02.03.2018 Aufrufe

03/2018

Fritz + Fränzi

Fritz + Fränzi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Monatsinterview<br />

Menschen so schwerfällt, das für sie<br />

passende Leben zu finden?<br />

Genau, Zutrauen in sich selbst, das<br />

müssen Kinder lernen. Sie müssen<br />

die Erfahrung machen, dass sie<br />

selbstbestimmt Dinge erreichen<br />

können. Ich habe während meiner<br />

wissenschaftlichen Arbeit am Kinderspital<br />

Zürich einen Jungen kennengelernt,<br />

der mathematisch hochbegabt<br />

war. Er hat später theoretische<br />

«Eltern sollen ihr<br />

Kind so annehmen,<br />

wie es ist.<br />

Und es soll eine<br />

Schulkarriere<br />

machen dürfen, die<br />

ihm entspricht.»<br />

Physik studiert, mit das Schwerste<br />

überhaupt, was man studieren kann.<br />

Nach Abschluss seines Studiums hat<br />

er gesagt: So, und jetzt werde ich<br />

Schreiner. Er hat genau gespürt, was<br />

ihn glücklich macht. Diese innere<br />

Freiheit hat mich sehr beeindruckt.<br />

Fällt es Menschen mit einem hohen<br />

kognitiven Potenzial nicht grundsätzlich<br />

leichter, ihren Beruf frei zu<br />

wählen? Ihnen stehen (fast) alle Türen<br />

offen. Sie haben als Leiter der<br />

Entwicklungspädiatrie in Zürich sicher<br />

öfter die gegenteiligen Fälle erlebt,<br />

bei denen man die Eltern auf die<br />

Entwicklungsdefizite ihrer Kinder hinweisen<br />

musste – und dass diese nicht<br />

«wegtherapiert» werden können.<br />

Unzählige Male. Aber daraus muss<br />

keine Tragödie werden. Was Eltern<br />

nicht wollen, ist, dass ihr Kind<br />

ge brandmarkt und ausgegrenzt wird.<br />

Eine Legasthenie kann man nicht<br />

wegtherapieren. Man kann aber dem<br />

Kind helfen, das Beste aus seinen<br />

begrenzten Lesekompetenzen zu<br />

machen und sollte es dabei nicht<br />

überfordern. Mütter und Väter können<br />

ihr Kind meist haargenau einschätzen;<br />

sie wissen ganz genau, was<br />

es kann und was nicht. Daran muss<br />

man anknüpfen und das Umfeld des<br />

Kindes so gestalten, dass es Erfolg<br />

haben kann. Erfolg bringt die Lernmotivation<br />

zurück.<br />

Viele Eltern machen sich Sorgen,<br />

wenn ihr Kind hinter der «Norm»<br />

zurückbleibt, oder sogar Vorwürfe:<br />

«Mein Kind genügt den Anforderungen<br />

nicht. Hätte ich es mehr fördern<br />

müssen?»<br />

Wissen Sie, ich kenne keine Studie,<br />

die gezeigt hat, dass man Kinder über<br />

ihr Begabungspotenzial hinaus fördern<br />

kann. Beim Wachstum akzeptieren<br />

wir die individuellen Grenzen<br />

doch auch. Jeder weiss, dass ein Kind<br />

durch übermässiges Essen nicht<br />

grös ser, sondern dicker wird. Das gilt<br />

genauso für die geistigen und sprachlichen<br />

Fähigkeiten.<br />

Aber haben Sie kein Verständnis für<br />

die Existenzsorgen eines Vaters,<br />

dessen 15-jähriger Sohn die Schule<br />

ohne Abschluss schmeissen will?<br />

Doch, natürlich. Ob er in der Gesellschaft<br />

erfolgreich sein wird, hängt<br />

jedoch nicht von aufgepfropftem<br />

Wissen ab, sondern ob er seine Kompetenzen<br />

entfalten konnte, genau<br />

weiss, wo seine Stärken liegen,<br />

gelernt hat, mit seinen Schwächen<br />

umzugehen. Nur so kommt er zu<br />

einem guten Selbstvertrauen: Ich<br />

schaffe es in dieser Gesellschaft.<br />

Die Wissenschaft hält gerade für<br />

ehrgeizige Eltern eine bittere Einsicht<br />

bereit: Je begabter sie sind, desto<br />

grösser ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ihre Kinder weniger begabt sind.<br />

Das ist eine biologische Gesetzmässigkeit,<br />

die für alle Lebewesen gilt.<br />

Regression to the mean heisst zu ­<br />

sammengefasst, dass Kinder im Vergleich<br />

mit ihren Eltern mit ihren<br />

Eigenschaften wie Wachstum oder<br />

Intelligenz zur Mitte hin tendieren.<br />

Wenn beispielsweise Eltern einen IQ<br />

von 130 aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit<br />

mehr als 80 Prozent,<br />

dass ihre Kinder einen IQ haben<br />

werden, der unter dem ihrigen liegt.<br />

Allerdings beträgt bei Eltern mit<br />

einem IQ unter 70 die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass der IQ ihrer Kinder<br />

höher sein wird, ebenfalls 80 Prozent.<br />

Was können Eltern demnach dafür<br />

tun, dass ihre Kinder ein passendes<br />

Leben führen?<br />

Sie sollten genau hinschauen: Welche<br />

Bedürfnisse hat mein Kind? Wie<br />

sieht es mit seinen Kompetenzen<br />

aus? Sie sollen ihr Kind so annehmen,<br />

wie es ist. Es soll eine Schulkarriere<br />

machen dürfen, die ihm entspricht.<br />

Das schützt ihr Kind vor<br />

einer ständigen Überforderung und<br />

den späteren Erwachsenen vor<br />

unausweichlichem Scheitern.<br />

Lieber eine zufriedene Gärtnerin als<br />

eine unglückliche Ärztin?<br />

Sie spielen auf meine älteste Tochter<br />

an. Eva wusste bereits mit 12 Jahren,<br />

dass sie Gärtnerin werden will. Mit<br />

16 hat sie die Schule beendet und ist<br />

eine begeisterte Gärtnerin geworden.<br />

Wir haben von allen Seiten gehört:<br />

«Wieso geht sie nicht ans Gymnasium,<br />

mit zwei Akademikern als<br />

Eltern?»<br />

Hat Sie das beunruhigt?<br />

Überhaupt nicht. Vielleicht auch,<br />

weil ich selber nicht aus einer Akademikerfamilie<br />

stamme. Als damals<br />

«Ich sollte nicht<br />

studieren, sondern<br />

die mechanische<br />

Werkstatt meines<br />

Vaters<br />

übernehmen.»<br />

mein bester Freund aufs Gymnasium<br />

gekommen ist, hatte mein Vater<br />

sogar Angst, dass ich nachziehe. Ich<br />

sollte nicht studieren, sondern seine<br />

mechanische Werkstatt übernehmen.<br />

Also bin ich auf die Sekundarschule<br />

gegangen. Erst als mein jüngerer<br />

Bruder sich dafür entschieden<br />

hat, Werkzeugmechaniker zu werden,<br />

war ich frei.<br />

>>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!