Slavische Philologie - Archiv
290 Iwan Franko, und verschwanden. Und man sah, wie der Mantel in die Höhe der Luft emporfuhr, bis er verschwand, und nach einer längeren Zeit fiel der Mantel von oben auf den Boden. Da sprach der Greis zu dem Verführten: »Siehst du, Sinnloser und Elender, was sie mit deinem Mantel gemacht haben? Ebenso hätten sie es auch mit dir gemacht: wie den Simon Magus hätten sie dich in die Luft emporgetragen und dann fallen gelassen, damit du zerschellest und im Bösen deine geblendete Seele verlierest.« Dann rief der selige Greis die Mönche und hieß sie die Leiter herbeitragen, führte den Verblendeten herab und befahl ihm, in der Küche und in der Bäckerei und in anderen klösterlichen Arbeiten dienstbar zu sein, damit seine Gedanken demütig werden. Seht ihr die Ränke der bösen Dämonen? Seht ihr, welche Feinde wir haben? Laßt uns also auf uns selbst Acht geben und unsere Herzen streng bewahren und die von ihnen dargebotenen Gedanken nicht annehmen und an den Tod und ewige Qualen denken. Diese überwinden wir mit Fasten und Wachen und Gebeten und bitten Gott mit demütigem Herzen, daß er uns vor den Netzen des Bösen bewahre.« Vergleicht man diese Erzählung, welche bereits im IX. Jahrh. in griechischer Form existieren mußte, mit der Erzählung in dem Kijever Paterikon, so wird uns ihre Übertragung und Umarbeitung in der Kijever Kompilation ohne weiteres klar, und die Hypothese des H. Barae verliert jeglichen Grund. Diese Legende gehört zum Cyklus jener Erzählungen des Kijever Paterikon, welche nach sehr richtigen Darlegungen des Akad. Sachmatov der alten ausführlichen, noch im XIV. Jahrh. bekannten, seither aber verlorenen Vita Antonii entnommen wui'den, wo die Anfänge des russischen Mönchtums »auf Grund der griechischen Traditionen« dargestellt wurden. Wir haben im Paterikon noch eine Erzählung, deren Provenienz nicht auf den südrussischeu, desto weniger auf den Kijever, sondern auf griechischen, vor allem chersonnesschen Grund hinweist. Es ist die bekannte Legende von dem Höhlenmönche Eustratius, welcher, von den Polovzen mit anderen gefangen genommen, einem Juden verkauft wurde. Derselbe wollte alle Christen zum Judentum bekehren, als sie sich aber weigerten, gab er ihnen nichts zu essen. Eustratius, von Jugend an ans Fasten gewöhnt, ermahnte sie, standhaft zu sein und das Fasten nicht zu fürchten. Richtig starben auch alle in einigen Wochen vor Hunger, nur Eustratius allein blieb am Leben. Der Jude
i Gleb « Beiträge zur Quellenkritik einiger altrussischer Denkmäler. 291 nagelte ihn ans Kreuz, und als er auch da noch drei Tage lebte und von einem Übertritt zum Judentum nichts hören wollte, durchstach er ihm mit dem Spieß das Herz. Wir besitzen diese Erzählung in zwei Redaktionen, deren eine, primitivere und ausdrücklich auf Chersonnesus weisende, im Paterikon, die andere, in Kijev lokalisierte, in alten Prologen sich findet. Die Legende verdient eine spezielle Forschung. Daß auch andere Legenden des Kijever Paterikons gar keine Produkte einheimischer Tradition, sondern fremden Quellen entlehnt sind, dies unterliegt für mich keinem Zweifel. Ich nenne hier noch die schöne Erzählung »Über Johannes und Sergius ein außergewöhnliches Wunder. Es sind zwei große Freunde, beim Sterben übergibt einer dem anderen einen Schatz, welchen er seinem Sohne, sobald er das Mannesalter erreicht haben wird, einhändigen soll; der Sohn erreicht das Alter und fordert vom Freunde seines Vaters sein Erbe, dieser aber leugnet die Existenz des Schatzes. Nun fordert der Sohn ihn auf, seine Behauptung in der Höhlenkirche durch einen feierlichen Eid zu beki'äftigen ; der Alte schwört und wird gleich darauf von den Dämonen weggeführt, nachdem er noch den wirklichen Verbleib des Schatzes bestätigt hatte. Diese, in den mittelalterlichen Predigten und Promptuaii'en von Westeuropa ziemlich verbreitete und variierte Erzählung habe ich, so viel mir erinnerlich, bei dem griechischen Schriftsteller Pausanias in seiner »Beschreibung Griechenlands« gelesen, habe aber augenblicklich das Citat nicht bei der Hand. Jedenfalls verlohnt es sich der Mühe, die Legenden des Kijever Paterikon auf ihre hagiographischen und folkloristischen Quellen hin zu untersuchen, ehe man sie als lokale Produkte und als historische Quellen für die Verhältnisse Altrußlands gelten läßt. II. Die Komposition der ältesten Chronik. Im XIX. Bde. des Archiv für sl. Philologie haben wir den Artikel Eugen bcepkins »Zur Nestorfrage« gelesen, welcher leider darüber, was in Europa unter »Nestor« verstanden wird, keinen genügenden Aufschluß gibt. In Europa, vom alten Schlözer angefangen bis aufMiklosich und Louis Leger, versteht man unter Nestor die älteste Kijever Chronik. Die russische Kritik hat gründlich nachgewiesen, daß der Mönch Nestor mit dieser Chronik gar nichts gemeinsames hat, daß wir von ihm nur als vom Verfasser zweier hagiographischen Werke, der Passio des Boris und sowie der Vita des Theodosius, reden können, daß er also ins 19*
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290 Iwan Franko,<br />
und verschwanden.<br />
Und man sah, wie der Mantel in die Höhe der Luft<br />
emporfuhr, bis er verschwand, und nach einer längeren Zeit fiel der<br />
Mantel von oben auf den Boden. Da sprach der Greis zu dem Verführten:<br />
»Siehst du, Sinnloser und Elender, was sie mit deinem Mantel<br />
gemacht haben? Ebenso hätten sie es auch mit dir gemacht: wie den<br />
Simon Magus hätten sie dich in die Luft emporgetragen und dann fallen<br />
gelassen, damit du zerschellest und im Bösen deine geblendete Seele<br />
verlierest.«<br />
Dann rief der selige Greis die Mönche und hieß sie die Leiter<br />
herbeitragen, führte den Verblendeten herab und befahl ihm, in der Küche<br />
und in der Bäckerei und in anderen klösterlichen Arbeiten dienstbar zu<br />
sein, damit seine Gedanken demütig werden.<br />
Seht ihr die Ränke der bösen Dämonen? Seht ihr, welche Feinde<br />
wir haben? Laßt uns also auf uns selbst Acht geben und unsere Herzen<br />
streng bewahren und die von ihnen dargebotenen Gedanken nicht annehmen<br />
und an den Tod und ewige Qualen denken. Diese überwinden<br />
wir mit Fasten und Wachen und Gebeten und bitten Gott mit demütigem<br />
Herzen, daß er uns vor den Netzen des Bösen bewahre.«<br />
Vergleicht man diese Erzählung, welche bereits im IX. Jahrh. in<br />
griechischer Form existieren mußte, mit der Erzählung in dem Kijever<br />
Paterikon, so wird uns ihre Übertragung und Umarbeitung in der Kijever<br />
Kompilation ohne weiteres klar, und die Hypothese des H. Barae verliert<br />
jeglichen Grund.<br />
Diese Legende gehört zum Cyklus jener Erzählungen des Kijever<br />
Paterikon, welche nach sehr richtigen Darlegungen des Akad. Sachmatov<br />
der alten ausführlichen, noch im XIV. Jahrh. bekannten, seither aber<br />
verlorenen Vita Antonii entnommen wui'den, wo die Anfänge des<br />
russischen Mönchtums »auf Grund der griechischen Traditionen« dargestellt<br />
wurden. Wir haben im Paterikon noch eine Erzählung, deren<br />
Provenienz nicht auf den südrussischeu, desto weniger auf den Kijever,<br />
sondern auf griechischen, vor allem chersonnesschen Grund hinweist.<br />
Es ist die bekannte Legende von dem Höhlenmönche Eustratius,<br />
welcher, von den Polovzen mit anderen gefangen genommen, einem Juden<br />
verkauft wurde. Derselbe wollte alle Christen zum Judentum bekehren,<br />
als sie sich aber weigerten, gab er ihnen nichts zu essen. Eustratius,<br />
von Jugend an ans Fasten gewöhnt, ermahnte sie, standhaft zu sein und<br />
das Fasten nicht zu fürchten. Richtig starben auch alle in einigen<br />
Wochen vor Hunger, nur Eustratius allein blieb am Leben. Der Jude