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Slavische Philologie - Archiv

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Karäsek, <strong>Slavische</strong> Literaturgeschichte, angez. von Sutnar. 593<br />

trägt das Karäseksche Buch vielfach das Siegel der äußersten Subjektivität,<br />

und zwar sowohl im guten als auch im schlechten Sinne dieses Wortes, so<br />

daß der Verfasser hiermit vorläufig nur einem Bruchteile der an einen modernen<br />

Literarhistoriker gestellten Anforderungen entsprochen hati9). Auf<br />

Schritt und Tritt begegnet man Spuren von Flüchtigkeit, die an mancher Stelle<br />

die letzte Feile gänzlich ausbleiben ließ, obwohl anderseits wieder anerkennend<br />

auf den künstlerischen Schwung sowie die temperamentvolle Darstellung hingewiesen<br />

werden muß, zu welcher sich diese Schrift oft emporschwingt. (Auch<br />

von sprachlichen Härten -'O) ist das Buch ziemlich frei.) Allerdings treten an die<br />

sehen Schriftdenkmals gedacht werden, welches in Band II auf Seite 39 als<br />

>Lied vom Regiment des Igor«, auf Seite 75 schlechtweg als »Slovo« und auf<br />

Seite 151 als >Bericht über die Expedition des Igor« angeführt wird.<br />

19) Die Theorie der modernen Literaturgeschichte können wir getrost in<br />

einem einzigen Satze zusammenfassen: Ein wahres literarhistorisches Werk<br />

(sowie kunsthistorisches überhaupt) ist ein über Kunstwerke handelndes Kunstwerk,<br />

das jedoch Zoll für Zoll auf streng wissenschaftlicher Basis aufgebaut<br />

werden muß; der Literarhistoriker soll jederzeit bei der Untersuchung sowie<br />

bei der Darstellung seinem Stoffe zugleich mit kühlem Kopfe des Forschers<br />

und mit warmem Herzen des Künstlers gegenüberstehen, indem er jeder noch<br />

so bescheidenen Einzelheit das größte Verständnis entgegenbringt, ohne jedoch<br />

die Hauptkonturen seiner Arbeit von Details überwuchern zu lassen,<br />

und indem er überall in objektivster Weise seine Person beiseite schiebt und<br />

doch wieder überall in subjektivster Weise seine Fußstapfen zurückläßt; der<br />

Literarhistoriker muß mit frostiger Ruhe rastlos in die tiefsten Schachtecken<br />

der verborgensten Zusammenhänge seines Gegenstandes hinuntersteigen, ausgerüstet<br />

mit der schärfsten Grubenlampe der ästhetisch-psychologisch-soziologischen<br />

Analyse sowie mit dem reichlichsten Nahrungsvorrat aus dem Weltschrifttum,<br />

aus der Kulturgeschichte und aus der Sprachwissenschaft, und<br />

ebenso muß er voll glühender Leidenschaft unverdrossen — mit der Wünschelrute<br />

der fruchtbarsten Synthese in der Hand — die steilsten Bergriesen der<br />

Dichtkunst erklimmen, damit er in packenden und hinreißenden Worten<br />

rückhaltloser Bewunderung den unvergänglichen Ruhm ihrer herrlichen Mysterien<br />

und ihrer heiligen Symbole verkünde. Wenn wir nun diese Theorie auf<br />

den Geschichtsschreiber des gesamten sla vischen Schrifttums anwenden, so<br />

ynid sie wohl wegen der großen Reichhaltigkeit des Stoffes einiger Zusätze<br />

bedürfen: Heutigen Tages kann man unmöglich noch verlangen, daß ein<br />

solcher Literarhistoriker alle — auch die weniger wesentlichen — in sein Gebiet<br />

einschlagenden Erscheinungen aus erster Hand kennen soll ; darf er jedoch<br />

in Bezug auf die nicht maßgebenden Schöpfungen sich der Arbeiten seiner<br />

Vorgänger bemächtigen und sich mit gewissenhafter Verwertung dieser Monographien<br />

begnügen, so muß er dafür seine Kenntnis der hervorragendsten<br />

Denkmäler unbedingt vor allem aus den Quellen selbst schöpfen, wenn er ein<br />

Werk von wirklich bleibendem Werte hervorbringen will; voll und ganz zu<br />

Worte zu gelangen hat die Individualität des Literarhistorikers bei der Auffassung<br />

des Materials und beim Entwürfe des Gesamtbildes, das die schönsten<br />

Fernsichten eröffnen soll.<br />

20) Der Verfasser schreibt z. B. in Band I »Ragusäer« für »Ragusaner«<br />

sowie »ragusäisch« für »ragusanisch«.<br />

<strong>Archiv</strong> für slavische <strong>Philologie</strong>. XXTX. 38

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