03/2018
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Fr. 7.50 3/März <strong>2018</strong><br />
Remo Largo<br />
Wie wir es schaffen,<br />
das passende Leben<br />
zu führen.<br />
Transkinder<br />
Lukas, 14, lebt jetzt als<br />
Lea. Und ist glücklich.<br />
Eine Reportage.<br />
Kindeswohl nach der Trennung:<br />
heute bei Mama, morgen bei Papa?<br />
Scheidung
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AUFGEDECKT:<br />
ZWEI MYTHEN RUND UMS SNACKEN<br />
Um kaum ein zweites Alltagsthema ranken sich so viele Mythen wie um unser Essen. Gerade in Sachen<br />
Zwischenmahlzeiten und Snacks für Kinder haben sie sich über Jahre festgesetzt. Viele Eltern fragen sich deshalb,<br />
welche davon stimmen wirklich? Wir haben zwei gängige Annahmen unter die Lupe genommen.<br />
SIND SNACKS WIRKLICH UNGESUND<br />
FÜR KINDER?<br />
Das kann man so pauschal nicht sagen. Es kommt natürlich darauf an,<br />
was gegessen wird. Experten raten grundsätzlich zu je einem kleinen<br />
Znüni und Zvieri. So kommen Kinder konzentrierter und fi tter durch den<br />
Tag. „Dabei sollte ein Snack für Kinder nicht mehr als ca. 150 kcal und<br />
gleichzeitig Mineralstoffe und Vitamine enthalten. Früchte, Milch und Milchprodukte<br />
sowie Gemüsesnacks eignen sich dafür“, erklärt Mira Koppert,<br />
Danone Ernährungsexpertin und Diplom Ökotrophologin.<br />
IST EIN NORMALER FRUCHTJOGHURT EINE<br />
BESSERE WAHL ALS EIN DANONINO?<br />
Nein. Seit 1981 konnte der Zuckergehalt von Danonino um 30 Prozent gesenkt<br />
werden (auf 11,8 g pro 100 g). Auch im Zuge der jüngsten Veränderung<br />
wurde dabei der zugesetzte Zucker angepasst. Im Vergleich zu durchschnittlichen<br />
Fruchtjoghurts (15 g Zucker pro 100 g) sind Danonino als<br />
Nachmittags-Snack mit ihrem ausgewogenen Nährwertprofi l die bessere<br />
1 Müsliriegel<br />
Wahl, die sowohl Eltern als auch Kinder glücklich macht. 1 (25 g)<br />
Fett (g/Portion)<br />
ohne Konservierungsstoffe,<br />
weniger Zucker,<br />
..<br />
ohne kunstliche Farbstoffe<br />
1 2 3 4 5 6<br />
1 Müsliriegel<br />
(25 g)<br />
6 Butterguetzli<br />
(30 g)<br />
1 Kinderpudding<br />
(125 g)<br />
1<br />
Angabe für Fruchtjoghurt vgl. Souci, Fachmann, Kraut (2016): Die Zusammensetzung der Lebensmittel.<br />
1 Danonino<br />
*Quelle: SFK= Souci-Fachmann-Kraut; Zusammensetzung der Lebensmittel; 2008<br />
Becher (50 g)<br />
BELIEBTE KINDERSNACKS IM VERGLEICH<br />
Die Grafi k zeigt übliche Portionsgrössen beliebter Kindersnacks im Vergleich.<br />
Snacks mit niedrigem Fett- und Zuckergehalt fi ndet man in der<br />
linken unteren Ecke.<br />
Fett (g/Portion)<br />
1 2 3 4 5 6<br />
1 Kinderpudding<br />
(125 g)<br />
Werte für 100 g:<br />
1 Portion Naturjoghurt<br />
(fettarm, 50 g)<br />
6 Butterguetzli<br />
(30 g)<br />
1 Danonino<br />
Becher (50 g)<br />
1 Müsliriegel<br />
(25 g)<br />
1 Portion Apfelmus<br />
(50 g)<br />
5 10 15 20 25 30<br />
*Quelle: SFK= Souci-Fachmann-Kraut; Zusammensetzung der Lebensmittel; 2008<br />
6 Butterguetzli<br />
Apfelmus:<br />
(30 g)<br />
19,2 g Zucker; 0,1 g Fett pro 100 g<br />
1 Fruchtjoghurt<br />
(vollfett, Butterguetzli: 125 g)<br />
22,8 g Zucker; 11 g Fett pro 100 g<br />
1 Danonino<br />
Fruchtjoghurt, vollfett:<br />
Becher (50 g)<br />
15 g Zucker; 2,62 g Fett pro 100 g<br />
Danonino:<br />
1 Portion Apfelmus<br />
11,8 g Zucker; 2,9 g Fett pro 100 g<br />
(50 g)<br />
Kinderpudding:<br />
13 g Zucker, 3,9 g Fett pro 100 g<br />
5 1 Fruchtjoghurt 10 15 20 25 30<br />
(vollfett, 125 g)<br />
Müsliriegel:<br />
Zucker (g/Portion)<br />
34 g Zucker; 17,6 g Fett pro 100 g<br />
1 Portion Naturjoghurt<br />
(fettarm, 50 g)<br />
Naturjoghurt, fettarm:<br />
4,5 g Zucker (Laktose);<br />
Zucker (g/Portion)<br />
1 Kinderpudding<br />
(125 g)<br />
1 Fruchtjoghurt<br />
(vollfett, 125 g)<br />
Apfelmus:<br />
19,2 g Zucker; 0,1 g Fett pro 100 g<br />
Butterguetzli:<br />
22,8 g Zucker; 11 g Fett pro 100 g<br />
Fruchtjoghurt, vollfett:<br />
15 g Zucker; 2,62 g Fett pro 100 g<br />
Danonino:<br />
11,8 g Zucker; 2,9 g Fett pro 100 g<br />
Kinderpudding:<br />
13 g Zucker, 3,9 g Fett pro 100 g<br />
Müsliriegel:<br />
34 g Zucker; 17,6 g Fett pro 100 g<br />
Naturjoghurt, fettarm:<br />
4,5 g Zucker (Laktose);<br />
1,6 g Fett pro 100 g<br />
* Quelle: Souci, Fachmann, Kraut (2016):<br />
Die Zusammensetzung der Lebensmittel.
Editorial<br />
Bild: Geri Born<br />
Nik Niethammer<br />
Chefredaktor<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Neulich erzählte unser Sohn zu Hause, ein Schüler habe im Unterricht ganz fest geweint.<br />
«Jona geht es nicht gut. Seine Eltern streiten immer. Jona sagt, er wolle nicht, dass Papa weggeht.<br />
Er habe ihn genauso lieb wie seine Mama.» Unsere kleine Tochter hatte aufmerksam<br />
zugehört. «Ihr beide seid ja verheiratet», sagte sie erleichtert. «Ihr bleibt immer zusammen.»<br />
Das ist der Urwunsch jedes Kindes. Die Realität sieht anders aus. Beinahe jede zweite Ehe<br />
wird heute geschieden. Im vorliegenden Dossier «Scheidung» geht unser Autor Andres<br />
Eberhard der Frage nach: Wie schaffen es Eltern, nach der Trennung als Familie weiter zu<br />
bestehen und sich zum Wohle des Kindes zu verhalten?<br />
Heute zu Papa, morgen zu Mama? – ab Seite 10.<br />
Lukas ist drei Jahre alt, als den Eltern auffällt, wie sehr sich ihr Kind für die Barbies der Cousine<br />
interessiert. Und wie gerne es deren Röckchen anzieht. Das ist nur eine Phase, denken<br />
sie. Mit sieben wird Lukas von einer Freundin der Mutter gefragt: «Wenn du ganz allein auf<br />
der Welt wärst, was würdest du sein wollen?» Lukas zögert keine Sekunde: «Ein Mädchen.»<br />
Lukas ist heute Lea, ein 14-jähriges Mädchen mit langen, blonden Haaren. «Ich kann mich<br />
nicht erinnern, dass ich mich je als Bub gefühlt habe.» Lea ist ein Transmädchen, ein Mädchen<br />
geboren in einem Bubenkörper. Lea ist eines von rund 8000 Kindern in der Schweiz,<br />
die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren können.<br />
«Die Gesellschaft sollte<br />
psychische Leiden ebenso<br />
betrachten wie gebrochene<br />
Knochen, Nierensteine oder eine<br />
Grippe – als ganz normales Auf<br />
und Ab des menschlichen Lebens.»<br />
Aaron Reuben & Jonathan Schaefer, Psychologen,<br />
Duke University, North Carolina, USA<br />
Mein Kollege Florian Blumer, den ich als neues Redaktionsmitglied<br />
von Fritz+Fränzi herzlich begrüsse, hat Lea getroffen. Er erzählt die<br />
Geschichte eines Teenagers, der nur einen Wunsch hat: als Mädchen<br />
leben zu dürfen.<br />
Lukas ist jetzt Lea – ab Seite 52.<br />
Vor einem Monat hatte ich Ihnen an dieser Stelle einen Bericht über<br />
die Zusammenschulung von Joel mit seinem Begleithund angekündigt.<br />
Sie erinnern sich: Der siebenjährige Junge aus Frutigen BE hat<br />
das Asperger-Syndrom, eine Variante des Autismus. Er wünscht sich<br />
sehnlichst einen Hund, der ihm Sicherheit gibt. Seine Mutter wandte<br />
sich an uns mit der Bitte, sie bei der Finanzierung zu unterstützen. Dank Ihren vielen kleinen<br />
und grossen Spenden bekamen wir den erforderlichen Betrag zusammen.<br />
Am 12. Februar hätte Joel erstmals mit seinem neuen Begleiter zusammenkommen sollen.<br />
Aufgrund eines plötzlichen Todesfalls in der Familie der Hundetrainerin wurde der Termin<br />
kurzfristig abgesagt. Wir bleiben dran und werden Ihnen Text und Bilder nachliefern,<br />
sobald der Kennenlerntermin hat stattfinden können.<br />
Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und Ihre Treue. Bleiben Sie uns gewogen.<br />
Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>3
Inhalt<br />
Ausgabe 3 / März <strong>2018</strong><br />
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />
fritzundfraenzi.ch und<br />
facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Augmented Reality<br />
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />
erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />
Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />
10<br />
Dossier: Scheidung<br />
10 Trennung im Guten<br />
40 Prozent der Ehen werden heute<br />
geschieden. Die gute Nachricht ist: In<br />
vielen Fällen leiden die Kinder nicht<br />
darunter. Betroffene und Experten<br />
erzählen, wie das geht.<br />
Bild: iStockphoto<br />
30 Reden ist Silber<br />
Psychologin Sonya Gassmann erklärt,<br />
warum sie in Beratungsgesprächen mit<br />
Scheidungskindern keine Fragen stellt.<br />
Und warum für die Kinder auch im<br />
Kontakt mit den Eltern Reden nicht das<br />
Wichtigste ist.<br />
Cover<br />
Wenn ein Partner<br />
auszieht, muss das<br />
nicht gleichzeitig das<br />
Ende einer guten<br />
Elternschaft bedeuten.<br />
Bilder: Thomas Schweigert / 13 Photo, Christian Grund / 13 Photo, Fabian Unternaehrer / 13 Photo, iStockphoto<br />
4 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
32<br />
52<br />
64<br />
Remo Largo, haben Sie ein Leben geführt,<br />
das zu Ihnen passt?<br />
Lea wurde als Lukas geboren. Doch als Bub<br />
hat sie sich nie gefühlt.<br />
Alles Fake? Vieles, was über das Handy als<br />
Nachricht daherkommt, ist frei erfunden.<br />
Erziehung & Schule<br />
42 Aufdringliche Eltern<br />
Der Lehrpersonenverband LCH<br />
hat einen Leitfaden für das Verhältnis<br />
zwischen Eltern und Lehrpersonen<br />
herausgegeben. Eine Lehrerin prüft<br />
ihn auf seine Praxistauglichkeit.<br />
52 Transkinder<br />
Kim wollte auf keinen Fall Röckchen<br />
tragen, Lukas wollte sie nach dem<br />
Verkleiderlis nicht mehr ausziehen:<br />
Die Geschichte zweier Kinder, die im<br />
falschen Körper geboren wurden.<br />
68 Aufschieben? Anpacken!<br />
Lerncoach Fabian Grolimund<br />
zeigt, mit welchen Tricks man<br />
vom Aufschieber zum Anpacker<br />
wird.<br />
Ernährung & Gesundheit<br />
60 Wettlauf gegen die Zeit<br />
Je früher eine Blutvergiftung erkannt<br />
wird, desto grösser sind die<br />
Überlebenschancen. Doch selbst für<br />
erfahrene Ärzte ist es schwierig,<br />
die Symptome richtig zu deuten.<br />
Digital & Medial<br />
64 Fake News<br />
Viele Jugendliche informieren sich<br />
heute ausschliesslich über die<br />
sozialen Medien – dies birgt Gefahren.<br />
67 Falsche Reality<br />
Lassen Sie Ihre Kinder nicht mit<br />
Castingshows alleine!<br />
Rubriken<br />
<strong>03</strong> Editorial<br />
06 Entdecken<br />
32 Monatsinterview<br />
Remo Largo sagt: Wir können unsere<br />
Grundbedürfnisse nicht mehr<br />
befriedigen. Er erklärt, was es braucht,<br />
damit wir das für uns passende<br />
Leben führen können.<br />
40 Mikael Krogerus<br />
Das Kinderbuch «Wunder» über einen<br />
entstellten Buben ist eine Geschichte,<br />
die auch Erwachsene zu Tränen rührt.<br />
46 Jesper Juul<br />
Strafe durch Belohnung als<br />
Erziehungsmethode zu ersetzen,<br />
ist keine gute Idee.<br />
48 Leserbriefe<br />
50 Elterncoaching<br />
Warum lügt mein Kind?<br />
Zum Beispiel, um sich soziale<br />
Kompetenzen anzueignen.<br />
74 Eine Frage – drei Meinungen<br />
Was tun, wenn die Tochter<br />
ihre Schulnoten nicht mehr zur<br />
Unterschrift vorlegt?<br />
Service<br />
63 Verlosung<br />
70 Ein Wochenende in ...<br />
... Hall-Wattens<br />
72 Sponsoren/Impressum<br />
72 Abo<br />
73 Buchtipps<br />
Tierische Freunde<br />
Die nächste Ausgabe erscheint<br />
am 5. April <strong>2018</strong>.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>5
Entdecken<br />
3 FRAGEN<br />
Mehr Hirn<br />
Im Laufe der Jugend wird die Hirnrinde<br />
dünner und das Volumen des<br />
Nervengewebes nimmt ab. Gleichzeitig<br />
verbessern sich die kognitiven<br />
Fähigkeiten. Wie kann das sein? Ein<br />
Team von der University of Pennsylvania<br />
in Philadelphia bietet nun eine<br />
mögliche Erklärung: Die Neurowissenschaftler<br />
konnten mit Hilfe<br />
von Hirnscans bei mehr als 1000<br />
Teilnehmern im Alter zwischen 8<br />
und 23 Jahren belegen, dass das<br />
Hirn volumen zwar tatsächlich<br />
abnimmt. Die graue Masse der<br />
Grosshirnrinde wird dadurch jedoch<br />
dichter – ihre äusseren Schichten<br />
enthalten neuronale Netzwerke, die<br />
unter anderem für höhere geistige<br />
Funktionen verantwortlich sind.<br />
an Simon Weiss, Aktionsleiter der Kampagne time:out,<br />
Blaues Kreuz Schweiz<br />
«Es dauert, bis sich das Hirn umprogrammiert»<br />
Störende Gewohnheiten hat jeder von uns. Mit der Aktion time:out fordert<br />
das Blaue Kreuz uns heraus, für einige Wochen auf die eine oder andere<br />
von ihnen zu verzichten – der eigenen Gesundheit und Fitness zuliebe.<br />
Aktionsleiter Simon Weiss sagt, dass sich gerade die Fastenzeit dafür<br />
bestens eignet.<br />
Interview: Evelin Hartmann<br />
Herr Weiss, auf was kann ich während meiner Teilnahme an der<br />
Kampagne time:out verzichten?<br />
Auf alles, was Sie möchten: Süssigkeiten, Zigaretten, Alkohol, Ihr Smartphone<br />
... Aber Sie sollten sich auf ein bis zwei Gewohnheiten beschränken.<br />
Wichtig ist ausserdem, dass Sie sich nicht zu hohe Ziele setzen und sich<br />
vier bis sechs Wochen Zeit nehmen für den Verzicht. Man weiss, dass es<br />
21 bis 40 Tage dauert, bis sich das Gehirn umprogrammiert hat.<br />
Wie funktioniert die Teilnahme?<br />
Auf unserer Homepage können Teilnehmer ein Formular ausfüllen, in dem<br />
sie unter anderem festlegen, worauf sie verzichten wollen. Dieser<br />
(unverbindliche) Vertrag macht das Durchhalten leichter. Ebenso finden<br />
Sie dort Tipps, die Sie unterstützen. So ist es beispielsweise leichter, sich<br />
etwas zu zweit oder in der Gruppe vorzunehmen. Wer mitmacht, nimmt<br />
zudem an einem Wettbewerb teil.<br />
Worauf wird am meisten verzichtet?<br />
Zwei Drittel der Teilnehmer verzichten auf Süssigkeiten. Übrigens: Der<br />
überwiegende Teil der Teilnehmenden ist weiblich, 40 Prozent sind<br />
zwischen 10 und 16 Jahre und 25 Prozent zwischen 17 und 30 Jahre alt.<br />
An diese junge Zielgruppe richtet sich die Aktion auch hauptsächlich.<br />
www.timeoutschweiz.ch<br />
39,6 % der Schweizer Schülerinnen und Schüler<br />
sind mit ihrem Leben «sehr zufrieden».<br />
Im Durchschnitt der OECD-Länder sind lediglich<br />
34,1 % sehr zufrieden. Unzufrieden zeigten<br />
sich in der Schweiz 7,4 %. Im Durchschnitt der<br />
OECD-Länder sind es 11,8 %.<br />
(Quelle: www.tagesanzeiger.ch,<br />
Beitrag: «Schweizer Schüler sind wenig ehrgeizig, aber zufrieden»)<br />
Raus ins echte Leben<br />
Jugendliche, die Sport treiben, nach<br />
draussen gehen und direkt mit<br />
Menschen interagieren, sind<br />
glücklicher als Teeanger, die ihre<br />
Zeit mit dem Smartphone oder in<br />
sozialen Medien verbringen, sagt<br />
eine Studie der San Diego State University. Die Forscher<br />
haben Daten von mehr als 1 Million US-Teenagern ausgewertet<br />
und sehen einen Zusammenhang zwischen Nutzungsdauer und<br />
Glücklichkeit: Die zufriedensten Teenager nutzen digitale Medien<br />
demnach eine Stunde am Tag, mit steigender Nutzung steigt<br />
die Unzufriedenheit stetig. Studienleiterin Jean M. Twenge<br />
empfiehlt, das Smartphone und digitale Medien nicht mehr als<br />
zwei Stunden am Tag zu nutzen – ein Ratschlag, der auch für<br />
Erwachsene nützlich sein könnte.<br />
6 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
«Die Berufsbildung muss ihre<br />
Rekrutierungspraktiken überdenken. Nur<br />
so können sie tatsächliches Potenzial<br />
entdecken und Talente fördern. Heute<br />
stehen bei der Rekrutierung vor<br />
allem die Höhe des Schulabschlusses<br />
und die Schulnoten im Fokus.»<br />
(Quelle: Beitrag auf www.aargauerzeitung.ch über die<br />
Studien ergebnisse der Erziehungswissenschaftlerin Margrit<br />
Stamm zum dualen Bildungssystem der Schweiz)<br />
Margrit Stamm ist<br />
emeritierte Professorin der<br />
Universität Freiburg<br />
und Direktorin des<br />
Forschungsinstituts Swiss<br />
Education in Bern.<br />
Geschichten mit Menschen<br />
sind lehrreicher<br />
Kindern fällt es offenbar leichter, Geschichten<br />
zu verstehen, wenn Menschen die Hauptrolle<br />
spielen. Das haben Wissenschaftler der Universität<br />
von Toronto herausgefunden. Viele moderne<br />
Kinderbücher, -filme oder -videospiele handelten<br />
von Tiercharakteren, doch seien Kinder<br />
schlechter dazu in der Lage, soziale Lektionen<br />
aus solchen Erzählungen auf ihren Alltag zu<br />
übertragen, meinen die Forscher. Das hänge<br />
vermutlich damit zusammen, dass Kinder keine<br />
allzu grosse Ähnlichkeit zwischen sich selbst<br />
und den sprechenden Tieren sehen. Eltern und<br />
Lehrer sollten deshalb lieber zu Büchern mit<br />
Geschichten über Menschen greifen, wenn sie<br />
Kindern eine spezielle Botschaft vermitteln<br />
wollen, raten die kanadischen Forscher.<br />
Bilder: ZVG, iStockphoto<br />
Wenn Mami nervt … Nervensägen sind weiblich. Auf diese einfache<br />
Formel lassen sich die Studienergebnisse einer Forschergruppe von der kalifornischen<br />
Berkeley University grob zusammenfassen. Die 1100 Teilnehmer sollten angeben, mit<br />
welchen Menschen sie Umgang haben und welche davon sie eher schwierig und fordernd<br />
bewerten würden. Dabei stellte sich heraus, dass Beziehungen zu weiblichen Verwandten<br />
als besonders schwierig eingeschätzt werden. Ist also was dran an der ständig nörgelnden<br />
Ehefrau und Mutter? Die Erklärung der Forscher: Frauen verbringen in der Regel mehr Zeit<br />
alleine mit den Kindern, sind auch physisch stärker eingebunden und tragen mehr<br />
Verantwortung als die Väter – da sind Konflikte (öfter) vorprogrammiert.<br />
Für gesunde<br />
Kinderrücken<br />
Bald gehts los! Zumindest was die<br />
Vorbereitungen auf den ersten<br />
Schultag betrifft. Wichtige Infos zum<br />
Thema Schulthek bietet zum Beispiel<br />
die Aktion Gesunder Rücken (AGR)<br />
e. V. Ob Spider-Man-, Lillifee- oder<br />
Dino-Aufdruck: Entscheidend ist<br />
demnach, dass ein leerer Thek mit<br />
einem Volumen von 15 Litern nicht<br />
mehr als 1,3 Kilogramm wiegen sollte.<br />
Wichtig ist ausserdem eine stabile<br />
Form des Schultheks, die sich der<br />
natürlichen Form der Wirbelsäule<br />
anpasst. Und eine atmungsaktive und<br />
rutschfeste Polsterung mit seitlicher<br />
Führung sorgt für einen optimalen,<br />
mittigen Sitz des Theks, der die<br />
Wirbelsäule entlastet.<br />
www.agr-ev.de<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>7
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8 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>9
Dossier<br />
Mahalia Kelz trennte<br />
sich nach elf Jahren<br />
von ihrem Mann.<br />
«Was meine Söhne<br />
und ich danach<br />
durchmachen<br />
mussten, wünsche<br />
ich keiner Familie.»<br />
10 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Und plötzlich lassen sich<br />
die Eltern scheiden<br />
In den letzten 50 Jahren hat sich die Scheidungsrate in der Schweiz mehr<br />
als verdoppelt. Besonders für die betroffenen Kinder ist das eine traurige<br />
Bilanz. Fast jedes Kind möchte, dass Mama und Papa zusammenbleiben.<br />
Eine Trennung muss aber nicht zwingend einen negativen<br />
Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben, sind sich Forscher heute<br />
einig. Vorausgesetzt, die Eltern schaffen es, sich zum Wohle des Kindes<br />
zu verhalten. Aber wie geht das?<br />
Text: Andres Eberhard Bilder: Thomas Schweigert / 13 Photo<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>11
Dossier<br />
Fast alle negativen Folgen<br />
einer Trennung können durch<br />
das Verhalten der Eltern<br />
positiv gesteuert werden.<br />
Es gab Zeiten, da wurde<br />
eine Scheidung der<br />
Eltern für fast alles verantwortlich<br />
gemacht,<br />
was im Leben der Kinder<br />
schiefgehen kann: psychische<br />
Störungen, Drogenmissbrauch,<br />
Straffälligkeiten und vieles mehr.<br />
Dass selbst einige Wissenschaftler<br />
diesen «Broken home»-Ansatz vertraten,<br />
war eine Steil vorlage für konservative<br />
Scheidungsgegner.<br />
Heute weiss man: Kinder leiden<br />
nicht unter der Trennung an sich,<br />
häufig aber unter ihren Folgen. Die<br />
Scheidungsfolgenforschung hat die<br />
Zusammenhänge gut untersucht:<br />
Als direkte Folgen einer Trennung<br />
gelten Konflikte zwischen den<br />
Eltern, der Verlust eines Elternteils,<br />
die psychische Verfassung des erziehenden<br />
Elternteils und ein allfälliger<br />
«ökonomischer Abstieg». Als indirekte<br />
Folgen, welche Kinder im<br />
negativen Sinne prägen können,<br />
gelten ein Umzug, der Verlust von<br />
anderen Beziehungen und die<br />
Gründung einer Zweitfamilie.<br />
Nun möchte aber kaum eine<br />
Mutter, kaum ein Vater, dass das<br />
Kind unter der Trennung seiner<br />
Eltern leiden muss. Nur, wie kriegt<br />
man das hin? Wir haben für dieses<br />
Dossier betroffene Familien und<br />
Expertinnen und Experten gefragt,<br />
worauf es an kommt.<br />
Die gute Nachricht zuerst: Fast<br />
alle der erwähnten negativen Folgen<br />
einer Trennung können durch das<br />
Verhalten der Eltern positiv gesteuert<br />
werden. Das wiederum heisst<br />
nichts anderes als: Eine Trennung,<br />
bei der die Kinder glimpflich davonkommen,<br />
ist zu schaffen. Dass die<br />
Scheidungsrate von 1970 bis heute<br />
von 15 auf rund 40 Prozent gestiegen<br />
ist, klingt für viele erst einmal wie<br />
das Ende des Modells «Familie».<br />
Nicht vergessen werden sollte aber,<br />
dass es darunter sehr viele «gute<br />
Scheidungen» gibt: In etwa 85 Prozent<br />
aller Fälle schaffen es die Eltern,<br />
die Beziehung aufzulösen, die Familie<br />
aber in neuer Form zu erhalten.<br />
Gleichwohl stellt eine Trennung<br />
eine grosse Herausforderung an die<br />
Eltern dar – gerade, weil sie sich selber<br />
in einer emotionalen Ausnahmesituation<br />
befinden. Besonders<br />
schwer tun sich viele Eltern damit,<br />
ihre eigenen Konflikte nicht aufs<br />
Kind zu übertragen. Der Ratschlag,<br />
der von Experten bei Weitem am<br />
häufigsten zu hören ist, lautet deshalb:<br />
Trennen Sie die Rolle als Partner<br />
oder Partnerin von Ihrer Rolle<br />
als Mutter oder Vater, dann kommt<br />
es gut.<br />
«Viele Konflikte entstehen auf der<br />
Paarebene, werden aber auf der<br />
Elternebene ausgetragen», sagt<br />
Danielle Estermann vom Schweizerischen<br />
Verband alleinerziehender<br />
Mütter und Väter (SVAMV). Und<br />
Oliver Hunziker vom Verein für<br />
elterliche Verantwortung (VeV) verdeutlicht:<br />
«Wenn man es schafft, zu<br />
erkennen, dass man selber seinen<br />
eigenen Partner unmöglich findet,<br />
der gemeinsame Sohn ihn aber lieb<br />
hat, dann ist man auf gutem Weg.»<br />
Auf den Punkt gebracht: Kinder<br />
sollten nicht in den Streit der Eltern<br />
involviert werden. Das klingt<br />
Dossier<br />
Alternierende<br />
Obhut: Vier Tage<br />
pro Woche sind<br />
Lynn, Léna, Léon<br />
und Léonor bei<br />
Karin Benninger,<br />
drei Tage bei<br />
ihrem Vater.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>13
Dossier<br />
Marc Benninger<br />
mit Ex-Frau Karin:<br />
«Das Wichtigste<br />
ist, den Fehler<br />
bei sich und nicht<br />
beim anderen<br />
zu suchen.»<br />
14 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
einfach, ist es aber natürlich<br />
nicht. Denn kommt es zur Trennung,<br />
streiten die Eltern – so sehr<br />
man das auch zu verhindern versucht<br />
– oft auch um die Kinder. Erstens,<br />
weil niemand die Kinder verlieren<br />
möchte. Und zweitens, weil es<br />
im Trennungsverfahren immer auch<br />
um den Unterhalt der Kinder geht.<br />
Oliver Hunziker findet dafür einfachere<br />
Worte: «Kinder bedeuten eben<br />
auch Geld.»<br />
Wenig förderlich zeigt sich dabei<br />
die Systematik unseres Rechtssystems.<br />
Eine Scheidung muss immer<br />
vor Gericht. Dafür braucht es in der<br />
Regel Anwälte. Und die sind dazu<br />
da, die Interessen einer einzigen Person<br />
zu vertreten. Wir werden also<br />
regelrecht auf ein Seilziehen ge <br />
trimmt, bei dem jeder seine eigenen<br />
Interessen durchsetzen will. «Die<br />
Aufgabe von Gerichten ist, herauszufinden,<br />
wer recht hat», sagt Hunziker.<br />
Dabei würde eine gute Scheidung,<br />
vor allem wenn Kinder im<br />
Spiel sind, ein pragmatisches Miteinander<br />
brauchen: Kommunikation,<br />
Kompromisse, aufeinander zugehen.<br />
Dossier<br />
draussen im Auto, ins Treppenhaus<br />
darf er nicht. Als Ge winner<br />
sieht sich Keller nicht. «Das Verhältnis<br />
zu den Kindern ist viel schlechter<br />
als vorher. Es ist viel kaputtgegangen<br />
in diesen zwei Jahren.»<br />
Dossier<br />
Matthias Lehmann,<br />
Martina Kral, Sohn<br />
Tom: «Wir haben es<br />
geschafft, uns zu<br />
trennen, ohne dass<br />
die Elternschaft<br />
darunter<br />
leiden musste.»<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>17
Dossier<br />
«Ich lebe bei<br />
meiner Mutter,<br />
habe aber bei<br />
meinem Vater<br />
ein Zimmer. Für<br />
mich stimmt es<br />
so», sagt Tom<br />
Lehmann.<br />
18 <br />
März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Dossier<br />
«Das Wichtigste und<br />
zugleich Schwierigste<br />
ist, solidarisch zu<br />
bleiben, den Partner<br />
vor den Kindern nicht<br />
schlechtzumachen»,<br />
sagt Karin Benninger.<br />
Vater. Eine gänzlich harmonische<br />
Trennung sei es nicht gewesen,<br />
erzählt Mutter Karin, «aber für uns<br />
beide war klar, dass wir über unseren<br />
Schatten springen mussten. Die Kinder<br />
leiden unter der Trennung schon<br />
genug.» Noch während der Weltreise<br />
informierten sie die Kinder über<br />
den Entscheid. Diese seien erleichtert<br />
gewesen. «Sie merkten ja, das<br />
etwas nicht stimmt, wussten aber<br />
nicht, was los ist.» Marc Benninger<br />
sagt, dass nicht alle die Trennung<br />
problemlos weggesteckt hätten. Ein<br />
Kind hatte vermehrt Schlafprobleme,<br />
ein anderes sei wütend auf die<br />
Mutter gewesen, welche die Trennung<br />
ausgesprochen hatte.<br />
Zwei Jahre später steuert die<br />
Familie auf ruhigere Gewässer zu.<br />
Die Eltern versuchen, miteinander<br />
zu reden, über schulische Dinge<br />
oder darüber, wie man mit den Kindern<br />
über die neue Situation spricht.<br />
«Das Wichtigste und Schwierigste<br />
zugleich ist es, solidarisch zu bleiben»,<br />
sagt Karin Benninger. Damit<br />
meint sie, dass man vor den Kindern<br />
den Partner nicht schlechtmacht,<br />
nicht versucht, den anderen mit<br />
einem besseren Kinderprogramm<br />
zu überbieten. Und dass man an<br />
einem gemeinsamen Strick zieht,<br />
damit die Kinder ihre Eltern nicht<br />
gegeneinander ausspielen. Nicht<br />
das, nicht dies, nicht jenes: Für viele<br />
Eltern, die sich in einer emotional<br />
stressigen Trennungssituation befinden,<br />
kann das wirken wie Hohn.<br />
Auch Karin Benninger weiss das:<br />
«Am Anfang schafft man das nicht<br />
immer. Es soll aber das Ziel sein.<br />
Und mit der Zeit gelingt es auch.»<br />
Geholfen hat der Familie Benninger<br />
auch, dass sich die Eltern bereits<br />
vor der Trennung die Erziehung der<br />
Kinder aufgeteilt hatten, wie Karin<br />
Benninger sagt. «Wir haben beide<br />
relativ flexible Arbeitszeiten.» Ein<br />
zentraler Punkt sei zudem, dass die<br />
Kinder in ihrer gewohnten (Schul-)<br />
Umgebung bleiben konnten. So zog<br />
Mutter Karin nach der Trennung ins<br />
Nachbardorf, das nur eine fünf-<br />
Urlaub auf Familisch<br />
in 55 Familienhotels in Europa<br />
Kinder leiden, wenn es den<br />
Eltern schlecht geht. Eltern<br />
sollten sich deshalb nach einer<br />
Trennung auch um ihr eigenes<br />
Wohlbefinden kümmern.<br />
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minütige Autofahrt entfernt liegt.<br />
Das biete auch für die Eltern Vorteile:<br />
«Wenn etwas vergessen geht,<br />
kann man es schnell holen gehen.»<br />
Eltern verarbeiten eine Trennung<br />
sehr individuell<br />
Eine nicht zu vernachlässigende<br />
Erkenntnis der Scheidungsfolgenforschung:<br />
Kinder leiden, wenn es<br />
den Eltern schlecht geht. Aus diesem<br />
Grund sollten sich Eltern auch um<br />
ihr eigenes Wohlbefinden kümmern<br />
– und Strategien für die Verarbeitung<br />
einer Trennung entwickeln.<br />
Marc Benninger, der Vater von Lynn,<br />
Léon, Léna und Léonor, meditiert<br />
seit Jahren 15 Minuten pro Tag. «Das<br />
hat mir enorm geholfen, die Trennung<br />
zu akzeptieren und Frieden zu<br />
finden.» Etwas vom Wichtigsten sei<br />
es, den Fehler bei sich zu suchen und<br />
nicht beim anderen, sagt Benninger.<br />
Wie Eltern eine Trennung verarbeiten,<br />
ist sehr individuell. Manche<br />
wie Marc Benninger tun das für sich,<br />
andere sprechen mit Freunden, wieder<br />
andere suchen sich professionelle<br />
Hilfe bei Psychologen oder Mediatoren.<br />
Einen anderen Weg, eine<br />
Trennung zu verarbeiten, schlägt<br />
Andrea Marco Bianca, reformierter<br />
Pfarrer aus Küsnacht, vor. Und zwar<br />
einen, der besonders für Kinder gut<br />
geeignet ist: Bianca rät, sogenannte<br />
Scheidungsrituale durchzuführen.<br />
Dabei handelt es sich um symbolische<br />
Akte, bei denen es um die<br />
Auflösung des Eheversprechens und<br />
eine Neuformulierung des Elternversprechens<br />
geht. Zum Beispiel<br />
trifft man sich an einem bedeutungsvollen<br />
Ort – in einer Kirche,<br />
im Wald, auf einem Berg –<br />
Dossier<br />
und führt eine kurze Zeremonie<br />
durch. Beim Ritual gilt: Alles ist<br />
möglich, vom einfachen Handschlag<br />
oder dem Anstossen mit einem Glas<br />
Prosecco in den eigenen vier Wänden<br />
bis hin zu einer gros sen Zeremonie<br />
mit Pfarrer und Gästen an<br />
einem Lagerfeuer, bei dem die Ex-<br />
Partner ihre Eheringe ver graben.<br />
Zentral ist, dass Eltern im Rahmen<br />
der Zeremonie ein paar persönliche,<br />
vorbereitete Worte aussprechen.<br />
«Dem Ex-Partner wird für<br />
das Gute ge dankt und für das<br />
Schlechte vergeben», sagt Bianca.<br />
Dossier<br />
Mahalia Kelz kämpfte<br />
vier Jahre um das<br />
Besuchsrecht für ihre<br />
Kinder. Sie liess sich<br />
nebenberuflich zur<br />
Mediatorin ausbilden.<br />
23
Dossier<br />
Marc Benninger<br />
wohnt nur fünf<br />
Autominuten von<br />
seiner Ex-Frau<br />
entfernt. Drei Tage<br />
pro Woche sind die<br />
vier Kinder bei ihm.<br />
24 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
«Es ist wichtig, Kindern nach<br />
einer Trennung die Schuld und<br />
die Verantwortung zu nehmen»,<br />
sagt Pfarrer Andrea Bianca.<br />
Dossier<br />
Wahl einer kinderfreundlichen<br />
Obhutslösung können Eltern<br />
zudem dafür sorgen, dass das Kind<br />
durch die Trennung keinen Elternteil<br />
verliert.<br />
Nicht vergessen werden sollten<br />
dabei die indirekten Folgen, die eine<br />
Trennung auf das Kind haben kann:<br />
Umzug, Verlust von Bekannten und<br />
häufig auch eine neue Familie.<br />
Gerade ein Umzug kann für Kinder<br />
schlimm sein, weil sie aus ihrem<br />
sozialen Umfeld gerissen werden.<br />
Viele Eltern wie die Familie Benninger<br />
sorgen darum dafür, dass sie<br />
auch nach der Trennung nah beieinander<br />
wohnen. Mit guter Kommunikation<br />
nach aussen – warum nicht<br />
mit einem Scheidungsritual – lässt<br />
sich zudem verhindern, dass sich<br />
Verwandte oder Bekannte aus Unsicherheit<br />
abwenden.<br />
Dossier<br />
den Erziehungsstil ihrer Eltern beschreiben als diese<br />
selbst. Das hängt wohl damit zusammen, dass Kinder<br />
dank dem Austausch mit ihren Freunden und Gleichaltrigen<br />
die Erziehungspraktiken ihrer Eltern besser mit<br />
denjenigen anderer Eltern vergleichen können.<br />
6) Co-Parenting ist immer besser als alleine erziehen.<br />
Am besten sind die Betreuungsmodelle, die individuell<br />
gut funktionieren. Gemäss den Untersuchungen der<br />
Familienrechtsprofessorin Hildegund Sünderhauf ist eine<br />
funktionierende alternierende Obhut der «Rolls-Royce»<br />
unter den Betreuungsmodellen. Klappt es damit aber<br />
nicht gut, sei ein Residenzmodell vorzuziehen – wenn<br />
dieses funktioniert. Schlecht und belastend für Kinder ist<br />
immer die Fortsetzung der elterlichen Konflikte, unabhängig<br />
vom Betreuungsmodell.<br />
Quellen:<br />
- Familienbericht des Bundes, 2017<br />
- Pasqualina Perrig-Chiello, François Höpflinger, Christof Kübler,<br />
Andreas Spillmann: «Familienglück – was ist das?»<br />
- Hildegund Sünderhauf: «Wechselmodell: Psychologie – Recht<br />
– Praxis»<br />
«Wir tauschen uns<br />
einmal im Monat<br />
über alles aus, was<br />
unseren Sohn Tom<br />
betrifft», sagen<br />
Matthias Lehmann<br />
und seine Ex-Frau<br />
Martina Kral.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>27
Dossier<br />
Entspannung beim<br />
Harfenspiel: «Der<br />
egoistische Kampf<br />
der Eltern schadet<br />
Kindern am<br />
meisten», sagt<br />
Mahalia Kelz.<br />
28 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
halte in finanzielle Schwierigkeiten,<br />
meist alleinerziehende<br />
Mütter. Die Gründe für den «ökonomischen<br />
Abstieg» liegen darin,<br />
dass die Mütter vor der Trennung<br />
nicht oder nur Teilzeit berufstätig<br />
waren und dann auf einen Schlag<br />
zur Haupternährerin der Familie<br />
werden. Dies lässt sich kaum verhindern,<br />
es sei denn, man teilt Betreuungs-<br />
und Arbeitsverhältnisse<br />
bereits vor der Trennung auf. Danielle<br />
Estermann vom SVAMV rät:<br />
«Im besten Fall wird die Betreuung<br />
bereits thematisiert, wenn das Kind<br />
unterwegs ist.»<br />
Wohl jede Familie wünscht sich,<br />
dass sie zusammenbleibt, am besten<br />
bis ans Ende aller Tage. Gelingt das<br />
nicht, fühlt sich das an wie ein Scheitern.<br />
Ein Happy End trotz Trennung<br />
scheint erst einmal un denkbar. Wer<br />
an diesem Punkt ist, sollte sich einen<br />
Dossier<br />
«Fragen verschliessen<br />
das Herz der Kinder»<br />
Sonya Gassmann begleitet Eltern in der Trennungszeit. Wichtiger als reden sei es,<br />
präsent zu sein und mit den Kindern etwas zu unternehmen, sagt die Psychologin.<br />
Interview: Andres Eberhard<br />
Frau Gassmann, was bedeutet es für<br />
ein Kind, wenn Eltern sich trennen?<br />
Typisch sind drei Reaktionen: Verunsicherung,<br />
Verlustängste und<br />
Schuldgefühle. Gerade kleine Kinder<br />
wissen nicht, was bei einer Trennung<br />
passiert. Vor allem können sie nicht<br />
abschätzen, dass die Elternschaft<br />
trotz einer Trennung weitergeht.<br />
Wenn Eltern sich streiten, hören<br />
Kinder heraus, dass es um sie geht,<br />
selbst wenn das nicht so sein sollte.<br />
Das erzeugt Schuldgefühle und<br />
Scham. Eltern beziehen in solchen<br />
Extremsituationen unbewusst ihre<br />
Kinder zu wenig mit ein, weil sie so<br />
stark mit sich selbst beschäftigt sind.<br />
Deswegen ist es wichtig, dem Kind<br />
ein Sprachrohr zu geben. In meinen<br />
Beratungen trete ich als eine Art<br />
Kinderanwältin auf.<br />
Wie tun Sie das?<br />
Zu den wichtigsten Schutzfaktoren<br />
für Kinder gehört, dass sie während<br />
der Trennungsphase eine Vertrauensperson<br />
haben, mit der sie das<br />
Ereignis einordnen und Strategien<br />
für die Bewältigung finden können.<br />
«Das Allerwichtigste ist,<br />
dass die Eltern die<br />
Grundbedürfnisse des Kindes<br />
weiterhin beachten.»<br />
Dafür muss ich die Bedürfnisse der<br />
Kinder kennen. Wenn die Eltern<br />
einverstanden sind, kommen die<br />
Kinder ohne sie zu mir. Dann geht<br />
es darum, das Vertrauen der Kinder<br />
zu gewinnen. Mein wichtigstes Credo<br />
dabei: Ich stelle keine Fragen.<br />
Denn die verschliessen das Herz der<br />
Kinder.<br />
Wie sonst erfahren Sie, was Kinder<br />
wollen?<br />
Ich versuche auf spielerische Art und<br />
Weise herauszufinden, was sie brauchen.<br />
Zum Beispiel zeichne ich ganz<br />
rudimentär zwei Häuser auf ein Flipchart:<br />
«Mutters Haus» und «Vaters<br />
Haus». Ganz automatisch beginnt<br />
das Kind selbst zu zeichnen und zu<br />
erzählen, was ihm gefällt, was es vermisst<br />
und wie es sein neues Zuhause<br />
gestalten möchte.<br />
Und, welches sind die wichtigsten<br />
Bedürfnisse der Kinder?<br />
Dass Mami und Papi für sie da sind.<br />
Das Kind hat ja beide gern und sollte<br />
nicht in einen Loyalitätskonflikt<br />
geraten. Auch ganz wichtig sind<br />
beständige Strukturen wie Familienrituale,<br />
zuverlässige Regelungen und<br />
verbindliche Absprachen sowie konstante<br />
Bezugspersonen neben den<br />
Eltern.<br />
Welche Folgen kann eine Trennung<br />
oder Scheidung für die Entwicklung<br />
eines Kindes haben?<br />
Ungefähr jedes dritte Kind verändert<br />
sein Verhalten in der Schule. Diese<br />
Kinder ziehen sich entweder zurück<br />
oder werden verhaltensauffällig.<br />
Schulische Schwierigkeiten treten oft<br />
im Alter von sechs bis acht Jahren<br />
sowie während der Pubertät auf. In<br />
diesen Phasen baut das Kind wichtige<br />
Stufen seiner Ich-Entwicklung<br />
auf – unter anderem die Konzentrationsleistung.<br />
Eine Trennung der<br />
Eltern kann diesen Prozess beeinträchtigen.<br />
Sie kann auch ein Kompensationsverhalten<br />
auslösen: eine<br />
verstärkte Nutzung von sozialen<br />
Medien einhergehend mit Sozialkontaktverlust<br />
oder ein verändertes<br />
Ess- und Schlafverhalten. Zudem ist<br />
es möglich, dass die Entwicklung des<br />
Kindes verzögert oder beschleunigt<br />
wird. Bei all diesen Folgen gilt: Je<br />
konfliktreicher eine Trennung – also<br />
je mehr Streitgespräche, Wut und<br />
Aggressionen –, desto schlimmer für<br />
das Kind und desto stärker die möglichen<br />
Folgen.<br />
Welche Schäden können bis ins<br />
Erwachsenenalter bleiben?<br />
In meiner Praxis berate ich auch<br />
erwachsene Einzelpersonen. Scheidungskinder<br />
haben später öfter<br />
Schwierigkeiten, sich in Beziehungen<br />
längerfristig zu binden. Auch der<br />
Selbstwert kann leiden. Vergessen<br />
wir aber nicht: Im besten Fall wird<br />
das Wohlbefinden des Kindes von<br />
einer Trennung überhaupt nicht<br />
beeinträchtigt und das Kind gewinnt<br />
an Selbständigkeit und Bewältigungsstrategien<br />
hinzu.<br />
Wie kommt man als Eltern dahin?<br />
Das Allerwichtigste ist, die Grundbedürfnisse<br />
des Kindes weiterhin zu<br />
30 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
eachten. Das Kind soll nicht unter<br />
der negativen Stimmung zwischen<br />
den Eltern leiden müssen. Dafür<br />
müssen die Eltern natürlich erst wissen,<br />
wie es dem Kind geht und was<br />
es braucht. Das geht nur mit Empathie,<br />
grossem Interesse und gründlicher<br />
Information, damit es die<br />
Entscheidungen der Eltern besser<br />
verstehen kann.<br />
Haben Sie konkrete Tipps?<br />
Etwas vom Wichtigsten: Eltern sollen<br />
handeln, nicht nur reden. Für die<br />
Kinder ist es eine nicht alltägliche<br />
Situation, in der ihnen signalisiert<br />
werden muss, dass beide Eltern weiterhin<br />
für sie da sind. Das schafft<br />
man am besten mit erhöhter Präsenz,<br />
indem man mit den Kindern<br />
etwas Konkretes unternimmt: zum<br />
Beispiel im Winter im Schnee spazieren<br />
und im Sommer zusammen<br />
baden gehen. Besonders wichtig ist<br />
auch, wie die Eltern ihre Beziehung<br />
nach einer Trennung zueinander<br />
gestalten. Falls es die Eltern noch gut<br />
miteinander haben, empfehle ich ein<br />
gemeinsames Nachtessen pro Monat,<br />
abwechselnd bei Vater und Mutter.<br />
Eine konkrete Massnahme wäre<br />
auch, dass Vater oder Mutter das<br />
Arbeitspensum auf 80 Prozent reduzieren.<br />
Für das Kind ist das ein starkes<br />
Signal.<br />
Wie bringt man einem Kind eine<br />
Trennung bei?<br />
Gerade jüngere Schulkinder sind<br />
sehr verunsichert. Sie vergleichen<br />
stark, sehen nur die sogenannt intakten<br />
Familien aus dem Umfeld. Was<br />
ich ganz oft höre: «Die sind doch<br />
auch zusammen, warum wir nicht?»<br />
Ganz wichtig ist es darum, zu betonen,<br />
dass die Trennung nichts mit<br />
der Liebe zu den Kindern zu tun hat,<br />
dass Mama und Papa trotz zwei<br />
Wohnungen Eltern bleiben werden.<br />
Im Idealfall kommunizieren Eltern<br />
gemeinsam zu Hause am Familientisch<br />
– und signalisieren den Kindern,<br />
dass sie auch konfliktfrei miteinander<br />
umgehen können.<br />
Und wenn die Kinder schon älter sind?<br />
In der Pubertät kann ein Kind schon<br />
sehr gut abschätzen, was eine Trennung<br />
bedeutet und dass eine solche<br />
in vielen Familien vorkommt. Dann<br />
ist es umso wichtiger, dass das Kind<br />
merkt, dass seine Bedürfnisse und<br />
Interessen weiterhin berücksichtigt<br />
werden: Die sind vermehrt auch<br />
sozialer sowie finanzieller Art –<br />
Freunde, Kleider, Smartphone und<br />
so weiter.<br />
In der Theorie klingt das gut, in der<br />
Realität scheint es schwierig zu<br />
schaffen: Schliesslich befinden sich<br />
die Eltern in einer psychischen Ausnahmesituation.<br />
Wo kriegen sie Hilfe?<br />
Eine Familienmediation kann helfen.<br />
Da geht es darum, dass alle<br />
Familienmitglieder ihre eigenen<br />
«Falls es die Eltern noch gut<br />
miteinander haben, empfehle<br />
ich ein gemeinsames<br />
Nachtessen pro Monat.»<br />
Bedürfnisse gut kennen, sich austauschen<br />
und auch gut zuhören können,<br />
was die Bedürfnisse der anderen<br />
sind. Tun sie das nicht, entsteht eine<br />
Erwartungshaltung, die nicht erfüllt<br />
werden kann. Oder umgekehrt<br />
gesagt: Wer weiss, was er braucht,<br />
kann auch auf die Bedürfnisse der<br />
anderen besser eingehen.<br />
Zur Person<br />
Sonya Gassmann ist Psychologin lic.phil.,<br />
Mediatorin und Dozentin. In der eigenen<br />
Praxis in der Stadt Bern berät sie<br />
Einzelpersonen, Paare und Familien. Dabei<br />
arbeitet sie auch direkt mit Kindern und<br />
Jugendlichen, die von einer Trennung<br />
betroffen sind. Gassmann war als<br />
Berufsschullehrerin und Schulleiterin tätig<br />
sowie als Expertin für Konfliktsituationen<br />
und Gesprächsführung beim Bundesamt<br />
für Sport.<br />
Im nächsten Heft:<br />
Achtsamkeit<br />
Bild: iStockphoto<br />
Langsamkeit gilt oft als rückständig, hinderlich,<br />
uncool. Dabei empfehlen Experten schon länger,<br />
sich wieder mehr Zeit zu nehmen, bewusster im<br />
Moment zu leben, achtsam zu sein. Wie das mit<br />
Kindern funktioniert, ist Thema des April-Dossiers.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>31
«Eltern sollten endlich<br />
darauf vertrauen, dass<br />
jedes Kind lernen will»<br />
30 Jahre lang hat er die Abteilung für Entwicklungspädiatrie am Kinderspital<br />
Zürich geleitet, seine Elternratgeber sind Longseller, «Babyjahre» und<br />
«Kinderjahre» stehen in (fast) jedem elterlichen Bücherregal. Getrieben wurde<br />
Remo Largo sein ganzes Arbeitsleben von der Frage, was das Wesen des<br />
Menschen ausmacht. Antworten gibt er in seinem wahrscheinlich letzten Buch<br />
«Das passende Leben». Der bekannteste Kinderarzt der Schweiz über<br />
die heutige Massengesellschaft, überforderte Kinder und neue Formen<br />
des Zusammenlebens. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Christian Grund / 13 Photo<br />
Sechs Jahre hat<br />
Remo Largo an<br />
seinem Buch «Das<br />
passende Leben»<br />
gearbeitet.
Monatsinterview<br />
Ein trüber Dienstagmorgen,<br />
Schneeflocken wirbeln durch die Luft,<br />
Autos mühen sich eine steile Strasse<br />
in Uetliburg, Kanton St. Gallen, hinauf.<br />
Dort oben wohnt Remo Largo, schönes<br />
Einfamilienhaus, traumhafter Blick bis<br />
zum Zürisee. «Habens Sie’s gut<br />
gefunden?», fragt der Kinderarzt,<br />
nimmt Mantel und Schal ab. «Ich<br />
mache Ihnen einen Tee», sagt er und<br />
bittet in den Salon, wo man sich die<br />
nächsten Stunden unterhalten wird.<br />
Remo Largo, Ihr Buch «Das passende<br />
Leben» ist seit einem Jahr auf dem<br />
Markt. Das Medienecho war gross,<br />
zum Teil nicht gerade positiv. Hat Sie<br />
das überrascht?<br />
Im Nachhinein nicht. Ich kann verstehen,<br />
dass meine Thesen vielen<br />
Lesern nicht behagen. Sie erwarten<br />
leicht umsetzbare Ratschläge. Im<br />
Buch geht es darum, sich selbst und<br />
sein Leben zu hinterfragen.<br />
Was ist für Sie ein «passendes<br />
Leben»?<br />
Ein passendes Leben zu führen, ist<br />
ein Grundprinzip der Evolution. Das<br />
will jedes Lebewesen, sei es ein Bakterium,<br />
eine Pflanze, ein Tier oder<br />
ein Mensch. Wir sind ständig<br />
bemüht, uns anzupassen oder eine<br />
Umwelt zu finden, die unseren<br />
Bedürfnissen entspricht. Ausserdem<br />
geht es darum, seine ganz eigenen<br />
Kompetenzen anwenden zu können<br />
«Die Familie war<br />
nie ein soziales<br />
Eiland, auf dem die<br />
Eltern ihre Kinder<br />
alleine grossgezogen<br />
haben.»<br />
– ohne dauerhaft überfordert oder<br />
unterfordert zu sein. Dies nenne ich<br />
das «Fit-Prinzip» – das wesentlich<br />
den Sinn des Lebens ausmacht.<br />
Sich selbst treu bleiben zu können<br />
und als derjenige wahrgenommen zu<br />
werden, der man wirklich ist, das<br />
wünscht sich jeder Mensch. Warum<br />
gelingt dies nur noch wenigen?<br />
Wir verändern unsere Umgebung<br />
seit etwa 150 Jahren massiv. Das hat<br />
vor allem mit dem technischen Fortschritt<br />
sowie der Vermassung der<br />
Gesellschaft, der Globalisierung zu<br />
tun. Doch wir Menschen sind nicht<br />
beliebig anpassungsfähig. Unsere<br />
Vorfahren haben während mindestens<br />
200 000 Jahren in Lebensgemeinschaften<br />
mit vertrauten Menschen<br />
gelebt. Nur selten kam jemand<br />
vorbei, den man nicht kannte. Diese<br />
Art des Zusammenlebens hat uns<br />
geprägt. Jetzt leben wir in einer anonymisierten<br />
Massengesellschaft, für<br />
die wir nicht gemacht sind.<br />
Und in der Massengesellschaft können<br />
wir unsere Grundbedürfnisse nicht<br />
mehr ausreichend befriedigen?<br />
Davon bin ich überzeugt. Insbesondere<br />
die sozialen und emotionalen.<br />
Geborgenheit, soziale Anerkennung<br />
und eine gesicherte Stellung in der<br />
Gemeinschaft sind Grundbedürfnisse,<br />
die wir immer weniger befriedigen<br />
können. Darunter leiden vor<br />
allem Kinder und ältere Menschen.<br />
Das müssen Sie genauer erklären.<br />
«Es braucht ein ganzes Dorf, um ein<br />
Kind aufzuziehen», besagt ein afrikanisches<br />
Sprichwort. Da reicht eine<br />
Kleinfamilie nicht aus. So bekommen<br />
die Kinder nicht mehr die<br />
Geborgenheit, die sie eigentlich<br />
brauchen. Zusätzlich sind viele<br />
Eltern gestresst. Sie haben Angst, in<br />
unserer Leistungsgesellschaft den<br />
Anschluss zu verlieren. Diese Angst<br />
geben sie als Druck an ihre Kinder<br />
weiter.<br />
Unsere Kinder wachsen heute<br />
mehrheitlich in Kleinfamilien auf ...<br />
... und haben zu wenig weitere<br />
Be zugspersonen. Die Grosseltern<br />
wohnen oftmals zu weit weg, um sich<br />
an der Kinderbetreuung aktiv beteiligen<br />
zu können, zu seinem direkten<br />
Umfeld, etwa der Nachbarschaft,<br />
pflegt man keinen intensiven Kontakt.<br />
Wir haben uns an ein Leben mit<br />
grossen individuellen Freiheiten und<br />
wenig zwischenmenschlichem Um -<br />
gang und Verantwortung ge wöhnt<br />
und sind nur ungern bereit, darauf<br />
zu verzichten.<br />
Ganz nach dem Motto: «Wir als<br />
Familie müssen es alleine schaffen.»<br />
Aber das ist quasi unmöglich. Die<br />
Familie war zu keiner Zeit ein soziales<br />
Eiland, auf dem die Eltern ihre<br />
Kinder alleine grossgezogen haben.<br />
Sie war immer in eine Lebensgemeinschaft<br />
eingebunden, in der es<br />
mehrere tragende Bezugspersonen<br />
gab: die erweiterte Familie, Nachbarschaft,<br />
Menschen, mit denen Kinder<br />
das Leben geteilt haben – und natürlich<br />
viele andere Kinder.<br />
Man kann Aufgaben an Dienstleister<br />
delegieren: Haushaltshilfen, Kitas ...<br />
... Zu mehr emotionaler Unterstützung<br />
sowie Geborgenheit gelangt<br />
man dadurch aber nicht. Oder<br />
anders gesagt: Der Krippenerzieherin<br />
erzähle ich nichts von meinen<br />
Eheproblemen, der vertrauten Nachbarin<br />
vielleicht schon. Ich bin der<br />
festen Überzeugung, dass diese Vereinzelung<br />
unser Wohlbefinden be -<br />
einträchtigt. Gerade Kleinfamilien<br />
sind damit völlig überfordert. Als<br />
zutiefst soziale Wesen brauchen wir<br />
langjährige tragfähige Beziehungen<br />
mit vertrauten Menschen.<br />
Aber verklären Sie diese Lebensformen<br />
vergangener Zeiten nicht<br />
zu sehr? >>><br />
34 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Remo Largo hat<br />
drei Töchter und<br />
vier Enkel. Er lebt<br />
in Uetliburg im<br />
Kanton St. Gallen.
«Für ein weiteres<br />
Buch fehlt mir<br />
die Kraft», sagt<br />
Remo Largo.<br />
>>> Sie haben recht, die soziale<br />
Kontrolle und damit der Druck in<br />
einem Dorf des 18. oder 19. Jahrhunderts<br />
war hoch. Die meisten Bewohner<br />
hatten schlichtweg keine andere<br />
Wahl, als dort zu leben. Diese Zeiten<br />
will keiner zurück. Mir schweben<br />
freiwillig eingegangene Gemeinschaften<br />
vor. Eine Gruppe von Menschen<br />
gründet beispielsweise eine<br />
Wohnbaugenossenschaft, an der<br />
man sich mit einem finanziellen Beitrag<br />
beteiligt. Man unterstützt sich<br />
gegenseitig bei der Kinder- oder<br />
Altenbetreuung, pflegt Hobbys und<br />
treibt gemeinsam Sport. Es müssen<br />
Lebensräume geschaffen werden, die<br />
viel Raum für Begegnungen lassen.<br />
Dafür müssen alle Bewohner, auch<br />
die Kinder, in die Planung der<br />
Gemeinschaft und deren Aktivitäten<br />
miteinbezogen werden.<br />
Nun gibt es solche Wohngemeinschaften<br />
hierzulande bereits. Jedenfalls<br />
in Ansätzen. Manche Menschen<br />
gehen darin auf – andere wollen so<br />
viel Nähe schlichtweg nicht, wünschen<br />
sich mehr Privatsphäre.<br />
Es soll auch niemand gezwungen<br />
werden, so zu leben. Wer möchte,<br />
kann weiterhin in seinem Einfamilienhaus<br />
mit eingezäuntem Garten<br />
wohnen bleiben. Aber alle anderen<br />
sollen die Möglichkeit bekommen,<br />
ein für sie passendes Leben führen<br />
zu können.<br />
Eine weitere Forderung, die Sie seit<br />
Jahren stellen, betrifft einen grundlegenden<br />
Umbau unseres Bildungswesens.<br />
Heute scheint das Bildungswesen<br />
nur eine Aufgabe zu haben: Arbeitskräfte<br />
für die Wirtschaft heranzuziehen.<br />
Unser Bildungswesen ist eine<br />
Planwirtschaft. Oben wird ein Lehrplan<br />
ausgeheckt, die Lehrer müssen<br />
ihn durchsetzen und die Kinder<br />
werden mit Prüfungen kontrolliert.<br />
Was Kinder, Eltern und Lehrer<br />
unglücklich macht. Das ist nicht das,<br />
was ich unter Bildung verstehe. Echte<br />
Bildung besteht darin, das Kind<br />
in all seinen Kompetenzen zu fördern,<br />
auch in den sozialen. Dafür<br />
müssen wir unser Menschenbild<br />
hinterfragen. Ich wünsche mir, dass<br />
aus einem Kind ein kompetenter<br />
Erwachsener mit einem guten<br />
Selbstwertgefühl und guter Selbstwirksamkeit<br />
wird, der sich der<br />
Gemeinschaft verpflichtet fühlt.<br />
Woran fehlt es?<br />
Das Traurige ist, dass sich die meisten<br />
jungen Erwachsenen heute nicht<br />
mehr spüren, weil ihnen von klein<br />
auf gesagt wurde, was sie zu tun<br />
haben. Die Kinder stehen unter ständigem<br />
Leistungsdruck, der sie demotiviert.<br />
Mit dem Resultat, dass wir<br />
am Ende junge Erwachsenen haben,<br />
die völlig fremdbestimmt sind und<br />
kein gutes Selbstvertrauen und keine<br />
gute Selbstwirksamkeit haben. Dabei<br />
wollen doch alle Kinder Leistungen<br />
erbringen. Wir sollten endlich darauf<br />
vertrauen, dass alle Kinder lernen<br />
wollen, aber in ihrem eigenen Tempo<br />
und auf ihre Weise.<br />
Fehlendes Zutrauen – ist das<br />
eine Ursache dafür, dass es vielen<br />
36 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Monatsinterview<br />
Menschen so schwerfällt, das für sie<br />
passende Leben zu finden?<br />
Genau, Zutrauen in sich selbst, das<br />
müssen Kinder lernen. Sie müssen<br />
die Erfahrung machen, dass sie<br />
selbstbestimmt Dinge erreichen<br />
können. Ich habe während meiner<br />
wissenschaftlichen Arbeit am Kinderspital<br />
Zürich einen Jungen kennengelernt,<br />
der mathematisch hochbegabt<br />
war. Er hat später theoretische<br />
«Eltern sollen ihr<br />
Kind so annehmen,<br />
wie es ist.<br />
Und es soll eine<br />
Schulkarriere<br />
machen dürfen, die<br />
ihm entspricht.»<br />
Physik studiert, mit das Schwerste<br />
überhaupt, was man studieren kann.<br />
Nach Abschluss seines Studiums hat<br />
er gesagt: So, und jetzt werde ich<br />
Schreiner. Er hat genau gespürt, was<br />
ihn glücklich macht. Diese innere<br />
Freiheit hat mich sehr beeindruckt.<br />
Fällt es Menschen mit einem hohen<br />
kognitiven Potenzial nicht grundsätzlich<br />
leichter, ihren Beruf frei zu<br />
wählen? Ihnen stehen (fast) alle Türen<br />
offen. Sie haben als Leiter der<br />
Entwicklungspädiatrie in Zürich sicher<br />
öfter die gegenteiligen Fälle erlebt,<br />
bei denen man die Eltern auf die<br />
Entwicklungsdefizite ihrer Kinder hinweisen<br />
musste – und dass diese nicht<br />
«wegtherapiert» werden können.<br />
Unzählige Male. Aber daraus muss<br />
keine Tragödie werden. Was Eltern<br />
nicht wollen, ist, dass ihr Kind<br />
ge brandmarkt und ausgegrenzt wird.<br />
Eine Legasthenie kann man nicht<br />
wegtherapieren. Man kann aber dem<br />
Kind helfen, das Beste aus seinen<br />
begrenzten Lesekompetenzen zu<br />
machen und sollte es dabei nicht<br />
überfordern. Mütter und Väter können<br />
ihr Kind meist haargenau einschätzen;<br />
sie wissen ganz genau, was<br />
es kann und was nicht. Daran muss<br />
man anknüpfen und das Umfeld des<br />
Kindes so gestalten, dass es Erfolg<br />
haben kann. Erfolg bringt die Lernmotivation<br />
zurück.<br />
Viele Eltern machen sich Sorgen,<br />
wenn ihr Kind hinter der «Norm»<br />
zurückbleibt, oder sogar Vorwürfe:<br />
«Mein Kind genügt den Anforderungen<br />
nicht. Hätte ich es mehr fördern<br />
müssen?»<br />
Wissen Sie, ich kenne keine Studie,<br />
die gezeigt hat, dass man Kinder über<br />
ihr Begabungspotenzial hinaus fördern<br />
kann. Beim Wachstum akzeptieren<br />
wir die individuellen Grenzen<br />
doch auch. Jeder weiss, dass ein Kind<br />
durch übermässiges Essen nicht<br />
grös ser, sondern dicker wird. Das gilt<br />
genauso für die geistigen und sprachlichen<br />
Fähigkeiten.<br />
Aber haben Sie kein Verständnis für<br />
die Existenzsorgen eines Vaters,<br />
dessen 15-jähriger Sohn die Schule<br />
ohne Abschluss schmeissen will?<br />
Doch, natürlich. Ob er in der Gesellschaft<br />
erfolgreich sein wird, hängt<br />
jedoch nicht von aufgepfropftem<br />
Wissen ab, sondern ob er seine Kompetenzen<br />
entfalten konnte, genau<br />
weiss, wo seine Stärken liegen,<br />
gelernt hat, mit seinen Schwächen<br />
umzugehen. Nur so kommt er zu<br />
einem guten Selbstvertrauen: Ich<br />
schaffe es in dieser Gesellschaft.<br />
Die Wissenschaft hält gerade für<br />
ehrgeizige Eltern eine bittere Einsicht<br />
bereit: Je begabter sie sind, desto<br />
grösser ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass ihre Kinder weniger begabt sind.<br />
Das ist eine biologische Gesetzmässigkeit,<br />
die für alle Lebewesen gilt.<br />
Regression to the mean heisst zu <br />
sammengefasst, dass Kinder im Vergleich<br />
mit ihren Eltern mit ihren<br />
Eigenschaften wie Wachstum oder<br />
Intelligenz zur Mitte hin tendieren.<br />
Wenn beispielsweise Eltern einen IQ<br />
von 130 aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit<br />
mehr als 80 Prozent,<br />
dass ihre Kinder einen IQ haben<br />
werden, der unter dem ihrigen liegt.<br />
Allerdings beträgt bei Eltern mit<br />
einem IQ unter 70 die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass der IQ ihrer Kinder<br />
höher sein wird, ebenfalls 80 Prozent.<br />
Was können Eltern demnach dafür<br />
tun, dass ihre Kinder ein passendes<br />
Leben führen?<br />
Sie sollten genau hinschauen: Welche<br />
Bedürfnisse hat mein Kind? Wie<br />
sieht es mit seinen Kompetenzen<br />
aus? Sie sollen ihr Kind so annehmen,<br />
wie es ist. Es soll eine Schulkarriere<br />
machen dürfen, die ihm entspricht.<br />
Das schützt ihr Kind vor<br />
einer ständigen Überforderung und<br />
den späteren Erwachsenen vor<br />
unausweichlichem Scheitern.<br />
Lieber eine zufriedene Gärtnerin als<br />
eine unglückliche Ärztin?<br />
Sie spielen auf meine älteste Tochter<br />
an. Eva wusste bereits mit 12 Jahren,<br />
dass sie Gärtnerin werden will. Mit<br />
16 hat sie die Schule beendet und ist<br />
eine begeisterte Gärtnerin geworden.<br />
Wir haben von allen Seiten gehört:<br />
«Wieso geht sie nicht ans Gymnasium,<br />
mit zwei Akademikern als<br />
Eltern?»<br />
Hat Sie das beunruhigt?<br />
Überhaupt nicht. Vielleicht auch,<br />
weil ich selber nicht aus einer Akademikerfamilie<br />
stamme. Als damals<br />
«Ich sollte nicht<br />
studieren, sondern<br />
die mechanische<br />
Werkstatt meines<br />
Vaters<br />
übernehmen.»<br />
mein bester Freund aufs Gymnasium<br />
gekommen ist, hatte mein Vater<br />
sogar Angst, dass ich nachziehe. Ich<br />
sollte nicht studieren, sondern seine<br />
mechanische Werkstatt übernehmen.<br />
Also bin ich auf die Sekundarschule<br />
gegangen. Erst als mein jüngerer<br />
Bruder sich dafür entschieden<br />
hat, Werkzeugmechaniker zu werden,<br />
war ich frei.<br />
>>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>37
Monatsinterview<br />
>>> Was würden Sie sagen: Abteilung «Wachstum und Entwicklung»<br />
Rolle als Vater vereinbar, als es die<br />
Haben Sie ein Leben geführt, das<br />
Ihren Begabungen entspricht, das gut<br />
zu ihnen passt?<br />
Mal mehr, mal weniger. In ständiger<br />
Übereinstimmung mit seiner<br />
Umwelt zu leben, ist gar nicht möglich.<br />
am Kinderspital Zürich, da<br />
wollte nie einer hin. Das war mein<br />
Glück. Ich hatte einen Chef, der an<br />
mich glaubte und mich unterstütze.<br />
Tätigkeit eines Chirurgen gewesen<br />
wäre.<br />
Also haben Sie auch privat das<br />
passende Leben geführt.<br />
Ich konnte oft von zu Hause aus<br />
arbeiten und war somit für meine<br />
Ich verstehe das Fit-Prinzip<br />
«Ich bin der festen<br />
drei Töchter präsent. Was den meisten<br />
Vätern verwehrt blieb. Leider<br />
auch nicht als Ziel, sondern als Weg.<br />
Die Lebenssituationen, in die man Überzeugung, haben sich die Lebensbedingungen<br />
gerät, sind immer wieder anders,<br />
dass wir unsere<br />
für die Familien seitdem überhaupt<br />
man muss sich immer wieder neu<br />
nicht verbessert, im Gegenteil: Sie<br />
anpassen. Was mich persönlich am Gesellschaft sind schlechter geworden.<br />
stärksten zur Anpassung gezwungen<br />
Womit wir wieder beim Fehler im<br />
radikal überdenken<br />
hat, war meine massiv beeinträchtigte<br />
Gesundheit.<br />
sollten.»<br />
Auch, wenn es manche Leser ver-<br />
System wären.<br />
Anfang der 70er-Jahre erkrankten Sie<br />
schwer, verloren das Gehör auf dem<br />
rechten Ohr, litten ständig unter<br />
Schwindel und sonstigen gesundheitlichen<br />
Problemen.<br />
Damit war mein Berufswunsch,<br />
Kinderchirurg zu werden, passé.<br />
Durch Zufall kam ich 1974 auf die<br />
Ich konnte 30 Jahre lang über die<br />
kindliche Entwicklung forschen und<br />
eine Poliklinik für Kinder mit Entwicklungs-<br />
und Verhaltensauffälligkeiten<br />
aufbauen. Ausserdem war<br />
diese Position viel besser mit meiner<br />
schrecken wird: Ich bin der festen<br />
Überzeugung, dass wir unsere<br />
Gesellschaft radikal überdenken<br />
sollten.<br />
Was heisst das in Bezug auf Familienthemen?<br />
Es bräuchte endlich eine treibende<br />
politische Kraft, die die Gesellschaft<br />
Remo Largos<br />
Bücher (z. B.<br />
«Schülerjahre»)<br />
zählen zu den<br />
Klassikern der<br />
Erziehungsliteratur.<br />
Zur Person<br />
Remo Largo, 1943 in<br />
Winterthur geboren, studierte<br />
Medizin und Entwicklungspädiatrie.<br />
Von 1978 bis<br />
zur Pensionierung leitete er<br />
die Abteilung «Wachstum<br />
und Entwicklung» am<br />
Universitäts-Kinderspital<br />
Zürich. Die Longitudinalstudien,<br />
die er leitet, zählen<br />
zu den umfassendsten<br />
Studien in der weltweiten<br />
Entwicklungsforschung.<br />
38 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
so verändern will, dass eine Familie<br />
zu gründen Freude macht. Im Alter<br />
von 20 Jahren wünschen sich 90 Prozent<br />
der jungen Menschen einmal<br />
Kinder. In den folgenden Jahren<br />
vermiest ihnen übermässiger Stress<br />
diesen Wunsch immer mehr. Das hat<br />
Folgen. Um die schweizerische<br />
Gesellschaft stabil zu halten, hätten<br />
in den letzten 40 Jahren eine Million<br />
Kinder mehr auf die Welt kommen<br />
müssen, als tatsächlich geboren wurden.<br />
Die Schweiz ist nicht familienund<br />
kinderfreundlich.<br />
Was schwebt Ihnen vor?<br />
Eine Familien- oder noch besser<br />
eine Frauenpartei. Ich bin überzeugt<br />
davon, dass diese grossen Zulauf<br />
fände. Themen gibt es genügend:<br />
Die Vereinbarkeit von Familie und<br />
Beruf, eine Wirtschaft, die auf<br />
Eltern Rücksicht nimmt, kosten lose<br />
Kinderbetreuung, Infrastrukturen<br />
im Wohnungswesen, die die Familien<br />
zusammenbringen, eine kindgerechte<br />
Schule und so weiter und<br />
so fort.<br />
Aber das Geschlecht allein sagt<br />
doch noch nichts über die politische<br />
Gesinnung aus.<br />
Es geht weniger um die politische<br />
Gesinnung als vielmehr darum, was<br />
Frauen und Männer als lebenswert<br />
empfinden. Und da würde ich meinen,<br />
besteht ein grosser Unterschied.<br />
Ich sage ja auch nicht, dass alle Frauen<br />
und keine Männer dieser Partei<br />
beitreten sollen. Aber der Lead soll<br />
bei den Frauen liegen. Sie müssen<br />
politische Verantwortung übernehmen<br />
für diejenigen Lebensbereiche,<br />
für welche die etablierten Parteien<br />
seit Jahrzehnten nur blumige Worte<br />
übrighaben.<br />
>>><br />
Buchhinweis<br />
Remo Largo: «Das<br />
passende Leben. Was<br />
unsere Individualität<br />
ausmacht und wie<br />
wir sie leben können.»<br />
Fischer Verlag 2017,<br />
Fr. 37.90.<br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März <strong>2018</strong>39<br />
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Kolumne<br />
Wunder<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist.<br />
Der Finne ist Vater einer Tochter<br />
und eines Sohnes, lebt in Basel<br />
und schreibt regelmässig für<br />
das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere<br />
Schweizer Medien.<br />
Streng genommen gibt es drei Arten von Kinderbüchern. Solche,<br />
die Kinder mögen, solche, die Eltern mögen, und solche, die<br />
beiden gefallen. Zur ersten Gruppe gehört «Gregs Tagebuch»<br />
von Jeff Kinney. Ich weiss nicht, ob Sie mal reingelesen haben, es<br />
ist wirklich gut, spricht direkt ins Herz verzweifelter Heranwachsender.<br />
Aber wenn man weiterliest, wird sofort deutlich, wie viel<br />
man von der eigenen Kindheit verdrängt hat. Und auch, warum. Anders<br />
gesagt, es ist ein gutes Buch, weil es für Kinder und nicht für Erwachsene<br />
geschrieben wurde.<br />
Zur zweiten Gruppe – Bücher, die Eltern mögen – gehören all jene, in<br />
denen die Autoren die Welt «mit Kinderaugen» zu sehen versuchen.<br />
Nirgends ist das deutlicher als in Antoine de Saint-Exupérys «Der Kleine<br />
Prinz». Es ist zweifellos ein Meisterwerk, aber ich erinnere mich noch gut,<br />
wie ich bei dem Satz «Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche<br />
ist für die Augen unsichtbar» zum ersten Mal die Augen verdrehte.<br />
In dieser Kategorie Bücher geht es oft mehr um eine pädagogisierte<br />
Sehnsucht von Erwachsenen nach einem unverdorbenen Ideal-Kindsein;<br />
einem quasi-religiösen Zustand, in dem sie die Begegnung mit der komplizierten,<br />
verrotteten Wirklichkeit vermeiden wollen und sich lieber auf<br />
einem perfekten Planeten fern von allem imaginieren.<br />
Die dritte Gruppe sind Bücher, die Eltern wie Kindern gefallen. Jene<br />
Werke also, bei denen man sich auf die Lektüre freut wie auf einen<br />
guten Freund, bei denen wir dem Kind vorschlagen: «Noch ein Kapitel,<br />
okay?» und nicht umgekehrt. Für manche ist das vielleicht «Harry Potter»,<br />
für andere «Die rote Zora». Ich machte jüngst bei «Wunder» von<br />
Raquel Palacio diese Erfahrung. Erzählt wird die Geschichte des<br />
zehnjährigen Auggie Pullman, dessen Gesicht infolge einiger<br />
komplizierter Gendefekte derart entstellt ist, dass alle, die ihn sehen,<br />
entweder erschrocken wegschauen oder ihn anstarren wie einen Autounfall.<br />
Auggie selbst erklärt es dem Leser so: «Wie auch immer Sie sich<br />
mein Gesicht vorstellen, es ist vermutlich noch schlimmer.» Jeder<br />
Schultag ist für Auggie eine Qual, jede Begegnung eine Überwindung.<br />
Mit der Zeit aber lernen seine Klassen kameraden, den Menschen hinter<br />
der Maske zu sehen. Auggie erfährt Freundschaft und Zuspruch. Palacio<br />
benutzt zwei sehr kluge literarische Tricks: Erstens sind die Kapitel<br />
vorlesefreundlich kurz, zweitens wird Quentin-Tarantino-mässig aus der<br />
Perspektive verschiedener Personen erzählt, sodass wir Mobbingszenen<br />
aus Sicht des Opfers, des Täters und des Zeugen sehen und somit<br />
gezwungen sind, uns ein differenziertes Bild zu machen. Wir malen uns<br />
aus, wie es wäre, Auggie zu sein, und wie es wäre, ihn zu sehen. Das klingt<br />
furchtbar pädagogisch, und doch war ich erstaunt, wie sehr meine<br />
Tochter auf das Buch ansprach – und wie oft ich beim Lesen Tränen in<br />
den Augen hatte.<br />
Was ich sagen will: In «Wunder» erfahren wir, was uns in «Der Kleine<br />
Prinz» gepredigt wird, nämlich dass man nur mit dem Herzen gut sieht,<br />
weil das Wesentliche für die Augen unsichtbar bleibt.<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
40 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Publireportage<br />
WEITERE TIPPS<br />
UND HIGHLIGHTS<br />
Reka-Feriendorf Blatten-Belalp<br />
• atemberaubende Massaschlucht-Hängebrücke<br />
• Freizeitpark Hexenkessel mit<br />
Seilpark<br />
Reka-Ferien für die<br />
ganze Familienbande<br />
Ob Pumptrack, Babybaden oder Chillen am Strand –<br />
Reka-Feriendörfer bieten Abwechslung nicht nur für<br />
Kleinkinder sondern auch für Teenies. Und auch<br />
die Erwachsenen kommen nicht zu kurz.<br />
Parkhotel Brenscino in Brissago<br />
• Panoramaterrasse,<br />
Swimmingpool und Minigolf<br />
• Indoor-Spielraum und viele<br />
Spielgeräte im Garten<br />
• eigener botanischer Park auf<br />
38 000 m 2<br />
Reka-Feriendorf Montfaucon<br />
• Motto: «rund um die Uhr die<br />
Zeit vergessen»<br />
• «Tissot-Minigolf-Cup» mit<br />
Uhrenverlosung<br />
• Bikehotel mit geführten Touren<br />
• Eigener Wellness-Bereich mit<br />
Massagen<br />
Am Fusse des Nationalparks<br />
Eingebettet zwischen Silvretta-Gipfeln<br />
und den «Engadiner Dolomiten»<br />
bietet das familiäre Wander- und<br />
Naturparadies Scuol kleinen und<br />
grossen Gästen zahlreiche Sportund<br />
Erholungsmöglichkeiten. Die auf<br />
die Wintersaison 2017/18 neu renovierte<br />
Reka-Ferienanlage Scuol<br />
eignet sich bestens für Familienferien<br />
wie auch für Aktivferien – ab Frühling<br />
<strong>2018</strong> wird sie zudem als offizielles<br />
Bike-Hotel geführt.<br />
Ganz hinten im Val d’Anniviers<br />
«Blackbox» heisst der Teil im Jugendraum<br />
des Reka-Feriendorfs Zinal, wo<br />
man richtig chillen kann. Man trifft sich<br />
zum Töggele, Billard oder Ping Pong<br />
spielen. Draussen sorgt der Bike-<br />
Pumptrack für Nervenkitzel und am<br />
Kletterfelsen können sich angehende<br />
Bergsteiger üben. Im Teens Club<br />
trifft man sich abends für coole Aktivitäten.<br />
Er ist fester Bestandteil des<br />
Familienprogramms, das alle Reka-<br />
Feriendörfer anbieten. Und in der<br />
Lounge im oberen Stock gönnen sich<br />
die Eltern ein Glas Wein.<br />
Aktive Erholung in der Toskana<br />
Das Reka-Ferienresort Golfo del Sole<br />
liegt direkt am feinsandigen Strand,<br />
rund 3 km nördlich der toskanischen<br />
Stadt Follonica. Zum Resort gehören<br />
eine Tennis- und eine Surfschule,<br />
Velo- und Bikevermietung sowie<br />
diverse Restaurants und Bars. Zusätzliches<br />
Plus: Hotelservice in den<br />
Bungalows und Ferienwohnungen<br />
(gegen Gebühr), nummerierte<br />
Liegestühle mit Sonnenschirm am<br />
Strand und geführte Biketouren im<br />
Frühling und im Herbst.<br />
In einigen Reka-Ferienwohnungen<br />
haben neu auch Vierbeiner<br />
Zutritt. reka.ch/dog<br />
Hoilday on Bike mit Reka und<br />
Thömus in der Toskana oder in<br />
einem der Swiss Bike Hotels von<br />
Reka in der Schweiz.<br />
reka.ch/hob<br />
Exklusiv in den Reka-Feriendörfern<br />
sorgt das kostenlose<br />
Rekalino-Familienprogramm<br />
für Unterhaltung bei den Kids.<br />
Informationen und Buchung:<br />
reka.ch, +41 31 329 66 99 (Montag bis Freitag, 8 – 17 Uhr)
Was Lehrer tun können,<br />
wenn Eltern Druck machen<br />
Im Sommer 2017 verfasste der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH einen<br />
Leitfaden zur Gestaltung der Zusammenarbeit von Schule und Eltern mit dem Ziel, diese<br />
Beziehung zu verbessern. Aber wie praxistauglich ist solch ein Leitfaden?<br />
Wir haben eine Lehrperson gefragt. Ihre Gedanken zu einem Thema, das Lehrpersonen<br />
wie Eltern gleichermassen unter den Nägeln brennt.<br />
Text: Die Autorin möchte anonym bleiben. Sie ist Lehrperson und unterrichtet im Kanton Zürich.<br />
Es ist Freitagmorgen, die<br />
Primarlehrerin Sabine<br />
Bächli* hat ihren monatlichen<br />
Waldtag. Es ist<br />
kalt und es schneit. Sabine<br />
erhält die erste SMS einer Mutter<br />
mit der Frage, ob sie heute in den<br />
Wald gingen.<br />
Sabine Bächli schreibt: «Wir trotzen,<br />
wie schon am Elternabend<br />
informiert, jedem Wetter.» – Als<br />
Mami könne sie unmöglich hinter<br />
dieser Entscheidung stehen, kommt<br />
es postwendend zurück. Sie habe<br />
keine Lust, wieder einen kranken<br />
Sohn zu Hause zu haben. Sie werde<br />
Niklas nicht in die Schule schicken.<br />
Die Primarlehrin beschliesst, darauf<br />
nicht zu antworten.<br />
Nach zehn Minuten erhält sie<br />
eine weitere SMS mit der Feststellung,<br />
dass sie sich in der Eltern-<br />
WhatsApp-Gruppe ausgetauscht<br />
Die SMS der Eltern zeigen<br />
Wirkung – der Waldtag wird<br />
abgesagt. Die Lehrerin ist<br />
frustriert, fühlt sich in<br />
ihrer Autorität eingeschränkt.<br />
habe und zehn andere Eltern fänden,<br />
dass an diesem Freitagmorgen<br />
kein Waldtag stattfinden solle. Das<br />
Wetter sei zu schlecht. Drei weitere<br />
SMS von drei anderen Eltern folgen.<br />
Sabine Bächli fühlt sich überfordert.<br />
Sie sucht die Schulleitung auf,<br />
zeigt die SMS. Die Schulleitung<br />
beschliesst, den Waldmorgen abzusagen.<br />
Die Lehrerin ist erleichtert,<br />
aber auch frustriert, da es sich<br />
anfühlt, als würde ihre Autorität<br />
infrage gestellt. Das Problem ist aufgeschoben,<br />
nicht aufgehoben.<br />
Das Beispiel verdeutlicht, wie<br />
komplex das Verhältnis zwischen<br />
Eltern und Lehrpersonen ist. Mit<br />
dieser Thematik setzt sich der Leitfaden<br />
«Schule und Eltern – Gestaltung<br />
der Zusammenarbeit» des<br />
Dachverbands Lehrerinnen und<br />
Lehrer Schweiz (LCH) auseinander.<br />
Im Vorwort des Leitfadens lese<br />
ich über die anspruchsvoller werdende<br />
Elternarbeit, über Helikoptereltern,<br />
über Eltern, die mit dem<br />
Anwalt drohen. Ziel des Leitfadens<br />
sei es, die Zusammenarbeit zwischen<br />
Schule und Elternhaus als Kooperation,<br />
nicht als Belastung zu erleben.<br />
Danach folgt eine ausführliche Analyse<br />
der sich verändernden Rahmenbedingungen.<br />
Es wird unter anderem<br />
auf den Zustand der Schulen,<br />
die Rolle der Medien und In tegrationsanforderungen<br />
eingegangen.<br />
Der LCH-Leitfaden beschreibt<br />
sorgfältig die Komplexität des heutigen<br />
Schulalltags. In den Fallbeispielen<br />
greift er Themen auf, die<br />
tatsächlich den konkreten Fragestellungen<br />
des Schulalltages nahekommen<br />
und sinnvollerweise zwischen<br />
pädagogischen und juristischen<br />
Überlegungen differenzieren. Was<br />
ist pädagogisch zu raten, was ist<br />
rechtlich erlaubt?<br />
Ein Fokus des Leitfadens liegt auf<br />
der Rollenklärung. Was ist meine<br />
Rolle als Lehrperson? Was ist meine<br />
Rolle als Elternteil? Wo gibt es in<br />
diesen Kompetenzen Überschneidungen,<br />
wo Abgrenzungen? Das<br />
ergibt Sinn. Und doch frage ich<br />
mich: Wo liegt der Nutzen für die<br />
Primarlehrerin Sabine Bächli aus<br />
unserem Beispiel?<br />
Meine Kollegin müsste den Leitfaden<br />
zur Hand nehmen, ihn durchlesen<br />
oder zumindest überfliegen.<br />
Vielleicht würde sie bei den Fallbeispielen<br />
stoppen, aber schnell merken:<br />
Auf meinen konkreten Fall<br />
bezogen gibt es keine Antwort.<br />
Für mich zeigt sich im Bereich<br />
Schule und Elternhaus ein weit grösseres<br />
Thema: das Thema der Leistungsgesellschaft,<br />
die sich gerade<br />
42 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
selber ins Absurde führt. Der<br />
grundsätzliche Optimierungsdrang,<br />
der sich tief in unser System eingegraben<br />
hat, sei es vonseiten des<br />
Elternhauses oder des Schulsystems,<br />
produziert Kollateralschäden. Angst<br />
und Überforderung – die dem Ziel,<br />
«erfolgreich und in angenehmer<br />
Atmosphäre zu lernen», ursächlich<br />
im Wege stehen.<br />
Die Rahmenbedingungen in der<br />
Schule müssten sich grundsätzlich<br />
verändern, hin zu weniger Druck<br />
und mehr Entfaltungsraum, hin zu<br />
mehr Vertrauen und weniger Angst,<br />
hin zu möglichen Lebensläufen, die<br />
sich entwickeln dürfen und nicht<br />
bereits im Kindergarten geplant und<br />
optimiert werden müssen.<br />
Der Medien- und Konsumgesellschaft<br />
müsste dafür kurz mal die<br />
Stopptaste gedrückt werden. In diesem<br />
Sinne zeigt der LCH-Leitfaden<br />
die wunden Punkte auf, nur spielt er<br />
das Spiel mit, indem er eine vermeintliche<br />
Lösung anbietet, statt<br />
eine Frage zu stellen.<br />
Als Lehrperson muss ich wissen,<br />
wo meine Grenzen und Kompetenzen<br />
liegen. Wenn ich weiss, wann<br />
und wo ich mich abgrenzen kann,<br />
läuft es rund. Doch das reicht nicht<br />
aus, um das Ziel, «erfolgreich und in<br />
angenehmer Atmosphäre zu lernen»,<br />
zu leben. Dazu bräuchte es<br />
strukturelle Bedingungen, Schulen<br />
und Schulleiterinnen, die klare Werte<br />
ermöglichen und vorleben. Schulen,<br />
die den Rahmenbedingungen<br />
trotzen und sagen: Zu unserem Programm<br />
gehören Freundlichkeit,<br />
Gesundheit, Wärme, Güte, Musse,<br />
Vertrauen ins Leben, in den Menschen,<br />
in die Lehrperson, ins Kind,<br />
in die Eltern.<br />
Wir brauchen einen Leitfaden,<br />
der diesen gesellschaftlichen Wandel<br />
einläutet und nicht nur wie ein<br />
Die Rahmenbedingungen an<br />
unseren Schulen müssten sich<br />
grundsätzlich ändern;<br />
weg von Druck und Angst,<br />
hin zu mehr Vertrauen.<br />
Pflaster fungiert, das sich die Lehrperson<br />
dann aufkleben kann, wenn<br />
der Lastwagen namens «Forderungen<br />
von allen Seiten» über sie hinwegrollt.<br />
Und was macht meine Kollegin<br />
Sabine Bächli? Sie holt sich Hilfe<br />
und Untersützung in der Supervision.<br />
Bezahlt von der Schulleitung.<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
LCH-Leitfaden:<br />
Drei konkrete Fälle aus dem Schulalltag.<br />
Ein Junge mit schlechten<br />
Leistungen, Eltern, die ihre<br />
Tochter überbehüten, und ein<br />
renitenter Sekschüler: drei<br />
Beispiele aus dem Schulalltag –<br />
und was der LCH-Leitfaden<br />
Lehrpersonen rät<br />
Getrennt lebende Eltern<br />
Während des Beurteilungsgesprächs schieben sich die<br />
geschiedenen Eltern der 9-jährigen Alisha gegenseitig<br />
die Schuld an den ungenügenden Leistungen zu. Die<br />
Mutter erwartet eine klare Stellungnahme der Lehrerin.<br />
Pädagogische Überlegungen<br />
Klassenlehrpersonen sollten die familiäre Situation ihrer<br />
Schülerinnen und Schüler und die Regelung der elterlichen<br />
Sorge und Obhut kennen. Lehrpersonen bleiben<br />
stets neutral und übernehmen in Konfliktsituationen<br />
keine Vermittlungsfunktionen. Bei Konflikten zwischen<br />
den Eltern kann auf Fachstellen hingewiesen werden.<br />
Juristische Überlegungen<br />
Das Scheidungsrecht löst die Ehe zwischen Mann und<br />
Frau auf, nicht jedoch die Verwandtschaft zwischen dem<br />
Kind und dem nicht sorgeberechtigten Elternteil. Das<br />
ZGB regelt explizit, dass Eltern ohne elterliche Sorge<br />
über besondere Ereignisse im Leben des Kindes benachrichtigt<br />
und vor Entscheidungen, die für die Entwicklung<br />
des Kindes wichtig sind, angehört werden sollen<br />
(…). Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass der<br />
sorgeberechtigte Elternteil nach einer Trennung oder<br />
Scheidung den anderen Elternteil über die Vorkommnisse<br />
in der Schule informiert. Nicht sorgeberechtigte<br />
Eltern haben ein Auskunftsrecht und können bei Drittpersonen,<br />
die an der Betreuung des Kindes beteiligt<br />
sind, in gleicher Weise wie der Inhaber der elterlichen<br />
Sorge Auskünfte über den Zustand und die Entwicklung<br />
des Kindes einholen. (…) Dies bedeutet, Eltern müssen<br />
aktiv auf die Lehrperson zugehen, damit diese weiss,<br />
wen sie über die wichtigen Belange des Kindes zu informieren<br />
hat. Es ist Sache des sorgeberechtigten Elternteils,<br />
die Auskunft erteilende Drittperson über allfällige<br />
Schranken zu informieren. Zur Sicherheit kann ein<br />
Auszug aus dem Scheidungsurteil oder der Verfügung<br />
der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde verlangt<br />
werden.<br />
Schulweg<br />
Die Eltern von Lena begleiten die Zweitklässlerin jeden<br />
Morgen in die Schule. Der Klassenlehrer erwartet, dass<br />
Lena den Schulweg allein geht. Doch die Eltern sind der<br />
Meinung, dass der Schulweg zu gefährlich ist.<br />
Pädagogische Überlegungen<br />
Der Schulweg ermöglicht Kindern und Jugendlichen<br />
wichtige Schritte in die Eigenständigkeit, stellt aber auch<br />
Anforderungen an das Verhalten im Strassenverkehr<br />
und den Erwerb von Strategien zur Bewältigung von<br />
Streitigkeiten und Ausgrenzungen. Kommt es wiederholt<br />
zu Streitigkeiten, Übergriffen oder zu gefährlichen<br />
Verkehrssituationen, suchen Eltern, Lehrpersonen und<br />
Schulleitungen im Gespräch gemeinsam Lösungen. Die<br />
Schule interveniert, wenn es wiederholt zu gefährdenden<br />
Situationen kommt, auch wenn der Schulweg nicht<br />
in den Verantwortungsbereich der Schule gehört. Wenn<br />
Eltern ihre Kinder regelmässig mit dem Auto zur Schule<br />
bringen, werden diese von der Schulleitung auf die<br />
Bedeutsamkeit des Schulwegs sowie auf die Gefährdung<br />
anderer Schulkinder durch die dadurch entstehende<br />
Verkehrssituation vor dem Schulhaus hingewiesen.<br />
Juristische Überlegungen<br />
Die örtliche Zuständigkeit und somit die Weisungsgewalt<br />
der Lehrpersonen endet rechtlich an der Grenze<br />
des Schulareals respektive bei Schultransporten bei der<br />
Ein-/Aussteigestation der Kinder. Der Schulweg und die<br />
damit allenfalls zusammenhängenden Probleme fallen<br />
in den Verantwortlichkeitsbereich der Eltern. Die Schule<br />
kann helfen, Probleme auf dem Schulweg zu lösen,<br />
darf jedoch keine Strafen verhängen. Wie die Kinder<br />
den Schulweg bewältigen, liegt ebenfalls in der Kompetenz<br />
der Eltern. Die Eltern entscheiden, ob ihr Kind zu<br />
Fuss, mit dem Skateboard, mit Rollerblades, mit dem<br />
Trottinett, dem Fahrrad oder dem Mofa den Schulweg<br />
zurücklegt. Die Schule ist nicht verpflichtet, Parkraum<br />
zur Verfügung zu stellen, und kann festlegen, ob beispielsweise<br />
das Areal mit Rollerblades befahren werden<br />
darf oder das Schulhaus ausschliesslich zu Fuss zu betreten<br />
ist. In Absprache mit der Polizei und weiteren kommunalen<br />
und/oder kantonalen Stellen ist es möglich,<br />
mittels bedingter Fahr-, Halte- oder Parkverboten, in<br />
der näheren Umgebung der Schule die Sicherheit zu<br />
erhöhen. Das Erteilen von Bussen ist in der Regel Sache<br />
der Polizei.<br />
44 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Disziplin<br />
Der Sekundarschüler Urs stört den Unterricht immer<br />
wieder massiv und befolgt Anweisungen nicht. Die<br />
Eltern finden, die Lehrerin sei für das Verhalten ihres<br />
Sohnes im Unterricht zuständig.<br />
Pädagogische Überlegungen<br />
Eine ruhige und konzentrierte Lernatmosphäre ist<br />
bedeutsam für den Lernerfolg. Wenn Schülerinnen<br />
oder Schüler ein ruhiges Lernen verunmöglichen, so<br />
treffen Lehrpersonen die entsprechenden pädagogischen<br />
oder disziplinarischen Massnahmen und nehmen<br />
gegebenenfalls Kontakt mit den Eltern der Störenden<br />
auf. Schülerinnen und Schüler wissen, dass die<br />
Lehrpersonen und die Eltern gemeinsam am gleichen<br />
Strick ziehen, weil sich beide für den Lernerfolg einsetzen.<br />
Eine gemeinsam getragene Schulkultur unterstützt<br />
Kinder, Lehrpersonen und Eltern. Bei nicht lösbaren<br />
Konflikten sollte die Schulleitung bzw. eine Beratungsstelle<br />
beigezogen werden. An Anlässen für Eltern können<br />
lediglich generelle Probleme thematisiert werden.<br />
Juristische Überlegungen<br />
Die Lehrperson trägt die Verantwortung für das<br />
Klassen klima und sorgt dafür, dass sich alle Schülerinnen<br />
und Schüler wohl fühlen. Es gilt zwischen Erziehungs-<br />
und Disziplinarmassnahmen zu unterscheiden.<br />
Erstere liegen im Ermessen der Lehrperson und haben<br />
keinen Strafcharakter. Für die Anwendung von Disziplinarmassnahmen<br />
hat sich die Lehrperson an den in den<br />
Bildungsgesetzen zur Verfügung gestellten Strafenkatalog<br />
zu halten. Jede Strafe muss zudem verhältnismässig<br />
sein. Sowohl Geld- oder Kollektivstrafen als auch<br />
Kuchenbacken oder Ähnliches als Strafe sind verboten.<br />
Beschämungen und jede andere Art grausamer,<br />
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder<br />
Bestrafung sind zu unterlassen. Teilgehalt der von der<br />
Verfassung garantierten persönlichen Freiheit ist die<br />
körperliche und physische Unversehrtheit.<br />
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Kolumne<br />
Erwünschtes Verhalten zu<br />
belohnen, ist Machtmissbrauch<br />
Viele Eltern wollen ihre Kinder heute nicht mehr bestrafen. Doch ist Belohnung<br />
die bessere Erziehungsmethode? Familientherapeut Jesper Juul sagt: Nein!<br />
Jesper Juul<br />
ist Familientherapeut und Autor<br />
zahlreicher internationaler Bestseller<br />
zum Thema Erziehung und Familien.<br />
1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />
nach dem Schulabschluss zur See, war<br />
später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />
und Barkeeper. Nach der<br />
Lehrerausbildung arbeitete er als<br />
Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />
und bildete sich in den Niederlanden<br />
und den USA bei Walter Kempler zum<br />
Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />
leidet Juul an einer Entzündung des<br />
Rückenmarks und sitzt im Rollstuhl.<br />
Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />
Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />
Ehe geschieden.<br />
Vor einiger Zeit habe<br />
ich einen Artikel<br />
über Belohnung als<br />
Teil der Kindererziehung<br />
verfasst. Meine<br />
Aussagen haben eine breite Debatte<br />
ausgelöst. Ich war sehr überrascht,<br />
wie viele Menschen glauben, dass es<br />
in Ordnung ist, Kinder zu belohnen,<br />
um als Erwachsener etwas von<br />
ihnen zu bekommen. Unter anderem<br />
stellte ich die Frage: Sollen Kinder<br />
belohnt werden, wenn sie höflich<br />
sind?<br />
Belohnen ist seit einiger Zeit als<br />
Erziehungsmethode auf dem Vormarsch<br />
und wird heute sowohl in<br />
Kindergärten als auch Schulen praktiziert.<br />
Aber tun wir unseren Kindern<br />
damit wirklich etwas Gutes?<br />
Um das zu beantworten, müssen wir<br />
zuerst unterscheiden: Wird das Kind<br />
für eine Leistung belohnt – in der<br />
Schule, beim Sport oder in der Theatergruppe?<br />
Oder für erwünschtes<br />
Verhalten – also wenn es sich den<br />
elterlichen Vorgaben gemäss verhält?<br />
Der zweite Fall, also das kind-<br />
Viele Eltern landen letztlich<br />
bei der Zuckerbrot-und-<br />
Peitsche-Methode.<br />
liche Verhalten durch Belohnung zu<br />
kontrollieren und zu steuern, ist<br />
meiner Meinung nach ein Machtmissbrauch.<br />
Andernfalls wäre es nur<br />
damit zu entschuldigen, dass viele<br />
Menschen immer noch glauben,<br />
dass Kinder sich absichtlich schlecht<br />
benehmen, um Erwachsene zu<br />
ärgern. Doch diese Theorie wurde<br />
vor mehr als 20 Jahren widerlegt.<br />
Immer mehr wollen<br />
Das Problem mit der Belohnungsmethode<br />
ist, dass sie tatsächlich oft<br />
funktioniert, ganz besonders bei einbis<br />
fünfjährigen Kindern. Jedoch<br />
meist nur für kurze Zeit. Dann stellen<br />
sich die Kinder darauf ein: Sie<br />
fordern eine immer grössere Belohnung<br />
oder reagieren gar nicht mehr<br />
darauf.<br />
Ein weiteres Problem ist, dass die<br />
Methode logischerweise nach<br />
Bestrafung verlangt, wenn die<br />
Belohnung nicht mehr funktioniert.<br />
Viele Eltern landen deshalb – trotz<br />
anfänglichem Widerwillen – letztlich<br />
bei der Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode.<br />
In der Debatte nach meinem<br />
Artikel zeigten sich manche Eltern<br />
überzeugt, dass es unmöglich ist,<br />
Kinder ohne Strafe – heute wird oft<br />
das Wort «Konsequenz» benutzt –<br />
zu erziehen. Sie setzen auf Einschüchterung.<br />
Dies wird auch in der<br />
Schule oft so gemacht, wenn auch<br />
nicht in aktiver Art und Weise. Die<br />
Frage, ob Erziehen ohne Strafen<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
46 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
möglich ist, wurde bereits vor langer<br />
Zeit beantwortet: Viele Eltern rund<br />
um den Globus lassen ihre Kinder<br />
ohne Strafen heranwachsen – und<br />
das mit grossem Erfolg. Also ist es<br />
möglich! Deshalb müssen wir die<br />
Frage vielleicht anders formulieren:<br />
Gibt es Eltern, die ihre Kinder ohne<br />
den Einsatz von Strafe und Belohnung<br />
erfolgreich grossziehen? Ja, die<br />
gibt es.<br />
Im Laufe der Zeit haben wir die<br />
Manipulation unserer Kinder<br />
immer sanfter gestaltet. Wir haben<br />
unsere Beziehung zu ihnen demokratisiert<br />
und gewähren ihnen grössere<br />
Autonomie und das Recht, ihre<br />
eigene Wahl im Leben zu treffen.<br />
Beides sind meiner Einschätzung<br />
nach gute Ideen.<br />
Die Erwartungen überdenken<br />
Ein Grossteil der Eltern will heute<br />
vieles mit sanfteren Mitteln erreichen.<br />
Aber das ist schwierig. Das<br />
konfrontiert uns Erwachsene mit der<br />
Wahlmöglichkeit: Werden wir effizientere<br />
Erziehungsmethoden finden,<br />
oder überdenken wir unsere<br />
Erwartungen und Anforderungen?<br />
Viele Eltern mögen es beispielsweise,<br />
wenn ihr Kind ruhig bei Tisch<br />
sitzt und isst. Als Kind hatte ich<br />
einen Freund, bei dem ich sehr gerne<br />
ass. In seiner Familie war es nett,<br />
sich bei Tisch zu unterhalten, das<br />
Essen selbst auszuwählen, und es<br />
herrschte nie Hektik am Tisch. In<br />
allen anderen Familien, meine eigene<br />
eingeschlossen, war die Stimmung<br />
angespannt, und es herrschte<br />
die Überzeugung, dass Kinder<br />
«gesehen, aber nicht gehört» werden<br />
sollten. Es ging darum, das Essen<br />
irgendwie zu überstehen, Bestrafungen<br />
zu vermeiden und so schnell wie<br />
möglich wieder an die frische Luft<br />
zu kommen.<br />
Heute erleben viele Fami lien ein<br />
regelrechtes Chaos bei Tisch. Diesem<br />
Chaos liegt immer das Fehlen<br />
von Führung oder eine schlechte<br />
Führung zugrunde. Den Kindern in<br />
diesen Familien wird nun die Führungsmethode<br />
der Belohnung angeboten:<br />
«Wenn du ruhig sitzt und<br />
brav isst, bekommst du ...» Ist das<br />
eine angemessene Entschädigung<br />
für eine schlechte elterliche Führung<br />
oder ein wünschenswerter Ersatz für<br />
eine gute Beziehung?<br />
Das eigentliche Problem ist sehr<br />
viel komplizierter: Es ist die Botschaft<br />
hinter der Belohnung, die<br />
dem Kind mitteilt: «Ich vertraue<br />
nicht darauf, dass du dich angemessen<br />
benimmst, wenn ich dich nicht<br />
belohne.» Das ist ein eindeutiger<br />
Misstrauensantrag an das Kind. Er<br />
ignoriert die nachgewiesene Fähigkeit<br />
des Kindes und seine Bereitschaft,<br />
sich «anzupassen» und zu<br />
kooperieren. Die überwiegende<br />
Mehrheit von Eltern, die ich kennengelernt<br />
habe, wünscht sich, dass<br />
ihre Kinder mit einem guten Selbstwertgefühl<br />
und viel Selbstvertrauen<br />
aufwachsen. Ganz anders als die<br />
Generation meiner Eltern.<br />
Liebe als Tauschhandel<br />
Strafe und Belohnung als Verhaltensmethoden<br />
haben eines gemeinsam:<br />
Sie setzen Endorphine im Gehirn der<br />
Kinder frei. Ein Hormon, das ein<br />
kurzfristiges Glücksgefühl verursacht,<br />
wie beim Sport oder beim<br />
Einkaufen. Aber das Hormon wird<br />
nicht im «Selbst» gespeichert. Es<br />
erzeugt keine existenzielle Substanz,<br />
sondern Abhängigkeit. Diese Art der<br />
Abhängigkeit verlangt eine permanente<br />
Rückbestätigung von aussen.<br />
Jede Frau und jeder Mann, die<br />
bzw. der versuchen würde, den Partner,<br />
die Partnerin mit einem Beloh<br />
Heute erleben viele Familien ein<br />
regelrechtes Chaos bei Tisch.<br />
Diesem Chaos liegt ein Fehlen<br />
von Führung zugrunde.<br />
nungssystem zu regulieren, würde<br />
sich zum Gespött machen. Stellen<br />
wir uns vor, eine Frau ist verärgert,<br />
weil ihr Mann am Sonntagmorgen<br />
arbeitet, anstatt Zeit mit ihr zu verbringen.<br />
Wenn man davon überzeugt<br />
wäre, dass eine Belohnung die<br />
angemessene Form für eine auf Liebe<br />
basierende Beziehung ist, könnte<br />
dieser Mann zu ihr sagen: «Wenn du<br />
still bist, bis ich fertig bin, können<br />
wir am Nachmittag zum Strand<br />
gehen.»<br />
In diesem Fall wäre Liebe ein<br />
Tauschhandel. Der einzige Unterschied<br />
zwischen dieser Frau und<br />
einem Kind ist, dass ein Kind seine<br />
Eltern bedingungslos liebt und es<br />
deshalb viel einfacher ist, es zu<br />
manipulieren. Aber ist es das, was<br />
wir wollen?<br />
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>47
Leserbriefe<br />
«Die Schule darf nicht zum<br />
Sündenbock gemacht werden»<br />
«Fritz+Fränzi bietet Leuten<br />
eine Plattform, die sich<br />
nicht an die Gesetze halten»<br />
Dossier «Wir sind Familie!», Heft 2/<strong>2018</strong><br />
Nachdem die Mehrheit des letzten Hefts einer Minderheit von<br />
20 Prozent der Schweizer «Familien» gewidmet war, interessiert mich<br />
Fritz+Fränzi nicht mehr (vor allem nicht fürs Wartezimmer). Ich<br />
möchte deshalb das Wartezimmerabo kündigen. Besonders störend<br />
fand ich, dass Leute, die sich nicht an die Schweizer Gesetze halten,<br />
anschliessend sich und ihre Kinder (die sie übrigens selber zu Opfern<br />
gemacht haben) als Opfer dieser Gesetze darstellen und ihnen<br />
Fritz+Fränzi dafür eine Plattform bietet.<br />
Dr. med. Urs L. Dürrenmatt (per Mail)<br />
«Meine Enkel bauen einen<br />
Rollstuhl aus Stühlen und<br />
Schnur»<br />
«Eine Frage – drei Meinungen» zum Thema,<br />
ob man seine Kinder mit Krücken spielen<br />
lassen soll, Heft 2/<strong>2018</strong><br />
Ich musste schmunzeln beim Lesen: Zwei meiner Enkel spielen wahnsinnig gern<br />
mit meinen Krücken. Arzt und Spital war schon immer ein sehr beliebtes Thema:<br />
Ich habe unzählige Druck- und Gipsverbände gemacht, und bei mir gibt es zwei<br />
prall gefüllte Doktorköfferli mit fast allem, was das Herz begehrt. Meine Enkel<br />
bauen auch regelmässig einen Rollstuhl aus Kinderstühlen und Schnur. Als ich<br />
selbst an Krücken gehen musste, verstaute ich diese danach schon gar nicht<br />
mehr im Keller. Denn sie sind bei den Mädchen sehr gefragt. Allerdings sage ich<br />
fast jedes Mal: «Gebt Sorge, dass ihr euch kein Bein bricht damit.» Dazu muss ich<br />
noch anmerken, dass keines der Kinder je im Spital oder überhaupt verletzt war.<br />
«50 Prozent der biologischen<br />
Identität werden ausgeblendet»<br />
(Dossier «Wir sind Familie!», Heft 2/<strong>2018</strong>)<br />
Ich spreche den porträtierten Personen nicht ab, dass<br />
auch sie sich liebevoll um ihre Kinder kümmern. Dass<br />
diese Kinder zum Teil fremdgezeugt wurden, finde ich<br />
jedoch mehr als nur fragwürdig. Damit werden 50 Prozent<br />
der biologischen Identität des Kindes weitgehend<br />
ausgeblendet. Gleichgeschlechtliche Modelle können für<br />
mich auch nicht die Kombination «Mann plus Frau mit<br />
ihren Verschiedenartigkeiten und doch ergänzenden<br />
Wesens zügen» abdecken.<br />
Das (zum Teil fremdgezeugte) Kind wird des fehlenden<br />
Teils (entweder des Manns als Papi oder der Frau als<br />
Mami) einfach beraubt. Verfolgt man die Entwicklung<br />
beispielsweise in der Homo-/Lesbenszene wird klar, dass<br />
der Wunsch nach einem Kind mittlerweile zu einem<br />
persön lichen Recht nach dem Motto «Ich bin das Mass<br />
aller Dinge, ich habe ein Anrecht auf ein oder mein Kind»<br />
mutiert ist.<br />
Esther Fischer (per Mail)<br />
Susanne Hartmeier (per Mail)<br />
48 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
«Mehr Gelassenheit<br />
beim Thema Schule»<br />
Kolumne Elterncoaching von Fabian Grolimund,<br />
«Die Schule, unser Feind?», Heft 02/<strong>2018</strong><br />
Bildung ist ein Thema, das immer polarisieren wird. Jeder hat<br />
da etwas zu sagen, und alle wissen es besser (genau wie in der<br />
Erziehung). Hat man Kinder, die in der Schule gut sind und auch gerne<br />
lernen, dann ist die Schule kein Problem. Passt das Kind nicht ins<br />
System oder hat Mühe, dann sind die Schule, das System bzw. der<br />
Lehrer daran schuld. Ich plädiere für mehr Gelassenheit. Wir haben –<br />
zum Glück – ein duales Bildungs system, das die Türen zur Wunschkarriere<br />
auch später offenhält. Warum lassen wir die Lehrer nicht<br />
ihren Job machen und vertrauen auf die Fähigkeiten unserer Kinder?<br />
Silvia Clara Ventura (via Facebook)<br />
«Mehr Ressourcen für das<br />
Ausbildungssystem!»<br />
«Die Schule muss als Abbild der<br />
Gesellschaft gesehen werden»<br />
Danke für diesen tollen Artikel! Die Schule darf nicht zum<br />
Sündenbock gemacht werden – vielmehr muss man sie als<br />
Abbild der Gesellschaft sehen. Und da tut sich eine riesige<br />
Chance auf: Mit Wertschätzung und guten Beziehungen ist<br />
es möglich, Bildung lebendig und etwas gerechter werden<br />
zu lassen!<br />
Sabine Williner (via Facebook)<br />
«Danke allen Lehrpersonen!»<br />
Vielen Dank für diesen Artikel! An dieser Stelle danke<br />
ich auch allen Lehrpersonen, die mit Begeisterung<br />
und Freude ihrem Beruf nachgehen und den Kindern<br />
die Freude am Lernen vermitteln!<br />
Rahel Leimer-Zumstein (via Facebook)<br />
Mir fehlen im Artikel folgende Beobachtungen: Die Politik<br />
beeinflusst das Budget, die Ausbildungspläne und die Qualitätssicherung<br />
in der Schule. Dass mit weniger attraktiven Löhnen bei<br />
zunehmendem administrativem Aufwand nicht unbedingt die<br />
Besten Lehrer werden wollen, ist nachvollziehbar. Dass Schulleitungen<br />
nicht die Qualitätssicherung übernehmen können,<br />
sondern dass dies externe Inspektoren tun müssen, ist ja auch<br />
offensichtlich. Die zunehmenden Veränderungen unserer<br />
Gesellschaft bringen zwangsläufig die Schule als Institution unter<br />
Druck. Vielleicht sollte man anfangen, das Übel bei der Wurzel zu<br />
packen und für das Ausbildungssystem mehr und nicht weniger<br />
Ressourcen bereitzustellen.<br />
Dominik Baer (via Facebook)<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />
Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns wissen!<br />
Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />
oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />
Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi<br />
oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Kürzungen behält sich die Redaktion vor.
Elterncoaching<br />
Hilfe, mein Kind lügt!<br />
Wenn Kinder oder Jugendliche nicht die Wahrheit sagen, bricht für<br />
manche Eltern eine Welt zusammen. Sie fühlen sich hintergangen<br />
und reagieren teilweise mit einer Heftigkeit, die sie sonst nicht von<br />
sich kennen. Nicht selten stellen sie sich dann die Frage: Haben<br />
wir unser Kind falsch erzogen? Haben wir es nicht geschafft, ihm<br />
Werte beizubringen? Ist es am Ende ein schlechter Mensch?<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe und Autor («Mit<br />
Kindern lernen»). In der Rubrik<br />
«Elterncoaching» beantwortet<br />
er Fragen aus dem Familienalltag.<br />
Der 38-Jährige ist verheiratet<br />
und Vater eines Sohnes, 5,<br />
und einer Tochter, 2. Er lebt<br />
mit seiner Familie in Freiburg.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
www.biber-blog.com<br />
Eine Redewendung lautet:<br />
«Kindermund tut Wahrheit<br />
kund.» Allerdings<br />
nicht sehr lange. Bereits<br />
mit vier Jahren lernen<br />
Kinder zu «lügen». Anfangs sind die<br />
Lügen noch etwas plump: «Ich war’s<br />
nicht!», behaupten Vierjährige voller<br />
Inbrunst, obwohl man sie beobachtet<br />
hat.<br />
Bald schon werden die Täuschungen<br />
differenzierter. Die Kinder<br />
entwickeln etwas, das man in der<br />
Psychologie als «Theory of mind»<br />
bezeichnet: Sie lernen, dass andere<br />
Menschen einen anderen Informationsstand<br />
über die Welt haben als<br />
sie. Und sie entdecken, dass sie einer<br />
anderen Person falsche Informationen<br />
geben und damit deren Handeln<br />
beeinflussen können.<br />
Lügen verlangt Kindern einiges ab.<br />
Sie müssen beispielsweise ihre<br />
Mimik kontrollieren. Kindliches<br />
Flunkern ist ein Übungsfeld zur<br />
Entwicklung sozialer Kompetenzen.<br />
Wie spannend, wenn man plötzlich<br />
merkt, dass die Eltern nicht allwissend<br />
sind und man sie täuschen<br />
kann! Damit muss einfach experimentiert<br />
werden.<br />
Mein Sohn war viereinhalb Jahre<br />
alt, als er es das erste Mal geschafft<br />
hat, mich anzuflunkern, ohne dass<br />
ich es gemerkt habe. Stolz öffnete er<br />
die Hand, in der sich die Murmel<br />
befand und meinte: «Du hast es<br />
nicht herausgefunden! Ich habe<br />
nicht mehr so gemacht.» (Dabei<br />
schaute er mit den Augen zur Seite<br />
und grinste – davor ein untrügliches<br />
Zeichen, dass er schummelte.) Er<br />
hatte gelernt, ein Pokerface aufzusetzen.<br />
Lügen verlangt Kindern einiges<br />
ab. Sie müssen sich in ihr Gegenüber<br />
hineinversetzen, abwägen, welche<br />
Informationen die andere Person<br />
hat und welche sie ihr geben müssen,<br />
um glaubhaft zu sein – und sie<br />
müssen ihre Mimik kontrollieren. In<br />
diesem Sinne ist das kindliche Fabulieren<br />
und Flunkern auch ein<br />
Übungsfeld zur Entwicklung sozialer<br />
Kompetenzen.<br />
Flunkern, Täuschen und Fabulieren<br />
sind in der Phase von vier bis<br />
sechs/sieben Jahren Teil einer<br />
gesunden Entwicklung und kein<br />
Anlass zur Sorge. Langsam kann<br />
man in diesem Alter damit begin-<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
50 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
nen, Kindern aufzuzeigen, dass<br />
Lügen problematisch ist. Vielleicht<br />
erzählt man ihnen die Geschichte<br />
von Pinocchio oder vom Jungen, der<br />
immer «Feuer» rief, und spricht mit<br />
ihnen darüber, welche Folgen häufiges<br />
Lügen haben kann.<br />
Zwischen sechs und acht Jahren<br />
können Kinder Fantasie und Realität<br />
immer besser auseinanderhalten,<br />
und ihnen wird bewusster, dass man<br />
im Allgemeinen nicht lügen sollte,<br />
weil es Beziehungen belastet und<br />
anderen Menschen schaden kann.<br />
Damit nimmt auch die Häufigkeit<br />
des Lügens ab.<br />
Warum lügt mein Kind?<br />
Wenn ältere Kinder und Jugendliche<br />
lügen, ist es sinnvoll, als Eltern<br />
genauer hinzuschauen und sich zu<br />
überlegen, aus welchem Grund ein<br />
Kind zur Lüge greifen muss.<br />
Jüngere Kinder lügen eher, um<br />
sich einen persönlichen Vorteil zu<br />
verschaffen. Sie naschen heimlich<br />
und geben es nicht zu, sie spielen<br />
sich vor anderen mit Unwahrheiten<br />
auf, um besser dazustehen, oder<br />
geniessen es, andere im Spiel zu<br />
beschwindeln.<br />
Ältere Kinder und Jugendliche<br />
haben meist triftigere Gründe, nicht<br />
mit der Wahrheit herauszurücken.<br />
Sie möchten einer Strafe entgehen,<br />
Schamgefühle vermeiden oder<br />
andere schützen.<br />
Dabei zeigt die Forschung: Wenn<br />
Eltern bei Lügen sehr entrüstet oder<br />
enttäuscht reagieren, vom Kind<br />
Geständnisse erzwingen und es<br />
bestrafen, wenn eine Unwahrheit<br />
ans Licht kommt oder unter Druck<br />
gestanden wird, begünstigt das weiteres<br />
Lügen.<br />
Kinder lügen normalerweise nur<br />
ungern. Wenn sie merken, dass sie<br />
die Wahrheit sagen dürfen, ohne<br />
ernste Konsequenzen befürchten zu<br />
müssen, fällt es ihnen leichter, den<br />
Eltern gegenüber offen zu sein. So<br />
zeigen mittlerweile mehrere Studien,<br />
dass es Kindern am besten<br />
gelingt, ehrlich zu sein, wenn Eltern:<br />
• selbst den Mut haben, ehrlich mit<br />
ihren Kindern und anderen zu<br />
sein, und für ein offenes Familienklima<br />
sorgen;<br />
• das Kind nicht bestrafen, wenn<br />
sie es bei einer Lüge ertappen,<br />
sondern mit ihm darüber sprechen,<br />
weshalb es sich nicht<br />
getraut hat, die Wahrheit zu<br />
sagen;<br />
• dem Kind mit Wertschätzung<br />
begegnen, wenn es den Mut hat,<br />
ehrlich zu sein;<br />
• das Kind dabei unterstützen, eine<br />
Verfehlung wieder gutzumachen,<br />
anstatt es dafür zu bestrafen.<br />
Manche Kinder und Jugendliche<br />
schätzen die Konsequenzen der<br />
Wahrheit schlicht falsch ein. Im Laufe<br />
der Jahre haben mir mehrere<br />
Jugendliche gesagt, dass ihre Eltern<br />
«sehr enttäuscht wären» oder sogar<br />
«ganz anders von ihnen denken würden»,<br />
wenn sie von schlechten Schulleistungen<br />
erfahren. Fast immer kam<br />
es nach einem offenen Gespräch zur<br />
beruhigenden Erkenntnis: Meine<br />
Eltern halten auch dann zu mir und<br />
lieben mich, wenn ich nicht alle<br />
Erwartungen erfülle.<br />
Wie viel Recht auf Privatheit will ich<br />
meinem Kind lassen?<br />
«Etwas zu verheimlichen, ist doch<br />
genau das Gleiche wie lügen!», meinte<br />
eine Mutter zu mir, als die fünfzehnjährige<br />
Tochter etwas ausgefressen<br />
hatte und nicht sofort zu ihr kam.<br />
Im Gespräch wurde deutlich, wie<br />
sehr es die Mutter getroffen hat, dass<br />
die Tochter scheinbar kein Vertrauen<br />
zu ihr hat, wo sie doch immer so<br />
eine enge und gute Beziehung hatten.<br />
Gerade heute, wo Eltern oft ein<br />
enges, fast freundschaftliches Verhältnis<br />
zu ihren Kindern pflegen,<br />
schmerzt es manche Eltern, wenn sie<br />
merken, dass ihre Kinder im Jugendalter<br />
vermehrt Freunde ins Vertrauen<br />
ziehen und sie als Eltern langsam<br />
als wichtigste Bezugspersonen abgelöst<br />
werden.<br />
Es bedeutet daher auch einen<br />
Entwicklungsschritt für die Eltern,<br />
Die Forschung zeigt: Wenn<br />
Eltern bei Lügen entrüstet<br />
reagieren und vom Kind<br />
Geständnisse erzwingen,<br />
begünstigt das weitere Lügen.<br />
ihren Kindern mit der Zeit mehr<br />
Privatheit zuzugestehen und es als<br />
Geschenk anstatt als Anrecht zu<br />
betrachten, wenn Jugendliche sich<br />
öffnen.<br />
Meine Mutter meinte einmal:<br />
«Man muss nicht alles voneinander<br />
wissen, gewisse Dinge darf man<br />
auch einfach für sich behalten.» Sie<br />
sagte den Satz nicht zu mir, aber für<br />
mich war dieser Moment wichtig.<br />
Man darf Sachen für sich behalten.<br />
Was für eine Freiheit! Aus dieser<br />
Freiheit heraus darf man sich öffnen,<br />
muss es aber nicht – was zumindest<br />
bei mir dafür sorgte, dass ich es oft<br />
und gerne tat.<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Erziehungsfehler: Gibt es das überhaupt?<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>51
Erziehung Reportage & Schule<br />
«Lukas<br />
ist jetzt Lea.<br />
Fertig,<br />
Schluss.»<br />
Lea, 14, wurde im Körper eines Buben geboren;<br />
Kim, 7, mit allen Merkmalen eines Mädchens. Sie sind<br />
zwei von rund 8000 Transkindern in der Schweiz.<br />
Ihre Klassenkameradinnen und -kameraden haben damit<br />
kein Problem – doch in der Welt der Erwachsenen<br />
stossen sie auf Widerstände.<br />
Text: Florian Blumer Bilder: Fabian Unternaehrer / 13 Photo<br />
52 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März <strong>2018</strong>53
Reportage<br />
Seit einer halben Stunde<br />
sitzt Kim* im Behandlungsraum<br />
des Kinderarztes.<br />
Der Siebenjährige<br />
rutscht ungeduldig auf<br />
dem Stuhl herum, lässt die Fragen<br />
des Mediziners über sich ergehen.<br />
«Du bist dir ganz sicher, Kim,<br />
dass du ein Junge sein willst?»<br />
«Ja.»<br />
«Gell, Kim, du weisst, wenn du<br />
doch ein Mädchen sein willst, darfst<br />
du das jederzeit sagen.»<br />
«Ja, ich weiss.»<br />
«Wirklich, Kim, ich meine das so,<br />
jederzeit.»<br />
«Ich weiss.»<br />
«Wirklich!»<br />
«Ich weiss. Sind wir fertig?»<br />
Kim, ein eher schmächtiger Erstklässler<br />
mit Kurzhaarfrisur und<br />
sportlicher Brille, ist kein ungeduldiges<br />
Kind. Aber die dauernden Fragen<br />
nach seinem Geschlecht versteht<br />
er nicht. Er kam in einem<br />
weiblichen Körper zur Welt – doch<br />
wie ein Mädchen fühlte er sich noch<br />
nie.<br />
Lea*, 14, wurde als Lukas geboren.<br />
Sie sagt: «Ich kann mich nicht<br />
erinnern, dass ich mich je als Bub<br />
gefühlt habe.» Auch Lea, ein Teenager<br />
mit langen, blonden Haaren,<br />
versteht nicht, warum sie die Ärzte<br />
immerzu fragen, ob sie sich sicher<br />
sei: «Man sieht doch, dass ich ein<br />
Mädchen bin!»<br />
Lea ist ein Transmädchen, Kim<br />
ist ein Transbub. Sie sind zwei von<br />
rund 8000 Kindern in der Schweiz,<br />
die sich nicht mit ihrem biologischen<br />
Geschlecht identifizieren (siehe<br />
«Transkinder» auf dieser Seite<br />
und Glossar «Trans – eine Begriffserklärung»,<br />
Seite 64). Lea und Kim<br />
kennen sich nicht, sie leben in verschiedenen<br />
Regionen der Schweiz.<br />
Und doch haben sie vieles gemeinsam.<br />
Dies ist ihre Geschichte.<br />
Lea, damals Lukas, ist drei Jahre<br />
alt, als ihren Eltern auffällt, wie sehr<br />
sich ihr Kind für die Barbies ihrer<br />
Cousine interessiert. Und wie gerne<br />
es mit deren Röckchen Verkleiderlis<br />
spielt. Das wäre für einen Buben<br />
dieses Alters noch nicht ungewöhnlich<br />
– wenn sich Lukas nicht weigern<br />
würde, die Kleider danach wieder<br />
auszuziehen.<br />
Die Eltern halten es für eine Phase,<br />
wie sie halt bei Kindern vorkommt.<br />
Doch bei Lukas will die<br />
Phase nicht enden. Zuweilen wirkt<br />
es für die Eltern wie eine Obsession:<br />
Lukas probiert ein Röckchen nach<br />
dem anderen an, lässt sich dabei<br />
auch nicht unterbrechen, wenn die<br />
Mutter ihr Kind zu Tisch ruft. Die<br />
Eltern machen sich Sorgen: Ist das<br />
normal? Sollen wir das zulassen?<br />
Dürfen wir das zulassen? Auch das<br />
Schminken und Nägellackieren?<br />
Zwischendurch verliert die Mutter<br />
immer wieder die Geduld: «Jetzt bist<br />
du einfach mal der Bub!»<br />
Als Lukas sieben Jahre alt ist, geht<br />
die Mutter mit ihm auf eine Tupperware-Party.<br />
Eine Freundin kommt<br />
mit dem vermeintlichen Bub ins<br />
Gespräch und fragt: «Wenn du ganz<br />
alleine auf der Welt wärst, was würdest<br />
du sein wollen?» Lukas zögert<br />
keine Sekunde: «Ein Mädchen.»<br />
Die Mutter ist geschockt.<br />
«Ich bin keine Prinzessin, ich bin<br />
ein Prinz»<br />
Auch Kim ist drei Jahre alt, als er mit<br />
seinem Verhalten zum ersten Mal<br />
die Eltern irritiert. Auch bei ihm<br />
dreht es sich um Röckchen. Nur, dass<br />
er sie seinen Eltern an den Kopf<br />
wirft, anstatt sie anzuziehen. Wenn<br />
er von gut meinenden Bekannten<br />
Prinzessinnenkleider geschenkt<br />
bekommt, zieht er sie brav an. Um<br />
sie sofort an einem sicheren Ort zu<br />
verstecken, sobald der Besuch<br />
gegangen ist. «Ich bin keine Prinzes-<br />
Immer wieder verlor die<br />
Mutter die Geduld: «Jetzt bist<br />
du einfach mal der Bub!»<br />
sin, ich bin ein Prinz», sagt er.<br />
Dass seine Eltern ihm die Haare<br />
nicht kurz schneiden lassen, akzeptiert<br />
Kim. Auf keinen Fall aber,<br />
wenn ihn die Mutter frisieren will.<br />
Auch seine Eltern machen sich<br />
anfänglich nicht viele Gedanken:<br />
«Wir wollen unsere Kinder nicht in<br />
die Mädchenrolle drängen, sie durften<br />
immer auch mit Bubensachen<br />
spielen», sagt die Mutter. Das Ehepaar<br />
hat drei Mädchen, wie sie<br />
damals noch meinen: Eines steht auf<br />
Transkinder in der Schweiz<br />
Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele<br />
Transkinder in der Schweiz leben.<br />
Schätzungen über den Anteil von<br />
Transmenschen an der Gesamtbevölkerung<br />
bewegen sich um 0,5 Prozent. Dementsprechend<br />
leben in der Schweiz rund 8000 Transkinder. Viele<br />
bleiben unentdeckt: Weil sie es nicht wagen, ihre<br />
Geschlechtsidentität offenzulegen, oder weil sie<br />
keine ärztliche oder psychologische Betreuung<br />
in Anspruch nehmen und so nicht aktenkundig<br />
werden. Umstritten ist die Frage der<br />
Dauerhaftigkeit der Geschlechtsvarianz, also wie<br />
viele Kinder sich später doch mit ihrem<br />
biologischen Geschlecht identifizieren. Es gibt<br />
Studien, die einen hohen Anteil ausweisen,<br />
andere, die auf einen niedrigen einstelligen<br />
Prozentbereich kommen – die Forschung steht<br />
noch am Anfang. Es gibt religiöse Gruppierungen,<br />
die sich gegen die Akzeptanz des Phänomens<br />
wehren und der Meinung sind, Transidentität<br />
sei «heilbar» ist. Dieser Sicht widerspricht die<br />
Mehrheit der Experten vehement.<br />
Weiterführende Informationen:<br />
Transgender Network Switzerland: www.tgns.ch<br />
Multiprofessionelle Fachgruppe Trans*:<br />
www.fachgruppetrans.ch<br />
54 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Pink und Lillifee, die anderen spielen<br />
lieber mit Autos. Dass bei Kim<br />
etwas ganz anders ist als bei seinen<br />
zwei Schwestern, realisiert die Mutter,<br />
als Kim in den Kinder garten<br />
kommt. Eines Tages sitzt er traurig<br />
am Küchentisch. Die Mutter fragt:<br />
«Was ist los mit dir?»<br />
«Alle behandeln mich wie ein<br />
Mädchen», klagt Kim. «Dabei bin<br />
ich doch ein Bub!»<br />
Kims Glück ist, dass er sich klar<br />
zu seinem Geschlecht äussern kann<br />
– und dass seine Mutter schon<br />
gewusst hat, dass es so etwas gibt.<br />
Lea dagegen sagte ihren Eltern nie:<br />
«Ich bin ein Mädchen.» Ihre Mutter<br />
erzählt: «Sie versuchte, es uns durch<br />
ihr Verhalten zu zeigen.» Doch von<br />
Transkindern hatten sie noch nie<br />
gehört.<br />
Kims Vater ist sich erst nicht<br />
sicher, ob sie wirklich gleich ganz<br />
umstellen sollen, lässt sich aber von<br />
der Mutter schnell überzeugen. Sie<br />
beschliessen, dass ihr Kind, wie es<br />
sein Wunsch ist, nicht mehr als Kim,<br />
das Mädchen, sondern als Kim, der<br />
Bub durchs Leben gehen soll.<br />
Kein Verständnis im Kindergarten<br />
Bloss: Seine Kindergartenlehrpersonen,<br />
zwei ältere Damen, machen<br />
nicht mit. Sie finden, dass die Eltern<br />
überreagieren, und glauben, es würde<br />
die Kinder verwirren. Ihr Kompromiss,<br />
den sie eingehen, klingt so:<br />
«Nun kommen alle Buben zu mir<br />
und alle Mädchen, die sich gerne wie<br />
Buben kleiden.» Die Heilpädagogin<br />
des Kindergartens redet der Mutter<br />
ins Gewissen: «Sie geben Ihrer Tochter<br />
da einen schweren Rucksack<br />
mit.» Die Mutter schmerzt es noch<br />
heute, wenn sie dies erzählt. Sie sagt:<br />
«Ja, Kim trägt einen schweren Rucksack.<br />
Aber den haben nicht wir ihm<br />
mitgegeben! Und wir helfen ihm so<br />
gut wir können, diesen zu tragen.»<br />
Als Kim in die Schule kommt,<br />
wendet sich alles zum Besseren.<br />
Schon ein Jahr vor Eintritt informiert<br />
Kims Mutter seine künftige<br />
Klassenlehrerin, die auch Schulleiterin<br />
ist. Dieser kommt das<br />
«Ein sechsjähriges<br />
Kind weiss, ob es<br />
ein Bub ist oder<br />
ein Mädchen»<br />
Transgender-Experte Patrick Gross<br />
sagt, dass Kinder schon früh eine<br />
Geschlechtsidentität entwickeln.<br />
Er warnt vor den Folgen, wenn sie<br />
darin nicht ernst genommen werden.<br />
Interview: Florian Blumer<br />
Herr Gross, Transmenschen wehren sich<br />
dagegen, dass Transgender als psychische<br />
Störung gesehen wird. Müssen Betroffene<br />
überhaupt behandelt werden?<br />
Ein Transkind oder Transjugendlicher braucht<br />
nicht per se psychiatrische oder psychotherapeutische<br />
Behandlung. Längst nicht<br />
alle geschlechtervarianten Kinder<br />
leiden unter psychischen oder sozialen<br />
Folgeproblemen: Ich begegne Transkindern,<br />
die ihre Geschlechtervarianz mühelos leben<br />
können. Für diejenigen aber, die darunter<br />
leiden, kann eine psychotherapeutische<br />
Behandlung hilfreich sein.<br />
Unter welchen Folgeproblemen leiden<br />
diese Kinder?<br />
Dies können Anpassungsschwierigkeiten<br />
sein, schulische Probleme, depressive<br />
Verstimmungen, Ängste oder gar Suizidalität.<br />
Diese Folgeprobleme sind in den Fällen<br />
am grössten, in denen sie auf Ablehnung<br />
stossen. In einer neuen australischen Studie<br />
gaben zwei von drei Jugendlichen und jungen<br />
Erwachsenen an, keine Unterstützung durch<br />
die Familie zu erhalten – und drei von vier<br />
sagten, sie litten unter Depressionen.<br />
Wie nehmen Sie die Eltern wahr, die zu<br />
Ihnen kommen?<br />
Häufig sind sie es, die Betreuung oder<br />
Begleitung suchen, und gar nicht die Kinder.<br />
Sie kommen mit Fragen wie: Sollen wir<br />
einem Transmädchen erlauben, mit dem<br />
Röckchen in den Kindergarten zu gehen?<br />
Was antworten Sie?<br />
Die Frage ist: Wie stark leidet das Kind, wenn<br />
es das nicht darf? Dann ist aber auch die<br />
Frage wichtig: Wie viel Unterstützung erfährt<br />
es durch das Umfeld? Es gibt Fälle, in denen<br />
eine Transition nicht ratsam ist, weil das<br />
Umfeld die Voraussetzungen nicht erfüllt, es<br />
gar gefährlich wäre. Nicht zuletzt stellt sich<br />
die Frage, wo die Eltern stehen: Der Weg<br />
muss auch für sie gangbar sein.<br />
Ab wann hat ein Kind ein Bewusstsein für<br />
sein Geschlecht?<br />
Bereits ein zweijähriges Kind ist fähig,<br />
zwischen männlich und weiblich zu<br />
unterscheiden. Es ist sich seiner eigenen<br />
Geschlechtsidentität jedoch noch nicht<br />
bewusst. Ein fünf- bis sechsjähriges Kind<br />
hingegen hat darin bereits eine Konstanz<br />
entwickelt: Es weiss klar, ob es ein Bub oder<br />
ein Mädchen ist.<br />
Kann die Identifikation mit dem anderen<br />
Geschlecht auch nur eine Phase sein?<br />
Das Bedenken, es sei nur eine Phase, höre<br />
ich sehr häufig. Tatsächlich ist es so, dass<br />
dieses Empfinden nicht bei allen Transkindern<br />
ins Erwachsenenalter anhält. Doch je<br />
länger sich ein Kind mit dem andern<br />
Geschlecht identifiziert hat, desto höher ist<br />
die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Erleben<br />
dauerhaft sein wird. Und ob es eine Phase ist<br />
56 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Reportage<br />
Die Eltern liessen Freunden und<br />
Verwandten keine Wahl: «Wer Kim<br />
als Bub nicht akzeptiert, hat keinen<br />
Platz mehr in unserem Leben.»<br />
Als Kind liebte<br />
es Lea, Röckchen<br />
zu tragen. Heute<br />
bevorzugt sie<br />
Jeans.<br />
Ganze sonderbar vor. Schon<br />
viele Jahre leitet sie die Schule, aber<br />
einen solchen Fall hatte sie noch nie:<br />
Ein Mädchen, das sagt, es sei ein<br />
Bub? Kann das ein Kind in diesem<br />
Alter schon wissen? Drängen es die<br />
Eltern nicht in die Bubenrolle, nur<br />
weil es nicht gerne Mädchenkleider<br />
trägt? Und überhaupt: Wie soll das<br />
im Alltag funktionieren, wenn es in<br />
die Bubengarderobe und aufs<br />
Buben-WC gehen will?<br />
Reportage<br />
«Meine Kameradinnen waren<br />
nicht überrascht. Ich habe<br />
mich schon vorher wie ein<br />
Mädchen verhalten», sagt Lea.<br />
Trans – eine Begriffserklärung<br />
Gemäss dem Präsidenten des Vereins<br />
Transgender Network Switzerland<br />
(TGNS), Henry Hohmann, werden<br />
Transmenschen in den Medien oft<br />
falsch dargestellt. Ein klassisches<br />
Beispiel dafür ist die Formulierung:<br />
Er wurde vom Mann zur Frau. Um dem<br />
entgegenzuwirken, hat TGNS einen<br />
umfassenden sprachlichen Leitfaden<br />
publiziert. Darin ist festgehalten,<br />
dass ein Transmann nicht eine Frau<br />
ist, die als Mann leben will, sondern<br />
«ein Mann, der bei seiner Geburt<br />
aufgrund äusserer Merkmale für<br />
ein Mädchen gehalten wurde» (und<br />
entsprechend für Transfrauen). Die<br />
folgenden Begriffserklärungen sind an<br />
die De finitionen des TGNS-Leitfadens<br />
angelehnt.<br />
Transgender, Transmensch: Oberbegriff<br />
für alle Menschen, die trans<br />
sind. Es gibt auch die Schreibweise<br />
«trans Gender» und «trans Mensch».<br />
Viele Betroffene bevorzugen diese<br />
adjektivische Verwendung von trans.<br />
Damit wollen sie betonen, dass trans<br />
zwar Teil von ihnen ist, aber nicht ihr<br />
ganzes Wesen bestimmt.<br />
Cis-Menschen: Menschen, die nicht<br />
trans sind (vom Lateinischen cis für<br />
diesseits).<br />
Fortan betreiben sie, wie es<br />
die Mutter nennt, «ein doppeltes<br />
Spiel»: In der Schule trägt Lea Jeans<br />
und Pullover, «Bubenkleider, die<br />
auch für Mädchen gehen». Zu Hause<br />
und in den Ferien trägt sie Röckchen<br />
und Leggins. Der Psychologe<br />
rät ihnen, mit dem Schritt in die<br />
Öffentlichkeit noch zu warten.<br />
Dann, als Lukas elf ist, beschliessen<br />
sie, es zu wagen. Lukas sucht<br />
sich einen neuen Namen aus: Lea<br />
soll es sein, nach der Figur aus einer<br />
aus dem näheren Umfeld, der den<br />
äusserlichen Wandel von Lukas zu<br />
Lea nicht akzeptiert. Als sie vor den<br />
Kindern darüber streiten, stellt sich<br />
der dreijährige Benjamin vor den<br />
uneinsichtigen Götti und sagt:<br />
«Lukas ist jetzt Lea. Fertig, Schluss.»<br />
Die Nachbarn informieren sie<br />
mittels Kärtchen, die sie zusammen<br />
mit Weihnachts- und Neujahrsglückwünschen<br />
in die Briefkästen<br />
werfen. Viele schreiben zurück, gratulieren<br />
zum Mut, machen Besuche,<br />
bringen Geschenke.<br />
Leas Eltern betonen, dass sie<br />
bedingungslos hinter ihrer Tochter<br />
stehen. Doch Lea hat schwierige Zeiten<br />
hinter sich. Momente, in denen<br />
sie zu ihrer Mutter sagte: «Weshalb<br />
bin ich auf dieser Welt? Wieso mag<br />
mich niemand? Ich will sterben.»<br />
Die Eltern bedauern heute, dass sie<br />
nicht früher Bescheid wussten: «Es<br />
tut mir leid für Lea», sagt die Mutter.<br />
Der Vater fügt an: «Wenn ich damals<br />
gewusst hätte, was ich heute weiss,<br />
hätte ich schon früher gesagt: Es ist<br />
okay, wenn du Mädchenkleider<br />
trägst.»<br />
Lea kann mit der Hormontherapie<br />
beginnen<br />
Vor Kurzem hat Lea gute Nachrichten<br />
von ihrem Arzt bekommen: Er<br />
hat das Okay gegeben, dass sie mit<br />
der Hormontherapie beginnen kann.<br />
«Ich bin so glücklich», sagt Lea.<br />
«Endlich geht es vorwärts!» Seit drei<br />
Jahren nimmt sie Pubertätsblocker,<br />
damit bei ihr keine männliche<br />
Pubertät einsetzt. Mit der Hormontherapie<br />
wird Lea weibliche<br />
Rundungen bekommen, sie wird zur<br />
Frau werden. Und auch die<br />
geschlechtsangleichenden Operationen<br />
will sie in ein paar Jahren<br />
machen lassen.<br />
Für Kim ist die Pubertät mit<br />
ihren Turbulenzen noch Theorie,<br />
Fragen nach Hormontherapie oder<br />
Operationen scheinen weit weg.<br />
Kim ist glücklich, einfach ein Bub<br />
sein zu können. Die Eltern sind froh,<br />
dass dem so ist. Und sie wünschen<br />
sich, dass es noch möglichst lange so<br />
bleibt. Denn, so die Mutter: «Uns ist<br />
klar: Die harten Zeiten stehen noch<br />
bevor.»
Bild: Ted Catanzaro / Plainpicture<br />
Alarmstufe Rot!<br />
Jedes Jahr erkranken in der Schweiz rund 15 000 Menschen an einer Blutvergiftung.<br />
Ein Drittel von ihnen stirbt daran. Bei Kindern ist die sogenannte Sepsis die zweithäufigste<br />
Todesursache – weil sie meist zu spät oder nicht erkannt wird. Text: Claudia Füssler<br />
60 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ernährung & Gesundheit<br />
Es ist ein Wettlauf gegen<br />
die Zeit: Je eher eine<br />
Blutvergiftung behandelt<br />
wird, desto besser<br />
stehen die Chancen, dass<br />
man sie überlebt. Doch um behandeln<br />
zu können, muss die richtige<br />
Diagnose gestellt werden. Und<br />
genau das ist die Achillesferse der<br />
sogenannten Sepsis: Ihre Symptome<br />
sind so unspezifisch und können mit<br />
so vielen anderen Erkrankungen<br />
verwechselt werden, dass selbst<br />
erfahrene Ärzte oft nicht gleich realisieren,<br />
womit sie es zu tun haben.<br />
Ein Unwissen, das tödliche Folgen<br />
haben kann.<br />
Fieber zum Beispiel, Schüttelfrost,<br />
Herzrasen und ein Krankheitsgefühl<br />
wie bei einem schweren<br />
grippalen Infekt sind mögliche<br />
Anzeichen einer Blutvergiftung.<br />
«Das macht die Krankheit schwer zu<br />
diagnostizieren, denn Kinder fiebern<br />
äusserst häufig», sagt Horst von<br />
Bernuth, Leiter der Sektion Pädiatrische<br />
Immunologie und Infektiologie<br />
an der Charité-Universitätsmedizin<br />
Berlin.<br />
Eine invasive Infektion<br />
Acht bis zehn banale Infekte pro Jahr,<br />
sagt die Statistik, sind bei Kleinkindern<br />
völlig normal, im Kindergartenalter<br />
erhöht sich die Zahl auch<br />
mal auf 15 bis 18. «Unter Tausenden<br />
von Kindern, die mit diesen Symptomen<br />
in die Praxis kommen, eine<br />
Sepsis zu erkennen, ist eine Herausforderung<br />
für jeden Kinderarzt»,<br />
sagt von Bernuth.<br />
Wie genau aber wird das Blut vergiftet?<br />
Normalerweise kommt unser<br />
Körper gut mit Erregern klar. Täglich<br />
ficht er unzählige Kämpfe gegen<br />
Bakterien, Viren und Pilze aus – und<br />
gewinnt diese. Manchmal dauert es<br />
ein bisschen länger, dann werden<br />
wir krank, aber mit Geduld und<br />
mitunter medikamentöser Hilfe<br />
kriegt der Körper auch das in den<br />
Griff. «Doch während sich Husten,<br />
Schnupfen oder eine Lungenentzündung<br />
an der Oberfläche, also auf<br />
den Schleimhäuten abspielen,<br />
gelangen die Erreger bei einer Sepsis<br />
an sonst sterile Orte. Wir sprechen<br />
dann von einer invasiven Infektion»,<br />
erklärt von Bernuth.<br />
Ursache: angeborener Defekt<br />
Krankheitserreger gelangen über die<br />
Blutgefässe in alle Teile des Körpers.<br />
Eine solche Infektion löst die höchste<br />
Alarmstufe im Immunsystem aus,<br />
es mobilisiert sämtliche Abwehrkräfte.<br />
Diese Reaktion kann zu heftig<br />
ausfallen und nicht nur die Er -<br />
reger, sondern auch körpereigenes<br />
Gewebe schädigen. Schreitet die<br />
Blutvergiftung voran, können Organe<br />
versagen, der Betroffene stirbt. Es<br />
ist die Kombination aus Infektion<br />
und einer Überreaktion des körpereigenen<br />
Immunsystems, die eine<br />
Blutvergiftung so gefährlich macht.<br />
Die meisten Blutvergiftungen<br />
werden von Bakterien verursacht.<br />
Ein solcher lokaler Herd kann eine<br />
entzündete Wunde durch einen<br />
Schnitt sein, ebenso aber ein eiternder<br />
Zahn oder eine Lungen-, Blasen-<br />
oder Hirnhautentzündung.<br />
Eltern, die vor Dreck in einer Wunde<br />
warnen, haben völlig recht: Das<br />
kann zu einer Blutvergiftung<br />
Einen Schutz gibt es nicht.<br />
Das Einzige, was lebensrettend<br />
sein kann, ist ein frühes<br />
Erkennen der Gefahr.<br />
Der septische Schock<br />
Wird eine Blutvergiftung nicht<br />
therapiert oder schlägt die<br />
Behandlung nicht an, kann es zum<br />
sogenannten septischen Schock<br />
kommen. Diesen lebensgefährlichen<br />
Notfall überleben mehr als die Hälfte<br />
der Betroffenen nicht. Grund ist ein<br />
extrem starker Blutdruckabfall, das<br />
Herz kann die erweiterten Blutgefässe<br />
nicht mehr mit ausreichend Blut<br />
versorgen. Die Organe werden<br />
unterversorgt und versagen<br />
schliesslich. Ein septischer Schock<br />
verlangt intensivmedizinische<br />
Betreuung. Überlebt ein Patient den<br />
septischen Schock, hat er meist Langzeitschäden,<br />
die durch die Unterversorgung<br />
eines oder mehrerer Organe<br />
entstanden sind.<br />
Der rote Strich<br />
Ein dunkelroter oder blauer Strich,<br />
der sich zum Herzen hin ausbreitet<br />
oder in diese Richtung «wandert» –<br />
das sei ein untrügliches Anzeichen für<br />
eine Blutvergiftung, denken viele<br />
Menschen. Das ist falsch. Solche<br />
Striche kommen nicht bei einer<br />
Blutvergiftung vor, sondern bei einer<br />
Lymphangitis. Dabei sind die<br />
Lymphbahnen entzündet. Eine<br />
Lymphangitis muss ebenfalls von<br />
einem Arzt behandelt werden.<br />
In seltenen Fällen erreicht sie den<br />
Blutkreislauf – und es kann<br />
eine Blutvergiftung entstehen.<br />
führen und sollte so schnell<br />
wie möglich gereinigt und desinfiziert<br />
werden. Doch der rostige Nagel<br />
oder eine entzündete Schürfwunde<br />
sind nur wenige potenzielle Verursacher<br />
unter vielen. Pneumokokken,<br />
Staphylokokken, Meningokokken<br />
heissen die Erreger, die Wissenschaftler<br />
häufig auch auf den<br />
Schleimhäuten von gesunden Menschen<br />
finden. «Was auffällig ist: Viele<br />
Menschen sind Träger dieser Bakterien,<br />
einige werden auch krank,<br />
aber nicht alle bekommen davon<br />
auch eine Sepsis», sagt von Bernuth.<br />
Gemessen am Grad des Befalls von<br />
Kindern und Erwachsenen sei eine<br />
Blutvergiftung sogar selten.<br />
«Wir vermuten daher, dass es<br />
angeborene Defekte sein könnten,<br />
Fehler im Abwehrmechanismus, die<br />
dazu führen, dass das Immunsystem<br />
bei manchen Menschen eine Infektion<br />
nicht richtig handhabt», sagt<br />
von Bernuth. Denn auch ein Erreger<br />
hat eigentlich kein Interesse, seinen<br />
Wirt umzubringen, schliesslich<br />
bedeutet das auch für ihn selbst das<br />
Ende. «Dass es zu einer Blutvergiftung<br />
kommt, ist also wahrscheinlich<br />
ein evolutionärer Unfall.»<br />
Amerikanische Wissenschaftler<br />
erstellen bereits genetische Profile<br />
von betroffenen Patienten, doch die<br />
Aussagekraft ist fragwürdig: Das<br />
menschliche Abwehrsystem wird<br />
von etwa 2000 bis 3000 Genen reguliert;<br />
wir kennen mit hoher Sicherheit<br />
erst die Bedeutung von etwas<br />
mehr als 300 Genen des Immunsystems.<br />
Gut möglich also, dass der<br />
Fehler in noch völlig unbekannten<br />
Sphären liegt. Einen Schutz vor<br />
einer Blutvergiftung gibt es nicht.<br />
Das Einzige, was lebensrettend sein<br />
kann, ist ein frühes Erkennen der<br />
Ernährung & Gesundheit<br />
Nierenschwäche. Diese Kinder sind<br />
häufig im Spital und damit mehr<br />
Keimen ausgesetzt. Hinzu kommt<br />
ein durch die Erkrankung bereits<br />
geschwächtes Immunsystem. Eine<br />
Kombination, die das Entstehen<br />
einer Blutvergiftung begünstigen<br />
kann. «Bei diesen Kindern muss<br />
man besonders wachsam sein, denn<br />
häufige Spitalbesuche oder ein<br />
Venenkatheter erhöhen das Risiko<br />
einer Infektion», sagt Infektionsexperte<br />
Berger.<br />
Auch Berger und seine Kollegen<br />
fragen sich: Was funktioniert bei<br />
den Kindern, die eine Sepsis bekommen,<br />
im Vergleich zu denen, die<br />
unter den gleichen Umständen nicht<br />
daran erkranken, anders? «Handelt<br />
es sich wirklich nur um ein zufälliges<br />
Ereignis? Oder doch eine genetische<br />
Disposition? Wir wissen es<br />
leider noch nicht» sagt Berger.<br />
zent. Den Ärzten dort stehen rund<br />
um die Uhr Experten zur Verfügung,<br />
die sich im Notfall per Video<br />
zuschalten oder auch einfliegen lassen.<br />
Eine entscheidende Unterstützung:<br />
Mit jeder Stunde, die ohne<br />
Therapie verstreicht, sinkt die Wahrscheinlichkeit<br />
des Überlebens für<br />
den Patienten um mehr als sieben<br />
Prozent.
Digital & Medial<br />
Achtung:<br />
falsche Nachricht!<br />
Immer mehr Jugendliche lesen News nur noch über die<br />
sozialen Medien – das ist ein Problem. Text: Stephan Petersen<br />
D<br />
ie Gäste der Wa <br />
shingtoner Pizzeria<br />
Comet Ping Pong<br />
sind geschockt, als<br />
am 4. Dezember<br />
2016 plötzlich ein bewaffneter Mann<br />
in das Lokal stürmt. Der 28-Jährige<br />
bedroht die Angestellten und Kunden<br />
mit einem Sturmgewehr und<br />
fordert Informationen über einen<br />
angeblichen Pädophilen-Ring, der<br />
sein Unwesen in ebenjener Pizzeria<br />
treiben soll. Der Hintergrund für<br />
sein Handeln sind seit Wochen im<br />
Internet kursierende Gerüchte, die<br />
sogar die US-amerikanische Präsidentschaftskandidatin<br />
Hillary Clinton<br />
belasten. Nur: Es ist eine Fake<br />
News, eine Falschmeldung, die vom<br />
politischen Gegner wissentlich im<br />
Internet gestreut wurde.<br />
Nicht neu – aber viel schneller<br />
Auch in der Schweiz kursieren Fake<br />
News. So sorgte Mitte 2016 eine mysteriöse<br />
Gokart-Gang in Zürich für<br />
Die Gokart-Gang entpuppte<br />
sich als zwei Studenten,<br />
die zeigen wollten, wie schnell<br />
sich eine Fake News verbreitet.<br />
Aufsehen. Wochenlang rätselten<br />
Öffentlichkeit und Medien über die<br />
vermeintlichen nächtlichen Raser.<br />
Sie entpuppten sich schliesslich als<br />
eine Erfindung zweier Studenten, die<br />
in ihrer Abschlussarbeit nachweisen<br />
wollten, wie über die Medien in kürzester<br />
Zeit ein Mythos entstehen<br />
kann. Jedoch: «Fake News sind kein<br />
neues Problem», sagt Konrad Weber,<br />
Digitalstratege bei SRF. Falschmeldungen<br />
und sogenannte Zeitungsenten<br />
gab es schon früher.<br />
Doch im Internet verbreiten sich<br />
diese viel schneller. «In den sozialen<br />
Medien können sich alle möglichen<br />
Personen zu Themen äussern. Es<br />
gibt keine publizistischen Richtlinien<br />
zu Sachgerechtigkeit und<br />
Objektivität, wie sie zum Beispiel<br />
Medienhäuser wie das Schweizer<br />
Radio und Fernsehen kennen»,<br />
erläutert Konrad Weber. So verbreiten<br />
sich Fake News heute vor allem<br />
über soziale Medien wie Facebook,<br />
Youtube, Twitter und Co. Mit wenigen<br />
Klicks können Nutzer die Inhalte<br />
mit anderen teilen. Schnell ist<br />
eine Fake News so tausend- oder gar<br />
millionenfach im Umlauf.<br />
Jeder ein (Fake-)News-Produzent<br />
Es gibt verschiedene Motive zum<br />
Streuen von Fake News. Bei den<br />
einen geht es ums Geld: Ihre Ur <br />
heber locken durch sensationelle<br />
Meldungen Internet-User auf eine<br />
Internetseite, wo sie mittels Werbung<br />
Geld verdienen. Bei anderen sind es<br />
politische Motive: Falschnachrichten<br />
sollen dem Gegner schaden. Urheber<br />
können Regierungen sein, aber auch<br />
Einzelpersonen, die Minderheiten<br />
diffamieren wollen. In einer Zeit, in<br />
der fast jeder und jede ein Smartphone<br />
mit Kamera und Internetanschluss<br />
besitzt, geht dies ohne<br />
grossen Aufwand. Im Internet finden<br />
Urheber von Fake News genügend<br />
Material, das sie manipulieren und<br />
für ihre Zwecke einsetzen können.<br />
Gemäss dem Jahrbuch «Qualität<br />
der Medien 2017» des Forschungsinstituts<br />
Öffentlichkeit und Gesellschaft<br />
(fög) der Universität Zürich<br />
Bild: iStockphoto<br />
64 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
gibt es immer mehr Menschen, die<br />
sich nicht mehr mittels Medien über<br />
das Weltgeschehen informieren<br />
oder nur Nachrichten minderer<br />
Qualität aus Gratiszeitungen oder<br />
sozialen Medien beziehen.<br />
Internetnutzer in der Filterblase<br />
Mittlerweile liegt der Anteil der<br />
sogenannten News-Deprivierten bei<br />
31 Prozent. 2009 machte diese Gruppe<br />
noch 21 Prozent aus. Besonders<br />
bei Menschen zwischen 18 und 24<br />
Jahren ist der Anteil derer hoch, die<br />
sich fast ausschliesslich über soziale<br />
Medien informieren: Rund ein Viertel<br />
bezieht News nicht über klassische<br />
Medien wie TV oder Zeitung,<br />
sondern über Facebook und Co.<br />
So kommen besonders viele junge<br />
Menschen mit Fake News in Kontakt.<br />
Soziale Medien sind Emotionsmedien.<br />
Das heisst: Vieles, was<br />
erstaunt oder wütend macht, wird<br />
geliked und geteilt. Das Problem<br />
hierbei ist: Facebook nutzt einen<br />
Algorithmus, der dem Nutzer auf<br />
seiner Startseite Inhalte anzeigt, die<br />
Facebook-Freunde geliked haben<br />
beziehungsweise den eigenen Themenpräferenzen<br />
entsprechen. Der<br />
Soziale Medien sind<br />
Emotionsmedien. Das heisst:<br />
Geliked und geteilt wird, was<br />
erstaunt oder wütend macht.<br />
Nutzer befindet sich rasch in einer<br />
sogenannten Filterblase. Der Austausch<br />
mit Andersgesinnten und die<br />
Konfrontation mit anderen Meinungen<br />
kommen zu kurz», sagt Daniel<br />
Vogler, Forschungsleiter beim fög.<br />
Wer sich also bei Facebook häufig<br />
in Communities bewegt, in denen<br />
etwa extremistisches Gedankengut<br />
oder Verschwörungstheorien verbreitet<br />
werden, der bekommt >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>65
Wie erkenne ich<br />
Fake News?<br />
Kritisch sein, hinterfragen!<br />
Drastische Bilder und aufdringliche<br />
Schlagzeilen erzeugen Emotionen, ziehen<br />
in ihren Bann. Sie können aber ein erster<br />
Hinweis für unseriöse Nachrichten sein.<br />
Generell gilt: kritisch sein und hinterfragen!<br />
Inhaltlicher Gegencheck<br />
Teile der Schlagzeile kopieren und bei<br />
Google suchen. Wer berichtet noch über<br />
das Thema? Und wenn ja, in welcher Form?<br />
Ein nahezu gleicher Wortlaut deutet oftmals<br />
auf unreflektiert geteilte Fake News hin.<br />
Quellen bewerten<br />
Wer hat den Artikel geschrieben? Steht dort<br />
der Name des Verfassers? Wenn ja, dann<br />
den Namen googeln. Was publiziert der<br />
Verfasser sonst? Für welche Medien? Wenn<br />
der Verfasser anonym ist oder die Website,<br />
auf der die Meldung steht, dann ist dies ein<br />
erstes Anzeichen für Fake News.<br />
Bilder prüfen<br />
www.tineye.com oder images.google.com<br />
kann man das Foto eines Artikels hochladen<br />
und im Internet suchen. Auf diese Weise<br />
lässt sich überprüfen, ob das Bild eventuell<br />
aus einem völlig anderen Zusammenhang<br />
stammt.<br />
Meldefunktionen nutzen<br />
Einige soziale Medien bieten für Fake<br />
News und ungeeignete Inhalte<br />
Meldefunktionen an. Davon Gebrauch<br />
machen, wenn Verdacht auf einen<br />
unseriösen Inhalt besteht.<br />
Mit Vorsicht teilen<br />
Jeder kann dazu beitragen, dass sich Fake<br />
News im Internet und der realen Welt<br />
nicht verbreiten. Deshalb kritisch sein und<br />
genau hinterfragen, ob man einen Inhalt<br />
in sozialen Medien teilt. Sich bei geteilten<br />
Inhalten von Facebook-«Freunden» zudem<br />
immer fragen: Wem kann man trauen?<br />
Wer nachfragt, findet bald<br />
heraus, welche sozialen Kanäle<br />
seriös sind.<br />
>>> immer mehr solcher fragwürdiger<br />
Inhalte angezeigt. Dies kann<br />
zu einem völlig verzerrten Weltbild<br />
führen und anfällig machen für einfache<br />
Antworten auf komplexe Probleme<br />
und Populismus.<br />
Lösungsansätze<br />
Um dem Problem der Fake News<br />
beizukommen, müssten die etablierten<br />
Medienhäuser in den sozialen<br />
Medien noch aktiver werden und<br />
noch mehr qualitativ hochwertige<br />
und auf jüngere Zielgruppen zugeschnittene<br />
Inhalte veröffentlichen.<br />
Bei den News-Deprivierten, und hier<br />
insbesondere bei den jüngeren,<br />
besteht weniger Vertrauen gegenüber<br />
den etablierten Medien. Da<br />
gerade in den sozialen Medien das<br />
Potenzial für die direkte Kommunikation<br />
hoch ist, sollten etablierte<br />
Medien dort den Dialog suchen und<br />
Vertrauen aufbauen.<br />
Ein anderer Lösungsansatz ist die<br />
viel zitierte Medienkompetenz.<br />
«Nur mit einem kritischen Geist, der<br />
nötigen Portion Skepsis und einem<br />
regelmässigen Vergleichen von<br />
unterschiedlichen Informationsquellen<br />
entgeht man der Gefahr, auf<br />
Fake News hereinzufallen», erläutert<br />
Konrad Weber.<br />
Vor allem die Eltern und die<br />
Schule sind gefragt: Sie müssen den<br />
Kindern und Jugendlichen die<br />
Fähigkeit mit auf den Weg geben,<br />
die neuen Medien sachkundig und<br />
kritisch zu nutzen. In den Schulen<br />
hat sich diesbezüglich einiges getan.<br />
Dort steht nicht mehr nur der praktische<br />
Mediengebrauch im Mittelpunkt,<br />
sondern auch die Medienreflexion,<br />
die über potenzielle<br />
negative Aspekte aufklärt. Mittlerweile<br />
thematisieren Schulen im<br />
Rahmen des Lehrplans 21 fast flächendeckend<br />
die Gefahren durch<br />
soziale Medien. Überwiegend<br />
geschieht dies durch externe Fachleute,<br />
beispielsweise Vereine, die<br />
Schweizer Kinder- und Familienstiftung<br />
Pro Juventute sowie die Polizei.<br />
Abseits des richtigen Gebrauchs<br />
der sozialen Medien gibt es einen<br />
anderen zentralen Punkt. «Mir<br />
scheint es besonders wichtig, ein<br />
Wissensnetzwerk aufzubauen, also<br />
nicht bestimmte Informationstechniken,<br />
sondern Beziehungen in den<br />
Vordergrund zu rücken», sagt Philippe<br />
Wampfler, Lehrer und Experte<br />
für neue Me dien. Er empfiehlt,<br />
direkt Fragen zu stellen.<br />
Eine Stärke der sozialen Medien<br />
ist, dass man sich direkt an die Verfasser<br />
eines Beitrags wenden und<br />
nachhaken kann, wenn man skeptisch<br />
ist oder etwas nicht versteht.<br />
Wer kommuniziert und nachfragt,<br />
der findet bald heraus, welche sozialen<br />
Kanäle seriös sind. «Heute ist<br />
es entscheidend, zu wissen, wem<br />
man vertrauen kann.» Das gilt insbesondere<br />
für Inhalte bei Facebook,<br />
Twitter und Co.<br />
>>><br />
Stephan Petersen<br />
ist studierter Historiker und freier Journalist.<br />
Zu seinen Themen gehören unter anderem<br />
Videospiele und Familie. Er ist Vater zweier<br />
Kinder im Alter von sieben und elf Jahren.<br />
66 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Digital & Medial<br />
Scripted Reality –<br />
alles nur Show?<br />
TV-Formate, die Realität und Inszenierung<br />
vermischen, können Kinder und Jugendliche<br />
verunsichern. Denn der Blick auf sich selbst<br />
und auf die Welt wird unbewusst manipuliert.<br />
Das sollten Eltern wissen. Text: Michael In Albon<br />
Bild: Chris Ryan<br />
Scripted-Reality-Formate<br />
sind Sendungen mit erfundenen<br />
Handlungen. So<br />
weit, so klar. Jedoch werden<br />
solche Sendungen so<br />
produziert, dass sie wie eine Dokumentation<br />
oder eine Reportage<br />
scheinen. Realität und Medienrealität<br />
gehen nahtlos ineinander über.<br />
Der Hinweis, dass es sich um eine<br />
Inszenierung nach Drehbuch handelt,<br />
erfolgt nur als kleiner Hinweis<br />
im Abspann. Das erschwert die<br />
Abgrenzung von Realität und<br />
Medienrealität für Heranwachsende<br />
erheblich. Gerade Kinder und<br />
Jugendliche können das kaum<br />
unterscheiden – auch bei Castingshows<br />
nicht.<br />
Daneben unterscheiden sich<br />
Scripted Reality und Castingshows.<br />
Während Scripted-Reality-Formate<br />
Konflikte thematisieren, betonen<br />
Castingshows das Perfekte; sie bündeln<br />
Klischees und fordern<br />
Zuschauer innen und Zuschauer<br />
dazu auf, diesen präsentierten Idealen<br />
nachzueifern. In der Model-<br />
Castingshow «Germany’s Next Topmodel»<br />
beispielsweise ge schieht<br />
diese Aufforderung ganz offen:<br />
Schön ist, wer über bestimmte körperliche<br />
Merkmale verfügt, sich entsprechend<br />
kleidet und stylt.<br />
Kinder und Jugendliche neigen<br />
dazu, solche Wertvorstellungen in<br />
ihren Alltag zu übernehmen, um<br />
dazuzugehören.<br />
Wer bin ich?<br />
Jugendliche in der Pubertät suchen<br />
nach ihrer Identität; sie vergleichen<br />
sich deshalb gern mit ihren Helden<br />
und suchen nach Ähnlichkeiten zu<br />
ihrem Leben. Dabei entwickeln sie<br />
gegenüber den Figuren, die scheitern,<br />
ein Gefühl der Überlegenheit.<br />
Sie transportieren dieses Gefühl in<br />
ihren Alltag. Und dort kann dies zu<br />
Konflikten führen, in denen sich<br />
Jugendliche unbewusst als Täter,<br />
Opfer oder Mitläufer verhalten.<br />
Bei Castingsendungen entsteht<br />
eine vergleichbare Beziehung zu den<br />
Kandidatinnen und Kandidaten.<br />
Vor allem Model-Castingshows<br />
beeinflussen Jugendliche in ihrer<br />
Selbstwahrnehmung – die Shows<br />
suggerieren, nur optische Eigenschaften<br />
seien relevant. Das pausenlose<br />
Vergleichen und Scheitern,<br />
wenn Teenager den vermittelten<br />
Idealen nicht gerecht werden, kann<br />
sie unglücklich und hoffnungslos<br />
machen – und sich beispielsweise in<br />
Essstörungen äussern.<br />
Das Kind begleiten<br />
Hier sind die Eltern gefragt. Verbieten<br />
Sie Ihren Kindern solche Formate<br />
nicht, aber lassen Sie Ihre Kinder<br />
auch nicht allein damit. Schauen Sie<br />
sich ab und an eine Folge gemeinsam<br />
an. Verurteilen Sie die Sendungen<br />
nicht, sondern stellen Sie Fragen.<br />
Was gefällt Ihrem Kind? Wieso? Wie<br />
unterscheidet sich die gezeigte<br />
Handlung vom realen Leben? Was<br />
ist also echt? Was inszeniert? Wieso?<br />
Diskutieren Sie zusammen unterschiedliche<br />
Handlungsmuster und<br />
die Herausforderungen. Und prüfen<br />
Sie, ob ein Hinweis auf die gescriptete<br />
Handlung besteht.<br />
Damit stärken Sie die Persönlichkeit<br />
Ihres Kindes und helfen ihm<br />
zudem, sich in einer Welt, in der die<br />
Grenze zwischen Inszenierung und<br />
Realität immer stärker verschwindet,<br />
kritisch zu bleiben.<br />
Michael In Albon<br />
ist Beauftragter Jugendmedienschutz<br />
und Experte Medienkompetenz von<br />
Swisscom.<br />
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />
Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />
digitalen Medien im Familienalltag.<br />
swisscom.ch/medienstark<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>67
Erziehung & Schule<br />
Schluss mit Aufschieben<br />
Vier Tipps, die Ihnen und Ihren Kindern die Arbeit erleichtern<br />
Schieben Sie wichtige Aufgaben vor sich her, weil Sie einen riesigen Berg vor sich sehen? Legen Sie sich<br />
alle möglichen Ausreden zurecht, warum jetzt gerade nicht der richtige Augenblick ist? Die tröstliche<br />
Nachricht: Sie sind nicht allein. Und bereits ein paar einfache Kniffe können helfen, ins Tun zu kommen.<br />
Text: Fabian Grolimund<br />
Der Anfang ist immer<br />
am schwersten. Das<br />
weiss jeder, der vor<br />
einer schwierigen<br />
Aufgabe steht.<br />
Haben wir den Einstieg einmal<br />
gefunden, wird alles leichter. Und<br />
manchmal fragen wir uns hinterher,<br />
weshalb wir diese Kleinigkeit so lange<br />
vor uns hergeschoben haben.<br />
Es gibt daher einen einfachen<br />
Trick, um unserem inneren Schweinehund<br />
ein Schnippchen zu schlagen:<br />
Machen Sie sich den Anfang so<br />
leicht wie möglich!<br />
Starten Sie mit einer Mini-Teilaufgabe,<br />
um einen Fuss in die Tür zu<br />
bekommen. Nehmen Sie sich nicht<br />
vor, den Dachboden auszuräumen.<br />
Nehmen Sie sich lediglich vor,<br />
15 Minuten die alten Bücher oder<br />
Zeitschriften zu sortieren und ein<br />
paar Sachen ins Altpapier zu werfen.<br />
Oder füllen Sie lediglich die erste<br />
Seite der Steuererklärung aus, indem<br />
Sie Ihre Personalien eintragen.<br />
Wer viermal zehn Minuten<br />
Vokabeln wiederholt, ist<br />
besser vorbereitet, als wer<br />
einmal eine Stunde lernt.<br />
So bald Sie den ersten Schritt<br />
gemacht haben, bekommen Sie<br />
einen kleinen Energieschub, der<br />
Ihnen hilft, mit der Aufgabe fortzufahren<br />
– noch am gleichen Tag oder<br />
am nächsten.<br />
Tipp 1: Würdigen Sie die kleinen<br />
Schritte<br />
Einen der häufigsten Sätze, die ich<br />
von Menschen höre, die oft aufschieben,<br />
lautet: Das lohnt sich doch gar<br />
nicht! Schülerinnen und Schüler<br />
meinen: «In einer Stunde kommt der<br />
Bus – da lohnt es sich nicht mehr,<br />
noch mit dem Lernen zu beginnen»,<br />
und Studierende sind der Überzeugung:<br />
«Wenn ich nicht einen ganzen<br />
Nachmittag Zeit habe, um an der<br />
Bachelorarbeit zu schreiben, komme<br />
ich sowieso nicht mehr in den<br />
Schreibprozess rein.»<br />
Das stimmt nicht. Sich für kurze<br />
Zeiträume mit einer Arbeit auseinanderzusetzen,<br />
ist ausgesprochen<br />
effektiv. Eine Schülerin, die im Laufe<br />
einer Woche viermal für zehn<br />
Minuten Französischvokabeln ge -<br />
lernt und wiederholt hat, hat sich<br />
besser auf die Vokabelprüfung vorbereitet<br />
als ihre Kollegin, die einmalig<br />
eine Stunde damit zugebracht<br />
hat. Und der Student, der sich im<br />
Vorfeld 20 Minuten Zeit genommen<br />
hat, um sich ein paar Gedanken<br />
über die nächsten Absätze seiner<br />
Seminar arbeit zu machen und seine<br />
Überlegungen in Form einiger Notizen<br />
festgehalten hat, wird danach<br />
viel leichter den Einstieg ins Schreiben<br />
finden als sein Kollege, der auf<br />
ein leeres Blatt starrt.<br />
Tipp 2: Freuen Sie sich über<br />
Fortschritte<br />
Je unangenehmer eine Arbeit ist,<br />
desto eher schieben wir sie auf. Oft<br />
sorgt aber nicht die Tätigkeit selbst<br />
für unsere negativen Gefühle, sondern<br />
unsere Gedanken darüber.<br />
Menschen, die häufig aufschieben,<br />
neigen dazu, sich für ihre Arbeit<br />
selbst abzuwerten. Sie beschimpfen<br />
sich, weil sie «wieder nicht das<br />
geschafft haben, was sie sich vorgenommen<br />
haben», weil «alles Mist<br />
ist», was sie schreiben, oder weil sie<br />
zu langsam und «alle anderen eh viel<br />
schneller» sind.<br />
Je mehr wir lernen, uns über<br />
unsere Arbeit und auch kleine Fortschritte<br />
zu freuen, desto leichter fällt<br />
es uns, beim nächsten Mal den Einstieg<br />
zu finden. Eine Studentin, die<br />
eine halbe Seite für ihre Bachelorarbeit<br />
geschrieben hat, könnte sich<br />
dafür schelten, dass sie wieder nur<br />
eine halbe Seite geschafft hat. Sie<br />
könnte aber auch denken: «Super,<br />
eine halbe Seite weiter. Wenn ich in<br />
diesem Tempo weiterschreibe,<br />
schaffe ich die gesamte Arbeit in<br />
68 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Seien sie stolz auf kleine Erfolge –<br />
sie werden schon beim nächsten<br />
Anlauf zuversichtlicher sein.<br />
80 Tagen!» Welcher Gedanke wird<br />
wohl eher dafür sorgen, dass sie am<br />
nächsten Tag weiterschreibt?<br />
Wer das Aufschieben überwinden<br />
möchte, sollte sich schon alleine<br />
dafür, dass er sich für eine kurze Zeit<br />
seinem inneren Gegner gestellt hat,<br />
selbst auf die Schulter klopfen. Sie<br />
haben sich auf den Dachboden<br />
gewagt und ein paar Sachen aufgeräumt,<br />
anstatt gleich klein beizugeben?<br />
Geniessen Sie es und seien<br />
Sie stolz darauf – und schon fühlen<br />
Sie sich beim nächsten Anlauf<br />
zuversichtlicher.<br />
Tipp 3: Machen Sie es sich schön<br />
Bei einer Aufgabe, die wir aufschieben,<br />
denken wir oft daran, wie mühsam<br />
und schlimm es sein wird, sich<br />
dieser zu stellen oder wie unsicher<br />
und dumm wir uns dabei vorkommen<br />
werden. Wir können uns stattdessen<br />
fragen: Wie kann ich es mir<br />
so leicht und so schön wie möglich<br />
machen?<br />
Für Physik konnte ich mich als<br />
Schüler nicht erwärmen, aber an die<br />
Lernsessions, die ich und mein bester<br />
Freund jeweils am freien Nachmittag<br />
vor der Prüfung einlegten,<br />
denke ich gerne zurück. Es hat Spass<br />
gemacht, wenn man etwas verstanden<br />
hat und es dem anderen erklären<br />
konnte oder Hilfe bekam, wenn<br />
man eine Denkblockade hatte.<br />
Kneifen war nicht möglich, weil<br />
man den anderen nicht im Stich lassen<br />
wollte.<br />
Wenn ich bei einem Artikel nicht<br />
weiterkomme, nehme ich ein Notizbuch<br />
und mache einen Spaziergang<br />
im Wald, anstatt auf den Laptop zu<br />
starren. Beim Aufräumen hilft eine<br />
Playlist mit motivierenden Songs.<br />
Wie könnten Sie sich eine schwierige<br />
Aufgabe erleichtern?<br />
Tipp 4: Fragen Sie nach dem Warum<br />
Schliesslich schieben wir oft Aufgaben<br />
auf, weil wir an deren Sinn zweifeln.<br />
Um ein uns wichtiges Ziel zu<br />
erreichen, müssen wir aber oft Aufgaben<br />
lösen, die wir unnütz oder<br />
unnötig finden: Der Lehrling möchte<br />
die Abschlussprüfung bestehen,<br />
sieht aber nicht ein, warum er Französisch<br />
lernen soll. Für die beruflich<br />
wichtige Weiterbildung muss eine<br />
Abschlussarbeit geschrieben werden,<br />
die viel Energie kostet, die dann<br />
aber «sowieso von niemandem gelesen<br />
wird».<br />
Wenn wir nicht um die Aufgabe<br />
herumkommen, sollten wir uns die<br />
Warum-Frage ernsthaft stellen und<br />
uns Zeit dafür nehmen. Vielleicht<br />
nehmen wir dazu ein Blatt Papier<br />
und schreiben so viele Gründe wie<br />
möglich auf, weshalb wir diese Aufgabe<br />
angehen möchten. Jeder Grund<br />
macht es uns ein wenig leichter, uns<br />
darauf einzulassen. Wie diese<br />
Übung konkret aussehen kann, zeigt<br />
das neue Video unserer Lernserie<br />
«Adi & Jess».<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe, Autor, Lerncoach und Leiter<br />
der Lernakademie Zürich.<br />
Vom Aufschieber zum Lernprofi<br />
Möchten Sie mehr<br />
darüber erfahren,<br />
weshalb Menschen<br />
aufschieben und was<br />
man konkret tun kann,<br />
um sich den Einstieg<br />
zu erleichtern, um<br />
dranzubleiben, wenn es schwierig wird,<br />
und auch anspruchsvolle Aufgaben<br />
mit mehr Leichtigkeit anzugehen?<br />
Das Buch «Vom Aufschieber zum<br />
Lernprofi» richtet sich an Studierende,<br />
hält aber auch Tipps für Schülerinnen<br />
und Schüler oder Erwachsene bereit,<br />
die sich auf ihre Abschlussprüfungen<br />
vorbereiten oder eine längere Arbeit<br />
schreiben möchten.<br />
Herder Verlag, 192 Seiten,<br />
ca. Fr. 28.90<br />
Starten Sie<br />
die aktuelle<br />
Fritz+Fränzi-App,<br />
scannen Sie diese Seite<br />
und sehen Sie, wie Adi & Jess<br />
üben, eine lästige Aufgabe<br />
anzupacken.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>69
Ein Wochenende in…<br />
Hall-Wattens in Tirol<br />
Gasthof<br />
Goldener Löwe<br />
Hall in Tirol<br />
Innsbruck<br />
Mils<br />
Milsano Feuergrill-<br />
Restaurant<br />
Tulfes<br />
Ferienhotel<br />
Geisler<br />
Glungezerbahn<br />
Gnadenwald<br />
Alpenhotel<br />
Speckbacherhof<br />
E45<br />
Inn<br />
Erleben …<br />
Wattens<br />
Fritzens<br />
Grander-<br />
Restaurant<br />
Swarovski<br />
Kristallwelten<br />
... Glitzer! Funkel! Glamour! Vielleicht schaut Sie Ihr<br />
Teenager-Kind verständnislos bis mitleidig an, wenn Sie ihm<br />
mit diesen Worten ein Wochenende in Tirol schmackhaft<br />
machen wollen. Ha! Planen Sie einen Trip in die Region<br />
Hall-Wattens (ab Zürich 4 Stunden und 4 Minuten mit dem<br />
Zug, einmal umsteigen in Innsbruck), dann können Sie verbal<br />
getrost mit der grossen Kelle anrichten.<br />
... Denn vor 123 Jahren gründete Daniel Swarovski in Wattens<br />
die Firma Swarovski. Und genau 100 Jahre später erschuf der<br />
Konzeptkünstler André Heller im Auftrag der Firma die<br />
Swarovski Kristallwelten, eine einzigartige Erlebniswelt, die<br />
seit der Eröffnung über 14 Millionen Menschen besucht haben.<br />
Sie wurde unterdessen zweimal erweitert und erstreckt sich<br />
heute auf einer Fläche von 7,5 Hektaren. In einer ausladenden<br />
Parklandschaft finden sich Kunstinstallationen, erstellt von<br />
international renommierten Architekten – darunter die<br />
Kristallwolke, bestehend aus 800 000 handgesetzten<br />
Kristallen – sowie ein grosser Spielturm und Spielplatz mit<br />
viel Raum für kreatives Herumtollen.<br />
... Das Herzstück aber sind die 14 «Wunderkammern», wie die<br />
Themenräume genannt werden: Man betritt sie durch den<br />
Kopf eines grasbewachsenen Riesen und trifft als Erstes auf<br />
den grössten handgeschliffenen Kristall der Welt, den<br />
«Centenar»: 310 000 Karat resp. 62 Kilogramm schwer. Gleich<br />
daneben liegt der kleinste von Swarovski je hergestellte<br />
Kristall, der XERO Chaton, gerade mal so gross wie eine<br />
Federspitze. Umgeben sind der Mega-Kristall und das<br />
Mikro-Kriställchen von Werken von Künstlern wie Salvador<br />
Dalí, Niki de Saint Phalle oder Andy Warhol. In den Wunderkammern<br />
selber tun sich jeweils eigene Welten auf, gestaltet<br />
von Designern und Konzeptkünstlern aus aller Welt. Darunter<br />
sind ein Kristalldom, der dem Besucher das Gefühl vermittelt,<br />
in einem Kristall zu stehen, und der Kristallbaum «Silent<br />
Light», bestehend aus 150 000 Swarovski-Kristallen.<br />
Swarovski Kristallwelten, täglich geöffnet von 8.30 bis 19.30<br />
Uhr, von 1. Juli bis 31. August täglich von 8:30 bis 22 Uhr.<br />
Eintritt für Erwachsene 19 Euro, für Kinder von 6 bis<br />
14 Jahren 7.50 Euro. swarovski.com/kristallwelten<br />
... Wenn Eltern oder Kinder irgendwann Sternchen sehen vor<br />
lauter Gefunkel, dann empfehlen sich ein paar Schritte in den<br />
Tiroler Alpen. Zum Beispiel auf einer der vier Kristallwanderungen<br />
auf den Spuren der sagenumwobenen Tuxer Kristalle.<br />
Wer sich davor auf dem Tourismusbüro eine Stempelkarte<br />
abholt und unterwegs fleissig Stempel sammelt, darf zum<br />
Schluss sogar einen Kristall mit nach Hause nehmen.<br />
www.hall-wattens.at<br />
... Und wer irgendwann tatsächlich genug hat von Kristallen,<br />
der oder die kann zum Beispiel mit der Glungezerbahn zur<br />
Bergerlebniswelt Kugelwald am Glungezer fahren. Hier<br />
laufen überdimensionale Kugelbahnen durch den Hochwald,<br />
es gibt Spiel- und Sportstationen sowie einen Ruhebereich mit<br />
Zirben-Relaxliegen und einer Aussichtsplattform.<br />
www.kugelwald.at<br />
Geniessen …<br />
... Für einen kulinarischen Zwischenstopp in den Swarovski<br />
Kirstallwelten empfiehlt sich Daniels Kristallwelten mit vor<br />
allem saisonaler Küche und einem eigenen Patisseriebereich.<br />
Daniels Kristallwelten, offen Sonntag bis Donnerstag von<br />
8.30 Uhr bis 19.30 Uhr, warme Küche bis 18.30 Uhr, Freitag<br />
70 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Service<br />
Bilder: Swarovski Kristallwelten, ZVG<br />
Wie in einer andern Welt:<br />
Futuristische Kristallwolken<br />
und zarte Lachsforelle in<br />
Swarovskis Kristallwelten,<br />
wandern auf sagenumwobenen<br />
Wegen.<br />
und Samstag von 8.30 Uhr bis 23 Uhr, warme Küche bis<br />
21.30 Uhr, Zutritt auch ohne Besuch des Riesen.<br />
kristallwelten.com/daniels<br />
... Im Gasthof Goldener Löwe in Hall gibt es alle österreichischen<br />
Spezialitäten vom Tafelspitz bis zum Wiener Schnitzel,<br />
aber auch Raritäten wie «Omas Kartoffelblattl'n mit Sauerkraut»<br />
oder frische Kalbsleber.<br />
Gasthof Goldener Löwe, Oberer Stadtplatz, Hall in Tirol. Offen<br />
Dienstag bis Samstag jeweils mittags und abends.<br />
www.goldenerloewe-hall.at<br />
... Wer sich Sternenküche gönnen will, ist bei Haubenkoch<br />
Thomas Grander in Wattens goldrichtig. Er wurde schon<br />
mehrfach von Gault Millau ausgezeichnet und bietet eine<br />
exklusive Küche in modernem Ambiente.<br />
Grander Restaurant, Dr.-Felix-Bunzl-Str. 6, Wattens, Tel. 0043<br />
5224/52626. Sonntag Ruhetag. www.grander-restaurant.at<br />
... Im Milsano Feuergrill-Restaurant in Mils steht in der Mitte<br />
des Raumes ein mit Buchenholz befeuerter Riesengrill für<br />
Steaks. Es gibt aber auch Kaffee und Kuchen.<br />
Milsano Feuergrill-Restaurant, Dorfplatz 1, Mils, Tel. 0043<br />
660 7330 304, www.milsano.at<br />
Übernachten …<br />
... Das familienfreundliche Ferienhotel Geisler in Tulfes liegt<br />
auf einem sonnigen Plateau in den Tuxer Alpen, umgeben von<br />
einer Gartenanlage mit grossem Schwimmbad.<br />
Ferienhotel Geisler*** in Tulfes, Familienzimmer bis 5 Personen,<br />
Übernachtung ab 72 Euro pro Person, 50% Rabatt für<br />
Kinder bis 14 Jahre.<br />
www.geisler-tulfes.com<br />
... Am Fusse des Karwendelgebirges liegt das Alpenhotel<br />
Speckbacherhof. Es ist optimal gelegen für Ausflüge und<br />
Wanderungen und verfügt über einen Bio-Badeteich in einer<br />
grossen Gartenanlage, einen Wellnessbereich, einen Abenteuerspielplatz,<br />
Minigolf und eine Profi-Trampolinanlage.<br />
Alpenhotel Speckbacherhof**** in Gnadenwald, Doppelzimmer<br />
ab 98 Euro, 40% Rabatt für Kinder bis 14 Jahre.<br />
www.speckbacherhof.at<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>71
Service<br />
Vielen Dank<br />
an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />
Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsor<br />
Dr. iur. Ellen Ringier<br />
Walter Haefner Stiftung<br />
Credit Suisse AG<br />
Rozalia Stiftung<br />
UBS AG<br />
Happel Foundation<br />
Mirjam und Martin<br />
Bisang Staub<br />
Impressum<br />
18. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />
Herausgeber<br />
Stiftung Elternsein,<br />
Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />
www.elternsein.ch<br />
Präsidentin des Stiftungsrates:<br />
Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />
Tel. 044 400 33 11<br />
(Stiftung Elternsein)<br />
Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />
ts@fritzundfraenzi.ch,<br />
Tel. 044 261 01 01<br />
Redaktion<br />
Nik Niethammer (Chefredaktor),<br />
Evelin Hartmann (stv. Chefredaktorin),<br />
Bianca Fritz (Leitung Online),<br />
Claudia Landolt, Florian Blumer,<br />
Irena Ristic, Florina Schwander,<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Verlag<br />
Fritz+Fränzi,<br />
Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />
Tel. 044 277 72 62,<br />
info@fritzundfraenzi.ch,<br />
verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
Business Development & Marketing<br />
Leiter: Patrik Luther,<br />
p.luther@fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigenverkauf<br />
Corina Sarasin, Tel. 044 277 72 67,<br />
c.sarasin@fritzundfraenzi.ch<br />
Jacqueline Zygmont, Tel. 044 277 72 65,<br />
j.zygmont@fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigenadministration<br />
Dominique Binder, Tel. 044 277 72 62,<br />
d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />
Art Direction/Produktion<br />
Partner & Partner, Winterthur<br />
Bildredaktion<br />
13 Photo AG, Zürich<br />
Korrektorat<br />
Brunner Medien AG, Kriens<br />
Auflage<br />
(WEMF/SW-beglaubigt 2017)<br />
total verbreitet 102 108<br />
davon verkauft 24 846<br />
Preis<br />
Jahresabonnement Fr. 68.–<br />
Einzelausgabe Fr. 7.50<br />
iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />
Abo-Service<br />
Galledia Verlag AG Berneck<br />
Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />
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Für Spenden<br />
Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />
Postkonto 87-447004-3<br />
IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />
Inhaltspartner<br />
Institut für Familienforschung und -beratung<br />
der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />
Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />
Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />
Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />
Jugendmedien<br />
Stiftungspartner<br />
Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />
Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />
Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />
Schweiz / Schweizerischer Verband<br />
alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />
Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />
Kinderbetreuung Schweiz<br />
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72 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Buchtipps<br />
Katherine<br />
Rundell: Feo<br />
und die Wölfe.<br />
Carlsen 2017,<br />
Fr. 25.90,<br />
ab 11 Jahren<br />
Georg Kohler /<br />
Claudia de Weck:<br />
Jakob, das<br />
Krokodil<br />
Unglaublich, aber<br />
wahr: In einer<br />
Zürcher Wohnung<br />
lebte viele Jahre lang ein Krokodil!<br />
In dynamischen Bildern und mit viel<br />
Sachwissen berichtet das Bilderbuch<br />
vom Leben mit einem<br />
aussergewöhnlichen Haustier.<br />
Atlantis 2013, Fr. 24.90,<br />
ab 5 Jahren<br />
Katzen und Meerschweinchen sind<br />
toll. Aber wie wäre es mit einem Wolf,<br />
Krokodil, Esel oder Therapiehund<br />
als Haustier? Vier Bücher über besondere<br />
Freundschaften.<br />
Unter Wölfen<br />
Bibi Dumon Tak:<br />
Mikis, der<br />
Eseljunge<br />
Mikis lebt auf der<br />
Insel Korfu. Er trägt<br />
den Übernamen<br />
«Eseljunge», weil er<br />
sich liebevoll um den Arbeitsesel<br />
Tsaki kümmert, den er auch, als es<br />
nötig wird, zum Arzt bringt. Eine<br />
warmherzig erzählte Geschichte und<br />
eine kleine Griechenland-Hommage!<br />
Gerstenberg 2014, Fr. 17.90,<br />
ab 8 Jahren<br />
Bilder: ZVG<br />
Ein grosser Wald in Russland,<br />
einige Tagesmärsche<br />
von St. Petersburg<br />
entfernt: Hier wächst<br />
das Mädchen Feo zur<br />
Zarenzeit in einer Waldhütte auf –<br />
inmitten von Wölfen. Feos Mutter<br />
ist eine Wildwolferin: Sie gewöhnt<br />
die Tiere, die Adlige als Haustiere<br />
hielten, wieder an ein Leben in der<br />
Wildnis. Doch Feos Idylle ist<br />
bedroht: Der böse General Rakow<br />
will gegen die Wildwolfer vorgehen.<br />
Als seine Leute die Hütte abbrennen<br />
und Feos Mutter mitnehmen, kann<br />
das Mädchen sich und drei Wölfe<br />
retten. Gemeinsam mit dem Jungen<br />
Ilja, der genug vom Soldatendasein<br />
hat, macht sie sich auf den Weg<br />
Richtung St. Petersburg, um die<br />
Mutter zu befreien. Schutz vor der<br />
eisigen Kälte, die auch den Leserinnen<br />
und Lesern durch die Glieder<br />
zu fahren scheint, bieten alleine die<br />
Wölfe, an deren warme Körper sich<br />
die Kinder schmiegen und auf<br />
denen sie reiten, wenn die Füsse sie<br />
nicht mehr tragen mögen. Weitere<br />
Kinder schliessen sich dem Grüppchen<br />
an. Mittels einer List gelangen<br />
Kinder und Wölfe durch die Stadttore,<br />
und unterstützt vom Volk stürmen<br />
sie das Gefängnis. Feo kann<br />
ihre Mutter befreien.<br />
Katherine Rundells Geschichte<br />
ist nichts für Zartbesaitete. Die raue<br />
Natur, die wilden Tiere, der Kampf<br />
gegen die brutale Willkür und die<br />
Macht des Zusammenhaltes bieten<br />
jedoch alles für einen Abenteuerroman,<br />
der einen nicht so schnell<br />
wieder loslässt.<br />
Katherine<br />
Rundells<br />
Geschichte von<br />
Kindern und<br />
Wölfen ist nicht<br />
für Zartbesaitete.<br />
Anna Woltz:<br />
Für immer Alaska<br />
Parker vermisst<br />
ihre Hündin Alaska.<br />
Da taucht sie<br />
plötzlich vor der<br />
Schule auf – als<br />
Therapiehund für<br />
ihren Klassenkollegen Sven! Ein<br />
berührender Roman über Ängste,<br />
Mut und das Anderssein.<br />
Carlsen <strong>2018</strong>, Fr. 22.90,<br />
ab 10 Jahren<br />
Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />
Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />
Instituts für Kinder- und<br />
Jugendmedien SIKJM.<br />
Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />
weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2018</strong>73
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Unsere Tochter ist 12 und lügt uns betreffend Hausaufgaben und<br />
Prüfungsnoten an. Seit acht Wochen hat sie uns keine Prüfungsblätter<br />
mehr zur Unterschrift gegeben. Auf unser Nachfragen gab sie zu,<br />
aus Angst nichts gesagt zu haben (ihre Noten sind abgesackt). Wir sind<br />
absolut ratlos – was empfehlen Sie uns? Daniela, 41, und Jörg, 46, Wangen BE<br />
Nicole Althaus<br />
Ich weiss nicht genau, was sie<br />
so absolut ratlos macht: die<br />
schlechten Noten der Tochter<br />
oder deren Angst, Ihnen die<br />
Prüfungsergebnisse zu<br />
zeigen? Mir würde das Zweite<br />
sehr viel mehr Sorge bereiten<br />
als die schlechten Noten. Ihre<br />
Tochter steht kurz vor dem<br />
Übertritt in die Oberstufe. Das ist für Kinder das erste<br />
Mal im Leben, in dem aufgrund von Leistung Weichen<br />
gestellt werden. Eine neue und auch stressvolle<br />
Erfahrung, die vielleicht das Absacken der Noten<br />
erklärt. Helfen Sie Ihrer Tochter im Umgang mit Stress<br />
und versuchen Sie möglichst nicht auch noch Druck<br />
aufzubauen. Er führt selten zu Glanzleistungen.<br />
Stefanie Rietzler<br />
In diesem Alter brechen bei<br />
vielen Jugendlichen die Noten<br />
ein. Oftmals machen ihnen<br />
der Übertritt und eine<br />
entsprechend strengere<br />
Bewertung zu schaffen.<br />
Manchmal entwickeln sich<br />
mit dem höheren Druck<br />
Prüfungsängste. Häufig treten<br />
durch die Pubertät andere Themen zeitweise in den<br />
Vordergrund, etwa neue Freundschaften, körperliche<br />
Veränderungen oder eine erste Verliebtheit.<br />
Signalisieren Sie Ihrer Tochter: Wir wissen, dass es<br />
solche Phasen geben kann. Wir sind für dich da und<br />
fänden es schön, wenn du auf uns zukommst, damit<br />
wir gemeinsam Lösungen finden können.<br />
Peter Schneider<br />
Erstens: Wie dramatisch<br />
sind die Noten denn<br />
abgesackt? Bringt es nicht<br />
vielleicht etwas, dass sie<br />
Ihrer Tochter erklären,<br />
daran könne man auch<br />
wieder etwas ändern, aber<br />
eine Katastrophe sei das<br />
jedenfalls nicht. Zweitens:<br />
Gibt es handfeste Gründe für die Verschlechterung<br />
(Liebeskummer, eine blöde Lehrerin, Krach mit der<br />
besten Freundin)? Helfen Sie, wo Sie helfen können,<br />
aber verfallen Sie nicht in übereifrigen Aktionismus.<br />
Versuchen Sie selber die Ruhe und Zuversicht und<br />
Sicherheit auszustrahlen, die Ihre Tochter im Moment<br />
nicht hat, aber braucht.<br />
Nicole Althaus, 49, ist Chefredaktorin Magazine,<br />
Kolumnistin, Autorin und Mitglied der<br />
Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war<br />
sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den<br />
Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert und<br />
geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei<br />
Kindern, 18 und 14.<br />
Stefanie Rietzler ist Psychologin, Autorin<br />
(«Erfolgreich lernen mit ADHS») und leitet die<br />
Akademie für Lerncoaching in Zürich.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
Peter Schneider, 59, arbeitet als Psychoanalytiker<br />
und Kolumnist in Zürich. Bis 2017 war er Professor<br />
für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie<br />
in Bremen; zurzeit lehrt er Geschichte und<br />
Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse in Berlin.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
74 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ruf Lanz<br />
Soziale Kontakte können Menschen<br />
mit Autismus Angst einjagen.<br />
Auch Menschen mit Autismus sehnen sich nach sozialen Kontakten. Leider fällt es ihnen<br />
sehr schwer, in eine gelungene Interaktion zu treten. Deshalb haben sie grosse Schwierigkeiten<br />
bei den täglichen Begegnungen mit ihren Mitmenschen, was in ihnen Angst<br />
und Stress auslöst. Bitte reagieren Sie mit Verständnis. www.autismusforumschweiz.ch
Vorteil Volg : Nah, einfach<br />
& kinderfreundlich.<br />
Einkaufen –<br />
gleich um<br />
die Ecke.<br />
Jana Gafner muss im Volg auch an<br />
«Wichtigeres» denken – an das, was nicht<br />
auf dem Postizettel steht: ans HEY, an die<br />
Gratis-Holzfigürli und ans «Chrömle».<br />
brandinghouse<br />
Ob zu Fuss oder mit dem Velo – im Dorf einkaufen<br />
geht schnell, ist bequem und macht Spass.<br />
Man kennt sich, man trifft sich, man hilft sich und<br />
tauscht sich aus. Das wird von Gross und Klein<br />
geschätzt. Besonders wenn Kinder alleine einkaufen<br />
und mit dem Postizettel noch etwas Hilfe brauchen.<br />
Volg .Im Dorf daheim.<br />
In Leissigen BE zuhause.