Slavische Philologie - Archiv
58 T. Matic, et achever ä coups de fleches«^). Wenn wir das mit der Geschichte des Falles des bosnischen Königreiches vergleichen, kommen wir zu dem Resultate, daß die Angaben Mdrimöes im ganzen und großen den geschichtlichen Tatsachen entsprechen. Stjepan Toma Ostojic (Thomas I.) verschied mitten im Kampfe mit dem kroatischen Banus Sperancic auf eine Weise, die der Volksphantasie nicht nur freie Hände ließ, sondern sogar für sie sehr verlockend war. In der Tat hieß es bald, er sei vom Bruder Radivoj und vom eigenen Sohne Stjepan, der noch an demselben Tage zum König proklamiert wurde, ermordet worden 2). Der Bischof von Modrus Nikola war zur Zeit Stjepans päpstlicher Legat in Bosnien; sich auf das Übereinkommen mit Mathias Corvinus und auf das Versprechen des Bischofs Nikola verlassend, verweigerte Stjepan Tomasevic (bei Mörimee Etienne-Thomas II oder einfach Thomas II) den Tribut, welchen er dem Sultan bisher zahlte. Die letzte Zufluchtsstätte des unglücklichen Königs war in der Tat die Burg Kluc: Stjepan übergab sich dem türkischen Feldherrn auf das Versprechen hin, schonen werde. daß man sein Leben Trotzdem ließ der Sultan den König enthaupten. Mörimee hatte also eine uns unbekannte Quelle vor sich und schöpfte aus ihr Material für seine Gedichte über den Fall des bosnischen Königreiches. Vielleicht war es die im Briefe an Sobolevskij erwähnte »petite brochure d'un consul de France ä Banialoukaa — jedenfalls aber waren in dieser Quelle die geschichtlichen Tatsachen mit der volkstümlichen Tradition stark vermischt. Der angebliche Verrat Radivoj s ist eine schöne Parallele zu Vuk Brankovic in der serbischen Geschichte. Der Onkel (nicht Bruder!) des Stjepan Tomasevic, Radivoj, wurde zusammen mit ihm vom Sultan hingerichtet, König treu blieb. eben weil er bis zum letzten Momente seinem Die Entstehung der Verratsage kann dadurch erklärt werden, daß sich das Volk daran erinnerte, wie derselbe Radivoj einst, um den König Stjepan Tvrtkovic (1421—1443) zu stürzen, wirklich die Türken ins Land rief. Als später der wahre Zusammenhang der geschichtlichen Tatsachen aus dem Gedächtnisse des Volkes allmählich zu schwinden begann, wurden, dem bekannten Streben des Volkes, jedes nationale Unglück auf einen Verrat in der allernächsten Umgebung des Königs zui'ückzuführen, vollkommen entsprechend, die während der Regierung des Stjepan Tvrtkovic auf Veranlassung Radivojs stattgefun- 1) Guzla, p. 155—156. 2) Klaic, Povjest Bosne do propasti kraljestva. Zagreb 1882 (p. 320 flf.).
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 59 denen Einfälle der Türken mit dem Falle des bosnischen Königreiches in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht. IV. Wie verhält es sich mit den Gedichten der M^rimeeschen Sammlung, die tatsächlich — wenn auch nicht unmittelbar — auf einem kroatischen Original beruhen? Da kommen die zwei schon erwähnten Gedichte: Triste hailade de la nohle epouse d''Asan-Aga (Nr. 31) und Milosch Kohilich (Nr. 32) in Betracht. Merimöe hat den kroatischen Originaltext nicht benützen können, denn nach eigener Aussage in der Vorrede zur zweiten Ausgabe konnte er nicht kroatisch. Wenn wir das auch nicht von ihm erfahren hätten, so wären wir wohl selbst schon wegen der Wahl der Gedichte darauf gekommen, denn es ist kein bloßer Zufall, daß M^rim^e gerade jene Gedichte ins Französische übertrug, die schon vorher in den westeuropäischen Literaturen bekannt waren. Milosch Solilich, ein Gedicht des kroatischen Dichters Andrija Kacic-Miosic, wurde von Alberto Fortis in Saggio d' osservazioni sopra V isola di Cherso ed Osero (Venezia 1771) ins Italienische übersetzt und später (1778) von Herder in seine Volkslieder (Stimmen der Völker in Liedern) aufgenommen. Chronologisch steht es also vor der Hasan-qginica^ die erst 177 4 in Viaggio in italienischer Übersetzung erschien. Von Milosch Kohilich haben wir folglich drei Übersetzungen vor uns (Fortis, Herder, M^rim^e), und wenn man sie unter einander genau vergleicht, so ergibt sich, daß, während die Abhängigkeit Herders von Fortis unzweifelhaft ist, die Übersetzung Mdrimees gegenüber Fortis und Herder viele Abweichungen aufweist, die dem kroatischen Originale näher stehen als der italienische und der deutsche Text. Die französische Übersetzung kann also nicht ohne weiteres bloß auf die italienische oder deutsche Vermittlung zurückgeführt werden. Aus der Vergleichung der drei Übersetzungen mit allsogleich ersehen: dem Originale werden wir es K: Vec SU ono ceri Lazarove, Od Servie ravne gospodara, Od starine viteza i hana. — F: Ma di Lazaro son le belle figlie, Sir della plana Servia, a lui trasmessa Da' Bani antichi. — H : Sind die schönen Töchter des Lazaro, Des Gebieters über Servjas Ebenen, Von den alten Banen ihm vererbet. — M: Ce sont les fiUettes de Lazare, le Seigneur de Servie aux vastes plaines, le heros^ le prince c?' antique race. K: Koji no ]Qjunak odjunaha (sc. Milos), Porodiga Hercegovka
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Falles des bosnischen Königreiches vergleichen, kommen wir zu dem<br />
Resultate, daß die Angaben Mdrimöes im ganzen und großen den geschichtlichen<br />
Tatsachen entsprechen. Stjepan Toma Ostojic (Thomas I.)<br />
verschied mitten im Kampfe mit dem kroatischen Banus Sperancic auf<br />
eine Weise, die der Volksphantasie nicht nur freie Hände ließ, sondern<br />
sogar für sie sehr verlockend war. In der Tat hieß es bald, er sei vom<br />
Bruder Radivoj und vom eigenen Sohne Stjepan, der noch an demselben<br />
Tage zum König proklamiert wurde, ermordet worden 2). Der Bischof<br />
von Modrus Nikola war zur Zeit Stjepans päpstlicher Legat in Bosnien;<br />
sich auf das Übereinkommen mit Mathias Corvinus und auf das Versprechen<br />
des Bischofs Nikola verlassend, verweigerte Stjepan Tomasevic<br />
(bei Mörimee Etienne-Thomas II oder einfach Thomas II) den Tribut,<br />
welchen er dem Sultan bisher zahlte. Die letzte Zufluchtsstätte des unglücklichen<br />
Königs war in<br />
der Tat die Burg Kluc: Stjepan übergab sich<br />
dem türkischen Feldherrn auf das Versprechen hin,<br />
schonen werde.<br />
daß man sein Leben<br />
Trotzdem ließ der Sultan den König enthaupten.<br />
Mörimee hatte also eine uns unbekannte Quelle vor sich und schöpfte<br />
aus ihr Material<br />
für seine Gedichte über den Fall des bosnischen Königreiches.<br />
Vielleicht war es die im Briefe an Sobolevskij erwähnte »petite<br />
brochure d'un consul de France ä Banialoukaa — jedenfalls aber waren<br />
in dieser Quelle die geschichtlichen Tatsachen mit der volkstümlichen<br />
Tradition stark vermischt.<br />
Der angebliche Verrat Radivoj s ist eine schöne<br />
Parallele zu Vuk Brankovic in der serbischen Geschichte. Der Onkel<br />
(nicht Bruder!) des Stjepan Tomasevic, Radivoj, wurde zusammen mit<br />
ihm vom Sultan hingerichtet,<br />
König treu blieb.<br />
eben weil er bis zum letzten Momente seinem<br />
Die Entstehung der Verratsage kann dadurch erklärt<br />
werden, daß sich das Volk daran erinnerte, wie derselbe Radivoj einst,<br />
um den König Stjepan Tvrtkovic (1421—1443) zu stürzen, wirklich die<br />
Türken ins Land rief. Als später der wahre Zusammenhang der geschichtlichen<br />
Tatsachen aus dem Gedächtnisse des Volkes allmählich zu<br />
schwinden begann, wurden, dem bekannten Streben des Volkes, jedes<br />
nationale Unglück auf einen Verrat in<br />
der allernächsten Umgebung des<br />
Königs zui'ückzuführen, vollkommen entsprechend, die während der<br />
Regierung des<br />
Stjepan Tvrtkovic auf Veranlassung Radivojs stattgefun-<br />
1) Guzla, p. 155—156.<br />
2) Klaic, Povjest Bosne do propasti kraljestva. Zagreb 1882 (p. 320 flf.).