Slavische Philologie - Archiv

23.02.2018 Aufrufe

594 Kritißcher Anzeiger. Stelle des edeln Geschmackes häufig schale Redensarten, die mit geistreichtuendem Schwulst den gähnenden Mangel an eigentlichem Verständnis und Tiefblick verdecken wollen ; diese Leere wird auch mit billigem Flitterkram von allerhand Nichtigkeiten aufgeputzt, den man mit ruhigem Gewissen als Ballast über Bord hätte werfen können um so mehr, als ohnehin gar manche Lücke sich bemerkbar macht. Auch sonst wird nicht immer der höchste Gesichtspunkt gewählt, so besonders hinsichtlich der Ästhetik, die hier mitunter den Predigermantel überwirft und mit rostigen Waffen der Inhaltsangaben (und Übersetzungsproben) herumfuchtelt^i). Derselben allgemeinen Quelle der oben erwähnten Flüchtigkeit verdanken demnach ihren Ursprung die zumeist bereits aufgezählten zahlreichen Willkürlichkeiten und Ungleichmäßigkeiten der Komposition samt den kleinern logischen Sprüngen der regen Phantasie, wobei eine falsche Auffassung der Originalität erheblich mitgewirkt haben mag, denn fremde Mithilfe wurde von Karäsek trotz der — die Kraft eines einzigen Menschen übersteigenden — Anforderungen nach Möglichkeit verschmäht und zurückgewiesen. (Und so kam es, daß unser Buch nur zu seinem Nachteil bei Anordnung der ganzen Stoffpartien und bei Abschätzung der einzelnen Erscheinungen innerhalb derselben sich viel zu wenig an seine Vorgänger anschließt und auch sonst in manchem Detail durch Nichtbenutzung der einschlägigen Spezialschriften ganz überflüssigerweise noch immer altfränkischen Ansichten der Menge huldigt.) Nun hat bekanntlich neben der eben besprochenen Schattenseite der Subjektivität auch ihre Lichtseite nicht geschwiegen, sondern tatkräftig aufzutreten gewußt, indem sie den Verfasser bei Behandlung des umfangreichen Gesamtmaterials von der breiten Heerstraße des bisherigen (bequemern) Verfahrens abgelockt und auf den abschüssigen Gebirgssteig einer neuen Methode geführt. Wohl muß man diese Darstellungsart als eine aus fremdem Garten verpflanzte Blume bezeichnen , die von den Historikern der Weltliteratur — meines Wissens von M. Carriere (186S), G.Brandes [IS12) und A. Stern (1882) — schon vor vielen Jahren gepflegt worden ist, aber auf jeden Fall wandte Karäsek dieses Verfahren zum erstenmal auf das gesamte Schrifttum der Slaven an (allerdings findet sich schon bei Pypin etwas Ähnliches z. B. im letzten Kapitel über die Renaissance), welche Tat schon wegen ihrer Kühnheit als unzweifelhafter Fortschritt anerkannt werden muß. Nichtsdestoweniger steckt diese Methode bei Karäsek noch tief in den Windeln, wie das oben meine — der Klärung des vielfacli noch gährenden Stoffes gewidmeten — Fingerzeige hoffentlich zur Genüge dargetan haben. Oft kann sich der Verfasser von den Fesseln des Herkommens noch nicht gänzlich lossagen, und noch gar zu gern klebt er an Äußerlichkeiten, oft folgt der Verfasser dem neuen Gedanken wieder sogar auf Irrwege, wo mitunter jeder feste Boden unter seinen Füßen plötzlich schwindet. Der ganzen Arbeit fehlt es an einem eisernen System (bei Einteilung des Stoffes dienen bald die Zeitperioden und bald wieder die Gattungen der Dichtkunst [z. B. Drama in Band I und Poesie 21) Letzteres auf südslavischem und polnischem Gebiete, wo Karäsek als Cache begreiflicherweise weniger zu Hause war.

Dieses : Karäsek, Slavische Literaturgeschichte, angez. von Sutnar. 595 uud Prosa in Band II] als Ausgangspunkt), was um so mehr zu bedauern ist, als meistens ohnehin kein kräftiger Gesamtcharakter die einzelnen Literaturteile zusammenhält, wiewohl anderseits schon eine bloße Feststellung des Nichtvorhandenseins anhaltender und innigerer Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Gliedern (mithin ein ganz und gar negatives Ergebnis) an und für sich auch keine verachtenswerte Leistung wäre : viele Schwanken — infolge der völligen Rückgratlosigkeit des Buches, d. h. des Mangels an einem einheitlichen Standpunkt — hat nun manchen Zug des darzustellenden Gegenstandes eher verdunkelt als aufgehellt (vgl. die Behandlung des Dramas!), und aus demselben Grund tritt überhaupt kein deutliches Gesamtbild an die Stelle der klaren Einzelbilder Pypins, die überdies hier in dem Wust von Vergleichen zumeist untergegangen sind; soll jedoch dieses neue Verfahren eine feste Grundlage gewinnen, so kann das bekanntlich nur in der angedeuteten Weise — unter strenger Umgehung jedes mechanischen Behelfes — durch den engsten Anschluß an die Hauptströmungen des Weltschrifttums geschehen , welche natürlich auch in diesem Falle den allerhöchsten Gesichtspunkt vorstellen. Endlich gelange ich nach einem — der allgemeinen Charakteristik des Karäsekschen Buches gewidmeten — ziemlich ausgiebigen Abstecher zum eigentlichen Ziele meines Aufsatzes, zur cechischen Literatur (29 -j- 58 = 87 Seiten — abgesehen von den gemeinsamen Kapiteln — gegen 168 -f- 186 = 354 Seiten im ganzen), an welcher das bezüglich der Einzelheiten oben Gesagte reichlich belegt werden soll. Bei dieser Gelegenheit muß gleich bemerkt werden, daß unsre Schrift des öftern auch in den nichtcechischen Abschnitten einen für ein deutsches Handbuch etwas einseitigen cechischen Standpunkt einnimmt. (So heißt es z. B. in Band I auf Seite 84 bei Besprechung polnischer Schriftdenkmäler: ». . . Martin Bielski [hat] . . . das Gedicht > Maitraum« verfaßt . Dieser »Maitraum« darf aber mit dem gleichbenannten böhmischen Gedichte nicht verwechselt werden, das hundert Jahre früher wahrscheinlich von dem Sohne des Königs Georg, dem Herzog von Münster [d. h. Münsterberg!], nach einem deutschen Muster verfaßt worden ist«, und Ahnliches lesen wir in Band II auf Seite 65 gelegentlich der kroatischen Literatur: »Stanko Vraz ist nicht mit dem gleichlautenden Pseudonym eines cechischen Reiseschriftstellers, der die ganze Welt gesehen hat, zu verwechseln ; aus einer adligen Familie stammend ist dieser ein würdiger Partner Holubs« [nebenbei muß gesagt werden, daß der auch Deutschen als Afrikareisender wohlbekannte Holub bloß hier gestreift wird]; hierher gehören gleichfalls . . die nur ausnahmsweise vorkommenden Bohemismen, z. B. Band I Seite 118: »ein auf [statt: für] seine Zeit epochales Werk«.) Bei diesem etwas einseitigen cechischen Gesichtspunkt ist es um so merkwürdiger, daß gerade rücksichtlich der Bezeichnung für die Cechen hier meistens die größte Verwirrung herrscht. (In beiden Bänden werden sehr oft die geographischen Wörter »Böhme« und »böhmisch« fälschlich in ethnographischem Sinne für »Ceche« und »cechisch« und umgekehrt die ethnographischen Ausdrücke »Ceche« und »cechisch« in geographischer Bedeutung statt »Böhme« und »böhmisch« gebraucht: So heißt es in Band U auf Seite 137 ». . . Klostermann ist nicht nur Kenner der böhmischen [= cechischen], sondern 38*

Dieses<br />

:<br />

Karäsek, <strong>Slavische</strong> Literaturgeschichte, angez. von Sutnar. 595<br />

uud Prosa in Band II] als Ausgangspunkt), was um so mehr zu bedauern ist, als<br />

meistens ohnehin kein kräftiger Gesamtcharakter die einzelnen Literaturteile<br />

zusammenhält, wiewohl anderseits schon eine bloße Feststellung des Nichtvorhandenseins<br />

anhaltender und innigerer Wechselbeziehungen zwischen den<br />

einzelnen Gliedern (mithin ein ganz und gar negatives Ergebnis) an und für<br />

sich auch keine verachtenswerte Leistung wäre : viele Schwanken —<br />

infolge der völligen Rückgratlosigkeit des Buches, d. h. des Mangels an einem<br />

einheitlichen Standpunkt — hat nun manchen Zug des darzustellenden Gegenstandes<br />

eher verdunkelt als aufgehellt (vgl. die Behandlung des Dramas!), und<br />

aus demselben Grund tritt überhaupt kein deutliches Gesamtbild an die Stelle<br />

der klaren Einzelbilder Pypins, die überdies hier in dem Wust von Vergleichen<br />

zumeist untergegangen sind;<br />

soll jedoch dieses neue Verfahren eine<br />

feste Grundlage gewinnen, so kann das bekanntlich nur in<br />

der angedeuteten<br />

Weise — unter strenger Umgehung jedes mechanischen Behelfes — durch<br />

den engsten Anschluß an die Hauptströmungen des Weltschrifttums geschehen<br />

,<br />

welche natürlich auch in diesem Falle den allerhöchsten Gesichtspunkt<br />

vorstellen.<br />

Endlich gelange ich nach einem — der allgemeinen Charakteristik des<br />

Karäsekschen Buches gewidmeten — ziemlich ausgiebigen Abstecher zum<br />

eigentlichen Ziele meines Aufsatzes, zur cechischen Literatur (29 -j- 58 = 87<br />

Seiten — abgesehen von den gemeinsamen Kapiteln — gegen 168 -f- 186 = 354<br />

Seiten im ganzen),<br />

an welcher das bezüglich der Einzelheiten oben Gesagte<br />

reichlich belegt werden soll. Bei dieser Gelegenheit muß gleich bemerkt werden,<br />

daß unsre Schrift des öftern auch in den nichtcechischen Abschnitten einen für<br />

ein deutsches Handbuch etwas einseitigen cechischen Standpunkt einnimmt.<br />

(So heißt es z. B. in Band I auf Seite 84 bei Besprechung polnischer Schriftdenkmäler:<br />

». . . Martin Bielski [hat] . . . das<br />

Gedicht > Maitraum« verfaßt .<br />

Dieser »Maitraum« darf aber mit dem gleichbenannten böhmischen Gedichte<br />

nicht verwechselt werden, das hundert Jahre früher wahrscheinlich von dem<br />

Sohne des Königs Georg, dem Herzog von Münster [d. h. Münsterberg!], nach<br />

einem deutschen Muster verfaßt worden ist«, und Ahnliches lesen wir in Band II<br />

auf Seite 65 gelegentlich der kroatischen Literatur: »Stanko Vraz ist nicht<br />

mit dem gleichlautenden Pseudonym eines cechischen Reiseschriftstellers, der<br />

die ganze Welt gesehen hat, zu verwechseln ; aus einer adligen Familie stammend<br />

ist dieser ein würdiger Partner Holubs« [nebenbei muß gesagt werden, daß<br />

der auch Deutschen als Afrikareisender wohlbekannte Holub bloß hier gestreift<br />

wird]; hierher gehören gleichfalls<br />

. .<br />

die nur ausnahmsweise vorkommenden Bohemismen,<br />

z. B. Band I Seite 118: »ein auf [statt: für] seine Zeit epochales<br />

Werk«.)<br />

Bei diesem etwas einseitigen cechischen Gesichtspunkt ist es um so<br />

merkwürdiger, daß gerade rücksichtlich der Bezeichnung für die Cechen hier<br />

meistens die größte Verwirrung herrscht.<br />

(In beiden Bänden werden sehr oft<br />

die geographischen Wörter »Böhme« und »böhmisch« fälschlich in ethnographischem<br />

Sinne für »Ceche« und »cechisch« und umgekehrt die ethnographischen<br />

Ausdrücke »Ceche« und »cechisch« in geographischer Bedeutung<br />

statt »Böhme« und »böhmisch« gebraucht: So heißt es in Band U auf Seite 137<br />

». . . Klostermann ist nicht nur Kenner der böhmischen [= cechischen], sondern<br />

38*

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!