Slavische Philologie - Archiv
420 Kritischer Anzeiger. entschieden besser gelingen, wenn der Verfasser mit melir Kritik und Umsicht in dem oben genannten Sinne ans Werk gegangen wäre. Die Erkenntnis, daß dieser oder jener Gelehrte auf dem Gebiete der vergleichenden Betonungslehre vieles falsch beurteilt hat, ist kein großer Trost, denn bei systematischer Darstellung der Frage in den Grenzen eines engeren Sprachgebietes ist die Gelegenheit geboten, die Tatsachen einer eingehenden Prüfung von neuem zu unterziehen. Z. B. wird S. 207 angenommen, daß lit. ranka, r. rüku, s. rüku den unverschobenen Akzent haben, der seine alte Stelle im Lit. und Slav. unter dem Einflüsse des Akk. der i- und e«-Stämme behauptet hat, obgleich die Endsilbe »gestoßen« betont war i). Der Verfasser meint, seine Erklärung sei derjenigen vorzuziehen, die den Akk. der o-Stämme dafür verantwortlich macht (Hirt). Es fragt sich nun, auf welchem Wege gelangten Hirt und Vondräk zu der Erkenntnis, daß im Akk. der ä-Stämme im Lit. und Slav. der Akzent verschoben werden mußte. Der Ausgangspunkt beider Gelehrten ist richtig, denn das Gesetz der Akzentverschiebung, das von Saussure fürs Litauische und von Fortunatov fürs Baltisch-slavische unabhängig von einander gefunden und begründet worden ist, kann nicht bezweifelt werden (vgl. weiter unten, wo über Vondräks Auffassung dieses Gesetzes die Eede ist), was aber die weiteren Ausführungen von Hirt und Vondräk betrifft, so sind Muß denn jede »gestoßene« Silbe im Balt.-Slav. dieselben nicht einwandsfrei. auch »gestoßen« bleiben? Lehrt uns nicht vielmehr die vorurteilsfreie Untersuchung, daß auf dem Gebiete der Betonungsverhältnisse der oben genannten Sprachen so manche Umwälzungen stattgefunden haben ? Ehe ich diese Frage zu beantworten suche, mache ich auf folgenden Umstand aufmerksam : dem Beispiele Fortunatovs folgend, ziehe ich vor, von unterbrochener {prerycisfaja doifjota] und fortdauernder Länge [dlitelnaja doff/ofa) zu sprechen, denn auf Grund dieses alten, aus der Ursprache ererbten, Unterschiedes entwickelten später die einzelnen baltischen und slavischen Sprachen sehr verschiedene Betonungsverhältnisse, es wäre also ungenau, von »gestoßenem« und »geschliffenem« Akzent im Balt.-Slav. oder gar im Urindoeurop. zu sprechen. Nicht einmal fürs Litauische sind diese Ausdrücke richtig, da sie ihrer Bedeutung nach den Verhältnissen nicht entsprechen: die gestoßene Betonung ist, was die Tonbewegung betrifft, fallend, während die geschliffene Betonung steigend ist, obgleich in verschiedenen Dialekten das Steigen des Tones nicht auf die gleiche Weise geschieht und der Ton dialektisch sogar fallend-steigend ist (vgl. Kurschats Beschreibung der »geschliffenen« Betonung im Vorwort zum Deutsch-Litauischen Wörterbuch, die wesentlich von seinen Worten über denselben Gegenstand in der Grammatik abweicht). Es ist eine anerkannte Tatsache, daß der Stammauslaut der «-Stämme im Urindogermanischen) fortdauernde Länge (»gestoßenen Akzent«) besaß; daraus folgt, daß ursprünglich kein Unterschied zwischen den Ausgängen 1) Ich halte mich an den Wortlaut der betreffenden Stelle, wo von dem Intonationswechsel unter dem Einfluß des Akk. der i- und ?
Vondräk, Vergleichende slav. Grammatik, angez. von Porzezinski. 421 des Akk. und Instr. sg. vorhanden war, was den ä-Laut selbst betriflFt. Das Lit. aber beweist nur allzugut, daß z. Z. des Aufkommens der Auslautsgesetze im Akk. die Länge unterbrochen war, denn alte fortdauernde Länge wurde gekürzt (ein Nasalvokal wurde dabei nur in einsilbigen hochbetonten Wörtern erhalten), vgl. instr. ranhu, tä (alte Enklitika), andererseits dial. tä aus U'r, yerüja, dial. (jeräja ist wie geröji zu beurteilen). Nun fragt man nach der Ursache solchen Qualitätswechsels der Länge. Darauf gibt Fortunatov eine Antwort, die den Tatsachen gerecht wird. Was diejenigen Leser betrifft, die des Russischen nicht mächtig sind, so kann ich auf seinen Aufsatz in BB., XX, S. 153 flf. verweisen (S.1S5 ff.), dessen er in der Anmerkung 8.40 des XXXVI. B. von KZ. erwähnt. Nach Fortunatov hatte also der Instr. sg. im Indoeuropäischen einen nicht kurzen Nasal, dagegen gab es im Akk. sg. ein -um mit kurzem m. Bei der Gelegenheit, da wir gerade auf die Frage vom Qualitätswechsel der Länge im Balt.-Slav. gekommen sind, mache ich auf S. 00 aufmerksam, wo die Lehre vorgetragen wird, daß lit. gere-ji, was die j>gestoßene Intonation« betrifl't, mit gr. oly.oi, aytx&ol übereinstimmt, indessen lit. takal, durhin den slav. rubi, roci entsprechen sollen; im Lit. also gibt es, nach Vondräk, einen alten Unterschied zwischen substantivisclien und pronominalen auch adjektivischen o-Stämmen, das Slav. hat dagegen auch im Adjekt. ein -i, das alte »geschleifte« Intonation voraussetzt. Die Ansicht, daß lit. gcrU-ji und gr. nyc.- itoi die indoeurop. »gestoßene Intonation« ererbt haben, ist ziemlich verbreitet, aber es fällt nicht schwer, dieselbe zu widerlegen. Wenn man nämlich damit einverstanden ist, daß der Nom. pl. der pronominalen o-Stämme in der Ursprache »gestoßen« betont war (fortdauernde Länge des -ni hatte), so muß man entweder das Gesetz verwerfen, nach dem ein -oi mit unterbrochener Länge im Urslav. schließlich ein -i wurde, oder, wenn man es anerkennt, das slav. -i im Nom. pl. dem lit. -ai gleichsetzen und zu gleicher Zeit diese Endung vom lit. -e trennen. Den ersten Weg hat Hirt gewählt (IF. I, S. 31, Indog. Akz. S. 89, 114) und das lit. -al als Umgestaltung des ursprünglichen *«t nach dem Muster der verdrängten Endung *-ö.s die dieser Form von Haus aus zukam, zu deuten versucht. Dieser Erklärungsversuch ist unhaltbar, denn erstens darf man an dem oben genannten Gesetz nicht zweifeln, wie auch Vondräk S. 59 meint i), und zweitens sehwebt vollkommen in der Luft die Annahme, daß -m den ~ dem Einfluß des verdrängten *-ös verdanke. Wenn man aber fürs Slavische uralte »geschliffene Intonation« (unterbrochene Länge) der Endung N. pl. anerkennt, so bleibt man die Antwort schuldig, warum das litauische -al auf dieselbe Intonation (Länge) zurückweist, während das lit. geil davon abweicht. Im ersten, wie auch im zweiten Falle besteht noch die Schwierigkeit, daß gT.'lGd-fjol, oi'xoi genau dem urslav. ra5e entsprechen 2, 1) Was das Gesetz von Streitberg-)Meillet betrifft, so muß ich hervorheben, daß Fortunatov lange vor 1892 in seinen CoUegieu dasselbe begründet hat, und zwar im vollen Umfang (^'T wurde zu Um Anlaut bei unterbrochener oder oi-ai entstammen). Länge, mag er dem alten e, -) S. til wird angenommen, daß im gr. -ol im Lok. alte »geschliffene In-
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Vondräk, Vergleichende slav. Grammatik, angez. von Porzezinski. 421<br />
des Akk. und Instr. sg. vorhanden war, was den ä-Laut selbst betriflFt. Das<br />
Lit. aber beweist nur allzugut, daß z. Z. des Aufkommens der Auslautsgesetze<br />
im Akk. die Länge unterbrochen war, denn alte fortdauernde Länge wurde<br />
gekürzt (ein Nasalvokal wurde dabei nur in einsilbigen hochbetonten Wörtern<br />
erhalten), vgl. instr. ranhu, tä (alte Enklitika), andererseits dial. tä aus U'r, yerüja,<br />
dial. (jeräja ist wie geröji zu beurteilen). Nun fragt man nach der Ursache<br />
solchen Qualitätswechsels der Länge. Darauf gibt Fortunatov eine Antwort,<br />
die den Tatsachen gerecht wird. Was diejenigen Leser betrifft, die des<br />
Russischen nicht mächtig sind, so kann ich auf seinen Aufsatz in BB., XX,<br />
S. 153 flf. verweisen (S.1S5 ff.), dessen er in der Anmerkung 8.40 des XXXVI. B.<br />
von KZ. erwähnt. Nach Fortunatov hatte also der Instr. sg. im Indoeuropäischen<br />
einen nicht kurzen Nasal, dagegen gab es im Akk. sg. ein -um mit<br />
kurzem m.<br />
Bei der Gelegenheit, da wir gerade auf die Frage vom Qualitätswechsel<br />
der Länge im Balt.-Slav. gekommen sind, mache ich auf S. 00 aufmerksam, wo<br />
die Lehre vorgetragen wird, daß lit. gere-ji, was die j>gestoßene Intonation«<br />
betrifl't, mit gr. oly.oi, aytx&ol übereinstimmt, indessen lit. takal, durhin den<br />
slav. rubi, roci entsprechen sollen; im Lit. also gibt es, nach Vondräk, einen<br />
alten Unterschied zwischen substantivisclien und pronominalen auch adjektivischen<br />
o-Stämmen, das Slav. hat dagegen auch im Adjekt. ein -i, das alte<br />
»geschleifte« Intonation voraussetzt.<br />
Die Ansicht, daß lit. gcrU-ji und gr. nyc.-<br />
itoi die indoeurop. »gestoßene Intonation« ererbt haben, ist ziemlich verbreitet,<br />
aber es fällt nicht schwer, dieselbe zu widerlegen. Wenn man nämlich<br />
damit einverstanden ist, daß der Nom. pl. der pronominalen o-Stämme in der<br />
Ursprache »gestoßen« betont war (fortdauernde Länge des -ni hatte), so muß<br />
man entweder das Gesetz verwerfen, nach dem ein -oi mit unterbrochener<br />
Länge im Urslav. schließlich ein -i wurde, oder, wenn man es anerkennt, das<br />
slav. -i im Nom. pl. dem lit. -ai gleichsetzen und zu gleicher Zeit diese Endung<br />
vom lit. -e trennen. Den ersten Weg hat Hirt gewählt (IF. I, S. 31, Indog.<br />
Akz. S. 89, 114) und das lit. -al als Umgestaltung des ursprünglichen *«t nach<br />
dem Muster der verdrängten Endung *-ö.s die dieser Form von Haus aus zukam,<br />
zu deuten versucht. Dieser Erklärungsversuch ist unhaltbar, denn<br />
erstens darf man an dem oben genannten Gesetz nicht zweifeln, wie auch<br />
Vondräk S. 59 meint i), und zweitens sehwebt vollkommen in der Luft die<br />
Annahme, daß -m den ~ dem Einfluß des verdrängten *-ös verdanke. Wenn<br />
man aber fürs <strong>Slavische</strong> uralte »geschliffene Intonation« (unterbrochene Länge)<br />
der Endung N. pl. anerkennt, so bleibt man die Antwort schuldig, warum das<br />
litauische -al auf dieselbe Intonation (Länge) zurückweist, während das lit.<br />
geil davon abweicht. Im ersten, wie auch im zweiten Falle besteht noch die<br />
Schwierigkeit, daß gT.'lGd-fjol, oi'xoi genau dem urslav. ra5e entsprechen 2,<br />
1) Was das Gesetz von Streitberg-)Meillet betrifft, so muß ich hervorheben,<br />
daß Fortunatov lange vor 1892 in seinen CoUegieu dasselbe begründet<br />
hat, und zwar im vollen Umfang (^'T wurde zu Um Anlaut bei unterbrochener<br />
oder oi-ai entstammen).<br />
Länge, mag er dem alten e,<br />
-) S. til wird angenommen, daß im gr. -ol im Lok. alte »geschliffene In-