Slavische Philologie - Archiv

Der Eeflex des indogermanisclien Diphthongs eu
im ürslavischen.
In der langen Reihe von Verdiensten, die der verstorbene deutsche
Sprachforscher Johann Schmidt um die slavische Sprachwissenschaft hat,
nimmt die Entdeckung des Reflexes des idg. Diphthongs eu im Urslavischen
nicht die letzte Stelle ein.
In seinem Aufsatz »Was beweist das e
der europäischen Sprachen für die Annahme einer einheitlichen europäischen
Grundsprache?« (KZ. XXIII 333 ff.) hat dieser Gelehrte zuerst
darauf hingewiesen, daß der »europäische« Diphthong eu in den lituslavischen
Sprachen nicht mit dem Reflex des Diphthongs ou zusammenfällt
(wie bis dahin fast alle Forscher behauptet hatten), sondern in den
baltischen Sprachen in den Diphthong iau und in den slavischen in Ju
übergegangen ist. Um dieses Gesetz nachzuweisen, führt Schmidt a. a. 0.
S. 348—349 folgende Beispiele an:
slav. lJuh^J got. liuhs
» Ijudije, as. liudi
» hljudq^ got. hiuda^ gr. Ttevd^ofiai
•»
zhvq zuj'q, ahd. cMüwu
» rjuti^ ags. ryd^
» hlj'udo, got. hiups.
Außerdem hat Schmidt a. a. 0. S. 350 diesen Beispielen noch slav.
sever^ = lit. siaurys^ got. sTmra windis^ lat. caurus und auf S. 352
slav. pljusta »Lunge« = lit. pläuöei hinzugefügt. Die gelinge Zahl
dieser Beispiele (von denen Schmidt heute ohne Zweifel einige streichen
würde, weil sie ohne genügende Beweiskraft sind, und zwar hljudo als
aus dem Gothischen entlehnt und zhvq als auf idg. *gieu- zui'ückgehend)
machte ihn nicht irre, sondern veranlaßte ihn nui", slav. Ju = idg. eu als
»erstarrte Steigerung« zu charakterisieren. Was den Übergangsprozeß
von idg, eu in slav. /m betrifft, so ist nach Schmidts Ansicht »der Diphthong
eu im Slavischen wie im Nordischen auf seinem zweiten Element
betont gewesen. Dadurch sank das erste zu 1 und weiter, da Hiatus
nicht geduldet wird, zu/«.
Archiv für slavische Philologie. XXIX. 31