03/2018
Fritz + Fränzi
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Digital & Medial<br />
Scripted Reality –<br />
alles nur Show?<br />
TV-Formate, die Realität und Inszenierung<br />
vermischen, können Kinder und Jugendliche<br />
verunsichern. Denn der Blick auf sich selbst<br />
und auf die Welt wird unbewusst manipuliert.<br />
Das sollten Eltern wissen. Text: Michael In Albon<br />
Bild: Chris Ryan<br />
Scripted-Reality-Formate<br />
sind Sendungen mit erfundenen<br />
Handlungen. So<br />
weit, so klar. Jedoch werden<br />
solche Sendungen so<br />
produziert, dass sie wie eine Dokumentation<br />
oder eine Reportage<br />
scheinen. Realität und Medienrealität<br />
gehen nahtlos ineinander über.<br />
Der Hinweis, dass es sich um eine<br />
Inszenierung nach Drehbuch handelt,<br />
erfolgt nur als kleiner Hinweis<br />
im Abspann. Das erschwert die<br />
Abgrenzung von Realität und<br />
Medienrealität für Heranwachsende<br />
erheblich. Gerade Kinder und<br />
Jugendliche können das kaum<br />
unterscheiden – auch bei Castingshows<br />
nicht.<br />
Daneben unterscheiden sich<br />
Scripted Reality und Castingshows.<br />
Während Scripted-Reality-Formate<br />
Konflikte thematisieren, betonen<br />
Castingshows das Perfekte; sie bündeln<br />
Klischees und fordern<br />
Zuschauer innen und Zuschauer<br />
dazu auf, diesen präsentierten Idealen<br />
nachzueifern. In der Model-<br />
Castingshow «Germany’s Next Topmodel»<br />
beispielsweise ge schieht<br />
diese Aufforderung ganz offen:<br />
Schön ist, wer über bestimmte körperliche<br />
Merkmale verfügt, sich entsprechend<br />
kleidet und stylt.<br />
Kinder und Jugendliche neigen<br />
dazu, solche Wertvorstellungen in<br />
ihren Alltag zu übernehmen, um<br />
dazuzugehören.<br />
Wer bin ich?<br />
Jugendliche in der Pubertät suchen<br />
nach ihrer Identität; sie vergleichen<br />
sich deshalb gern mit ihren Helden<br />
und suchen nach Ähnlichkeiten zu<br />
ihrem Leben. Dabei entwickeln sie<br />
gegenüber den Figuren, die scheitern,<br />
ein Gefühl der Überlegenheit.<br />
Sie transportieren dieses Gefühl in<br />
ihren Alltag. Und dort kann dies zu<br />
Konflikten führen, in denen sich<br />
Jugendliche unbewusst als Täter,<br />
Opfer oder Mitläufer verhalten.<br />
Bei Castingsendungen entsteht<br />
eine vergleichbare Beziehung zu den<br />
Kandidatinnen und Kandidaten.<br />
Vor allem Model-Castingshows<br />
beeinflussen Jugendliche in ihrer<br />
Selbstwahrnehmung – die Shows<br />
suggerieren, nur optische Eigenschaften<br />
seien relevant. Das pausenlose<br />
Vergleichen und Scheitern,<br />
wenn Teenager den vermittelten<br />
Idealen nicht gerecht werden, kann<br />
sie unglücklich und hoffnungslos<br />
machen – und sich beispielsweise in<br />
Essstörungen äussern.<br />
Das Kind begleiten<br />
Hier sind die Eltern gefragt. Verbieten<br />
Sie Ihren Kindern solche Formate<br />
nicht, aber lassen Sie Ihre Kinder<br />
auch nicht allein damit. Schauen Sie<br />
sich ab und an eine Folge gemeinsam<br />
an. Verurteilen Sie die Sendungen<br />
nicht, sondern stellen Sie Fragen.<br />
Was gefällt Ihrem Kind? Wieso? Wie<br />
unterscheidet sich die gezeigte<br />
Handlung vom realen Leben? Was<br />
ist also echt? Was inszeniert? Wieso?<br />
Diskutieren Sie zusammen unterschiedliche<br />
Handlungsmuster und<br />
die Herausforderungen. Und prüfen<br />
Sie, ob ein Hinweis auf die gescriptete<br />
Handlung besteht.<br />
Damit stärken Sie die Persönlichkeit<br />
Ihres Kindes und helfen ihm<br />
zudem, sich in einer Welt, in der die<br />
Grenze zwischen Inszenierung und<br />
Realität immer stärker verschwindet,<br />
kritisch zu bleiben.<br />
Michael In Albon<br />
ist Beauftragter Jugendmedienschutz<br />
und Experte Medienkompetenz von<br />
Swisscom.<br />
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />
Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />
digitalen Medien im Familienalltag.<br />
swisscom.ch/medienstark<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>67