Slavische Philologie - Archiv
610 Kritischer Anzeiger. und zwar durch die neue Losung der vergleichenden Methode — der slavischen Literarhistorik ein neues Ziel gesteckt, dem hoffentlich mancher Zukunftsforscher zustreben wird. Wird Karäsek selbst die Kraft finden, seinen Pfad nochmals von Anfang an zu gehen und von all den stellenweise hoch lagernden Schuttmassen gründlich zu säubern, wird er den Mut aufbringen, sein eigenes Geisteskind mit keiner noch so bittern Diagnose zu verschonen und unter Umständen auch mit der Messerschneide von den Mißbildungen zu befreien? Das wünsche ich dem Verfasser von ganzem Herzen und begrüße sein Buch trotz der Fehler aufs wärmste — in der festen Zuversicht, daß es bei dem gastfreundlichen Verleger bald zu einer — von dem Brandmal der Oberflächlichkeit und den Schlacken der Hast gereinigten — zweiten Auflage ^4) kommen wird, worin (unter ausgiebiger Verwertung des ihm in den Besprechungen seiner Arbeit gebotenen Materials) neben dem Künstler (bis in die feinsten Abtönungen hinein) ebenfalls der Gelehrte (von der hohen Warte der objektiven Ki'itik) das Wort ergreifen soll — zur ungetrübten Freude der engern Fachgenossen und nicht weniger der Laienwelt, denn auch für den weitesten Leserkreis ist sowie für die Jugend nur das Beste gerade gut genug. 3*) Dort sollen auch die Russen nach Gebühr berücksichtigt werden. Wien, im Oktober 1907. J. Sutnar. TnxoMnp OcTOJHh: JI^oeHTej Oöpa^OBuh y Xonosy, CTy^inja n3 Kyj- Typne h KH>Ha:eBHe HCTopHJe. Hobh CaA 1907. 8". VU, 432 [kh>. Max. Cpne. 1 9 h 20]. Die Milieutheorie zeigt gerade bei ihren eifrigsten Anhängern ihre schwächste Seite. So auch hier, wo der Verfasser einen Beitrag zur serbischen Aufklärungsliteratur beabsichtigt nnd zu dem Zwecke eine bis ins kleinste Detail eingehende Beschreibung des Klosterlebens zu Opovo (Fruska gora) liefert. In Opovo weilte nämlich der junge Dositheus Obradovic, und die Studie soll den Nachweis erbringen, daß Dositej Obradovic bereits hier jene Er fahr ung gewann, die ihn später veranlaßte, gegen das Mönchtum zu eifern. Obwohl dieser Grundgedanke des Verfassers von vornherein annehmbar scheint, ist doch dagegen so manches einzuwenden. Das geschichtliche Bild von Opovo — wie es Ostojic hier zeichnet — stimmt nämlich durchaus nicht mit jenen Vorstellungen, die wir von Opovo aus Dositheus' Schriften haben. Ostojic ging mit strengster Objektivität vor, er sammelte glaubwürdige Quellen (Inschriften, Chronographen, Amtliche Akten u. drgl.) und doch zeugt gegen ihn Obradovic selbst. Obradovic urteilt über Opovo wesentlich anders als Ostojic. Während nach den historischen Tatsachen Opovo eine verkommene und zuchtlose Herberge nichtswürdiger Mönche war, erscheint uns dasselbe Opovo nach Dositheus" Darstellung umflossen von einem gewissen poetischen Schein, sympathisch und ehrbar. In Obradovic' Selbstbiographie heißt es : mesto dostojno, da posveöeno budes
1 Ostojic. Dositb. Obradovic im Kloster Opovo, angez. von Prohaska. 61 mudrosti i uceniju i da se srpskim nazoves Parnaaom! (>Kubot I, 81). Wohl gilt diese Begeisterung bloß der Lage des Ortes, aber auch von den München spricht Dositheus im selben gefälligen Ton: »osim svi Fruskogoraca najpitomiji, blagonakloni i blagoprijatni ; vesela obraza i pogleda, pristojno i cisto obuceni« (Ib. I, 83). Und vor Opovo setzt Dositheus das Beiwort »Ijubimo* (I, 78) und »miloZelja k uceniju bila je nacalni uzrok, da sam ja svu volju izgubio u onom sremskom raju, to jest u Fruskoj gori u Opovu« (II, 7). Obradovic sah also Opovo bloß im goldigen Schimmer der ersten grünenden Jugend: »Siroto dete! bedna mladost, do smrti neprezaljena! No onda ja sam mislio ko srecniji od mene< (I, 85). Offenbar öffneten sich seine Augen über das Mönchtum erst dann, als er durch eine Erweiterung seines Wissens aus dem befangenen asketischen Jugendwahn heraustrat und so auf einen Standpunkt gelangte, von dem ans erst das Mönchtum anders aussah. Und das geschieht auf seinen Wanderungen besonders auf dem Athos (Sveta gora) und im Orient. Hier lautet auch die Selbstbiographie über das Klosterleben viel kritischer. Aber noch mehr als durch das wnirde Obradovic' Kritik durch die herrschende Aufklärungsliteratur bestimmt. Obradovic geht immer gegen das Münchtum im Allgemeinen vor und bewegt sich dabei in den aufklärerischen Phrasen der Zeit. Der Verfasser hätte seine Studie in einer anderen Weise anlegen können. Er hätte an der Hand der mönchischen Erziehung Obradovic' gerade den mönchischen Charakterzug seiner Schriften nachweisen können. Das ist nämlich noch von Niemandem geschehen, und doch ist die eigentümliche Mischung von mönchischer Askese und rationalistischer Aufklärung eine individuelle Eigentümlichkeit des serbischen Aufklärers. Die Studie Ostojic' veranlaßt mich, gerade diesen mönchischen Charakter bei Obradovic zu betonen. In Dositheus' Schriften waltet trotz ihrer philosophischen Grundlage (des 39*
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und zwar durch die neue Losung der vergleichenden Methode — der slavischen<br />
Literarhistorik ein neues Ziel gesteckt, dem hoffentlich mancher Zukunftsforscher<br />
zustreben wird. Wird Karäsek selbst die Kraft finden, seinen Pfad<br />
nochmals von Anfang an zu gehen und von all den stellenweise hoch lagernden<br />
Schuttmassen gründlich zu säubern, wird er den Mut aufbringen, sein<br />
eigenes Geisteskind mit keiner noch so bittern Diagnose zu verschonen und<br />
unter Umständen auch mit der Messerschneide von den Mißbildungen zu befreien?<br />
Das wünsche ich dem Verfasser von ganzem Herzen und begrüße sein<br />
Buch trotz der Fehler aufs wärmste — in der festen Zuversicht, daß es bei dem<br />
gastfreundlichen Verleger bald zu einer — von dem Brandmal der Oberflächlichkeit<br />
und den Schlacken der Hast gereinigten — zweiten Auflage ^4) kommen<br />
wird, worin (unter ausgiebiger Verwertung des ihm in den Besprechungen<br />
seiner Arbeit gebotenen Materials) neben dem Künstler (bis in die feinsten Abtönungen<br />
hinein) ebenfalls der Gelehrte (von der hohen Warte der objektiven<br />
Ki'itik) das Wort ergreifen soll — zur ungetrübten Freude der engern Fachgenossen<br />
und nicht weniger der Laienwelt, denn auch für den weitesten Leserkreis<br />
ist sowie für die Jugend nur das Beste gerade gut genug.<br />
3*) Dort sollen auch die Russen nach Gebühr berücksichtigt werden.<br />
Wien, im Oktober 1907.<br />
J. Sutnar.<br />
TnxoMnp OcTOJHh: JI^oeHTej Oöpa^OBuh y Xonosy, CTy^inja n3 Kyj-<br />
Typne h KH>Ha:eBHe HCTopHJe. Hobh CaA 1907. 8". VU, 432 [kh>.<br />
Max. Cpne. 1 9 h 20].<br />
Die Milieutheorie zeigt gerade bei ihren eifrigsten Anhängern ihre<br />
schwächste Seite. So auch hier, wo der Verfasser einen Beitrag zur serbischen<br />
Aufklärungsliteratur beabsichtigt nnd zu dem Zwecke eine bis ins kleinste<br />
Detail eingehende Beschreibung des Klosterlebens zu Opovo (Fruska gora)<br />
liefert. In Opovo weilte nämlich der junge Dositheus Obradovic, und die Studie<br />
soll den Nachweis erbringen, daß Dositej Obradovic bereits hier jene<br />
Er fahr ung gewann, die ihn später veranlaßte, gegen das Mönchtum<br />
zu eifern.<br />
Obwohl dieser Grundgedanke des Verfassers von vornherein<br />
annehmbar scheint, ist doch dagegen so manches einzuwenden.<br />
Das geschichtliche Bild von Opovo — wie es Ostojic hier zeichnet —<br />
stimmt nämlich durchaus nicht mit jenen Vorstellungen, die wir von Opovo<br />
aus Dositheus' Schriften haben. Ostojic ging mit strengster Objektivität vor, er<br />
sammelte glaubwürdige Quellen (Inschriften, Chronographen, Amtliche Akten<br />
u. drgl.) und doch zeugt gegen ihn Obradovic selbst. Obradovic urteilt über<br />
Opovo wesentlich anders als Ostojic. Während nach den historischen Tatsachen<br />
Opovo eine verkommene und zuchtlose Herberge nichtswürdiger<br />
Mönche war, erscheint uns dasselbe Opovo nach Dositheus" Darstellung umflossen<br />
von einem gewissen poetischen Schein, sympathisch und ehrbar. In<br />
Obradovic' Selbstbiographie heißt es : mesto dostojno, da posveöeno budes