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Eine sichere Berufswahl

Um eine fundierte Berufswahl treffen zu können, benötigen Oberstufenschülerinnen und -schüler systematische schulische Unterstützung. Die Handreichung bietet Anregungen und zentrale Elemente, die für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung erforderlich sind: wissenschaftliche Perspektiven, erprobte Instrumente sowie der Blick auf das Thema Schulentwicklung. Erfahrene Lehrkräfte wie auch Lehramtsstudierende erhalten wichtige Grundlagen und vertiefende Informationen.

Um eine fundierte Berufswahl treffen zu können, benötigen Oberstufenschülerinnen und -schüler systematische schulische Unterstützung. Die Handreichung bietet Anregungen und zentrale Elemente, die für eine
erfolgreiche Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung
erforderlich sind: wissenschaftliche Perspektiven, erprobte Instrumente
sowie der Blick auf das Thema Schulentwicklung. Erfahrene Lehrkräfte
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<strong>Eine</strong> <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong><br />

Handreichung für Lehrkräfte<br />

Informationen und Anregungen<br />

für die Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe<br />

Autorin: Petra Wördehoff<br />

Mit wissenschaftlichen Beiträgen von Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland,<br />

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Prof. Dr. Bärbel Kracke


Impressum<br />

Herausgeber KWB Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung e. V.<br />

Kapstadtring 10 | 22297 Hamburg<br />

info@kwb.de | www.kwb.de<br />

Tel. 040 334241-0 | Fax 040 334241-299<br />

Geschäftsführender Vorstand: Hansjörg Lüttke<br />

Stiftung Hilfe mit Plan<br />

Bramfelder Str. 70 | 22305 Hamburg<br />

info@stiftung-hilfe-mit-plan.de | www.stiftung-hilfe-mit-plan.de<br />

Tel. 040 61140-260 | Fax 040 61140-258<br />

Vorstandsvorsitzender: Dr. Werner Bauch<br />

Geschäftsführerin: Kathrin Hartkopf<br />

Autorin<br />

Entwicklungsteam<br />

Lektorat<br />

Gestaltung und Satz<br />

Titelbild<br />

Druck<br />

Petra Wördehoff (KWB e. V.)<br />

Marisa Reitz (Stiftung Hilfe mit Plan)<br />

Petra Wördehoff (KWB e. V.)<br />

Christine Robben (KWB e. V.)<br />

Regina Neubohn<br />

iStock © DmitriyBurlakov<br />

Saxoprint GmbH<br />

Hamburg, im Januar 2018<br />

Die Handreichung „<strong>Eine</strong> <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong>“ wurde von der<br />

Stiftung Hilfe mit Plan finanziert.<br />

ISBN: 978-3-944045-20-7<br />

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.


Inhalt<br />

8 Grußwort<br />

Senator Ties Rabe | Präses der Behörde für Schule und Berufsbildung<br />

der Freien und Hansestadt Hamburg<br />

10 Vorwort<br />

Dr. Werner Bauch | Vorstandsvorsitzender Stiftung Hilfe mit Plan und<br />

Kathrin Hartkopf | Geschäftsführerin Stiftung Hilfe mit Plan<br />

12 Prolog<br />

Petra Wördehoff | Projektleitung KWB e. V.<br />

14 Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe: die Ausgangslage<br />

23 Die <strong>Berufswahl</strong> von Schülern/-innen aus wissenschaftlicher Perspektive<br />

24 Die <strong>Berufswahl</strong> als Entwicklungsaufgabe<br />

Prof. Dr. Bärbel Kracke | Lehrstuhlinhaberin „Pädagogische Psychologie“<br />

an der Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />

38 Erwartungen Jugendlicher an das Berufsleben<br />

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann | Senior Professor of Public Health and Education<br />

an der Hertie School of Governance Berlin<br />

60 Genderaspekte und -herausforderungen in der<br />

Berufs- und Studienorientierung<br />

Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland | Universitätsprofessorin i. R.<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg


81<br />

Erprobte Instrumente zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong> von<br />

Oberstufen schülern/-innen<br />

82 Modulare Angebote für die Sekundarstufe II aus dem<br />

Projekt „Zukunft mit Plan“<br />

102 Die Rolle der Eltern und wie Schulen sie mit ins Boot nehmen<br />

111 Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe –<br />

Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Projekt „Zukunft mit Plan“<br />

112 Erforderliche Rahmenbedingungen:<br />

die Personal-, Unterrichts- und Schulentwicklung<br />

124 Der Prozess der Implementation von Instrumenten an Schulen<br />

126 Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Implementation<br />

130 Best-Practice-Beispiele aus dem Projekt „Zukunft mit Plan“<br />

138 Fazit und Ausblick<br />

140 Anhang<br />

Projekthistorie von „Zukunft mit Plan“<br />

Dank<br />

Über die Autorin<br />

7


Grußwort<br />

Senator Ties Rabe<br />

Präses der Behörde für Schule<br />

und Berufsbildung der<br />

Freien und Hansestadt Hamburg<br />

(Foto: Michael Zapf)<br />

Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler erwirbt heutzutage die Hochschul- oder<br />

Fachhochschulreife. In Hamburg sind es knapp 60 Prozent. Mit dem Schulabschluss<br />

stehen ihnen viele interessante berufliche Wege offen. Für die jungen Menschen ist<br />

es eine große Herausforderung, unter etwa 330 dualen Ausbildungsberufen oder<br />

den inzwischen tausenden von Studiengängen eine passende Wahl vorzunehmen.<br />

Hier ist professionelle Unterstützung schon während der Schulzeit unabdingbar –<br />

das zeigen auch die Abbrecherquoten: Fast 30 Prozent aller Studierenden verlassen<br />

die Hochschule ohne Abschluss, ca. 25 Prozent aller Erstausbildungsverträge werden<br />

vorzeitig gelöst. Diese Quoten sind zu hoch und können durch den Ausbau der<br />

beruflichen Orientierung schon während der Schulzeit gesenkt werden. Denn jeder<br />

Abbruch ist für einen jungen Menschen zunächst einmal eine Negativerfahrung, aus<br />

der heraus eine neue Orientierung gefunden werden muss. Auch für die Familien<br />

ist die Situa tion mitunter eine Belastung. Und für Unternehmen, Institutionen und<br />

Hochschulen sind die Ausbildungsinvestitionen ebenfalls ins Leere gelaufen. Für alle<br />

Beteiligten ein unbefriedigender Zustand.<br />

Im Bereich der Sekundarstufe I haben wir die Berufsorientierung in Hamburg in den<br />

letzten Jahren bereits umfassend ausgebaut und sind hier auf einem sehr guten Weg.<br />

Für die Sekundarstufe II ist im Frühjahr 2017 das neue Rahmenkonzept zur Berufs- und<br />

Studienorientierung veröffentlicht worden, mit dem wir die Schulen zu einem verbindlichen<br />

Angebot für Oberstufenschülerinnen und -schüler anregen und verpflichten<br />

wollen. Viele Schulen haben bereits aus eigener Initiative gute Angebote in der<br />

Oberstufe aufgebaut. Einige von ihnen kooperierten dabei auch mit den Projekten<br />

„Zukunft mit Plan“ und „Zukunftspilot“. Die Koordinierungsstelle Weiterbildung und<br />

Beschäftigung (KWB e. V.) hat hiermit seit 2009 eine wichtige Grundlagenarbeit zur<br />

Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe geleistet, die in diesem Handbuch<br />

8


anschaulich und schlüssig zusammengefasst wird: Die Vorstellung von neuen Modulen<br />

zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong>, die Beschreibung von Lehrerfort bildungen und Elternveranstaltungen<br />

sowie die Darstellung von Best-Practice-Beispielen und Erfolgsfaktoren<br />

für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung<br />

an Schulen. Abgerundet werden die Praxiserkenntnisse durch drei Beiträge aus der<br />

Wissenschaft.<br />

Den Projektverantwortlichen von „Zukunft mit Plan“ sowie der KWB e. V. danke ich<br />

für ihr jahrelanges Engagement an zahlreichen Hamburger Schulen wie auch für die<br />

Dokumentation ihrer Erkenntnisse und Instrumente in dieser Handreichung. Darüber<br />

hinaus geht mein Dank an die Stiftung Hilfe mit Plan vom Kinderhilfswerk Plan<br />

International Deutschland e. V. für die Finanzierung der Arbeit von „Zukunft mit Plan“<br />

sowie die Anregung zu dieser Veröffentlichung.<br />

Bei der Lektüre wünsche ich Ihnen, verehrte Lehrerinnen und Lehrer, neue Erkenntnisse<br />

und viele gute Anregungen für einen wichtigen Teil Ihrer Arbeit: der professionellen<br />

Unterstützung von jungen Menschen beim Übergang von der Oberstufe in<br />

eine Ausbildung bzw. ein Studium.<br />

Senator Ties Rabe<br />

9


Vorwort<br />

Die Stiftung Hilfe mit Plan unterstützt zukunftsweisende und nachhaltige Projekte,<br />

die unter anderem Bildungs- und Ausbildungschancen junger Menschen fördern und<br />

Chancengleichheit erhöhen.<br />

Dr. Werner Bauch<br />

Vorstandsvorsitzender<br />

Stiftung Hilfe mit Plan<br />

Das Hamburger Projekt „Zukunft mit Plan: Modulare Angebote zur Studien- und<br />

Berufsorientierung in der Sekundarstufe II“ der Koordinierungsstelle Weiter bildung<br />

und Beschäftigung (KWB e. V.) hat uns bei unserer Suche nach einem förderungswürdigen<br />

Projekt im Herbst 2014 von Anfang an überzeugt: Über praxisorientierte und<br />

maßgeschneiderte Fortbildungen werden Lehrkräfte an Pilotschulen geschult, um<br />

langfristig erprobte Formate zur Berufs- und Studienorientierung zu etablieren.<br />

Aus unserer Sicht ist „Zukunft mit Plan“ ein Leuchtturmprojekt, das insbesondere<br />

mit der Einführung des Hamburger Rahmenkonzeptes zur Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe im Jahr 2017 noch einmal mehr an Bedeutung gewonnen<br />

hat. Professionelle Lehrerfortbildungen, wie sie im Projekt seit 2014 durchgeführt<br />

werden, sind dabei ein wesentlicher Schlüssel, um eine nachhaltige und erfolgreiche<br />

Umsetzung zu garantieren.<br />

Kathrin Hartkopf<br />

Geschäftsführerin<br />

Stiftung Hilfe mit Plan<br />

Mit der Handreichung möchten wir alle Hamburger Schulen an den Erkenntnissen<br />

dieses Projektes teilhaben lassen und Lehrkräfte motivieren, sich mithilfe unserer<br />

Konzepte zu dem Thema weiterzubilden. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass immer<br />

mehr junge Menschen eine <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong> treffen und der Übergang von der<br />

Schule in eine Ausbildung oder ein Studium gelingt.<br />

10


Wir danken der engagierten Leiterin Petra Wördehoff, die „Zukunft mit Plan“ mit aufgebaut<br />

hat, sowie der KWB e. V. für die sehr gute Zusammenarbeit. Wir freuen uns,<br />

dass wir mit unserem Pilotprojekt einen Anstoß geben konnten, um Jugendliche und<br />

Lehrkräfte in der Berufs- und Studienorientierung zu unterstützen.<br />

Dr. Werner Bauch<br />

Kathrin Hartkopf<br />

11


Prolog<br />

Petra Wördehoff<br />

Projektleitung „Zukunft mit Plan“<br />

„<strong>Eine</strong> <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong>“ ist eine Handreichung für Lehrkräfte – insbesondere für<br />

Schul- und Abteilungsleitungen, Beauftragte für die Berufsorientierung sowie<br />

Tutoren/-innen. Sie beinhaltet zentrale Elemente, die für eine erfolgreiche und nachhaltige<br />

Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe<br />

erforderlich sind: wissenschaftliche Grundlagen, erprobte Instrumente zur <strong>sichere</strong>n<br />

<strong>Berufswahl</strong> sowie die Verzahnung von Berufsorientierung und Schulentwicklung.<br />

Auch Lehramtsstudierende und engagierte Eltern finden in ausgewählten Kapiteln<br />

Informationen und Inspirationen.<br />

Die Veröffentlichung beruht auf neun Jahren Projekterfahrungen und -erkenntnissen<br />

aus der Zusammenarbeit mit über zwanzig Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein<br />

in den Jahren 2009 bis 2017. Die Zusammenstellung erfolgte im Rahmen der<br />

regulären Projektaktivitäten und ist anwendungsorientiert aufgebaut.<br />

Nach einer thematischen Einführung stehen im ersten Themenblock mit dem Titel<br />

„Die <strong>Berufswahl</strong> von Schülern/-innen aus wissenschaftlicher Perspektive“ die jungen<br />

Menschen im Mittelpunkt: Drei Beiträge von Gastautoren/-innen bieten eine psychologische<br />

und soziologische Zusammenfassung über die Lebenswelten Jugendlicher<br />

im Hinblick auf das Thema Berufsorientierung. Darunter ein Aufsatz, der die enge<br />

Verbindung von Genderaspekten und <strong>Berufswahl</strong> darlegt. Die Abhandlungen zeigen<br />

die Komplexität der Thematik auf und machen deutlich, wie wichtig eine theoretische<br />

Auseinandersetzung für die erfolgreiche Arbeit mit jungen Menschen ist.<br />

Auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse aufbauend folgt der Blick in die Praxis: Die<br />

Vorstellung von erprobten Instrumenten, die für eine <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong> von Oberstufen<br />

schülern/-innen empfehlenswert sind. Sie wurden von mehreren tausend<br />

Schülern/-innen sowie von mehr als hundertfünfzig Lehrkräften als hilfreich und gut<br />

12


ewertet. Der Themenblock schließt mit einem Beitrag, der sich mit der engen Beziehung<br />

der jungen Menschen zu ihren Eltern beschäftigt und der damit verbundenen<br />

Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Schulen und Eltern. Ein Format für Informationsveranstaltungen<br />

lädt hierbei zur Nachahmung ein.<br />

Der letzte Themenblock „Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung in<br />

der Oberstufe“ widmet sich der Verzahnung von Berufsorientierung und Schulentwicklung.<br />

Er beschreibt die aus Praxissicht notwendigen Rahmenbedingungen und<br />

erforderlichen Kompetenzen, um Veränderungen an Schulen anzuregen und neue<br />

Konzepte zeitnah, erfolgreich und zugleich nachhaltig zu etablieren. Hierfür werden<br />

Projekterkenntnisse zu den Aspekten Personal-, Unterrichts- und Organisationsentwicklung<br />

dargelegt. Die Veröffentlichung endet mit der Vorstellung von Erfolgsfaktoren<br />

und Best-Practice-Beispielen für eine nachhaltige Implementation erprobter<br />

Instrumente.<br />

Gute Anregungen bei der Lektüre wünscht<br />

Petra Wördehoff<br />

13


Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe: die Ausgangslage<br />

Siehe auch „Die <strong>Berufswahl</strong> als<br />

Entwicklungsaufgabe“, S. 24 ff.<br />

Die <strong>Berufswahl</strong> ist eine Entwicklungsaufgabe, der sich Heranwachsende stellen<br />

müssen. Der Prozess der Auseinandersetzung beginnt schon früh in der Kindheit<br />

mit der spielerischen Nachahmung von Berufsbildern, entwickelt sich in der Grundund<br />

weiterführenden Schule weiter (und setzt sich ein Leben lang fort). Gegen Ende<br />

der Schulzeit wird die Frage nach einer konkreten beruflichen Entscheidung für eine<br />

Ausbildung oder ein Studium immer dringlicher. Das gilt gleichermaßen für Absolventen/-innen<br />

der Mittel- wie auch der Oberstufe.<br />

Um eine fundierte und <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong> zu treffen – unter den tausenden an<br />

Studiengängen den richtigen auszuwählen, eine passende Hochschule zu finden,<br />

sich erfolgreich auf Ausbildungsberufe oder duale Studiengänge zu bewerben oder<br />

auch die Studienfinanzierung auf <strong>sichere</strong> Füße zu stellen –, benötigen die meisten<br />

jungen Menschen umfangreiche und professionelle Unterstützung, die frühzeitig<br />

in der Schule ansetzt. An Hamburger Stadtteilschulen wird die Berufs orientierung<br />

in der Mittelstufe seit einigen Jahren weiterentwickelt und ausgebaut. Hierzu wurden<br />

zahlreiche strukturelle Veränderungen vorgenommen, u. a. Ko operationen<br />

mit Lehrkräften der Stadtteilschulen und Berufsschulen sowie mit Fachkräften der<br />

Jugendberufsagentur. Darüber hinaus wurden sogenannte BOSO-Teams eingeführt,<br />

in denen ausgewählte Lehrkräfte wie auch Kooperationspartner mitarbeiten.<br />

Die immer größer werdende Zahl an Schulen mit einem sogenannten <strong>Berufswahl</strong>-Siegel,<br />

die „nachweislich junge Menschen auf vorbildliche Weise auf die Arbeitswelt<br />

vorbereiten“ – so die Verantwortlichen des Siegels –, unterstreicht die positiven Entwicklungen<br />

nochmals.<br />

14


Handlungsbedarf in der Oberstufe<br />

Die schulische Berufsorientierung von Schülern/-innen des Gymnasiums bzw. von<br />

Schulen, die zum Abitur führen, wurde lange Zeit als nicht relevant angesehen. Es wurde<br />

angenommen, dass die Beschäftigung<br />

mit konkreten beruflichen Optionen<br />

für Abiturienten/-innen nicht zentral für<br />

ihren nachschulischen Bildungsweg sei,<br />

sondern dass der Erwerb der Studienberechtigung<br />

und damit das fachbezogene<br />

Lernen von allgemeinbildenden Grundlagen<br />

im Vordergrund stünden. Die Tatsache,<br />

dass viele Abiturienten/-innen am<br />

Ende ihrer Schulzeit noch nicht wissen,<br />

was sie studieren wollen, und dass einige<br />

von ihnen überhaupt nicht studieren<br />

Die schulische Berufsorientierung<br />

von Schülern/<br />

-innen des Gymnasiums<br />

bzw. von Schulen, die zum<br />

Abitur führen, wurde<br />

lange Zeit als nicht relevant<br />

angesehen.<br />

wollen sowie die relativ hohe Zahl an Studienabbrechern/-innen hat zu allmählichen<br />

Veränderungen in der Praxis an Gymnasien geführt, Schüler/-innen auf ihren nachschulischen<br />

Werdegang vorzubereiten (Driesel-Lange, Hany, Kracke, Schindler, 2013). Auch<br />

aktuell wird im Hamburger Ausbildungsreport die Weiterentwicklung der Berufs- und<br />

Studien orientierung in der Sekundarstufe II als eine von drei großen Herausforderungen<br />

der Jugendberufsagentur Hamburg aufgeführt (Aus bildungs report Hamburg, 2017).<br />

Über den beruflichen Werdegang von Abiturienten/-innen gibt es bislang noch<br />

immer keine verlässlichen Studien. Wir wissen nur so viel: Konstant seit vielen Jahren<br />

brechen knapp 30 Prozent der Studierenden ihr Studium ab und verlassen die Hochschulen<br />

ohne akademischen Abschluss (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung,<br />

2017). Die große Zahl an Abbrechern/-innen hat sich auch nach<br />

der Einführung des Bachelorstudiums nicht geändert. Bei den dualen Ausbildungen<br />

wurden 2015 knapp 25 Prozent der Ausbildungs ver träge vorzeitig gelöst – etwa die<br />

15


Hälfte davon wechselt den Ausbildungsbetrieb oder den Ausbildungsberuf (Berufsbildungsbericht,<br />

2017). Darüber hinaus berichten Lehrkräfte von Abiturienten/-innen<br />

aus sozial benachteiligten Stadtteilen, dass jedes Jahr eine Gruppe von ihnen den<br />

direkten Weg in eine Ausbildung oder ein Studium nicht schafft und mitunter jahrelang<br />

in Aushilfsjobs verweilt.<br />

1) Der Präsident des Deutschen<br />

Studenten werks, Prof. Dr. Rolf Dobischat,<br />

kommentiert in der 19. Sozialerhebung<br />

des DSW (Bundesministerium für<br />

Bildung und Forschung, 2010) dazu:<br />

„Es ist noch viel zu tun, damit an den<br />

Hochschulen Menschen mit Migrationshintergrund<br />

künftig so stark vertreten<br />

sind, wie es ihrem Anteil von fast einem<br />

Fünftel an der Gesamtbevölkerung<br />

entspricht.“<br />

Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in die berufliche Bildung<br />

Auf der Suche nach den Gründen für die von vielen als kritisch betrachteten Übergänge<br />

von der Oberstufe ins Berufs- und Studienleben hilft der Blick auf die Ent -<br />

Der Zuwachs an Oberstufenschülern/-innen<br />

seit Mitte der 70er<br />

Jahre kommt vor allem<br />

aus Familien mit Migrationshintergrund<br />

und/<br />

oder aus Familien ohne<br />

Hochschul erfahrungen.<br />

wicklungen der letzten Jahrzehnte:<br />

Immer mehr junge Menschen erreichen<br />

den höchs ten schulischen Abschluss.<br />

Waren es vor vierzig Jahren noch knapp<br />

unter 25 Prozent (DER SPIEGEL 1975:<br />

Ausgabe 22), so beendet heute mehr<br />

als jede/-r Zweite die Schulzeit mit<br />

dem Abitur. In Hamburg sind es knapp<br />

60 Prozent (Hamburger Schulstatistik<br />

2016/17). Der mehr als hundertprozentige<br />

Zuwachs seit Mitte der 70er Jahre<br />

kommt vor allem aus zwei Personenkreisen:<br />

aus Familien mit Migrationshintergrund<br />

und/oder Familien ohne Hochschulerfahrungen. Beide Gruppen kennen sich<br />

häufig weniger gut mit dem deutschen Ausbildungs- und/oder Studien system aus.<br />

Folglich können sie ihre Töchter und Söhne in ihrer Berufs- und Studienwahl nicht<br />

entsprechend umfassend unterstützen. Das zeigt sich z. B. auch daran, dass insgesamt<br />

nur 11 Prozent der Studierenden einen Migrationshintergrund mitbringen 1) und<br />

davon ca. 40 Prozent ihr Studium abbrechen (Ebert und Heublein, 2017).<br />

16


Beschleunigt wurde der Zuwachs an Abiturienten/-innen zudem durch zwei große<br />

strukturelle Veränderungen in der Schul- und Hochschullandschaft in Deutschland:<br />

die Einführung des Fachabiturs sowie die Einrichtung von Fachhochschulen Ende der<br />

60er Jahre.<br />

Hinzu kommt, dass die Berufs- und Studienorientierung für alle jungen Menschen um<br />

ein Vielfaches komplexer geworden ist: Heutzutage stehen tausende unterschiedlicher<br />

Bachelorstudiengänge zur Auswahl. <strong>Eine</strong> weitere Schwierigkeit ist der riesige Markt an<br />

Hochschulen, die um die Absolventen/-innen werben – staatliche Universitäten, Fachhochschulen<br />

und Akademien, darunter zahlreiche private Anbieter; zurzeit sind es insgesamt<br />

619 Hochschulen. 2) Darüber hinaus gibt es knapp 330 duale Ausbildungsgänge.<br />

2) Die einschneidenden Veränderungen<br />

durch die 1999 gestartete Umstellung<br />

des Studiums auf Bachelor- und Masterabschlüsse<br />

sind auch für Lehrkräfte und<br />

Eltern mitunter noch immer Neuland.<br />

Neben dem vielfältigen Angebot an<br />

Studien- und Ausbildungsoptionen kam<br />

2010 in Hamburg eine weitere schulische<br />

Herausforderung hinzu: die Einführung<br />

des achtjährigen Gymnasiums (G8).<br />

Durch die verkürzte Oberstufenzeit wurden<br />

die zeitlichen Möglichkeiten für die<br />

Durchführung von Berufs- und Studienorientierung<br />

an Gymnasien in der Sekundarstufe<br />

II erschwert. Das Kultusministerium<br />

in Niedersachsen reagierte auf<br />

die Verdichtung der Schulinhalte bereits<br />

Mit dem achtjährigen<br />

Gymnasium ist ein verstärkter<br />

Oberstufendruck<br />

entstanden. Dabei verlieren<br />

die jungen Menschen<br />

leicht ihre Studien- und<br />

Berufsorientierung aus<br />

dem Blick.<br />

im Sommer 2015 und führte G9 wieder als Standard ein: Umfangreiche Angebote<br />

zur Berufs- und Studienorientierung sind seither fester Bestandteil des Curriculums.<br />

Bayern wird 2018/19 ebenfalls G9 wieder einführen. Mit dem achtjährigen Gymnasium<br />

ist ein verstärkter Oberstufendruck entstanden – sowohl für Schüler/-innen als auch<br />

für Lehrkräfte. Angesichts der schulischen Herausforderungen verlieren die jungen<br />

17


Menschen dabei leicht ihre Studien- und Berufsorientierung aus dem Blick und neigen<br />

dazu, das Thema auf die Zeit nach dem Abitur zu verschieben – selbst wenn sie in<br />

der Oberstufe entsprechende Veranstaltungen besucht haben.<br />

Aktuelle Angebote für Oberstufenschüler/-innen und Lehrkräfte<br />

In den letzten Jahren wurde die Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe<br />

intensiv auf der Bundes- wie auf der Landesebene diskutiert: Alle Welt spricht, so der<br />

Eindruck, jetzt von ihrer Notwendigkeit.<br />

Der Umfang der bestehenden schulischen Angebote zur Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe an Hamburger Schulen beruhte bis Mitte 2017 vor allem auf<br />

dem Engagement einzelner Schulen und hier insbesondere der Leitungen sowie der<br />

Lehrkräfte, die für Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe zuständig sind.<br />

Mit begrenzten zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten und großem Engagement<br />

Einzelner wurde hier viel geleistet. Für die Umsetzung von Angeboten für Oberstufenschüler/-innen<br />

stehen ihnen hierbei u. a. folgende Angebote zur Verfügung: Seit 2014<br />

können Hamburger Schulen unter bestimmten Voraussetzungen für eine ausge wählte<br />

Zielgruppe an jungen Menschen in der Oberstufe sogenannte vertiefte Angebote zur<br />

Berufs- und Studienorientierung buchen. Die kostenpflichtigen Veranstaltungsformate<br />

werden von der „Servicestelle BOSO: Berufs- und Studienorientierung für Hamburg“<br />

des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung (HiBB) angeboten und koordiniert.<br />

Nach einer Anmeldefrist werden die von den Schulen nachgefragten Formate ausgeschrieben.<br />

Im nächsten Schritt können sich interessierte Bildungs träger hierauf mit<br />

einem Konzept bewerben. <strong>Eine</strong> Verstetigung oder gar Implementierung der Inhalte an<br />

den Schulen ist nicht vorgesehen. Die Umsetzung erfordert für Schulen wie auch für<br />

Bildungs träger einen hohen bürokratischen Aufwand und bietet keine mittelfristigen<br />

Planungsmöglichkeiten. Des Weiteren bestehen für ausgewählte einzelne Oberstufenschüler/-innen<br />

Angebote von außerschulischen Anbietern, etwa die von „Arbeiterkind“<br />

und „Studienkompass“: Zielgruppe beider Initiativen sind angehende Abiturienten/<br />

-innen, die als Erste in ihrer Familie studieren wollen.<br />

18


Für viele Lehrkräfte ist<br />

die professionelle und<br />

systematische Unterstützung<br />

von Oberstufenschülern/-innen<br />

bei ihrer<br />

Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe<br />

eine Herausforderung.<br />

Um den Übergang von Oberstufenschülern/-innen<br />

in eine passende Ausbildung<br />

oder ein entsprechendes Studium zu verbessern,<br />

veröffentlichte die Hamburger<br />

Schul behörde im Frühjahr 2017 das „Rahmenkonzept<br />

zur Berufs- und Studien -<br />

orientierung in der Oberstufe“. Hiermit<br />

wurde ein wichtiger Anstoß gegeben.<br />

Das Konzept beinhaltet konkrete Vorgaben<br />

bzgl. der Inhalte und Durchführung<br />

von Angeboten. Im Schuljahr 2017/18<br />

soll dieses probeweise und im darauffolgenden<br />

Schuljahr verbindlich eingeführt werden. Für die Umsetzung sind umfangreiche<br />

Qualifizierungen unabdingbar, denn für viele Lehrkräfte ist die professionelle<br />

und systematische Unterstützung von Oberstufenschülern/-innen bei ihrer Berufsund<br />

Studienorientierung in der Oberstufe (noch immer) eine Herausforderung. 3)<br />

Begleitende Fortbildungen sollten deshalb folgende Aspekte beinhalten: Vermittlung<br />

von theoretischem Hintergrundwissen, aktuellem Know-how sowie von erprobten<br />

Instrumenten. Darüber hinaus sollten die Lehrkräfte bei der Weiterentwicklung ihrer<br />

Berufs- und Studienorientierung in der Ober stufe bei Bedarf unterstützt und begleitet<br />

werden. Das gilt insbesondere für Schulen, die die Oberstufe erst seit Kurzem eingerichtet<br />

oder das Thema Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe bis dato<br />

nur partiell umgesetzt haben. Des Weiteren sollten Schulen, die sich ggf. noch nicht<br />

hinreichend dem Thema geöffnet haben, für die Notwendigkeit der Unterstützung<br />

von Oberstufenschülern/-innen überzeugt werden.<br />

3) Auch in den Ausbildungen an den<br />

Universitäten ist der Besuch von Lehrveranstaltungen<br />

zum Thema Berufsund<br />

Studienorientierung in der Sekundarstufe<br />

II für zukünftige Lehrkräfte an<br />

allgemeinbildenden Schulen freiwillig<br />

und damit von dem persönlichen Engagement<br />

der Studierenden abhängig.<br />

Trotz der großen Bedeutung sowie der<br />

Komplexität des Themas ist Berufsorientierung<br />

noch immer kein Pflichtfach<br />

(Faulstich-Wieland, Scholand, 2017).<br />

In Hamburg ist seit 2007 mindestens für<br />

Lehramtsstudierende der Sekundar stufe I<br />

Berufsorientierung obligatorischer<br />

Bestandteil der Ausbildung.<br />

Weitere Ausführungen siehe auch<br />

„Weiterentwicklung der Berufs- und<br />

Studienorientierung in der Oberstufe“,<br />

S. 111 ff.<br />

Im Projekt „Zukunft mit Plan: Modulare Angebote zur Studien- und Berufsorientierung<br />

in der Sekundarstufe II“ sowie im Vorgängerprojekt „Zukunftspilot“ wurden<br />

seit 2009 zahlreiche Formate entwickelt und an Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein<br />

erprobt sowie evaluiert. Seit Mitte 2013 werden die Instrumente und<br />

19


Siehe auch Projekthistorie von<br />

„Zukunft mit Plan“ im Anhang, S. 140.<br />

Projekterkenntnisse auch in Form von<br />

Lehrerfortbildungen weitergetragen.<br />

Insgesamt haben bereits mehrere tausend<br />

Oberstufenschüler/-innen an<br />

den Veranstaltungen sowie mehr als<br />

150 Lehrkräfte an den Fortbildungen<br />

teilgenommen.<br />

Jeder Abbruch – der aus<br />

einer nicht ausreichenden<br />

Vorbereitung resultiert –<br />

ist zunächst einmal eine<br />

Negativerfahrung.<br />

Mit der vorliegenden Veröffentlichung möchten die Herausgeber eine systematische<br />

Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe weiter aktiv unterstützen. Mit dem<br />

Ziel, ungünstige Entwicklungswege, unnötige Wartezeiten sowie Ausbildungs- und<br />

Studienabbrüche von jungen Menschen, wenn irgend möglich, zu vermeiden. Denn<br />

jeder Abbruch – der aus einer nicht ausreichenden Vorbereitung resultiert – ist zunächst<br />

einmal eine Negativerfahrung, die auch für Familien eine Herausforderung ist.<br />

Hinzu kommen die Ausbildungsinvestitionen der Unternehmen, Institutionen und<br />

Hochschulen, die durch einen Abbruch umsonst getätigt wurden. Durch den präventiven<br />

Ansatz der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe werden zudem<br />

aufwendige und kostenintensive nachträgliche „Reparaturmaßnahmen“ reduziert.<br />

20


Literatur<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2010):<br />

Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik<br />

Deutschland 2009. 19. Sozialerhebung des Studierendenwerks durchgeführt<br />

durch HIS Hochschul-Informations-System. Bonn, Berlin.<br />

Driesel-Lange, Katja; Kracke, Bärbel; Hany, Ernst; Schindler, Nicola:<br />

Das Thüringer Berufsorientierungsmodell: Charakteristika und Bewährung.<br />

In: Brüggemann, Tim; Rahn, Sylvia (Hrsg.) (2013): Berufsorientierung. Ein Lehrund<br />

Arbeitsbuch. Münster.<br />

Ebert, Julia; Heublein, Ulrich (2017):<br />

Studienabbruch bei Studierenden mit Migrationshintergrund. Hannover.<br />

Online verfügbar unter: www.stiftung-mercator.de/media/downloads/3_<br />

Publikationen/2017/Mai/Ursachen_des_Studienabbruchs_bei_Studierenden_<br />

mit_Migrationshintergrund_Langfassung.pdf (letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Faulstich-Wieland, Hannelore; Scholand, Barbara (2017):<br />

Gendersensible Berufsorientierung – Informationen und Anregungen. <strong>Eine</strong> Handreichung<br />

für Lehrkräfte, Weiterbildner/innen und Berufsberater/innen. Düsseldorf.<br />

Online verfügbar unter: www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_034_2017.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Freie und Hansestadt Hamburg (Hrsg.) (2017):<br />

Hamburger Schulstatistik. Schuljahr 2016/17. Schulen, Klassen, Schülerinnen<br />

und Schüler in Hamburg. Hamburg.<br />

Online verfügbar unter: www.hamburg.de/contentblob/8163796/4855bce<br />

3d63de311190cd782bbc4d84d/data/2016-17-hamburger-schulstatistik.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

21


Hamburger Institut für Berufliche Bildung (Hrsg.) (2017):<br />

Ausbildungsreport Hamburg. Hamburg.<br />

Online verfügbar unter: www.hamburg.de/contentblob/9828296/397652536074e5<br />

ab6fd84634be1a5701/data/ausbildungsreport.pdf (letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Heublein, Ulrich; Ebert, Julia; Hutzsch, Christopher; Isleib, Sören; König,<br />

Richard; Richter, Johanna; Woisch, Andreas (2017):<br />

Zwischen Studien erwartungen und Studienwirklichkeit – Ursachen des Studienabbruchs,<br />

beruflicher Verbleib der Studienabbrecherinnen und Studienabbrecher<br />

und Entwicklung der Studienabbruchquote an deutschen Hochschulen. Hannover.<br />

Online verfügbar unter: www.dzhw.eu/pdf/pub_fh/fh-201701.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

22


Die <strong>Berufswahl</strong> von<br />

Schülern/-innen aus<br />

wissenschaftlicher Perspektive


Die <strong>Berufswahl</strong> als<br />

Entwicklungsaufgabe<br />

Prof. Dr. Bärbel Kracke<br />

Seit 2012 ist sie Lehrstuhlinhaberin<br />

für „Pädagogische Psychologie“ an<br />

der Friedrich-Schiller-Universität Jena.<br />

Ihre Arbeitsschwerpunkte sind<br />

Berufs orientierung im Jugendalter,<br />

Gelingens bedingungen des gemeinsamen<br />

Unterrichts von Schülern/-innen<br />

mit und ohne sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf sowie die Professionalisierung<br />

im Lehramtsstudium.<br />

Dieser Text ist eine Überarbeitung des<br />

Beitrags „Der Berufs orientierungsprozess<br />

aus entwicklungspsychologischer Sicht“.<br />

In: Berufsbildung in Wissenschaft und<br />

Praxis BWP 1/2014. S. 16–19.<br />

Die berufsbezogene Entwicklung ist ein höchst individueller, lebenslanger und dynamischer<br />

Prozess. In der Auseinandersetzung mit der sozialen und gesellschaftlichen<br />

Umwelt entstehen schon bei Kindern Vorstellungen über die Arbeitswelt sowie über<br />

ihre Berufswünsche, die sich im Laufe der Zeit immer wieder ändern können. Für<br />

Jugendliche, deren Schulabschluss naht, stehen erste berufsbezogene Entscheidungen<br />

an.<br />

Der nachfolgende Beitrag stellt entwicklungspsychologische Theorien und Perspektiven<br />

dieses Prozesses dar, berichtet über empirische Befunde und benennt<br />

Konsequenzen für die Unterstützung von jungen Menschen bei ihrer beruflichen<br />

Orientierung.<br />

Die berufsbezogene Entwicklung ist individuell und lebenslang<br />

Kindergartenkinder imitieren die Erwachsenenwelt in ihren Rollenspielen und verarbeiten<br />

dabei auch, was sie an beruflichen Tätigkeiten in ihrer unmittelbaren Umgebung<br />

kennengelernt haben. Schulkinder beobachten ihre Welt schon systematischer<br />

und stellen sich selbst vor, wie sie sich einmal in der Welt der Erwachsenen bewegen<br />

und wie sie ihr Leben organisieren wollen – mit Familie, Beruf und materiellen Wünschen.<br />

Jugendliche probieren aus und denken darüber nach, was sie in der Gesellschaft<br />

beobachten. Sie kommen zu eigenen Bewertungen der Welt, in der sie leben.<br />

Sie machen selbstständig Erfahrungen in der Schule, der Freizeit, in ihren Familien<br />

und in der Gesellschaft allgemein. Diese Bewertungen und Erfahrungen verarbeiten<br />

sie in berufswahlbezogenen Überlegungen und ggf. in konkreten Berufsplänen.<br />

Mit der Entscheidung für oder gegen eine Ausbildung oder ein Studium ist die<br />

berufsbezogene Entwicklung jedoch noch nicht abgeschlossen. In jeder Phase der<br />

Berufs biografie werden Erfahrungen verarbeitet und wiederholt Entscheidungen<br />

24


getroffen. Dabei spielen Ereignisse und<br />

Lebensumstände wie etwa Partnerschaft,<br />

Familiengründung oder auch<br />

Betriebsschließungen eine zentrale<br />

Rolle. Daher wird in der Entwicklungspsychologie<br />

nicht von einem <strong>Berufswahl</strong>prozess<br />

im engeren Sinne gesprochen,<br />

der die Entscheidung für einen<br />

Beruf als einmaliges Ereignis nahelegen<br />

würde, sondern von einem „berufsbezogenen<br />

Entwicklungsprozess“ („career<br />

development“ (Skorikov und Patton,<br />

2007) oder „vocational development“<br />

(Vondracek, Ferreira und Santos, 2010).<br />

Die Entwicklung eines<br />

Menschen hängt auch in<br />

hohem Maße von den persönlichen<br />

Eigenschaften<br />

ab. Von der Fähigkeit,<br />

Informationen für das<br />

eigene Handeln zu nutzen,<br />

sowie von der Art, wie auf<br />

die Welt zugegangen wird.<br />

In diesem ist die berufliche Sphäre ein Lebensbereich von vielen individuell bedeutsamen,<br />

über den man früh in der eigenen Familie lernt, zunehmend eigene Erfahrungen<br />

macht und Gestalter der eigenen Berufsbiografie wird.<br />

Menschen entwickeln sich lebenslang. Ihre Entwicklung wird permanent durch Möglichkeiten,<br />

die sich aus ihrem sozialen und kulturellen Umfeld ergeben, beeinflusst,<br />

aber auch in hohem Maße von ihren persönlichen Eigenschaften: Ihrer Fähigkeit zu<br />

denken, also Informationen aufzunehmen und für ihr Handeln zu nutzen, und ihrem<br />

Temperament bzw. ihrer Emotionalität, also ihrer Tendenz, auf die Welt offen, furchtlos<br />

und Kontakt zu anderen suchend oder eher zögernd, skeptisch und lieber allein<br />

zuzugehen. Diese Aspekte sind sehr bedeutsam für die Wege, die Kinder und Jugendliche<br />

gehen. In diesem Entwicklungsprozess, der als ständige Auseinandersetzung der<br />

individuellen Voraussetzungen mit den Anforderungen und Angeboten des sozialen<br />

und gesellschaftlichen Umfelds gesehen werden muss, bilden sich Wissen, Fähigkeiten,<br />

Interessen, Werte und Zukunftsvorstellungen heraus, die bei der Sicht auf die<br />

Berufswelt oder bei der Entscheidung für eine Berufsausbildung oder für ein Studium<br />

eine Rolle spielen.<br />

25


Da die Kombination aus kognitiven, emotionalen und sozialen Voraussetzungen unendlich<br />

vielfältig ist, liegt es auf der Hand, dass auch der Prozess der berufsbezogenen<br />

Entwicklung zwischen Kindern und Jugendlichen stark variiert. Manche Kinder haben<br />

schon sehr früh konkrete Vorstellungen über die Berufswelt, weil sie z. B. in einem elterlichen<br />

Betrieb aufwachsen. Andere Kinder haben kaum oder gar keine Vorstellungen<br />

von Berufstätigkeit, weil ihre Eltern vielleicht keiner nachgehen, das Thema Arbeit<br />

zu Hause gar nicht angesprochen wird oder die Berufe der Eltern sehr abstrakt sind.<br />

Einige Jugendliche gehen die Entscheidung für eine Berufsausbildung oder ein Studium<br />

zielgerichtet an, indem sie Informationen im Internet oder durch Gespräche einholen,<br />

Praktika systematisch auswählen und freiwillig in den Schulferien in Berufsfelder<br />

reinschnuppern. Andere interessieren sich vor allem für Freunde, Musik, Mode und<br />

sehen die Frage der <strong>Berufswahl</strong> als weniger zentral für ihr aktuelles Leben an. Wieder<br />

andere stehen der Arbeitswelt sehr skeptisch<br />

gegenüber, weil sie in ihren Familien<br />

erfahren haben, dass Berufstätigkeit<br />

psychisch und körperlich belastend ist<br />

oder dass selbst durch Arbeitstätigkeit<br />

grundlegende materielle Bedürfnisse<br />

nicht befriedigt werden können.<br />

Zu den individuellen Gegebenheiten<br />

kommt eine große Bandbreite an Wahlmöglichkeiten<br />

hinzu: Der Prozess, sich für<br />

eine Berufsausbildung oder ein Studium<br />

Manche Kinder stehen<br />

der Arbeitswelt sehr<br />

skeptisch gegenüber, weil<br />

sie in ihren Familien erfahren<br />

haben, dass Berufs ­<br />

tätigkeit psychisch und<br />

körperlich belastend ist.<br />

zu entscheiden, wird umso schwieriger, je mehr Optionen es gibt: In Deutschland gibt<br />

es neben 327 Ausbildungsberufen (BIBB-Datenreport, 2016) ca. 18.500 Studiengänge<br />

(Statista, 2017). Jeder dieser Ausbildungsgänge hat Zugangs voraussetzungen, die<br />

im Prozess der Berufsorientierung exploriert und mit den eigenen Voraussetzungen<br />

abgeglichen werden müssen. Dass Jugendliche dabei Unterstützung benötigen, liegt<br />

auf der Hand.<br />

26


Entwicklungspsychologische <strong>Berufswahl</strong>theorien<br />

Der komplexe Prozess, in dem die individuellen Voraussetzungen der Kinder und<br />

Jugendlichen sowie die gesellschaftlichen und sozialen Umstände, die ihre berufsbezogene<br />

Entwicklung beeinflussen, berücksichtigt werden, wird in verschiedenen <strong>Berufswahl</strong>theorien<br />

beschrieben. Entwicklungspsychologische <strong>Berufswahl</strong>theorien stützen<br />

sich vor allem auf die Überlegungen, die D. E. Super zwischen den 1950er und 1990er<br />

Jahren systematisch formuliert und ständig weiterentwickelt hat (Super, 1990). Er hat als<br />

erster darauf hingewiesen, dass die berufsbezogene Entwicklung lebenslang ist. Dabei<br />

ist die Herausbildung eines „beruflichen Selbstkonzeptes“ zentral, also das Wissen über<br />

die eigenen Fähigkeiten, Interessen und Werte und die beruflichen Möglichkeiten, die<br />

sich in der jeweiligen Lebenswelt der Individuen in unterschiedlichen Lebensphasen<br />

bieten. Dieses Selbstkonzept entwickelt sich durch Erfahrungen im eigenen Tun und<br />

durch Rückmeldungen von anderen. Dabei spielen die Bereitschaft, sich mit berufsbezogenen<br />

Fragen auseinanderzusetzen, und die systematische sowie zielgerichtete<br />

Planung und Suche nach Informationen eine zentrale Rolle.<br />

<strong>Berufswahl</strong>- und Laufbahntheorien, die in den letzten Jahren formuliert wurden,<br />

betonen vor allem die Individualität der berufsbezogenen Entwicklung. Darüber<br />

hinaus wird herausgestellt, dass angesichts der komplexen und hoch dynamischen<br />

Arbeitswelt berufliche Entwicklung kaum geplant werden kann und dass Zu fälle bei<br />

Entscheidungen für Berufe oder im Verlauf der beruflichen Entwicklung eher die<br />

Regel denn die Ausnahme sind. Zudem<br />

ist die Einschätzung, wann berufsbezogene<br />

Entscheidungen bzw. berufliche<br />

Verläufe als erfolgreich bewertet<br />

werden, höchst subjektiv und von den<br />

Werten und Zielen einer jeden Person<br />

abhängig (Hirschi, 2013). Es wird daher<br />

auch von Karrierekonstruktion („career<br />

construction“) (Savickas, 2005) in dem<br />

Die Einschätzung,<br />

wann berufs bezogene<br />

Ent scheidungen bzw.<br />

berufliche Verläufe als<br />

erfolgreich bewertet werden,<br />

ist höchst subjektiv.<br />

27


Sinne gesprochen, dass Menschen in der heutigen postindustriellen Gesellschaft<br />

ihre Erfahrungen für sich so verarbeiten und anderen gegenüber vertreten müssen,<br />

dass ihr Verhalten im <strong>Berufswahl</strong>prozess und in anderen Phasen ihrer beruflichen Entwicklung<br />

einen Sinn und eine gewisse Zielgerichtetheit erhält. Dabei spielen positive<br />

Emotionen und internale Kontrollüberzeugungen eine wichtige Rolle: Menschen entwickeln<br />

idealerweise eine Haltung, Rückschläge nicht allein in ihrer Verantwortung zu<br />

sehen, und gleichzeitig die Bereitschaft, aktiv und selbstverantwortlich bei der Suche<br />

nach einem geeigneten Beruf für sich selbst weiterzumachen („thriving“) (Vondracek,<br />

Ferreira und Santos, 2010).<br />

Der berufsbezogene Entwicklungsprozess im Spiegel empirischer Forschung<br />

Die entwicklungspsychologische Perspektive auf die berufsbezogene Entwicklung<br />

macht deutlich, dass es sich um einen längerfristigen dynamischen Prozess handelt,<br />

der bereits in der Kindheit beginnt und durch verschiedene Faktoren, die innerhalb<br />

und außerhalb einer Person liegen, beeinflusst wird. Die vielfältige Forschung darüber,<br />

wie sich Vorstellungen über die Arbeitswelt und eigene Berufswünsche entwickeln<br />

(Skorikov und Patton, 2007), zeigt, dass sich Werte, Interessen und Fähigkeiten sowie<br />

das Wissen über die Berufswelt als innere Faktoren der Person durch Beobachtungen,<br />

Vorbilder, Erfahrungen, Rückmeldungen und Erfolgserlebnisse herausbilden. Sie<br />

bieten die Folie, vor der äußere Bedingungen, Anforderungen oder Chancen interpretiert<br />

werden. Wie komplex dabei jeweils die Verarbeitungsprozesse sind, hängt<br />

vom jeweiligen Stand der „Denkentwicklung“ ab: Schon Kinder im späten Kindergarten-<br />

und frühen Grundschulalter haben, je nachdem, wie häufig zu Hause über die<br />

Berufstätigkeit der Eltern oder anderer naher Bezugspersonen gesprochen wird, sehr<br />

realistische Perspek tiven auf die Arbeitswelt. Sie suchen aktiv nach Informationen,<br />

probieren gedanklich für sich Berufe aus und lernen aus Rückmeldungen, die sie auf<br />

ihre Äußerungen erhalten. Für Kinder spielen auch Medien eine bedeutsame Rolle<br />

für das Lernen über Berufe und die Arbeitswelt. Bei der Informationssuche beachten<br />

sie zunächst vor allem Merkmale, die leicht zu erkennen sind, wie Arbeitskleidung,<br />

28


konkrete Tätigkeiten, Arbeitsplatz (etwa Labor, Werkstatt, Kindergarten), explizite<br />

Äußerungen über Berufserfahrungen z. B. der Eltern, ob vor allem Frauen oder Männer<br />

darin arbeiten. Später entwickeln sie spezifische Interessen, sie erkennen ihre eigenen<br />

Fähigkeiten und überlegen, wie diese zu den Berufen, für die sie sich interessieren,<br />

passen. Sie kennen Begriffe wie Berufsausbildung und Studium, ohne genau zu<br />

wissen, welche Anforderungen und Aktivitäten dahinter stehen.<br />

Im Jugendalter wird – durch das nahende Ende der Schulzeit angeregt – die Frage<br />

nach einem späteren Beruf dringlicher. Durch die Entwicklung der Denkfähigkeit und<br />

die kumulierten Erfahrungen wird das Nachdenken über die Arbeitswelt komplexer<br />

und realistischer. Es können mehrere<br />

berufliche Möglichkeiten gedanklich<br />

durchgespielt werden. Informationen<br />

aus Rückmeldungen oder eigenen Erfahrungen,<br />

z. B. im Praktikum oder in der<br />

Frei zeit, können systematischer integriert<br />

und vor dem Hintergrund eigener Werte<br />

Eigeninitiative hat<br />

viel mit der persönlichen<br />

Offenheit und Selbstsicherheit<br />

zu tun.<br />

und Ziele in Hinblick auf Karriereoptionen gewichtet werden. Auch weniger offensichtliche<br />

oder abstraktere Merkmale von Berufstätigkeiten (z. B. Zukunftsfähigkeit<br />

eines Jobs, Vereinbarkeit von Beruf und anderen Lebenszielen) werden erschlossen<br />

(Howard und Walsh, 2011) und bei der Erwägung von beruflichen Möglichkeiten<br />

berücksichtigt.<br />

Neben der Denkfähigkeit spielen auch andere „Persönlichkeitsmerkmale“ eine Rolle<br />

dafür, wie intensiv Informationen aus der Erwachsenenwelt gesucht werden und wie<br />

planvoll dabei vorgegangen wird: Eigeninitiative hat zum Beispiel viel mit der persönlichen<br />

Offenheit und Selbstsicherheit zu tun (Kracke, 2002). Diese Persönlichkeitsmerkmale<br />

hängen eng mit dem Temperament zusammen und sind daher eine gene relle<br />

Tendenz, sich der Welt zu nähern. Wie stark sie aber zur Wirkung kommen, wird durch<br />

29


die erfahrene Sicherheit in sozialen Interaktionen, z. B. im Familien kontext, in der<br />

Schulklasse oder im Praktikums- oder Ausbildungsbetrieb, beeinflusst. Dies weist auf<br />

die gene relle Bedeutung der Qualität der sozialen Beziehungen für die individuelle<br />

Entwicklung hin. Am Kind interes sierte<br />

Eltern, die anregen, ohne zu lenken, Erfahrungsspielräume<br />

eröffnen und bei<br />

Rückschlägen ermutigen, fördern bei<br />

Kindern und Jugendlichen eine offene<br />

Haltung zur Welt allgemein und eine<br />

generelle Zukunftsorientierung (Dietrich<br />

und Kracke, 2009). Auch Lehrer/-innen<br />

und Ausbilder/-innen regen zu Aktivität<br />

ihrer Schüler/-innen bzw. Auszubildenden<br />

an, wenn sie Möglichkeiten zur Mitbestimmung<br />

lassen, Wertschätzung zeigen<br />

und individuelle konstruktive Rückmeldungen<br />

geben (Deci und Ryan, 2002).<br />

Auch Lehrkräfte regen zu<br />

Aktivität im Berufsorientierungsprozess<br />

ihrer<br />

Schüler/-innen an, wenn<br />

sie Möglichkeiten zur<br />

Mitbestimmung lassen,<br />

Wertschätzung zeigen und<br />

individuelle konstruktive<br />

Rückmeldungen geben.<br />

<strong>Berufswahl</strong>kompetenz fördern<br />

Aus der Perspektive von jungen Menschen bedeutet <strong>Berufswahl</strong>kompetenz: die<br />

Frage nach einer beruflichen Tätigkeit ernst zu nehmen, sich aktiv dafür zu engagieren,<br />

so viel wie möglich über die eigenen Interessen und Fähigkeiten zu erfahren und<br />

systema tisch zu schauen, in welchen Berufen die Verwirklichung der eigenen Werte,<br />

Interessen und Fähigkeiten möglich ist und wie sich der Ausbildungsweg zu diesen<br />

Berufen gestaltet.<br />

Dass die berufsbezogene Entwicklung einerseits so früh beginnt und andererseits<br />

ein hochkomplexes interaktives Geschehen zwischen Individuum und Kontext ist,<br />

hat vielfältige Konsequenzen für die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen. Da<br />

schon Kinder die Arbeitswelt interessiert wahrnehmen und auf sich selbst bezogen<br />

30


verarbeiten, muss bereits im Kindergartenalter sehr umsichtig mit dem Thema Arbeitsund<br />

Berufswelt umgegangen werden. Beispielsweise mit Geschlechterstereotypen<br />

in Bezug auf „weibliche“ oder „männliche“ Berufe: Kinder müssen ermutigt werden,<br />

Berufe vor allem danach zu untersuchen, welche Interessen und Fähigkeiten man<br />

dafür braucht, um sie zufriedenstellend ausüben zu können, und weniger danach,<br />

ob in dem Beruf mehr Männer oder Frauen arbeiten. Auch skeptische Einstellungen<br />

gegenüber der Berufswelt aufgrund negativer Berufserfahrungen der Eltern zeigen in<br />

diesem Alter bereits ihre Wirkung. Im Grundschulalter, wenn Kinder angeregt durch<br />

ihre Lernerfahrungen stärker über ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten nachdenken<br />

(Olyai und Kracke, 2008), gilt es zudem, die Entwicklung von Fähigkeitskonzepten<br />

aufmerksam zu begleiten. Dabei sollten vor allem den Geschlechterstereotypen z. B.<br />

in Bezug auf Mathematik oder Sprachen entgegengewirkt werden. Auch Temperamentsunterschiede,<br />

die die Bereitschaft, Dinge auszuprobieren oder andere zu befragen,<br />

maßgeblich beeinflussen, müssen von Anfang an bei der pädagogischen Arbeit<br />

berücksichtigt werden: Schüchterne Kinder benötigen einfach mehr Ermutigung und<br />

Unterstützung, um etwas Neues auszuprobieren.<br />

Im Jugendalter haben sich Einstellungen zu fachlichen Inhalten oder Überzeugungen<br />

in Bezug auf die eigenen Interessen und Fähigkeiten im Selbstkonzept bereits relativ<br />

verfestigt. Gerade hinsichtlich der Orientierung auf Handwerk, Naturwissenschaft und<br />

Technik im Gegensatz zum sozialen oder wirtschaftlichen Bereich. Daher ist es wichtig,<br />

immer wieder Gelegenheiten zu bieten, neue Dinge auszuprobieren, für Erfahrungen<br />

in Gebieten, für die sich Jugendliche zunächst vielleicht nicht geeignet fühlen<br />

(Kracke und Driesel-Lange, 2015). Hinzu kommt die Bedeutsamkeit anderer Themen<br />

wie Freundschaften und romantische Beziehungen sowie die erhöhte Selbstaufmerksamkeit,<br />

die zum Teil Tendenzen, sich geschlechtskonform zu verhalten, unterstützt<br />

(Kessels und Hannover, 2008). Jugendliche sind vor allem zu Beginn der Jugendphase<br />

mit ihrem Körper und ihrer Wirkung auf andere Menschen beschäftigt. Danach werden<br />

romantische Beziehungen und generell die Jugend kultur wichtiger. Gesellschaft wird<br />

vor dem Hintergrund der Familienbiografie bewertet. Die Frage nach der Zukunft<br />

31


können sie zwar verstehen, sie ist aber nicht zentral für ihr Handeln. Daher wundert es<br />

nicht, wenn nur wenige Jugendliche durch die allgemeine Forderung „Denk mal an<br />

Deine Zukunft“ im Rahmen von schulischen Maßnahmen zur Berufsorientierung aktiviert<br />

werden, sich Informationen über<br />

Ausbildungsmöglichkeiten zu beschaffen<br />

oder nach sinnvollen Praktikumsplätzen<br />

Ausschau zu halten. Ihnen muss vielmehr<br />

deutlich werden, welchen Vorteil<br />

es für sie persönlich hat, sich mit berufsbezogenen<br />

Fragen zu beschäftigen.<br />

Ihnen muss nachvollziehbar gemacht<br />

werden, warum das, was sie in der Schule<br />

gerade tun, in der Berufswelt nützlich<br />

Schülern/-innen muss<br />

deutlich werden, welchen<br />

Vorteil es für sie<br />

persönlich hat, sich mit<br />

berufsbezogenen Fragen<br />

zu beschäftigen.<br />

ist, egal was sie selbst einmal konkret beruflich machen werden. Und dass es daher<br />

sinnvoll ist, eine Werkstatt, ein Labor oder ein Unternehmen zu besuchen oder Berufstätige<br />

zu befragen, wie sie ihre unterschiedlichen Lebensziele vereinbaren können.<br />

Es ist nicht zu erwarten, dass Jugendliche schon früh klare Vorstellungen von dem<br />

haben, was sie beruflich machen wollen. Vielmehr ist es im Sinne von Persönlichkeitsförderung<br />

zu erwarten, dass sie sich zielgerichtet informieren, wenn sie wissen, wozu<br />

es nützlich ist und wie sie sich in den Situationen verhalten können.<br />

Was kann Schule tun, um die <strong>Berufswahl</strong>kompetenz zu fördern?<br />

Berufsorientierungsmaßnahmen sind wie viele andere schulischen Themen ein<br />

typisches Beispiel für eine fremdgesetzte Lernaufgabe bzw. für eine von außen angestoßene<br />

Entwicklungsaufgabe. Da Menschen ein großes Bedürfnis nach Selbstbestimmung<br />

haben, sich kompetent und zugehörig fühlen möchten (vgl. Selbstbestimmungstheorie)<br />

(Deci und Ryan, 1985), werden sie vor allem in solchen Situa tionen<br />

aktiv, in denen sie das Gefühl haben, etwas für sich selbst Bedeutungsvolles zu tun.<br />

Da für jeden andere Dinge bedeutungsvoll sind, müssen Wahlmöglichkeiten bestehen.<br />

Die Lernsituationen müssen zudem weder über- noch unterfordernd und durch<br />

32


Wertschätzung geprägt sein. Um allerdings so individuell vorgehen zu können, müssen<br />

die Voraussetzungen der Jugendlichen wie Werte, Interessen und Fähigkeiten<br />

sowie ihre Informiertheit, aber auch ihr persönliches Vermögen, sich auf neue Situationen<br />

einzulassen, erfasst und jeweils darauf abgestimmte Unterstützung angeboten<br />

werden (Lipowski, Kaak und Kracke, 2016). Das erfordert von jenen, die Jugendliche<br />

dabei begleiten (z. B. Lehrer/-innen, Eltern, Ausbilder/-innen), eine große Bereitschaft<br />

und Kompetenz zur Gestaltung individueller Lehr- und Lern situa tionen. Neben der<br />

Individualisierung der Lernangebote – wie Besuch des Berufsinformationszentrums,<br />

Hochschulinformationstag, Potenzialanalyse, Berufsfelderprobung, Berufsmesse,<br />

Betriebspraktikum – müssen die Angebote so vor- und nachbereitet werden, dass den<br />

Jugendlichen deutlich wird, welchen Gewinn sie potenziell aus dem Angebot für sich<br />

persönlich ziehen können, wie sie sich am besten in der Situation verhalten, um zu<br />

profitieren, was ihnen am Ende die Teilnahme gebracht hat und welchen Schritt sie als<br />

nächstes gehen (Lipowski, Kaak, Kracke und Holstein 2015). Hierfür müssen Lehr kräfte<br />

Da Menschen ein großes<br />

Bedürfnis nach Selbstbestimmung<br />

haben, werden<br />

sie vor allem in Situationen<br />

aktiv, in denen sie<br />

das Gefühl haben, etwas<br />

für sich selbst Bedeutungsvolles<br />

zu tun.<br />

so aus- und fortgebildet werden, dass sie<br />

den beruflichen Orientierungsprozess<br />

der Jugendlichen begleiten können. Sie<br />

müssen in der Lage sein festzustellen,<br />

wo Jugendliche gerade stehen, wie viel<br />

sie schon über ihre Interessen und Fähigkeiten<br />

sowie über die Ausbildungswelt<br />

wissen und durch welche Angebote sie<br />

in ihrem Entwicklungsprozess weiterkommen<br />

können: Sie müssen bei den<br />

Jugendlichen Reflexions- und Planungsprozesse<br />

anstoßen können. Außerdem<br />

sollten sie mit externen Partnern kooperieren,<br />

die Jugendliche im <strong>Berufswahl</strong>prozess unterstützen (Dreer und Kracke, 2013).<br />

Hierfür ist es wichtig, dass sie ihre Arbeit nicht nur bis zum Schulabschluss „denken“,<br />

sondern im Sinne einer Anschlussorientierung den jungen Menschen helfen, darüber<br />

33


hinaus berufliche Perspektiven zu entwickeln. Hierfür sollten ausgewählte Lehrkräfte<br />

– Beauftragte für die Berufs- und Studienorientierung – umfangreich qualifiziert werden.<br />

Alle anderen Kollegen/-innen sollten ebenfalls für das Thema Berufsorientierung<br />

sensibilisiert sein und es in Bezug auf ihr Fach konkretisieren können. Die Forschung<br />

zeigt, dass sich Schüler/-innen deutlich aktiver mit der Frage beschäftigen, was sie<br />

beruflich machen wollen, wenn Lehrkräfte sich für die beruflichen Perspektiven der<br />

jungen Menschen interessieren (Metheney und McWhirter, 2008).<br />

Abschließend noch ein Blick auf die Besonderheiten und Herausforderungen in der<br />

Oberstufe: Häufig ist einziges Ziel der Oberstufe, Schüler/-innen konzentriert und<br />

zielgerichtet auf das Abitur vorzubereiten. Für die Frage der Studienwahl im Sinne<br />

von Möglichkeiten zur Informationssuche und zum Ausprobieren bleibt vielfach<br />

keine Zeit. Schulische Angebote wie z. B. das Verfassen von Seminarfacharbeiten,<br />

die studen tisches Lernen simulieren sollen, werden häufig als Pflichtaufgabe ab -<br />

gearbeitet. Hinzu kommt, dass sich viele Schüler/-innen gar nicht erst die Frage nach<br />

ihren Studienwünschen stellen, weil sie unsicher sind, welchen Abiturdurchschnitt sie<br />

erreichen werden. Angesichts dieses rein auf den Schulabschluss bezogenen Lernverhaltens<br />

wundert es nicht, dass nach dem Abitur viele Jugendliche noch nicht wissen,<br />

was sie machen wollen und können. Auch wenn sie sich in der Mehrzahl für ein<br />

Studium entscheiden, ist es nicht selten so, dass sie sich im Vorfeld zu wenig über die<br />

Anforderungen der Studiengänge informiert haben. Die hohe Zahl von Studienabbrüchen<br />

wird u. a. dieser Uninformiertheit zugeschrieben. Daher ist zu fordern, dass<br />

es auch in der Oberstufe Zeit und Gelegenheit für eine berufsbezogene Informationssuche<br />

und Reflexion geben muss.<br />

34


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Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2016. Informationen und Analysen zur<br />

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(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

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Hirschi, Andreas:<br />

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35


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In: Journal of Career Development (2011), Jg. 38, Heft 3. S. 256–271.<br />

Kessels, Ursula; Hannover, Bettina:<br />

When being a girl matters less: Accessibility of gender-related self-knowledge in singlesex<br />

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Kracke, Bärbel:<br />

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In: Journal of Adolescence (2002), Jg. 25, Heft 1. S. 19–30.<br />

Kracke, Bärbel; Driesel-Lange, Katja:<br />

Gendersensibilität in der Berufsorientierung durch Individualisierung.<br />

In: Faulstich-Wieland, Hannelore (Hrsg.) (2016): Berufsorientierung und Geschlecht.<br />

Weinheim. S. 164–185.<br />

Lipowski, Katrin; Kaak, Silvio; Kracke, Bärbel:<br />

Individualisierung von schulischen Berufsorientierungsmaßnahmen – ein praxisorien<br />

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In: Faulstich-Wieland, Hannelore; Rahn, Sylvia; Scholand, Barbara (Hrsg.) (2016):<br />

bwp@ Spezial 12. Berufsorientierung im Lebenslauf – theoretische Standortbestimmung<br />

und empirische Analysen.<br />

Online verfügbar unter: www.bwpat.de/spezial12/lipowski_etal_bwpat_spezial12.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Lipowski, Katrin; Kaak, Silvio; Kracke, Bärbel; Holstein, Jana (2015):<br />

Handbuch Schulische Berufsorientierung. Praxisorientierte Unterstützung für den<br />

Übergang Schule – Beruf. Bad Berka.<br />

36


Online verfügbar unter: www.schulportal-thueringen.de/get-data/64eaf00a-415b-<br />

41de-95fd-9c63260c6956/Materialien_189_Heft.pdf (letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Metheny, Jennifer; McWhirter, Ellen Hawley; O’Neil, Maya Elin:<br />

Measuring perceived teacher support and its influence on adolescent career<br />

development. In: Journal of Career Assessment (2008), Jg. 16, Heft 2. S. 218–237.<br />

Olyai, Nadja; Kracke, Bärbel:<br />

Berufskonzepte im Grundschulalter: Welche Aspekte von Berufen kennen Kinder,<br />

und ist dieses Wissen erweiterbar? <strong>Eine</strong> explorative Studie. In: Diskurs Kindheits- und<br />

Jugendforschung 3 (2008). S. 141–148.<br />

Online verfügbar unter: www.ssoar.info/ssoar/handle/document/26934<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Savickas, Mark L.:<br />

The theory and practice of career construction. In: Lent, Robert W.; Brown, Steven D.<br />

(2005): Career development and counseling: Putting theory and research into work.<br />

Hoboken, N. J. S. 42–79.<br />

Skorikov, Vladimir B.; Patton, Wendy (Hrsg.) (2007):<br />

Career development in childhood and adolescence. Rotterdam.<br />

Statista GmbH (Hrsg.) (2017):<br />

Anzahl der Bachelor- und Masterstudiengänge und aller übrigen Studiengänge in<br />

Deutschland im Wintersemester 2017/2018 nach Bundesländern.<br />

Online verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2854/umfrage/bachelor<br />

--und-masterstudiengaenge-in-den-einzelnen-bundeslaendern (letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Super, Donald E.:<br />

A life-span, life-space approach to career development. In: Brown, Duane; Brooks,<br />

Linda (1990): Career choice and development. San Francisco, CA. S. 197–262.<br />

37


Erwartungen Jugendlicher<br />

an das Berufsleben<br />

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann<br />

Seit 2009 ist er als Senior Professor<br />

of Public Health and Education<br />

an der Hertie School of Governance<br />

in Berlin tätig. Er lehrt in den<br />

Bereichen Gesundheits- und Bildungspolitik<br />

und ist seit 2002 maßgeblich<br />

an der Umsetzung der bislang<br />

insge samt vier Shell Jugendstudien<br />

beteiligt.<br />

Wie können Schulen sie<br />

bei ihrer <strong>Berufswahl</strong> unterstützen?<br />

Die Sozialisationsforschung beschreibt die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen<br />

als intensive Wechselwirkung zwischen den persönlichen Ressourcen und den<br />

sozialen sowie ökologischen Umweltbedingungen (Hurrelmann und Bauer, 2015).<br />

Diese ständige produktive Verarbeitung der inneren und der äußeren Realität, also<br />

der körper lichen und psychischen Dispositionen auf der einen und der sozialen und<br />

ökolo gischen Lebensbedingungen auf der anderen Seite, hat ihren Kulminationspunkt<br />

im Jugendalter. In dieser Lebensphase entsteht die Fähigkeit, über das eigene<br />

Leben sensibel, teilweise hypersensibel nachzudenken (Hurrelmann und Quenzel,<br />

2013). Und noch mehr: Was junge Menschen in dieser Phase erleben – historische<br />

Ereignisse, politische, wirtschaftliche, kulturelle und technische Gegebenheiten –,<br />

prägt mehrere aufeinanderfolgende Alterskohorten und schreibt charakteristische<br />

Muster in ihrer Persönlichkeit fest. Es entsteht eine „Generationslagerung“, die jeweils<br />

bestimmte „Generationsgestalten“ hervorbringt (Hurrelmann und Albrecht, 2014).<br />

In diesem Beitrag wird zunächst gezeigt, wie sich solche Generationsgestalten herausbilden<br />

und welche Besonderheiten die jüngsten Generationen, die oft als Generation<br />

Y und als Generation Z bezeichnet werden, aufweisen. Anschließend wird erörtert,<br />

welche Konsequenzen sich hieraus für die Erwartungen an das Berufsleben ergeben<br />

und vor welchen Herausforderungen vor allem die Schulen stehen.<br />

Die Prägung von Generationsgestalten<br />

Karl Mannheim hat in den 1920er Jahren das Konzept der „Generationslagerung“<br />

entwickelt. Er beschreibt damit die tiefe Prägung von aufeinanderfolgenden Alterskohorten,<br />

die durch epochale Veränderungen bestimmt wird (Mannheim, 1964).<br />

38


In der Nachkriegszeit hat Helmut Schelsky dieses Konzept neu belebt, indem er<br />

die Generation der 1925 bis 1940 Geborenen analysierte. Diese fand ein politisch<br />

demoralisiertes und wirtschaftlich zerstörtes Land vor. Die katastrophal schlechten<br />

Verhältnisse schweißte sie zu einer pragmatischen und zu packenden Handlungsgemeinschaft<br />

zusammen. Schelsky nannte sie die „skeptische Generation“:<br />

Alterskohorten, die auf das schiere Überleben<br />

ausgerichtet waren, nach vorne<br />

sahen und mit der nötigen Nüchternheit<br />

und Skepsis alles das taten, was unbedingt<br />

notwendig und tatsächlich möglich<br />

war (Schelsky, 1963).<br />

Angeregt durch diese Studie hat sich in<br />

der Sozialisationsforschung eine Definition<br />

von Generationen durchgesetzt, die<br />

In der Sozialisationsforschung<br />

werden Gene ­<br />

ra tionen durch Alters ­<br />

ko hor ten von fünfzehn<br />

aufeinanderfolgenden<br />

Jahren definiert.<br />

jeweils Alterskohorten von fünfzehn aufeinanderfolgenden Jahren zusammenfasst.<br />

In einem solchen Zeitraum ändern sich die technischen, wirtschaftlichen, kulturellen<br />

und politischen Bedingungen derartig stark, dass jeweils eine neue „Generationslagerung“<br />

entsteht, die eine neue „Generationsgestalt“ hervorbringt. In der Zeit nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg lassen sich folgende Generationen identifizieren:<br />

……<br />

Die 1968er-Generation (geboren etwa zwischen 1940 bis 1955) konnte sich nach<br />

den Aufbauerfolgen der skeptischen Generation in einer bereits wieder entspannten<br />

wirtschaftlichen Lage und einer funktionierenden Demokratie an die fällige<br />

Auseinandersetzung mit dem Jahrgang ihrer Eltern machen. Viele waren in den<br />

Nationalsozialismus verwickelt und verkörperten mit ihrer autoritären Haltung<br />

und obrigkeitsstaatlichen Orientierung die für sie Ewiggestrigen. Diese Konfrontation<br />

fiel sehr heftig aus und war von Aggression und Gewalt geprägt; sie<br />

symbolisiert bis heute eine „politische Revolution“, die von der nachwachsenden<br />

Generation ausgeht.<br />

39


……<br />

Die wirtschaftliche Ausgangslage verbesserte sich für die Generation der Babyboomer<br />

(1955 bis 1970 geboren) weiter. Sie stellen die bisher zahlenmäßig stärksten<br />

Jahrgänge in Deutschland überhaupt und sie sind die Kinder optimistischer<br />

Eltern. Sie konnten und können sich „postmaterialistische“ Wertorientierungen<br />

leisten und politisch für eine gute Lebensqualität und eine saubere Umwelt<br />

einsetzen, und sie taten und tun das auch. Sie sind die heute in Gesellschaft,<br />

Wirtschaft und Politik dominierende Generation, die alle wesentlichen Entscheidungen<br />

vorbereitet und umgesetzt hat, die das Land prägen.<br />

……<br />

Die Generation X (1970 bis 1985) konnte ebenfalls in Sicherheit groß werden,<br />

obwohl sich erhebliche Krisenwolken am wirtschaftlichen Horizont zusammenzogen.<br />

Florian Illies hat diese Generation für Deutschland in seinem launigen<br />

Buch auch „Generation Golf“ (Illies, 2001) genannt und beschreibt sie als junge<br />

Leute, die vor lauter Saturiertheit<br />

und Sattheit nicht mehr wissen, was Angehörige der Generation<br />

Y haben politische<br />

sie vom Leben wollen. Sie reagieren<br />

auf die Wohlstandsgesellschaft mit<br />

„null Bock“ und hedonistischen Orientierungen,<br />

behalten allerdings das<br />

Spannungen, Terroranschläge<br />

und globale<br />

Engagement für Lebensqualität und<br />

Umwelt bei.<br />

Kriege miterlebt und<br />

wissen intuitiv, wie<br />

……<br />

Die Generation Y wird durch die<br />

heute zwischen 15 und 30 Jahre unsicher das öffentliche<br />

alten Menschen gebildet, die etwa<br />

Leben geworden ist.<br />

zwischen 1985 und 2000 geboren<br />

wurden. Die Jüngeren sind noch in Schule und Ausbildung, die Älteren stehen<br />

an der Schwelle zur Berufsausbildung oder zum Berufseintritt, einige mitunter<br />

schon vor einem ersten Berufswechsel. Sie alle sind in ihrer formativen<br />

40


Jugendzeit zwischen 2000 und 2015 mit den interaktiven digitalen Medien groß<br />

geworden und erschließen sich damit jeden Winkel der Welt. Ein Angehöriger<br />

dieser Generation hat politische Spannungen, Terroranschläge und globale<br />

Kriege miterlebt und weiß intuitiv, wie unsicher das öffentliche Leben geworden<br />

ist. Er hat erfahren, wie ungewiss bis vor wenigen Jahren der Übergang<br />

in den Beruf war: Die Jugendarbeitslosigkeit machte es 20 bis 30 Prozent von<br />

ihnen unmöglich, einen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz zu erhalten. Die<br />

Generationslagerung ist also durch internationale Krisen und Konflikte, durch<br />

unberechenbar gewordene Zukunftsbilder und gleichzeitig dadurch gekennzeichnet,<br />

dass man als „digitaler Eingeborener“ jeden Winkel der Welt und jede<br />

Nische des Alltagslebens durch interaktive Medien erkunden und sich weltweit<br />

verständigen kann.<br />

……<br />

Die nächste Generation, die heute unter 15 Jahre alt ist, lässt sich noch nicht<br />

genau charakterisieren, denn die Mehrheit der jungen Leute hat die formative<br />

Jugendzeit noch vor sich. Sollten sich die wirtschaftlichen Bedingungen<br />

so günstig weiterentwickeln wie heute, kann eine Generationsgestalt erwartet<br />

werden, die sich wiederum deutlich von der Generation Y unterscheidet.<br />

Die World Vision Kinderstudie 2013 und die Shell Jugendstudie 2015 geben<br />

hierzu erste Hinweise: <strong>Eine</strong> selbstbewusste und entscheidungsfreudige junge<br />

Generation wächst heran, die sich auch politisch wieder stärker interessiert<br />

und einmischt. Sie ist nicht mehr unter dem Druck, sich um jeden Preis für den<br />

Arbeitsmarkt zu qualifizieren, weil sehr viele Arbeitsplätze in den nächsten Jahren<br />

neu besetzt werden müssen. Ihre eigentliche Prägung aber erfolgt nach<br />

den Erkenntnissen der Sozialisationsforschung erst, wenn sie die Pubertät hinter<br />

sich lässt und in die Lebensphase Jugend eintritt. Erst dann macht es auch Sinn,<br />

einen angemessenen Namen für diese Generation zu suchen. Sie wird heute<br />

etwas gedankenlos als „Generation Z“ bezeichnet, obwohl der Buchstabe Z<br />

keinerlei metaphorische Bedeutung hat.<br />

41


Die Generationsgestalt der heute 15- bis 30-Jährigen<br />

Im folgenden Absatz wird die Generationsgestalt der 15- bis 30-Jährigen genauer in<br />

den Blick genommen. Über sie als „Ypsiloner“ liegen besonders viele abgesicherte<br />

Studien vor, und danach gehen sie pragmatisch und nüchtern mit ihrer komplexen<br />

Lebenssituation um. Dabei verfolgen sie ihren eigenen, sehr eigenwilligen Weg, um<br />

mit der Ungewissheit und Unsicherheit in ihrer Biografie umzugehen: Sie haben sich<br />

eine offene und suchende Haltung angewöhnt, arrangieren sich unauffällig mit den<br />

Gegebenheiten, die sie vorfinden, manövrieren und taktieren flexibel, um sich Vorteile<br />

zu verschaffen, und gehen an alle<br />

Herausforderungen mit einer Mischung<br />

aus Pragmatismus und Neugier heran.<br />

Sie rollen alles von ihren ureigenen<br />

persönlichen Bedürfnissen her auf, von<br />

ihrem Ego, denn nur auf sich selbst können<br />

sie sich in diesen un<strong>sichere</strong>n Zeiten<br />

fest verlassen (Hurrelmann und Albrecht,<br />

2014; Shell Deutschland, 2015).<br />

Diese Merkmale haben den jungen Leuten<br />

in den USA das Etikett „Generation Y“<br />

eingebracht, womit das Englische „Why“<br />

gemeint ist, die fragende und suchende<br />

Grundhaltung mit der immerwährenden<br />

Die Ypsiloner haben sich<br />

eine offene und suchende<br />

Haltung angewöhnt. Sie<br />

arrangieren sich unauffällig<br />

mit den Gegebenheiten,<br />

die sie vorfinden.<br />

Um sich Vorteile zu verschaffen,<br />

manövrieren<br />

und taktieren sie flexibel.<br />

Frage nach dem „Warum“, nach dem Sinn dessen, was man gerade tut. Charakteristisch<br />

ist der starke Selbstbezug, eine Art „Egotaktik“, eine opportunistische Grundhaltung,<br />

das permanente Abwägen von Alternativen der Lebensführung, der ständige<br />

Entscheidungsaufschub, das Kosten-Nutzen-Denken, das zeitweilige selbstverliebte<br />

Spielen mit den tausend Möglichkeiten, die man hat und von denen man weiß, dass<br />

sie fast alle ins Nichts führen können.<br />

42


Die Beziehung der Ypsiloner zu ihren<br />

Eltern, die mehrheitlich zur Generation<br />

der Babyboomer gehören (also 1955 bis<br />

1970 geboren wurden), ist auffällig konstruktiv,<br />

ja verbindlich. Die Eltern sind<br />

die wichtigsten Verbündeten in der<br />

unsicher gewordenen Welt. Sie haben<br />

einen sozialen Status erreicht, den man<br />

möglicherweise als junger Mensch nicht<br />

mehr wird einholen können. Heute<br />

besteht eine strategische Allianz zwischen<br />

den zwei aufeinanderfolgenden<br />

Ihre vorherrschende<br />

Haltung ist die des subjektiv<br />

sensiblen „Umwelt­<br />

Monitorings“, geschult<br />

darin, komplexe soziale<br />

Systeme zu beobachten<br />

und sich an ihnen zu<br />

orientieren.<br />

Generationen, die für die jungen Leute von großer Bedeutung ist: Sie bietet Sicherheit<br />

und Rückzugsmöglichkeiten, bringt aber auch für die Eltern Vorteile, weil sie<br />

Anschluss an die moderne Welt halten können und den Medienservice im Haus haben.<br />

Es ist unverkennbar, dass die Ypsiloner diese Haltung am liebsten auch auf die Lehrerinnen<br />

und Lehrer und auf die Ausbildungspersonen in der beruflichen und hochschulischen<br />

Welt übertragen möchten. Auch dort sind sie bemüht, strategische<br />

Allian zen zu bilden, die ihnen gute Abschlüsse sichern.<br />

Die heutige junge Generation besteht aus digitalen Eingeborenen. Ihre vorherrschende<br />

Haltung ist die des subjektiv sensiblen „Umwelt-Monitorings“, geschult darin,<br />

komplexe soziale Systeme zu beobachten und sich an ihnen zu orientieren und wenn<br />

nötig, sich auf sie einzustellen. Die heutige junge Generation ist durch ihre Mentalitätslagerung<br />

imstande, systemisch zu denken. Sie kalkuliert Vor- und Nachteile von<br />

bestimmten Optionen und hat eine schnelle Auffassungsgabe. Besonders auffällig<br />

ist dabei die Reaktionsfähigkeit in komplexen Situationen und die Bereitschaft zum<br />

Multitasking, also die Fähigkeit, mehrere Tätigkeiten und Funktionen zur gleichen<br />

Zeit und parallel nebeneinander zu bewältigen. Das pragmatische Nutzen-Denken ist<br />

43


verbunden mit einem Wunsch nach Harmonie, Treue und Sicherheit. Das alles sind die<br />

Spuren der Generationslagerung der heutigen jungen Bevölkerung, die in der pädagogischen<br />

Arbeit in Schule, Berufsausbildung und Hochschule beachtet werden sollten.<br />

Welche Berufsperspektiven finden die Jugendlichen vor?<br />

Folgende Erkenntnisse über die Berufserwartungen und -perspektiven der Generation<br />

Y und ihre Reaktion auf diese Chancen liegen aus den Jugendstudien vor, die sich<br />

in sechs Thesen zuspitzen lassen:<br />

1. Der Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem ist heute<br />

lang gestreckt und schwer kalkulierbar. Beide Systeme sind weit auseinandergedriftet.<br />

Die Jugendlichen reagieren darauf strategisch mit<br />

Optimierungsstrategien.<br />

Die jungen Leute finden eine schwierige Lage vor: Nur wenige tragfähige<br />

Brücken verbinden die beiden Systeme Bildung und Beruf. Wenige Lehrkräfte<br />

wissen, wie es in der Berufswelt aussieht. Wenige Unternehmensvertreter/-innen<br />

kennen die Schule von innen. Nur noch wenige Betriebe, etwa ein Viertel, beteiligen<br />

sich an der klassischen dualen beruflichen Ausbildung, die über Generationen<br />

hinweg in Deutschland den Königsweg für den Übergang darstellte.<br />

Immer größere Anteile der beruflichen Bildung übernehmen inzwischen außerbetriebliche<br />

und sozialpädagogische Institutionen.<br />

44<br />

Die Angehörigen der Generation Y haben bittere Erfahrungen mit ihrer Zukunftsplanung<br />

gemacht. In ihre Jugend fällt die Zeit der „Generation Praktikum“. Über 20 Prozent<br />

der älteren Ypsiloner bekamen keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Dann<br />

folgten in schnellem Wechsel Wirtschaftsboom, der Beinah-Kollaps des Weltfinanzsys<br />

tems, die Eurokrise und wieder kräftiges Wirtschaftswachstum, aber das fast nur<br />

in Deutschland. In allen westlichen, südlichen und östlichen Ländern um Deutschland<br />

herum herrscht der Krisenmodus mit beängstigend hoher Arbeitslosigkeit<br />

weiter vor.


In einer solchen Ausgangslage sind die jungen Leute bemüht, mit allen Mitteln<br />

sicherzustellen, dass sie nicht zu den Bildungs- und Zukunftsverlierern gehören.<br />

Wenn sich alles ändern kann, rüstet nur eine möglichst gute Bildung für den<br />

Ernstfall. Deshalb streben die jungen Leute nach möglichst hohen Schul- und<br />

Wenn sich alles ändern<br />

kann, rüstet nur eine<br />

möglichst gute Bildung<br />

für den Ernstfall.<br />

Hochschulabschlüssen. Sie sehen<br />

hierin die einzige Chance, das Gesetz<br />

des Handelns in der Hand zu behalten,<br />

auch wenn die Chancenstrukturen<br />

noch so unübersichtlich und<br />

unberechenbar sind. Sie achten auf<br />

viel fäl tig verwendbare und verwertbare<br />

Abschlüsse, um sich möglichst viele Wege offenzuhalten. Abitur und Studium<br />

stehen deshalb bei ihnen hoch im Kurs. Das Spiel mit den Optionen ist<br />

gewissermaßen ihre Anleitung zum Glücklichsein in einer Gesellschaft, in der zu<br />

frühes Festlegen auf eine bestimmte Karriere immer mehr zum Risiko wird, später<br />

mit allem oder nichts dazustehen.<br />

Die jungen Leute suchen deshalb, unterstützt durch ihre Eltern, den Weg der<br />

Abschluss-Optimierung. Die Quote der Gymnasiasten/-innen an der gesamten<br />

Schülerschaft wächst kontinuierlich an. Seit 1995, als die Krise am Arbeitsmarkt<br />

begann, stieg der Anteil der Schüler/-innen, die das Fachabitur oder das Abitur<br />

erwerben, jedes Jahr um fast einen ganzen Prozentpunkt an, während der Anteil<br />

des Mittleren und des Hauptschulabschlusses um diesen Wert zurückging. Heute<br />

erwerben schon deutlich über 50 Prozent aller Schulabsolventen/-innen die<br />

Hochschul zugangsberechtigung. Das Abitur ist zum Standard geworden.<br />

Die Generation Y besteht aus jungen Leuten, die sich ständig selbst herausfordern.<br />

Sie nehmen nüchtern zur Kenntnis, dass ihre Chancen in Wirtschaft und Beruf bis<br />

vor Kurzem sehr schlecht waren und auch nach der Entspannung am Arbeitsmarkt<br />

immer noch unsicher sind. Die große Mehrheit reagiert hierauf durch eine<br />

45


ständige Arbeit an sich selbst. Anders als die Generation vor ihr, die als Generation<br />

X nicht viel für den Eintritt in das Berufsleben tun musste, sieht sich die heutige<br />

junge Generation ständig herausgefordert. Da sie aber gelernt hat, geduldig<br />

abwartend zu suchen und zu sondieren, entwickelt sie auf diesem Weg durchaus<br />

einige Raffinesse. Sie rollt alle ihre Lebenspläne von den persönlichen Bedürfnissen<br />

her auf, und diese Strategie überträgt sie auf ihren Weg durch das Bildungssystem.<br />

Mit List und Tücke versucht sie alles, um das eigentliche Ziel zu erreichen,<br />

nämlich gute Abschlusszertifikate zu erwerben. Sie bringt ein hohes Maß von<br />

Selbstmanagement bei der Gestaltung der eigenen Bildungslaufbahn auf.<br />

2. Mangelnder Bildungserfolg wird zum Existenzproblem. Wer heute keinen<br />

Schul- oder Ausbildungsabschluss erwirbt, der hat weitaus schlechtere<br />

Chancen als vor 20 oder 30 Jahren, in den Arbeitsmarkt und in eine einigermaßen<br />

<strong>sichere</strong> Berufsposition hineinzukommen.<br />

Jugendliche aus den niedrigeren sozialen Schichten können eine „Statusoptimierungsstrategie“<br />

nicht umsetzen. Durch die Krise am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt<br />

verschärften sich aus diesem Grund die sozialen Unterschiede in den Bildungschancen<br />

erheblich. Die McDonald’s Ausbildungsstudien zeigen, dass wir<br />

einen beängstigend großen Anteil von „Statusfatalisten“ haben, die nicht mehr an<br />

ihren Aufstieg glauben.<br />

Seit den PISA-Studien lässt sich ziemlich genau angeben, welche Mindestschwelle<br />

an Fertigkeiten und Fähigkeiten erreicht sein muss, wenn ein Jugendlicher den<br />

Anforderungen in Bildung und Gesellschaft nachkommen will. Immer noch etwa<br />

6 Prozent eines Jahrgangs verlassen die Schule ohne Abschluss und etwa ein<br />

Zehntel erreicht beim PISA-Lesetest nicht einmal die unterste Kompetenzstufe.<br />

Damit ist man heute „funktionaler Analphabet“. Ein mangelnder Bildungserfolg<br />

wird zum Existenzproblem.<br />

46


Nach den Shell Jugendstudien müssen wir mit fast 20 Prozent „Abgehängten“<br />

rechnen. Sie kommen jeweils zur Hälfte aus Familien von Einheimischen und von<br />

Zugewanderten, in denen die Eltern selbst einen niedrigen Bildungsgrad und ein<br />

geringes Einkommen haben. Diese<br />

leistungsschwachen Jugendlichen<br />

sind von ökonomischer, kultureller<br />

und sozialer Desintegration bedroht.<br />

Bildungsarmut führt zu sinkendem<br />

Zukunftsoptimismus, niedrigem<br />

Selbstvertrauen, die Lebenszufriedenheit<br />

leidet und gesundheitliche<br />

Risiken wachsen.<br />

Im Einzelnen zeigt die Studie: Die<br />

Schere zwischen privilegierten<br />

und unterpri vilegierten Jugendlichen<br />

geht gegenüber früheren<br />

Erhebungen weiter auseinander.<br />

So berichtet 2015 die Hälfte der<br />

Während fast zwei<br />

Drittel der Jugendlichen<br />

aus der oberen Schicht<br />

davon überzeugt sind,<br />

ihre beruflichen Wünsche<br />

verwirklichen zu können,<br />

sind es bei den Jugendlichen<br />

aus der unteren<br />

Schicht gerade einmal<br />

25 Prozent.<br />

Jugendlichen aus der unteren Schicht, aber nur ein Zehntel der Jugendlichen aus<br />

der oberen Schicht, der erforderliche Schulabschluss für den ins Auge gefassten<br />

Wunschberuf habe nicht erreicht werden können. Das ist eine grö ßere Kluft als<br />

im Jahr 2002. Nur knapp jeder zweite junge Mensch kann seine Berufswünsche<br />

also tatsächlich verwirklichen. Damit können anhaltende Unzufriedenheit und<br />

Versagensgefühle verbunden sein. Die soziale Herkunft spielt hierbei eine entscheidende<br />

Rolle. Während fast zwei Drittel der Jugendlichen aus der oberen<br />

Schicht (63 Prozent) davon überzeugt sind, ihre beruflichen Wünsche verwirklichen<br />

zu können, sind es bei den Jugendlichen aus der unteren Schicht gerade<br />

einmal 25 Prozent. Die im schulischen Bereich bereits erkennbaren Unterschiede<br />

der sozialen Chancen setzen sich also beim Eintritt in die berufliche Laufbahn<br />

spürbar fort.<br />

47


3. Die biografische Bedeutung der <strong>Berufswahl</strong> steigt. Der Übergang in<br />

den Beruf ist bei den meisten jungen Leuten sozial und emotional stark<br />

besetzt. Sie freuen sich darauf, und sie sind deswegen auch sehr an<br />

einer guten Berufsvorbereitung interessiert. Aber sie sind unsicher, nach<br />

welchen Kriterien sie sich entscheiden sollen.<br />

Die <strong>Berufswahl</strong> ist so etwas wie ein Vermittlungsprozess zwischen der eigenen<br />

Biografie und den sich daraus ergebenden persönlichen Perspektiven und der<br />

realen beruflichen und sozialen Chancenstruktur. Gelingt der Prozess, dann kann<br />

er einen großen Schub für die Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Mannes<br />

oder einer jungen Frau mit sich bringen. Die lebendige Auseinandersetzung mit<br />

dem erwarteten Geschehen am späteren Arbeitsplatz, mit gesellschaftlich unmittelbar<br />

wichtigen Produktions- und Dienstleis tungsaufgaben kann Impulse für<br />

die schulische Arbeit geben und auch den schulmüden Jugendlichen helfen,<br />

die Leistungsanforderungen im Unterricht in neuem Licht zu sehen. Gelingt dieser<br />

Prozess nicht, kann die gesamte weitere Persönlichkeitsentwicklung darunter<br />

leiden und die weitere Schulkarriere abknicken. Dann kann die schulische Berufsorientierung<br />

entgegen aller Absichten zu einem Hemmnis für die Persönlichkeitsund<br />

Leistungsentwicklung der Schüler/-innen werden.<br />

In Zeiten der strukturellen Ungewissheit der Zukunftsplanung sind die Angehörigen<br />

der jungen Generation gezwungen, sich für verschiedene Berufswege und<br />

-inhalte offenzuhalten. Sie müssen in der Lage sein, von heute auf morgen ihre<br />

Pläne und Strategien zu ändern, weil neue Rahmenbedingungen auftauchen.<br />

Die traditionelle biografische Festlegung auf ein Lebensprojekt, die für ihre Eltern<br />

noch sinnvoll war, ist für die Generation Y unmöglich. Stattdessen muss die Kompetenz<br />

entwickelt werden, die sich schnell verändernden, nicht vorhersagbaren<br />

beruflichen und sozialen Lebensbedingungen als Opportunitäten und Möglichkeiten<br />

der Selbstentfaltung wahrzunehmen.<br />

48


Jugendliche wünschen<br />

sich mehr professionelle<br />

Unterstützung durch die<br />

Lehrkräfte und durch<br />

kooperierende Fachleute<br />

der Berufsberatung.<br />

Diese hohen Ansprüche können<br />

schnell überfordern. Die Vielfalt von<br />

Optionen macht es nicht leichter,<br />

sondern meist schwieriger als in<br />

früheren Genera tio nen, genau das<br />

Richtige für die <strong>Berufswahl</strong> auszusuchen.<br />

Wie die letzte McDonald’s<br />

Ausbildungsstudie von 2017 zeigt, leiden<br />

sie unter den unendlichen Möglichkeiten,<br />

die sie für die Bildungswege nach der Schule haben. Sie finden keine<br />

Maßstäbe, nach denen sie entscheiden können, welches die beste Wahl für sie ist.<br />

Viele von ihnen starten nach einer quälend langen Wartezeit mit dem nächstliegenden<br />

Studien- oder Ausbildungsgang, aber scheitern dann etwas später daran.<br />

Die hohen Abbruchquoten in der beruflichen Ausbildung und beim Studium –<br />

sie liegen bei gut einem Viertel aller Fälle – sind ein Symptom für die heute so<br />

schwierige Passung.<br />

4. Die Eltern haben heute eine Schlüsselrolle bei der Berufsorientierung.<br />

Sie sind die Fürsorge für ihre Kinder gewohnt, sie sind die Vertrauten in<br />

allen wichtigen Entscheidungen der Vergangenheit gewesen, und sie<br />

sind es nun auch bei Entscheidungen über die Zukunft.<br />

Die junge Generation hat eine enge Verbindung zu ihren Eltern. Mutter und<br />

Vater fungieren für sie als soziale Modelle für die Lebensgestaltung. Von Konflikten<br />

zwischen den Generationen ist selten die Rede. Nach der Shell Jugendstudie<br />

von 2015 fühlt sich nur die Hälfte der befragten jungen Leute gut über<br />

die beruflichen Chancen informiert und sieht sich gerüstet, die <strong>Berufswahl</strong><br />

kompetent vorzubereiten und durchzustehen. Ein Fünftel ist ratlos und überfordert.<br />

Viele klagen über ein Defizit an systematischer Aufklärung und Information,<br />

vor allem aus dem schulischen Bereich, in dem sie sich durch die Lehrkräfte<br />

49


und durch kooperierende Fachleute der Berufsberatung viel mehr professionelle<br />

Beratung und Unterstützung wünschen, als sie heute tatsächlich erhalten.<br />

Die Konsequenz aus den Unsicherheiten und Irritationen ist: <strong>Eine</strong>n für die jungen<br />

Leute zentralen Teil der Information und Aufklärung leisten deren eigene Eltern.<br />

Die Mütter und Väter bemühen sich offenbar sehr erfolgreich, ihre Kinder auf die<br />

Besetzung künftiger Arbeitsplätze vorzubereiten. Laufen aber sehr schnelle und<br />

heftige berufliche Modernisierungsprozesse ab und kommt es zu neuartigen<br />

beruflichen Anforderungen – und beides ist zweifellos seit zehn Jahren der Fall –,<br />

dann kann die Vorabinformation durch die Eltern natürlich nicht mehr ausreichend<br />

sein. Weil die Anforderungen an komplexe Fähigkeiten angestiegen sind,<br />

sind möglicherweise auch die im Vergleich niedrigeren Qualifikationsstufen der<br />

Eltern nicht mehr ausreichend, um ihre eigenen Kinder gut vorzubereiten.<br />

Deshalb ist den Forderungen der Jugendlichen und ihrer Eltern voll zuzustimmen:<br />

Die Berufsvorbereitung gehört zu einem viel größeren Ausmaß in professionelle<br />

Hände, als das gegenwärtig der Fall ist. Insbesondere den Schulen sollte dabei<br />

eine Schlüsselrolle zukommen. Nach der McDonald’s Ausbildungsstudie 2017<br />

wünscht sich die Mehrheit der jungen Leute eine systematische Berufsorientierung<br />

und Berufsvorbereitung in der Schule, verbunden mit Unterricht in Wirtschafts-,<br />

Finanz- und Konsumfragen des täglichen Lebens.<br />

5. Sicherheit steht an erster Stelle der Erwartungen, die Aspekte sinnvolle<br />

Tätigkeit und Erfüllung folgen aber dicht dahinter. Es entstehen komplex<br />

aufgeladene individuelle Erwartungen und Sehnsüchte.<br />

In der letzten Shell Jugendstudie aus dem Jahr 2015 waren die 12- bis 25-Jährigen<br />

aufgefordert, anzugeben, was ihnen eine berufliche Tätigkeit bieten müsse, damit<br />

sie zufrieden sind. Es wurden insgesamt elf vorformulierte Aus sagen vorgelegt,<br />

die verschiedene Erwartungen an das Berufsleben artikulieren.<br />

50


Die Sicherheit des Arbeitsplatzes steht eindeutig an erster Stelle der Erwartungen<br />

an die Berufstätigkeit. Fast alle Jugendlichen beurteilen diesen Aspekt als wichtig<br />

für ihre Zufriedenheit mit dem Beruf, davon fast drei Viertel sogar als sehr wichtig.<br />

Damit tritt deutlich zutage, dass in Zeiten eines für junge Menschen unsteten und<br />

unübersichtlichen Arbeitsmarktes und unter dem Eindruck der gerade erst überwundenen<br />

Phasen hoher Jugendarbeitslosigkeit die Verlässlichkeit der Arbeit eine<br />

große Rolle spielt. Die <strong>sichere</strong> Beschäftigung gilt ganz offensichtlich als Grundlage<br />

für die Zufriedenheit mit der Arbeit,<br />

vermutlich, weil sich in un<strong>sichere</strong>n<br />

Beschäftigungsverhältnissen nur<br />

bedingt eine eigenständige Existenz<br />

aufbauen und die weitere Statuspassage<br />

nicht planen lässt.<br />

An zweiter Stelle stehen ideelle<br />

Aspekte. Neun von zehn Jugendlichen<br />

finden es sehr wichtig oder<br />

wichtig, in der Berufstätigkeit eigene<br />

Ideen einbringen zu können und<br />

Neun von zehn Jugendlichen<br />

finden es sehr<br />

wichtig bzw. wichtig, in<br />

der Berufstätigkeit eigene<br />

Ideen einbringen zu können<br />

und etwas zu tun,<br />

was sie sinnvoll finden.<br />

etwas zu tun, was sie sinnvoll finden. Auffällig hoch rangiert die Erwartung, dass<br />

genügend Freizeit neben dem Beruf bleibt. Hier drückt sich der Wunsch aus,<br />

durch den Beruf nicht vom genussvollen Leben abgeschnitten zu werden. Die<br />

jungen Leute wünschen sich einen guten Ausgleich zwischen Beruf und Freizeit,<br />

zwischen Arbeit und Leben.<br />

Welche unterschwelligen psychischen Dimensionen liegen diesen Erwartungen<br />

an den Beruf zugrunde? Um das zu erkunden, haben wir in der Shell Jugendstudie<br />

die verschiedenen Erwartungshaltungen in eine Faktorenanalyse eingegeben. Sie<br />

ergibt zwei zentrale Dimensionen. Die eine Dimension nennen wir Nutzenorientierung,<br />

die andere Erfüllungsorientierung. Beim Nutzen geht es um Sicherheit<br />

51


und Einkommen, bei der Erfüllung darum, eigene Ideen einzubringen, etwas zu<br />

tun, was man sinnvoll findet, sich um andere kümmern zu wollen, viele Kontakte<br />

zu anderen Menschen zu haben und im Beruf etwas zu leisten.<br />

Die Erfüllungsorientierung ist bei den jungen Frauen deutlich stärker ausgeprägt<br />

als bei den jungen Männern. Bei den Frauen treten damit idealistische Aspekte in<br />

den Vordergrund. Auch sie haben ein Interesse an einem <strong>sichere</strong>n Arbeitsplatz,<br />

einem ausreichenden Verdienst und Aufstiegsmöglichkeiten. Noch wichtiger ist<br />

es ihnen jedoch, etwas zu tun, von dem sie überzeugt sind. Soziale Anerkennung<br />

ist ihnen tendenziell wichtiger als materielle Vergütung.<br />

6. Die Berufsarbeit soll sich dem Lebens- und Familienrhythmus anpassen.<br />

Junge Frauen sind die treibende Kraft hinter den damit verbundenen<br />

Veränderungen an die Berufserwartungen.<br />

Insgesamt sind bei den jungen Frauen die Erwartungen an eine Erfüllung in<br />

der beruflichen Tätigkeit deutlich stärker persönlich-emotional aufgeladen und<br />

im Profil höher ausgeprägt als bei den jungen Männern, während im Hinblick<br />

auf die Nutzenorientierung keine nennenswerten Unterschiede zwischen den<br />

Geschlechtern bestehen. Dies weist darauf hin, dass sich viele junge Frauen nicht<br />

zwischen idealistischen und materialistischen Ansprüchen an den Beruf entscheiden<br />

wollen, sondern beides zugleich anstreben.<br />

Es sind deshalb vor allem die jungen Frauen, die eine Aufbruchs- und Umbruchstimmung<br />

in das Berufsleben hineintragen. Sie repräsentieren noch deutlich<br />

stärker als die jungen Männer den für die junge Generation charakteristischen<br />

Wunsch, Arbeit und Leben auf eine neue Weise miteinander zu verbinden. Dahinter<br />

steht ihre sehr flexible Gestaltung der weiblichen Geschlechtsrolle, in die sie<br />

ihre Karrierepläne integrieren. Die jungen Männer folgen hier zwar allmählich,<br />

aber nur zögerlich.<br />

52


Die Shell Jugendstudie zeigt, wie wichtig es den jungen Frauen ist, ihre durchaus<br />

ehrgeizigen beruflichen Ambitionen mit einer eigenen Familie zu verbinden. Schritt<br />

um Schritt folgen die jungen Männer jetzt nach. 90 Prozent beider Geschlechter<br />

stimmen der Aussage zu, dass Familie und Kinder bei der Arbeit nicht zu kurz kommen<br />

dürfen. Rund drei Viertel ist es wichtig, dass sie ihre Arbeitszeit kurzfristig an<br />

ihre Bedürfnisse anpassen und Teilzeit arbeiten können, sobald sie Kinder haben.<br />

Zwei Drittel der Jugendlichen wünschen sich eine Arbeitszeit mit klar geregeltem<br />

Beginn und Ende. Sie sind bereit, für entsprechenden Freizeitausgleich in der Woche<br />

auch am Wochenende zu arbeiten. Knapp drei Fünftel der Jugendlichen stimmen<br />

der Aussage zu, dass es ihnen wichtig ist, einen Teil der Arbeit auch von zu Hause<br />

aus erledigen zu können. Für fast die Hälfte der Jugendlichen gehören Überstunden<br />

einfach dazu, wenn man in seinem Beruf etwas werden will.<br />

Obwohl sich die Einstellungen annähern, treten die jungen Frauen nicht nur besser<br />

qualifiziert und mit deutlich größeren Erwartungen an das Berufsleben heran<br />

als die jungen Männer, sondern darüber hinaus legen sie auch mehr Wert darauf,<br />

dass der Beruf nicht vollständig alles Private dominiert. In der Shell Jugendstudie<br />

nennen wir die jungen Frauen die „Durchstarterinnen“, die „alles“ im Beruf wollen,<br />

gleichzeitig aber auch „alles“ außerhalb des Berufs. Es ist also keinesfalls so,<br />

dass ihre besonders positiven Empfindungen zu Familie und Kindern zu einer<br />

beruflich weniger ehrgeizigen Haltung führen. Im Gegenteil: Sie sind ebenso<br />

beruflich anspruchsvoll und fordernd. Die Berufs- und die Familienorientierung<br />

hängt bei ihnen eng miteinander zusammen.<br />

Folgerungen für Ausbildungs- und Schulpolitik<br />

Mit der Tendenz zum Abitur hat der Übergang in die berufliche Ausbildung<br />

seit etwa 2010 seine vormals dominante Stellung verloren. Er ist nicht mehr der<br />

Königsweg in den Beruf. Den jungen Leuten sind die Vorteile einer beruflichen<br />

Ausbildung nach dem dualen System nicht mehr evident. Dieser Weg erscheint<br />

ihnen zwar nach wie vor interessant und abwechslungsreich, aber er schneidet<br />

53


ei entscheidenden Kriterien im Vergleich zum immer mehr an Bedeutung gewinnenden<br />

Hochschulstudium ambivalent ab. Die McDonald's Ausbildungsstudie von<br />

2017 macht deutlich: Nach Einschätzung der jungen Leute bietet die berufliche Ausbildung<br />

im Kontrast zu einem Studium einen geringeren Grad an Eigenverantwortlichkeit,<br />

sichert weniger Aufstiegsmöglichkeiten, enthält geringere Verdienstchancen,<br />

gewährt nur ein weitaus niedrigeres Ansehen und ist einfach nicht so attraktiv<br />

und im Trend liegend.<br />

Immer mehr junge Leute streben deshalb in die Hochschulen. Dort gibt es zwar<br />

heute mit den unübersichtlich vielen verschiedenen Studiengängen eine schwerer<br />

einschätzbare Lage als in der beruflichen<br />

Ausbildung, aber im Unterschied zur<br />

beruflichen Ausbildung müssen sich die<br />

Jugendlichen nicht schon früh festlegen,<br />

welchen Beruf sie einschlagen – und das<br />

ist in Zeiten unüber sichtlicher Karriereplanungen<br />

für die jungen Leute außerordentlich<br />

attraktiv.<br />

Weil die Bildungs- und Berufsperspektiven<br />

so offen sind, weil so viele Optionen<br />

bestehen, wollen die Angehörigen<br />

der jungen Generationen ein hohes Maß<br />

von Eigenverantwortung und Selbstmanagement<br />

bei der Gestaltung der eigenen<br />

Bildungslaufbahn besitzen. Jeder<br />

Nach Einschätzung der<br />

jungen Leute bietet die<br />

berufliche Ausbildung<br />

im Kontrast zu einem<br />

Studium einen geringeren<br />

Grad an Eigenverantwortlichkeit,<br />

sichert weniger<br />

Aufstiegsmöglichkeiten<br />

und enthält geringere<br />

Verdienstchancen.<br />

junge Mann und jede junge Frau will im Idealfall zu einem oder einer Bildungsselbstständigen<br />

werden und sich so etwas wie ein cleveres Geschäftsmodell für das Unternehmen<br />

„Ich“ zurechtlegen.<br />

54


Das steht in einem gewissen Widerspruch zu der engen Allianz mit den Eltern, welche<br />

die jungen Leute einschlagen. Die Eltern haben, wie gesagt, eine Schlüssel rolle<br />

bei der Studien- und <strong>Berufswahl</strong>. Es ist an der Zeit, dass diese Rolle von den Lehrern/<br />

-innen und Ausbildern/-innen beherzt aufgenommen wird. Die Eltern sollten in alle<br />

wichtigen Abläufe und Entscheidungen im schulischen Bereich ebenso einbezogen<br />

werden wie in Informationsveranstaltungen zu den Themen Beruf und Studium.<br />

Individualistisch wie die Generationen Y und Z ausgerichtet sind, haben sie in Schule,<br />

Ausbildung und Hochschule bereits vielfach durchgesetzt, dass der Lernstoff und die<br />

Lernmethode auf ihre persönlichen Bedürfnisse abgestellt werden und auch die Lehrkräfte<br />

persönlich auf sie eingehen. Sie sind durch ihre permanente Arbeit am Computer<br />

und insbesondere durch ihre intensive Spieltätigkeit gewohnt, regelmäßiges<br />

Feedback zu erhalten und Schritt für Schritt in ein Thema einzusteigen. Sie wissen,<br />

dass es moderne und flexible Methoden der Selbsteinschätzung von Fähigkeiten und<br />

Fertigkeiten gibt, und sie fordern deren Einsatz auch im schulischen Bereich heraus.<br />

Wenn es nach den Wünschen der jungen Generation geht, sollten Schulen, Ausbildungszentren<br />

und Hochschulen ihren Charakter verändern und sich in Richtung von<br />

Agenturen entwickeln, die gemeinsam von Lehrkräften und Ausbildern/-innen, von<br />

außerhalb kommenden Fachleuten und eben nicht zuletzt den lernenden Jugendlichen<br />

selbst betrieben werden. Lehrkräfte sind gut beraten, diese Impulse aufzunehmen und<br />

den schulischen Alltag damit interessanter und lebendiger zu gestalten.<br />

Die Ypsiloner legen Wert darauf, produktiv sein zu können und aus der Passivität von<br />

Lernempfängern/-innen herauszutreten. Schon in der Schule wollen sie bestimmte<br />

Produkte und Dienstleistungen erstellen, die für ihre eigene Bildung nützlich sind,<br />

aber auch für die Nachbarschaft und das Gemeinwesen. Von ihnen selbst mitbetriebene<br />

Schüler firmen und Studierendenfirmen sorgen dafür, mit Betrieben und Einrichtungen<br />

außerhalb der Schule zusammenzuarbeiten.<br />

55


Hier liegen Herausforderungen und Chancen für die Schulen. Die Ypsiloner wollen<br />

mit ihren persönlichen Interessen und Neigungen in die berufliche Tätigkeit hineingehen.<br />

Auch Aufstiegschancen und materielle Absicherung spielen eine Rolle, stehen<br />

insgesamt aber nicht an erster Stelle. Die<br />

meisten wünschen sich freie und selbstbestimmte<br />

berufliche Tätigkeiten sowie<br />

die Möglichkeit, sich durch den Beruf in<br />

der Privatsphäre nicht vollständig einengen<br />

zu lassen (Bund, 2014).<br />

Das duale Ausbildungssystem, das gegenwärtig<br />

bei den Meinungsführern/<br />

-innen der jungen Generation, vor allem<br />

Die Generation Y legt<br />

Wert darauf, produktiv<br />

sein zu können und<br />

aus der Passivität von<br />

Lernempfängern/-innen<br />

herauszutreten.<br />

den Frauen, nicht hoch angesehen wird, sollte sich das Ziel setzen, die starke und<br />

frühe Berufsbezogenheit, die es anbieten kann, als eine wesentliche Grundlage für<br />

die selbstverantwortliche Lebensplanung, Selbstverwirklichung und Identitätsentwicklung<br />

für Jugendliche darzustellen. Die persönlichkeitsbildende Bedeutung in<br />

der dualen Ausbildung sollte erfahrbar werden. Hier können die Berufsschulen eine<br />

wichtige Vermittlerrolle spielen.<br />

Reformen der Oberstufe einleiten<br />

Alles das spricht dafür, Reformen der Oberstufe, der Sekundarstufe II des Schulsystems,<br />

einzuleiten. Da Jugendliche heute großen Wert auf die ideellen Aspekte der<br />

Berufstätigkeit legen, sollten die Möglichkeiten in Berufsschule und beruflichem Ausbildungssystem<br />

gestärkt werden, kreativ und eigenständig zu arbeiten und eigene<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten in die Tätigkeit einzubringen. Geschieht das nicht, wird<br />

das akademische Studium immer mehr an Boden gewinnen, denn es erfüllt oberflächlich<br />

alle Wünsche an Offenheit der Planung, Flexibilität der Berufsvorbereitung<br />

und Selbstfindung, die Ypsiloner heute haben.<br />

56


Statt gegen das Abitur anzutreten, soll te in den kommenden Jahren alles unternommen<br />

werden, um das duale System einschließlich der Berufsschulen akademisch<br />

anschlussfähig zu machen. Zwar ist es richtig und wichtig, die Gymnasien<br />

berufsnäher auszurichten, aber gleichzeitig sollten wir eine nachhaltige Aufwertung<br />

der weiterbildenden Schulen neben dem Gymnasium vornehmen. Nach der<br />

Grundschule sollten neben dem Gymnasium nur noch integrierte Sekundarschulen<br />

angeboten werden, die aus einer Zusammenlegung von Hauptschulen, Realschulen<br />

und Gesamtschulen entstanden sind. Diese Sekundarschulen sollten als Oberstufe<br />

eigene Berufskollegs haben, die sich aus den heutigen beruflichen Gymnasien<br />

und Berufsschulen entwickeln, die dann ebenso wie die klassischen Gymnasien alle<br />

Abschlüsse einschließlich des Abiturs anbieten, für ihr Bildungsprogramm aber einen<br />

anderen pädagogischen Weg als das Gymnasium wählen. Sie sollten ihre Schüler/<br />

-innen nicht vom ersten Tag an einer Hochschullaufbahn orientieren, sondern sie auf<br />

das gesamte Spektrum von beruflichen Ausbildungen aufmerksam machen.<br />

In der Oberstufe sollte sich dieses „Zwei-Wege-Modell“ konsequent fortsetzen und auf<br />

mittlere Sicht in einer Kollegstufe widerspiegeln, die sich von der gymnasialen Oberstufe<br />

unterscheidet und die Traditionen von Berufsschulen und Berufskollegs aufnimmt.<br />

Das duale System der Berufsausbildung kann dann zu einem Bestandteil der<br />

Oberstufe weiterentwickelt werden und Abschlüsse anbieten, die auch einen Übergang<br />

in eine Hochschulausbildung anbieten. Die Verbindung des dualen Systems der<br />

Berufsausbildung mit dem Hochschulsystem sollten wir entsprechend weiter verstärken.<br />

Das stellt die Fortsetzung des Zwei-Wege-Modells im Hochschulsystem dar. Hierdurch<br />

kann jedem und jeder Auszubildenden plausibel gemacht werden, dass eine<br />

Berufsausbildung einen Übergang in die akademische Ausbildung nicht verschließt,<br />

sondern unter bestimmten Bedingungen sogar fördert. Die „dualen Hochschulen“,<br />

die in vielen Bundesländern schon weit verbreitet sind, bieten eine ideale Möglichkeit,<br />

duale Berufsausbildung und Hochschulstudium zusammenzuführen.<br />

57


Literatur<br />

Bund, Kerstin (2014):<br />

Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen. Hamburg.<br />

Hurrelmann, Klaus; Albrecht, Erik (2014):<br />

Die heimlichen Revolutionäre. Weinheim.<br />

Hurrelmann, Klaus; Bauer, Ullrich (2015):<br />

Einführung in die Sozialisationstheorie. Weinheim.<br />

Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun (2013):<br />

Lebensphase Jugend. Weinheim.<br />

Illies, Florian (2001):<br />

Generation Golf. Frankfurt.<br />

Mannheim, Karl:<br />

Das Problem der Generationen. In: Mannheim, Karl (1964): Wissenssoziologie.<br />

Neuwied. S. 509–565.<br />

McDonald's Deutschland (Hrsg.) (2017):<br />

Die McDonald's Ausbildungsstudie 2017. Job von morgen – Schule von gestern?<br />

München.<br />

Schelsky, Helmut (1963):<br />

Die skeptische Generation. Düsseldorf.<br />

58


Shell Deutschland (Hrsg.) (2015):<br />

Shell Jugendstudie 2015. Frankfurt.<br />

Schneider, Hilmar:<br />

Ausblick: Was braucht die Arbeitswelt von morgen? In: Konrad-Adenauer-Stiftung<br />

(Hrsg.) (2013): Duale Ausbildung 2020. 14 Fragen & 14 Antworten. Sankt Augustin.<br />

World Vision Deutschland e. V. (Hrsg.) (2013):<br />

Kinder in Deutschland 2013. 3. World Vision Kinderstudie. Weinheim.<br />

59


Genderaspekte und -herausforderungen<br />

in der Berufs- und<br />

Studienorientierung<br />

Prof. Dr. Hannelore<br />

Faulstich-Wieland<br />

Sie ist Universitätsprofessorin i. R.<br />

für Erziehungswissenschaft<br />

an der Universität Hamburg.<br />

Ihre Arbeitsschwerpunkte sind<br />

Genderforschung, Koedukation<br />

und Berufsorientierung.<br />

Die „Rahmenvorgaben für die Berufsund<br />

Studienorientierung – Stadtteilschule<br />

und Gymnasium“ vom Juli 2010<br />

wurden im März 2017 ergänzt (Freie<br />

und Hansestadt Hamburg/Behörde für<br />

Schule und Berufsbildung, 2017).<br />

Die Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg hat im März 2017 das Rahmenkonzept<br />

„Berufsorientierung in der gymnasialen Oberstufe“ herausgegeben (Freie und<br />

Hansestadt Hamburg/Behörde für Schule und Berufsbildung, 2017), das im Schuljahr<br />

2017/18 erprobt und im darauffolgenden Schuljahr verbindlich werden soll. Damit werden<br />

die „Rahmenvorgaben für die Berufs- und Studienorientierung – Stadtteilschule<br />

und Gymnasium“ vom Juli 2010 ergänzt (Freie und Hansestadt Hamburg/Behörde für<br />

Schule und Berufsbildung, 2010). Auch diese sahen bereits vor, dass die Schulen Konzepte<br />

für die inhaltliche und organisatorische Gestaltung der <strong>Berufswahl</strong> entwickeln,<br />

die von den Jahrgangsstufen 8 bis 12 an Gymnasien und 8 bis 13 an Stadtteilschulen<br />

reichen sollten. Der Schwerpunkt lag allerdings auf den Jahrgangsstufen 8 bis 10.<br />

Das neue Rahmenkonzept unterscheidet sich von den Rahmenvorgaben aus 2010 in<br />

zwei durchaus wichtigen Aspekten: Es ist nunmehr vor allem im Titel des Konzepts<br />

nur noch die Rede von „Berufsorientierung“ – im Text selbst taucht auch noch des<br />

Öfteren die „Studienorientierung“ auf. Außerdem wird ein verbindliches Stundenkontingent<br />

von 34 Stunden festgelegt, innerhalb dessen die Lernerfolge benotet<br />

werden sollen. D. h. neben der individuellen Orientierung und Unterstützung, bei der<br />

es schwerpunktmäßig darum gehen sollte, Interessen und Stärken zu entdecken und<br />

diese in Beziehung zu Anforderungen von Berufsausbildung und Studium zu setzen,<br />

erhält nun die „berufliche und ökonomische Orientierung“ ein weit größeres Gewicht.<br />

Im Kerncurriculum, das verbindliche Kompetenzen und Inhalte der Berufsorientierung<br />

in der Studienstufe festhält, umfasst die individuelle Orientierung – für die als Kompetenz-<br />

und Inhaltsbereiche Stärken und Interessen, Selbstkonzept sowie Übergangsplanungen<br />

benannt werden – nur eine Seite gegenüber vier Seiten zur „beruflichen<br />

60


und ökonomischen Orientierung“. Diese bildet dann vermutlich die Basis für eine<br />

Benotung, womit die „Berufsorientierung“ den Status eines weitgehend „normalen“<br />

Schulfaches erhält.<br />

Genderaspekte werden in dem Rahmenkonzept – wie auch schon in den Rahmenvorgaben<br />

von 2010 – nicht angesprochen. Das Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe<br />

sieht allerdings an einer Stelle vor, dass zu den „Fach- und personalen Kompetenzen“<br />

gehören solle, das „<strong>Berufswahl</strong>spektrum (zu) erweitern“ (ebd., S. 7). Es fehlt<br />

jedoch eine explizite Angabe, was damit gemeint ist. Implizit legt der Text nahe, dass<br />

es darum geht, den Abiturienten/-innen duale und schulische Ausbildungsgänge als<br />

Alternative zu einem Studium nahezubringen. Unter der Überschrift „Ziel: Berufs- und<br />

Studienwahlentscheidung treffen und umsetzen“ werden zunächst duale Ausbildung<br />

und Studium genannt, dann folgt jedoch eine Argumentation, die verdeutlicht, dass<br />

Wert daraufgelegt wird, ein Studium möglicherweise nicht ins Auge zu fassen:<br />

„Berufsorientierung bereitet auf die Aufnahme einer dualen oder schulischen beruflichen<br />

Ausbildung sowie eines Studiums vor. Gerade Abiturientinnen und Abiturienten<br />

unterschätzen jedoch oft die besonderen Chancen der dualen und schulischen beruflichen<br />

Ausbildung. Zudem zeigt die hohe Zahl der Studienabbrüche, dass viele Abiturientinnen<br />

und Abiturienten mit der Entscheidung für ein Studium falsch liegen, weil<br />

dieser Weg nicht zu ihren Neigungen und Fähigkeiten passt" (ebd., S. 2).<br />

Die Erweiterung des <strong>Berufswahl</strong>spekt rums jenseits von geschlechter ste reo typen Einschränkungen<br />

spielt in den bildungspolitischen Debatten und Vorgaben durchaus<br />

eine Rolle. Die Initiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Einführung<br />

von Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen, die gemeinsam<br />

mit ganz verschiedenen Akteuren – u. a. auch der Kultusministerkonferenz – realisiert<br />

werden, thematisieren darüber hinaus als Ziel die Realisierung einer gendersensiblen<br />

Berufsorientierung:<br />

61


„Noch immer werden manche Berufe als typische Männer- oder Frauen berufe betrachtet<br />

und vom jeweils anderen Geschlecht nicht einmal in Erwägung gezogen. Das<br />

Berufsorientierungsprogramm bietet eine geschlechtssensible Berufs- und Studienorientierung<br />

an, damit die spätere Berufs- oder Studienwahl der Jugendlichen nicht<br />

von gängigen Geschlechterklischees bestimmt, sondern nach individuellen Fähigkeiten<br />

und Interessen getroffen wird“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung,<br />

www.berufsorientierungsprogramm.de).<br />

Hamburg beteiligt sich an diesem Berufs<br />

orientierungsprogramm und erwähnt<br />

an unterschiedlichen Stellen –<br />

wenngleich nicht konsistent – durchaus<br />

als Zielsetzung der Berufsorientierung,<br />

die Wahl von geschlechterstereotypen<br />

Ausbildungen und Studiengängen zu<br />

überwinden und damit das Auswahlspektrum<br />

zu erweitern (Faulstich-Wieland<br />

und Scholand, 2017). Deutlich wird<br />

allerdings, dass bildungspolitische Do-<br />

Nach wie vor werden<br />

manche Berufe als<br />

typische Männer- oder<br />

Frauen berufe betrachtet<br />

und dadurch vom anderen<br />

Geschlecht nicht einmal<br />

in Erwägung gezogen.<br />

kumente solche Ziele zwar programmatisch ausweisen, es jedoch an konkreten Hinweisen<br />

fehlt, wie sie zu erreichen sind. Insofern verwundert es nicht, wenn die Praxis<br />

der Berufsorientierung in den Sekundarschulen weit von einer gendersensiblen<br />

Umsetzung entfernt ist. Als Ergebnis von Forschungsprojekten zu „Berufsorientierung<br />

und Gender“ an Hamburger Stadtteilschulen in der Sekundarstufe I kommen wir eher<br />

zu dem Schluss, dass ein reflektierter Unterricht hierzu nicht stattfindet.<br />

Das gilt insbesondere, wenn man die Bearbeitung des Themas Geschlecht als gendersensibel<br />

und damit genderkompetent voraussetzt. Die Arbeiten, die wir in unserer<br />

Forschungsarbeit hierzu finden konnten, verbleiben in der alltäglichen Herstellung<br />

von Geschlecht und damit in den Geschlechterstereotypen, die dem alltäglichen<br />

62


„Doing Gender“ zugrunde liegen. Ein gendersensibler Unterricht dagegen erfordert<br />

die Bereitstellung von expliziten Informationen, vor allem aber der Reflexion von alltäglichen<br />

Zuschreibungen. Dies ist nicht allein eine Frage der Zurverfügungstellung<br />

von Zeit, sondern auch eine, die Genderkompetenz voraussetzt (ebd., S. 254 f.).<br />

Genderkompetenz impliziert nach Margitta Kunert-Zier drei Aspekte: Wollen, Wissen<br />

und Können (Kunert-Zier, 2005). Es bedarf zunächst einmal des Wollens, geschlechtsbezogene<br />

Ungleichheiten abzubauen. Die Motivation, an Veränderungen mitzuarbeiten<br />

kann auf der Basis gefühlter Ungerechtigkeiten entstehen, relevanter ist<br />

jedoch ein fundiertes Wissen darum, welche Geschlechterdifferenzen existieren<br />

sowie wie sie entstehen. Für Lehrkräfte sind solche Kenntnisse Voraussetzung für<br />

die Fähigkeit, Schüler/-innen darüber aufzuklären und ihnen zu einer eigenen reflektierten<br />

Position zu verhelfen. Weil die Vermittlung von Berufsorientierung allein<br />

bereits einen Anspruch an Lehrkräfte stellt, für den sie in der Regel nicht ausgebildet<br />

wurden, haben wir auf der Basis der Erkenntnisse aus den genannten Forschungsprojekten<br />

eine Handreichung für Akteure/-innen im Feld der Berufs- und Studienorien<br />

tierung entwickelt (Faulstich-Wieland und Scholand, 2017a). Sie bietet relevante<br />

Informationen über Berufs- und Studienmöglichkeiten, die den Blick auf die Genderrelevanz<br />

verdeutlichen sowie Möglichkeiten für einen gendersensiblen Unterricht<br />

aufzeigen. Insbesondere beim Einfluss auf die <strong>Berufswahl</strong> sehen Lehrkräfte sich<br />

tenden ziell als nicht relevante Akteure/-innen und unterschätzen damit sowohl ihre<br />

im alltäglichen „Doing Gender“ erfolgende Verstärkung „normaler“ Geschlechterdifferenzen<br />

sowie ihre Möglichkeiten für aktive Aufklärungsarbeit.<br />

Handreichung „Gendersensible Berufsorientierung<br />

– Informationen und<br />

Anregungen“ für Akteure/-innen im Feld<br />

der Berufs- und Studienorientierung<br />

(Faulstich-Wieland und Scholand, 2017a).<br />

Auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Handreichung werden im Folgenden<br />

zunächst Informationen gegeben, die auf die Relevanz des Genderthemas verweisen.<br />

Sie betreffen die nach wie vor vorhandene Geschlechtersegregation in schulischer<br />

Bildung, dualer Ausbildung und im Studium ebenso wie die Bedeutung von Gendersozialisation<br />

in Bezug auf die Wahl eines Berufs.<br />

63


4) Die Differenz zu 100 Prozent entsteht<br />

durch die Absolventen/-innen von Freien<br />

Waldorfschulen sowie denjenigen,<br />

die über den sogenannten zweiten<br />

Bildungs weg ihre Abschlüsse erzielten.<br />

1. Geschlechterverhältnisse in schulischer Bildung,<br />

dualer Ausbildung und Studium<br />

Mehr als die Hälfte aller Absolventen/-innen verließen im Schuljahr 2015/16 die Schulen<br />

mit der Hochschulreife, nämlich 55,6 Prozent. Hiervon sind 46,4 Prozent Schüler<br />

und 53,6 Prozent Schülerinnen. Betrachtet man die Zahlen danach, in welcher Schulart<br />

die allgemeine Hochschulreife erworben wurde, dann kommen 63,1 Prozent der<br />

Schüler/-innen aus Gymnasien und 32,1 Prozent aus Stadtteilschulen 4) (Statistisches<br />

Bundesamt, 2017).<br />

Die berufliche Bildung, die zu qualifizierten Abschlüssen führt, ist ebenfalls geschlechterdifferent<br />

verteilt: Im dualen System überwiegen noch immer die Jungen, in der<br />

schulischen Ausbildung sind es nach wie vor die Mädchen (ebd.).<br />

Unter den 30 am stärksten besetzten Ausbildungsberufen, in denen im Jahr 2015<br />

neue Verträge abgeschlossen wurden, finden sich sowohl junge Frauen wie Männer<br />

in den verschiedenen Berufen für Kaufleute (vgl. Tabelle 1, S. 65). Deutliche Frauendomänen<br />

bilden die zahnmedizinischen<br />

und medizinischen Fachangestellten<br />

sowie die Steuerfachangestellten. Deutliche<br />

Männerdomänen finden wir bei<br />

neun der am stärksten besetzten Ausbildungsberufe,<br />

nämlich bei Kraft fahrzeug<br />

mecha tro ni kern/ -innen, Fachkräf-<br />

Im dualen System überwiegen<br />

noch immer die<br />

Jungen, in der schulischen<br />

Ausbildung die Mädchen.<br />

ten für Lagerlogistik, Elektronikern/-innen, Anlagenmechanikern/-innen für Sanitär,<br />

Heizungs- und Klimatechnik, Fachlageristen/-innen, Industriemechanikern/-innen,<br />

Malern/-innen und Lackierern/-innen, Elektronikern/-innen für Betriebstechnik sowie<br />

Tischlern/-innen. Das sind überwiegend technische bzw. handwerkliche Berufe.<br />

64


Tabelle 1: 30 am stärksten besetzte Ausbildungsberufe in Hamburg im Jahr 2015<br />

Frauen<br />

Männer<br />

Rang Beruf gesamt gesamt Rang* gesamt Rang*<br />

1 Kaufleute im Einzelhandel 870 402 3 468 1<br />

2 Kaufleute für Büromanagement 795 570 1 225 10<br />

3 Kaufleute im Groß- und Außenhandel 609 255 7 354 3<br />

4 Verkäufer/-innen 546 303 5 243 8<br />

5 Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleitung 486 192 9 294 5<br />

6 Zahnmedizinische Fachangestellte 414 405 2 9 -<br />

7 Fachinformatiker/-innen 387 27 - 360 2<br />

8 Hotelfachleute 378 261 6 117 16<br />

9 Kraftfahrzeugmechatroniker/-innen 357 18 - 339 4<br />

10 Medizinische Fachangestellte 357 351 4 6 -<br />

11 Friseure/-innen 285 228 8 57 32<br />

12 Bankkaufleute 285 135 11 150 13<br />

13 Fachkräfte für Lagerlogistik 273 12 - 261 7<br />

14 Elektroniker/-innen 264 3 - 261 6<br />

15 Köche/Köchinnen 249 66 22 183 11<br />

16 Anlagenmechaniker/-innen für Sanitär, Heizungs- und Klimatechnik 240 0 - 240 9<br />

17 Industriekaufleute 234 123 13 111 18<br />

18 Kaufleute für Versicherung und Finanzen 216 117 15 99 21<br />

19 Steuerfachangestellte 210 129 12 81 26<br />

20 Kaufleute für Marketingkommunikation 204 138 10 66 28<br />

21 Fachkräfte im Gastgewerbe 201 81 18 120 15<br />

22 Immobilienkaufleute 189 111 16 78 27<br />

23 Schifffahrtskaufleute 186 84 17 102 19<br />

24 Fachlageristen/-innen 159 6 - 153 12<br />

25 Industriemechaniker/-innen 150 12 - 138 14<br />

26 Rechtsanwaltsfachangestellte 126 117 14 9 -<br />

27 Maler/-innen und Lackierer/-innen 120 21 - 99 20<br />

28 Elektroniker/-innen für Betriebstechnik 117 6 - 111 17<br />

29 Tischler/-innen 117 21 - 96 22<br />

30 Mediengestalter/-innen Digital und Print 111 60 23 51 -<br />

insgesamt 9.135 4.254 4.881<br />

Quelle: „Datensystem Auszubildende“ (DAZUBI) des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB).<br />

* Nicht bezifferte Ränge fallen auf Ausbildungsberufe,<br />

die nicht unter den 30 am stärksten besetzten liegen. 65


Auch der Blick auf die Geschlechterverhältnisse an den unterschiedlich ausgerichteten<br />

Hochschulen zeigt eine mitunter ungleiche Verteilung: Hamburg hat zwanzig<br />

Hochschulen – sechs Universitäten (davon zwei private), zwei Kunsthochschulen,<br />

zwölf Fachhochschulen (davon elf private) und zwei Verwaltungsfachhochschulen.<br />

Im Wintersemester 2015/16 waren insgesamt 97.881 Studierende eingeschrieben,<br />

davon 47.979 Frauen. Den größten Anteil hatten die Universitäten mit 54.656 Studie -<br />

renden und einem Frauenanteil von 49<br />

Prozent, gefolgt von den Fachhochschulen<br />

mit 40.394 Studie renden und einem<br />

Frauenanteil von 48,6 Prozent (Statistisches<br />

Bundesamt, Destatis, 2016). Vergleicht<br />

man die Zahlen mit den Schulabgängern/-<br />

innen mit Hochschulreife,<br />

so scheinen etwas weniger junge Frauen<br />

ein Studium zu beginnen.<br />

Die Geschlechterzusammensetzung<br />

der Erstsemesterstudierenden<br />

ist an den Hochschulen<br />

durchaus unterschiedlich.<br />

Die Geschlechterzusammensetzung der Erstsemesterstudierenden ist an den Hochschulen<br />

durchaus unterschiedlich (vgl. Tabelle 2, S. 67): An der Universität Hamburg<br />

dominieren die Frauen zahlenmäßig mit einem Anteil von 58,4 Prozent, während<br />

sie an den anderen Universitäten deutlich geringer vertreten sind. An der TU Hamburg-Harburg<br />

wird dies durch die ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge, an der<br />

Bundeswehrhochschule (Helmut-Schmidt-Universität) durch den geringeren Anteil<br />

von Frauen in der Bundeswehr bedingt. An den anderen Hochschularten überwiegen<br />

die Frauen insgesamt, aber auch hier lassen sich wiederum Einflüsse der Fächerwahlen<br />

aufzeigen: An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften sind Frauen<br />

nur zu 41,5 Prozent vertreten, während sie an den privaten Fachhochschulen – die<br />

fast alle nicht in technischen Fächern ausbilden – deutlich stärker das Klientel stellen.<br />

66


Tabelle 2: Studienanfänger/-innen an Hamburger Hochschulen im Wintersemester 2015/16<br />

Hochschulart Hochschule insgesamt davon Frauen in %<br />

Universitäten Universität Hamburg 5.412 3.158 58,4<br />

TU Hamburg-Harburg 1.567 394 25,1<br />

Hafencity Universität 364 172 47,3<br />

Helmut-Schmidt-Universität 507 76 15,0<br />

Bucerius Law School 150 62 41,3<br />

KLU Kühne Logistics Universität 103 30 29,1<br />

insgesamt 8.103 3.892 48,0<br />

Kunsthochschulen Hochschule für Bildende Künste 115 75 65,2<br />

Hochschule für Musik und Theater 146 80 54,8<br />

insgesamt 261 155 59,4<br />

Fachhochschulen Hochschule für Angewandte Wissenschaften 1.802 747 41,5<br />

AMD Akademie Mode und Design 61 56 91,8<br />

Technische Kunsthochschule 26 21 80,8<br />

Brand Academy Hamburg 18 11 61,1<br />

EBC Euro Business College 279 178 63,8<br />

Europäische Fern-Hochschule 490 252 51,4<br />

Hochschule Fresenius 326 208 63,8<br />

HfH Hamburger Fern-Hochschule 649 366 56,4<br />

HSBA Hamburg School of Business Administration 236 121 51,3<br />

MSH Medical School Hamburg 515 401 77,9<br />

Northern Business School 112 67 59,8<br />

Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie 112 83 74,1<br />

insgesamt 4.626 2.511 54,3<br />

Verwaltungsfachhochschulen<br />

Akademie der Polizei 75 36 48,0<br />

Norddeutsche Akademie für Finanzen und Steuerrecht 72 50 69,4<br />

insgesamt 147 86 58,5<br />

insgesamt 13.137 6.644 50,6<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt, Destatis, 2016.<br />

67


Die Wahl der Studienfächer lässt sich nur auf Bundesebene vergleichen. Von den<br />

acht Fächergruppen, die das Statistische Bundesamt ausweist, stehen die Rechts-,<br />

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an erster Stelle der von den Studienanfängern/-innen<br />

gewählten Studiengänge: 161.310 junge Menschen haben sich im Wintersemester<br />

2015/16 für eines dieser Fächer eingeschrieben. An zweiter Stelle folgen<br />

die Ingenieurwissenschaften mit 125.188 Studienanfängern/-innen. Platz 3 nehmen<br />

die Geisteswissenschaften mit 49.153,<br />

Platz 4 die Mathematik und Naturwissenschaften<br />

mit 47.113 ein. Humanmedizin/<br />

Gesundheitswissenschaften stehen auf<br />

Platz 5 mit 21.258. Kunst und Kunstwissenschaften<br />

haben 13.143 gewählt,<br />

Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften<br />

sowie Veterinärmedizin 10.287<br />

und Sport als letzten Bereich noch 3.330<br />

(Statistisches Bundesamt, Destatis, 2016).<br />

Die Rangfolge weicht zwischen den<br />

Geschlechtern nur auf den ersten vier<br />

Plätzen voneinander ab: Bei den Frauen<br />

stehen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

auf Platz 1, gefolgt von<br />

Bei den Frauen stehen<br />

Rechts-, Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaften auf<br />

Platz 1, gefolgt von den<br />

Geisteswissenschaften,<br />

bei den Männern stehen<br />

die Ingenieurwissenschaften<br />

auf Platz 1 vor den<br />

Rechts-, Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaften.<br />

den Geisteswissenschaften. Ingenieurwissenschaften stehen an dritter, Mathematik<br />

und Naturwissenschaften an vierter Stelle. Bei den Männern sind die Ingenieurwissenschaften<br />

auf Platz 1 vor Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Hier nehmen<br />

Mathematik und Naturwissenschaften den dritten und die Geisteswissenschaften<br />

den vierten Platz ein. Humanmedizin steht bei beiden Geschlechtern auf dem fünften<br />

Platz. Dennoch sind die prozentualen Anteile der jeweiligen Fächergruppen sehr<br />

unterschiedlich und bedingen so auch die Zusammensetzung innerhalb der Gruppen<br />

(vgl. Tabelle 3, S. 69).<br />

68


Tabelle 3: Studienanfänger/-innen nach Fächergruppen<br />

im Wintersemester 2015/16 in Deutschland<br />

Fächergruppe<br />

Erstse<br />

mester/<br />

-innen<br />

insgesamt<br />

davon<br />

Männer<br />

davon<br />

Frauen<br />

Frauenanteil<br />

in der<br />

Fächergruppe<br />

in %<br />

Anteil der<br />

weiblichen<br />

Studierenden<br />

insgesamt in %<br />

Anteil der<br />

männlichen<br />

Studierenden<br />

insgesamt in %<br />

Rechts-, Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaften<br />

161.310 65.696 95.614 59,3 44,3 30,3<br />

Ingenieurwissenschaften 125.188 94.921 30.267 24,2 14,0 43,8<br />

Geisteswissenschaften 49.153 13.877 35.276 71,8 16,3 6,7<br />

Mathe, Naturwissenschaften 47.113 23.952 23.161 49,2 10,7 11,1<br />

Humanmedizin 21.258 6.447 14.811 69,7 6,9 3,0<br />

Studierende insgesamt 432.589 216.507 216.082<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt, Destatis, 2016.<br />

Aus den Zahlen wird deutlich, dass es sowohl erkennbare Angleichungen zwischen<br />

den Geschlechtern gibt, zugleich aber nach wie vor klare Differenzen. Die vorhandenen<br />

Unterschiede zeigen, dass es noch immer geschlechterbezogene Domänen<br />

gibt, deren Bearbeitung im Berufs- und Studienwahlprozess sinnvoll ist, um das<br />

<strong>Berufswahl</strong>spektrum zu erweitern.<br />

69


2. <strong>Berufswahl</strong>en und Geschlecht<br />

Einigkeit besteht darüber, dass es sich bei der <strong>Berufswahl</strong> um einen Prozess handelt,<br />

der bereits früh in der Kindheit beginnt und im Laufe der Jahre immer realistischer<br />

wird, d. h. sich immer stärker an den realen Möglichkeiten orientiert. Diese<br />

betreffen zum einen die eigenen individuellen<br />

Fähigkeiten und Interessen,<br />

zum anderen die regional vorhandenen<br />

Qualifizierungsangebote.<br />

John Holland hat eine Theorie entworfen,<br />

nach der eine möglichst große<br />

Übereinstimmung zwischen Persönlichkeitsmerkmalen<br />

– insbesondere Interessenstypen<br />

– und den Anforderungen<br />

eines Berufs bestehen sollte, um ein<br />

glückliches Leben zu ermöglichen (Hol-<br />

land, 1973). Er unterscheidet dafür sechs<br />

John Holland hat eine<br />

Theorie entworfen,<br />

nach der eine möglichst<br />

große Übereinstimmung<br />

zwischen Persönlichkeitsmerkmalen<br />

und den<br />

Anforderungen eines<br />

Berufs bestehen sollte.<br />

Interessenstypen, denen entsprechende Berufsbereiche zuordenbar sind: praktisch-technische,<br />

intellektuell-forschende, künstlerisch-sprachliche, soziale, unternehmerische<br />

und ordnend-verwaltende Interessen.<br />

Linda Gottfredson kritisiert an dieser einfachen Gegenüberstellung von Interessen<br />

und Anforderungen, dass sie weder die Anstrengungsdimension zum Erreichen einer<br />

Berufsposition – die zugleich mit Prestige einhergeht – noch die Geschlechterdimension<br />

berücksichtigt. Sie hat ein Modell entwickelt, das beide Ebenen integriert (Gottfredson,<br />

1981). Sie betrachtet vier Stufen der Entwicklung, die in eine Zone akzeptabler<br />

Berufe einmünden, dem Aspirationsfeld.<br />

70


Idealisierte Darstellung der kognitiven Landkarte eines männlichen Jugendlichen<br />

mit Aspirationsfeld und Entwicklungsstufen nach Gottfredson (1981)<br />

hoch<br />

Arzt/Ärztin<br />

– akzeptable Aufwandsgrenze –<br />

Psychiater/-in<br />

Stufe 4: Alter 14+,<br />

Wahrnehmung beruflicher Interessen<br />

– Prestige eines Berufs –<br />

Ingenieur/-in<br />

Polizist/-in<br />

Bankkaufmann/-frau<br />

– Aspirationsfeld –<br />

Immobilienmakler/-in<br />

– akzeptable Anspruchsgrenze –<br />

– akzeptable<br />

Geschlechtsgrenze –<br />

Sozialarbeiter/-in<br />

Sekretär/-in<br />

Stufe 3: Alter 9–13,<br />

Wahrnehmung von Prestige<br />

Stufe 2: Alter 6–8,<br />

Wahrnehmung von Geschlechtstypen<br />

Stufe 1: Alter 3–5, Wahrnehmung<br />

von Berufen als Erwachsenenrollen<br />

niedrig<br />

Bauarbeiter/-in<br />

sehr männlich<br />

– Geschlechtstyp eines Berufs –<br />

sehr weiblich<br />

Quelle: Erstellt nach Steinritz et al. 2012, S. 3.<br />

Das Aspirationsfeld wird auf der vertikalen Ebene begrenzt durch Berufe, die weder<br />

zu geringes Prestige haben noch zu große Anstrengungen oder Fähigkeiten erfordern,<br />

die man sich nicht zutraut. Auf der horizontalen<br />

Ebene spielt die geschlechtliche<br />

Konnotation von Berufen eine<br />

Rolle: Sie dürfen für einen Jungen nicht<br />

zu weiblich sein und für ein Mädchen<br />

entsprechend nicht zu männlich.<br />

Die Konnotation mit Geschlecht und<br />

damit die Genderdimension hat ihren<br />

Ursprung in der geschlechtsbezogenen<br />

Sozialisation sowie im alltäglichen<br />

<strong>Eine</strong> gendersensible<br />

Berufs- und Studienorientierung<br />

sollte bei<br />

der Infragestellung der<br />

„Natürlichkeit“ von<br />

Frauen- oder Männerberufen<br />

ansetzen.<br />

71


„Doing Gender“. Candace West und Don Zimmerman haben als erste deutlich<br />

gemacht, dass wir unsere Geschlechtszugehörigkeit immer wieder herstellen müssen<br />

– sie also nicht einfach „haben“, sondern „tun“. In den alltäglichen Interaktionen nehmen<br />

wir unser jeweiliges Gegenüber auf der Dimension des Gleich- oder<br />

Gegengeschlecht lichen wahr und verhalten uns entsprechend so, dass auch wir „eindeutig“<br />

wahrnehmbar sind. Nach wie vor kann man sagen, dass die dabei unterlegte<br />

Zweigeschlechtlichkeit im Alltag der meis ten Menschen unhinterfragte Gültigkeit hat.<br />

Viele Menschen sind<br />

noch immer davon<br />

überzeugt, dass das<br />

geschlechtsspezifische<br />

Handeln „natürlich“ sei.<br />

Dennoch sind viele Menschen noch immer<br />

davon überzeugt, dass das ge -<br />

schlechtsspezifische Handeln „natürlich“<br />

sei. Bezogen auf die Berufs- und<br />

Studien wahl gilt das auch für die Existenz<br />

von Frauen- oder Männerberufen.<br />

Als solche bezeichnet man Berufe,<br />

deren Beschäftigte zu mehr als 70 Prozent<br />

einem Geschlecht angehören. D. h. es gibt empirisch nach weisbare berufliche<br />

Geschlechterdomänen – aber sie sind keineswegs natürlich dem jeweiligen<br />

Geschlecht zugeordnet.<br />

<strong>Eine</strong> gendersensible Berufs- und Stu dien orientierung sollte bei der Infragestellung der<br />

„Natürlichkeit“ von Frauen- oder Männerberufen ansetzen – u. a. mit dem Ziel, die<br />

Zone der „akzeptablen Berufe“ auf der horizontalen Genderdimension zu erweitern.<br />

72


3. Irritation als eine Methode für einen gendersensiblen<br />

Berufsorientierungs unterricht<br />

Die Schule verspricht Verstehen – so beginnen Arno Combe und Ulrich Gebhard ihr<br />

Buch über „Verstehen im Unterricht – Die Rolle von Phantasie und Erfahrung“ (Combe<br />

und Gebhard, 2012b, S. 7).<br />

Wie aber kann Unterricht dazu beitragen,<br />

die Welt zu verstehen? Sie sich so<br />

anzueignen, dass es gelingt – wie Wilhelm<br />

von Humboldt Bildung verstand –,<br />

so viel Welt als möglich zu ergreifen, und<br />

so eng, als man nur kann, mit sich zu<br />

verbinden?<br />

Sozialisationstheoretisch stellt die Herausbildung<br />

eines Habitus ein zentrales<br />

Element des Aufwachsens in einer sozialen<br />

Gemeinschaft dar. Habitus lässt sich<br />

begreifen als „Gewohnheiten, Routinen,<br />

Denk-, Wahrnehmungs-, Urteils- und<br />

Handlungsmuster, die (…) durch Lernen<br />

erworben, durch die Konstellation von<br />

Bedingungen und Lebenspraxis selbst<br />

zur Selbstverständlichkeit, zu kulturel-<br />

Habitus lässt sich begreifen<br />

als „Gewohnheiten,<br />

Routinen, Denk-, Wahrnehmungs-,<br />

Urteils- und<br />

Handlungsmuster, die<br />

(…) durch Lernen erworben,<br />

durch die Konstellation<br />

von Bedingungen<br />

und Lebenspraxis selbst<br />

zur Selbstverständlichkeit,<br />

zu kulturellem<br />

Unbewussten werden“.<br />

lem Unbewussten werden“ (Liebau, 1988, S. 160). Pierre Bourdieu spricht in diesem<br />

Kontext auch von der doxa (Bourdieu, 1993), von den Dingen, die uns so „natürlich“<br />

erscheinen, dass wir sie normalerweise gar nicht anders denken können – außer,<br />

wenn krisenhafte Umstände eintreten, die unsere bisherige Praxis erschüttern.<br />

73


Schule kann folglich, so Combes und Geb hards Argumentation, an krisenhaften<br />

Momenten ansetzen, um Nachdenklichkeit zu erzeugen und Verstehen in Gang zu<br />

setzen – und so die Aneignung von Welterweiterung zu ermöglichen. Die Berufs- und<br />

Studienwahl ist per se eine Krise, nämlich eine Entscheidungskrise:<br />

„Diese bedeutet in der Regel lebenspraktisch eine Wegscheide, auch ihr kann man sich,<br />

etwa im Falle der Wahl eines Berufes, nicht entziehen. Was vor allem krisenhaft ist,<br />

dass solche Entscheidungen in die Offenheit der Zukunft hinein gefällt werden müssen,<br />

ohne die Möglichkeit einer vorauslaufenden Begründung“ (Combe und Gebhard,<br />

2012b, S. 29).<br />

Berufsorientierungsunterricht könnte an den bisherigen Selbstverständlichkeiten<br />

ansetzen, allerdings so, dass sie irritiert und provoziert werden: Verste -<br />

hen erfordert eine „Entselbstverständ lichung“ (ebd., S. 89), das „Arbeiten mit<br />

der Irritation des für selbstverständlich Gehaltenen, der zunehmenden Verflüssigung<br />

der gewohnten Verschränkungen zwischen Subjekt und Objekt. Dazu müssen<br />

die unterschiedlichen Perspektiven auf einander bezogen werden“ (ebd., S. 116).<br />

Mit den unterschiedlichen Perspektiven<br />

sind sowohl diejenigen der Schüler/-innen<br />

gemeint wie aber auch die<br />

zwischen Alltagserfahrungen und wissenschaftlichem<br />

Wissen. In der Berufsund<br />

Studienorientierung geht es also<br />

darum, vorhandene Vorstellungen zur<br />

Berufswelt aufzugreifen und über Irritationen,<br />

die durch andere Perspektiven<br />

entstehen können, zu einem Verstehen<br />

hinzuführen.<br />

Berufsorientierungsunterricht<br />

könnte an den<br />

bisherigen Selbstverständlichkeiten<br />

ansetzen,<br />

allerdings so, dass sie<br />

irritiert und provoziert<br />

werden.<br />

74


Im Folgenden werden zwei konkrete Ansätze für die Berufs- und Studienorientierung<br />

vorgestellt.<br />

3.1 Betrachtung der historischen Entwicklungen von ausgewählten Berufen<br />

Beim Blick auf die historischen Entwicklungen von Berufen zeigt sich, dass mehrere<br />

einen „Geschlechterwechsel“ vollzogen haben – d. h. von einem Frauen- zu einem<br />

Männerberuf geworden sind oder umgekehrt.<br />

Das Gesundheitswesen ist unter jungen Menschen ein stark nachgefragter Studienbereich,<br />

insbesondere von jungen Frauen (siehe Tabelle 3, S. 69). Beim historischen<br />

Blick auf den Arztberuf zeigt sich, dass<br />

dieser von einer weiblichen zu einer<br />

männlichen Domäne wurde und derzeit<br />

erneut wiederum einen starken Frauenanteil<br />

aufweist. 5)<br />

Berufe im kaufmännischen und administrativen<br />

Bereich – ebenfalls ein in der<br />

beruflichen Bildung gerade in Hamburg<br />

stark besetztes Berufsfeld – waren<br />

ursprünglich eine Männerdomäne.<br />

Mit der Industrialisierung und Ausweitung<br />

des Handels einerseits sowie der<br />

Entwicklung von Schreibmaschinen<br />

andererseits wandelte sich dies: Den<br />

Beim Blick auf die historischen<br />

Entwicklungen<br />

von Berufen zeigt sich,<br />

dass mehrere einen<br />

„Geschlechterwechsel“<br />

vollzogen haben, d. h. von<br />

einem Frauen- zu einem<br />

Männerberuf geworden<br />

sind oder umgekehrt.<br />

männlich besetzten Kontoren wurden zunächst die weiblich bestellten Schreibsäle<br />

zugesellt, deren Tätigkeiten zunehmend umfassender wurden und so die Männer als<br />

Arbeitskräfte ablösten.<br />

5) In der Handreichung „Gendersensible<br />

Berufsorientierung – Informationen<br />

und Anregungen“ (Faulstich-Wieland<br />

und Scholand, 2017a) werden die<br />

historischen Entwicklungen von Berufen<br />

detailliert nachgezeichnet.<br />

75


Über diese beiden Berufsbereiche hinaus lassen sich je nach Interesse der Schüler/<br />

-innen auch weitere „Geschlechterwechsel von Berufen“ erforschen: So gibt es im<br />

Druckgewerbe ebenso wie bei den Lehrkräften an Schulen einen Wechsel von einem<br />

ehemals männerdominierenden Interessengebiet hin zu einer Frauendomäne.<br />

3.2 Zuschreibungen von Geschlechtern zu Berufen<br />

<strong>Eine</strong> weitere Möglichkeit der Irritation von Berufen als „natürlich“ geschlechtsspezifisch<br />

bietet eine Studie von Robin Leidner aus den USA, bei der die Tätigkeiten von<br />

Hamburger Verkäufern/-innen und Versicherungsvertretern/-innen<br />

verglichen<br />

wurden (Leidner, 1991). Beide Arbeitstätigkeiten<br />

lassen sich als besonders<br />

„weibliche“ bzw. besonders „männliche“<br />

Eigenschaften erfordernde beschreiben<br />

– d. h. sie ähneln sich und ihre „Geschlechtsspezifik“<br />

entspringt primär der<br />

jeweiligen Betrachtungsweise.<br />

Dies gilt vermutlich für die meisten Berufe<br />

und ließe sich als Spiel im Unterricht<br />

sehr gut verwenden: Die Schüler/<br />

-innen sollten sich dazu über einen Beruf<br />

genauer informieren und ihn dann – in<br />

zwei getrennten Gruppen – als besonders<br />

für Frauen bzw. besonders für Männer<br />

geeignet beschreiben. Da es sich<br />

Für alle Ansätze einer<br />

gendersensiblen Berufsorientierung<br />

ist entscheidend,<br />

dass die Schüler/<br />

-innen angeregt werden,<br />

über Geschlechterzuschreibungen<br />

im Allgemeinen<br />

sowie Berufszuschreibungen<br />

in<br />

Bezug auf das Geschlecht<br />

zu reflektieren.<br />

jedoch um den gleichen Beruf handelt, kann man auf Grundlage der Arbeitsergebnisse<br />

der zwei Gruppen die Konstruktion von Geschlecht sowie die Konstruktion von<br />

Berufsanforderungen herausarbeiten und reflektieren.<br />

76


Über die Auseinandersetzung zu den Themen Geschlecht und Beruf hinaus sollten in<br />

einer gendersensiblen Berufs- und Studienorientierung die beiden wichtigen Dimensionen<br />

„Lebensplanung“ sowie „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nicht fehlen: Für<br />

die Umsetzung bieten sich zum Beispiel Interviews mit 30- bis 40-jährigen berufstätigen<br />

Menschen an, die ihren Weg in den Beruf sowie ihren beruflichen und persönlichen<br />

Alltag beschreiben.<br />

Fazit<br />

Generell sollten Lehrkräfte sich ihres Einflusses bei der <strong>Berufswahl</strong> bewusst sein, ebenso<br />

ihrer sowohl im alltäglichen „Doing Gender“ erfolgende Verstärkung „normaler“<br />

Geschlechterdifferenzen wie auch ihrer Möglichkeiten für aktive Aufklärungsarbeit.<br />

Dabei ist für alle Ansätze einer gendersensiblen Berufsorientierung entscheidend,<br />

dass die Schüler/-innen angeregt werden, über Geschlechterzuschreibungen im Allgemeinen<br />

sowie Berufszuschreibungen in Bezug auf das Geschlecht zu reflektieren.<br />

Die eingangs vermutete Entwicklungsrichtung, dass Jugendliche über Angebote<br />

der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe mitunter von einem Studium<br />

abgehalten werden sollen – für deren Verzicht zweifellos auch zutreffende<br />

Argumente benannt werden –, darf gerade nicht durch das Ausblenden der Wünsche<br />

und Ambitionen der Jugendlichen umgesetzt werden: Insbesondere Mädchen<br />

haben oft die besseren schulischen Voraussetzungen für ein Studium und streben<br />

ein solches auch an. Zugleich lassen sie sich offenbar leichter demotivieren: <strong>Eine</strong><br />

gendersensible Berufsorientierung sollte an den Zielen der einzelnen Jugendlichen<br />

ansetzen und sie darin unterstützen, Wege zu finden, wie sie diese realisieren können.<br />

Lehrkräfte sollten sich ihres Einflusses bei der <strong>Berufswahl</strong> bewusst sein sowie der<br />

im alltäglichen „Doing Gender" erfolgenden Verstärkung „normaler“ Geschlech ter -<br />

differenzen.<br />

77


Literatur<br />

Bourdieu, Pierre (1993):<br />

Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main.<br />

Combe, Arno; Gebhard, Ulrich (2012a):<br />

Fragen und Verstehen im Unterricht. »Entselbstverständlichung« und Irritation<br />

als Voraussetzungen verstehenden Lernens. In: Hamburg macht Schule (2012), 4.<br />

S. 30–31.<br />

Combe, Arno; Gebhard, Ulrich (2012b):<br />

Verstehen im Unterricht. Die Rolle von Phantasie und Erfahrung. Wiesbaden.<br />

Faulstich-Wieland, Hannelore; Scholand, Barbara (2017a):<br />

Gendersensible Berufsorientierung – Informationen und Anregungen. <strong>Eine</strong> Handreichung<br />

für Lehrkräfte, Weiterbildner/innen und Berufsberater/innen. Düsseldorf.<br />

Online verfügbar unter: www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_034_2017.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Faulstich-Wieland, Hannelore; Scholand, Barbara (2017b):<br />

Von Geschlecht keine Spur? Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen.<br />

Düsseldorf.<br />

Online verfügbar unter: www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_365_2017.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

Freie und Hansestadt Hamburg/Behörde für Schule und Berufsbildung<br />

(Hrsg.) (2010):<br />

Rahmenvorgaben für die Berufs- und Studienorientierung. Stadtteilschule und<br />

Gymnasium. Hamburg.<br />

78


Freie und Hansestadt Hamburg/Behörde für Schule und Berufsbildung<br />

(Hrsg.) (2017):<br />

Rahmenkonzept Berufsorientierung in der gymnasialen Oberstufe. Hamburg.<br />

Gottfredson, Linda S.:<br />

Circumscription and compromise: A developmental theory of occupational<br />

aspirations. In: Journal of Counseling Psychology (1981), Jg. 28, Heft 6. S. 545–579.<br />

Holland, John L. (1973):<br />

Making vocational choices: A theory of careers. Englewood Cliffs, N. J.<br />

Holland, John L.:<br />

Exploring careers with a typology. What we have learned and some new directions.<br />

In: American Psychologist (1996), Jg. 51, Heft 4. S. 397–406.<br />

Kunert-Zier, Margitta (2005):<br />

Erziehung der Geschlechter. Entwicklungen, Konzepte und Genderkompetenz in<br />

sozialpädagogischen Feldern. Wiesbaden.<br />

Leidner, Robin:<br />

Serving hamburgers and selling insurance. Gender, work, and identity in interactive<br />

service jobs. In: Gender & Society (1991), Jg. 5, Heft 2. S. 154–177.<br />

Liebau, Eckart:<br />

Sozialisationstheorie und Pädagogik. In: Neue Sammlung (1988), 28. S. 156–167.<br />

Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.) (2016): Genesis-Online-Datenbank.<br />

Online verfügbar unter: www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/<br />

BildungForschungKultur/Schulen/Schulen.html (Navigation: Statistik der allgemeinbildenden<br />

Schulen – Ergebnis 21111-0012 und 0015) (letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

79


Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.) (2016):<br />

Bildung und Kultur – Studierende an Hochschulen. Wintersemester 2015/2016.<br />

Wiesbaden.<br />

Steinritz, Gaby; Kayser, Hans; Ziegler, Birgit:<br />

Erfassung des beruflichen Aspirationsfelds Jugendlicher – IbeA, ein Diagnoseinstrument<br />

für Berufsorientierung und Forschung. In: bwp@Berufs- und Wirtschaftspädagogik<br />

(2012), Ausgabe 22.<br />

Online verfügbar unter: www.bwpat.de/ausgabe22/steinritz_etal_bwpat22.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

80


Erprobte Instrumente<br />

zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong> von<br />

Oberstufen schülern/-innen


Modulare Angebote für<br />

die Sekundarstufe II aus dem<br />

Projekt „Zukunft mit Plan“<br />

Einleitung<br />

Der Grad des Einflusses von schulischer Berufsorientierung auf junge Menschen ist bis<br />

heute nicht eindeutig nachgewiesen. So viel lässt sich aber sagen: Den stärksten Einfluss<br />

auf die <strong>Berufswahl</strong> haben Eltern, indem sie z. B. ihre Arbeitserfahrungen in die<br />

Familie hineintragen oder auch ihre Erwartungen bzgl. der <strong>Berufswahl</strong> ihrer Töchter<br />

und Söhne formulieren. An zweiter Stelle stehen die Meinungen der Freunde/-innen<br />

und Gleichaltrigen, gefolgt von den Einflüssen des regionalen Arbeitsmarkts sowie<br />

von Institutionen wie Schule und Berufsberatung<br />

(Dreer, 2013). Für die Gruppe Das entgegengebrachte<br />

der Lehrkräfte heißt das, sie haben<br />

Interesse von Lehrkräften<br />

an den Berufsvor­<br />

sowohl gute Voraussetzungen, Schüler/<br />

-innen beim Thema Berufs- und Studienwahl<br />

zu erreichen, als auch eine Verantwortung,<br />

dies fachlich versiert und re<br />

stellungen ihrer Schüler/<br />

-<br />

flektiert umzusetzen. Studien haben zu-<br />

dem gezeigt, dass insbesondere das entgegengebrachte<br />

Interesse von Lehrkräften<br />

an den Berufsvorstellungen ihrer<br />

Schüler/-innen sich positiv auf die weitere<br />

Motivation der jungen Menschen<br />

auswirkt, sich mit ihrer Berufs- und Studienorientierung<br />

zu beschäftigen (Driesel-<br />

-innen wirkt sich positiv<br />

auf deren Motivation aus,<br />

sich mit ihrer Berufsund<br />

Studienorientierung<br />

zu beschäftigen.<br />

Lange, Kracke, Hany und Schindler, 2013). <strong>Eine</strong> sehr wichtige Erkenntnis, denn das<br />

Wecken von Motivation und damit einhergehend von Eigeninitiative und Ge -<br />

staltungswillen ist ein zentrales und wichtiges Ziel in der Zusammenarbeit mit<br />

82


Schülern/-innen – insbesondere zu Beginn der intensiven Berufs- und Studienorientierung,<br />

etwa zwei Jahre vor Schulabschluss. Das wird vor allem verständlich, wenn wir<br />

uns bewusst machen, dass die <strong>Berufswahl</strong> für jeden (jungen) Menschen großer<br />

Die Situation ist vergleichbar<br />

mit einem<br />

Drahtseilakt: Auf der<br />

einen Seite die hohen<br />

Anforderungen an die<br />

jungen Menschen im<br />

Rahmen des Abiturs und<br />

auf der anderen Seite<br />

die Notwendigkeit, sich<br />

mit ihrer Berufs- und<br />

Studienorientierung<br />

auseinanderzusetzen.<br />

Anstrengungen bedarf. Wer sich noch an<br />

seine letzten Bewerbungen erinnert,<br />

weiß, wie arbeitsintensiv es z. B. ist, erfolgversprechende<br />

Unterlagen zusammenzustellen.<br />

Oberstufenschüler/-innen<br />

haben aber bereits ein anderes großes<br />

Ziel vor Augen: das Abitur den eigenen<br />

Möglichkeiten entsprechend möglichst<br />

gut zu schaffen. Zusammen mit ihrer<br />

Berufsorientierung sind es damit schon<br />

zwei Großprojekte! Die Situation ist vergleichbar<br />

mit einem Drahtseilakt: auf der<br />

einen Seite die hohen Anforderungen im<br />

Rahmen des Abiturs, auf der anderen<br />

Seite die Notwendigkeit, sich mit ihrer<br />

beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen.<br />

Wenn Berufswunsch und Wirklichkeit<br />

zudem weit auseinanderklaffen, ist<br />

die Aufgabe zusätzlich mit größeren Enttäuschungen<br />

verbunden – neben dem hohen Arbeitsaufwand ein weiterer Negativposten.<br />

Für Schüler/-innen an Gymnasien kommt erschwerend die Einführung der<br />

achtjährigen Schulzeit (G8) und das damit gestiegene Arbeitspensum hinzu. Hier kann<br />

es leicht zu Überforderungen kommen. In der Folge werden konkrete berufliche Entscheidungen<br />

von Oberstufenschülern/-innen heut zutage vermehrt auf die Zeit nach<br />

dem Abitur verschoben. Das zeigt sich auch daran, dass sehr viele Abiturienten/-innen<br />

nach der Schule erst einmal ein Auslandsjahr, ein Soziales Jahr oder eine Auszeit ohne<br />

genau festgelegte Pläne machen.<br />

83


Siehe auch „Personalentwicklung:<br />

die neue Rolle der Lehrkräfte“, S. 114 ff.<br />

Beginn der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe<br />

Die Berufsorientierung von Schülern/-innen ist ein über Jahre andauernder Prozess,<br />

der häufig in den ersten Jahren der weiterführenden Schule z. B. mit einem<br />

Girls‘ und Boys‘ Day beginnt. Oberstufenschüler/-innen befinden sich in der letzten<br />

Oberstufenschüler/ ­innen<br />

befinden sich in der<br />

intensiven Phase ihrer<br />

Berufs- und Studienorientierung:<br />

Für fast alle<br />

geht es in den kommenden<br />

zwei Jahren um eine<br />

<strong>Berufswahl</strong>entscheidung.<br />

Etappe dieses Prozesses, in der intensiven<br />

Phase ihrer Berufs- und Studienorientierung:<br />

Für fast alle geht es in den<br />

kommenden zwei Jahren um eine <strong>Berufswahl</strong>entscheidung.<br />

Die schulischen Angebote sollten zu Anfang<br />

der Studienstufe – in der S1 – begin -<br />

nen: In dieser Zeit spüren viele Schüler/<br />

-innen die Dringlichkeit und Bedeutung,<br />

sich stärker mit ihrem beruflichen Werdegang<br />

zu befassen deutlich. Gleichzeitig<br />

bleibt für die Erkundung, Entscheidung<br />

sowie Realisierung der beruflichen Ziele noch ausreichend Zeit bis zum Verlassen<br />

der Schule. Wenn es Lehrkräften zu Beginn der S1 gelingt, die jungen Menschen<br />

für ihre Berufs- und Studienorientierung zu öffnen und zu motivieren, kann eine<br />

fruchtbare, kreative und konstruktive (Zusammen-)Arbeit beginnen, dessen Ergebnisse<br />

in einer fundierten Berufs- und Studienwahl münden.<br />

Erprobte Instrumente für eine <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong> in der Oberstufe:<br />

Das Modulangebot von „Zukunft mit Plan“<br />

Im Projekt „Zukunft mit Plan“ werden seit 2009 Module zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong> von<br />

Oberstufenschülern/-innen entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Die Veranstaltungsformate<br />

sind modular aufgebaut, d. h. in sich abgeschlossen und zugleich<br />

aufeinander aufbauend. Es handelt sich um Workshops, Unternehmens- und Hochschulbesuche,<br />

ein Bewerbungstraining sowie um individuelle Beratungen.<br />

84


Das Modulangebot von<br />

Modul „Zielfindung“<br />

Erarbeiten von Grundlagen für eine fundierte <strong>Berufswahl</strong><br />

Modul „Empowerment“<br />

Gespräche mit Berufseinsteigern/-innen<br />

Modul „Studium live“<br />

(Ausgewählte) Einblicke in Studienwelten<br />

Modul „Studienplanung konkret“<br />

Hochschulsuche und Studienfinanzierung<br />

Modul „Bewerbungstraining“<br />

Erstellen eines individuellen Profils und überzeugender Bewerbungs unterlagen<br />

Modul „Beratungen“<br />

Individuelle Gespräche zur beruflichen Klärung mit Lehrkräften<br />

Modul „Informationsveranstaltungen für Eltern“<br />

Einbinden der Eltern in die Berufs- und Studienorientierung ihrer Kinder<br />

Methodische Anmerkung:<br />

Bei der Durchführung der Module wird<br />

besonderen Wert auf die Herausgabe<br />

eines umfangreichen und ansprechenden<br />

Handouts für die Teilnehmer/<br />

-innen gelegt. Sie erhalten zu Beginn<br />

der Zusammenarbeit einen Berufsorientierungsordner,<br />

der alle Materialien<br />

aus den Veranstaltungen enthält. Die<br />

Schüler/-innen werden kontinuierlich<br />

angeregt und aufgefordert, ihre individuellen<br />

Erkenntnisse und Ergebnisse, die<br />

sie sich während der Module erarbeiten,<br />

im Handout zu dokumentieren. So kann<br />

nach den Veranstaltungen jederzeit mit<br />

den Unterlagen weitergearbeitet werden<br />

– sowohl eigenständig wie auch im<br />

Kontext des Unterrichts.<br />

Mehrere tausend Oberstufenschüler/-innen aus Hamburg und Schleswig-Holstein<br />

haben bis dato die Formate besucht und mit gut und hilfreich bewertet. Mehr als 150<br />

Lehrkräfte besuchten bislang die Lehrerfortbildungen, um Instrumente für eine<br />

<strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong> kennenzulernen.<br />

<strong>Eine</strong> Beschreibung der Projekthistorie<br />

von „Zukunft mit Plan“ befindet sich<br />

im Anhang, S. 140.<br />

85


Modul „Zielfindung“: Erarbeiten von Grundlagen für eine fundierte <strong>Berufswahl</strong><br />

Zu Beginn der inhaltlichen Arbeit mit Oberstufenschülern/-innen am Anfang der S1<br />

bietet sich der Workshop „Zielfindung“ an. Dieser ist besonders für Teilnehmer/-innen<br />

geeignet, die sich am Anfang ihrer intensiven Phase der Berufs- und Studienorientierung<br />

befinden, also in der Regel noch keine <strong>Berufswahl</strong> getroffen haben. Die Veranstaltung<br />

besteht aus insgesamt fünf Arbeitsthemen und kann sowohl ein- bis zweitägig<br />

oder alternativ auch im Rahmen von aufeinander aufbauenden Doppelstunden<br />

(z. B. im Seminarfach) durchgeführt werden. Je nachdem, welcher inhaltliche Bedarf<br />

besteht und welche zeitlichen Möglichkeiten vorhanden sind.<br />

Das Modul „Zielfindung“ enthält folgende Themenblöcke:<br />

a) Biografisches Arbeiten<br />

b) Ausbildung oder Studium? Welcher Berufsweg ist für mich der passende?<br />

c) Joblab (Softwareprogramm zur Erstellung eines Profils und zum Studien- und<br />

Berufsabgleich)<br />

d) Zehn Schritte zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong><br />

e) Individueller Fahrplan<br />

a) Biografisches Arbeiten<br />

Die Schüler/-innen setzen sich mit ihrer Biografie auseinander. Hierbei werden<br />

folgende Aspekte behandelt:<br />

……<br />

die Einstellung der Eltern (und ggf. der Geschwister) zu Ausbildung, Studium<br />

und Weiterbildung<br />

……<br />

das konkrete Arbeitsleben oder auch die Erwerbslosigkeit eines Elternteils<br />

oder beider Eltern<br />

……<br />

die Erwartungen anderer bzgl. ihrer <strong>Berufswahl</strong> (insbesondere die der<br />

Eltern und Freunde/-innen)<br />

……<br />

die eigenen sozialen Kompetenzen, die sie bei ihren Freizeitaktivitäten, in der<br />

Familie und/oder in der Schule erworben haben<br />

86


……<br />

die eigenen Interessen, besonderen Fähigkeiten und Leistungen<br />

……<br />

das Lern- und Arbeitsverhalten<br />

……<br />

die interkulturellen Kompetenzen<br />

(Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Interkulturelle Kompetenzen“<br />

ist insbesondere für junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />

empfehlenswert.)<br />

Die Erarbeitung der Themen erfolgt über ein Arbeitsheft in Einzel-, Tandem- und<br />

Gruppenarbeit. Die Leitung moderiert durch die einzelnen Auf gaben. Nach der<br />

Durchführung von „Biografisches Arbeiten“ wissen die Teilnehmer/-innen, dass<br />

der erste Schritt einer erfolgreichen Berufsorientierung bei der Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Person ansetzt. Sie haben erkannt, dass sie über ein ausgeprägtes<br />

individuelles Profil verfügen, das sie auch benennen können. Sie wurden<br />

angeregt, sich noch intensiver hiermit auseinanderzusetzen und haben Anregungen<br />

erhalten, wie das geschehen kann (z. B. indem sie weitere „Fremdwahrnehmungen“<br />

über sich einholen).<br />

b) Ausbildung oder Studium? Welcher Berufsweg ist für mich der passende?<br />

Die Schüler/-innen erarbeiten in Kleingruppen die Vor- und Nachteile einer Ausbildung<br />

sowie die eines Studiums, z. B. Aspekte wie Kosten eines Studiums oder<br />

Verdienstmöglichkeiten nach einer Ausbildung. Die Ergebnisse der Kleingruppen<br />

werden im Plenum präsentiert und diskutiert sowie bei Bedarf von der Leitung<br />

korrigiert. Im nächsten Schritt prüfen die Teilnehmer/-innen, inwiefern ihre Interessen<br />

und Profileigenschaften, die sie z. B. in „Biografisches Arbeiten“ herausgearbeitet<br />

haben, besser zu einem Studium oder zu einer Ausbildung passen. Sie<br />

haben erkannt, dass das erfolgreiche Absolvieren einer Ausbildung oder eines<br />

Studiums mit vielen Faktoren zusammenhängt, die sie bei ihrer Entscheidung für<br />

eine Ausbildung bzw. für ein Studium berücksichtigen sollten.<br />

87


c) Joblab<br />

Joblab ist eine Multimediasoftware, mit der die Benutzer/-innen ein differenziertes<br />

Profil über sich erarbeiten können. Auf Grundlage von individuellen Eingaben<br />

werden im nächsten Schritt hierzu passende Ausbildungen oder Studien gänge<br />

generiert. In der Veranstaltung werden die Schüler/-innen Schritt für Schritt in das<br />

Programm eingeführt und lernen, sicher damit umzugehen. Sie legen ein Leis -<br />

tungs- sowie Interessenprofil über sich an und erhalten daraufhin individuelle<br />

Vorschläge für Ausbildungen bzw. Studiengänge. Sie erkennen den Zusammenhang<br />

zwischen ihrem Profil und der Ausbildungs- bzw. Studienwahl und werden<br />

angeregt, zu den vom Programm vorgeschlagenen Ausbildungen oder Studiengängen<br />

weiter zu recherchieren. Darüber hinaus wissen sie, wie sie mit der Software<br />

(artverwandte) berufliche Alternativen für sich finden können.<br />

d) Zehn Schritte zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong><br />

In diesem Themenblock wird das „Großprojekt“ Berufsorientierung in der Oberstufe<br />

auf einzelne Arbeitspakete heruntergebrochen und anschließend werden<br />

diese in eine chronologische Reihenfolge gebracht. Hierfür erarbeiten die Teilnehmer/-innen<br />

in Kleingruppen die zehn Schritte und präsentieren sie im Plenum.<br />

Daraufhin erfahren sie, wie die jeweiligen Aufgaben sinnvoll gelöst werden können.<br />

Somit bekommen die Schüler/-innen einen realistischen Eindruck davon,<br />

welche Arbeitsschritte zu einer fundierten Berufs- oder Studienwahl gehören. Sie<br />

werden angeregt, ihren eigenen Stand der Berufsorientierung einzuschätzen, und<br />

motiviert, sich mit den Themen intensiver zu befassen.<br />

e) Individueller Fahrplan<br />

Am Ende des Moduls „Zielfindung“ resümieren die Schüler/-innen ihre erarbeiteten<br />

Ergebnisse, die sie zuvor kontinuierlich in ihrem Berufsorientierungsordner<br />

dokumentiert haben (z. B. aus den Themenblöcken „Joblab“, „Biografisches<br />

88


Arbeiten“ und „Ausbildung oder Studium? Welcher Berufsweg ist für mich der<br />

passende?“). Im nächsten Schritt erstellen sie ihren „Individuellen Fahrplan“ für die<br />

anstehenden Aufgaben: Durch das Resümieren über die Ergebnisse und Impulse<br />

aus dem Modul „Zielfindung“ werden die Schüler/-innen angeregt, ihre Berufsund<br />

Studienorientierung weiter aktiv zu verfolgen und ihrer <strong>Berufswahl</strong> <strong>sichere</strong>r<br />

entgegengehen. Es bietet sich an, das Thema „Individueller Fahrplan“ in Verbindung<br />

mit „Zehn Schritte zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong>“ durchzuführen.<br />

Modul „Empowerment“: Gespräche mit Berufseinsteigern/-innen<br />

In der eintägigen Veranstaltung „Empowerment“ berichten junge Angestellte ausgewählter<br />

Berufe Oberstufenschülern/-innen von ihrem erfolgreichen Übergang<br />

in die Berufstätigkeit und geben persönliche Einblicke in ihren Arbeitsalltag. Hierfür<br />

besuchen die angehenden Abiturienten/-innen zwei Unternehmen oder auch<br />

Institutionen ihrer Wahl. Über die Gespräche werden die Schüler/-innen motiviert,<br />

ihre eigenen Berufsziele im Blick zu behalten und sich mit den erforderlichen Leistungen<br />

sowie den realen Arbeitswelten vertieft auseinanderzusetzen. (<strong>Eine</strong> Betriebserkundung<br />

ist bei den Besuchen nicht vorgesehen – die Zeit vor Ort wird ausschließlich<br />

für den persönlichen Austausch genutzt.)<br />

Der Tagesablauf<br />

Die Veranstaltung beginnt mit Impulsvorträgen am Morgen, in denen Vertreter/<br />

-innen aus der Wirtschaft, von Unternehmensverbänden und/oder aus dem öffentlichen<br />

Dienst den Schülern/-innen ihre Zukunftsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt<br />

innerhalb der jeweiligen Branchen vermitteln. Über die Beiträge werden die<br />

jungen Menschen auf die nachfolgenden Kleingruppengespräche mit den Berufsein<br />

steigern/-innen eingestimmt und zugleich ermutigt, dort selbstbewusst ihre<br />

Fragen zu stellen sowie ihre Interessen zu bekunden.<br />

89


Um einen interessanten Austausch in den Unternehmen und Institutionen zu ermöglichen,<br />

bedarf das Modul „Empowerment“ der längerfristigen und gründlichen Vorbereitung<br />

seitens der Organisatoren/-innen von „Zukunft mit Plan" wie auch der Schüler/<br />

-innen. Hierfür empfiehlt es sich, im Vorfeld eine Informationsveranstaltung an den<br />

Schulen durchzuführen, in der die Interessen der jungen Menschen an Berufsbildern,<br />

Unternehmen und Institutionen erkundet werden sowie erste inhaltliche Planungen<br />

hinsichtlich der Besuche erfolgen. Auf Grundlage der genannten Berufsbranchen<br />

akquirieren die Organisatoren/-innen entsprechende Betriebe. Vor Beginn der Veranstaltung<br />

werden die beiden individuell zusammengestellten Gesprächstermine den<br />

Schülern/-innen mitgeteilt, sodass sie sich auf den Austausch vorbereiten können.<br />

Die Durchführung von „Empowerment“ bietet sich nach der Teilnahme am Modul<br />

„Zielfindung“ an: Die jungen Menschen haben dann bereits (erste) konkrete Berufsvorstellungen,<br />

die zu ihrem Profil passen könnten und über die sie sich bereits informiert<br />

haben.<br />

Modul „Studium live“: Einblicke in Studienwelten<br />

Die eintägige Veranstaltung „Studium live“ bietet Oberstufenschülern/-innen individuelle<br />

Einblicke zu diversen Studiengängen. Hierfür berichten erfolgreiche Studierende aus<br />

unterschiedlichen Fachrichtungen von ihrem Prozess der Studienwahl, ihren Erfahrungen<br />

mit dem Fachbereich wie auch mit der Hochschule. Darüber hinaus sind die zeitliche<br />

Beanspruchung für das Studium, die Finanzierung und das Wohnen wichtige Themen.<br />

Nach einer persönlichen Vorstellung aller Studierenden suchen sich die Schüler/-innen<br />

ihre Gesprächspartner/-innen für die anschließenden Kleingruppengespräche aus.<br />

Über einen biografisch geführten Austausch der angehenden Akademiker/-innen<br />

bekommen sie persönliche Einblicke in das Studienleben, mit all seinen Höhen und<br />

Heraus forderungen. Die Role Models motivieren sie, sich verstärkt mit ihren eigenen<br />

Studienwünschen sowie der Finanzierung auseinanderzusetzen.<br />

90


Ein weiterer Programmpunkt ist der exemplarische Besuch einer Erstsemestervorlesung,<br />

der mit einem Interview der dozierenden Person über Studienanforderungen<br />

und Fragen der Schüler/-innen abschließt. Darüber hinaus geben Hochschulvertreter/<br />

-innen in einem Vortrag allgemeine Informationen über das Studieren, z. B. über die<br />

unterschiedlichen Fachrichtungen, die Anzahl der Studierenden sowie die Zulassungen.<br />

Ein Mittagessen in der Mensa verschafft ihnen Einblick ins Studienleben<br />

außerhalb der Vorlesungen.<br />

Das Gesamtangebot des Moduls „Studium live“ wird von den Schülern/-innen häufig<br />

als sehr hilfreich bewertet – insbesondere der Austausch mit den Role Models öffnet<br />

neue Horizonte, ebenso das Interview mit Dozierenden nach dem Besuch einer<br />

Vorlesung. 6)<br />

Um interessante Gespräche mit den Studierenden zu ermöglichen, bedarf die Durchführung<br />

von „Studium live“ einer frühzeitigen Vorbereitung seitens der Organisatoren/-innen<br />

in Absprache mit den Lehrkräften.<br />

Modul „Studienplanung konkret“: Hochschulsuche und Studienfinanzierung<br />

Oberstufenschüler/-innen, die nach einer intensiven Auseinandersetzung mit ihrer<br />

<strong>Berufswahl</strong> entschieden sind, ein Studium zu beginnen, sollten sich im nächsten<br />

Schritt mit zwei zentralen Themen auseinandersetzen: der Auswahl einer passenden<br />

Hochschule sowie der Sicherstellung der Studienfinanzierung. Im Modul „Studienplanung<br />

konkret“ erarbeiten sie relevante Kriterien für die Wahl einer passenden Hochschule<br />

und bekommen eine Vorstellung von den Kosten eines Studiums sowie einen<br />

Überblick der möglichen Finanzierungswege.<br />

6) Viele Hochschulen bieten seit Jahren<br />

Informationstage an, zu denen in<br />

Hamburg alle Schulen parallel eingeladen<br />

werden und entsprechend viele<br />

Schüler/-innen an dem Tag die Einrichtung<br />

besuchen. In der von der Vodafone<br />

Stiftung beauftragten Studie „Schule,<br />

und dann?“ aus 2014 wurden Schüler/<br />

-innen zu unterschiedlichen Informationsquellen<br />

zur Berufs- und Studienorientierung<br />

befragt: Informationstage von<br />

Hochschulen dieser Art wurden in dem<br />

Zusammenhang als nicht besonders<br />

hilfreich bewertet.<br />

91


Hochschul-Dschungel<br />

Das Angebot an Hochschulen hat sich seit 1990 fast verdreifacht: von 232 auf 619 in<br />

2016 (Centrum für Hochschulentwicklung, 2017). Unter den vielen neuen Institutionen<br />

sind zahlreiche private, die um zahlende Studierende von morgen werben. Im<br />

Themenblock „Hochschul-Dschungel“ setzen sich die Schüler/-innen mit den Vorund<br />

Nachteilen der unterschiedlichen Hochschulen auseinander: mit staatlichen wie<br />

auch privaten Universitäten, Fachhochschulen und Akademien sowie mit Kunst- und<br />

Musikhochschulen. Im nächsten Schritt lernen sie Kriterien kennen, nach denen sie<br />

den passenden Lernort für sich finden können. Die Arbeiten in diesem Themenblock<br />

erfolgen über ein WebQuest, d. h. die Schüler/-innen recherchieren in Kleingruppen<br />

zu vorgegebenen Fragestellungen zum Thema Hochschul-Dschungel mithilfe von<br />

Informationen aus dem Internet. Die Ergebnisse werden in einer Powerpoint-Vorlage<br />

festgehalten und anschließend dem Plenum vorgestellt.<br />

Studienfinanzierung<br />

Mehr als 10 Prozent der Studienabbrecher/-innen nennen eine fehlende Finanzierung<br />

als Grund für das herbeigeführte Ende. Durch die Einführung von Bachelor- und<br />

Masterabschlüssen hat das Thema Studienfinanzierung nochmals an Bedeutung hinzugewonnen.<br />

War es früher noch eher möglich, neben dem Studium zu jobben und<br />

hierfür im Gegenzug bspw. die Anzahl der Semester auszuweiten, so ist das heute nur<br />

noch eingeschränkt machbar: Wenn z. B. Prüfungen innerhalb einer vorgegebenen<br />

Zeit nach mehrmaligen Versuchen nicht erfolgreich abgelegt werden können, folgt<br />

die Exmatrikulation. Darüber hinaus ist durch eine Verdichtung der Studieninhalte das<br />

umfangreiche Jobben im Studium schwieriger geworden.<br />

In diesem Themenblock erhalten Schüler/-innen eine realistische Einschätzung<br />

davon, was ein Studium kostet und welche Finanzierungsmöglichkeiten<br />

bestehen: BAföG, Stipendien, Darlehen, Jobben oder die Unterstützung über<br />

92


die Eltern. Die Erarbeitung erfolgt im Plenum und wird von der Leitung ergänzt.<br />

Die Durchführung des gesamten Moduls „Studienplanung konkret“ erfordert ca.<br />

zwei Doppelstunden oder einen halben Veranstaltungstag.<br />

Modul „Bewerbungstraining“:<br />

Erstellen eines individuellen Profils und überzeugender Bewerbungsunterlagen<br />

Wenn der Übergang von der Schule in ein Unternehmen oder eine Institution gelingen<br />

soll, benötigen Oberstufenschüler/-innen in aller Regel professionelle Unterstützung,<br />

denn erfolgreiches Bewerben ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Neben der<br />

altbewährten Form einer Bewerbung um einen dualen Ausbildungsplatz kommen<br />

heutzutage weitere hinzu, z. B. die um einen dualen Studienplatz – häufig ein besonders<br />

umfangreiches Verfahren, das nicht selten über ein Assessment-Center führt<br />

und mit einem herausfordernden Vorstellungsgespräch im Unternehmen endet.<br />

Darüber hinaus wird für den Zugang zu ausgewählten Studiengängen manchmal<br />

eine Bewerbung verlangt, zumeist in Form eines Motivationsschreibens. Fundierte<br />

Bewerbungstrainings in der Oberstufe sind trotz der offensichtlichen Notwendigkeit<br />

jedoch keineswegs Standard. Vielmehr sieht die Praxis so aus, dass einzelne aktive<br />

Schüler/-innen Lehrkräfte punktuell um Unterstützung bitten. Meis tens geht es dabei<br />

um das Anschreiben oder um die Motivationsseite, die beiden anspruchsvollsten<br />

Aufgaben einer Bewerbung. Hieraufhin folgen in der Regel Einzelgespräche zwischen<br />

den Schülern/-innen und der Lehrkraft. Und weil die Vermittlung von umfassenden<br />

Kenntnissen an eine einzelne Person sehr viel Zeit erfordert, werden ausgewählte<br />

Aufgaben mitunter von Lehrkräften übernommen, insbesondere das Formulieren<br />

von Textpassagen.<br />

In den Gesprächen mit den Ansprechpartnern/-innen der mit „Zukunft mit Plan" ko-<br />

operierenden Schulen stellte sich heraus, dass in der Oberstufe nur selten Bewerbungstrainings<br />

durchgeführt werden. Bei der Frage, warum das so ist, wurden häufig<br />

93


folgende Gründe genannt: Banken- oder Versicherungsvertreter/-innen referieren in<br />

der Oberstufe zum Thema Bewerbungstraining, in der Mittelstufe werden bereits Trainings<br />

durchgeführt, die Schüler/-innen gehen nach dem Abitur erst einmal ein Jahr<br />

ins Ausland oder absolvieren ein Soziales Jahr und viele Oberstufenschüler/-innen<br />

studieren nach der Schule.<br />

Die Motivation der Schüler/-innen ist entscheidend<br />

Das Erstellen von überzeugenden Bewerbungsunterlagen erfordert einiges an Zeit<br />

und Engagement seitens der Schüler/-innen. Im ersten Schritt sollte eine intensive<br />

Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Interessen stattfinden, mit Ausbildungen<br />

und dualen Studiengängen sowie mit Unternehmen oder auch Institutionen.<br />

Hierauf aufbauend folgt das Erstellen der Unterlagen mit Anschreiben, Lebenslauf und<br />

Motivationsseite.<br />

Beim Training ist es deshalb besonders<br />

wichtig, die Schüler/-innen zu Beginn für<br />

ihr Bewerbungsprojekt zu öffnen und zu<br />

motivieren. Gelingt dies nicht, sind die<br />

Ergebnisse in der Regel wenig überzeugend.<br />

Hinzu kommt, dass zu Anfang der<br />

Zusammenarbeit in einem Bewerbungstraining<br />

seitens der Schüler/-innen mit<br />

Es ist besonders wichtig,<br />

die Schüler/-innen zu<br />

Beginn eines Trainings<br />

für ihr Bewerbungsprojekt<br />

zu öffnen und zu<br />

motivieren.<br />

Zurückhaltung und vielleicht sogar Abwehr zu rechnen ist. Die Gründe können vielfältig<br />

sein: fehlende Motivation für den notwendigen Arbeitseinsatz, allgemeine Unsicherheit<br />

oder gar Angst vor Neuem, schlechte Erfahrungen in vorausgegangenen<br />

Bewerbungssituationen oder auch in Praktika sowie Probleme in der Schule oder auch<br />

im Privaten. Hier helfen gezielte Übungen, die Hemmnisse zu erkennen und abzu -<br />

bauen. Ist nach einem Warm-up ihr Interesse gewonnen und erkennen die jungen<br />

Menschen die Chance, die in jedem Bewerbungsprojekt steckt, können wichtige<br />

neue Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse gewonnen werden.<br />

94


Ablauf eines Trainings<br />

a) Warm-up<br />

Gezielte Übungen helfen dabei, (mögliche) Zurückhaltung und Abwehr seitens<br />

der Schüler/-innen abzubauen und sie zu motivieren, ihre Bewerbungschancen<br />

aktiv und intensiv wahrzunehmen. <strong>Eine</strong> wichtige Voraussetzung, um überzeugende<br />

Unterlangen zu erarbeiten, mit denen anschließend erfolgversprechende<br />

Bewerbungsaktivitäten unternommen werden können.<br />

b) Profiling: Auseinandersetzung mit dem persönlichen Profil und den<br />

hierzu passenden Berufen<br />

Die Schüler/-innen erstellen ihr persönliches Profil: Sie reflektieren ihre Interessen,<br />

Kompetenzen und Werte. Anschließend findet ein Matching-Verfahren statt, in<br />

dem die Ergebnisse mit den hierzu passenden Ausbildungen bzw. Studiengängen<br />

abgeglichen werden. <strong>Eine</strong> gute Grundlage für das arbeitsintensive und wichtige<br />

Profiling bietet das Modul „Zielfindung“ mit den einzelnen Themenblöcken „Biografisches<br />

Arbeiten“, „Ausbildung oder Studium? Welcher berufliche Weg ist für<br />

mich der passende?“ und „Joblab“. Darüber hinaus werden die Teilnehmer/-innen<br />

für die Bedeutung ihrer Auftritte in den sozialen Medien im Hinblick auf ihren Bewer -<br />

bungsprozess sensibilisiert (z. B. bei Facebook).<br />

Siehe auch<br />

Modul „Zielfindung", S. 86 ff.<br />

c) Erstellen von Bewerbungsunterlagen<br />

Die Schüler/-innen werden in zentrale Internetportale zum Thema Bewerbungstraining<br />

für Oberstufenschüler/-innen eingeführt. Sie erstellen durch die Moderatorin/den<br />

Moderator angeleitet sukzessive ihre Unterlagen. Der arbeitsintensivste<br />

Teil eines Bewerbungstrainings ist die Unterstützung bei der Formulierung<br />

von aussagekräftigen Anschreiben. In einigen Fällen empfiehlt es sich, zusätzlich<br />

eine Motivationsseite zu erstellen, z. B. bei außergewöhnlichen Umständen, die<br />

erklärt werden sollten, wie etwa unentschuldigte Fehlzeiten aufgrund von Krankheit,<br />

Tod oder Scheidung in der Familie. Das Texten der Schreiben ist (nicht nur<br />

für die jungen Menschen) eine besondere Herausforderung. Bei der Entwicklung<br />

95


enötigen sie in der Regel intensive Begleitung. Bei größeren Defiziten in der<br />

deutschen Schriftsprache, zum Beispiel bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund,<br />

ist der Bedarf noch größer. Die Schüler/-innen korrigieren ihre erstellten<br />

Materialien kontinuierlich gegenseitig in Tandemgruppen. Nach der Fertigstellung<br />

folgt ein individueller Mappencheck. Es empfiehlt sich, den Check in den<br />

Tandemgruppen durchzuführen. Sind alle Unterlagen vollständig erstellt, wird das<br />

Thema „Elektronische Bewerbung“ in der Gruppe erarbeitet.<br />

Idealerweise endet der Kurs mit simulierten Vorstellungsgesprächen, die auf<br />

Grundlage der erstellen Bewerbungsmappen geführt werden: Die Rollenspiele<br />

machen den jungen Menschen häufig viel Spaß, zudem bieten sie gute Anlässe<br />

zur Reflexion. Die Auswertungen erfolgen anhand der vorgegebenen Beobachtungskriterien,<br />

die die zuschauenden Schüler/-innen während des Gesprächs<br />

schriftlich festhalten.<br />

Erfolgsfaktoren für gute Arbeitsergebnisse<br />

……<br />

Förderlich für die Motivation und das Erzielen von guten Arbeitsergebnissen ist<br />

es, wenn die Schüler/-innen in den Trainings Unterlagen erarbeiten, die auch tatsächlich<br />

zum praktischen Einsatz kommen: Das kann z. B. eine Bewerbung um<br />

eine reale Ausbildungsstelle, ein anspruchsvolles Praktikum oder auch einen Studienplatz<br />

sein.<br />

……<br />

Alternativ können sich die Schüler/-innen auch fiktiv um einen Ausbildungsplatz<br />

oder ein duales Studium bewerben, der bzw. das im Moment ihren Berufswünschen<br />

entspricht (selbst wenn die Vorstellungen noch sehr vage sind).<br />

……<br />

Von einer Pauschalbewerbung als Gruppenaufgabe für alle Teilnehmer/-innen<br />

ist hingegen abzuraten: Diese verleitet dazu, im Anschreiben „textbaustein artig“<br />

zu formulieren, anstatt überzeugende Aussagen über die eigene Person zu<br />

erarbeiten.<br />

96


……<br />

Besonders motivierend ist es, wenn die Teilnehmer/-innen des Bewerbungstrainings<br />

in den letzten Monaten Unternehmen und/oder Institutionen ihrer Wahl<br />

besucht haben, z. B. im Rahmen der Veranstaltung „Empowerment“. Im besten<br />

Fall wurden sie in den Gesprächen motiviert, engagiert ihren Weg zum Wunschpraktikum,<br />

dualen Studium oder zur Traumausbildung zu verfolgen.<br />

auch<br />

Modul „Empowerment", S. 89 f.<br />

Modul „Beratungen":<br />

Individuelle Gespräche zur beruflichen Klärung mit Lehrkräften<br />

Im Prozess der Berufs- und Studienorientierung entstehen bei jungen Menschen viele<br />

Fragen, die sie nicht alleine klären können und von Experten/-innen beantwortet<br />

werden sollten – sowohl in der Orientierungsphase aber auch in der Zeit der Realisierung<br />

der Berufswünsche. Für professionelle Beratungen von Oberstufenschülern/<br />

-innen ist die Bundesagentur für Arbeit, in Hamburg das Team Akademische Berufe<br />

der Agentur für Arbeit, zuständig. Im Schulalltag hingegen wenden sich Schüler/<br />

-innen mit ihren Fragen zur <strong>Berufswahl</strong> häufig an ihre Lehrer/-innen. Manche Lehrkräfte<br />

(die für die Berufs- und Studienorientierung zuständig sind) sprechen auch gezielt<br />

einzelne Schüler/-innen an, etwa weil sie wissen, dass sie Unterstützung benötigen.<br />

Damit alle jungen Menschen die nötige Unterstützung erhalten, ist es empfehlens-<br />

Siehe<br />

wert, wenn Schulen verlässliche Beratungen durchführen. Denn Untersuchungen von<br />

Kracke und Schmitt-Rodermund (2001) haben gezeigt, dass gerade junge Menschen,<br />

die noch nicht genau wissen, wohin die berufliche Reise geht, weniger aktiv Austausch<br />

und Rat bei anderen suchen. Jedoch gerade die weniger Aktiven benötigen<br />

in besonderem Maße sowohl fachlichen Rat sowie ein motivierendes Gespräch. Vor<br />

allem am schwierigen Anfang der intensiven Berufs- und Studienorientierung in der<br />

Oberstufe, dem Profiling und dem Matching des Profils mit hierzu passenden Ausbildungen<br />

oder Studiengängen. Wenn größere Klarheit über berufliche Ziele vorhanden<br />

7) 8)<br />

ist, werden junge Menschen in der Regel aktiver.<br />

7) Das Ausmaß, in dem sich Jugend liche<br />

Informationen über ihre Zukunftsoptionen<br />

beschaffen, variiert individuell<br />

erheblich. Zum einen hat es ganz entscheidend<br />

damit zu tun, ob Jugendliche<br />

insgesamt dazu neigen, Probleme aktiv<br />

anzugehen, und davon überzeugt sind,<br />

Ziele, die sie sich gesetzt haben, auch<br />

erreichen zu können. Zudem ist entscheidend,<br />

ob Jugendliche sich trauen,<br />

andere Menschen anzusprechen oder<br />

unvertraute Situationen aufzusuchen,<br />

also insgesamt offen für Neues sind<br />

(Kracke und Schmitt-Rodermund, 2001).<br />

8) Die vom Institut für Demoskopie<br />

Allensbach im Auftrag von Vodafone<br />

durchgeführte Studie aus dem Jahr 2014<br />

zeigt, dass sich gerade Schüler/-innen<br />

aus bildungsfernen Elternhäusern mehr<br />

Unterstützung bei der Ausbildungs- und<br />

<strong>Berufswahl</strong> wünschen.<br />

97


Ziel der schulischen Beratungen ist es, die jungen Menschen kontinuierlich und<br />

strukturiert bei ihrem individuellen Prozess der Berufs- und Studienorientierung zu<br />

begleiten.<br />

Folgende Themen bieten sich für die Gespräche an:<br />

……<br />

Profilerstellung<br />

……<br />

Matching von Profil und Ausbildungsberufen bzw. Studiengängen<br />

……<br />

Entscheidung für ein passendes Studium oder eine passende Ausbildung<br />

……<br />

Suche nach einer geeigneten Hochschule oder einem geeigneten<br />

Ausbildungsplatz<br />

……<br />

Erstellen der Bewerbungsunterlagen<br />

……<br />

Klärung und Planung der Studienfinanzierung<br />

……<br />

Persönliche Fragen, die den Prozess der Berufs- und Studienorientierung<br />

beeinflussen (z. B. familiäre Krisen)<br />

<strong>Eine</strong> gute Möglichkeit für die Durchführung von Beratungen sind z. B. Lernentwicklungsgespräche<br />

oder Berufsorientierungswochen. Bei Interesse seitens der Schüler/<br />

-innen ist es empfehlenswert, Tandemgespräche anzubieten – gemeinsam mit der<br />

besten Freundin, dem besten Freund oder mit vertrauten Schülern/-innen, die ähnliche<br />

Ausbildungs- bzw. Studienwünsche haben. Neben dem Nutzen für die Teilnehmer/-innen<br />

wird so auch etwas weniger Zeit für die Beratungen benötigt.<br />

9) Siehe auch<br />

www.berufswahlpass.de.<br />

Als Gesprächsgrundlage ist der Berufsorientierungsordner aus dem Workshop „Zielfindung“<br />

gut geeignet, in dem die individuellen Veranstaltungsergebnisse dokumentiert<br />

und alle wichtigen Materialien für eine <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong> enthalten sind.<br />

Alternativ oder auch ergänzend kann der <strong>Berufswahl</strong>pass eingesetzt werden, wenn<br />

er an der Schule aktiv genutzt wird. 9) Ebenso ist es möglich, vor dem Gespräch einen<br />

Fragebogen auszuteilen, in dem die Schüler/-innen zum aktuellen Stand ihrer Berufsund<br />

Studienorientierung befragt werden.<br />

98


Um in den Beratungen sinnvolle Informationsquellen gemeinsam anschauen zu können,<br />

sollte ein Laptop mit Internetverbindung eingesetzt sowie aus ge wählte Informationsmaterialien<br />

ausgeteilt werden. In einem individuellen Fahrplan werden nächste<br />

Arbeitsschritte vereinbart und dokumentiert.<br />

Sinnvolle Gesprächsanlässe<br />

Damit die Beratungen besonders wirkungsvoll sind, ist es empfehlenswert sinnvolle<br />

Gesprächsanlässe für die Durchführungen zu wählen.<br />

Folgende Zeitpunkte bieten sich an:<br />

……<br />

Nach schulischen Gruppenangeboten zur Berufs- und Studienorientierung<br />

Spätestens ein halbes Jahr nach dem ersten schulischen Gruppenangebot zur<br />

Berufs- und Studienorientierung (wie z. B. „Zielfindung“, „Studium live“ oder<br />

„Empowerment“), Ende der S1/Anfang der S2.<br />

……<br />

Nach einem Praktikum<br />

Um die Praktikumserfahrungen individuell auszuwerten und zu besprechen,<br />

welche nächsten sinnvollen Schritte folgen.<br />

……<br />

Vor längeren Ferienzeiten<br />

Längere Ferienzeiten sind sehr gut geeignet, um sich einerseits zu erholen und<br />

einen freien Kopf zu bekommen und gleichzeitig in dieser entspannten Zeit über<br />

die berufliche Zukunft nachzudenken, zu recherchieren oder etwas auszuprobieren<br />

(z. B. in Form eines Praktikums).<br />

……<br />

Am Anfang der S3 (für Schüler/-innen mit Ausbildungswünschen)<br />

Für Schüler/-innen, die eine duale Ausbildung anstreben, wird es am Anfang der<br />

S3 Zeit, die intensive Phase der Bewerbungsaktivitäten zu beginnen. Kann die<br />

Schule kein Bewerbungstraining anbieten, sollten die Schüler/-innen in einem<br />

99


Gespräch über die erforderlichen Arbeitsschritte und die zentralen Informationsquellen<br />

informiert werden. Die Durchführung bietet sich in Kleingruppen an.<br />

Siehe auch „Personalentwicklung:<br />

die neue Rolle der Lehrkräfte“, S. 114 ff.<br />

Siehe auch „Genderaspekte und -herausforderungen<br />

in der Berufs- und Studienorientierung“,<br />

S. 60 ff.<br />

Siehe auch Linkliste „Berufs- und<br />

Studien orientierung in der Oberstufe“<br />

auf www.zukunft-mit-plan.de.<br />

……<br />

Ein halbes Jahr vor dem Abitur<br />

Zu diesem Zeitpunkt ist es gut zu wissen, wo die Schüler/-innen in ihrer Berufs-<br />

und Studienorientierung stehen, um sie bei etwaigen Fragen nochmal aktiv<br />

unterstützen zu können. Bei Bedarf sollte der Kontakt zu externen Beratungseinrichtungen,<br />

z. B. zum Team Akademische Berufe in Hamburg (Agentur für Arbeit),<br />

erneut aufgenommen bzw. angeregt werden.<br />

Beratungskompetenzen der Lehrkräfte<br />

Die beratenden Lehrkräfte sollten für die Durchführung der Gespräche über die hierfür<br />

notwendigen Kompetenzen verfügen. Für eine geschlechtsneutrale Beratung ist<br />

darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit „Doing Gender“ Voraussetzung. Schüler/<br />

-innen, die Interesse an den noch recht neuen Berufsschwerpunkten „Green Jobs“<br />

und Green Studies“ haben, sollten in den Gesprächen Informationsmaterialien erhalten<br />

und Kontakte vermittelt bekommen, um sich vertieft informieren zu können.<br />

Siehe zum Beispiel die Linkliste „Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe“ auf<br />

www.zukunft-mit-plan.de.<br />

100


Literatur<br />

Vodafone Stiftung Deutschland gGmbH (Hrsg.) (2014):<br />

Schule, und dann? Herausforderungen bei der Berufsorientierung von Schülern in<br />

Deutschland. Düsseldorf.<br />

Kracke, Bärbel; Schmitt-Rodermund, Eva:<br />

Adolescents‘ career exploration in the context of educational and occupational transitions.<br />

In: Nurmi, Jari-Erik (Hrsg.) (2001): Navigating through adolescence. European<br />

Perspectives. New York.<br />

101


Die Rolle der Eltern und wie<br />

Schulen sie mit ins Boot nehmen<br />

Einleitung<br />

Eltern haben einen großen Einfluss auf die Berufs- und Studienorientierung ihrer Töchter<br />

und Söhne und spielen für den Verlauf und das Ergebnis eine entscheidende Rolle<br />

(Neuenschwander, 2013). Drei große Einflussfaktoren<br />

sind dabei von besonderer Eltern haben einen<br />

Bedeutung:<br />

großen Einfluss auf die<br />

Studien- und Berufs orien­<br />

……<br />

Die Vorbildfunktion<br />

In Familien wird das Thema Berufstätigkeit<br />

ganz unterschiedlich behantierung<br />

ihrer Töchter und<br />

delt, je nachdem wie Eltern das Ar- Söhne: Sie spielen für den<br />

beitsleben erleben – etwa mühsam,<br />

Verlauf und das Ergebnis<br />

spannend oder arbeitsintensiv. Sind<br />

Eltern beruflich aktiv und zufrieden, eine entscheidende Rolle.<br />

so wachsen junge Menschen in der<br />

Regel mit positiven Erwartungen bezüglich ihres eigenen Berufsweges auf. Verbinden<br />

Eltern mit Berufstätigkeit jedoch vielfach Unannehmlichkeiten oder sind<br />

sie sogar über eine lange Zeit arbeitssuchend, prägt das im negativen Sinne ihre<br />

Töchter und Söhne.<br />

……<br />

Die Erwartungen bzgl. der <strong>Berufswahl</strong><br />

Der Bildungshintergrund der Eltern beeinflusst den angestrebten Ausbildungsweg<br />

der jungen Menschen entscheidend. Häufig erwarten z. B. Eltern mit akademischer<br />

Bildung, dass ihre Töchter und Söhne auch studieren. Und Eltern<br />

ohne Studienerfahrungen sind ggf. verunsichert, wenn Studienwünsche verfolgt<br />

werden.<br />

102


……<br />

Die Kommunikation über das Thema Berufsorientierung im<br />

Zusammenhang mit Genderaspekten<br />

Eltern haben einen nicht unerheblichen Einfluss darauf, wie ihre Töchter und<br />

Söhne über einzelne Fächer denken – etwa wie Mädchen zu technischen und<br />

Jungen zu musischen oder künstlerischen Fachrichtungen stehen. Werden z. B.<br />

Mädchen zu Hause ganz selbstverständlich an Technik und Handwerk herangeführt,<br />

sind sie in der Regel hierfür auch in der Schule offener. Beim Thema<br />

Berufs- und Stu dien wahl zeigen sich Gendereinflüsse deutlich bei der Frage, ob es<br />

für Töchter genauso selbstverständlich ist, sich beruflich verwirklichen zu dürfen,<br />

wie für Söhne.<br />

Siehe auch „Genderaspekte und -herausforderungen<br />

in der Berufs- und Studienorientierung“,<br />

S. 60 ff.<br />

Zahlreiche Studien zeigen auf, dass heutzutage in den meisten Familien eine vertrauensvolle<br />

Beziehung zwischen Eltern – bzw. mindestens zwischen einem Elternteil<br />

– und ihren Töchtern und Söhnen besteht. Sie sind für die jungen Menschen<br />

wichtige Vertraute in allen Lebensfragen (Shell Jugendstudie, 2015) und zugleich<br />

Eltern unterstützen ihre<br />

Töchter und Söhne bei<br />

der Berufs- und Studienorientierung<br />

mit großem<br />

Einsatz und nach bestem<br />

Wissen.<br />

die wichtigsten Verbündeten in der unsicher<br />

gewordenen Welt wie Hurrelmann<br />

es beschreibt (siehe S. 43). Auch beim<br />

Thema Berufs- und Studienorientierung<br />

unterstützen sie in der Regel mit großem<br />

Einsatz und nach bestem Wissen.<br />

Immer wieder führen sie Gespräche mit<br />

ihren Söhnen und Töchtern, nicht selten<br />

helfen sie beim Schreiben von Bewerbungen,<br />

suchen mit ihnen zusammen einen Praktikums-, Ausbildungs- oder Stu dienplatz.<br />

Darüber hinaus fangen sie die jungen Menschen mit all ihren Emotionen auf,<br />

die auf dem Weg zur <strong>Berufswahl</strong> aufkommen wie etwa Freude, Angst, Zuversicht und<br />

Zweifel. Damit übernehmen Eltern einen Großteil der begleitenden Arbeiten.<br />

Siehe auch „Erwartungen Jugendlicher<br />

an das Berufsleben“, S. 38 ff.<br />

103


Die Bundesagentur für Arbeit wie auch viele Hochschulen haben in den letzten Jahren<br />

beim Thema Berufs- und Studienorientierung die Gruppe der Erziehungsberechtigten<br />

stärker in den Blick genommen. Sie bieten entsprechende Newsletter, Veranstaltungen<br />

wie auch Informationen auf ihren Homepages. Trotz zahlreicher Infor mations<br />

quel len, die Eltern heutzutage zur Verfügung stehen, und trotz ihres großen<br />

Engagements sind das Wissen und die Erfahrungen von Experten/-innen unerlässlich.<br />

Denn ihr eigener Berufseinstieg liegt<br />

schon lange zurück und seither hat sich<br />

eine Menge verändert: Bewerbungsstandards,<br />

das Angebot an Ausbildungen<br />

und Studiengängen sowie die jeweiligen<br />

Anforderungen und Beschäf -<br />

tigungsperspektiven.<br />

Schulen arbeiten von der Vorschule an<br />

viele Jahre intensiv mit Eltern zusammen.<br />

In der Oberstufe verändert sich<br />

das meistens, nicht zuletzt aufgrund der<br />

nahenden Volljährigkeit der Schü ler/<br />

-innen und dem Ende der Schulzeit. Auch<br />

die Kooperation beim Thema Berufsund<br />

Studienorientierung in der Oberstufe<br />

mit Erziehungsberechtigten ist an<br />

vielen Hamburger Schulen kein fester<br />

Für Eltern ist es von<br />

großem Wert, wenn sie,<br />

insbesondere am Anfang<br />

der S1, über die Angebote<br />

und Veranstaltungen<br />

zum Thema Berufs- und<br />

Studienorientierung in<br />

der Oberstufe, über deren<br />

Zielsetzungen sowie die<br />

verwendeten Materialien<br />

informiert werden.<br />

Bestandteil. Dabei wäre es für Familien von großem Wert, wenn, insbesondere am<br />

Anfang der S1, entsprechende Angebote durchgeführt würden. Denn Eltern sollten<br />

über Veranstaltungen informiert werden, die an Schulen stattfinden, sowie über Zielsetzung<br />

und verwendete Materialien.<br />

104


Informationsveranstaltungen für Eltern<br />

Aufgrund der zentralen Bedeutung von Eltern beim Thema Berufs- und Studien orientierung<br />

in der Oberstufe wurden im Projekt „Zukunft mit Plan“ entsprechende Informationsveranstaltungen<br />

konzipiert, erprobt und weiterentwickelt. Ziel der Angebote<br />

ist es, ihnen möglichst am Anfang der Studienstufe den Prozess der Berufsorientierung<br />

zu vermitteln sowie Einblicke in zentrale Informationsquellen zu bieten. Darüber<br />

hinaus werden sie angeregt, ihre Rolle bei der Berufsorientierung ihrer Tochter bzw.<br />

ihres Sohnes zu reflektieren wie auch aktiv, beratend und zugleich sensibel anzunehmen<br />

und zu gestalten. Im Idealfall werden die Veranstaltungen von einer Lehrkraft<br />

ergänzt, die das Curriculum zur Berufs- und Studienorientierung (BOSO- Curriculum)<br />

vorstellt.<br />

Folgende Themen sind für Veranstaltungen besonders geeignet:<br />

Standardthemen<br />

……<br />

Die Berufs- und Studienwahl als Entwicklungsaufgabe<br />

……<br />

Die Rolle der Eltern bei der Studien- und Berufsorientierung<br />

……<br />

Zehn Schritte zum erfolgreichen Studium/zur erfolgreichen Ausbildung *<br />

……<br />

Ausbildung oder Studium? Welcher Weg ist für mich der passende? *<br />

……<br />

Vorstellung von zentralen Portalen, Materialien, Programmen *<br />

Die mit Sternchen* versehenen Themen<br />

sind Bestandteil aus den Modulen<br />

„Zielfindung“ sowie „Studienplanung<br />

konkret“, S. 86 ff.<br />

Vertiefende Themen<br />

……<br />

Studienfinanzierung *<br />

……<br />

Hochschul-Dschungel *<br />

Im Vorfeld der Veranstaltung sollte das Interesse der Eltern an den jeweiligen Themen<br />

erfragt werden.<br />

105


10) Zielgruppe der Formate von<br />

„Zukunft mit Plan“ waren bislang im<br />

Schwerpunkt Hamburger Schulen mit<br />

einem überdurchschnittlich hohen<br />

Anteil an jungen Menschen mit Migrationshintergrund.<br />

Denn (Oberstufen-)<br />

Schüler/-innen aus Familien mit<br />

Migrations hintergrund und/oder ohne<br />

Hochschul erfahrungen benötigen meist<br />

intensivere Unterstützung bei der Berufsund<br />

Studienorientierung.<br />

Die Ansprache und das Erreichen von Eltern<br />

Bei den Durchführungen der Veranstaltungen zeigten sich gravierende Unterschiede,<br />

je nachdem in welchen Stadtteilen sie angeboten wurden bzw. in welchem Bundesland.<br />

An Schulen in Schleswig-Holstein konnten z. B. mit einer einfachen Einladung<br />

über die sogenannte Ranzenpost sehr viele Eltern gewonnen werden. An den kooperierenden<br />

Schulen in Hamburg mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Familien<br />

mit Migrationshintergrund und/oder aus Familien ohne Hochschul erfahrungen<br />

war das nicht immer der Fall. 10)<br />

Folgende Vorgehensweisen haben sich für das Erreichen von Eltern an Hamburger<br />

Schulen als besonders hilfreich erwiesen:<br />

……<br />

Eltern werden zusätzlich zur Ranzenpost über einen aktiven Elternrat oder über<br />

Eltern-Mentoren/-innen z. B. aus Elterncafés eingeladen.<br />

……<br />

Zuständige Lehrkräfte für die Berufs- und Studienorientierung (BO-Lehrer/-innen)<br />

und/oder Tutoren/-innen pflegen einen besonders guten Kontakt zu den Familien<br />

und erreichen diese über eine persönliche Einladung.<br />

……<br />

Der Elternabend wird mit einer Einführungsveranstaltung zu den Inhalten der<br />

Oberstufe am Anfang der S1 kombiniert und gemeinsam durchgeführt.<br />

Der erfolgreichste Ansatz war der letztere, also die Kombination des Elternabends<br />

mit einer Einführungsveranstaltung am Anfang der S1. Trotz eines umfangreichen<br />

Programms bleibt für das Thema Berufs- und Studienorientierung noch ausreichend<br />

Zeit, um Eltern für das wichtige Thema zu sensibilisieren und ihnen sowohl einen<br />

Überblick über den Prozess der <strong>Berufswahl</strong> zu geben als auch konkrete Informationen<br />

für die nächsten Schritte zu vermitteln. Für Erziehungsberechtigte, die darüber hinaus<br />

noch weiteren Bedarf haben, können ggf. Folgever anstaltungen angeboten werden.<br />

106


Eltern mit Migrationshintergrund<br />

Familien mit Zuwanderungsgeschichte wachsen in Deutschland in sehr unterschiedlichen<br />

Milieus auf. Ihre Lebensstile und Wertorientierungen unterscheiden sich deutlich<br />

voneinander wie auch die der Familien ohne Migrationshintergrund. Allerdings<br />

weisen Familien mit Migrationshintergrund erheblich häufiger ungünstige sozioökonomische<br />

Positionierungen auf, was sich nachteilig auf ihre Bildungschancen<br />

auswirkt (Granato, 2013). Studien belegen seit Langem, dass junge Frauen und Männer<br />

mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft schwierige und langwierige<br />

Übergangsprozesse durchlaufen: „Die Ausbildungsperspektiven für bildungsbenachteiligte<br />

Jugendliche bleiben weiterhin prekär“, heißt es im Bildungsbericht Deutschland<br />

2016. Bildungsbenachteiligt sind<br />

trotz leichter Verbesserung im Vergleich<br />

zu den Vorjahren neben Kindern aus bildungsfernen<br />

Elternhäusern besonders<br />

Personen mit Migrationshintergrund.<br />

D. h. Familien mit Migrationshintergrund<br />

benötigen besonders intensive Beratung,<br />

um ihre Töchter und Söhne umfassend<br />

unterstützen zu können. Ein wich-<br />

Familien mit Migrationshintergrund<br />

benötigen<br />

besonders intensive<br />

Beratung, um ihre Töchter<br />

und Söhne umfassend<br />

unterstützen zu können.<br />

tiger Grund hierfür ist, dass sie sich mit dem deutschen Ausbildungs- und/oder Studien<br />

system häufig weniger gut auskennen. Mitunter unterschätzen sie z. B. die Qualität<br />

des dualen Ausbildungssystems in Deutschland, das international einen hervorragenden<br />

Ruf genießt, weil es kein vergleichbares Modell in ihren Herkunftsländern<br />

gibt. Hinzu kommt, dass sie im Vergleich zum Durchschnitt seltener (in Deutschland)<br />

studiert haben und sich hierzu entsprechend weniger gut auskennen. Noch heute ist<br />

der Anteil an Studierenden mit Migrationshintergrund an deutschen Hochschulen in<br />

Relation zum Bevölkerungsanteil mit 11 Prozent sehr gering und die Studienabbrüche<br />

mit bis zu 40 Prozent überdurchschnittlich hoch (Ebert und Heublein, 2017).<br />

107


Ein weiterer Aspekt ist, dass Familien mit Zuwanderungsgeschichte häufig eine hohe<br />

Bildungsorientierung mitbringen, wie Studien seit Langem belegen (Granato, 2013).<br />

Diese betrifft vor allem Eltern, die selbst nur eingeschränkte Chancen beim Zugang<br />

zu Bildung und Beruf hatten und den sozialen Aufstieg auf die nachfolgende Generation<br />

„verschieben“. Die ausgeprägte Bildungsorientierung ist gekoppelt an hohe<br />

Erwartungen im Hinblick auf die berufliche Entwicklung ihrer Kinder.<br />

<strong>Eine</strong> weitere Besonderheit ist, dass die Generationsverhältnisse in Familien mit Migrationshintergrund<br />

zum Teil weniger partnerschaftlich sind, sodass der Wunsch der Eltern<br />

Eltern ohne Hochschulerfahrungen<br />

benötigen<br />

zielgerichtete Informationen<br />

über das Studieren<br />

in Deutschland.<br />

nicht selten einen überdurchschnittlich<br />

großen Einfluss auf die <strong>Berufswahl</strong>entscheidung<br />

der jungen Menschen hat<br />

(Maschetzke, Oechsle, Knauf und Ro sowski,<br />

2009).<br />

Eltern ohne Hochschulerfahrungen<br />

Auch Eltern ohne Hochschulerfahrun gen,<br />

deren Töchter und/oder Söhne ein Studium<br />

in Betracht ziehen, benötigen zielgerichtete Informationen über das Studieren<br />

in Deutschland. Initiativen wie „Arbeiterkind“ und „Studienkompass“ bieten z. B. entsprechende<br />

Materialien.<br />

Bei der Zusammenarbeit mit Eltern zum Thema Berufs- und Studienorientierung in der<br />

Oberstufe ist es empfehlenswert, ihre besonderen Lebenshintergründe mitzudenken<br />

und zu berücksichtigen.<br />

108


Literatur<br />

Bundesagentur für Arbeit; Bundesarbeitsgemeinschaft SchuleWirtschaft<br />

(Hrsg.) (2014):<br />

Eltern erwünscht!? – Wie Zusammenarbeit in der Berufs- und Studienorientierung<br />

gelingen kann. Ostbevern.<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2017):<br />

Das Aktivierungspotenzial von Eltern im Prozess der Berufsorientierung –<br />

Möglichkeiten und Grenzen. Tübingen und Bielefeld.<br />

Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (Hrsg.) (2016):<br />

Bildung in Deutschland 2016 – Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu<br />

Bildung und Migration. Bielefeld.<br />

Granato, Mona:<br />

Berufliche Orientierung und Berufsfindungsprozesse junger Frauen und Männer mit<br />

Migrationshintergrund. In: Brüggemann, Tim; Rahn, Sylvia (Hrsg.) (2013): Berufsorientierung.<br />

Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Münster.<br />

Heublein, Ulrich; Ebert, Julia; Hutzsch, Christopher; Isleib, Sören; König,<br />

Richard; Richter, Johanna; Woisch, Andreas (2017):<br />

Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit – Ursachen des Studienabbruchs,<br />

beruflicher Verbleib der Studienabbrecherinnen und Studienabbrecher und<br />

Entwicklung der Studienabbruchquote an deutschen Hochschulen. Hannover.<br />

Online verfügbar unter: www.dzhw.eu/pdf/pub_fh/fh-201701.pdf<br />

(letzter Zugriff am 9.1.2018).<br />

109


Maschetzke, Christiane; Oechsle, Mechtild; Knauf, Helen; Rosowski, Elke<br />

(Hrsg.) (2009):<br />

Abitur und was dann? Berufsorientierung und Lebensplanung junger Frauen und<br />

Männer und der Einfluss von Schule und Eltern. Heidelberg.<br />

Neuenschwander, Markus, P.:<br />

Elternarbeit in der Berufsorientierungsphase. In: Brüggemann, Tim; Rahn, Sylvia<br />

(Hrsg.) (2013): Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Münster.<br />

Shell Deutschland (Hrsg.) (2015):<br />

Shell Jugendstudie 2015. Frankfurt.<br />

110


Weiterentwicklung<br />

der Berufs- und<br />

Studienorientierung<br />

in der Oberstufe<br />

Erkenntnisse und Erfahrungen<br />

aus dem Projekt „Zukunft mit Plan“


Erforderliche Rahmenbedingungen:<br />

die Personal-, Unterrichtsund<br />

Schulentwicklung<br />

Nach den theoretischen Inputs und der Vorstellung der Instrumente von „Zukunft<br />

mit Plan“ liegt der Fokus in diesem Kapitel auf den notwendigen Rahmenbedingungen<br />

für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung.<br />

Im aktuellen Jahresbericht der Schulinspektion<br />

an Hamburger Schulen aus Die Personalentwicklung<br />

ist ein wesentlicher<br />

dem Jahr 2017 mit dem Schwerpunktthema<br />

„Berufs- und Studienorientierung“<br />

lautet ein zentrales Fazit: „Konzeptionel-<br />

le Vorgaben zur Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe allein sind<br />

nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es tierung sowie für nachhaltige<br />

Erfolge.<br />

eines Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesses,<br />

der Fragen der Berufsund<br />

Stu dien orientierung berücksichtigt“ (Institut für Bildungsmonitoring und<br />

Qualitätsent wicklung, 2017). Neben der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist die<br />

Personalentwicklung ein wesentlicher Schlüssel für die Qualität schulischer Berufsorientierung<br />

sowie für nachhaltige Erfolge.<br />

Schlüssel für die Qualität<br />

schulischer Berufsorien­<br />

Im Projekt „Zukunft mit Plan“ sowie im Vorgängerprojekt „Zukunftspilot“ wurden<br />

bereits zahlreiche Erfahrungen mit der Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe gemacht. Seit einigen Jahren liegt der Projektfokus<br />

auf der Implementation der Inhalte und Formate an Pilotschulen in Hamburg und<br />

Schleswig-Holstein: Es geht also in erster Linie nicht mehr um die Durchführung von<br />

112


Veranstaltungen mit Oberstufenschülern/-innen durch Projekt referenten/-innen, sondern<br />

um die Vermittlung der Projektinstrumente sowie der notwendigen Kompetenzen<br />

an Lehrkräfte. Hierfür erhalten sie in praxisorientierten Fortbildungen eine<br />

Einführung in die erprobten, evaluierten Projektmaterialien und -konzepte sowie den<br />

notwendigen theoretischen Input. Ziel aller Fortbildungen ist es, dass die teilnehmenden<br />

Lehrkräfte die Formate anschließend eigenständig an ihren Schulen umsetzen<br />

können. Wie genau die Implementation erfolgt, wird auf den nachfolgenden<br />

Seiten beschrieben.<br />

Veränderungsprozesse an Schulen initiieren<br />

Untersuchungen von Driesel-Lange, Kracke, Hany und Schindler haben gezeigt, dass<br />

Veränderungen an Schulen besonders komplexe, dynamische und ressourcenaufwendige<br />

Prozesse sind, bei denen dringend Unterstützung von außen benötigen wird. Für<br />

eine gelungene Einführung neuer Modelle und Verfahren bedarf es einer „Implementationsbrücke“,<br />

die den einzelnen Personen hilft, die Diskrepanz zwischen den aktuell<br />

bestehenden Überzeugungen sowie Praktiken und den anvisierten Veränderungen zu<br />

überwinden (Driesel-Lange, Kracke, Hany und Schindler, 2013). Zugleich sind Schulen<br />

aber auch sehr erfahren im Umgang mit<br />

Veränderungen, weil sich die Lebenswelten<br />

der Kinder und Jugendlichen in<br />

den letzten Jahrzehnten stark verändert<br />

haben: Die traditionelle Familienkonstellation<br />

Vater, Mutter und Kind(er) löst<br />

sich mehr und mehr auf – u. a. weil jede<br />

zweite Ehe in einer Großstadt geschieden<br />

wird. Hinzu kommt, dass wir unsere<br />

Kinder heute anders erziehen, als unsere<br />

Eltern uns erzogen haben. Um nur zwei<br />

gravierende Veränderungen zu nennen.<br />

Es bedarf einer „Implementationsbrücke“,<br />

um die Diskrepanz zwischen<br />

den aktuell bestehenden<br />

Überzeugungen<br />

sowie Praktiken und den<br />

anvisierten Veränderungen<br />

zu überwinden.<br />

113


Zum Thema Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe wurden die vielschichtigen<br />

Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte bereits im Kapitel „Berufs- und<br />

Studienorientierung in der Oberstufe: die Ausgangslage“ aufgeführt: Die Einführung<br />

des Fachabiturs Ende der 60er Jahre, die<br />

veränderte Schülerschaft in den gymnasialen<br />

Oberstufen der letzten Jahrzehnte<br />

(knapp 60 Prozent der Schüler/-innen in<br />

Hamburg erreichen heute das Abitur)<br />

sowie die Einführung des Bachelor- und<br />

Duale Ausbildungen sind<br />

nicht mehr der Königsweg<br />

der beruflichen Bildung.<br />

Masterstudiums Ende 1999. Zudem entwickelt sich ein starker Trend zum Studium:<br />

Duale Ausbildungen sind nicht mehr der Königsweg in der beruflichen Bildung. Seit<br />

2013 begannen erstmals mehr junge Menschen ein Studium als eine duale Ausbildung.<br />

Heute sind es schon etwa 60 Prozent aller Schulabgänger/-innen, die studieren.<br />

Gleichzeitig verlassen fast 30 Prozent der Studierenden die Hochschule ohne<br />

Abschluss und etwa 25 Prozent lösen ihren ersten Ausbildungsvertrag.<br />

Die Entwicklungen im Themenbereich Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe<br />

erfordern also umfangreiche Veränderungs prozesse an Schulen. Nachfolgend<br />

werden die drei Ebenen Personal-, Unterrichts- und Schul- bzw. Organisationsentwicklung,<br />

die für eine nachhaltige Initiierung von Veränderungsprozessen entscheidend<br />

sind, näher in den Blick genommen.<br />

Personalentwicklung: die neue Rolle der Lehrkräfte<br />

„Wer in Schulen den Unterricht weiterentwickeln will, muss sich auch selbst weiterentwickeln.<br />

[…] Unterrichtsentwicklung ist also auch eine Herausforderung an der eigenen<br />

Person und verlangt nach Personalentwicklung“ (Buhren und Roloff, 2012).<br />

Die Unterstützung von jungen Menschen bei ihrer Berufs- und Studienwahl erfordert<br />

Fertigkeiten, die beim herkömmlichen Unterrichten von Lehrkräften meist nicht<br />

explizit erforderlich sind. Ein Kompetenzprofil für die Vermittlung von qualitätsvoller<br />

114


Berufs- und Studienorientierung existierte lange Zeit nicht. In Anlehnung an die<br />

Beschreibung von Benjamin Dreer (2013) und erweitert um die Projekterkenntnisse<br />

von „Zukunft mit Plan“ sind für die professionelle Unterstützung und Begleitung von<br />

Schülern/-innen bei ihrer Berufs- und Studienwahl folgende Kompetenzen elementar:<br />

……<br />

Das Wissen, dass die <strong>Berufswahl</strong> eine zentrale Entwicklungsaufgabe für junge<br />

Menschen ist, deren Bewältigung der schulischen Unterstützung bedarf.<br />

……<br />

Ein fundierter Überblick über die wichtigsten Informationsquellen zu Ausbildung<br />

und Studium sowie zu aktuellen Gegebenheiten und Entwicklungen.<br />

……<br />

Die Kenntnis zentraler Phasen der Berufs- und Studienorientierung von<br />

Jugendlichen.<br />

……<br />

Die kompetente Durchführung von Instrumenten zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong>.<br />

……<br />

Die Empathie, sich in die individuelle Lage der jungen Menschen zum Thema<br />

Berufs- und Studienorientierung hineinzuversetzen, um auf ihre Emotionen angemessen<br />

reagieren zu können.<br />

……<br />

Die Motivationskraft, Lernende für ihr <strong>Berufswahl</strong>projekt zu öffnen und sie für die<br />

weiteren Arbeitsschritte begeistern zu können.<br />

……<br />

Die Fähigkeit, Lernende bei der Erarbeitung berufsbezogener Ziele zu unterstützen<br />

und initiierte Lernprozesse in den verschiedenen Phasen des <strong>Berufswahl</strong>prozesses<br />

begleiten zu können.<br />

……<br />

Die Reflexionsfähigkeit, die eigene Wirkung zum Thema Berufs- und Studienorientierung<br />

auf andere einschätzen zu können. 11)<br />

11) Das ist insbesondere bei der Frage<br />

wichtig, wie Berufsorientierung im<br />

Zusammenhang mit Genderaspekten<br />

kommuniziert wird – ein noch immer<br />

unterschätztes Thema.<br />

Siehe auch „Genderaspekte und<br />

-herausforderungen in der Berufs- und<br />

Studienorientierung“, S. 60 ff.<br />

115


Für die BO-Beauftragten an den Schulen, deren Aufgaben vielschichtiger und<br />

umfas sender sind als die der Kollegen/-innen, die z. B. Angebote zur Berufs- und<br />

Studienorientierung umsetzen, sind darüber hinaus nachfolgende Kompetenzen<br />

in den Bereichen Kooperation, Organisation, Qualitätsentwicklung und Diagnostik<br />

empfehlenswert:<br />

……<br />

Das Diagnostizieren der berufswahlbezogenen Lern- und Entwicklungsstände<br />

von Jugendlichen sowie auf Grundlage der Erkenntnisse, das Anbieten von geeigneten<br />

Lerngelegenheiten, um zu einer <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong> zu gelangen.<br />

……<br />

Die Kenntnis über zentrale schulische und außerschulische Kooperationspartner<br />

im Kontext der Berufs- und Studienorientierung sowie das Initiieren von Kooperationen<br />

(u. a. mit Eltern).<br />

……<br />

Die Kenntnis über Aufgaben, Zielsetzungen<br />

und Qualitätsmerkmale schulischer<br />

Berufsorientierung, auf dessen<br />

Grundlage die Weiterentwicklungen<br />

der schulischen Berufs- und Studienorientierung<br />

gefördert werden kann.<br />

Berufs- und Studienorientierung beinhaltet<br />

für junge Menschen umfangreiche<br />

Recherchearbeiten. Aber auch die Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Person<br />

spielt eine große Rolle: mit den Interessen,<br />

Werten, Fähigkeiten, dem Arbeits-<br />

und Sozialverhalten. Aufgrund der großen<br />

Anteile an Persönlichkeitsarbeit ist<br />

Aufgrund der großen<br />

Anteile an Persönlichkeitsarbeit<br />

ist es erforderlich,<br />

dass Lehrkräfte im Sinne<br />

einer pädagogischen<br />

Begleitung <strong>Berufswahl</strong>prozesse<br />

Jugendlicher<br />

durch Moderation, Coaching<br />

und Zielsetzungsmethoden<br />

unterstützen.<br />

116


es erforderlich, dass Lehrkräfte aus ihrer traditionell bewertenden und beurteilenden<br />

Rolle heraustreten und im Sinne einer pädagogischen Begleitung <strong>Berufswahl</strong>prozesse<br />

Jugendlicher durch Moderation, Coaching und Zielsetzungsmethoden unterstützen.<br />

Studien von Kracke, Hany, Driesel-Lange und Schindler haben darüber hinaus<br />

gezeigt, dass gerade das von Lehrkräften geäußerte Interesse an der Zukunft ihrer<br />

Schüler/-innen bei diesen zu einer stärkeren Bereitschaft führt, sich mit ihrer <strong>Berufswahl</strong><br />

zu beschäftigen (Kracke, Hany, Driesel-Lange und Schindler, 2011). An Gymnasien<br />

scheint es diesbezüglich besonderen Unterstützungsbedarf zu geben, herrscht<br />

dort doch vielfach eine auf fachliche Inhalte geprägte und eher distanziertere Haltung<br />

gegenüber den Schülern/-innen vor. 12)<br />

Um junge Menschen im sensiblen Prozess der Berufs- und Studienwahl bestmöglich<br />

zu unterstützen, spielen Empathie und Motivation eine Schlüsselrolle: Die Begleiter/-innen<br />

müssen sich in ihre Lage versetzen können und verstehen, welche individuellen<br />

Erwartungen, Ängste, Wünsche<br />

und/oder Sorgen sie beim Thema Berufsund<br />

Studienwahl umtreiben. Denn diese<br />

ist mit Unsicherheiten verbunden – für<br />

die einen mehr, für die anderen weniger.<br />

Zudem ist sie herausfordernd, hochkomplex<br />

und arbeitsintensiv.<br />

Ebenso wichtig ist das Thema Motivation:<br />

Lehrkräfte sollten die jungen Menschen<br />

motivieren können, den un<strong>sichere</strong>n<br />

und zugleich spannenden Weg<br />

Lehrkräfte sollten die<br />

jungen Menschen motivieren<br />

können, den un<strong>sichere</strong>n<br />

und zugleich spannenden<br />

Weg ihrer Berufsund<br />

Studienorientierung<br />

aktiv zu erkunden.<br />

ihrer Berufs- und Studienorientierung aktiv zu erkunden. Ein sehr gutes Beispiel dafür,<br />

wie stark Empathie und Ansporn bei der Unterstützung hineinspielt, bietet die Durchführung<br />

eines Bewerbungstrainings. Geht es hier primär um die Vermittlung von<br />

12) In Untersuchungen hat sich gezeigt,<br />

dass im Vergleich zu anderen Schulformen<br />

die Rolle des Begleiters/der<br />

Begleiterin im längerfristigen Berufsorientierungsprozess<br />

an Gymnasien noch<br />

nicht ausreichend umgesetzt wird: Nur<br />

fast die Hälfte der von Kracke et al. (2011)<br />

befragten Gymnasiasten/-innen nahmen<br />

ihre Lehrer/-innen als an ihrem persönlichen<br />

Werdegang interessiert wahr.<br />

Helsper und Hummerich (2009) führten<br />

dies auf eine auf fachliche Inhalte<br />

fokussierte und eher distanziertere<br />

Haltung der Lehrkräfte gegenüber ihren<br />

Schülern/ ­innen zurück, die an Gymnasien<br />

häufig vorzufinden sei.<br />

117


Siehe auch Modul<br />

„ Bewerbungstraining“, S. 93 ff.<br />

Wissen, greift das Training zu kurz und die Arbeitsergebnisse, sprich die fertigen<br />

Bewerbungsunterlagen, sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ausreichend überzeugend.<br />

Können die jungen Menschen jedoch motiviert werden, Arbeit und Mühen<br />

für ihre berufliche Zukunft zu investieren, werden auch die Bewerbungsunterlagen<br />

eher überzeugen.<br />

Unterrichtsentwicklung: erprobte Instrumente von „Zukunft mit Plan“<br />

Der Themenbereich Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe ist umfangreich<br />

und vielschichtig. Darüber hinaus verändert er sich kontinuierlich und zugleich<br />

Der Themenbereich<br />

Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe<br />

ist umfangreich wie auch<br />

vielschichtig. Er verändert<br />

sich kontinuierlich<br />

und rasant.<br />

rasant (siehe z. B. das Angebot an zurzeit<br />

ca. 17.000 Bachelor- und Masterstudiengängen)<br />

– anders als z. B. Inhalte aus den<br />

Unterrichtsfächern Geschichte, Latein<br />

oder auch Mathematik, die eher gleichbleibend<br />

sind.<br />

Hier setzen die Lehrerfortbildungen des<br />

Projekts „Zukunft mit Plan“ an: Sie bieten<br />

geeignetes Handwerkszeug, aktuelle<br />

Fachinformationen, Materialien und<br />

Methoden zur eigenständigen Durchführung<br />

von Berufsorientierungsveranstaltungen mit Schüler gruppen aus der Sekundarstufe<br />

II. Die Inhalte der Fortbildungen sind indi viduell zusammenstellbar – je nach<br />

den Bedarfen und inhaltlichen Wünschen sowie zeitlichen Möglichkeiten der jeweiligen<br />

Schulen.<br />

118


Schulen stehen folgende Fortbildungsthemen zur Auswahl:<br />

Theoretischer Input<br />

……<br />

<strong>Berufswahl</strong> als Entwicklungsaufgabe<br />

……<br />

Erwartungen Jugendlicher an das Berufsleben<br />

……<br />

Professionelle Unterstützung von Oberstufenschülern/-innen bei der <strong>Berufswahl</strong><br />

……<br />

Die (neue) Rolle der Lehrkräfte<br />

……<br />

Genderaspekte und -herausforderungen in der Berufs- und Studienwahl<br />

Einführung in Unterrichts- und Veranstaltungsformate<br />

……<br />

Biografisches Arbeiten<br />

……<br />

Ausbildung oder Studium? Welcher Berufsweg ist für mich der passende?<br />

……<br />

Joblab (Softwareprogramm zur Erstellung eines Profils und zum Studien- und<br />

Berufsabgleich)<br />

……<br />

Zehn Schritte zur <strong>sichere</strong>n <strong>Berufswahl</strong><br />

……<br />

Individueller Fahrplan<br />

……<br />

Hochschul-Dschungel<br />

……<br />

Studienfinanzierung<br />

……<br />

Bewerbungstraining – mit folgenden Einzelthemen:<br />

……<br />

Warm-up (Ängste ab- und Motivation aufbauen)<br />

……<br />

Bewerbungsstandards für Oberstufenschüler/-innen<br />

……<br />

Profiling<br />

……<br />

elektronische Bewerbungsverfahren<br />

……<br />

zentrale Informationsquellen und Materialien<br />

……<br />

das Vorstellungsgespräch<br />

……<br />

das Assessment-Center<br />

……<br />

Bewerbungen an Hochschulen<br />

……<br />

Integration eines Bewerbungstrainings für Oberstufenschüler/-innen<br />

ins Curriculum<br />

……<br />

Informationsveranstaltungen für Eltern von Oberstufenschülern/-innen<br />

119


Bei den Fortbildungen zu Unterrichts- und Veranstaltungsformaten können die Teilnehmer/-innen<br />

am Ende jeder Veranstaltung die Formate eigenständig mit Schülergruppen<br />

durchführen, z. B. im Rahmen einer Berufsorientierungswoche (BO-Woche)<br />

oder in Doppelstunden an einem gewöhnlichen Schultag. Bei der Verwendung von<br />

Doppelstunden werden häufig freie Unterrichtszeiten im Seminarfach genutzt.<br />

Die Themen werden den Lehrkräften über Praxisübungen, theoretischen Input sowie<br />

im Gespräch vermittelt. Die Teilnehmer/-innen erhalten einen Ordner, in dem alle<br />

vorgestellten Methoden und Materialien (als Printvorlagen wie auch in elektronischer<br />

Form) enthalten sind sowie ein Zertifikat<br />

über die Teilnahme an der Fortbildung.<br />

Im Idealfall haben einzelne Lehrkräfte<br />

zuvor an einer Veranstaltung mit einer<br />

Pilotschülergruppe hospitiert, die von<br />

Projektreferenten/-innen durchgeführt<br />

wurde – so konnten sie sich ein Bild von<br />

dem Format machen und das Feedback<br />

der teilnehmenden Schüler/-innen<br />

direkt erleben.<br />

Bei der Vermittlung der Instrumente zur<br />

Berufs- und Studienorientierung in der<br />

Bei der Vermittlung<br />

der Instrumente zur<br />

Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe<br />

empfiehlt es sich,<br />

auf die Kompetenzen<br />

von Experten/-innen<br />

zurückzugreifen.<br />

Oberstufe empfiehlt es sich, auf die Kompetenzen von Experten/-innen zurückzugreifen,<br />

die zahlreiche Praxiserfahrungen und aktuelles Fachwissen mitbringen.<br />

120


Schul- bzw. Organisations entwicklung: Schulen sind an der Weiter entwicklung<br />

der Berufs- und Studienorientierung interessiert<br />

Spätestens seit den 90er Jahren gilt die Einzelschule als Motor von Schulentwicklungen<br />

– für dessen Wirkungsweisen in erster Linie die Lehrkräfte und Leitungen<br />

selbst verantwortlich sind. Andere Instanzen üben eine eher unterstützende und<br />

Ressourcen sichernde Funktion aus. Die Systemtheorie geht noch einen Schritt weiter<br />

und sagt: Wenn von außen interveniert wird, z. B. von Behörden, dann entscheiden<br />

die Einzelsysteme, also die Schulen selbst, ob und wie sie dieser Intervention nachkommen<br />

(Buhren und Roloff, 2012).<br />

Im Rahmen der Projektarbeit von „Zukunft mit Plan“ und „Zukunftspilot“ engagierten<br />

sich in den letzten neun Projektjahren über zwanzig Schulen für die Weiterentwicklung<br />

ihrer Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe – ganz ohne den Impuls<br />

und die Vorgaben der Hamburger Schulbehörde. Die jeweiligen Schulverantwortlichen<br />

haben sich also freiwillig für eine<br />

Qualitätsentwicklung entschieden – so,<br />

wie es die Literatur beschreibt: Einzelschulen<br />

als Motor von Entwicklung.<br />

Beim Erstkontakt übernehmen Schulleitungen<br />

oder auch Abteilungs leitungen<br />

häufig die Funktion eines „Gate Keepers“:<br />

Sie entscheiden, ob Neuerungen Einlass<br />

Schulleitungen oder<br />

auch Abteilungsleitungen<br />

entscheiden, ob Neuerungen<br />

Einlass in die<br />

Schule finden oder nicht.<br />

finden oder nicht (Buhren und Roloff, 2012). Auch im Projekt „Zukunft mit Plan“ wurden<br />

im ersten Schritt die Schul- und Abteilungsleitungen sowie die Lehrkräfte, die<br />

für das Thema zuständig sind, für die Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe gewonnen. Die Projekterfahrungen haben gezeigt,<br />

121


dass alle angesprochenen Schul- bzw. Abteilungsleitungen für die Weiterentwicklung<br />

der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe sehr offen waren und sich nach<br />

der Vorstellung der Projektangebote für eine Kooperation entschieden haben.<br />

Das Engagement auf den Ebenen der Personal- und Unterrichtsentwicklung kann<br />

seine Wirkungen vor allem dann am besten entfalten, wenn bei der Organisationsentwicklung<br />

darauf geachtet wird, dass das Vorhaben auch machbar ist. D. h. Lehrkräfte<br />

müssen Voraussetzungen vorfinden, die ihnen durch ein Schulentwicklungsprojekt<br />

nicht noch mehr Aufgaben auferlegen, ohne an anderen Stellen für Entlastung<br />

zu sorgen. Ihnen muss glaubhaft vermittelt werden, dass sie für das neue Vorhaben<br />

genügend Zeit haben – für die Einarbeitung und Qualifizierung über Lehrerfortbildungen<br />

sowie für die Durchführungen der neuen Inhalte. Die Verantwortung für die<br />

Festlegung dieser Rahmenbedingungen obliegt vor allem der Schulbehörde sowie<br />

den Schul- und Abteilungsleitungen an den Schulen.<br />

122


Literatur<br />

Behörde für Schule und Berufsbildung/Institut für Bildungsmonitoring und<br />

Qualitätsentwicklung (Hrsg.) (2017):<br />

Jahresbericht der Schulinspektion Schuljahr 2015/2016. Hamburg.<br />

Buhren, Claus G.; Roloff, Hans-Günter (Hrsg.) (2012):<br />

Handbuch Schulentwicklung und Schulentwicklungsberatung. Weinheim und<br />

Basel.<br />

Dreer, Benjamin:<br />

Personalentwicklung als Notwendigkeit und Chance zur Qualitätsentwicklung<br />

schulischer Berufsorientierung. In: Brüggemann, Tim; Rahn, Sylvia (Hrsg.) (2013):<br />

Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Münster.<br />

Driesel-Lange, Katja; Kracke, Bärbel; Hany, Ernst; Schindler, Nicola:<br />

Das Thüringer Berufsorientierungsmodell. In: Brüggemann, Tim; Rahn, Sylvia<br />

(Hrsg.) (2013): Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Münster.<br />

Driesel-Lange, Katja; Kracke, Bärbel; Hany, Ernst; Schindler, Nicola:<br />

Anregung zur eigenständigen Berufsplanung? Angebote der schulischen <strong>Berufswahl</strong>vorbereitung<br />

aus Sicht von Jugendlichen. In: Krekel, Elisabeth M.; Lex, Tilly<br />

(Hrsg.) (2011): Neue Jugend, neue Ausbildung? Bielefeld.<br />

Helsper, Werner; Hummerich, Merle:<br />

Lehrer-Schüler-Beziehung. In: Lenz, Karl; Nestmann, Frank (Hrsg.) (2009): Handbuch<br />

persönlicher Beziehungen. Weinheim.<br />

123


Der Prozess der Implementation<br />

von Instrumenten an Schulen<br />

Nach der Entwicklung und Erprobung der Module wird im Projekt „Zukunft mit Plan“<br />

seit Mitte 2014 die Implementation der Instrumente an Schulen in Hamburg und<br />

Schleswig-Holstein angestrebt und umgesetzt. Nachfolgend wird dieser Prozess<br />

anhand der Zusammenarbeit mit kooperierenden Schulen skizziert. Das Vorgehen<br />

hat sich als besonders erfolgreich erwiesen, denn alle Schulen, an denen die Projektangebote<br />

vorgestellt wurden, haben sich im Anschluss für eine Kooperation entschieden<br />

und arbeiten noch heute mit ausgewählten Instrumenten.<br />

Der Implementationsprozess ist in drei Arbeitsphasen unterteilt:<br />

(A) Akquisition und Maßnahmenplanung,<br />

(B) Lehrerfortbildungen und begleitende Angebote und<br />

(C) Auswertung.<br />

(A) Akquisition und Maßnahmenplanung<br />

1. Schriftliche Information der Schule über das Projektangebot zur Unterstützung<br />

der Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe<br />

2. Projektvorstellung an der Schule sowie erster Informationsaustausch über den<br />

aktuellen Stand der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe: Im Idealfall<br />

nehmen die Schul- und Abteilungsleitungen sowie die Beauftragten für Berufsund<br />

Studienorientierung in der Ober- und Mittelstufe an dem Arbeitstreffen teil<br />

3. Entscheidung der Schule für eine Kooperation<br />

124


4. Vertiefende Gespräche über den aktuellen Stand der Berufs- und Studienorientierung<br />

in der Oberstufe sowie Klärung der konkreten Kooperationswünsche<br />

und -inhalte ( Auswahl der Projektmodule)<br />

5. Maßnahmen- und Veranstaltungsplanung<br />

(B) Lehrerfortbildungen und begleitende Angebote<br />

1. Workshop-Durchführung eines zuvor ausgewählten Moduls mit einer<br />

Pilotschülergruppe durch „Zukunft mit Plan“; Lehrkräfte hospitieren an der<br />

Veranstaltung<br />

2. Auswertung der Veranstaltung und Entscheidung für eine hierauf aufbauende<br />

Lehrerfortbildung zu den Inhalten der Veranstaltung<br />

3. Lehrerfortbildung durch „Zukunft mit Plan“<br />

4. Eigenständige Durchführung der Instrumente durch die fortgebildeten Lehrkräfte<br />

5. Moderiertes Reflexionsgespräch mit den fortgebildeten Lehrkräften<br />

(C) Auswertung<br />

1. Moderiertes Zwischenbilanzgespräch nach vorläufigem Abschluss der<br />

Maßnahmen zur Feststellung der Ergebnisse; bei Bedarf, Auswahl von<br />

weiteren Projektformaten (in diesem Fall beginnt wieder Arbeitsphase B)<br />

2. Moderiertes Projektabschlussgespräch mit den verantwortlichen<br />

Schulvertretern/-innen über den Stand der Implementation sowie die<br />

Kooperationserfahrungen<br />

125


Erfolgsfaktoren für eine<br />

nachhaltige Implementation<br />

Die Zusammenarbeit von „Zukunft mit Plan“ – sowie vom Vorgängerprojekt „Zukunftspilot“<br />

– mit den Schulen war durchgängig positiv. Alle Schulvertreter/-innen, denen<br />

das Angebot persönlich vorgestellt wurde, sahen die Notwendigkeit der Weiterentwicklung<br />

der Berufs- und Studienorientierung und fanden die Module überzeugend.<br />

Der Ablauf der Kooperation verlief dabei immer nach demselben Prozess: Akquisition<br />

und Maßnahmenplanung, anschließende Durchführung von Lehrerfortbildungen<br />

und begleitenden Angeboten sowie abschließende Auswertung(en).<br />

Die jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen an den<br />

Schulen wirkten sich auch auf den Verlauf und die Ergebnisse der Zusammenarbeit<br />

aus.<br />

Folgende Faktoren haben sich für eine nachhaltige Implementation als besonders<br />

hilfreich erwiesen.<br />

126


Schulische Faktoren<br />

……<br />

Am Thema interessierte Schul- und Abteilungsleitungen<br />

Schul- und Abteilungsleitungen, die die Weiterentwicklung der Berufsund<br />

Studienorientierung in der Oberstufe an ihrer Schule voranbringen<br />

wollen sowie den Bedarf an Qualifizierung und externer Begleitung<br />

erkennen.<br />

……<br />

Mitarbeit des Kollegiums<br />

Mit einem interessierten und engagierten Kollegium können sehr gute<br />

Ergebnisse erzielt werden: Insbesondere eine hohe Qualität bei der<br />

Durchführung der Instrumente sowie ein erfolgreiches Motivieren der<br />

Schüler/-innen, sich mit ihrer Berufs- und Studienorientierung aktiv<br />

auseinanderzusetzen.<br />

……<br />

„Honorierung“ des Engagements der Lehrkräfte<br />

Das Einarbeiten in neue Themen sowie die Erprobung der Konzepte<br />

erfordern Zeit und Energie. Die Arbeiten, die die Lehrkräfte übernehmen,<br />

sollten entsprechend honoriert werden: z. B. durch Freistellungen<br />

für den Besuch von Fortbildungen sowie Entlastungen von anderen<br />

Aufgaben. 13)<br />

……<br />

Zeitnahe Umsetzung der Fortbildungsinhalte in die Praxis<br />

Idealerweise ist bereits vor der Durchführung einer Fortbildung eingeplant,<br />

wann die Lehrkräfte die Inhalte eigenständig mit Schülergruppen<br />

umsetzen. So finden die Konzepte gleich Anwendung in der Praxis und<br />

bleiben entsprechend gut in Erinnerung.<br />

13) Aufgrund von sehr guten Kooperationserfahrungen<br />

war es 2014 möglich,<br />

eine schulübergreifende zweitägige<br />

Fortbildung zum Thema Berufs- und<br />

Studienorientierung in der Oberstufe<br />

durchzuführen (von Freitag auf Samstag).<br />

Die teilnehmenden Lehrkräfte<br />

wurden für den gesamten Freitag von<br />

der Schule freigestellt.<br />

127


Außerschulische Faktoren<br />

……<br />

Lehrerfortbildungen, Beratung und Begleitung der Schulen<br />

über externe Experten/-innen<br />

Ein wesentlicher Schlüssel für die Weiterentwicklung der Berufs- und<br />

Studienentwicklung in der Oberstufe liegt in praxisnahen Lehrerfortbildungen<br />

sowie in der Begleitung und Beratung der Schulen:<br />

……<br />

Hierfür braucht es erprobte Fortbildungskonzepte sowie begleitende<br />

und gut aufbereitete Materialien, die in den Veranstaltungen in übersichtlicher<br />

und ansprechender Form weitergereicht werden.<br />

……<br />

Das Thema Berufs- und Studienorientierung verändert sich kontinuierlich<br />

und schnelllebig. Fast monatlich entstehen z. B. neue<br />

Studiengänge. Experten/-innen informieren sich laufend über<br />

neueste Entwicklungen hinsichtlich Unternehmenstrends, Hochschulanforderungen<br />

und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Bei der<br />

Vermittlung der Konzepte ist es von zentraler Bedeutung, dass<br />

die Inhalte von Experten/-innen aus der Praxis vermittelt werden.<br />

Im Idealfall begleiten diese die Schulen kontinuierlich bei dem gesamten<br />

Schulentwicklungsprozess.<br />

Siehe auch „Personalentwicklung:<br />

die neue Rolle der Lehrkräfte“, S. 114 ff.<br />

……<br />

Darüber hinaus ist es empfehlenswert, dass in den Fortbildungen die<br />

neue Rolle der Lehrkräfte bei der Unterstützung in der Berufs- und<br />

Studienorientierung als Moderator/-in und Berater/-in von den externen<br />

Experten/-innen vorgelebt wird. So können die Teilnehmer/<br />

-innen am besten erfahren, was damit gemeint ist und wie sie diese<br />

neue Rolle mit Leben füllen können.<br />

128


Außerschulische Faktoren<br />

……<br />

Planungssicherheit für externe Experten/-innen<br />

Um Veränderungsprozesse an Schulen einzuleiten und zu stabilisieren,<br />

braucht es eine Kooperationszeit von mindestens 18 Monaten mit<br />

jeder Schule. Um die Konzepte nachhaltig in die Fläche zu tragen, diese<br />

kontinuierlich zu aktualisieren sowie nach Bedarf neue Formate zu<br />

entwickeln, sollte ein erfolgreiches Projekt nach einer Erprobungszeit<br />

in dauerhafte Strukturen überführt werden.<br />

Folgende Faktoren können eine erfolgreiche Implementation<br />

behindern<br />

……<br />

Fehlende Zeit der für Berufsorientierung verantwortlichen Lehrkräfte<br />

sowie der unterstützenden Kollegen/-innen (Tutoren/-innen etc.)<br />

……<br />

Fehlende Umsetzung der Fortbildungsinhalte in die Praxis<br />

……<br />

Defizite bei der Organisation<br />

……<br />

Fehlende Unterstützung seitens der Leitungen<br />

……<br />

Hohe Fluktuation unter den Kollegen/-innen<br />

……<br />

Andere Schulthemen, die stärkere Berücksichtigung erfordern<br />

129


Best-Practice-Beispiele aus<br />

dem Projekt „Zukunft mit Plan“<br />

Um sich ein Bild von dem individuellen Vorgehen der Schulen bei der Weiterentwicklung<br />

ihrer Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe zu machen, erfolgt<br />

abschließend die Beschreibung von drei Best-Practice-Beispielen.<br />

Die Schulen entschieden sich ohne Vorgaben der Schulbehörde für eine Kooperation<br />

mit „Zukunft mit Plan“ bzw. „Zukunfts pilot“. Die Zusammenarbeit erfolgte im Zeitraum<br />

von 2009 bis 2017.<br />

Siehe auch „Erfolgsfaktoren für eine<br />

nach haltige Implementation“, S. 126 ff.<br />

Das Besondere an den ausgewählten Kooperationsbeispielen ist, dass die Schulen<br />

nicht nur sehr engagiert auf die Projektangebote reagierten, sondern sie auch gleich<br />

im Anschluss an die Lehrerfortbildungen erfolgreich umgesetzt und inzwischen im<br />

Curriculum fest verankert haben.<br />

14) In Hamburg haben zurzeit knapp<br />

46 Prozent der Schüler/-innen an allge ­<br />

meinbildenden Schulen einen Migrations<br />

hintergrund (Freie und Hansestadt<br />

Hamburg/Behörde für Schule und<br />

Berufsbildung: Schuljahresstatistik 2016,<br />

www.hamburg.de/schuljahr-in-zahlen).<br />

Das ist trotz ähnlichem Einsatz der Projektmittel nicht immer der Fall, d. h. an den<br />

drei Schulen sind die (Abteilungs-)Leitungen, BO-Beauftragten sowie das Kollegium<br />

besonders interessiert, die Berufs- und Studienorientierung weiterzuent wickeln.<br />

Auch die Schülerschaft ist eine besondere: Sie besteht bei zwei der drei Schulen aus<br />

einem überdurchschnittlich hohen Anteil an jungen Menschen mit Migrationshintergrund<br />

(mitunter bis zu 80 Prozent 14) ) und/oder kommt überdurchschnittlich oft aus<br />

Familien ohne Hochschulerfahrungen.<br />

130


Goethe-Schule Harburg<br />

Eckdaten<br />

Schulform:<br />

Stadtteilschule<br />

Standort:<br />

Harburg<br />

Schülerschaft:<br />

hoher Anteil an Schülern/-innen<br />

mit Migrationshintergrund<br />

Besonderheit:<br />

eine der größten Oberstufen<br />

in Hamburg<br />

Kooperation mit „Zukunft mit Plan“: Mitte 2015 bis Ende 2017<br />

Verstetigte Module:<br />

„Zielfindung“ und „Bewerbungstraining“<br />

Umsetzung der Module:<br />

im Seminarfach (in 12 Doppelstunden)<br />

Die Zusammenarbeit mit der Goethe-Schule Harburg war von Beginn an geprägt von<br />

gegenseitiger Wertschätzung und einem hohen fachlichen Niveau. Nach der Projektvorstellung<br />

von „Zukunft mit Plan“ mit der Abteilungsleitung und den BO-Beauftragten<br />

begann die konkrete Zusammenarbeit mit der Durchführung eines fünftägigen<br />

Workshops zu den Themen „Zielfindung“ und „Bewerbungstraining“. Die Veranstaltung<br />

fand in den Räumlichkeiten der Koordinierungsstelle für Weiterbildung und<br />

Beschäftigung (KWB e. V.) in Hamburg statt. Sie wurde von der Projektverantwortlichen<br />

geleitet und im zweiten Teil gemeinsam mit einer externen Bewerbungstrainerin<br />

durchgeführt. <strong>Eine</strong> fünftägige Präsenzveranstaltung findet im Projekt „Zukunft<br />

mit Plan“ selten statt, weil sie sehr personalintensiv ist. Und eine Verstetigung der<br />

Inhalte in Form eines so langen Workshops ist in der Regel aus demselben Grund<br />

nicht machbar. Auf ausdrücklichen Wunsch der Schule wurde die Anfrage jedoch<br />

ermöglicht. 15) Am letzten Veranstaltungstag machte sich eine Lehrerin ein Bild von<br />

den Inhalten sowie vom äußerst positiven Feedback der Schüler/-innen. Hier ein Auszug<br />

der Meinungen:<br />

15) Für „Zukunft mit Plan“ boten die<br />

fünf hintereinanderliegenden Veranstaltungstage<br />

die Möglichkeit, das<br />

dreitägige Bewerbungstraining als reine<br />

Präsenzveranstaltung durchzuführen –<br />

anstatt einer Kombination aus Präsenzund<br />

Onlinearbeitsphasen.<br />

131


„Ich kann die Veranstaltung nur weiterempfehlen. Auf eine angenehme Art wird<br />

einem das schwierige Thema ‚Meine Zukunft‘ nähergebracht. Die Referentinnen sind<br />

freundlich, offen und sehr kompetent und die gesamte Veranstaltung als auch das<br />

Material sind top organisiert und zusammengestellt.“<br />

„Ich habe herausfinden können, wie ich strukturiert und besser arbeiten kann und<br />

wie ich den passenden Beruf für mich finde.“<br />

„Ich fand die Veranstaltungswoche sehr informativ und es hat mir für meine<br />

Zukunft viel gebraucht. Ich bin jetzt motiviert, mich weiter mit meinem Berufsleben<br />

zu beschäftigen.“<br />

Damit zukünftig alle Schüler/-innen der Goethe-Schule Harburg an den Inhalten<br />

der Veranstaltung teilhaben konnten, war im Auswertungsgespräch mit den beiden<br />

verantwortlichen Lehrkräften schnell die Idee geboren, diese im Seminarfach<br />

anzubieten. Es folgte eine zielorientierte Planung der hierfür notwendigen Lehrerfortbildungen.<br />

Im nächsten Schritt wurde der Abteilungsleiter von der Umsetzung<br />

überzeugt. Noch bevor die erste von zwei Lehrerfortbildungen stattfand, wurden insgesamt<br />

zwölf Doppelstunden zum Thema „Zielfindung“ und „Bewerbungstraining“ in<br />

den Seminarfachablauf für das folgende Schuljahr integriert. Gleich im Anschluss an<br />

die erste Fortbildung begannen die zwölf Teilnehmer/-innen mit der Umsetzung der<br />

Inhalte mit Schülergruppen.<br />

Nach der Durchführung aller Seminarfachstunden zum Thema Berufs- und Studienorien<br />

tierung folgte eine moderierte Auswertungsrunde mit den Lehrkräften: Gemeinsam<br />

wurden Erfahrungen reflektiert, kleine Korrekturen und Optimierungen besprochen<br />

und sogleich auf den Weg gebracht. Auch die Abteilungsleitung nahm an dem<br />

Arbeitstreffen teil und machte sich ein Bild von dem Feedback der Kollegen/-innen.<br />

132


Zukünftigen Durchführungen steht nun nichts mehr im Wege, sodass noch viele<br />

wei tere junge Menschen zu zentralen Themen aus den Modulen „Zielfindung“ und<br />

„Bewerbungstraining“ arbeiten werden. Pro Jahrgang sind das an der Goethe-Schule<br />

Harburg durchschnittlich ca. 200 Schüler/-innen.<br />

Gyula-Trebitsch-Schule Tonndorf<br />

Eckdaten<br />

Schulform:<br />

Stadtteilschule und Gymnasium<br />

Standort:<br />

Tonndorf<br />

Schülerschaft:<br />

durchschnittlich viele Schüler/-innen<br />

mit Migrationshintergrund<br />

Besonderheit:<br />

keine<br />

Kooperation mit „Zukunft mit Plan“: Ende 2015 bis Ende 2017<br />

Verstetigte Module:<br />

„Zielfindung“ und „Informationsveranstaltung<br />

für Eltern“<br />

Umsetzung der Module:<br />

Workshop „Zielfindung“ (eintägig) und<br />

Info veranstaltung für Eltern als eigenständiges<br />

Angebot (ohne Kombination<br />

mit anderen Schulthemen)<br />

Die Zusammenarbeit mit der Gyula-Trebitsch-Schule Tonndorf war ebenfalls vertrauensvoll,<br />

kooperativ und anregend. Das erste Treffen fand in kleiner Runde mit der<br />

Abteilungsleitung und den BO-Beauftragten in der Oberstufe statt. Das Ergebnis des<br />

Austauschs war die Durchführung eines zweitägigen Workshops „Zielfindung“ mit<br />

einer Pilotschülergruppe. Um sich ein Bild von der Umsetzung des Moduls zu machen,<br />

hospitierten beide Gesprächspartner während der ersten Workshop-Durchführung<br />

133


durch die Projektleitung. Die Abschlussrunde am Ende des zweiten Veranstaltungstages<br />

übernahm der BO-Beauftragte in Abwesenheit der Projektleitung, um von den<br />

Schülern/-innen ein objektiveres Feedback zu erhalten: Die positiven Rückmeldungen<br />

waren ein wichtiger Faktor, der neben den Eindrücken der Lehrkräfte aus der Hospitation<br />

wesentlich zur Entscheidung für eine Implementation des Formats beigetragen<br />

hat. Um zukünftig allen Oberstufenschülern/-innen das Angebot zur Verfügung zu<br />

stellen, entschieden sich die beiden Verantwortlichen aus zeitlichen und organisatorischen<br />

Gründen, die Veranstaltung eintägig durchzuführen. Es folgte eine individuell<br />

zugeschnittene Fortbildung für einen kleinen Kreis an Lehrkräften, die in die ausgewählten<br />

Themen eingeführt wurden. Im Anschluss leiteten die Teilnehmer/ -innen die<br />

Formate mit Schülergruppen. Die Workshops fanden ebenfalls in den Räumlichkeiten<br />

der KWB e. V. statt. Das hatte den Vorteil, dass die Projektleitung jederzeit Einblick in<br />

die Umsetzung nehmen und bei Schwierigkeiten direkt eingreifen konnte.<br />

Zusätzlich zum Workshop „Zielfindung“ entschied sich die Schule für die Durchführung<br />

einer Informationsveranstaltung für Eltern. Sie wurde als Themenabend angeboten<br />

und nicht mit einer Einführungsveranstaltung für die Oberstufe verbunden. Der<br />

BO-Beauftragte der Gyula-Trebitsch-Schule erreichte mit einem Einladungsschreiben<br />

von „Zukunft mit Plan“ insgesamt 25 Eltern. Ein gutes Ergebnis für eine Elternveranstaltung<br />

in der Oberstufe an einer Hamburger Schule, die erstmalig durchgeführt wird.<br />

Die Eltern bewerteten das Angebot abschließend als sehr gut. Die Gyula- Trebitsch-<br />

Schule hat die Informationsabende inzwischen verbindlich in das Schulangebot<br />

integriert.<br />

Die Gesamtauswertung der Zusammenarbeit erfolgte, wie zu Beginn der Kooperation,<br />

in kleiner Runde mit dem Abteilungsleiter und BO-Beauftragten. Auch an der<br />

Gyula-Trebitsch-Schule steht der Durchführung des Workshops „Zielfindung“ wie<br />

auch der Informationsveranstaltungen für Eltern in den nächsten Jahren nichts mehr<br />

entgegen.<br />

134


Helmut-Schmidt-Gymnasium<br />

Eckdaten<br />

Schulform:<br />

Gymnasium<br />

Standort:<br />

Wilhelmsburg<br />

Schülerschaft:<br />

sehr hoher Anteil an Schülern/-innen<br />

mit Migrationshintergrund<br />

Besonderheit:<br />

keine<br />

Kooperation mit „Zukunft mit Plan“: Ende 2009 bis Ende 2014<br />

Verstetigte Module:<br />

Themenblöcke aus dem Modul<br />

„Zielfindung“ und aus dem „Bewerbungstraining“<br />

(die teilweise auch im<br />

8. Jahrgang eingesetzt werden)<br />

Umsetzung der Module:<br />

im Unterricht sowie im Rahmen von<br />

BO-Wochen<br />

Das Helmut-Schmidt-Gymnasium war eine der ersten Schulen, die mit dem Projekt<br />

„Zukunftspilot“ (dem Vorgängerprojekt von „Zukunft mit Plan“) kooperierte: Die<br />

Zusammenarbeit begann im Jahr 2009 und ist inhaltlich seit 2014 formal abgeschlossen.<br />

Seitdem kommt es zu gegebenen Anlässen punktuell zu Kooperationen, z. B. auf<br />

Fachveranstaltungen.<br />

Die Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe war seinerzeit<br />

für viele Schulen noch kein bedeutendes Thema. Das Helmut-Schmidt-Gymnasium<br />

war jedoch vom ersten Moment der Kontaktaufnahme an von den Projektangeboten<br />

sowie dem Konzept überzeugt und in der gesamten Kooperationszeit<br />

mit großem Engagement beteiligt. Und das, obwohl „Zukunftspilot“ 2009 noch keine<br />

Kooperationserfahrungen mit anderen Schulen aufweisen konnte. Die Lehrkräfte des<br />

135


Helmut-Schmidt-Gymnasiums mussten also darauf vertrauen, dass sich ihr Engagement<br />

und Einsatz lohnen würde. Die Bereitschaft der Zusammenarbeit der Schule<br />

hat damit wesentlich zur Entwicklung der Formate und zum weiteren Projekterfolg<br />

beigetragen.<br />

Der Erstkontakt mit der Schule verlief zu Beginn von „Zukunftspilot“ über die BO-<br />

Beauf tragten. Im Laufe der Jahre der Kooperation nahm die Schule fast alle Projektangebote<br />

wahr. Die Veranstaltungsbewertungen der Schüler/-innen und Lehrkräfte<br />

fielen insgesamt sehr gut aus. Mit dem Beginn der Lehrerfortbildungen in 2013 wurden<br />

die Inhalte aus den Modulen „Zielfindung“ und „Bewerbungstraining“, die sich<br />

zur Verstetigung eignen, an das Kollegium vermittelt. <strong>Eine</strong> Veranstaltung fand sogar<br />

zweitägig (und schulübergreifend) statt, seinerzeit ein Novum. Das zeigt die Wertschätzung,<br />

die dem Projekt auch seitens der Schulleitung entgegengebracht wurde.<br />

Nach all den Jahren arbeitet das Helmut-Schmidt-Gymnasium noch heute mit ausgewählten<br />

Projektinhalten im Seminarfach sowie im Rahmen von BO-Wochen weiter,<br />

die seither wichtige Grundlagen zur <strong>sichere</strong>n Berufs- und Studienwahl von Oberstufen<br />

schülern/-innen bieten. Darüber hinaus wurden einzelne Instrumente auch für<br />

den Einsatz in 8. Klassen angepasst. Das Engagement hat sich also auch hier gelohnt!<br />

136


Fazit und Ausblick<br />

Das Thema Berufs- und Studienorientierung von Oberstufenschülern/-innen ist aus<br />

den aktuellen Fachdiskursen nicht mehr wegzudenken. Tenor aller Beiträge ist, dass<br />

angehende Abiturienten/-innen gezielte Angebote in den letzten beiden Schuljahren<br />

benötigen, um eine fundierte und <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong>entscheidung treffen zu können.<br />

So lautet auch unser Plädoyer. Denn ohne professionell angeleitete Auseinandersetzungen<br />

und Vorbereitungsarbeiten seitens der Schüler/-innen kommt es zu<br />

unnötigen Studienabbrüchen und Vertragsauflösungen bei Ausbildungen mit den<br />

dazugehörigen Negativfolgen. Besonders betroffen davon sind junge Menschen,<br />

die in ihren Familien beim Thema Berufsorientierung wenig Unterstützung erhalten<br />

( können). Etwa, weil ihre Eltern keine Hochschulerfahrungen mitbringen und/oder<br />

sich im deutschen Ausbildungssystem nur unzureichend auskennen.<br />

Hochwertige schulische Angebote zur Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe<br />

sind für die Zukunft der jungen Menschen entscheidend, damit sie einen<br />

Beruf finden, der zu ihnen passt und sie ein selbstbestimmtes Leben führen lässt. Es<br />

geht aber auch um ihre Familien, die ihre Töchter und Söhne auf dem Weg in den<br />

Beruf begleiten und hierbei Unterstützung durch Experten/-innen benötigen. Und<br />

auch Unternehmen, Institutionen und Hochschulen wünschen sich für das Gelingen<br />

ihrer Arbeit beruflich gut orientierte junge Menschen. Sie alle sind also an einer<br />

professio nellen Berufs- und Studienorientierung interessiert, weil sie eine sinnvolle<br />

Investi tion zur richtigen Zeit ist. Der Blick in die Praxis zeigt jedoch, dass erst wenige<br />

Instrumente für die Zielgruppe Oberstufenschüler/-innen existieren, die bereits<br />

umfangreich erprobt wurden. Mit dem Projekt „Zukunft mit Plan“ (und dem Vorgängerprojekt<br />

„Zukunftspilot“) haben wir diese Lücke geschlossen. In unserer Handreichung<br />

dokumentieren wir unsere entwickelten und in der Praxis mit Schüler gruppen<br />

sowie Lehrkräften erprobten Module, die an zahlreichen Schulen in Hamburg und<br />

Schleswig-Holstein implementiert wurden.<br />

138


Wir freuen uns, wenn Sie durch unsere Lektüre Anregungen für neue Konzepte an<br />

Ihrer Schule sowie Erkenntnisse zur Berufs- und Studienorientierung erhalten haben.<br />

Ebenso hoffen wir, dass wir vermitteln konnten, wie wichtig es ist, dass Sie und/<br />

oder Ihre Kollegen/-innen für eine kompetente Durchführung von Angeboten zur<br />

Berufs- und Studienorientierung fachliche Unterstützung hinzuziehen. Insbesondere<br />

in Form von Lehrerfortbildungen mit den Schwerpunkten Vermittlung von Instrumenten<br />

und Unterrichtsmaterialien sowie von komplexem Hintergrundwissen. Für<br />

die anspruchsvolle Aufgabe der Zusammenarbeit von Lehrkräften und Schülern/<br />

-innen im Berufsfindungsprozess sind darüber hinaus Praxisanregungen empfehlenswert.<br />

Und last but not least möchten wir die Einbindung von Eltern anregen.<br />

Sie sollten ausgewählte Fachinformationen sowie einen Überblick der schulischen<br />

Angebote zur Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe bekommen und für<br />

eine gezielte Unterstützung gewonnen werden. Auch hierfür bietet sich die Kooperation<br />

mit Experten/-innen an.<br />

Wir wünschen Ihnen für die Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung<br />

an Ihrer Schule viel Erfolg und würden uns sehr freuen, wenn wir (auch) in Zukunft<br />

gemeinsam an dem wichtigen und zugleich spannenden Thema weiterarbeiten.<br />

Damit immer mehr Oberstufenschüler/-innen eine <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong> treffen!<br />

139


Anhang<br />

Projekthistorie von „Zukunft mit Plan“<br />

Seit dem 1. Februar 2015 arbeitet die Stiftung Hilfe mit Plan des Kinderhilfswerks Plan<br />

International Deutschland e. V. als Hauptfinanzier von „Zukunft mit Plan: Modulare<br />

Angebote zur Studien- und Berufsorientierung in der Sekundarstufe II“ eng mit der<br />

KWB e. V. zusammen. Auf der Suche nach einem Kooperationspartner zur Förderung<br />

der beruflichen Integration von benachteiligten Schülern/-innen konnte die KWB e. V.<br />

mit ihrer jahrelangen Arbeit und Expertise bei der Gestaltung von Übergängen in den<br />

Beruf die Stiftung schnell überzeugen. Grundlage für die Zusammenarbeit bildete<br />

dabei der große Erfahrungsschatz aus den Projekten „Zukunftspilot“ sowie „Zukunftspilot<br />

Nord“. Neue Impulse bot insbesondere das ausgeprägte Know-how der Stiftung<br />

Hilfe mit Plan im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Die Integration der Querschnittsthemen<br />

„Green Jobs“ und „Green Studies“ sowie die Entwicklung und Durchführung<br />

des Moduls „Klimaschutz international“ erweiterten das Konzept.<br />

Der Beginn von „Zukunft mit Plan“ reicht bereits bis in das Jahr 2009 zurück: Finanziert<br />

und unterstützt durch den Hamburger Europäischen Sozialfonds, die Bundesagentur<br />

für Arbeit, die Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung, NORD-<br />

METALL e. V. sowie den AGV NORD e. V. startete das Projekt „Zukunftspilot“. Nach einem<br />

erfolgreichen Auftakt folgte die länderübergreifende Arbeit mit „Zukunftspilot Nord“<br />

(2012 bis 2014) in Kooperation mit dem Bildungswerk der Wirtschaft Hamburg e. V. und<br />

dank der Finanzierung vieler weiterer Partner aus Wirtschaft und Politik (u. a. Europäischer<br />

Sozial fonds des Bundes, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Hamburger<br />

Behörde für Schule und Berufsbildung, Ministerium für Bildung und Wissenschaft in<br />

Schleswig-Holstein, NORDMETALL e. V., Studien- und Förder gesellschaft der Schleswig-<br />

Holsteinischen Wirtschaft e. V. – Tannenfelde Bildungs- und Tagungszentrum).<br />

„Zukunft mit Plan“ wurde bis Anfang 2018 finanziert. Derzeit prüfen die beteiligten<br />

Akteure die Fortführung des bewährten Angebots mit Partnern aus der Schulbehörde,<br />

der Wirtschaft und Politik.<br />

140


Dank<br />

Unser ganz besonderer Dank gilt der Stiftung Hilfe mit Plan – dem Kooperationspartner<br />

und Finanzier von „Zukunft mit Plan“ – für die immer vertrauensvolle und inspirierende<br />

Zusammenarbeit sowie die Realisierung von „<strong>Eine</strong> <strong>sichere</strong> <strong>Berufswahl</strong>“.<br />

Ein herzliches Dankeschön geht zudem an die vielen engagierten Lehrkräfte, die uns<br />

in der zumeist jahrelangen Zusammenarbeit ihr Vertrauen geschenkt und dadurch<br />

die vielfältigen Praxiserfahrungen und Erkenntnisse erst ermöglicht haben.<br />

Darüber hinaus möchten wir uns bei Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland, Prof. Dr.<br />

Bärbel Kracke sowie Prof. Dr. Klaus Hurrelmann für ihr Vertrauen sowie ihre wissenschaftlichen<br />

Beiträge herzlich bedanken. Ihre Arbeiten unterstreichen die wichtige<br />

Verbindung von Theorie und Praxis.<br />

Last but not least geht unser Dank an Kolleginnen und Kollegen der KWB e. V., die mit<br />

ihrer Unterstützung diese Publikation und das Projekt insgesamt bereichert haben.<br />

141


Über die Autorin<br />

Petra Wördehoff arbeitet seit 2009 als Fachreferentin bei der KWB Koordinierungsstelle<br />

Weiterbildung und Beschäftigung e. V. Sie leitet das Projekt „Zukunft mit Plan:<br />

Modulare Angebote zur Studien- und Berufsorientierung in der Sekundarstufe II“, das<br />

sie mit aufgebaut und konzeptioniert hat.<br />

Petra Wördehoff<br />

Projektleitung „Zukunft mit Plan“<br />

Ihre Aufgabenbereiche sind:<br />

……<br />

Konzeptentwicklung und Projektmanagement<br />

……<br />

Beratung und Begleitung von Schulen zum Thema Weiterentwicklung der<br />

Berufs- und Studienorientierung in der Oberstufe<br />

……<br />

Moderation von Fortbildungen für Lehrkräfte<br />

……<br />

Durchführung von Veranstaltungen mit Oberstufenschülern/-innen und Eltern<br />

……<br />

Beratung von Schülern/-innen zum Thema <strong>Berufswahl</strong><br />

Petra Wördehoff ist Diplom-Sozialpädagogin, Diplom-Kriminologin und Radioredakteurin.<br />

Sie verfügt über 17 Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Pädagogik, Beratung,<br />

berufliche Bildung und Öffentlichkeitsarbeit.<br />

142


Um eine fundierte <strong>Berufswahl</strong> treffen zu können, benötigen Oberstufenschülerinnen<br />

und -schüler systematische schulische Unterstützung. Die<br />

Handreichung bietet Anregungen und zentrale Elemente, die für eine<br />

erfolgreiche Weiterentwicklung der Berufs- und Studienorientierung<br />

erforderlich sind: wissenschaftliche Perspektiven, erprobte Instrumente<br />

sowie der Blick auf das Thema Schulentwicklung. Erfahrene Lehrkräfte<br />

wie auch Lehramtsstudierende erhalten wichtige Grundlagen und vertiefende<br />

Informationen.<br />

Mit der Veröffentlichung möchten wir Schulen an den Erkenntnissen des<br />

Leuchtturmprojektes „Zukunft mit Plan“ teilhaben lassen und Lehrkräfte motivieren,<br />

sich zum Thema Berufs- und Studienorientierung weiterzubilden.<br />

(Kathrin Hartkopf, Stiftung Hilfe mit Plan)

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