Slavische Philologie - Archiv

23.02.2018 Aufrufe

124 Kritischer Anzeiger. nalen Lieder (religiöse) neben ihnen gab, sie allein somit die Erregung und Anspannung des Gefühles auslösten. Kyrie eleison hat ja ebensowenig etwas vom Morden an sich und doch ist es auch Kriegsruf gewesen! Es wäre ganz falsch, in dem Liede wegen dieser seiner Geltung irgend etwas besonderes, eine Kriegerrolle der Jungfrau und des heil. Johannes, suchen zu wollen, wie gefaselt wurde. Man könnte sich z.B. gleich auch über die Nominative Bogurodzica dziewica, statt der zu erwartenden Vokative wundern, aber darum ist der Verfasser des Liedes noch kein Großrusse gewesen: er wollte Maria, die lateinische Form, behalten, er ging ja der volkstümlichen absichtlich aus dem Wege — diese lautete 3Iarza, Pirzwa swi^ta Marza nannte das Volk noch im XV. Jahrh. den Tag Maria Himmelfahrt, stvirta Marza heißen noch heute Orte (mit Marienkirchen), Marza auch Marienblumen ; einem Bogurodzice dzieivice hätte ja auch ein Marije entsprochen und das mied er eben — den Vokativ brauchte er in jnatko dagegen; ein spätererDichter fand hier keinen Anstoß und verband ruhig 3Iaria dzieivice. In Bogu rodzica ferner und Bogiem slawiena wählte derselbe Verfasser absichtlich je zwei Worte, statt je eines: Bogorodzica und bogosiawie7ia (oder hiogosia-cieyia, benedicta; beide Ausdrücke wechselten mit einander noch im XVL Jahrh.) ; -ie7ia kommt auch anderswo vor. Wir sehen somit überall deutliche Beweise des hohen Alters des Liedes, siawiena und zwolena ist es ebenso wie dziela und Bozyc, und über die Behauptung von Nejedly z. B., daß das Lied erst aus dem Anfange des XV. Jahrh. stamme, daß die Polen im XIIL und XIV. kein eigenes nationales besessen hätten, gehen wir einfach zur Tagesordnung über. Die Arbeit von Aleks. Polinski, Piesii Bogarodzica pod wzgledem muzycznym, Warschau 1903 und deren bitterböse Kritik im Warschauer Lutnista 1906, Nr. 1, 4, 5, von einem jungen Musikhistoriker, Adolf Chybinski (Z badan nad »Bogurodzica«), übergehen wir, weil sie nur die Melodie betrifft und der Kritiker sich speziell über ungenaue Terminologie, Verwechslungen, Irrtümer ausließ, was im einzelnen auch schon Prof. Dr. J. Fijalek getan hat. Fijaiek ist unter allen polnischen Kirchenhistorikern der rührigste, unparteiischeste, von großem Wissen, eine gewandte Feder zugleich; als Geistlicher gerade die Seiten, z. B. die liturgische betonend, die uns Philologen fremd sind. In einer gediegenen Abhandlung »Bogurodzica« im Lemberger Pami^tnik Literacki II, 1903, S. 1—27, 163—191, 353—378, bespricht er zuerst die Geschichte des Liedes nach seinen drei Phasen, der vorhistorischen, der historischen oder Blütezeit und dem Verfall; die Geschichte der Forschung; die nationale Sprache in der lateinischen Liturgie der polnischen Kirche (bis zum Tridentinum); Ursprung und Anwendung polnischer Kirchenlieder, speziell der Oster- und Marienlieder. Bei der groß angelegten Arbeit, die überall auf die letzten Anfänge zurückspürt, fällt vieles auch für andere Fragen ab; so hat z.B. Fijalek erst die einwandsfreie Erklärung der Worte in dem Briefe der Lothringerin an König Mieszka II. (cum in propria et in latina Deum digne venerari posses, graecam super addere maluisti), die noch Saczesniak vergebens gesucht hat, obwohl Dr. K i d r i c (Archiv XXVIII, 621) sich mit dessen Ausführungen zufrieden erklärte; Szcz§sniak nahm ja an

Bogurodzica, angez. von Brückner. 125 (S. 163), daß es Mieszka allein war, der die drei Sprachen kannte. Richtiger deutet es Fijalek, daß Mieszka, d. i. seine Kirche, Gott in zwei Sprachen pries, lateinisch und polnisch (Credo u.s.w. waren ja polnisch vorhanden, wurden dem Volke in der Kirche gelehrt), und dazu (superaddere) nahm seine Kirche noch griechische Antiphonen und Akklamationen in der Liturgie auf, das ist etwa das Kyrie, Gloria, namentlich aber das Trisagion, das ja noch heute beim Volke (übersetzt) fortlebt; er vergleicht passend die griechischen Worte des Prager Klerikers beim Leichenbegängnis des Brecislav (ischiros u.s.w. bei Cosmas). Er erklärt weiter u. a., warum peti für das dicere der Gebete gebraucht wird; erklärt die Herkunft und Bedeutung der alten Osterlieder: Chi'ystus zmartwych wstal je-[st) und Przez twe swiete zmartwychwstanie; erklärt die weiteren Strophen der Bogurodzica, die suffragia de patronis namentlich u. a. Allerdings kommen die beiden ersten Strophen, um die es uns sich namentlich handelt, weniger zu ihrem Rechte; außerdem möchte ich fragen, ob die Rolle der Volkssprache (in der Liturgie) nicht etwas allzu optimistisch aufgefaßt wird. Vergebens suchte ich hier Erwähnung von Sachen, die doch Nejedly anführt, z. B. ein Verbot an die Laien aus dem IX. Jahrh. (Harzheim, concil. germ. IL 500), si quis cantare desideret, Kyrie Eleison cantet; das Baseler Konzil u. a. sin aliter, omnino taceat; das Verbot der »Volkslieder« durch Dafür ist sehr richtig die einseitige Ableitung polnischer Kirchenlieder aus böhmischen abgelehnt. Dem Verfasser handelt es sich vor allem darum, den Hintergrund zu zeichnen, von dem sich die Bogurodzica abheben sollte. Dagegen muß ich die Arbeiten von Prof. Wilhelm Bruchnalski vorläufig ausschalten: er gab nämlich bisher nur einen Vorbericht darüber (in den Sitzungsberichten der Krakauer Akademie), und eine knappe, populäre Darstellung in dem Sammelwerke Ksiega pamiatkowa Maryauska 1905, hat aber sein Beweismaterial nicht veröffentlicht. Während wir die Bogurodzica nur auf die zwei ersten Strophen beschränken und die weiteren Strophen (eines Osterliedes) erst spät hinzukommen lassen (wie dies geschehen konnte, ja nicht durch bloßen Zufall, deutete Fijalek an), ist ihm gerade die weiteste Fassung des Liedes die ursprünglichste, sieht er darin ein Krakauer Franziskanerlied an alle Heiligen aus dem XIV. Jahrh. : gegen die Annahme eines derartigen, besonderen Liedes hatte sich schon Fijalek S. 378 gewendet. Ich lehne diese, dem allerausgeprägtesten Ostercharakter von Strophe 3 und folg. widerstreitenden Aufstellungen völlig ab, aber ich vermag sie nicht zu bekämpfen, so lange ihre eingehende Begründung nicht nachgeliefert ist — ich lasse somit diesen Punkt vorläufig offen. Der Arbeit von Prof Korneli Heck habe ich bereits Archiv XXVIII, S. 550 gedacht; ich füge nur hinzu, daß ich die Datierung und Entstehung der zwei ersten Strophen (nach 1350 um Gnesen, wegen der ältesten Erwähnungen und Texte auf großpolnischem Boden), sowie die Erklärung der folgenden Strophen, ihres Zusammenhanges, Aufeinanderfolge, Textes als völlig verfehlt ablehne. Ich hebe aus diesen folgenden Strophen (des Osterliedes) zuerst ein unicum hervor: die Behandlung des heiligen Stoffes ganz nach der polnischen staatlichen Terminologie des XIV. Jahrh. ; es wird nämlich gesprochen

Bogurodzica, angez. von Brückner. 125<br />

(S. 163), daß es Mieszka allein war, der die drei Sprachen kannte. Richtiger<br />

deutet es Fijalek, daß Mieszka, d. i. seine Kirche, Gott in zwei Sprachen<br />

pries, lateinisch und polnisch (Credo u.s.w. waren ja polnisch vorhanden,<br />

wurden dem Volke in der Kirche gelehrt), und dazu (superaddere) nahm<br />

seine Kirche noch griechische Antiphonen und Akklamationen in der Liturgie<br />

auf, das ist etwa das Kyrie, Gloria, namentlich aber das Trisagion, das ja<br />

noch heute beim Volke (übersetzt) fortlebt;<br />

er vergleicht passend die griechischen<br />

Worte des Prager Klerikers beim Leichenbegängnis des Brecislav<br />

(ischiros u.s.w. bei Cosmas). Er erklärt weiter u. a., warum peti für das dicere<br />

der Gebete gebraucht wird; erklärt die Herkunft und Bedeutung der alten<br />

Osterlieder: Chi'ystus zmartwych wstal je-[st) und Przez twe swiete zmartwychwstanie;<br />

erklärt die weiteren Strophen der Bogurodzica, die suffragia de patronis<br />

namentlich u. a. Allerdings kommen die beiden ersten Strophen, um<br />

die es uns sich namentlich handelt, weniger zu ihrem Rechte; außerdem<br />

möchte ich fragen, ob die Rolle der Volkssprache (in der Liturgie) nicht etwas<br />

allzu optimistisch aufgefaßt wird. Vergebens suchte ich hier Erwähnung von<br />

Sachen, die doch Nejedly anführt, z. B. ein Verbot an die Laien aus dem<br />

IX. Jahrh. (Harzheim, concil. germ. IL 500), si quis cantare desideret, Kyrie<br />

Eleison cantet;<br />

das Baseler Konzil u. a.<br />

sin aliter, omnino taceat; das Verbot der »Volkslieder« durch<br />

Dafür ist sehr richtig die einseitige Ableitung polnischer<br />

Kirchenlieder aus böhmischen abgelehnt. Dem Verfasser handelt es<br />

sich vor allem darum, den Hintergrund zu zeichnen, von dem sich die Bogurodzica<br />

abheben sollte.<br />

Dagegen muß ich die Arbeiten von Prof. Wilhelm Bruchnalski vorläufig<br />

ausschalten: er gab nämlich bisher nur einen Vorbericht darüber (in<br />

den Sitzungsberichten der Krakauer Akademie), und eine knappe, populäre<br />

Darstellung in dem Sammelwerke Ksiega pamiatkowa Maryauska 1905, hat<br />

aber sein Beweismaterial nicht veröffentlicht. Während wir die Bogurodzica<br />

nur auf die zwei ersten Strophen beschränken und die weiteren Strophen<br />

(eines Osterliedes) erst spät hinzukommen lassen (wie dies geschehen konnte,<br />

ja nicht durch bloßen Zufall, deutete Fijalek an), ist ihm gerade die weiteste<br />

Fassung des Liedes die ursprünglichste, sieht er darin ein Krakauer Franziskanerlied<br />

an alle Heiligen aus dem XIV. Jahrh. : gegen die Annahme eines<br />

derartigen, besonderen Liedes hatte sich schon Fijalek S. 378 gewendet. Ich<br />

lehne diese, dem allerausgeprägtesten Ostercharakter von Strophe 3 und folg.<br />

widerstreitenden Aufstellungen völlig ab, aber ich vermag sie nicht zu bekämpfen,<br />

so lange ihre eingehende Begründung nicht nachgeliefert ist — ich<br />

lasse somit diesen Punkt vorläufig offen.<br />

Der Arbeit von Prof Korneli Heck habe ich bereits <strong>Archiv</strong> XXVIII,<br />

S. 550 gedacht; ich füge nur hinzu, daß ich die Datierung und Entstehung der<br />

zwei ersten Strophen (nach 1350 um Gnesen, wegen der ältesten Erwähnungen<br />

und Texte auf großpolnischem Boden), sowie die Erklärung der folgenden<br />

Strophen, ihres Zusammenhanges, Aufeinanderfolge, Textes als völlig verfehlt<br />

ablehne.<br />

Ich hebe aus diesen folgenden Strophen (des Osterliedes) zuerst<br />

ein unicum hervor: die Behandlung des heiligen Stoffes ganz nach der polnischen<br />

staatlichen Terminologie des XIV. Jahrh. ; es wird nämlich gesprochen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!