02 Übertherapie - Erbkrankheit der Intensivmedizin

18.02.2018 Aufrufe

Übertherapie in der Intensivmedizin die überhöhte Ernährung insbesondere in der instabilen Frühphase der Erkrankung, was ebenfalls mit schwerwiegenden Komplikationen verbunden ist. Eine grundsätzliche Abkehr von überkommenen Traditionen hat die Erkenntnis gebracht, dass die übliche Praxis der Infusionstherapie mit einer inadäquat hohen Volumenzufuhr verbunden ist. Eine Volumenüberladung hat multiple negative Auswirkungen auf den Patienten, verstärkt das Risiko für ein Multiorgan-Dysfunktionssyndrom, ein „Polykompartment-Syndrom“. Einen hohen Anteil dabei haben versteckte und unbewusste Infusionen, wie für das Offenhalten von Schläuchen und für die Medikamentengabe (van Regenmortel L; Intensive Care Med 2018; e-pub). Entscheidend dabei ist insbesondere auch die überhöhte Natriumzufuhr. Ziel muss sein, das Infusionsvolumen und die Natriumzufuhr nach der initialen Kreislaufstabilisierung zu begrenzen. Eine nicht-indizierte, inadäquate oder zu lang dauernde Antibiotikatherapie verursacht nicht nur Kosten, führt zur Ausbildung von (Multi-) Resistenzen und ist auch mit schwerwiegenden Komplikationen, wie von Clostridium difficile-Infektionen verbunden. Gerade bei technologisch aufwendigen und eingreifenden Verfahren müssen sich Ärzte fragen, welche Patienten tatsächlich von einem derartigen Verfahren profitieren können. Ein Beispiel dafür ist die dramatische Zunahme des Einsatzes von extrakorporalen Herz-Kreislauf- und Lungen-Unterstützungs- bzw. Ersatzverfahren, wie ECLS, ECMO oder auch die extrakorporale CO 2 -Elimination, obwohl für die meisten Indikationen bislang für diese Verfahren kein Überlebensvorteil nachgewiesen worden ist. Vielfach bilden diese Verfahren keine „bridge to recovery“, sondern eher eine „bridge to nowhere“. Der weitaus wichtigste Aspekt der Übertherapie betrifft aber das Lebensende, wenn Therapien ohne therapeutische Perspektive und ohne weiter bestehende Indikation weitergeführt, das Leiden und Sterben eines Patienten prolongiert wird. Es kann und darf nicht das Ziel der Notfall- und Intensivmedizin sein, schwerst-behinderte Patienten, wie apallische Syndrome oder Pflegefälle zu produzieren; oder wie Wischmayr sagt: „We should produce survivors not victims“ (Wischmeyer SJ; Critical Care 2015; 19 Suppl 3:S6). Ursachen der Übertherapie Die Ursachen der Übertherapie sind vielfältig. Sie betreffen die Psychologie des Machens, tun ist leichter als nichts tun, das liegt in der Natur des Menschen. Nichtstun wird oft als Hilflosigkeit, als Scheitern empfunden. Gerade bei apparativ aufwendigen Therapien unterliegen Ärzte oft einem therapeutischen und/oder technologischen Imperativ. Übertherapie hat aber auch etwas mit therapeutischer Unsicherheit zu tun, mit dem Festhalten an überkommenen Traditionen, Zeitmangel, Mangel an Information, dem Fehlen einer problembasierten Aus- und Weiterbildung und mit Unwissenheit. Man muss eben „viel wissen, um wenig zu tun“. Übertherapie ist oft auch eine „defensive“ Medizin, eine Sicherheitsmedizin, aus Angst, etwas falsch zu machen und aus Angst vor dem Richter. Die von manchen Psychologen bei jüngeren Generationen beschriebene Abnahme der Bereitschaft, Entscheidungen zu fällen, trägt zu dieser „Vorsichts kultur“ bei. Prognostische Unsicherheit, die oft schwierige Entscheidung, ob ein Therapieziel tatsächlich noch erreicht werden kann, die nicht immer klare Grenzlinie, ob eine Indikation noch weiter besteht, der Automatismus des Weitermachens („wir können doch nicht aufhören, wir haben schon so viel getan“) tragen zur Übertherapie am Ende des Lebens bei. Wenn auch die ökonomischen Interessen als Ursache der Übertherapie nicht so dramatisch sind, wie in der sonstigen Medizin, wird dieser Aspekt auch in der Intensivmedizin immer bedeutender. Invasive, technische Leistungen, wie Beatmung, Nierenersatzverfahren oder ECMO können attraktiv abgerechnet werden, sodass Kranken- Nr. 1, 2018 7

Übertherapie in der Intensivmedizin hausträger an voll ausgelasteten, möglichst „aktiven“ Intensivabteilungen interessiert sind. Übertherapie: Ein grundsätzliches ethisches Problem Übertherapie missachtet alle Grundprinzipien der medizinischen Ethik. Sie verletzt die Autonomie und Würde des Patienten, indem ihm unangemessene Therapien zugemutet werden, den Grundsatz der „Benefizienz“, da definitionsgemäß eben nicht-indizierte Maßnahmen („non-benficial therapy“) vorgenommen werden. Sinnlose Therapien verursachen Belastungen, Schmerzen und unnötige Komplikationen für den Patienten, was dem Grundsatz des „Nicht-Schadens“ widerspricht, ist eine Missachtung der Würde des Sterbens. Übertherapie schließlich schädigt das öffentliche Gesundheitssystem und die Gesellschaft insgesamt, widerspricht der Verteilungsgerechtigkeit und stellt eine Vergeudung prinzipiell beschränkter Ressourcen dar. „Kollateralschäden“ 8 Wenn auf einer Intensivstation häufig eine Übertherapie praktiziert wird, hat dies schwerwiegende Konsequenzen für das Behandlungsteam selbst. Eine Übertherapie führt bei den Mitarbeitern zum „Moral Distress“, zu einer emotionalen Belastung, Gewissensnot, zum Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns (Schwarzkopf D, Crit Care Med 2017; 45:e265; Intensiv-News 2017; Heft 5). Folgen sind eine beeinträchtigte Patientenversorgung, eine Häufung von Burnout und erhöhte Fluktuation des Personals. Nicht zu vergessen ist das Leid der Angehörigen. Verschiedene Studien haben über einen erschreckend hohen Anteil von Angehörigen mit posttraumatischem Stress-Syndrom nach Intensivaufenthalt berichtet (Cameron JI; N Engl J Med 2016; 374:1831). Länge des Aufenthaltes, Schweregrad der Interventionen, mangelnde Kommunikation mit den Angehörigen, Abwälzung von Entscheidungen auf Familienangehörige verstärken diese negativen Folgen (Azoulay E, Am J Resp Crit Care Med 2005; 151:987). „Choosing wisely“ – „Klug entscheiden“ Das Problem Übertherapie/Überversorgung hat schon vor einigen Jahren in den USA zur Initiative „Choosing wisely“ geführt, wobei von 70 verschiedenen Fachgesellschaften jeweils fünf Maßnahmen definiert wurden, wo eine Überversorgung vermieden werden soll (www.choosingwisely.com). Für die Intensivmedizin wurde folgendes definiert: 1. die Reduktion der Labordiagnostik, 2. die Beschränkung der Bluttransfusionen, 3. der Verzicht auf eine parenterale Ernährung in den ersten sieben Tagen, 4. eine Reduktion der Sedierung und schließlich 5. der Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen bei Patienten mit hohem Risiko des Versterbens oder der Gefahr der hochgradigen funktionellen Einschränkung (Halpern SD, Am J Resp Crit Care Med 2014; 190:818). Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin hat sich dieser Initiative unter dem Titel „Klug entscheiden“ angelehnt, allerdings unter einer anderen Schwerpunktsetzung, die sich neben der Übertherapie auch auf die Unterversorgung und auch allgemeine Therapieempfehlungen bezieht. Für die Intensivmedizin wurden neben fünf Positivempfehlungen fünf Negativ empfehlungen ausgesprochen, die die Reduktion von Transfusionen, die Beschränkung der Sedierung, den Verzicht auf den ZVD zur Steuerung der Volumentherapie, die Limitierung der Antibiotikatherapie und schließlich den Verzicht auf künstliche Kolloide beziehen (siehe Riessen R; Intensiv-News 2017; Heft 5). Schlussbemerkungen Übertherapie ist ein universelles Problem der Medizin und auch der Intensivmedizin. Übertherapie ist kein Kavaliersdelikt, missachtet alle Grundprinzipien der Bioethik, ist ein Betrug an der Gesellschaft. Übertherapie am Ende des Lebens steigert Schmerz und das Leiden der Patienten, verlängert das Sterben, verletzt seine Individualität und die Würde des Todes. Übertherapie hat schwerwiegende Folgen auch für die Angehörigen und auch das Behandlungsteam. Zunehmend wird Übertherapie auch von der Gesellschaft, den Patienten und Angehörigen nicht mehr akzeptiert. Übertherapie hat auch juridische Implikationen, erste Prozesse wegen Verursachung von Leid und ungerechtfertigter Leidensverlängerung sind anhängig geworden. Übertherapie hat auch die Wahrnehmung der modernen Intensivmedizin in der Öffentlichkeit massiv beschädigt, zu ihrem Ruf als rücksichtslose, auf den individuellen Patienten nicht eingeh ende, „seelenlose Apparatemedizin“ beigetragen. Die Verminderung und Vermeidung von Übertherapie muss einen kontinuierlichen Prozess, ein wesentliches Element des Qualitätsmanagements darstellen. Dies erfordert eine offene intra- und interprofessionelle Kommunikation, ist Ausdruck positiver „Stationskultur“. Wir alle sind gefordert, permanent daran mitzuarbeiten. Interessenkonflikte: Habe auch Übertherapie begangen. Prof. Dr. Wilfred Druml Abteilung für Nephrologie Medizinische Universität Wien wilfred.druml@meduniwien.ac.at Nr. 1, 2018

<strong>Übertherapie</strong> in <strong>der</strong> <strong>Intensivmedizin</strong><br />

die überhöhte Ernährung insbeson<strong>der</strong>e<br />

in <strong>der</strong> instabilen Frühphase <strong>der</strong> Erkrankung,<br />

was ebenfalls mit schwerwiegenden<br />

Komplikationen verbunden ist.<br />

Eine grundsätzliche Abkehr von überkommenen<br />

Traditionen hat die Erkenntnis<br />

gebracht, dass die übliche<br />

Praxis <strong>der</strong> Infusionstherapie mit einer<br />

inadäquat hohen Volumenzufuhr verbunden<br />

ist. Eine Volumenüberladung<br />

hat multiple negative Auswirkungen auf<br />

den Patienten, verstärkt das Risiko für<br />

ein Multiorgan-Dysfunktionssyndrom,<br />

ein „Polykompartment-Syndrom“.<br />

Einen hohen Anteil dabei haben versteckte<br />

und unbewusste Infusionen, wie<br />

für das Offenhalten von Schläuchen<br />

und für die Medikamentengabe (van<br />

Regenmortel L; Intensive Care Med 2018;<br />

e-pub). Entscheidend dabei ist insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch die überhöhte Natriumzufuhr.<br />

Ziel muss sein, das Infusionsvolumen<br />

und die Natriumzufuhr nach<br />

<strong>der</strong> initialen Kreislaufstabilisierung zu<br />

begrenzen.<br />

Eine nicht-indizierte, inadäquate o<strong>der</strong><br />

zu lang dauernde Antibiotikatherapie<br />

verursacht nicht nur Kosten, führt<br />

zur Ausbildung von (Multi-) Resistenzen<br />

und ist auch mit schwerwiegenden<br />

Komplikationen, wie von Clostridium<br />

difficile-Infektionen verbunden.<br />

Gerade bei technologisch aufwendigen<br />

und eingreifenden Verfahren müssen<br />

sich Ärzte fragen, welche Patienten<br />

tatsächlich von einem <strong>der</strong>artigen Verfahren<br />

profitieren können. Ein Beispiel<br />

dafür ist die dramatische Zunahme<br />

des Einsatzes von extrakorporalen<br />

Herz-Kreislauf- und Lungen-Unterstützungs-<br />

bzw. Ersatzverfahren, wie<br />

ECLS, ECMO o<strong>der</strong> auch die extrakorporale<br />

CO 2 -Elimination, obwohl<br />

für die meisten Indikationen bislang für<br />

diese Verfahren kein Überlebensvorteil<br />

nachgewiesen worden ist. Vielfach bilden<br />

diese Verfahren keine „bridge to<br />

recovery“, son<strong>der</strong>n eher eine „bridge to<br />

nowhere“.<br />

Der weitaus wichtigste Aspekt <strong>der</strong><br />

<strong>Übertherapie</strong> betrifft aber das Lebensende,<br />

wenn Therapien ohne therapeutische<br />

Perspektive und ohne weiter bestehende<br />

Indikation weitergeführt, das<br />

Leiden und Sterben eines Patienten<br />

prolongiert wird.<br />

Es kann und darf nicht das Ziel <strong>der</strong><br />

Notfall- und <strong>Intensivmedizin</strong> sein,<br />

schwerst-behin<strong>der</strong>te Patienten, wie<br />

apallische Syndrome o<strong>der</strong> Pflegefälle<br />

zu produzieren; o<strong>der</strong> wie Wischmayr<br />

sagt: „We should produce survivors not<br />

victims“ (Wischmeyer SJ; Critical Care<br />

2015; 19 Suppl 3:S6).<br />

Ursachen <strong>der</strong> <strong>Übertherapie</strong><br />

Die Ursachen <strong>der</strong> <strong>Übertherapie</strong> sind<br />

vielfältig. Sie betreffen die Psychologie<br />

des Machens, tun ist leichter als<br />

nichts tun, das liegt in <strong>der</strong> Natur des<br />

Menschen. Nichtstun wird oft als Hilflosigkeit,<br />

als Scheitern empfunden. Gerade<br />

bei apparativ aufwendigen Therapien<br />

unterliegen Ärzte oft einem therapeutischen<br />

und/o<strong>der</strong> technologischen<br />

Imperativ.<br />

<strong>Übertherapie</strong> hat aber auch etwas mit<br />

therapeutischer Unsicherheit zu tun,<br />

mit dem Festhalten an überkommenen<br />

Traditionen, Zeitmangel, Mangel<br />

an Information, dem Fehlen einer problembasierten<br />

Aus- und Weiterbildung<br />

und mit Unwissenheit. Man muss eben<br />

„viel wissen, um wenig zu tun“.<br />

<strong>Übertherapie</strong> ist oft auch eine „defensive“<br />

Medizin, eine Sicherheitsmedizin,<br />

aus Angst, etwas falsch zu machen<br />

und aus Angst vor dem Richter. Die von<br />

manchen Psychologen bei jüngeren Generationen<br />

beschriebene Abnahme <strong>der</strong><br />

Bereitschaft, Entscheidungen zu fällen,<br />

trägt zu dieser „Vorsichts kultur“ bei.<br />

Prognostische Unsicherheit, die oft<br />

schwierige Entscheidung, ob ein Therapieziel<br />

tatsächlich noch erreicht werden<br />

kann, die nicht immer klare Grenzlinie,<br />

ob eine Indikation noch weiter besteht,<br />

<strong>der</strong> Automatismus des Weitermachens<br />

(„wir können doch nicht aufhören, wir<br />

haben schon so viel getan“) tragen zur<br />

<strong>Übertherapie</strong> am Ende des Lebens bei.<br />

Wenn auch die ökonomischen Interessen<br />

als Ursache <strong>der</strong> <strong>Übertherapie</strong> nicht<br />

so dramatisch sind, wie in <strong>der</strong> sonstigen<br />

Medizin, wird dieser Aspekt auch<br />

in <strong>der</strong> <strong>Intensivmedizin</strong> immer bedeuten<strong>der</strong>.<br />

Invasive, technische Leistungen,<br />

wie Beatmung, Nierenersatzverfahren<br />

o<strong>der</strong> ECMO können attraktiv<br />

abgerechnet werden, sodass Kranken-<br />

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