. Als sie nach zwei Jahren mit Jeremy und Jessica zurückkehrt,<br />
wird er wenigstens zum Wochenendvater. Und seinen Kindern, die mittlerweile vor<br />
allem Englisch sprechen, ermöglicht er den Besuch der «Zurich International School». Es<br />
kostet ihn ein Vermögen, das er zu jener Zeit noch nicht hat, und er muss seinen Chef bei<br />
BroadVision schon mal um einen Vorschuss bitten. Aber es sollte nicht mehr lange dauern,<br />
bis er mit seinen Aktien das erste richtig <strong>gross</strong>e Geschäft macht.<br />
2000 kauft er sich im aargauischen Uezwil ein hübsches Eigenheim,<br />
in das er mit seiner neuen Partnerin einzieht. Und wo er<br />
auch bleibt, bis er sich nach dem Verkauf von Hybris 2013 dazu<br />
entscheidet, eine richtig schöne Liegenschaft im Kanton Zug oder<br />
Schwyz zu suchen. Und da wären wir also wieder: im «Hammer».<br />
«I really miss you»: Jeremy und<br />
Jessica um 1998 in Woodstock<br />
(oben), von wo sie ihrem Vater oft<br />
Zeichnungen und Briefe schickten,<br />
und 1994 mit ihm in der Schweiz.<br />
224 225
Liebe auf den ersten Blick: Ariel Lüdi und der «Hammer»<br />
Schon nach seinem ersten Besuch im «Hammer» ist für Ariel Lüdi klar, dass er diese Liegenschaft<br />
kaufen möchte. Nur, wie er es seiner Partnerin beibringen soll, das weiss er noch<br />
nicht. Denn diese steht mehr auf schlichte, moderne Bauten, während er es gerne ein<br />
bisschen historisch und vor allem wohnlich hat. Immerhin bietet der «Hammer» Platz für<br />
ihre Pferde. Das ist sein Joker, denn etwas Neues für Pferde zu bauen, ist in der Schweiz aus<br />
baurechtlichen Gründen sehr schwierig und teuer. Also geht es darum, etwas Bestehendes<br />
zu finden, das sich für Pferdehaltung eignet. Etwas wie den «Hammer».<br />
Zwei Mal besucht er Andrea von Planta im «Hammer», und dieser führt ihn nur zu gerne<br />
durch sein Anwesen. Mehrere Stunden dauert jede der Führungen, da von Planta zu jedem<br />
Objekt eine Geschichte zu erzählen weiss. «Wenn ich diese Liegenschaft kaufe», denkt<br />
Lüdi sich, «dann möchte ich ein Buch darüber machen.» Diesen Wunsch erfüllt er sich<br />
schliesslich als Erstes: Teil 1 der Geschichte des «Hammers» wird erscheinen, bevor er in<br />
die Villa eingezogen ist, denn deren Umbau wird Jahre dauern …<br />
Von seiner Anlage her ist der «Hammer» für Ariel Lüdi perfekt. Nur die Villa selber, in der<br />
die von Plantas wohnen und die mal sein Zuhause werden sollte, ist so gar nicht sein Stil.<br />
Der seiner Partnerin ohnehin nicht. «Man ist hier verloren gegangen wie in einem Labyrinth»,<br />
sagt er, «und man konnte sich kaum vorstellen, wie denn der Grundriss eigentlich<br />
aussieht.» Alles ist verwinkelt, jeder Quadratmeter Raum ausgenützt und mit Möbeln zugestellt.<br />
Sechs Wohneinheiten verteilen sich auf vier Stockwerke, «und jede hatte auch<br />
noch ihr Kücheli und WCli», erinnert sich Lüdi. Ihm fehlt es an Grosszügigkeit.<br />
Lüdi sieht schnell, dass er hier radikal zu Werke gehen würde: So schwebt ihm statt sechs<br />
kleinen eine <strong>gross</strong>e Wohnung mit viel weniger Zimmern vor. Schliesslich will er hier nicht<br />
mit seiner ganzen Verwandtschaft, sondern lediglich mit seiner Partnerin einziehen.<br />
Andrea von Planta spürt das, und die Vorstellung, dass der neue Eigentümer sein Lebenswerk<br />
quasi ruinieren würde, tut ihm weh. Aber er will verkaufen, weil ihm das Anwesen<br />
längst zur Belastung geworden ist und er sich bis unter den letzten Dachziegel verschuldet<br />
hat. Um sein Einkommen aufzubessern, vermietet er sogar einen Teil der Wohnungen über<br />
Airbnb. Die Unterhaltskosten hat er bereits auf ein Minimum reduziert. Viel zu stark, um<br />
die Anlage tatsächlich so in Schuss zu halten, wie sie es verdient – und wie er es wohl selber<br />
gerne hätte; ein paar Hunderttausend Franken jährlich an Fixkosten sind es trotzdem noch.<br />
Aber im Moment will er einfach seine 30 Millionen Franken zurück, die er über die Jahre in<br />
den «Hammer» gesteckt hat.<br />
Allerdings ist dies das viel mehr, als Ariel Lüdi auszugeben gedenkt. Sein Angebot fällt<br />
entsprechend tiefer aus. Es ist zwar immer noch eine Menge Geld, aber die von Plantas tun<br />
sich verständlicherweise schwer, auf den Deal einzugehen. Für sie ist der «Hammer» ein<br />
Bijou, in das man sofort einziehen könnte. Sie liegen damit nicht falsch: Hätte jemand denselben<br />
Geschmack wie die von Plantas, er könnte hier locker und ohne <strong>gross</strong>e Investitionen<br />
noch einmal zwei Jahrzehnte leben. Nicht aber Ariel Lüdi. Für ihn ist die Hammer-Villa<br />
ein Umbauobjekt, das noch sehr viel Geld kosten würde. Er lässt deshalb nicht mit sich<br />
handeln. Einzig beim Inventar macht er hin und wieder Zugeständnisse und signalisiert,<br />
dass er den von Plantas durchaus das eine oder andere historische Objekt abkaufen würde,<br />
sollte es zum Geschäft kommen.<br />
Da der finanzielle Druck <strong>gross</strong> ist, dauert es aber letztlich nur zwei Wochen, bis Andrea<br />
von Planta einschlägt. Nachdem er jahrelang vergeblich versucht hat, seinen «Hammer»<br />
zu verkaufen, ist Lüdis Angebot – auch wenn es ihm als viel zu tief vorkommt – besser als<br />
nichts. Am 6. September 2013 wird der Kaufvertrag unterschrieben und bei einem Mittagessen<br />
im Restaurant Wart in Hünenberg im Familienkreis besiegelt. Die Stimmung ist<br />
keineswegs gedrückt, auch wenn beide Parteien wissen: Für die von Plantas beginnt bald<br />
die mühsame Zeit des Umzugs, für Ariel Lüdi jene des Umbaus. Sie wird viel länger dauern<br />
als geplant. Aber auch das ist typisch für den «Hammer».<br />
Und jetzt einfach mal loslegen …<br />
Annähernd dreissig Jahre ist Hans-Peter Bärtsch, der mittlerweile der Geschäftsleitung der<br />
BKG Architekten AG angehört und bald zu deren Verwaltungsratspräsident gewählt werden<br />
sollte, Hausarchitekt im «Hammer», als Ariel Lüdi das Anwesen im Herbst 2013 kauft.<br />
So liegt es auf der Hand, dass er auch für den bevorstehenden Umbau beigezogen wird.<br />
Niemand kennt die Liegenschaft besser als er. Geplant ist, das Waschhäuschen zur Übergangsresidenz<br />
zu machen, das Mühlehaus aufzufrischen, die Kegelbahn in einen modernen<br />
«Mehrzweckraum» zu verwandeln, die Stallungen zu modernisieren und aus dem Autounterstellplatz<br />
vier zusätzliche Boxen zu schaffen. Ausserdem soll die Umgebung sanft<br />
umgestaltet und die Villa komplett umgebaut werden. Rund ein Jahr, so hofft Lüdi, würden<br />
die Arbeiten dauern. Ein erstes, noch vages Konzept für den Umbau der Hammer-Villa<br />
besteht auch schon bald. Hans-Peter Bärtsch macht einen Vorschlag für das weitere Vorgehen<br />
und sieht einen Kostenrahmen zwischen 2,5 und 5 Millionen Franken für alles vor.<br />
226 227
Nicht wiederzuerkennen:<br />
Andrea von Planta baute rund<br />
um seine historische Kegelbahn<br />
ein Arvenstübli, für das er das<br />
Originaltäfer seines Elternhauses<br />
verwendete. Ariel Lüdi<br />
machte daraus einen hellen,<br />
modernen Mehrzweckraum.<br />
228 229
Als Erstes wird das Waschhäuschen auf Vordermann gebracht. Hier wollen Ariel Lüdi und<br />
seine Partnerin wohnen, bis die Villa umgebaut ist. Es hat eine Sanierung nötig, denn<br />
es ist zu einem eher kühlen und feuchten Provisorium verkommen. Schon im November<br />
2013 ziehen sie mit ihren drei Hunden in ihr liebevoll renoviertes und ausgestattetes<br />
Übergangszuhause ein. Hier könnte man durchaus für immer leben, auch wenn es nicht<br />
den historischen Charme und die Grosszügigkeit der Villa mit ihren 1200 Quadratmetern<br />
Wohnfläche hat. Entsprechend gelassen geht Lüdi das Ganze an; eine Zeitlimite für die<br />
Umbauarbeiten an der Villa setzt er nicht.<br />
Noch sind die von Plantas hier ohnehin am Räumen von dreissig Jahren Hammer-Geschichte.<br />
So richtig voranzukommen scheinen sie allerdings nicht. Fast täglich sind sie vor Ort und<br />
sparen dabei nicht mit Ratschlägen an den neuen Besitzer, der allmählich ungeduldig wird.<br />
«Ich wollte endlich zu Hause sein hier – in meinem ‹Hammer›», sagt Lüdi. «Mir fehlte die<br />
Privatsphäre.» Schliesslich setzt er den beiden ein Ultimatum. Das führt zwischenzeitlich<br />
zu einem etwas unterkühlten Verhältnis, aber die Wogen legen sich schnell, nachdem die<br />
von Plantas sich in ihrem neuen Zuhause, nicht weit vom «Hammer» entfernt, eingelebt<br />
haben und die letzten Zügelwagen unterwegs sind nach Susch im Engadin, wo die von<br />
Plantas den Grossteil ihrer Habe in ihrem riesigen Ferienhaus zwischenlagern.<br />
Hans-Peter Bärtsch skizziert derweil gemeinsam mit dem Innenarchitekten und Lüdis<br />
Partnerin Grundrisse für die «neue» Villa, und Baumeister Patrick Käppeli vom Zuger Bauunternehmen<br />
Hodel sondiert im Januar 2014 schon mal im wahrsten Sinne des Wortes die<br />
Lage: Es geht darum, zu klären, wie die Villa umgebaut werden soll beziehungsweise kann.<br />
Dabei werden auch Decken heruntergerissen, um zu schauen, was sich dahinter versteckt.<br />
«Manchmal», sagt Käppeli, «ist das hervorgekommen, was wir erwartet haben – manchmal<br />
eben nicht.» Zum Glück hat Hans-Peter Bärtsch nicht nur ein gutes Gedächtnis, sondern<br />
auch verlässliche Pläne, aber auch dort ist längst nicht alles enthalten. Er hat den «Hammer»<br />
ja nicht neu gebaut. «Gut gerechnet, waren 80 Prozent des Gebäudes dokumentiert», sagt<br />
Käppeli. «Der Rest war Überraschung.»<br />
Der Vorgehensvorschlag von Hans-Peter Bärtsch beinhaltet eine Überarbeitung des vagen<br />
Konzepts der Bauherrschaft zu einem Ausführungsprojekt sowie die Erstellung eines<br />
Kostenvoranschlags dafür. Und genau dies geschieht nun auch, denn es ist ihm wichtig,<br />
das provisorische Budget vor Beginn der Ausbauarbeiten zu überprüfen. Um die Kosten<br />
genauer beziffern zu können und damit sich alle eine bessere Vorstellung der künftigen<br />
Räume machen können, werden die Rückbauarbeiten in Angriff genommen. Ausserdem<br />
wird eine Visualisierung in Form einer 3-D-Animation erstellt. Als Bärtsch den versprochenen<br />
Kostenvoranschlag präsentiert, tut er es allerdings mit gemischten Gefühlen: Auch<br />
wenn er Ariel Lüdi schon während der Arbeit daran signalisiert, dass 2,5 Millionen wohl<br />
ziemlich unrealistisch seien, ist er von der Höhe überrascht. Der Voranschlag kommt auf<br />
12,5 Millionen Franken zu stehen, allein 8,5 Millionen für den Umbau der Villa.<br />
Stilwechsel: der frisch<br />
gestaltete Wintergarten<br />
zwischen Mühlehaus<br />
und Waschhäuschen<br />
nach dem Einzug von<br />
Ariel Lüdi Ende 2013.<br />
230 231
Ein<br />
ichtig<br />
«Ein richtig netter Mensch»<br />
Polier Qamil Behluli war schon dabei, als die Zuger Baufirma Hodel 2014 die<br />
ersten Sondierungsarbeiten machte, und verliess den «Hammer» erst, als nach<br />
Lüdis Einzug das letzte Stück Strasse planiert war. Er tat es schweren Herzens.<br />
Qamil Behluli, woran erinnern Sie sich am liebsten in Bezug auf den «Hammer»?<br />
An die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten. Ich habe zwar immer Freude an meiner<br />
Arbeit, aber hier hat sie mir noch mehr Spass gemacht. Wir durften nicht nur ein<br />
sehr schönes Objekt umbauen, wir waren auch ein richtig gutes Team. Alle haben<br />
sich füreinander eingesetzt. Besonders schön war auch der Kontakt zu Geri Ecker; er<br />
hatte immer ein offenes Ohr für unsere Anliegen. Und natürlich zu Ariel Lüdi.<br />
etter<br />
Wie war denn der Kontakt zu ihm?<br />
Extrem unkompliziert. Er hat zwar viel Geld, ist aber ein richtig netter Mensch.<br />
Einmal hatte er einen coolen Westernhut auf. Ich habe ihm gesagt, dass der super<br />
aussehe, und er hat mich gefragt, ob ich auch gerne so einen hätte. Ich habe dann<br />
gesagt, den könne ich mir wohl nicht leisten. Zwei Wochen später hat er mir einen<br />
geschenkt. Vermutlich hat Dirk den für ihn besorgt. Ich wollte ihm den Hut natürlich<br />
bezahlen, aber er meinte, das komme gar nicht infrage …<br />
ensch»<br />
Der «Hammer» ist ein echtes Juwel, und beim Umbau war oft nur das Beste gut<br />
genug. Wird man da auch mal neidisch?<br />
Überhaupt nicht. Ich habe nie gedacht: Das hätte ich auch gerne. Ich träume nur von<br />
Sachen, die ich mir leisten kann. Der «Hammer» zählt definitiv nicht dazu.<br />
«Ariel Lüdi ist fast vom Hocker gekippt», erinnert sich Stefanie Bärtsch, die schliesslich<br />
in die Fussstapfen ihres Vaters treten und die Bauleitung übernehmen wird. «Und er hat<br />
meinem Vater deswegen Vorwürfe gemacht.» Nicht ganz zu Recht, wie sich später zeigen<br />
wird, aber das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen Ariel Lüdi und Hans-Peter Bärtsch<br />
erleidet Schiffbruch. Lüdi, der zwar keinen Moment an den Qualitäten von Bärtsch zweifelt,<br />
aber von Anfang an keinen Draht zu ihm findet, gibt sich keine Mühe, zu verbergen,<br />
dass er sich nach einem neuen Architekten umsieht, obwohl Bärtsch einen zweiten Anlauf<br />
nimmt und den Kostenvorschlag revidiert. Viel Spielraum hat er allerdings nicht, denn die<br />
Ansprüche von seiner Partnerin und Innenarchitekt Markus Schlegel sind hoch. Oft ist nur<br />
das Teuerste gut genug.<br />
So herrscht, kaum hat die Arbeit richtig begonnen, Funkstille zwischen Cham und Zürich,<br />
wo man sich bei den BKG-Architekten fragt, ob für sie die «Ära Hammer» nach dreissig<br />
Jahren nun definitiv zu Ende geht, obwohl die laufenden Abbrucharbeiten noch abgeschlossen<br />
werden. Denn ab Frühling 2014 machen sich Käppelis Leute ans Werk. Sie brechen<br />
während Monaten Wände raus und verstärken Decken. Oft müssen sie zwischendurch<br />
Gebäudeteile abstützen. Dass man im «Hammer» über die Jahrzehnte immer etwas<br />
gemacht hat, zahlt sich nun aber aus: Die Bausubstanz ist gut, böse Überraschungen sind<br />
selten. «An sich haben wir nur die Karosserie weggenommen», sagt Käppeli, «der innere<br />
Zustand war sehr gut.» Und dies sei deutlich angenehmer als umgekehrt.<br />
Als die Sondierungs- und Rückbauarbeiten abgeschlossen sind, wird der Ausbau vorerst<br />
auf Eis gelegt: Lüdi ist mit den hohen Kosten nicht zufrieden und sucht nach Lösungen,<br />
wie man diese in den Griff bekommen könnte. Dafür wird die Planung für den Umbau der<br />
Pferde- und Ponystallungen in Angriff genommen. «Es wurde höchste Zeit, dass wir uns<br />
um die Tiere kümmerten», sagt Ariel Lüdi.<br />
Gib es etwas, das Sie besonders beeindruckt hat?<br />
Ich erinnere mich, wie wir mal ein <strong>gross</strong>es Rohr mit einem gigantischen Bund an<br />
Kabeln eingezogen haben. So eine Menge Kabel habe ich echt noch nie gesehen.<br />
Sie haben die ganze Palette an Arbeiten gemacht, die man bei einem Umbau<br />
überhaupt machen kann. Was war denn die grösste Herausforderung?<br />
Den Tresor zu zügeln! Ganz im Ernst. Der ist 1,2 Tonnen schwer und liegt flach auf<br />
dem Parkettboden. Den durften wir natürlich nicht beschädigen. Ich habe dann eine<br />
Lösung gefunden, wie wir ihn ohne <strong>gross</strong>e Kraftanstrengung und ohne Spuren zu<br />
hinterlassen verschieben konnten. Jetzt bin ich wohl der Einzige, der weiss, wie man<br />
ihn stehlen könnte …<br />
Neubeginn beim Pferdestall<br />
Und genau darum geht es, als er sich im Herbst 2014 bei Stefanie Bärtsch meldet und sie<br />
bittet, eine Sitzung einzuberufen. Die junge Architektin ist zwar überrascht, dass ausgerechnet<br />
sie das tun soll, nachdem sie nun so lange nichts mehr aus Cham gehört hat. Aber<br />
sie kommt der Bitte gerne nach. Ende 2014 – der «Hammer» ist nun ein Jahr im Besitz<br />
Lüdis – trifft sie sich deshalb mit ihm, dem St. Galler Pferdestall-Architekten Ivo Baumgartner<br />
und Baumeister Patrick Käppeli in Cham. Eine Baueingabe wurde bereits gemacht, und<br />
Lüdi will nun endlich loslegen. Allerdings fehlen die Schalungs-, Armierungs- und Ausführungspläne.<br />
Ob sie das denn übernehmen könne, fragt Lüdi Stefanie Bärtsch, die keinen<br />
Moment zögert: Natürlich könne sie das, sagt sie.<br />
232<br />
233
Doch es geht nicht nur um die Pläne. Es ist auch nicht klar, wer die Bauleitung machen soll.<br />
Der Stallarchitekt, der davon ausgeht, dass seine Aufgabe mit der Baueingabe beendet ist,<br />
zeigt wenig Interesse. Höchstens einmal wöchentlich könne er im «Hammer» vorbeischauen,<br />
sagt er achselzuckend. Was Baumeister Patrick Käppeli ein bisschen nervös macht:<br />
Einmal pro Woche sei bei diesem Projekt schlicht zu wenig, wendet er ein. Hier müssten<br />
fast täglich Entscheide getroffen werden, damit speditiv vorwärtsgemacht werden könne.<br />
Also wendet sich Lüdi erneut an die Architektin, die ihm aufgrund ihres unkomplizierten,<br />
fröhlichen, aber bestimmten Auftretens auf Anhieb sympathisch ist. «Machen Sie auch<br />
Bauleitung?», fragt er. Und als sie nickt: «Wann können wir loslegen?» Der Baumeister, der<br />
nun endlich anfangen möchte, schlägt vor, in zwei Wochen zu starten. Stefanie Bärtsch<br />
schluckt leer. Zwei Wochen? Ein sportliches Ziel, wenn man bedenkt, was es noch alles zu<br />
tun gibt. Sie spricht sich mit ihrem Vater ab, der ihr seine volle Unterstützung garantiert.<br />
Dann gibt sie ihr Okay. Der Umbau der Stallungen kann beginnen.<br />
Es ist eine überschaubare Aufgabe für Stefanie Bärtsch: Drei Türen müssen auf der Rückseite<br />
der Stallungen herausgeschnitten werden, damit die Pferde Auslauf haben, alles<br />
wird ein bisschen aufgefrischt, die Böden werden neu gemacht. Ausserdem werden Autounterstand<br />
und Schafstall für vier weitere Pferdeboxen mit Auslauf umgenutzt. Doch für<br />
die Leute auf der Baustelle ist der Umbau, mit dem auch eine ganze Reihe von Umgebungsarbeiten<br />
verbunden sind, immer wieder eine Herausforderung. So sollen alte, besonders<br />
schöne Elemente auf Wunsch von Ariel Lüdi erhalten bleiben. Sie werden für den Umbau<br />
aus- und schliesslich wieder eingebaut. Die historischen Sandsteintröge beispielsweise:<br />
«Die waren bestimmt 400 Kilogramm schwer», sagt Polier Qamil Behluli. «Wir mussten<br />
die wie die alten Ägypter von Hand und mit allerhand Gerätschaften rausnehmen, weil<br />
wir aufgrund der Raumhöhe keine Maschinen einsetzen konnten.» Da die latente Gefahr<br />
besteht, dass Teile des Gebäudes einstürzen, werden die so entstandenen Löcher umgehend<br />
zugemauert. «Aber das war alles richtig spannend», erinnert sich Behluli, der so oft<br />
im «Hammer» ist, dass er schon fast zum «Inventar» gehört.<br />
Direkten Ausgang ins<br />
Grüne: Die neuen<br />
Pferdeboxen sind heute<br />
nicht nur innen «state<br />
of the art»; sie bieten<br />
den Tieren auch mehr<br />
Bewegungsfreiheit.<br />
Mit dem Umbau der Stallungen ist es allerdings nicht getan. Im selben Atemzug werden<br />
Werkleitungen und Sickerrohre verlegt, und die unmittelbare Umgebung wird herausgeputzt:<br />
Der Vorplatz wird mit Pflastersteinen gestaltet, ein <strong>gross</strong>es Sichtbauwerk erstellt,<br />
Umzäunungen werden errichtet. Später wird ein Reitplatz angelegt. Der Hang oberhalb<br />
muss entwässert werden, damit die Weiden nicht weggeschwemmt werden. «Einige Arbeiten<br />
waren sogar für uns Neuland», sagt Patrick Käppeli, der sich deshalb besonders gerne<br />
an seine Zeit im «Hammer» erinnert.<br />
234 235
Mister Impossible»<br />
«Mister Impossible»<br />
Geht nicht, gibt’s nicht. Jedenfalls nicht für Dirk Bulir. Der 47-jährige Deutsche ist<br />
nicht bloss eine Kapazität, wenn es um Pferde geht. Er ist einer, der immer und überall<br />
die Herausforderung sucht und erst dann zur Ruhe kommt, wenn ein Problem<br />
gelöst ist. «Mister Impossible» nennt ihn Ariel Lüdi deshalb scherzhaft, denn Dirk<br />
Bulir ist gewissermassen sein Mann fürs Grobe.<br />
Sein praktisches Geschick und seine Macherqualitäten bekommt Dirk Bulir in die<br />
Wiege gelegt: 1970 kommt er in Nürnberg als Sohn einer Handwerkerfamilie zur<br />
Welt. Er lernt Heizungstechniker, hat aber viel mehr Spass am Reiten. Auch das<br />
kommt nicht von ungefähr: Seit Generationen gehören Pferde zur Familie Bulir. Sein<br />
Vater reitet Military, und so gerät Dirk auf die «klassische Schiene». Er ist ein hervorragender<br />
Reiter, aber die klassische Reiterei ist nicht sein Ding. Er ist schon als Kind<br />
ein Cowboy, läuft am liebsten mit einem Stetson rum und begeistert sich früh für<br />
die Westernreiterei, die damals in Deutschland aufkommt. «Bonanza-Kram» nennt<br />
Dirk Bulir diese Anfänge zwar rückblickend. Aber die Art und Weise, wie Reiter<br />
und Pferd miteinander arbeiten, gefällt ihm.<br />
Knochenarbeit:<br />
Dirk Bulir mit einem<br />
der Quarterhorses<br />
aus dem «Hammer»<br />
an der Americana<br />
2017 in Augsburg.<br />
Ansonsten geniessen<br />
die Hammer-Pferde<br />
ein eher beschauliches<br />
Leben.<br />
Seinem Vater weniger: «Wenn du zum Schlapphutreiter wirst, enterbe ich dich»,<br />
droht er ihm. Also reitet Dirk im Geheimen. Natürlich fliegt das Ganze auf, und Dirk<br />
löst das Problem auf seine Art: Er zieht, gerade mal 17-jährig, von zu Hause aus, heuert<br />
bei Roger Kupfer, dem «Dino der deutschen Westernreitszene», an und arbeitet in<br />
dessen «Training Stable» in der Oberpfalz. Kupfer erkennt das Talent des jungen<br />
Mannes und schickt ihn zu Weiterbildungszwecken nach Colorado, wo Bulir das<br />
Angebot bekommt, Ranch Management zu studieren.<br />
Nach zwei Jahren hat er das Diplom in der Tasche und kehrt zu Kupfer nach Deutschland<br />
zurück. Hier baut er Jugend- und Amateurkader im Westernreiten auf und gewinnt<br />
mit diesen eine Meisterschaft an der andern. Er selber wird in seiner Karriere<br />
sieben Mal bayrischer, elf Mal deutscher und zwei Mal Europameister. Um selber als<br />
Trainer arbeiten zu können, absolviert er zwischendurch die Ausbildung zum Pferdewirtschafts-Meister<br />
und macht sich schliesslich selbstständig: Er spezialisiert sich<br />
– wie könnte es anders sein? – auf schwierige Pferde, die durch alle Raster fallen.<br />
2014 zieht es ihn in die Schweiz. Er reitet hier Spring- und Dressurpferde für seinen<br />
Arbeitgeber und lernt dabei Lüdis Partnerin kennen, die ihm einen Job im «Hammer»<br />
anbietet, auch wenn sie ihn für überqualifiziert hält. Denn Bulir soll nicht der neue<br />
Stallmeister werden, sondern der «Mistgabelschwinger», wie er selber grinsend sagt.<br />
Er erscheint früher als abgemacht zum Vorstellungsgespräch und schaut sich die<br />
Umgebung in Ruhe an. Doch was er sieht, gefällt ihm nicht. Es fehlt an allen Ecken<br />
und Enden an Raum. Nicht einmal einen Reitplatz gibt es. Nachdem er sich mit der<br />
236<br />
237
Mister Impossible»<br />
Leidenschaft ist ansteckend:<br />
Ariel Lüdi<br />
unterwegs auf einem<br />
Wanderritt durch<br />
Süddeutschland. Im<br />
Gegenzug hob Bulir<br />
mit dem routinierten<br />
Kunstflieger ab – und<br />
genoss es.<br />
Stallmeisterin unterhalten hat, die ihm gänzlich inkompetent erscheint, winkt er ab.<br />
Doch schliesslich sagt er unter der Bedingung zu, dass er den Job des Stallmeisters<br />
bekommt.<br />
Als Dirk Bulir seine Arbeit im «Hammer» aufnimmt, ist die Planung für die Pferde-<br />
Infrastruktur bereits in vollem Gange. Er wird als Berater von Bauleiterin Stefanie<br />
Bärtsch beigezogen – und mischt sich von da an immer öfter ein. Das wird anfänglich<br />
zwar nicht von allen gleich geschätzt, doch schon bald beweist er, dass er über<br />
ein riesiges Know-how verfügt, von dem der «Hammer» nur profitieren kann. Ein<br />
Jahr dauert es, bis er die Infrastruktur aufgebaut hat. Dazu gehört auch der Kontakt<br />
zu den Bauern in der Umgebung, denen bald klar wird, dass sie es hier nicht mit<br />
«abgespacten Neureichen» zu tun haben, wie Bulir sagt, sondern mit Leuten, die mit<br />
beiden Füssen auf dem Boden stehen und ihr Geschäft beherrschen.<br />
Ariel Lüdi gefällt die pragmatische, überzeugende Art Bulirs, und er zieht ihn immer<br />
öfter bei – nicht nur dann, wenn es um die Pferde geht, sondern immer dann, wenn’s<br />
irgendwo brennt. So wird Dirk Bulir zu seiner rechten Hand. Als sich Ariel Lüdi von<br />
seiner Partnerin trennt, stellt sich allerdings die Frage, wie es denn nun weitergehen<br />
soll, denn zusammen mit ihr verlassen auch die Pferde den «Hammer». Dass diese<br />
zum «Hammer» gehören, darüber sind sich Lüdi und sein Stallmeister einig. Und<br />
sie entscheiden sich dafür, auf Quarterhorses umzustellen. «Das ist günstiger», sagt<br />
Bulir, «und die Voraussetzungen dafür sind im ‹Hammer› ideal.»<br />
Ariel Lüdi ist einverstanden, ganz ernst nehmen kann er diese Westernreiterei aber<br />
nicht. «Dann komm halt mal mit auf einen Wanderritt», schlägt Bulir vor und streift<br />
mit Lüdi eine Woche durch die deutsche Hügellandschaft. Dieser macht den Trip<br />
allerdings nur unter der Bedingung mit, dass Bulir sich dafür einmal zu ihm ins<br />
Flugzeug setzt, denn Ariel Lüdi ist ein begnadeter Kunstflieger. Bulir lässt sich nicht<br />
zweimal bitten. Und so kommt es, dass sein Chef mittlerweile ein guter Westernreiter<br />
und er selber ein begeisterter Mitflieger ist.<br />
Die sieben Quarterhorses im «Hammer» bildet Dirk Bulir sorgfältig aus. Und je länger<br />
er mit ihnen arbeitet, desto grösser wird die Lust, wieder einmal an ein «Turnierchen»<br />
zu gehen, wie er es nennt. Im September 2017 fährt er mit drei von ihnen an die «Americana»,<br />
die Weltmeisterschaften, in Augsburg. Er hat keine <strong>gross</strong>en Ambitionen,<br />
denn sein letztes Turnier liegt 17 Jahre zurück, doch seine Pferde präsentieren sich<br />
von ihrer besten Seite. Dass er keine Medaille nach Hause gebracht habe, sei allein<br />
seine Schuld gewesen, gesteht er. «Bissl aus der Übung halt.» Ein wenig vom Hafer<br />
gestochen ist er trotzdem: Für 2018 sind bereits ein paar Einsätze vorgesehen. Die,<br />
sagt er, wolle er aber schön locker angehen. «Wir wollen ja alle unseren Spass haben.»<br />
238<br />
239
T Y P 5<br />
T Y P 5<br />
TYP 2.2<br />
F-19-2<br />
ROL<br />
T Y P 2<br />
F -1 9 -1<br />
R O L<br />
RADIATOR<br />
F -1 9 -3<br />
R O L<br />
T Y P 2<br />
Z U F A H R T<br />
OLLIEREN<br />
BODEN BIS<br />
ANK<br />
MASS<br />
15.50<br />
1.65 13.85<br />
TYP 4<br />
TYP 17<br />
TYP 16.2 TYP 16.1<br />
F-22-2 FT-22-3 FT-21-1 FT-21-2<br />
R A D .<br />
1.46 1.32 1.34 1.34 44<br />
2.88 93 1.54<br />
2.05<br />
5.24 11<br />
LIFT<br />
Was durchaus möglich gewesen wäre, denn die Eingriffe in die Villa sind massiv, und die<br />
Ideen, wie sie sich am Ende präsentieren soll, sind nicht bei allen Beteiligten dieselben. Es<br />
5.90<br />
2.04 34 95 21 2.36<br />
2.15<br />
22 68 2.42 71 95<br />
1.00<br />
2.15<br />
KACHEL-<br />
OFEN<br />
TERASSE<br />
Während die Arbeiten rund um die Stallungen auf Hochtouren laufen, fragt sich Stefanie<br />
Bärtsch, wie es wohl mit der Villa weitergehen soll. Von der Idee, den ganzen Umbau innerhalb<br />
eines Jahres auszuführen, spricht längst niemand mehr. Ausserdem haben sich die<br />
Fronten in der Zwischenzeit verhärtet. Ariel Lüdi wird nicht richtig warm mit dem Innenarchitekten,<br />
und er ist oft nicht derselben Meinung wie seine Partnerin. An Weihnachten<br />
2014 beschliesst er trotzdem, weiterzumachen. Er gibt sein Okay zu den Kosten und holt<br />
den Zuger Innenarchitekten Michael Radler ins Boot, denn es ist ihm ein echtes Anliegen,<br />
wenn immer möglich mit Firmen aus der Umgebung ESSZIMMER zusammenzuarbeiten. Radler soll die<br />
BF: 37.2m 2<br />
Planung weiterführen. Doch schon zu diesem Zeitpunkt +2.96<br />
21<br />
zeichnet sich ab, dass dies schwierig<br />
werden könnte. Der Ansatz ist Lüdi zu nüchtern, und im Gegensatz zum Planungs-<br />
+2.89<br />
W: WANDTÄFELUNG, MIT<br />
team möchte er möglichst viele historische Elemente SCHELLACK übernehmen BEHANDELN – alte Stuckaturen und<br />
D: DECKENTÄFELUNG, MIT<br />
SCHELLACK BEHANDELN<br />
Tapeten beispielsweise.<br />
B: PARKETT, NEU VERSIEGELN<br />
30 + 2.95<br />
SAN. 60<br />
T-22-2<br />
Auf die Schnelle geht nichts im «Hammer»<br />
K E R N B O H R U N G F Ü R<br />
A B L U F T D = 2 0 m m<br />
M A U E R K A S T E N A U S S E N<br />
4 0 m m A B B O D E N !<br />
RADIATOR<br />
AUFFRISCHEN<br />
Stefanie Bärtsch, die das Konfliktpotenzial gut erkennt, hält sich zurück. Aber sie fängt an,<br />
ein Raumbuch zu führen, in dem sie alles akribisch festhält, was in Bezug auf Raumprogramm,<br />
Materialisierung und Ausführung beschlossen wird. Es soll helfen, Entscheide zu<br />
erklären und den Baufortschritt nachzuvollziehen, nicht zuletzt für den künftigen Betrieb<br />
der Liegenschaft. «Es diente uns später auch bei Diskussionen, weil wir genau sehen konnten,<br />
was wir ursprünglich OST- geplant und abgemacht hatten», sagt sie. «Und<br />
KACHELwir<br />
haben so den<br />
OFEN<br />
Faden nicht verloren.» TERRASSE<br />
GESCHIRR-<br />
SCHRANK<br />
A B L U F T<br />
TISCHLÜFTUNG FLÄCHENBÜNDIG<br />
TYP 16<br />
TYP 15<br />
TYP 15<br />
TYP 15<br />
F-21-3 FT-21-4 F-21-5 F-20-1 F-20-2 F-20-3<br />
ROL<br />
ROL<br />
ROL<br />
RAD.<br />
RAD.<br />
RAD.<br />
RADIATOR<br />
RADIATOR<br />
AUFFRISCHEN<br />
AUFFRISCHEN<br />
K F G S<br />
GITTER VON STUBER<br />
RADIATOR<br />
3 2<br />
EL. KANAL<br />
EG 3<br />
K S<br />
K S<br />
B A<br />
S T<br />
W S<br />
F-27-3<br />
SAN.<br />
EL. HEIZ.<br />
T-22-1 T-21-1 T-20-1<br />
LIFTTÜRE UND SEITLICHE<br />
LIFTSCHATVERKLEIDUNG<br />
NEU STREICHEN<br />
2.09<br />
3.29 3 1.79<br />
VORPLATZ<br />
3.32 1.79<br />
2.63 66<br />
GARTENZIMMER<br />
BF: 40.7m 2<br />
+2.96<br />
20<br />
+2.90<br />
B: PARKETT, NEU VERSIEGELN<br />
W: ALLES HOLZWERK, NEU STREICHEN<br />
D: H.G. GIPSDECKE, NEU STREICHEN<br />
1.73 15 1.41 3 71 95 13<br />
2.15<br />
EL.<br />
T-27A-1<br />
F-27-1<br />
T-26-1<br />
VESTIBULE<br />
BF: 47.6m 2<br />
26 +2.95<br />
+2.88 OK BALKEN ?<br />
B: PARKETT NEU, GEMÄSS ESSZIMMER<br />
W: WEISSPUTZ, MIT VLIES GESTRICHEN<br />
TAPETE ENTFERNEN<br />
D: H.G. GIPSDECKE, NEU STREICHEN<br />
HOLZWERK: NEU STREICHEN<br />
VORPLATZ<br />
BF: 7.3m 2<br />
RAD.<br />
seine Bauleiterin 47<br />
T-18-3<br />
SAN.<br />
T-18-2<br />
T-19-1<br />
T-18-1<br />
3.13 1.14 5 2.74 84 1.67 84 39 5 17 5 49<br />
5.00 6.42 1.50 2.15 74<br />
10.75 5 17 5 4.14 1.98<br />
1.07 1.66 5 1.06<br />
BF: 9.2m 2 RADIATOREN BLEIBEN BESTEHEN<br />
35<br />
26A +2.95<br />
VERKLEIDUNG MODERNISIEREN<br />
+2.88 OK BALKEN ?<br />
WOHNEN<br />
B: PARKETT NEU, GEMÄSS ESSZIMMER<br />
BF: 82.5m 2<br />
W: WEISSPUTZ, MIT VLIES GESTRICHEN<br />
TAPETE ENTFERNEN<br />
BF: 35.6m 2<br />
D: H.G. GIPSDECKE, NEU STREICHEN<br />
34<br />
18 +2.98<br />
+2.91 OK BALKEN ?<br />
HOLZWERK: NEU STREICHEN<br />
72<br />
LAMBRIE LACKIERT H: CA. 20 CM<br />
CALSITHERM<br />
5 + 2.5 CM<br />
Z U L U F T Z U C H E M I N E E 1 .O G P L A N E N<br />
Freude herrscht –<br />
auf beiden Seiten:<br />
Am Hammer-Fest<br />
im Sommer 2017<br />
zeichnete Ariel Lüdi<br />
Stefanie Bärtsch<br />
EL. KANAL<br />
mit dem «Hammer-<br />
EG 2<br />
F.2.50<br />
RADIATOREN BLEIBEN BESTEHEN<br />
VERKLEIDUNG MODERNISIEREN<br />
ROLLOS 5Stk ELEKTRISCH BETREIBEN<br />
R. 2.60<br />
UK STAHLTRÄGER (prov. HEB 180) +5.58<br />
4.07 5<br />
4.07 5 43 49 5 1.51 22 1.76 22 1.47 5 46 5 45 5 51 5 2.84 61 74<br />
80 3.80 80<br />
SALON<br />
BF: 26.5m 2<br />
19 +2.98<br />
+2.91 OK BALKEN ?<br />
B: PARKETT NEU, GEMÄSS ESSZIMMER<br />
W: HOLZVERKLEIDUNG, NEU STREICHEN<br />
WEISSPUTZ, MIT VLIES GESTRICHEN<br />
D: H.G. GIPSDECKE, Z.T. ERSETZEN,<br />
NEU STREICHEN<br />
RH: UK BALKEN = 2.99<br />
UK GIPSDECKE = 2.60 - 2.80<br />
NEUE BODENHEIZUNG<br />
F.2.50<br />
67 17 5 69<br />
15<br />
17 5<br />
RADIATOR RADIATOR<br />
KONVEKTOR<br />
5 25<br />
38<br />
5 25<br />
KONVEKTOR<br />
RADIATOR<br />
ROL<br />
ROL<br />
ROL<br />
F-18-3 FT-18-2<br />
F-18-1<br />
F-19-6<br />
FT-19-5<br />
F-19-4<br />
TYP 13 TYP 1 TYP 2.1 TYP 2.1<br />
FT-18-4<br />
TYP 12 TYP 1<br />
TYP 14<br />
WINTERGARTEN 1<br />
BF: 18.3m 2<br />
71<br />
BLUMENAUFSÄTZE, NEUE<br />
ABDECKUNGEN MONTIEREN<br />
BESCHATTUNG ERNEUERN<br />
INKL. MOTOR<br />
BRUNNEN WEISS<br />
SPRITZEN<br />
WINTERGARTEN 2<br />
WINTERGARTEN RENIGEN UND<br />
AUSBESSERUNGSARBEITEN<br />
1.65 15.64<br />
BLUMENMUSTERAUFSÄTZE ENTFERNEN,<br />
NEUE ABDECKUNGEN MONTIEREN<br />
AUFTRITTE UND PROFIL WERDEN<br />
UK FERTIG STURZ +5.48<br />
VERSIEGELT<br />
TREPPENGELÄNDER NEU LACKIERT<br />
Hausheer besonders UK STAHLTRÄGER vorsichtig (HEB180) UNTER BALKEN ans MIN.+5.58 Werk und legt beispielsweise die alten Schalterplatten<br />
27A +2.95<br />
+2.90 5<br />
EL. KANAL<br />
OK KERTO 45 MM<br />
EG 1<br />
zahlt sich aus, dass für eine ganze Reihe von Handwerkern der «Hammer» kein Neuland<br />
20<br />
+2.86 OK BALKEN<br />
– alles Spezialanfertigungen von Andrea von Planta – sorgfältig auf die Seite. Die grösste<br />
KÜCHE<br />
B: NATURSTEIN, GRANIT 3cm STARK<br />
ist. Sie kennen nicht bloss das Haus, sie haben auch BF: 30.9m schon unter Andrea von Planta erlebt,<br />
2<br />
LIFTFRONT: WANDTÄFER<br />
W: WEISSPUTZ, MIT VLIES GESTRICHEN<br />
22 +2.95<br />
2.10 5<br />
Herausforderung<br />
2<br />
aber ist, dass er nicht einfach die ganze Stromversorgung abhängen<br />
ENTFERNEN, NEUER<br />
D: H.G. GIPSDECKE, GESTR.<br />
RADIATOREN BLEIBEN BESTEHEN<br />
wie hochkomplex der Umbau einer solchen Liegenschaft ist. Und sie wissen, dass man die WEISSPUTZ<br />
RH: UK BALKEN H=3.05<br />
kann, weil die Villa VERKLEIDUNG auch MODERNISIEREN während des Umbaus als Schaltzentrale der Liegenschaft dient.<br />
+2.84 OK BETON<br />
UK SANITÄR H=2.84<br />
B: NATURSTEIN, GRANIT 3cm STARK<br />
Dinge nicht A forcieren kann. Ein Objekt wie der W: «Hammer» WEISSPUTZ, MIT VLIES GESTRICHEN braucht Zeit. Und verlangt ab<br />
So muss das Herzstück des Hauses mit allen Tableaus schliesslich – unabhängig vom<br />
D: H.G GIPSDECKE, GESTR.<br />
EL. KANAL<br />
PL. 211 - 1:50<br />
RH: UK BALKEN H=3.01<br />
EG 5<br />
und zu, dass man eine Arbeit zweimal macht.<br />
Umbau – bis im Herbst 2016 weiterfunktionieren, denn daran hängt beispielsweise die<br />
UK SANITÄR H=2.71<br />
AUFTRITTE UND PROFIL WERDEN VERSIEGELT<br />
EL. KANAL<br />
UK GIPS H=2.60-2.70<br />
EG 4<br />
TREPPENGELÄNDER WIRD NEU LACKIERT<br />
GLASTRENNWAND<br />
NEUE BODENHEIZUNG<br />
B Umgebungsbeleuchtung.<br />
T-27-1<br />
1.36 90 1.51<br />
Zu den «alten Hasen» zählt beispielsweise der Elektroinstallateur HANDKURBELN DEMONTIEREN Stefan Hausheer, der für<br />
1:20 - PL. 311<br />
2.15 EL-MATTE 2.50/2.50<br />
1.90 1.11 2.23<br />
die «Hardware» im «Hammer» zuständig ist und sich noch gut an die «Ära von Planta» GÄSTE-WC<br />
Hausheer beginnt im zweiten 5.50 Geschoss, da hier besonders viele Wände herausgenommen<br />
BF: 12.2m 2<br />
erinnert. Er und sein Team waren es nämlich, die sich um den Unterhalt der Elektroanlagen 27 +2.95<br />
+2.90 5 OK KERTO<br />
werden müssen<br />
2.09<br />
und der<br />
1.32ganze Grundriss<br />
2.09<br />
auf den Kopf gestellt wird. Die Arbeit ist für ihn<br />
+2.86 OK BALKEN<br />
B: NATURSTEIN, GRANIT 3cm STARK<br />
SAN. 100<br />
kümmerten und bei einem Notfall von Gutsverwalter Geri Ecker aufgeboten wurden. 38 Nun<br />
hier vergleichsweise einfach: Es geht einzig darum, keinen Schaden anzurichten; historisch<br />
W: WEISSPUTZ, MIT VLIES GESTRICHEN<br />
D: H.G. GIPSDECKE, GESTR.<br />
KNIETÄFER H=72 CM<br />
RADIATOR<br />
KNIETÄFER H=72 CM<br />
reissen sie raus, was sie bis anhin gehegt und gepflegt haben. «Aber die Haustechnik von<br />
7<br />
wertvoll ist hier an sich nichts. Im Gegensatz zum Geschoss darunter, wo er viel Rücksicht<br />
NEUE BODENHEIZUNG/<br />
F-22-1<br />
EL-MATTE 2.50/2.50<br />
Ariel Lüdi hat nun mal nichts mehr mit jener von Andrea von Planta zu tun», sagt Haus-<br />
F-26-3<br />
F-26-2<br />
F-26-1 auf die alte Substanz nehmen F-18-5 muss. Wenn immer möglich werden Rohre hier nicht einfach<br />
TYP 4<br />
3.84<br />
GELÄNDER<br />
GELÄNDER<br />
GELÄNDER<br />
TYP 1<br />
1.31 1.20 1.33<br />
TYP 6<br />
TYP 6 TYP 6<br />
heer, «obwohl das in den 1980er-Jahren das Neuste vom Neusten war.»<br />
Oscar» aus.<br />
BLIND<br />
BÜCHER-<br />
REGAL<br />
Nachdem er schon beim Umbau des «Kleinen Hammers», dem Waschhäuschen, für Ariel<br />
73 5 3.99 67 5<br />
BESCHATTUNG ERNEUERN<br />
INKL. MOTOR<br />
Lüdi arbeiten durfte, macht sich Stefan Hausheer im Frühjahr 2014 an den Rückbau der<br />
R. 2.60<br />
elektrischen 36 25 Anlagen in 3.96 der Villa. Drähte werden 5 24 46 rausgezogen, Schalter abmontiert, Rohre,<br />
F. 2.50<br />
die nicht mehr gebraucht werden, entfernt. Da ein sanfter Rückbau vorgesehen ist, geht<br />
zurückgebaut, sondern wieder verwendet, nachdem die Kabel rausgezogen wurden.<br />
1:50 - P<br />
1:20 - P<br />
240 241<br />
FT-27-2<br />
TYP 18<br />
BALKON
Rückbau auf die sanfte<br />
Tour: Im Entrée (ganz<br />
links) und im Vestibül<br />
sollte architektonisch<br />
wenig verändert werden.<br />
Stand der Arbeiten<br />
im Frühjahr 2014.<br />
Etwa ein Jahr nach der Rückbauphase beginnt Hausheer mit dem Aufbau. Die Installationspläne,<br />
die er vom Elektroplaner erhält, sind reichlich bestückt, was ihn allerdings nicht<br />
erstaunt: «Ich habe Ariel Lüdi in der Zwischenzeit ja kennengelernt und wusste, dass technisch<br />
alles auf dem höchsten Niveau sein würde.» Bis zum Abschluss der Arbeiten wird er<br />
allein in der Villa sieben Kilometer Rohre verlegt haben … Ausserdem hat es im Vergleich<br />
zu einem durchschnittlichen Haus im «Hammer» nicht einfach eine Deckenlampe und<br />
drei Steckdosen pro Raum, sondern ein Panel, Wandleuchten und zehn Steckdosen. Dass<br />
man kaum etwas davon sieht, ist eine andere Geschichte. «Aber das musst du erst mal<br />
unterbringen», sagt Hausheer, «denn es war jedes Mal eine Herausforderung, herauszufinden,<br />
wie genau man mit den Leitungen von A nach B kommt.»<br />
Ariel Lüdi lässt sein Planungsteam mehr oder weniger gewähren. Die Arbeiten kommen<br />
nun zügig voran. Nur beim Cheminée wird er sich mit seiner Partnerin und dem Innenarchitekten<br />
nicht einig. Die Frage, ob es neben den historischen Kachelöfen überhaupt ein<br />
solches geben und wie es aussehen soll, bleibt offen. «Was für mich kein Problem war», sagt<br />
Stefanie Bärtsch, die mittlerweile so oft vor Ort ist, dass ihre Kollegen ab und zu fragen, ob<br />
sie in den Ferien gewesen sei. «Wir hätten auch ohne Cheminée fertigmachen können.»<br />
Als Ariel Lüdi gegen Ende 2015 immer öfter selber eingreift, fragen sich von der Architektin<br />
bis zu den Handwerkern alle, weshalb. Die Antwort bekommen sie beim «Handwerkerfest»<br />
zu Weihnachten. Ariel Lüdi und seine Partnerin haben sich getrennt. Die ursprüngliche<br />
Idee, dass diese das Projekt zu Ende führt, verläuft kurz darauf im Sand. Für die Leute<br />
auf dem Bau ändert sich vorderhand allerdings nichts. Sie machen weiter wie zuvor, denn<br />
allmählich drängt die Zeit: Lüdi möchte im August 2016 in die Villa einziehen.<br />
Kurswechsel: Das Atelier Zürich bringt Farbe ins Projekt<br />
Im Februar 2016 beschliesst Ariel Lüdi, neue Wege zu gehen und dem «Hammer» endlich<br />
seinen Stempel aufzudrücken, auch wenn die beiden obersten Stockwerke bereits komplett<br />
ausgebaut sind. Doch das Ganze ist ihm zu modern, zu unterkühlt, zu wenig er selber.<br />
Es sieht für ihn aus wie in einer Zahnarztpraxis, und das Historische der Villa, das ihm so<br />
viel wert ist, droht zunehmend unter einer dicken, hochweissen Farbdecke zu verschwinden.<br />
Nun, da er sich von seiner Lebenspartnerin getrennt hat, will er auch nicht deren<br />
Ideen verwirklichen oder jene des Innenarchitekten, der ebenfalls einen völlig anderen<br />
Geschmack hat, sondern seine eigenen. Aus diesem Grund schaut er sich um nach einem<br />
neuen Innenarchitekten und bekommt von einem Bekannten den Tipp, es doch mal mit<br />
dem Atelier Zürich zu versuchen.<br />
242 243
einstes<br />
244<br />
Feinstes Stuckwerk<br />
Tina Turner, Phil Collins, Christoph Blocher: Jürg Elmer kennt sie alle persönlich.<br />
Von Berufes wegen. Denn Elmer ist Stuckateur. Als solcher war er in den Häusern<br />
vieler Prominenter im ganzen Land, denn er gehört einer eher raren Spezies an, auch<br />
wenn er sich nicht zu den Künstlern unter den Gipsvirtuosen zählt. Das, so Elmer,<br />
seien vor allem die Restauratoren von Kulturdenkmälern wie Kirchen. Und von denen<br />
gibt es in der Schweiz bloss eine Handvoll. Aber auch die (Kunst-)Handwerker<br />
unter den Stuckateuren sind dünn gesät. Sie finden sich vor allem in den Städten,<br />
wo auch die Mehrzahl der potenziellen Objekte steht: vornehmlich historische Liegenschaften,<br />
zu denen Stuckdecken nun mal gehören. Denn: «Montiert man Stuck<br />
an die Decke», erklärt Elmer, «wird der Raum zum Möbel.» Genau damit habe man<br />
früher seinen Reichtum zur Schau gestellt: mit der Möblierung. «Heute lässt man<br />
den Stuck leider oft weg und protzt lieber mit seinen Luxusautos.»<br />
Anders im «Hammer», wo Jürg Elmer schon für Andrea von Planta arbeiten durfte.<br />
Dessen Innenarchitekt Walter Zwahlen liebte Stuck und konnte auch die von Plantas<br />
dafür begeistern. «Wir haben dann halt ziemlich viel davon gemacht», erinnert sich<br />
Elmer, dem die Villa in dieser Zeit so richtig ans Herz wächst. Dass seine Stuckdecken<br />
noch über dreissig Jahre später in einem tadellosen Zustand sind, freut ihn umso<br />
mehr. «Wir haben offenbar gute Arbeit geleistet», sagt er lächelnd. Und gesteht: «Ich<br />
bin verliebt in den ‹Hammer›. Hier würde ich gerne selber wohnen.»<br />
Es freut ihn deshalb sehr, als er über eine Reihe von Zufällen im Frühjahr 2014 wieder<br />
dort landet. «Ich weiss nicht genau weshalb, aber der ‹Hammer› war für mich<br />
immer etwas Besonderes, auch wenn ich schon in viel prunkvolleren, grösseren<br />
Villen gearbeitet habe», sagt Elmer, der entsprechend engagiert ans Werk geht. Im<br />
Sommer 2014 montiert er die ersten, zwei Meter langen Muster im ersten Stock, wo<br />
sich Schlafzimmer und Ankleide befinden. Hier sind die Decken neu, weshalb er<br />
mit eher schlichten Profilen arbeiten soll. In den Salons im Wohnbereich darunter<br />
hingegen gibt es bereits Stuckdecken. Dort geht es in erster Linie darum, Schäden<br />
zu reparieren, die entstanden sind, als drei Räume zu einem vereint wurden, und<br />
Lücken zu ergänzen.<br />
Er sei kein Künstler,<br />
sagt der Stuckateur<br />
Jürg Elmer, sondern<br />
lediglich Handwerker.<br />
Betrachtet man<br />
seine Arbeit im<br />
«Hammer», könnten<br />
allerdings Zweifel<br />
aufkommen …<br />
Doch dann passiert erst mal gar nichts mehr, und Elmer fragt sich schon, ob er im<br />
«Hammer» überhaupt noch mal zum Einsatz kommt. Ein Jahr später ist es so weit:<br />
Jürg Elmer bekommt den Auftrag, die Arbeiten nun auszuführen. Dass er dabei<br />
einen Teil seines Stuckwerks aus der Ära von Planta runterreissen muss, tut ihm<br />
nicht weh. «Dann kommt halt etwas Neues», sagt er achselzuckend. «Und solange<br />
es Stuckaturen sind, freut es mich natürlich.»<br />
Auch wenn die neuen Stuckaturen im Gegensatz zu den alten bewusst schlicht gehalten<br />
sind, unterscheiden sie sich von jenen von Plantas nicht in erster Linie dadurch,<br />
dass sie moderner daherkommen, sondern durch ihr «Innenleben»: Hinter<br />
der Stuckatur verstecken sich LED-Ketten, die für eine stimmungsvolle indirekte Beleuchtung<br />
sorgen. Ornamente hingegen, mit denen man seinen Räumen früher gerne<br />
einen noblen Anstrich gab, kommen kaum zum Einsatz. Nur dort, wo sie bereits<br />
bestehen, werden sie, wenn nötig, restauriert oder ergänzt. Das meiste hingegen ist<br />
profiliert, wie es in der Fachsprache heisst. Dazu macht der Stuckateur eine Blechschablone,<br />
die in seiner Werkstatt auf einen Schlitten montiert wird. Zieht man die<br />
Schablone über den anziehenden Gips, nimmt diese das überschüssige Material<br />
vorne mit, und hinten kommt das fertige Stuckwerk raus: ein in Form gebrachtes<br />
Band aus Gips von mehreren Metern Länge.<br />
Ariel Lüdi, der mit allen Handwerkern einen unkomplizierten Umgang pflegt, hat<br />
<strong>gross</strong>es Interesse an der Arbeit Elmers und besucht diesen auch in seiner Werkstatt.<br />
Dass er mit ihm gleich Duzis macht, nimmt Elmer als Kompliment. «Ich bin den Umgang<br />
mit wohlhabenden Menschen zwar gewöhnt», sagt er, «aber diese Herzlichkeit<br />
habe ich selten erlebt. Dass Ariel mir so viel Wertschätzung entgegenbrachte, hat<br />
mich ehrlich gefreut.» Wenn Jürg Elmer heute durch den «Hammer» läuft, macht ihn<br />
seine Arbeit auch ein bisschen stolz. Doch das, sagt er, sei nicht wichtig. Sein Ziel sei<br />
lediglich, dass sich der Bauherr über das Resultat freue. «Und ich glaube, Ariel hat<br />
richtig Spass daran. Was könnte ich mir mehr wünschen?»<br />
245
Das Portfolio der Innenarchitektinnen ist beeindruckend: Sie haben die Interieurs von<br />
Hotels wie dem «Le Grand Bellevue» in Gstaad, von Restaurants wie dem «La Terrasse» im<br />
Victoria Jungfrau Hotel & Spa in Interlaken oder von Geschäften wie dem Navyboot Flagship<br />
Store in Zürich entworfen. Und natürlich die einer Reihe einzigartiger Privatbauten,<br />
darunter auch historische, von A wie Arosa bis Z wie Zürichberg. Wer also sollte besser<br />
qualifiziert sein, dem «Hammer» neues Leben einzuhauchen?<br />
Sowohl im Erdgeschoss<br />
(links) als auch im<br />
«Grünen Salon» im<br />
ersten Stock wurde der<br />
historische Charme<br />
weitgehend bewahrt:<br />
Situation im Sommer<br />
2014 vor der Sanierung.<br />
Lüdi meldet sich bei Claudia Silberschmidt, die sich über die Anfrage freut, aber bedauert,<br />
dass sie ihm absagen müsse: Sie habe bis zum April absolut keine Kapazitäten. Da er nun<br />
keine Kompromisse mehr eingehen will, beschliesst er, zu warten. Die betroffenen Arbeiten<br />
werden erneut gestoppt. Das Ziel, im August 2016 einzuziehen, rückt in weite Ferne.<br />
Seine Bauleiterin Stefanie Bärtsch lässt er wissen, es ginge lediglich um die Farben und<br />
die Möblierung, was wohl auch seine Absicht ist, denn die Arbeiten sind schon viel zu<br />
weit fortgeschritten, um grössere Änderungen machen zu können, ohne damit den ganzen<br />
Terminplan auf den Kopf zu stellen.<br />
Als sich Ariel Lüdi zum ersten Mal mit Claudia Silberschmidt und ihrer Projektleiterin Anna<br />
Bonnet trifft, verstehen sie sich auf Anhieb. Zwar bedauern die Gestalterinnen, dass sie<br />
nicht früher beigezogen wurden, denn vieles ist nun bereits gegeben und lässt sich nur<br />
noch mit immensem Aufwand und hohen Kosten rückgängig machen, aber sie sprühen<br />
vor Ideen. «Solche Objekte sind ein echter Traum», sagt Claudia Silberschmidt. «Es ist<br />
schon eine Bereicherung, sie überhaupt gesehen zu haben – egal, ob man dann auch daran<br />
arbeiten darf oder nicht.»<br />
Im «Hammer» dürfen sie mitarbeiten. Sie versuchen, über sogenannte Mood Boards, also<br />
Stimmungsbilder, herauszufinden, in welche Richtung die Reise gehen soll. «Den Puls fühlen»,<br />
nennt es Claudia Silberschmidt. Und schon bald präsentieren sie ein Gesamtkonzept<br />
für die Umgestaltung der Hammer-Villa. Ariel Lüdi ist von ihren Ideen begeistert, auch<br />
wenn sie ihm anfänglich hin und wieder etwas zu feminin sind. «Ihr müsst nicht euch<br />
verwirklichen», sagt er einmal, «ich muss hier leben.» Von diesem Moment an kommt es<br />
praktisch zu keinen Missverständnissen mehr. Was das Atelier Zürich vorschlägt, findet in<br />
der Regel seinen Gefallen. «In 90 Prozent der Fälle konnte ich sofort Ja sagen», erinnert er<br />
sich. «Heute muss ich sagen: Der ‹Hammer› – das bin wirklich ich.» Lüdi winkt Vorschläge<br />
nicht einfach durch. Er prüft sie genau, aber er entscheidet immer schnell. Das erleichtert<br />
dem Team von Atelier Zürich, das genauso unter Zeitdruck steht wie die Arbeiter vor Ort,<br />
den Job enorm. «Die Kommunikation war schnörkellos», sagt Anna Bonnet, «das haben wir<br />
extrem geschätzt.»<br />
Nachdem sie baulich kaum noch Einfluss nehmen können, machen sich die Designerinnen<br />
als Erstes an die Farbgestaltung. Das knallige Weiss ist auch ihnen viel zu krass, das<br />
Ambiente zu nüchtern. Ihnen schwebt viel mehr vor, das Historische auch farblich wieder<br />
246 247
Das war mal eine Küche:<br />
Die Hammer-Villa bot<br />
während des Rückbaus<br />
zeitweise einen trau <br />
rigen Anblick.<br />
Unten: Hier entstehen<br />
Wellnessbereich und<br />
Badezimmer.<br />
herauszukitzeln und den Räumen über warme Farbtöne eine wohnliche Atmosphäre zu<br />
geben, wie sie sich Ariel Lüdi wünscht. Das mag nach wenig tönen, aber es ist ein riesiger<br />
Eingriff, den sie hier vornehmen. Farben werden geprüft, Bemusterungen gemacht. Maler<br />
Dani Kunz ist oft tagelang an der Arbeit, um eine Musterecke zu malen, aufgrund deren<br />
entschieden wird. Meist wird es dann auch so gemacht. Manchmal aber auch nicht, und<br />
das Spiel beginnt von vorne. Doch auch ihm macht das neue Farbkonzept Spass (siehe<br />
Seite 250). Nur der Dachstock soll so bleiben, wie er ist. «Wir hätten nicht gewagt, Ariel<br />
vorzuschlagen, auch den neu zu malen und zwei Monate Arbeit zu vernichten», sagt Claudia<br />
Silberschmidt. «Ausserdem konnten wir ganz gut damit leben – und Maler Dani Kunz war<br />
erleichtert …»<br />
«Unser Ziel war es, jedem Raum Leben zu geben und dessen Charakter herauszuschälen»,<br />
erklärt Anna Bonnet. Es gelingt ihnen hervorragend. Die Innenarchitektinnen lehnen sich<br />
stark an die Geschichte des «Hammers» an und lassen diese auch optisch aufleben. Dass<br />
der «Hammer» einst eine «Chupferstrecki» war, zeigt sich in vielen Details. So ist es beispielsweise<br />
eine Kupferplastik, welche die Besucher schon im Eingangsbereich empfängt.<br />
Die Waschtische, die ursprünglich einfach «in der Luft hängen» sollten, werden nun von<br />
Metallunterbauten getragen. Teppiche, Möbel, Accessoires und Kunst nehmen das Kupferund<br />
Metallthema unaufdringlich und charmant auf. Und so unterschiedlich die Räume<br />
auch sein mögen: Sie bilden zusammen ein harmonisches Ganzes.<br />
Im Gegensatz zur «Ära von Planta», in der sich der «Hammer» mit seinen barocken Räumen<br />
und der üppigen Ausstattung durch und durch historisch oder mindestens historisierend<br />
präsentierte, findet er in der «Ära Lüdi» zurück in die Gegenwart: Je historischer ein Raum,<br />
desto moderner seine Einrichtung. Ist ein Raum von seiner Architektur her eher modern,<br />
wird mit historisch anmutenden Elementen das Gleichgewicht geschaffen. Es ist eine<br />
Gratwanderung, die hier extrem gut gelingt. Und die einem das Gefühl gibt, sich in einer<br />
aussergewöhnlich stilsicher gestalteten Villa zu bewegen, die eine lange Geschichte hat.<br />
Trotzdem wirkt sie nie museal, sondern vom Keller bis zum Dachgeschoss zeitgemäss. Und<br />
vor allem dies: wohnlich!<br />
Zum Wohlfühlambiente tragen nicht nur die sorgfältig komponierte Farbgebung, die Sofaund<br />
Kissenlandschaften sowie die stilvolle Möblierung bei, sondern auch die erlesene<br />
Kunst. «Es war ein Glücksfall», sagt Claudia Silberschmidt, «dass genau zu jener Zeit die<br />
Kunstmesse Zürich stattfand, als wir uns daran machten, das Haus einzurichten.» Ein weiterer<br />
Glücksfall ist es, dass sich die Geschmäcker – bis auf wenige Ausnahmen – treffen.<br />
Was auch immer das Atelier Zürich für den «Hammer» auswählt: Es gefällt Ariel Lüdi. So<br />
beispielsweise die Skulptur des Schweizer Künstlers Raffael Benazzi, auf den Lüdi schon<br />
vorher <strong>gross</strong>e Stücke hält, oder der Salontisch des englischen Designers Paul Kelley aus<br />
unzähligen magnetischen Kupferwürfeln im Wohnzimmer.<br />
248 249
ehr Farbe<br />
ns<br />
Mehr Farbe ins Leben<br />
Maler Dani Kunz ist von Anfang an dabei. Schon als Ariel Lüdi die Stallungen auf<br />
Vordermann bringen lässt, ist er es, der im «Hammer» den Pinsel schwingt, oft auch<br />
zusammen mit einem Kollegen aus dem Team der Baarer Firma Utiger. Es ist für ihn<br />
keine besondere Herausforderung: Alles soll so hell wie möglich werden. Der klinisch<br />
weisse Farbton mit der Bezeichnung 9016 ist auch erste Wahl, als Dani Kunz<br />
im November 2015 erneut in den «Hammer» geschickt wird, um in der Villa «mal so<br />
ein bisschen anzufangen».<br />
Kunz, der begeistert ist von der Liegenschaft und ihrer Lage in einer «anderen Welt»,<br />
freut sich auf den Job. Geradezu überwältigt ist er nun von der Villa, die so <strong>gross</strong><br />
ist, dass er sich kaum zurechtfindet. Sein Arbeitsort ist vorerst der Dachstock. Von<br />
hier aus sollen sich die Maler runterarbeiten. Als Dani Kunz mit dem Abdecken beginnt,<br />
werden ihm die Dimensionen erst richtig bewusst: «Hier darfst du nicht mit<br />
Wochen rechnen», sagt er seinem Kollegen, «hier musst du mit Quartalen rechnen,<br />
sonst siehst du nur den <strong>gross</strong>en Berg.» Womit er allerdings nicht rechnet: dass er im<br />
«Hammer» ein Jahr lang ununterbrochen im Einsatz sein wird …<br />
Allein das Abdecken dauert eine halbe Ewigkeit. Um überhaupt an die Decke ranzukommen,<br />
muss im Haus ein Baugerüst gestellt werden. Dass er hier ein wunderschönes<br />
Eichentäfer übermalen und spritzen soll, tut ihm allerdings weh, und er ist<br />
sicher, dass seine Arbeit jedem Schreiner die Tränen in die Augen treiben würde.<br />
Zwei Monate später erstrahlen Decken, Türen, Fenster, Schränke und Küche in blendendem<br />
Weiss, und Dani Kunz macht sich in der Gästesuite einen Stock tiefer an<br />
die Arbeit. Als er dort bereits zwei, drei Wochen am Malen ist, stoppt Ariel Lüdi die<br />
Malerarbeiten: Die neuen Innenarchitektinnen vom Atelier Zürich sollen erst klären,<br />
ob man es hier nicht ein wenig bunter treiben könnte.<br />
Kunz freut sich, denn genau so würde er es auch machen: farbiger. Allerdings hofft<br />
er inständig, dass er den Dachstock nicht nochmals streichen muss. «Das wäre bitter<br />
gewesen», sagt er lachend. Nachdem die Innenarchitektinnen ihre Vorschläge präsentiert<br />
haben, malt er eine «Musterecke» der Gästesuite in den neuen Farben. Und<br />
plötzlich bekommt der Raum eine völlig andere Ausstrahlung: Alles wird wärmer.<br />
Neu werden die Wände in «Smoke» gestrichen, und die Stuckaturen erscheinen<br />
dank Farbnuancen plastischer. Die Mehrfarbigkeit überzeugt ihn, auch wenn sie gut<br />
und gerne dreimal so aufwendig ist. Aber es ist eine Arbeit, die ihn mehr und mehr<br />
begeistert. «Ich hatte noch nie so einen exklusiven Job», wird er später sagen. «Und<br />
dass Ariel Lüdi unsere Arbeit so schätzte, hat die Aufgabe noch schöner gemacht.»<br />
Kam, um «mal ein<br />
bisschen anzufangen»<br />
– und war<br />
schliesslich ein Jahr<br />
lang ununterbrochen<br />
im «Hammer»:<br />
Maler Dani Kunz.<br />
Mit der neuen Mehrfarbigkeit arbeiten die Maler das Historische des «Hammers»<br />
Strich für Strich heraus. Rund 15 verschiedene Töne kommen im ganzen Haus zum<br />
Einsatz. Und doch hat man keinen Moment das Gefühl, es sei bunt. Das mag auch<br />
daran liegen, dass die Farbgebung nicht wirklich neu ist: Die Innenarchitektinnen<br />
lehnen sich bei der Farbwahl stark ans bereits Vorhandene an. Im Gegensatz zu den<br />
bestehenden Pastelltönen wirken ihre Farben aber deutlich frischer. Daran muss<br />
man sich erst mal gewöhnen, und Ariel Lüdi fragt sich anfänglich, ob das nicht «ein<br />
bisschen zu viel Chilbi» sei. «Ich bin doch keine Frau», scherzt er einmal, als ihm<br />
Dani Kunz eine Musterecke in Rosatönen präsentiert. Dieser rät ihm, erst mal eine<br />
Nacht darüber zu schlafen. Anderntags gibt Lüdi, der nun praktisch täglich in der<br />
Villa anzutreffen ist, sein Okay zur Ausführung.<br />
Es ist ein Riesenaufwand, den die Maler im «Hammer» betreiben. Es geht ja nicht<br />
nur ums Malen: Sämtliche Wände werden zuerst mit einem Varioflies tapeziert<br />
und vorgestrichen, damit man nicht sieht, wenn es Risse in der Wand geben sollte,<br />
wovon man bei einem alten Haus wie dem «Hammer» ausgehen kann. «Aber es wäre<br />
Sünd und schade gewesen, hätten wir diesen Aufwand nicht betrieben», sagt Dani<br />
Kunz. «Diese Liegenschaft hat das verdient.» Allein an der Decke im Vestibül arbeiten<br />
zwei Maler zwei Wochen. Ebenso lange sind sie daran, die Stuckaturen herauszuarbeiten.<br />
Die Türen im Untergeschoss sind in drei Farben gestrichen, die meisten<br />
Fenster sogar in fünf. All das sieht man nicht auf den ersten Blick, aber man fühlt es.<br />
Gerade dank der Malerarbeiten strahlt das Haus eine unglaublich wohnliche Atmosphäre<br />
aus. Kaum auszudenken, wie es heute wirken würde, hätte man das Ambiente<br />
in Hochweiss ertränkt.<br />
Durchschnittlich zwei Maler sind letztlich während gut eines Jahres in der Hammer-<br />
Villa im Einsatz. Dani Kunz ist immer da und wird dadurch so etwas wie der Stellvertreter<br />
von Stefanie Bärtsch; sie kann sich darauf verlassen, dass er sich auch um<br />
die anderen Handwerker kümmert, die hier reihenweise ein- und ausgehen. Als die<br />
Hammer-Villa Ende 2016 abgenommen wird, ist Dani Kunz als letzter Handwerker<br />
noch im Haus. Er bessert hier und dort eine Stelle aus, sorgt für das Finetuning. Um<br />
9 Uhr, kurz vor der Abnahme, macht er sich aus dem Staub. Der Abschied fällt ihm<br />
nicht leicht, denn der «Hammer» ist für ihn zur Herzenssache geworden, und er ist<br />
zu Recht stolz auf seine Arbeit.<br />
Wie glücklich auch Ariel Lüdi mit den Malerarbeiten ist, zeigt sich am <strong>gross</strong>en Hammer-<br />
Fest im Sommer 2017. Er zeichnet Dani Kunz, stellvertretend für alle Malerinnen<br />
und Maler, die beteiligt waren, für seine Leistung mit dem «Hammer-Oscar» aus. Er<br />
tut es lachend. Aber er meint es ernst.<br />
250<br />
251
für viel mehr Ambiente, aber sie fordern die Techniker, denn diese müssen haufenweise<br />
neue Leitungen ziehen und Dosen setzen. Oft an unmöglichen Orten. Ebenfalls ausgewechselt<br />
werden sämtliche Lichtschalter, die bereits vorinstalliert sind. Da die Räume nun<br />
völlig neue Farben haben, passen die alten Schalter nicht mehr. Ariel Lüdi lässt – wie seinerzeit<br />
Andrea von Planta – neue anfertigen. Doch mit ihnen haben die Techniker ihre<br />
liebe Mühe, und es braucht eine Menge Ideen und (Programmier-)Arbeit, sie überhaupt zum<br />
Laufen zu bringen, denn es handelt sich nicht bloss um Drücker, sondern um eigentliche<br />
Touchscreens, hinter denen eine Menge Computertechnologie steckt.<br />
Es ist nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit dem Atelier Zürich, durch die Ariel Lüdi wieder<br />
so richtig Freude bekommt an seinem «Hammer». Er bringt sich immer stärker ein, und<br />
so trägt die Villa mehr und mehr auch seine Handschrift. «Praktisch alle Kompromisse,<br />
die ich eingegangen bin, konnte ich rückgängig machen», sagt er. «Das ging nur, indem<br />
ich mich selber richtig reinkniete.» Dass er während der letzten zwei Jahre manche Krise<br />
durchgemacht und zwischendurch «keinen Bock mehr hatte», das Ganze überhaupt zum<br />
Abschluss zu bringen, ist nun plötzlich kein Thema mehr.<br />
Der Kurswechsel hat allerdings Konsequenzen: Der Einzug verzögert sich, da die Hammer-<br />
Villa nicht bloss einen neuen, aufwendigen Anstrich bekommt, sondern auch ein neues<br />
Lichtkonzept: Von den 250 bereits installierten und in Reinweiss gespritzten Deckenspots<br />
fällt ein <strong>gross</strong>er Teil weg. Löcher müssen zugegipst, die restlichen Spots umgespritzt werden.<br />
Anstelle der Spots kommen vermehrt Steh- und Wandlampen zum Einsatz. Sie sorgen<br />
Das Eichentäfer wird<br />
bald in strahlendem<br />
Weiss erscheinen:<br />
Allein die Abdeckarbeiten<br />
im Dachstock<br />
dauern eine halbe<br />
Ewigkeit. Um an die<br />
Decke zu kommen,<br />
musste ein Baugerüst<br />
gestellt werden.<br />
Hightech vom Keller bis unters Dach<br />
Hinter all dieser Technik steht vor allem ein Mann: Roger Gutknecht, der für Ariel Lüdi seit<br />
annähernd zwanzig Jahren arbeitet und verantwortlich ist für die Elektroinstallationen, die<br />
hier nichts zu tun haben mit jenen in einem durchschnittlichen Schweizer Zuhause – mal<br />
abgesehen davon, dass auch im «Hammer» Lichter brennen, Geräte laufen und Heizkörper<br />
warm werden. «Das Einzige, was heute noch ansatzweise ähnlich ist mit dem, was Andrea<br />
von Planta in der Hammer-Villa hatte, ist der Bildschirm seiner Überwachungskamera»,<br />
sagt er lachend. Und: «Haus technik muss man sich heute so vorstellen: Betätigt man einen<br />
Lichtschalter, schwärmen viele Heinzelmännchen aus, und es geht nicht nur irgendwo das<br />
Licht an, sondern es beginnt eine veritable Kettenreaktion.»<br />
Roger Gutknecht weiss, wie hochkomplex das «Hammer-System» ist. Also erklärt er es so<br />
einfach wie möglich. Was das im Klartext heisst: Wenn ich am Morgen aufstehe, mache ich<br />
üblicherweise Licht im Zimmer, öffne die Storen, gehe ins Bad und dusche. Drücke ich im<br />
«Hammer» morgens als Erstes auf Lichtschalter A, geschieht genau dies: Das Licht geht an,<br />
die Storen gehen hoch, die Beleuchtung im Badezimmer und in der Dusche brennt. Möchte<br />
ich anschliessend in der Küche frühstücken, drücke ich Lichtschalter B, der hier natürlich<br />
nicht bloss ein Drücker, sondern, wie gesagt, ein Touchscreen ist: Also geht das Licht auf<br />
dem Weg zur Küche an, möglicherweise gehen die Storen dort hoch, das Radio an und die<br />
Kaffeemaschine beginnt zu laufen. Wenn ich abends ins Bett gehe, löschen nicht bloss<br />
auf einen Knopfdruck die Lichter im Haus, auch die Heizung wird reduziert. «Abläufe, die<br />
logisch zusammenhängen und sich täglich wiederholen, kann ich zusammenfassen», erklärt<br />
Roger Gutknecht. «Dadurch kann ich Energie und Kosten sparen.» Und gewinne einiges<br />
an Wohnkomfort, liesse sich noch anfügen.<br />
Das hat auf der technischen Seite beispielsweise folgende Konsequenzen: Im «Hammer»<br />
wurden 250 Kilometer Kabel eingezogen – vom BUS-Kabel, das von einem Taster zum andern<br />
führt, über Netzwerk-, Antennen- und Stromkabel bis zur Fühlerleitung. Und was<br />
normalerweise ein Kupferkabel ist, ist hier ein Glasfaserkabel. Denn Geschwindigkeit ist<br />
252 253
das A und O, sonst würde das System zusammenbrechen. Der Internetzugang ist für 250<br />
Geräte ausgelegt (in der Regel sind 30 schon das höchste der Gefühle); 230 Plätze sind<br />
beim Einzug Lüdis bereits belegt. Gesteuert wird das Ganze über Tablet und Smartphone.<br />
Die Bedienung ist denkbar einfach. Willkommen in der digitalen Welt des historischen<br />
«Hammers» … «Ein bisschen James Bond ist das natürlich», sagt Gutknecht lachend. Denn<br />
hier ist nichts 08/15. Wir mussten praktisch alles neu erfinden.»<br />
Dabei war Roger Gutknecht allerdings nicht auf sich allein gestellt. Wesentlich zum Gelingen<br />
beigetragen hat auch Michael Schmid von der Engineering- und Consulting-Firma<br />
Bitech AG in Effretikon. Dass die Bitech normalerweise erst bei Projekten in der Grössenordnung<br />
von Einkaufszentren und Tunnelbauten zum Einsatz kommt, zeigt, wie komplex<br />
die Aufgabe im «Hammer» war. «Der ‹Hammer› war vom Umfang her tatsächlich keine<br />
<strong>gross</strong>e Sache», sagt Schmid, «aber von der Komplexität her eine Herausforderung. So war<br />
allein die Ablösung der Villa eine knifflige Angelegenheit, da von dort aus Anlageteile auf<br />
dem ganzen Areal gesteuert wurden, und man ja den Betrieb nicht stören wollte.»<br />
Dass die Bitech überhaupt zum Zug kam, liegt nicht nur daran, dass sie über ein <strong>gross</strong>es<br />
Know-how verfügt, sondern daran, dass sie schon für Andrea von Planta arbeitete und<br />
die Liegenschaft deshalb bestens kannte. «Was wir damals für die von Plantas gemacht<br />
haben, hat allerdings nichts mehr mit dem zu tun, was wir für Ariel Lüdi machten», gesteht<br />
Schmid, «auch wenn wir bereits damals High-End-Installationen und innovative Produkte<br />
eingesetzt haben.»<br />
Wie sensibel das digitale Netzwerk im «Hammer» allerdings ist, zeigte sich, als es vom<br />
Atelier Zürich auf den Kopf gestellt wurde. Das Ändern des Lichtkonzepts, das Austauschen<br />
der Taster, die Installation anderer Lampen brachte die Techniker rund um Roger<br />
Gutknecht mächtig ins Rotieren. Denn vieles musste aufwendig umgebaut und angepasst<br />
werden. «Wir hatten die Aufgabe, im Hintergrund alles technisch möglich zu machen, was<br />
an sich gar nicht möglich war», sagt Gutknecht. Der Aufwand hat sich gelohnt. Heute ist<br />
der «Hammer» nicht nur technisch seiner Zeit voraus, sondern auch optisch einzigartig.<br />
Meisterte den Kabelsalat<br />
souverän: Elektroinstallateur<br />
Stefan<br />
Hausheer installierte<br />
kilometerweise Kabel,<br />
die letztlich in diversen<br />
Schalt- und Serverräumen<br />
zusammenkommen.<br />
254 255
asilianische<br />
ebensfreude im<br />
Hammer»<br />
Brasilianische<br />
Lebensfreude im «Hammer»<br />
Schon ganz früh weiss Eliane Amaral, dass sie ihre Heimat Brasilien einmal verlassen<br />
wird, obwohl sie dazu eigentlich gar keinen Grund hat: Sie verbringt zusammen<br />
mit ihrem Bruder eine glückliche Kindheit im Bundesstaat Minas Gerais im Südosten<br />
des Landes. Sie kommt auf der Farm ihres Grossvaters zur Welt, wo sie – nach<br />
dem Umzug der Familie in die Stadt – später regelmässig ihre Ferien verbringen<br />
wird. Hier spielt sie nicht mit Puppen, ihre Freunde sind die Tiere. Sie hat ein Pferd,<br />
auf dem sie ohne Sattel über die ausgedehnten Ländereien ihrer Familie reitet. Sie<br />
tollt herum mit Hühnern, Kälbern und Schweinen und setzt sich schon mal auf den<br />
Rücken ihrer «Negrinha», einer gutmütigen schwarzen Kuh.<br />
Nach der Trennung der Eltern zieht Eliane mit ihrem Bruder und ihrer Mutter nach<br />
São Paulo. Hier betreibt diese ein eigenes Näh atelier, in dem sie Haute Couture<br />
schneidert. Eliane macht eine Ausbildung zur Zahntechnikerin und spezialisiert<br />
sich auf präventive Massnahmen für Kinder. Ihre Berufsaussichten in Brasilien sind<br />
intakt. Doch sie träumt nach wie vor von einem Leben im Ausland. Als sie nach ihrem<br />
Studium die Chance bekommt, für drei Monate mit ihrer besten Freundin und<br />
Aus dem Familienalbum:<br />
Eliane mit 9 Monaten,<br />
1967 mit Bruder Jaderlucio<br />
und ihren Eltern<br />
Angelica und Octaydes<br />
Amaral in Minas Gerais,<br />
als Erstklässlerin in São<br />
Paulo, wohin sie mit<br />
ihrer Mutter nach der<br />
Trennung der Eltern zog,<br />
und zu Besuch auf dem<br />
Hof ihrer Gross eltern im<br />
Juni 1989.<br />
deren Schweizer Mann in die Schweiz zu reisen, ist sie ganz aus dem Häuschen. Sie<br />
kennt das Land zwar nur vom Fernsehen her, aber sie fühlt sich geradezu magisch<br />
davon angezogen. Als sie in Zürich aus dem Flugzeug steigt, hat sie das Gefühl, nach<br />
Hause zu kommen. «Hier werde ich bleiben», sagt sie ihren Freunden. Und genau<br />
das tut sie auch. Als diese nach drei Monaten zurück nach Brasilien reisen, bleibt<br />
Eliane in der Schweiz. «Du bist ja verrückt», sagen sie ihr zum Abschied. Eliane lächelt<br />
bloss. Das Rückflugticket hingegen bewahrt sie auf – bis heute.<br />
Schnell versucht sie, in ihrer neuen Heimat Fuss zu fassen. Sie arbeitet als Au-pair-<br />
Mädchen, spricht schon nach drei Monaten etwas Deutsch und bewirbt sich um<br />
einen Job als Zahntechnikerin. Vergeblich: Ihr fehlen die Berufserfahrung und ein<br />
anerkanntes Diplom. Als sie wenig später einen Mann kennenlernt und bald darauf<br />
heiratet, legt sie – auch auf speziellen Wunsch ihres Partners – ihre beruflichen<br />
Pläne auf Eis. Sie übernimmt die Familienarbeit und zieht die beiden Kinder Kevin<br />
und Isabelle <strong>gross</strong>. Doch nach zehn Jahren lässt sich das Paar scheiden, und Eliane<br />
ist wieder auf sich allein gestellt.<br />
Ihr neuer Partner hilft ihr schliesslich dabei, ab 2000 ein kleines Unternehmen aufzubauen.<br />
Sie betreibt – bis heute – das Putzinstitut Putzfee, wo sie ausschliesslich<br />
portugiesische Mitarbeiterinnen anstellt. «Die sind viel fleissiger und zuverlässiger<br />
256<br />
257
asilianische<br />
ebensfreude im<br />
Hammer»<br />
Glücklich in der Schweiz:<br />
Eliane Amaral als 27-Jährige<br />
in ihrer neuen Heimat, mit<br />
den Kindern Isabelle und<br />
Kevin 2002 und an ihrer<br />
Hochzeit im September 2017<br />
mit Ariel Lüdi – links ihre<br />
Kinder, ganz rechts Lüdis<br />
Tochter Jessica.<br />
als wir Brasilianerinnen», sagt sie lachend. 14 Jahre ist das Paar zusammen, dann<br />
heiraten die beiden. Doch die Ehe dauert nur acht Monate. Mit 52 ist Eliane Amaral<br />
wieder allein. Und sie fühlt sich einsam. «Ich kann nicht allein leben», sagt sie. «Ich<br />
brauche einen Partner an meiner Seite.»<br />
Den findet sie 2015 in Ariel Lüdi. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Als sie sich zum<br />
ersten Mal im «Hyatt» in Zürich zum Kaffee verabreden, verschlägt es Eliane den<br />
Atem. «Als ich ihn sah, dachte ich: Oh Gott, was für ein attraktiver Mann!» Bald darauf<br />
besucht sie ihn im «Hammer». Sie hält das Anwesen für eine kleine Siedlung, in<br />
der Ariel Lüdi bloss das Waschhäuschen bewohnt. Schon das findet sie zauberhaft.<br />
Doch als er ihr «gesteht», dass ihm alles gehört, bekommt sie kalte Füsse und will<br />
die Beziehung abbrechen. «Das ist zu viel Sand auf meinem Lastwagen», schreibt sie<br />
ihm. Es ist eine brasilianische Redewendung, die in etwa meint: Das kann gar nicht<br />
gut gehen. Doch dieser meint nur: «Jetzt ist es zu spät. Ich bin schon verliebt.» Das<br />
ist sie auch.<br />
Eliane Amaral bringt neuen Schwung in den «Hammer», den sie mit brasilianischer<br />
Lebensfreude füllt. Da sie immer etwas tun muss, bittet sie Ariel Lüdi beispielsweise,<br />
ein Gemüsebeet anzulegen. Die erste Version fällt allerdings etwas gar bescheiden<br />
aus: «Du hast so viel Land, geht es nicht ein bisschen grösser?», fragt sie fröhlich.<br />
Nun hat sie einen Gemüsegarten von eindrücklichem Ausmass zu besorgen …<br />
Im September 2017 heiraten Eliane Amaral und Ariel Lüdi. 64 Freunde und Verwan d<br />
te feiern das Paar. Es ist ein ausgelassenes Fest – fast ein bisschen brasilianisch halt.<br />
Nur Elianes Familie fehlt: Ihre Mutter und ihr Bruder sind bereits gestorben, ihrem<br />
86-jährigen Vater will sie die Reise nicht mehr zumuten. «Aber sonst», sagt Eliane<br />
Amaral, «sonst wüsste ich nicht, was mir hier fehlen könnte. Ich habe alles im Überfluss<br />
– und den besten Mann, den man sich wünschen kann.»<br />
258<br />
259
Ein sportlicher Finish<br />
Aufgrund des Kurswechsels, den das Atelier Zürich vornimmt, sind allerdings nicht nur<br />
Techniker und Handwerker immer wieder gefordert. Konsequenzen hat die Neuorientierung<br />
vor allem auch für Stefanie Bärtsch. Schon früh erkennt sie, dass sie keine Chance<br />
hat, den Terminplan einzuhalten, wenn weiterhin so viele Änderungen gemacht werden,<br />
und sie erkundigt sich bei Ariel Lüdi, ob sie denn nun eigentlich auf den Stand «Rohbau»<br />
zurückgehen sollten, oder ob man weitermache wie geplant.<br />
Lüdi beruhigt sie. Da er aber meist direkt mit den Innenarchitektinnen verhandelt, verliert<br />
Stefanie Bärtsch allmählich den Überblick. Oft wird sie erst an den Bausitzungen vor<br />
vollendete Tatsachen gestellt. Das passt nicht mit ihrer systematischen, pflichtbewussten<br />
Art überein. Weil sie auch die Budgetverantwortung trägt, macht sie sich bald ernsthaft<br />
Sorgen: Wie sollte sie für die Kosten geradestehen, wenn sie keine Ahnung von den geplanten<br />
Ausgaben hat und erst dann informiert wird, wenn sie bereits getätigt sind? Als sie<br />
nachts nicht mehr schlafen kann, spricht sie Lüdi darauf an. Doch der beruhigt sie: Sie solle<br />
sich mal keine Gedanken machen. Für alles, was vom Atelier Zürich komme, trage er die<br />
Verantwortung. «Solange du deine Kosten im Griff hast», sagt er, «reicht das vollkommen.»<br />
Stefanie Bärtsch arbeitet weiter mit ihrer «rollenden Planung» und hofft inständig, den<br />
Termin Ende 2016 einhalten zu können. «Der Finish war allerdings sehr sportlich», sagt<br />
sie. Als ein Handwerker ohne eigenes Verschulden im obersten Stock in eine Leitung der<br />
Bodenheizung bohrt, die dort nicht hätte sein sollen, wird es noch einmal eng. Erst am<br />
Wochenende entdeckt Ariel Lüdi, dass Wasser durchs Haus läuft. Er alarmiert Geri Ecker,<br />
der als Erstes alle Wasserleitungen abstellt und sich ans Aufwischen macht. Stundenlang<br />
trocknet er Böden und Wände, dann ruft er Stefanie Bärtsch an. «Ich wusste sofort, dass<br />
dies nichts Gutes bedeutet, wenn mich Geri am Sonntagabend anruft», sagt sie.<br />
Doch im Dezember 2016 ist die Villa tatsächlich bezugsbereit. Ariel Lüdi übergibt nach der<br />
offiziellen Abnahme das Zepter ans Atelier Zürich, das nun mit dem Einrichten beginnen<br />
kann, und setzt sich erst mal für ein Weilchen ab: Er verreist für einen Monat mit seiner<br />
neuen Partnerin Eliane Amaral nach Brasilien und freut sich darauf, nach seiner Rückkehr<br />
in die Hammer-Villa einzuziehen, in der er nichts vorfinden würde, was er schon kennt:<br />
Lüdi lässt die Damen vom Atelier Zürich wissen, dass er nichts zügeln möchte. Und wenn<br />
er nichts sagt, meint er genau das: keinen Löffel, keine Gabel, kein Tüechli und keinen Seifenspender.<br />
NICHTS. «Dass wir ein Haus wirklich von Grund auf neu einrichten können,<br />
passiert schon eher selten», sagt Claudia Silberschmidt, «aber das ist für uns natürlich ein<br />
Traumjob. Und eine unserer Spezialitäten: Wir können planen und beschaffen.»<br />
Als Ariel Lüdi im Januar 2017 in den «Hammer» zurückkehrt, zögert er allerdings mit dem<br />
Einzug in die Villa. Sie ist ein ihm vollkommen fremdes Haus, das er zum letzten Mal<br />
gesehen hat, als es noch leer stand. «Das war am Anfang sehr komisch», erinnert er sich.<br />
Der Einzug passiert schliesslich in Etappen. Zuerst nimmt Ariel Lüdi das Büro im Dachgeschoss<br />
in Besitz. Tagsüber arbeitet er in der Villa, zum Schlafen geht er ins vertraute<br />
Waschhäuschen. Auch kochen wird er noch lange in der vergleichsweise bescheidenen<br />
Küche im «kleinen Hammer». Zum ersten Mal schlafen in der Villa wird er erst nach der<br />
Rückkehr seiner Partnerin, die noch ein paar Wochen länger bei ihrer Familie in Brasilien<br />
bleibt. Doch dann wird die neue Hammer-Villa tatsächlich zu seinem Zuhause. Endlich<br />
kommt auch hier Leben ins Haus, denn rundherum hat sich der «Hammer» längst zu<br />
einem eigentlichen Unternehmenszentrum gemausert, das zwei Bereiche umfasst: einen<br />
«analogen» und einen «digitalen» …<br />
Das Hammer-Team wächst und wird auch digital<br />
Als Ariel Lüdi den «Hammer» kauft, will er ihn vor allem zu seinem Lebensmittelpunkt<br />
machen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass er immer mehr auch zu seinem Arbeitsmittelpunkt<br />
wird. «Ich bin als Verkäufer den Kunden ein Leben lang hinterhergerannt und<br />
in der ganzen Welt herumgeflogen», sagt er, «nun sollte zu mir kommen, wer etwas von<br />
mir will.» Und das sind einige. Denn Lüdi hat auch nach dem Verkauf von Hybris nicht die<br />
Absicht, sich auf die faule Haut zu legen. Er investiert schon bald in rund 20 Start-ups aus<br />
dem IT-Bereich und lässt dort seine Erfahrung als Berater einfliessen.<br />
Er schafft im «Hammer» alle Voraussetzungen, die es für eine Firmenzentrale braucht:<br />
High-End-Infrastruktur, Sitzungs- und Arbeitsräume, Übernachtungsmöglichkeiten, Wohlfühlbereiche.<br />
Seine Partner schätzen die ruhige, kreative Atmosphäre in Cham und kommen<br />
gerne. Das Hammer-Team digital etabliert sich neben dem «analogen» Hammer-<br />
Team, das – nebst Lüdi und seiner Partnerin – aus dem langjährigen Gutsverwalter Geri<br />
Ecker, Stallmeister Dirk Bulir, Pferdepflegerin Corinne Felsmann, Gärtner Urs Bär und Putzfee<br />
Cristina da Costa Guerreiro besteht. Wer hier arbeitet, trägt sogar stolz eine Art Arbeitskleidung<br />
mit dem Logo des Hammer-Teams. Der «Hammer» wird zur Marke.<br />
«Das ist längst kein Privathaus mehr», sagt Geri Ecker, der viel Spass hat an seinem<br />
«neuen» Job. «Das ist ein Unternehmenszentrum. Wir führen sogar eine gemeinsame<br />
Agenda, damit wir den Überblick über alle Aktivitäten behalten.» Hinter seinem Schreibtisch<br />
stapeln sich die Ordner: «Unter Andrea von Planta hatte ich fünf, heute sind es fünfzig»,<br />
sagt er lachend. Doch wie geschäftig es auch immer im «Hammer» zu- und hergeht:<br />
Letztlich ist es die aussergewöhnliche Umgebung, die Ariel Lüdis Herz höherschlagen<br />
lässt. Er geniesst sie und hält sich so oft als möglich im Freien auf. Ausserdem ist es ihm ein<br />
260 261
Anliegen, dass zu ihr Sorge getragen wird, und er lässt sogar ein Inventar aller 350 Bäume<br />
auf dem Areal erstellen. Muss einer umgetan werden, tut es ihm weh.<br />
Seinem Verwalter baut er derweil einen Wintergarten, wo dieser abends gerne auf seiner<br />
Zither spielt, und erfüllt ihm damit einen lang gehegten Wunsch. Ausserdem lässt er einen<br />
kleinen Werkhof für ihn erstellen, wo er seine Gerätschaften unterbringen kann. Wer im<br />
«Hammer» arbeitet, soll die bestmöglichen Voraussetzungen dafür vorfinden – ob dies<br />
nun Stallmeister Dirk Bulir, Putzfrau Cristina da Costa Guerreiro oder einer der CEOs seiner<br />
Start-ups ist. Das Hammer-Team digital unterscheidet sich vom Hammer-Team analog<br />
nur inhaltlich, nicht hierarchisch.<br />
Das gilt auch für den Chef: Wenn er mit Hammer-Team-Käppi und -Poloshirt auftritt (was<br />
meist der Fall ist), würde Ariel Lüdi durchaus als Verwalter durchgehen. Was für ihn auch<br />
kein Problem ist: «Ich bin hier nicht der Besitzer», sagt er, «ich bin hier nur der Statthalter<br />
für die nächsten dreissig Jahre, wenn ich Glück habe. Das macht einen ein bisschen<br />
demütig. Denn nach mir kommt der nächste Besitzer – und reisst vermutlich wieder alles<br />
zusammen, was ich hier aufgebaut habe. So war es immer im ‹Hammer›. Das hat Andrea<br />
von Planta gemacht. Das habe ich gemacht. Das wird der Nächste tun. Und das ist gut so.»<br />
Das Hammer-Team im<br />
November 2017: Stall <br />
meister Dirk Bulir, Pferdepflegerin<br />
Corinne Felsmann,<br />
Putzfee Cristina<br />
da Costa Guerreiro und<br />
Verwalter Geri Ecker mit<br />
seiner Sissi (hinten, von<br />
links). Vorne: Eliane und<br />
Ariel Lüdi mit Chihuahua<br />
Kelly.<br />
262 263
as Hammer-Fest<br />
Das Hammer-Fest im Sommer 2017<br />
m Sommer 2017<br />
Grund zum Feiern:<br />
Am 17. Juni 2017 wird<br />
die neue Hammer-Villa<br />
mit einer <strong>gross</strong>en Party<br />
eingeweiht. Mit dabei<br />
sind auch alle Handwerker.<br />
Sie werden für<br />
ihren Einsatz mit den<br />
«Hammer-Oscars» ausgezeichet.<br />
264 265
Vorher – nachher – heute<br />
Arbeitszimmer in der Hammer-Villa.<br />
266<br />
267
Pferdeboxen im Stall.<br />
268<br />
269
Haustechnik.<br />
270<br />
271
er «Hammer»<br />
Der «Hammer»<br />
steckt voller Energie<br />
voller Energie<br />
Die geballte Kraft der Lorze ist es, die am Anfang der Hammer-Geschichte steht: Die<br />
Energie des Wassers treibt ein Mühlerad an und bringt die Hämmer in Schwung.<br />
Daran ändert sich über Jahrhunderte nichts. Ab 1894 produziert Heinrich Ulrich<br />
Vogel Strom über eine Dynamomaschine, die am Wasserrad hängt. 1905 wird das<br />
Wasserrad durch eine Francis-Turbine ersetzt, auf die 50 Jahre später eine deutlich<br />
leistungsfähigere Kaplan-Turbine folgt. Diese deckt nicht nur den steigenden Energiebedarf<br />
der Liegenschaft, sondern liefert auch Strom für die «Papieri».<br />
Als die Turbine 2010 ihren Dienst versagt, verzichtet Andrea von Planta aufgrund<br />
der hohen Kosten darauf, diese zu revidieren oder zu ersetzen, da er seinen «Hammer»<br />
ohnehin verkaufen will. Und so ist es Ariel Lüdi, der das Projekt wieder an<br />
die Hand nimmt. «Energie ist das Kernthema im ‹Hammer›», sagt er. «Das wollte<br />
ich fortsetzen.» Doch damit beginnt für ihn eine Leidensgeschichte, die Ende 2017<br />
noch nicht ausgestanden ist: Eine Einsprache des WWF verhindert den Ausbau des<br />
Kleinkraftwerks an der Lorze.<br />
Die Anlagen bestehen damals im Wesentlichen aus dem Stauwehr, einem kurzen<br />
Oberwasserkanal für die Ableitung des Lorzenwassers und dem Maschinenhaus.<br />
Den Lauf der Lorze zwischen dem Wehr und der Wasserrückgabe unterhalb des Maschinenhauses<br />
bildet die 80 Meter lange Restwasserstrecke. Über diese fliesst seit<br />
2010 das gesamte Lorzenwasser, da es ja keine Turbine mehr antreiben soll.<br />
Am 5. Oktober 2015, ein Jahr nach seinem Einzug im «Hammer», reicht Ariel Lüdi<br />
bei der Einwohnergemeinde Cham zwei Baugesuche betreffend die Sanierung des<br />
Wasserkraftwerks ein. Sie umfassen zum einen die Restwassersanierung und die<br />
Wiederherstellung der Fischgängigkeit, zum andern geht es um den Ersatz der rund<br />
80-jährigen Kraftwerksturbine und die Instandstellung der Wehranlagen.<br />
Es scheint eine Formsache zu sein, denn mit der Sanierung der Anlage optimiert er<br />
auch die Auf- und Abstiegsmöglichkeiten der Fische und schafft die Voraussetzungen<br />
für die Produktion von so viel Strom, dass damit fast 300 Haushalte versorgt<br />
werden könnten. Die Gemeinde selber gibt ein Baugesuch zur Sanierung der Ufermauer<br />
des Restwasserkanals ein. Um das Verfahren zu koordinieren, leitet sie alle<br />
drei Baugesuche zusammen an die Baudirektion des Kantons Zug weiter, die keinen<br />
Anlass sieht, diese nicht zu bewilligen. Die Einsprache des WWF betrachtet der Regierungsrat<br />
ein Jahr später als unbegründet und weist sie ab.<br />
Sorgt für Power:<br />
Die alte Kaplan-<br />
Turbine – vermutlich<br />
aus dem Jahr 1938 –<br />
vor ihrer Revision<br />
im Winter 2017.<br />
Die Steuerung wirkt<br />
zwar museal, funktioniert<br />
aber noch<br />
einwandfrei.<br />
Doch das Urteil wird angefochten und kommt im November 2016 vor das Zuger Verwaltungsgericht.<br />
Es geht dabei vordergründig um die Restwassermenge, die ungenügend<br />
sei. In Tat und Wahrheit verfolgt die Einsprache aber ein politisch motiviertes<br />
Ziel: Die privaten, «ehehaften Wasserrechte» sollen verschwinden und in öffentlich-rechtliche<br />
Konzessionen umgewandelt werden. Da es im laufenden Verfahren<br />
gegen den «Hammer» allerdings nicht darum geht, weist das Verwaltungsgericht die<br />
Beschwerde im Oktober 2017 ab. In seiner Begründung hält es unmissverständlich<br />
fest, dass das Privatrecht an der Lorze zum Zeitpunkt seiner Begründung rechtens<br />
war. Durch die Tatsache, dass die Wasserkraft im «Hammer» genutzt wurde, sei ein<br />
«dringliches», also zeitlich unbefristetes Recht entstanden, das unter dem Schutz<br />
der Eigentumsgarantie stehe. Der Kanton könnte dieses lediglich über das Mittel der<br />
Enteignung beseitigen. Dazu hat er aber keine Veranlassung.<br />
Obwohl er vor dem Zuger Verwaltungsgericht Recht bekommt, sind Ariel Lüdi nach<br />
wie vor die Hände gebunden, denn das Urteil wird an das Bundesgericht weitergezogen.<br />
Der Einbau einer neuen kleineren, aber doppelt so leistungsfähigen Turbine<br />
ist damit immer noch nicht möglich. Die alte Kaplan-Turbine wieder in Schwung zu<br />
bringen, hingegen schon. Und genau das tut Ariel Lüdi. Ende Oktober 2017 wird der<br />
«Oldtimer» demontiert und auf Vordermann gebracht. Mitte Februar 2018 geht das<br />
Kraftwerk mit einer Leistung von 600 000 kWh wieder ans Netz. Davon benötigt der<br />
«Hammer», der damit energietechnisch wieder autark ist, die Hälfte. Der Rest deckt,<br />
rein rechnerisch, den Bedarf von rund 100 Zweipersonen-Haushalten.<br />
272<br />
273
Das Vestibül wird zur (Wohn-)<br />
Landschaft: Der Teppich nimmt<br />
das Grün der Tapete auf, Möbel<br />
bilden das Herz des Raums. Eine<br />
Herausforderung war es für den<br />
Maler, der unter anderem die<br />
Ornamente mit verschiedenen<br />
Farben herausschaffte.<br />
274 275
Warme Elemente im kühlen<br />
Ambiente: Als das Atelier Zürich<br />
ins Spiel kam, waren Boden und<br />
Küche bereits bestimmt. Nun<br />
sorgen beispielsweise ein<br />
massiver Holztisch, Stühle und<br />
Pfannen an der Decke für eine<br />
wohnliche Atmosphäre.<br />
276 277
Ein moderner, dominanter Tisch<br />
sorgt für den nötigen Kontrast<br />
im historischen Esszimmer,<br />
dessen Täfer aus der alten<br />
Hammer-Villa stammt. Darunter<br />
liegt ein Kupferteppich, der das<br />
Thema der «Chupferstrecki»<br />
aufnimmt.<br />
278 279
Geschichte, neu interpretiert:<br />
Der «Grüne Salon» diente einst<br />
zu Repräsentations zwecken;<br />
heute strahlt er Wohnlichkeit<br />
aus. Die Skulptur des Schweizer<br />
Künstlers Raffael Benazzi und<br />
der handgeknüpfte Teppich –<br />
eine Spezialanfertigung – setzen<br />
dabei besondere Akzente.<br />
280 281
Vom Arbeitszimmer zum<br />
Lebensraum: Das Cheminée des<br />
Kunstschlossers Moritz Häberling<br />
ist ein zauberhaftes «Spiel<br />
mit dem Feuer», die Wand links<br />
und rechts herauszubrechen,<br />
war allerdings eine Herausforderung<br />
für die Bauleiterin.<br />
282 283
Hier will man sich hinfläzen:<br />
Im kuscheligen Sofa mit den<br />
vielen Kissen sitzt (oder liegt)<br />
man in der ersten Reihe, denn<br />
im Holzmöbel davor versteckt<br />
sich ein Beamer, der die Wand<br />
darüber bespielt – Heimkino<br />
vom Feinsten.<br />
284 285
Im zweiten Stock beginnt der<br />
private Bereich. Die Ankleide<br />
etwa kann mit einer Schiebetür<br />
geschlossen werden. Der Korpus<br />
in der Mitte bietet viel Stauraum,<br />
aber auch eine Sitzgelegenheit.<br />
Denn es geht auch um Funktionalität.<br />
286 287
Ein Traum von einem Raum:<br />
Ins Schlafzimmer wollten die<br />
Innenarchitektinnen vor allem<br />
Ruhe bringen. Mit einer <strong>gross</strong>zügigen,<br />
unaufgeregten Möblierung<br />
beispielsweise. Der Teppich<br />
dient dabei als Rahmen: Er hält<br />
alles zusammen.<br />
288 289
Eintauchen in Glückseligkeit:<br />
Das Badezimmer ist ein elegantes<br />
Wellness- und Wohlfühlcenter<br />
mit Sauna, Liegebereich<br />
und Dampfbad. Es bietet immer<br />
wieder überraschende Ein- und<br />
Ausblicke. Unter anderem in die<br />
Natur des «Hammers».<br />
290 291
Viele liebevolle Details: Der<br />
moderne Waschtisch im Bad<br />
steht auf einem massiven<br />
Eisengestell – eine charmante<br />
Reminiszenz an die Geschichte<br />
des «Hammers», wo Metall über<br />
Jahrhunderte eine zentrale Rolle<br />
spielte.<br />
292 293
Der Dachstock der Villa ist so<br />
etwas wie das Geschäftszentrum<br />
des «Hammers». Hier hat Ariel<br />
Lüdi sein Büro. Hier gibt es einen<br />
modernen Besprechungsraum<br />
mit Hightech-Infrastruktur.<br />
Doch überall schwingt die<br />
Geschichte mit.<br />
294 295
Bildnachweis<br />
Alle Bilder stammen aus den Privatarchiven Funk, Lüdi, Naville, Seeburger und von Planta.<br />
Ausser:<br />
Atelier Zürich/Martin Guggisberg 278/279, 288/289 • BKG Architekten AG/Hans-Peter<br />
Bärtsch 6, 143, 190–203, 266, 268, 270; Stefanie Bärtsch 245, 248 (oben); Georg<br />
Gisel 274/275, 290/291, 292/293, 294/295 • Bruno Bosshard 32/33, 184/185 • Dirk<br />
Bulir 236–239 • Geri Ecker 168/169 • Jürg Elmer 244 • ETH-Bibliothek, Bibliothek<br />
Erdwissenschaften 47 • Josef Grünenfelder 205 • Stefan Hausheer 254 (oben) •<br />
Peter Hoppe 56 • Patrick Käppeli 232 • Kantons bibliothek Vadiana, St. Gallen 42<br />
• Kantonsbibliothek Zug 52/53 • Rolf E. Keller (Abbildungen aus: Zug auf druckgraphischen<br />
Ansichten; Bd. 1: Zug-Stadt; 3. Auflage; Zug 1991, sowie: Die gute alte Zeit in Zug;<br />
Zug 1988) 49/50 • Küttel Laubacher Werbeagentur/Simon Huwiler 228/229, 231, 234,<br />
242/243, 247, 248 (unten), 252, 254 (unten), 263, 267, 269, 271–273, 276/277, 280–287 •<br />
Dani Kunz 250/251 • Metropolitan Museum of Art 78/79 • Miebner, Wikipedia 44 • Archives<br />
historiques de Nestlé SA, Vevey/Cham 50 • Offiziersgesellschaft des Kantons Zug (Abbildung<br />
aus: Eilet dann, o Söhne; Beiträge zur zugerischen Militärgeschichte; Zug 1994) 38 •<br />
Michael van Orsouw 112 • Archiv Papierfabrik Cham 65, 115 • Werner Spillmann (Abbildung<br />
aus: Zug von der landwirtschaftlichen Region zum erfolgreichen Wirtschaftsplatz; Zug<br />
1988) 39 • Stadtbibliothek Bern 41 • Stiftung Museum Kunstpalast – Horst Kolberg – ARTO-<br />
THEK 37 • Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv 62/63.<br />
Wir haben uns bemüht, die Urheberrechte der Abbildungen ausfindig zu machen. In Fällen,<br />
in denen ein exakter Nachweis nicht möglich war, bitten wir die Inhaber der Copyrights<br />
um Nachricht.<br />
Autor<br />
Der Historiker und Journalist Christoph Zurfluh, geboren 1962 in Altdorf, schloss sein<br />
Studium der Geschichte, Literatur und Publizistikwissenschaften an der Universität<br />
Zürich mit einer Dissertation über das Urner Pressewesen ab. Er arbeitete jahrelang<br />
als Redaktor und Reporter für <strong>gross</strong>e Schweizer Zeitungen und Zeitschriften, bevor er<br />
sich 1997 selbstständig machte. Sein Interesse für historische Zusammenhänge und<br />
seine journalistische Neugier machen ihn zu einem profilierten Erzähler und Autor<br />
geschichtsaffiner Werke wie «Die Häftlimacher» (zum 175-Jahr-Jubiläum der Fischer<br />
Reinach AG Anfang 2017) oder zuletzt «Das Fräulein Müller» (eine romanhafte Biografie).<br />
Neben seiner Tätigkeit als Buchautor ist er immer noch als Reporter unterwegs<br />
und entwickelt als Teil des Corporate-Publishing-Netzwerks «Die Magaziner» Werbekampagnen,<br />
Zeitschriften und Kommunikationskonzepte. Christoph Zurfluh lebt mit<br />
seinen beiden Töchtern in Muri AG.<br />
Ein Hammer-Team …<br />
An der Geschichte des Chamer «Hammers» waren zahlreiche Personen beteiligt. Sie alle<br />
haben das Projekt mit Wohlwollen verfolgt und unterstützt. Sie haben Texte gegengelesen,<br />
Informationen geliefert, Bilder ausgegraben, kleine Geheimnisse verraten und geduldig<br />
zugehört. Sollten sich dennoch Fehler eingeschlichen haben, trägt allein der Autor die<br />
Verantwortung dafür.<br />
Ein besonders herzliches Dankeschön geht – in alphabetischer Reihenfolge – an:<br />
Eliane Amaral, Hans-Peter Bärtsch, Stefanie Bärtsch, Qamil Behluli, Anna Bonnet, Bruno<br />
Bosshard, Dirk Bulir, Gerhard Ecker, Jürg Elmer, Michael Funk, Josef Grünenfelder, Roger<br />
Gutknecht, Stefan Hausheer, Peter Hoppe, Patrick Käppeli, Dani Kunz, Renato Morosoli,<br />
Jacqueline Naville, Michael van Orsouw, Margrit und Andrea von Planta, Böbbi Schiess,<br />
Michael Schmid, Christoph und Vreni Seeburger, Franziska Sidler, Claudia Silberschmidt.<br />
296 297
DIE «HAMMER»-DYNASTIEN<br />
VOGEL UND NAVILLE<br />
Heinrich Vogel mit seinen<br />
Schwiegertöchtern Anna<br />
und Helene (rechts).<br />
298 299
Johann Jakob Vogel-Ulrich (1743–1825)<br />
Anna Elisabeth Ulrich (1747–1811)<br />
Johann Jakob Vogel- Nötzli (1783–1841)<br />
Maria Ursula Nötzli (1785–1869)<br />
Heinrich Vogel-Saluz(zi) (1822–1893)<br />
Carolina Saluz(zi) (1825–1902)<br />
Elisabetha<br />
(1807–1871)<br />
Dorothea<br />
Amalia<br />
(Amélie)<br />
(1809–????)<br />
Johann<br />
Jakob 1 + 2<br />
(1811–1812/<br />
1813–1862)<br />
Anna<br />
Eugenia<br />
(1815–????)<br />
Maria<br />
Charlotta<br />
Ernestina<br />
(1823–????)<br />
Carl Vogel-von Meiss (1850–1911)<br />
Anna von Meiss (1858–1942)<br />
Alice Maria<br />
Octavia<br />
(1849–1876)<br />
Johann Jacob<br />
Otto<br />
(1852–1919)<br />
Max Peter<br />
Heinrich<br />
(1854–1919)<br />
Heinrich<br />
Robert<br />
Thomas<br />
(1863–1888)<br />
Heinrich<br />
Hans<br />
Richard<br />
(1870–1950)<br />
Anna Emilie Charlotte Naville- Vogel<br />
(1885–1981)<br />
Robert Naville- Vogel (1884–1970)<br />
Hans Carl<br />
Alexander<br />
(1880–1905)<br />
Anna Helena<br />
Alice<br />
(1881–1944)<br />
Bertha Olga<br />
(1883–1970)<br />
Anna<br />
Helena<br />
(Ellen)<br />
(1888–1963)<br />
Robert E. Naville- Ferrière (1913–2006)<br />
Marie-Louise Ferrière (1911–1997)<br />
Hortense<br />
Olga<br />
(1910–1999)<br />
Raoul<br />
(1912–1999)<br />
Heinrichs Söhne Carl<br />
und Richard Vogel (links)<br />
im «Hammer».<br />
André<br />
Naville<br />
(*1945)<br />
Jacqueline<br />
Naville<br />
(*1949)<br />
Hanspeter<br />
Funk<br />
(*1939)<br />
Michael<br />
Funk<br />
(*1941)<br />
300 301
302<br />
<strong>hammer</strong>cham.ch