Slavische Philologie - Archiv

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294 Iwan Franko, und Dir und Oleg). Wenn man dazu noch Kap. XXIII über Olegs Tod hinzunimmt, so hat man alles, was uns von dieser Sage geblieben ist. Für eine historische Grundlage, für eine wirklich erfolgte Berufung der Varägen nach Rußland gestatten diese Sagenfragmente keine Schlüsse. Kap. XXVIII— XXX, Igors Tod und die Rache der Olga sind ebenfalls eine Sage skandinavischen Ursprungs und keine Geschichte. Eine ebensolche belletristische Umarbeitung, eine Romanze und keine Geschichte ist die Erzählung von dem Besuch Olga's in Konstantinopel (XXXI), was man aus der Vergleichung dieses Kapitels mit dem Zeugnis eines Augenzeugen, Konstantin Porphyrogenet, in seinem Traktat »De Cerimoniis« ersehen kann. Das Kap. XXXUI (Pecenegen vor Kijev) ist ein echtes südrussisches Volkslied im epischen Styl; so, wie es ist, läßt es sich nur mit geringen stilistischen Auslassungen im alten slavischen Versmaß, im 12-silbigen Vers rekonstruieren. Ebenso gewiß ist die Erzählung vom Kriege Svjatoslavs mit den Griechen in Bulgarien sowie sein Tod an den Dnieprschwellen eine Sage, doch keine Geschichte, wie wir ebenfalls aus den entsprechenden Zeugnissen der Chroniken einsehen lernen ^). Außer diesen größeren Bestandteilen haben wir noch eine Reihe loser Notizen von verschiedener Natur. Also Kap. XTV, Absatz 2, die Varäger und Chazaren als Bedrücker der Slaven im Norden und im Süden — eine Kombination des Redakteurs, welcher zu seinem gleich darauf folgenden Sagenfragment eine notdürftige Einleitung brauchte. Kap. XVII, Absatz 3, Notiz über den Tod Ruriks und die Nachfolge Igors — auch eine Kombination des Redakteurs, ohne Quellenwert, um Olegs faktische Herrschaft als eine Regenz im Namen Igors darzustellen. Kap. XIX, Absätze 1, 2, 3, chronistische Notizen (die Chronologie ohne Belang), gewiß auf faktischer Tration begründet. nur Kap. XXI, Absatz 2, Notiz des Redakteurs, mit Ausnahme des Namens der Frau Igors. Kap. XXV, alle Absätze, vermischte Notizen über russische und bulgarische Vorkommnisse— russische und griechisch-bulgarische Brocken (Gründung Adrianopels). Kap. XXVI, zu Ende karge Notiz über die Geburt Svjatoslavs. Kap. XXXII, eine Charakteristik Svjatoslavs und lose Notizen über seine Besiegung der Chazaren, Vjaticen und Bulgaren. letzte Notiz ist eine Kombination des Redakteurs als Einleitung zum Die 1) Siehe die gründliche Analyse bei M. Hrusevskij, Geschichte der Ukraine I, 476—489.

; Beiträge zur Quellenkritik einiger altrussischer Denkmäler. 295 Volkslied über die Pecenegen, um die Abwesenheit des Fürsten in Kijev zu motivieren. Kap. XXXV, genealogisclie Notizen über die Familienverhältnisse Svjatoslavs. Wenn man zu diesen spärlichen Brocken lokaler Tradition in diesem Teile der ältesten Chronik noch die in der ersten Novgoroder Chronik aufbewahrte Notiz darüber hinzufügt, daß Igor die Uglicen bekämpft hat, so haben wir alles faktische, was uns über diese Epoche der russischen Geschichte überliefert ist. Und dies ist verschwindend wenig. Es bleibt uns noch ein Bestandteil dieses Teils der Chronik, nämlich Kap. lU, VII, IX, X, welche ein besonderes Ganzes bilden und noch am ehesten für die Arbeit des Redakteurs der Chronik betrachtet werden können. Es ist eine Probe der allgemeinen Charakteristik der Slaven und ihrer Einwanderung aus dem Lande an der Donau, und dann speziell die Charakteristik der russischen Stämme und ihrer Siedelungen, ihrer Sitten und Gewohnheiten. Es gab eine Zeit, da man diese Kapitel als einen Ausfloß großer Sachkenntnis bewunderte. Heute wissen wir, daß die Theorie von der Einwanderung der Nordslaven von der Donau grundfalsch und die meisten Charakteristiken unseres Chronisten wertlos und von einem poljanischen und christlichen Vorurteil diktiert sind. Die Bemerkungen über die heidnischen Spiele und Tänze zwischen den Dörfern und über die alte, aber nicht mehr primitive Raubehe »wer mit einer sich beraten hat« sind die einzigen interessanten Details dieser ethnologischen Schilderung. Was weiter folgt, Kap. XXXVU bis S. 8 1 (ein Teü des Kap. XLVU, welches hier abschließen sollte, da ja mit den Worten »CßMTonojiK'i. ate ciAe bi> KucBi« nicht nur ein neues Kapitel, sondern ein neues Werk beginnt), ist ein besonderes Ganzes, Versuch einer Kompilation der älteren Legenden und Schriften über Vladimir und die Taufe Rußlands. Zu den Quellen dieser Kompilation gehören auch besonders auf uns gekommene Denkmäler, nämlich 1) eine alte Vita Vladimir!, ursprünglich griechisch, mit chersonesischer Tendenz geschrieben (Vladimir tauft sich im Chersonesus, nimmt von hier Geistliche, unter ihnen seinen Freund Anastasius, Bücher und kirchliche Paramente und Kunstwerke und läßt Rußland eine bedeutende RoUe spielen) die Chersoniten auch in 2) die Legende vom Erproben der verschiedenen Glauben, dem darin interpolierten Sermon des Philosophen, worin eine Übersetzung des griechischen Glaubensbekenntnisses des Michael Synkellos entdeckt

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Beiträge zur Quellenkritik einiger altrussischer Denkmäler. 295<br />

Volkslied über die Pecenegen, um die Abwesenheit des Fürsten in Kijev<br />

zu motivieren.<br />

Kap. XXXV, genealogisclie Notizen über die Familienverhältnisse<br />

Svjatoslavs.<br />

Wenn man zu diesen spärlichen Brocken lokaler<br />

Tradition in diesem Teile der ältesten Chronik noch die in der ersten<br />

Novgoroder Chronik aufbewahrte Notiz darüber hinzufügt,<br />

daß Igor die<br />

Uglicen bekämpft hat, so haben wir alles faktische, was uns über diese<br />

Epoche der russischen Geschichte überliefert ist. Und dies ist verschwindend<br />

wenig.<br />

Es bleibt uns noch ein Bestandteil dieses Teils der Chronik, nämlich<br />

Kap. lU, VII, IX, X, welche ein besonderes Ganzes bilden und noch am<br />

ehesten für die Arbeit des Redakteurs der Chronik betrachtet werden<br />

können. Es ist eine Probe der allgemeinen Charakteristik der Slaven<br />

und ihrer Einwanderung aus dem Lande an der Donau, und dann speziell<br />

die Charakteristik der russischen Stämme und ihrer Siedelungen, ihrer<br />

Sitten und Gewohnheiten. Es gab eine Zeit, da man diese Kapitel als<br />

einen Ausfloß großer Sachkenntnis bewunderte. Heute wissen wir, daß<br />

die Theorie von der Einwanderung der Nordslaven von der Donau grundfalsch<br />

und die<br />

meisten Charakteristiken unseres Chronisten wertlos und<br />

von einem poljanischen und christlichen Vorurteil diktiert sind.<br />

Die Bemerkungen<br />

über die heidnischen Spiele und Tänze zwischen den Dörfern<br />

und über die alte, aber nicht mehr primitive Raubehe »wer mit einer sich<br />

beraten hat« sind die einzigen interessanten Details dieser ethnologischen<br />

Schilderung.<br />

Was weiter folgt, Kap. XXXVU bis S. 8 1 (ein Teü des Kap. XLVU,<br />

welches hier abschließen sollte, da ja mit den Worten »CßMTonojiK'i.<br />

ate ciAe bi> KucBi« nicht nur ein neues Kapitel, sondern ein neues Werk<br />

beginnt), ist ein besonderes Ganzes, Versuch einer Kompilation der älteren<br />

Legenden und Schriften über Vladimir und die Taufe Rußlands.<br />

Zu den<br />

Quellen dieser Kompilation gehören auch besonders auf uns gekommene<br />

Denkmäler, nämlich<br />

1) eine alte Vita Vladimir!, ursprünglich griechisch, mit chersonesischer<br />

Tendenz geschrieben (Vladimir tauft sich im Chersonesus, nimmt<br />

von hier Geistliche, unter ihnen seinen Freund Anastasius, Bücher und<br />

kirchliche Paramente und Kunstwerke und läßt<br />

Rußland eine bedeutende RoUe spielen)<br />

die Chersoniten auch in<br />

2) die Legende vom Erproben der verschiedenen Glauben, dem darin<br />

interpolierten Sermon des Philosophen, worin eine Übersetzung des<br />

griechischen Glaubensbekenntnisses des Michael Synkellos entdeckt

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