Slavische Philologie - Archiv
428 Kritischer Anzeiger. Verfasser hat nämlich die schon vorhandene Literatur nicht gehörig ausgenutzt. Deshalb kommt es vor. daß so manche Frage nicht genügend beleuchtet ist, obgleich an der Hand der Vorarbeiten dies nicht unmöglich gewesen wäre. Wenn man z.B. die Stellen durchgeht, die der Geschichte der rnssischen Sprache gewidmet sind, so merkt man gleich, daß Vondräk sich fast ausschließlich damit begnügt, was in dem sehr verdienstlichen Werke von Sobolevskij steht. Leider ist es aber keine historische Grammatik der russischen Sprache, und darin ist die Erklärung des Umstandes zu suchen, daß auch in dem vorliegenden Werke die Geschichte der russischen Sprache streng genommen so kümmerlich aussieht, als ob die zahlreichen Arbeiten von Sachmatov gar nicht da wären. Ich will nicht sagen, daß der Verfasser dieselben einfach abschreiben sollte, ich behaupte nur, ein näheres Studium derselben hätte ihm die Möglichkeit gegeben, viele wichtige Punkte wirklich sprachgeschichtlich zu behandeln. Auch in der übrigens zu kurzen Übersicht der wichtigsten Hilfsmittel (S. ") vermißt man ungern unter vielem Anderen die Erwähnung des Artikels »Russkij jazyk«, den Sachmatov für den russischen Brockhaus verfaßt hat. Mit dem oben hervorgehobenen Mangel hängt auch der soeben berührte Umstand zusammen, daß die Literaturnachweise, wie Meillet richtig bemerkt hat, sehr ungleichmäßig ausfallen und öfters fast gänzlich fehlen (vgl. z.B. die sehr wichtigen Abschnitte, welche und h, die tort- usw. Gruppen behandeln). Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß manche slavische Sprache öfters zu kurz kommt; z. B. enthält S. 100 f. unter der Überschrift > Veränderungen des u auf slav. Boden < eigentlich nichts weiter, als die Darstellung der Schicksale dieses Lautes in der böhmischen Sprache. Nun sind wir zu Ende gekommen. Zwar könnte man noch recht viele Einzelheiten berühren, aber das liegt schon außerhalb der Grenzen dieser Besprechung, denn für jetzt beschäftigen uns nur solche Mängel, die allgemeiner Natur sind und die ganze Anlage des vorliegenden Buches beeinflußt haben. Ehe wir aber von der »Vergleichenden slavischen Grammatik« scheiden, muß ich doch der Fehler im fremdsprachlichen Gut gedenken, deren einige Meillet in seiner Anzeige (S. 249) verzeichnet hat. Seine Liste läßt sich vermehren (vgl. z. B. lit. motc, mote — »Mutter« anstatt »Weib, Frauenzimmer«, S. 59, obgleich S. 75 die Bedeutung richtig gegeben ist; lit. üdrhti — »trächtig sein« anstatt üdniti, S. 104), und ich kann nicht umhin, mein Bedauern auszusprechen, daß der Verfasser selbst das Litauische ohne gehörige Vorsicht zitiert hat. Zum Schluß noch ein paar Worte. Meine obige Besprechung berührt nicht die Stammbildungslehre (S. 389—521). Dies hat seinen guten Grund darin, daß der soeben genannte Teil im allgemeinen zu denselben Einwänden Anlaß gibt, wie die ausführlich behandelte Lautlehre. Dazu ist die Darstellung sehr knapp gehalten und bietet nicht viel mehr, als ein Verzeichnis der Stämme nach den Formanten geordnet. Es erschien mir also für zweckmäßig, über die Stammbildungslehre im Zusammenliaug mit der Formenlehre zu referieren, nachdem der IL Band erschienen sein wird. Moskau, im Mai 1907. W. Porzeziüski.
Schrader, Sprachvergl. und Urgeschichte, angez. von Brückner. 429 Sprachvergleichung und Urgeschichte. Linguistisch -historische Beiträge zur Erforschung des indogermanischen Altertums, von 0. Schrader. Dritte, neubearheitete Auflage. Jena 1907. Zwei Teile. S". S. X. 235 und 559. Quantum mutatus ab illo — von jenem 0. Schrader, dessen »Keallexikon« im Archiv XXIII, S. 622 ff. angezeigt ward. Bei aller schuldigen Anerkennung der Vorzüge des trefflichen Werkes ward dort die allzu geringe Berücksichtigung des slavischen Materials scharf bemängelt, was der Verf. selbst erkannt und beklagt hatte. Jetzt hat er, was auch ohne jenen Angriff geschehen wäre, die Wandlung vom Saulus zum Paulus durchgemacht, ist selbst Künder des Slavischen und seiner Wichtigkeit, speziell des Russischen geworden; russische Parallellen auf Schritt und Tritt, weitläufige Berücksichtigung der Südslavischen und russischen Stammesorganisation, der zadruga und des Mir, der'Eaub- und Kaufehe, der Totenbräuche u. dgl. haben sich zu förmlichen slavistischen Exkursen ausgewachsen. Die russische Literatur, speziell die Werke eines Melnikov-Pecerskij, Sein, Chvojko, sind am häufigsten zitiert, nicht zum Nachteil der Darstellung, deren Farbengebung förmlich lebhafter geworden ist ; die neuen slavischen Züge heben sich wirkungsvoll von dem arischen Hintergrunde ab. Bei einer dritten Auflage die große Bedeutung und wohl verdiente Beliebtheit des Werkes hervorzuheben oder die Grundansehauungen des Verf ausführlich bestreiten zu wollen, wäre müßiges Unterfangen. Nur kurz sei hervorgehoben, worin des Verf Ansätze angefochten werden können. Er verschiebt, lokal, die Heimat der Arier zu sehr gegen Süden, der Steppe und dem Schwarzen Meere zu — dies soll nach ihm das arische mare-morje sein; zeitlich setzt er das Auseinandergehen der Arier, d. h. die damals von ihnen erreichte Kultur, zu sehr in das neolithische Zeitalter zurück oder hinauf, bestreitet z. B. eine Metallkenntnis (außer Kupfer), während doch die Sprachen beweisen, daß den Ariern Gold und Silber, zum mindesten, außer Kupfer und Bronze, bereits wohl bekannt waren. Sprachliche Tatsachen, die mit der Grundanschauung Seh raders streiten, werden von ihm weginterpretiert, auch auf Kosten der Konsequenz. Neben allgemeinen, d. h. in allen oder fast allen arischen Sprachen sich wiederholenden Gleichungen, gibt es gar viele partielle, die sich z.B. nur inje zwei Arinen wiederholen. Was beweisen oder besagen solche Gleichungen? Für die Ziege z. B. gibt es ihrer drei, die Schrader vollkommen genügen, um die Vertrautheit der Urarier mit der Ziege zu erweisen; aber für Gold gibt es ihrer ebenfalls drei, die noch dazu gewichtiger sind als die Ziegengleichungen (man denke nur an den Anlaut von zlato und Gold\), und doch haben sie für Schrader keine ähnliche Beweiskraft mehr — eine um so größere für mich. Ähnlich verhält es sich mit dem Namen für Silber. Die bedeutsamen Übereinstimmungen von aurum =^ urlitauisch ausas (das speziell litauische ks hat nichts zu besagen!), von aiy/etifmn usw., erklärt Schrader einfach als Entlehnungen weg! Also die Kelten hätten von den Italikern den Namen des Goldes schon
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Verfasser hat nämlich die schon vorhandene Literatur nicht gehörig ausgenutzt.<br />
Deshalb kommt es vor. daß so manche Frage nicht genügend beleuchtet<br />
ist, obgleich an der Hand der Vorarbeiten dies nicht unmöglich gewesen<br />
wäre. Wenn man z.B. die Stellen durchgeht, die der Geschichte der rnssischen<br />
Sprache gewidmet sind, so merkt man gleich, daß Vondräk sich fast ausschließlich<br />
damit begnügt, was in dem sehr verdienstlichen Werke von Sobolevskij<br />
steht.<br />
Leider ist es aber keine historische Grammatik der russischen<br />
Sprache, und darin ist die Erklärung des Umstandes zu suchen, daß auch in<br />
dem vorliegenden Werke die Geschichte der russischen Sprache streng genommen<br />
so kümmerlich aussieht, als ob die zahlreichen Arbeiten von Sachmatov<br />
gar nicht da wären. Ich will nicht sagen, daß der Verfasser dieselben<br />
einfach abschreiben sollte, ich behaupte nur, ein näheres Studium derselben<br />
hätte ihm die Möglichkeit gegeben, viele wichtige Punkte wirklich sprachgeschichtlich<br />
zu behandeln. Auch in der übrigens zu kurzen Übersicht der<br />
wichtigsten Hilfsmittel (S. ") vermißt man ungern unter vielem Anderen die<br />
Erwähnung des Artikels »Russkij jazyk«, den Sachmatov für den russischen<br />
Brockhaus verfaßt hat.<br />
Mit dem oben hervorgehobenen Mangel hängt auch der soeben berührte<br />
Umstand zusammen, daß die Literaturnachweise, wie Meillet richtig bemerkt<br />
hat, sehr ungleichmäßig ausfallen und öfters fast gänzlich fehlen (vgl. z.B. die<br />
sehr wichtigen Abschnitte, welche und h, die tort- usw. Gruppen behandeln).<br />
Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß manche slavische Sprache<br />
öfters zu kurz kommt; z. B. enthält S. 100 f. unter der Überschrift > Veränderungen<br />
des u auf slav. Boden < eigentlich nichts weiter, als die Darstellung der<br />
Schicksale dieses Lautes in der böhmischen Sprache.<br />
Nun sind wir zu Ende gekommen. Zwar könnte man noch recht viele<br />
Einzelheiten berühren, aber das liegt schon außerhalb der Grenzen dieser Besprechung,<br />
denn für jetzt beschäftigen uns nur solche Mängel, die allgemeiner<br />
Natur sind und die ganze Anlage des vorliegenden Buches beeinflußt haben.<br />
Ehe wir aber von der »Vergleichenden slavischen Grammatik« scheiden, muß<br />
ich doch der Fehler im fremdsprachlichen Gut gedenken, deren einige Meillet<br />
in seiner Anzeige (S. 249) verzeichnet hat. Seine Liste läßt sich vermehren<br />
(vgl. z. B. lit.<br />
motc, mote — »Mutter« anstatt »Weib, Frauenzimmer«, S. 59, obgleich<br />
S. 75 die Bedeutung richtig gegeben ist; lit. üdrhti — »trächtig sein«<br />
anstatt üdniti, S. 104), und ich kann nicht umhin, mein Bedauern auszusprechen,<br />
daß der Verfasser selbst das Litauische ohne gehörige Vorsicht<br />
zitiert hat.<br />
Zum Schluß noch ein paar Worte. Meine obige Besprechung berührt<br />
nicht die Stammbildungslehre (S. 389—521). Dies hat seinen guten Grund<br />
darin, daß der soeben genannte Teil im allgemeinen zu denselben Einwänden<br />
Anlaß gibt, wie die ausführlich behandelte Lautlehre. Dazu ist die Darstellung<br />
sehr knapp gehalten und bietet nicht viel mehr, als ein Verzeichnis der Stämme<br />
nach den Formanten geordnet. Es erschien mir also für zweckmäßig, über<br />
die Stammbildungslehre im Zusammenliaug mit der Formenlehre zu referieren,<br />
nachdem der IL Band erschienen sein wird.<br />
Moskau, im Mai 1907.<br />
W. Porzeziüski.