Slavische Philologie - Archiv

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436 Kritischer Anzeiger. geworden, ebenso wie der h. Kirik zum Hühnerpatron ward, nur weil sein Name an die kury Hühner erinnert und nicht etwa, weil in seinem Wesen u. dgl. etwas darauf sich bezog. Aber nun zu Wieland selbst — über den die neueste, eingehendste Untersuchung, aus der Feder von A. Veselovskij, Seh rader entgangen ist. Sie ziert, leider ein opus posthumum, die Petersburger Izvestija lit06, IV, 3, S. 1—190 (darin von S. 130 ab als Beilage die Übersetzung von Stücken aus der Thiedrekssaga, gefertigt von seinen Schülern), u. d. T. »die Russen und Wiltinen in der Thiedrekssaga« ; von Wieland speziell handeln Abschnitte V und VI, S. 80— 113. Die erstaunliche Belesenheit (doch fehlen einige interessante Angaben, die Schrader bietet), die scharfsinnige Kombination, die das entlegenste zu verwerten weiß, die kritische Methode, die sofort das Schwache in jeglicher Beweisführung oder Annahme herauskennt, feiern auch hier, wie in allem, was aus dieser Feder hervorgegangen ist, ihre Triumphe. Es handelt sich um die Wiltinen (nicht Wilkinen) und ihren König-Eponymus seibat, dann um deren Gegner, die Russen und deren Herrscher, zumal um Ilias von Reußen, dessen von Chal an skij vorgeschlagene Identifizierung mit Oleg mit Recht zurückgewiesen wird. Wenn Ilias, statt von Griechen (jarl einn af Greka), jarl einn af Gersekeborg in einer Handschrift genannt wird, d. i. nach dem aus den livländisch - russischen Kämpfen wohl bezeugten Gercike (1205 u. ö.), so erkennt Veselovskij darin mit Recht nur eine lokale Anpassung, nicht erstaunlich bei den niederdeutschen Livlandfahrern ; auf niederdeutsche Überlieferung geht ja die nordische Thiedrekssaga zurück. Ebenso richtig weist er MüllenhoffsDeutungen, die sich eines unbestrittenen Kredits erfreuen, z. B. über die Identität von Hertnit und Ortnit, die nur die Namen treffen kann, oder über die Taciteischen Dioskureu bei den Nahanarwaleu als gleich den Hertnits (Ortnit) der Sage u. a. zurück. Dagegen scheint Veselovskij in den eigenen Ausführungen diesmal weniger glücklich gewesen zu sein. In den Welten, die er in den Wiltinen der Sage wieder erkennt, möchte er nicht eine slavische, sondern eine litauische Völkerschaft erkennen, deren Namen, man weiß nicht wie und warum, auf Slaven übertragen wurde. Desto dankbarer nehmen wir die reichhaltigen Zusammenstellungen über die voioty und volotovki (Riesengräber) in Rußland auf. Besonders wichtig ist der Hinweis (S. 26), wo die Deutscheu auf Ilias gestoßen sein mögen, obwohl sich damit der Kampf zwischen Wiltinen und Russen noch immer nicht zeitlich oder örtlich fixieren läßt. Verfehlt scheinen die Kombinationen von Suders der Ortnitsage (mit ihrem Ilias von Reußen), nicht als = Tyrus, sondern als Sudak, Suro^ und im Zusammenhange damit die Wiederholung der Erklärung vom Fürsten Bravlin der Stephanslegende, als verderbt aus Mravlin, und dies als Übersetzung von MvQ/Lnöwy {/^vq/hijS), wie die Griechen die Steppenstämme (am schwarzen Meer) zu nennen pflegten (vgl. noch die ähnliche Erklärung des Terminus Mauringa, Maurungania S. 45 Anm.). Diese Erklärung ist ebenso phantastisch wie die schließlich zu einem Normannen führt! von Chalanskij, dem Bravlin = Mravlin = Morovlin Wenn man schon die Phantasie so toll spielen läßt, könnte man z. B. Märchen auf Märchen häufend bei Bravlin oder

Schrader, Sprachvergl. und Urgeschichte, angez. von Brückner. 437 Bravalin sogar an die sagenberühmte Bravallaschlacht denken, ihn etwa als einen Bravallakämpfer bezeichnet auffassen: sprachlich läge dies näherund sachlich könnte diese Deutung nicht schlimmer sein, als jene beiden, nur wäre sie gleich unnütz. Desto schärfer und treffender ist die Kritik, S. 51 ff., gegen Chalanskijs Annahme [Oleg^ = Volga = liligus = Ilja); sie zeigt, wie täuschend alle die Argumente sind, die Chalanskij zumal aus späten, fabelhaften, völlig wertlosen Ausschmückungen russischer Chroniken ins Feld führt; sonst pflegten die Ausführungen Veselovskijs etwas schwankend und zweifelnd zu sein, wie es ja die Natur seines Gegenstandes mit sich brachte — selten fand ich sie so entschieden und so präzise, wie gerade hier, namentlich auch, was den Mißbrauch symbolischer Auslegungen betrifft, obwohl Veselovskij selbst (z. B. bei dem Gegensatz Volga — Mikula, Ilja — Svjatogor, bei der Wielandsage) solchen symbolischen, sozialkulturellen Um- obwohl man auch deutungen der Sagenmotive gar nicht aus dem Wege geht, diese gar sehr bezweifeln kann. Die Wielandsage selbst soll nach ihm finnischen Ursprunges sein, entstanden auf finnisch-aistischem (litauischem) Gebiete und übertragen in den finnischen Norden ; wird doch in der Völundarkvida Wieland der Sohn eines finnischen Königs genannt, in der Tidreksage ist er ein Wiltine. Und nun werden andere Namen oder richtiger Varianten der Sagen in derselben Richtung ausgedeutet: also der Berg Kallava (andere Lesart Ballofa usw.), auf dem die schmiedenden Zwerge hausen, ist finnisches Kaleva; König, der Wieland gefangen hält, Nidudr, der jütische herrscht über die Niarar = Nerar — das soll nun nicht mehr schwedisches Noerike u. a., wie man annimmt, sein, sondern die litauische Nehrung, nerga, neiia, ja vielleicht die Landschaft Neroma, Noroma der ältesten Chronik (Varianten Korova, Narova usw.) ; im Gegensatze zu allen bisherigen Erklärern möchte ich darin den Namen NaJrovia wieder erkennen, s. 0.; die Nennung innerhalb lauter litauisch -lettischer Gaue in der Chronik paßt durchaus zu einer solchen Lokalisierung, wird doch dieser Nam sogar mit Samogitien identifiziert, während Kuniks Deutung aus dem Finnischen oder gar Sjögrens Hereinziehung der Woten(!!) jeden Zusammenhang verletzen. Den Fluß Visara, auf dem Wieland von den Zwergen (Kallavas) nach Thiodi in Jütland gelangt, lokalisiert nun der Verf. auch nahe dem litauischen Boden, als einen der kurischen Zuflüsse, eventuell als den Libauischen See, Esestua der Urkunde von 1230: sowohl Visara als dieses JEse-vtua, d. i. Esertaa leitet er von lit. ezeras, ezars See ab ; das erstere ist rundweg abzuweisen, und ist denn Esestua überhaupt litauisch? liegt nicht »finnische« Herleitung näher? Neben diesen äußerst problematischen, vielleicht nur ganz irreführenden Deutungen bewegt sich Veselovskij auf etwas sichererem Boden, wenn er sorgfältigst alle Übereinstimmungen in der Wielandsage und der Kalevidensage aufweist, die ja schon von anderen, zum Teil noch von Mannhardt, namentlich von Krohn, hervorgehoben waren; Krohn sah deutsche Einflüsse in diesen finnischen Reminiszenzen, Veselovskij schlägt nun den entgegengesetzten Weg ein. Was ist davon zu halten ? Wäre die Wielandsage nur nordisch — aber sie ist germanisch , haftet gerade in Niederdeutschland am zähesten und ist

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geworden, ebenso wie der h. Kirik zum Hühnerpatron ward, nur weil sein<br />

Name an die kury Hühner erinnert und nicht etwa, weil in seinem Wesen u. dgl.<br />

etwas darauf sich bezog. Aber nun zu Wieland selbst — über den die neueste,<br />

eingehendste Untersuchung, aus der Feder von A. Veselovskij, Seh rader<br />

entgangen ist.<br />

Sie ziert, leider ein opus posthumum, die Petersburger Izvestija lit06,<br />

IV, 3, S. 1—190 (darin von S. 130 ab als Beilage die Übersetzung von Stücken<br />

aus der Thiedrekssaga, gefertigt von seinen Schülern), u. d. T. »die Russen und<br />

Wiltinen in der Thiedrekssaga« ; von Wieland speziell handeln Abschnitte V<br />

und VI, S. 80— 113. Die erstaunliche Belesenheit (doch fehlen einige interessante<br />

Angaben, die Schrader bietet), die scharfsinnige Kombination, die<br />

das entlegenste zu verwerten weiß, die kritische Methode, die sofort das<br />

Schwache in jeglicher Beweisführung oder Annahme herauskennt, feiern auch<br />

hier, wie in allem, was aus dieser Feder hervorgegangen ist, ihre Triumphe.<br />

Es handelt sich um die Wiltinen (nicht Wilkinen) und ihren König-Eponymus<br />

seibat, dann um deren Gegner, die Russen und deren Herrscher, zumal um<br />

Ilias von Reußen, dessen von Chal an skij vorgeschlagene Identifizierung mit<br />

Oleg mit Recht zurückgewiesen wird. Wenn Ilias, statt von Griechen (jarl<br />

einn af Greka), jarl<br />

einn af Gersekeborg in einer Handschrift genannt wird,<br />

d. i. nach dem aus den livländisch - russischen Kämpfen wohl bezeugten<br />

Gercike (1205 u. ö.), so erkennt Veselovskij darin mit Recht nur eine lokale<br />

Anpassung, nicht erstaunlich bei den niederdeutschen Livlandfahrern ; auf<br />

niederdeutsche Überlieferung geht ja die nordische Thiedrekssaga zurück.<br />

Ebenso richtig weist er MüllenhoffsDeutungen, die sich eines unbestrittenen<br />

Kredits erfreuen, z. B. über die Identität von Hertnit und Ortnit, die nur die<br />

Namen treffen kann, oder über die Taciteischen Dioskureu bei den Nahanarwaleu<br />

als gleich den Hertnits (Ortnit) der Sage u. a. zurück. Dagegen scheint<br />

Veselovskij in den eigenen Ausführungen diesmal weniger glücklich gewesen<br />

zu sein.<br />

In den Welten, die er in den Wiltinen der Sage wieder erkennt, möchte<br />

er nicht eine slavische, sondern eine litauische Völkerschaft erkennen, deren<br />

Namen, man weiß nicht wie und warum, auf Slaven übertragen wurde. Desto<br />

dankbarer nehmen wir die reichhaltigen Zusammenstellungen über die voioty<br />

und volotovki (Riesengräber) in Rußland auf. Besonders wichtig ist der Hinweis<br />

(S. 26), wo die Deutscheu auf Ilias gestoßen sein mögen, obwohl sich damit<br />

der Kampf zwischen Wiltinen und Russen noch immer nicht zeitlich oder<br />

örtlich fixieren läßt. Verfehlt scheinen die Kombinationen von Suders der<br />

Ortnitsage (mit ihrem Ilias von Reußen), nicht als = Tyrus, sondern als Sudak,<br />

Suro^ und im Zusammenhange damit die Wiederholung der Erklärung vom<br />

Fürsten Bravlin der Stephanslegende, als verderbt aus Mravlin, und dies als<br />

Übersetzung von MvQ/Lnöwy {/^vq/hijS), wie die Griechen die Steppenstämme<br />

(am schwarzen Meer) zu nennen pflegten (vgl. noch die ähnliche Erklärung des<br />

Terminus Mauringa, Maurungania S. 45 Anm.). Diese Erklärung ist ebenso<br />

phantastisch wie die<br />

schließlich zu einem Normannen führt!<br />

von Chalanskij, dem Bravlin = Mravlin = Morovlin<br />

Wenn man schon die Phantasie so toll<br />

spielen läßt, könnte man z. B. Märchen auf Märchen häufend bei Bravlin oder

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