Hausarbeit_Rauprich_Vortriebsverhältnis und Kurbellänge beim BMX
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Vortriebsverhältnis <strong>und</strong> Kurbellänge<br />
bei <strong>BMX</strong>-Rädern im Bereich Race<br />
<strong>Hausarbeit</strong>, vorgelegt von Oliver <strong>Rauprich</strong><br />
<strong>BMX</strong> C-Trainerkurs 2017 des Radsportverbandes Nordrhein-Westfalen e.V.<br />
Kontakt: Oliver.<strong>Rauprich</strong>@bmx-team-weilheim.de<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung: ....................................................................................................................... 2<br />
2 Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> als relevante Kenngröße für den Antrieb eines<br />
Fahrrades ......................................................................................................................... 3<br />
2.1 Das Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel (gear ratio) .................................................... 3<br />
2.2 Die absoluten Größen von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel bei gegebenen<br />
Übersetzungsverhältnis ..................................................................................................... 4<br />
2.3 Die Größe des Laufrades .................................................................................................. 6<br />
2.3.1 Der „Gang-Zoll“ (gear inches) ........................................................................... 7<br />
2.3.2 Die Entfaltung ..................................................................................................... 7<br />
2.4 Die Länge der Kurbel ....................................................................................................... 8<br />
2.4.1 Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> (gain ratio) ................................................................... 9<br />
2.5 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion des Abschnittes ...................................................... 10<br />
2.5.1 Nur das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> misst die Übersetzung ......................................... 11<br />
2.5.2 Die vier Komponenten der Übersetzung sind äquivalent ................................. 13<br />
3 Die Bestimmung der <strong>Kurbellänge</strong> ............................................................................... 14<br />
3.1 Auswirkungen der <strong>Kurbellänge</strong> auf die maximale Leistung .......................................... 14<br />
3.2 Weitere Auswirkungen der <strong>Kurbellänge</strong> ........................................................................ 17<br />
4 Empfehlungen zur Konfiguration des <strong>BMX</strong>-Rades .................................................. 17<br />
4.1 Auswahl der Laufradgröße ............................................................................................. 17<br />
4.2 Auswahl der <strong>Kurbellänge</strong> ............................................................................................... 18<br />
4.3 Auswahl von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel ............................................................................... 18<br />
5 Zusammenfassung der Ergebnisse .............................................................................. 19
1 Einleitung:<br />
Das mechanische Gr<strong>und</strong>prinzip des Fahrradfahrens ist es, Muskelkraft in einen Antrieb des<br />
Fahrrades zu übersetzen. Ausgehend von dem Pedaltritt wird die Kraft über die Pedale, Kurbelarm,<br />
Kettenblatt <strong>und</strong> Kette auf das Ritzel übertragen <strong>und</strong> von dort weiter über die Nabe<br />
<strong>und</strong> die Speichen auf die Felge <strong>und</strong> den Mantel, der durch Reibung auf dem Untergr<strong>und</strong> den<br />
Vortrieb erzeugt.<br />
Die Ausübung <strong>und</strong> Übertragung der Muskelkraft wird wesentlich von der mechanischen Gestaltung<br />
der verschiedenen Antriebs-Komponenten des Fahrrades beeinflusst. Ein wichtiger<br />
Aspekt ist die Übersetzung, die darüber entscheidet, wie viel Kraft für einen Pedaltritt aufgewendet<br />
werden muss <strong>und</strong> welche Wegstrecke das Fahrrad mit einer Pedalumdrehung zurückgelegt.<br />
Ein zweiter Aspekt ist biomechanischer Natur. Die Größenverhältnisse des Fahrrads<br />
haben einen Einfluss auf die Köperhaltung <strong>und</strong> -bewegung des Fahrers 1 , die wiederum beeinflussen,<br />
welche Kraft <strong>beim</strong> Fahren auf die Pedale ausgeübt werden kann <strong>und</strong> mit welcher<br />
Leistung der Vortrieb erfolgen kann 2 . Neben der Größe <strong>und</strong> Geometrie von Rahmen, Vorbau<br />
<strong>und</strong> Lenker, die nicht zu den Antriebskomponenten eines Fahrrades gehören, kann die Länge<br />
der Kurbel einen Einfluss auf die Biomechanik des Fahrradfahrens haben.<br />
Übersetzung <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong> sind zwei Aspekte des Fahrrades, denen im Bereich des <strong>BMX</strong>-<br />
Race 3 eine Bedeutung für die Leistungserbringung zugesprochen wird: Fährt ein Sportler eine<br />
„falsche“ Übersetzung oder eine „falsche“ <strong>Kurbellänge</strong>, so kann er auf der Bahn mit seinem<br />
Rad nicht die Leistung erbringen, die er mit der „richtigen“ Übersetzung <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong><br />
erbringen könnte.<br />
In der vorliegenden Arbeit wird den Fragen nachgegangen, wie die „Übersetzung“ eines<br />
<strong>BMX</strong>-Rades am besten bestimmt werden sollte <strong>und</strong> wie die passende Übersetzung <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong><br />
für einen Fahrer ermittelt werden kann.<br />
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf ein Gendern der Sprache verzichtet <strong>und</strong> die geläufigen<br />
generischen Maskulina verwendet. Gemeint sind stets beide Geschlechter gleichermaßen, hier also Fahrerinnen<br />
<strong>und</strong> Fahrer.<br />
2 Leistung im physikalischen Sinne berechnet sich aus der Kraft (Newton), die aufgewendet werden muss, um<br />
etwas zu bewegen, multipliziert mit der Geschwindigkeit (m/s), mit der es bewegt wird. Die physikalische Leistung<br />
wird in Watt gemessen <strong>und</strong> ist ein wesentlicher Parameter der körperlichen Leistungsdiagnostik für das<br />
<strong>BMX</strong>-Fahren. Die Kraft, die aufgewendet werden muss, um die Pedalen eines Fahrrades oder Ergometers zu<br />
drehen, ergibt sich aus der Masse von Fahrrad <strong>und</strong> Fahrer sowie der Übersetzungsmechanik des Fahrrades. Bei<br />
einem gegebenem Kraftaufwand für den Vortrieb des Fahrrades entscheidet die Geschwindigkeit, mit der die<br />
Pedalen gedreht werden, über die physikalische Leistung des Fahrers. Bei gleicher Pedalgeschwindigkeit entscheidet<br />
die Kraft, die für den Antrieb aufgewendet werden muss, über die Leistung. Die größte Leistung kann in<br />
einem mittleren Bereich zwischen zu großen <strong>und</strong> zu kleinem Kraftaufwand bzw. zu niedriger oder zu hoher<br />
Pedalgeschwindigkeit erzielt werden. Die Übersetzung eines Fahrrades ist dann richtig eingestellt, wenn der<br />
Sportler mit ihr sein persönliches Leistungsoptimum abrufen kann.<br />
3 Im dieser Arbeit beziehe ich mich ausschließlich auf die Race-Variante des <strong>BMX</strong> <strong>und</strong> lasse andere Sparten<br />
(Park, Dirt, Flat etc.) außer Acht.<br />
2
2 Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> als relevante Kenngröße für den Antrieb<br />
eines Fahrrades<br />
Unter der „Übersetzung“ eines Fahrrades wird in der Regel entweder verstanden, welcher<br />
Gang in der Gangschaltung eingelegt ist oder, spezifischer, welches Kettenblatt (vorne) <strong>und</strong><br />
Ritzel (hinten) für den Antrieb verwendet wird.<br />
Es gibt jedoch noch zwei weitere Komponenten des Antriebs eines Fahrrads, die einen Einfluss<br />
darauf haben, wie die Kraft, mit der man auf die Pedale tritt, in den Vortrieb des Fahrrads<br />
übertragen wird: die Länge der Kurbel <strong>und</strong> die Größe des angetriebenen Hinterrades. Im<br />
Folgenden werden die drei Komponenten der Übersetzung erläutert:<br />
2.1 Das Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel (gear ratio)<br />
Bei einem Fahrrad mit Gangschaltung wird der Einfluss der „Übersetzung“ auf die Fahreigenschaften<br />
des Fahrrads unmittelbar spürbar. Wählt man eine kürzere Übersetzung (kleineres<br />
Kettenblatt <strong>und</strong>/oder größeres Ritzel), so wird der Widerstand des Antriebs geringer <strong>und</strong> es<br />
muss entsprechend weniger Kraft aufgewendet werden, um die Kurbel zu drehen. Dadurch<br />
können steilere Anstiege bewältigt <strong>und</strong> schnellere Beschleunigungen aus dem Stand erzielt<br />
werden. Gleichzeitig muss häufiger getreten werden, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen,<br />
weshalb man bei gleicher Trittfrequenz langsamer fährt <strong>und</strong> früher „ins Leere tritt“, d.h.<br />
seine maximale Trittfrequenz bei einer niedrigeren Geschwindigkeit erreicht. Wechselt man<br />
in eine längere Übersetzung (größeres Kettenblatt <strong>und</strong>/oder kleineres Ritzel), so wird der Widerstand<br />
des Antriebs größer, so dass mehr Kraft für die Drehung der Kurbel aufgewendet<br />
werden muss. Dadurch wird die Beschleunigung aus dem Stand langsamer. Dafür wird eine<br />
größere Strecke pro Kurbelumdrehung zurückgelegt, was höhere Endgeschwindigkeiten auf<br />
flacheren oder abschüssigeren Strecken ermöglicht.<br />
Wesentlich für den Einfluss der Zahnräder (Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel) auf die Übersetzung sind<br />
nicht ihre absoluten Größen, sondern das Verhältnis ihrer Größen. Im Englischen spricht man<br />
daher von der Übersetzung als gear ratio. Die Größe von Zahnrädern kann anhand der Anzahl<br />
ihrer Zähne bemessen werden. 4 Ein Zahnrad mit doppelt so viel Zähnen hat einen doppelt so<br />
großen Umfang wie ein Zahnrad mit halb so vielen Zähnen. Sind beide z.B. über eine Kette<br />
miteinander verb<strong>und</strong>en, dreht sich das kleinere Zahnrad doppelt so häufig wie das größere.<br />
Die Übersetzung der Zahnräder i eines Fahrrades errechnet sich aus dem Quotienten von der<br />
Anzahl der Zähne z des antreibenden Kettenblattes <strong>und</strong> des angetriebenen Ritzels. 5 Sie ist<br />
umgekehrt proportional zu dem Quotienten der Drehzahl n von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel:<br />
i =<br />
z (KKKKKKKKKKK)<br />
z (RRRRRR)<br />
=<br />
n (RRRRRR)<br />
n (KKKKKKKKKKK)<br />
4 Dies gilt, sofern alle Zähne die gleiche Größe haben, was bei Fahrradritzeln <strong>und</strong> Kettenblättern der Fall ist. Die<br />
Distanz zwischen den Zähnen beträgt stets 0,5 inch (= 1,27 cm).<br />
5 Diese Definition hat sich speziell für das Fahrrad etabliert; generell wird im Maschinenbau die Übersetzung<br />
andersherum als Quotient von angetriebenem <strong>und</strong> antreibendem Zahnrad definiert (vgl.<br />
https://de.wikipedia.org/wiki/Übersetzung_(Technik).<br />
3
Bei einem Kettenblatt mit 44 Zähnen <strong>und</strong> einem Ritzel mit 16 Zähnen - eine Übersetzung, die<br />
im <strong>BMX</strong>-Race Verwendung findet - besteht somit ein Übersetzungsverhältnis von 44/16 =<br />
2,75. 6 Demnach ist das Kettenblatt 2,75-mal so groß wie das Ritzel, <strong>und</strong> pro Umdrehung des<br />
Kettenblattes dreht sich das Ritzel 2,75-mal. Wählt man ein Kettenblatt mit 33 Zähnen <strong>und</strong><br />
ein Ritzel mit 12 Zähnen oder ein Kettenblatt mit 55 Zähnen <strong>und</strong> ein Ritzel mit 20 Zähnen, so<br />
bleibt rechnerisch das Übersetzungsverhältnis gleich (33/12 = 44/16 = 55/20 = 2,75), so dass<br />
sich bei einem Umbau von 44/16 auf 33/12 oder 55/20 die Fahreigenschaften eines <strong>BMX</strong>-<br />
Rades in Bezug auf die Übersetzung nicht ändern.<br />
Eine etwas tiefergehende Analyse erfolgt im folgenden Abschnitt. An dieser Stelle sind folgende<br />
Feststellungen wesentlich:<br />
• Die Übersetzung eines Fahrrades hat wesentlichen Einfluss auf den Widerstand des Antriebs,<br />
d.h. wie „schwer“ oder „leicht“ man tritt.<br />
• Die Größe eines Kettenblatts oder Ritzels allein sagt wenig über die Übersetzung aus. Die<br />
Frage, welches Kettenblatt oder Ritzel man fährt, ist daher wenig aussagekräftig. Die<br />
Übersetzung hängt vielmehr von dem Verhältnis der Größen der beiden Zahnräder ab.<br />
• Die gleiche Übersetzung kann mit verhältnisgleichen Kombinationen von Kettenblättern<br />
<strong>und</strong> Ritzeln verschiedener Größe erreicht werden.<br />
2.2 Die absoluten Größen von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel bei gegebenen Übersetzungsverhältnis<br />
Es gibt eine gewisse Diskussion zu der Frage, ob identische Übersetzungen, die auf unterschiedlich<br />
großen Kettenblättern <strong>und</strong> Ritzeln beruhen, identische oder unterschiedliche Fahreigenschaften<br />
des Fahrrades bewirken. Klarerweise können Kettenblätter <strong>und</strong> Ritzel nicht<br />
beliebig groß werden (z.B. 275/100 = 2,75), weil sie ab einer bestimmten Größe die Bewegungsfreiheit<br />
des Fahrers auf dem Fahrrad <strong>und</strong> die Bodenfreiheit des Fahrrades zu sehr einschränken<br />
würden, <strong>und</strong> die Kettenblätter nicht mehr montiert werden können, weil sie an die<br />
Kettenstrebe des Rahmens stoßen würden. Auch das Gewicht von extrem großen Kettenblättern<br />
<strong>und</strong> Ritzeln sowie entsprechend langer Ketten würde sich negativ auf die Fahreigenschaften<br />
auswirken. Ebenso sind extrem kleine Kettenblätter <strong>und</strong> Ritzel (z.B. 11/4 = 2,75) nicht<br />
praktikabel, weil die Beweglichkeit der Kette bei sehr kleinen Radien an ihre Grenzen kommt<br />
<strong>und</strong> eine hohe Reibung oder sogar Kettenklemmer verursachen würde.<br />
Die Diskussion bezieht sich somit nur auf einen mittleren Bereich, bei dem die Kettenblätter<br />
i.d.R. nicht mehr als maximal 50 Zähne haben <strong>und</strong> die Ritzel ein Minimum von 12 Zähnen.<br />
Einige Profis wie z.B. Donny Robinson bevorzugen einen Antrieb mit sehr großem Kettenblatt<br />
<strong>und</strong> Ritzel, andere wie David Graf sehen darin keinen Vorteil. 7<br />
Aus theoretischer Sicht spricht zumindest das höhere Gewicht gegen die Verwendung von<br />
größeren Kettenblätter <strong>und</strong> Ritzeln (bei gegebener Übersetzung). Das Gewicht des Fahrrads<br />
6 Als Verhältnis ist diese Kennzahl dimensionslos, d.h. sie hat keine Einheit.<br />
7 S. http://15.ie/graf-mechanical-advantage/.<br />
4
Abb.1: Ein in mancher Hinsicht ungewöhnliches <strong>BMX</strong>-Rad mit einem Kettenblatt mit ca. 50<br />
Zähnen. Quelle: https://www.facebook.com/groups/bmxtrainingpro<br />
spielt eine umso größere Rolle, je kleiner <strong>und</strong> leichter der Fahrer ist, also insbesondere bei<br />
Kindern. 8 Auch erhöht man die Gefahr von technischen Problemen, wenn das Kettenblatt sehr<br />
nah an die Kettenstrebe reicht. Da die meisten Kettenblätter nicht genau plan sind, verstärken<br />
sich die Seiten- oder Höhenbewegungen (das „Eiern“) bei größeren Kettenblättern, so dass die<br />
Kettenlinie tendenziell schlechter wird.<br />
Auf der anderen Seite ist es nicht ganz klar, was der Vorteil von größeren Kettenblättern <strong>und</strong><br />
Ritzeln (bei gegebener Übersetzung) sein kann. Tendenziell könnte die Reibung der Kette<br />
durch die größeren Radien verringert werden, aber ob dies (bei Ritzeln mit mindestens 12<br />
Zähnen) mess- oder gar spürbar ist, müsste gezeigt werden. Der Autor dieser Arbeit kennt<br />
diesbezügliche keine Untersuchung. Nachvollziehbar erscheint, dass der Zug an der Kette mit<br />
größeren Kettenblättern <strong>und</strong> Ritzeln geringer wird, weil sich das Drehmoment über längere<br />
Hebel auf die Kette überträgt. 9 Dadurch werden Kette <strong>und</strong> Zahnräder tendenziell geschont<br />
8 Diese Behauptung kann ich hier aus Platzgründen nicht ausführen. Nur so viel: Das Gewichtsverhältnis von<br />
Rad zu Körpergewicht ist bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen häufig sehr ungünstig. Dies führt dazu, dass<br />
insbesondere kleine Kinder nicht die Kraft haben (können), ihr Rad aktiv zu bewegen (pushen, pick-up, bunnyhop,<br />
etc.). Als Konsequenz können sie mit schwereren Rädern gr<strong>und</strong>legende Techniken des <strong>BMX</strong>-Fahrens erst<br />
später lernen als mit leichteren Rädern. Zwar macht der Gewichtsunterschied zwischen einem Kettenblatt mit<br />
z.B. 40 Zähnen <strong>und</strong> einem mit 34 Zähnen selbst für kleine Kinder nicht viel aus. Aber wenn man konsequent das<br />
Gewicht des Fahrrads optimiert sind nach meiner Erfahrung große Effekte zu erzielen.<br />
9 Das Drehmoment beschreibt die Drehwirkung einer Kraft auf den Drehpunkt oder die Drehachse eines Körpers<br />
über einem Hebel. Sie ist analog zur Hebelwirkung einer Kraft auf einen Körper bei gradlinigen Bewegungen.<br />
Wirkt eine Kraft im rechten Winkel auf einen Hebelarm, der mit einem Körper verb<strong>und</strong>en ist, so bewirkt diese<br />
Kraft eine Drehwirkung auf den Körper. Das beste Beispiel am Fahrrad ist die Kraft, die auf die Pedale ausgeübt<br />
wird <strong>und</strong> im rechten Winkel über die Kurbel, die als Hebel fungiert, auf die Kurbelachse übertragen wird. Dabei<br />
errechnet sich das Drehmoment M an der Achse aus dem Produkt von aufgewendeter Kraft (in Newton N) <strong>und</strong><br />
Länge des Hebelarmes in Metern (m) in der Einheit Newtonmeter (Nm). Bei doppelter <strong>Kurbellänge</strong> reicht demnach<br />
die halbe Kraft, um das gleiche Drehmoment zu erzeugen <strong>und</strong> umgekehrt.<br />
Für die weitere Übertragung des Drehmoments von der Kurbelachse zur Kette fungiert das Kettenblatt als Hebel.<br />
Je größer das Kettenblatt ist, desto weniger Kraft wird an der Kette aus einem gegebenen Drehmoment generiert.<br />
5
<strong>und</strong> können eine längere Lebensdauer haben. Es ist aber nicht ersichtlich, wie dies die Fahreigenschaften<br />
des Rades verbessern kann, solange die Kraft nicht so hoch wird, dass die Kette<br />
Gefahr läuft zu reißen.<br />
Diese Ausführungen sind sicher nicht für eine abschließende Bewertung der Frage ausreichend.<br />
Auch wenn aus theoretischer Sicht keine signifikanten Vorteile eines größeren Kettenblattes<br />
(bei gleicher Übersetzung) ersichtlich sind, kann es einen solchen Vorteil in der Praxis<br />
geben <strong>und</strong> sei es, dass er nur von einem Fahrer gefühlt wird (auch Placebo-Effekte sind Effekte).<br />
Wesentlich für das vorliegende Thema ist: Falls es Effekte gibt, betreffen sie nicht die<br />
Übersetzung des Antriebs, sondern andere Dinge wie Gewicht, Reibung oder Kettenspannung.<br />
2.3 Die Größe des Laufrades<br />
Das Übersetzungsverhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel ist nicht der einzige Faktor der beeinflusst,<br />
wie „schwer“ oder „leicht“ man tritt <strong>und</strong> wie viel Strecke mit einer Kurbelumdrehung<br />
zurücklegt wird. Ein weiterer Faktor ist die Größe des angetriebenen Laufrades (einschließlich<br />
Mantel), die man mit Bezug auf den Radius, den Durchmesser oder den Umfang angeben<br />
kann. Im <strong>BMX</strong> sind die Laufradgrößen mit den Durchmessern 18 Zoll (für ganz kleine Micro-<br />
Räder), 20 Zoll <strong>und</strong> 24 Zoll zugelassen, wobei innerhalb der 20 Zoll-Klasse nochmal Laufräder<br />
nach der DIN/ISO Norm mit 451 mm Innendurchmesser für die schmalen Größen (20 x 1<br />
1/8 <strong>und</strong> 1 3/8) <strong>und</strong> 406 mm Innendurchmesser für die breiteren Größen (20 x 1,5 - 2.1) unterschieden<br />
werden. 10 Je nach verwendeter Breite des Felgenringes <strong>und</strong> Marke des Mantels variieren<br />
die genauen Größen eines Laufrades etwas.<br />
Bei einem gegebenen Übersetzungsverhältnis ist die Übersetzung des Antriebs eines Fahrrades<br />
umso länger („schwerer“), je größer das angetriebene Laufrad ist. Mechanisch erklärt sich<br />
dies dadurch, dass das Drehmoment an der Hinterradachse über einen längeren Hebel (der<br />
dem Radius des Lauftrades entspricht) auf den Mantel übertragen wird, so dass dorthin weniger<br />
Kraft geleitet wird (vgl. Fn.9). Gleichzeitig wird bei einer Umdrehung des Laufrades eine<br />
längere Wegstrecke zurückgelegt, so dass bei gegebener Übersetzung mehr Kraft für eine<br />
Pedalumdrehung aufgewendet werden muss. Ein größeres Laufrad hat somit die gleiche Auswirkung<br />
wie ein größeres Kettenblatt: Es verlängert die Übersetzung des Antriebs eines Fahrrades.<br />
Für die Praxis bedeutet dies, dass Übersetzungsverhältnisse von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel nur in<br />
Bezug auf eine gegebene Hinterradgröße sinnvoll vergleichbar sind. Würde man die Übersetzung<br />
44/16 sowohl bei einem 20-Zoll Fahrrad als auch bei einem 24-Zoll Fahrrad verwenden,<br />
Liegt an der Kurbel z.B. ein Drehmoment von 100 Nm <strong>und</strong> das Kettenblatt hat einen Radius von 10 cm, so werden<br />
rechnerisch (unter Vernachlässigung von Verlusten) 1000 N auf die Kette übertragen (100 Nm/ 0,1 m =<br />
1000 N) <strong>und</strong> bei einem Radius von 20 cm 500 N (100 Nm /0,2 m = 500 N).<br />
10 Die Angaben 18, 20 oder 24 Zoll sind relativ ungenaue Angaben des Reifenaußendurchmessers. Genauer sind<br />
die Angaben des ISO/DIN-Systems, welche bei Reifen den Innendurchmesser <strong>und</strong> bei Felgen den Schulterdurchmesser<br />
in mm angeben. Mit der „Übergröße“ von 451 mm Innendurchmesser wird neuerdings auch bei<br />
breiteren 20-Zoll-Reifen für erwachsene Fahrer experimentiert (Tioga OS20 oversize), die eine entsprechend<br />
größere Felge mit 451mm Schulterdurchmesser benötigen.<br />
6
so wären die Fahreigenschaften aufgr<strong>und</strong> der unterschiedlichen Laufräder sehr unterschiedlich.<br />
2.3.1 Der „Gang-Zoll“ (gear inches)<br />
Möchte man den Antrieb von Rädern mit unterschiedlichen Laufradgrößen vergleichen, so<br />
müssen die Laufradgrößen in die Kalkulation einbezogen werden. Eine Maßzahl, die im <strong>BMX</strong><br />
als „Gang-Zoll“ (gear inches G) vor allem im angelsächsischen Raum (in dem die Zoll-<br />
Größen nach wie vor gebräuchlich sind) Verwendung findet, errechnet sich aus der Multiplikation<br />
des Übersetzungsverhältnisses von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel mit dem Außendurchmesser<br />
des angetriebenen Laufrades bzw. Mantels in Zoll (inches):<br />
z (KKKKKKKKKKK)<br />
G = x DDDDhmmmmmm ddd aaaaaaaaaaaaa MMMMMMM (iiih)<br />
z (RRRRRR)<br />
Bei einer Übersetzung von 44/16 läge der Wert bei einem 20-Zoll Laufrad bei 55 „Gang-<br />
Zoll“ (44/16 * 20 = 55) <strong>und</strong> bei einem 24-Zoll Laufrad bei 66 „Gang-Zoll“ (44/16* 24 = 66).<br />
Dieser höhere Wert zeigt an, dass der Fahrer mit dem 24-Zoll Fahrrad bei gleichem Übersetzungsverhältnis<br />
von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel einen höheren „Gang-Zoll“ fährt.<br />
Vergleicht man auf diese Weise die Übersetzung 44/16 bei 20-Zoll Laufrädern mit der Übersetzung<br />
39/17 bei 24-Zoll Laufrädern, die beide in der Praxis Verwendung finden, so erhält<br />
man in beiden Fällen dieselbe Maßzahl: 44/16 x 20 = 39/17 x 24 = 55 „Gang-Zoll“. Ein Fahrer,<br />
der bei einem 20-Zoll Fahrrad mit der Übersetzung 44/16 gut zurechtkommt, sollte daher<br />
bei einem 24-Zoll Fahrrad mit der Übersetzung 39/17 ebenso gut zurechtkommen. 11<br />
Für die Praxis hat die Orientierung am „Gang-Zoll“ jedoch zwei Nachteile. Zum einen ist die<br />
Verwendung der Kategorien „20-Zoll“ <strong>und</strong> „24-Zoll“ nur ein grober Maßstab, denn die exakten<br />
Größen der Mäntel variieren innerhalb der Kategorien signifikant. Insbesondere ist es für<br />
die Praxis unzureichend, die beiden 20-Zoll Kategorien mit 451mm <strong>und</strong> 406mm Innendurchmesser<br />
nicht zu unterscheiden. Zum anderen ist der „Gang-Zoll“ eine abstrakte Maßzahl ohne<br />
anschauliche Bedeutung, so dass Unterschiede in den Werten nicht gut begreifbar werden.<br />
2.3.2 Die Entfaltung<br />
Für eine exaktere <strong>und</strong> anschaulichere Berücksichtigung der Größe der Laufräder bei der Berechnung<br />
des Antriebs von Fahrrädern können die Umfänge der Reifen verwendet werden. In<br />
der Praxis sollte der Umfang individuell gemessen werden, indem auf dem Boden abgemessen<br />
wird, welche Strecke das Rad bei einer Umdrehung zurücklegt. Dies kann leicht auf 1-<br />
2mm exakt durchgeführt werden. Die Orientierung an Tabellen ist nur die zweitbeste Lösung,<br />
weil der Umfang je nach Modell des Mantels, der Felge <strong>und</strong> des verwendeten Luftdrucks variieren<br />
kann. Die Entfaltung E errechnet sich nach folgender Formel:<br />
E =<br />
z (KKKKKKKKKKK)<br />
z (RRRRRR)<br />
x UUUUUU ddd aaaaaaaaaaaaa MMMMMMM (cc)<br />
11 Dies gilt, sofern die <strong>Kurbellänge</strong> in beiden Fällen identisch ist, wie im folgenden Abschnitt erläutert werden<br />
wird. Vgl. hierzu https://youtu.be/q6KxAWGx9XU.<br />
7
Die Entfaltung gibt an, welche Distanz das Fahrrad bei einer vollen Kurbelumdrehung zurücklegt.<br />
Je größer das Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel ist <strong>und</strong> je größer der Umfang des<br />
angetriebenen Laufrades bzw. Mantels ist, desto größer ist die Entfaltung pro Kurbelumdrehung,<br />
desto länger ist die Übersetzung <strong>und</strong> desto „schwerer“ der Antrieb.<br />
So hat ein 20-Zoll <strong>BMX</strong>-Rad 12 mit einem Kettenblatt mit 36 Zähnen <strong>und</strong> einem Ritzel mit 14<br />
Zähnen sowie einem gemessenen Umfang des Laufrades von 162,2 cm eine praktisch identische<br />
Entfaltung (36/14 x 162,2 cm = 417cm) wie ein 24-Zoll-<strong>BMX</strong>-Rad 13 mit einem Kettenblatt<br />
mit 38 Zähnen <strong>und</strong> einem Ritzel mit 17 Zähnen sowie einem gemessenen Umfang des<br />
Laufrades von 186,1 cm (38/17 * 186,1cm = 416 cm). Das heißt, mit beiden Fahrrädern wird<br />
pro Umdrehung der Kurbel eine Strecke von ca. 4,17 m zurückgelegt. Ein Fahrer sollte demnach<br />
auf beiden Rädern gleich „schwer“ oder „leicht“ treten. 14<br />
Werden die Kettenblätter bei beiden Rädern um einen Zahn vergrößert, so errechnen sich Entfaltungen<br />
von 429cm bzw. 427 cm, also 12cm bzw. 11 cm mehr. Diese geringen Unterschiede<br />
(ca. 3% mehr Entfaltung pro Kurbelumdrehung) machen bereits einen spürbaren Unterschied<br />
in der Übersetzung eines Fahrrades aus.<br />
2.4 Die Länge der Kurbel<br />
Die Entfaltung ist ein anschauliches <strong>und</strong> exaktes Maß zum Vergleich der Übersetzung bei<br />
Fahrrädern mit verschiedenen Größenverhältnissen von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel <strong>und</strong>/oder verschiedenen<br />
Größen des Laufrads bzw. Mantels. Es gibt an, welche Wegstrecke das Fahrrad<br />
bei einer Kurbelumdrehung zurücklegt. Jedoch ist auch dieses Maß noch nicht hinreichend,<br />
um einen umfassenden Vergleich der Antriebe aller Fahrräder durchführen zu können, da es<br />
nicht die <strong>Kurbellänge</strong> mit in die Rechnung einbezieht.<br />
Bei einer gegebenen Entfaltung ändert sich die Übersetzung des Fahrrades mit unterschiedlichen<br />
<strong>Kurbellänge</strong>n. Je länger die Kurbel ist, desto größer ist der Hebel, mit dem die Kraft des<br />
Pedaltritts auf das Kettenblatt übertragen wird. Dadurch wird bei gleicher Kraft ein größeres<br />
Drehmoment auf das Kettenblatt übertragen, was sich für den Fahrer in einem geringeren Widerstand<br />
des Antriebs äußert. Gleichzeitig muss die Pedale eine größere Wegstrecke pro Umdrehung<br />
zurücklegen, da der Umfang des Kreises, den die Pedalachse entlangfährt, größer<br />
wird. Eine längere Kurbel hat somit die gleiche Auswirkung wie ein größeres Ritzel. Es verkürzt<br />
die Übersetzung des Antriebs eines Fahrrades.<br />
12 Aktuelle Konfiguration des Fahrers Martin <strong>Rauprich</strong> (Schülerklasse). Mantel: Intense Tyre System MK II<br />
Kevlar 20 x 1 3/8, Luftdruck 5 bar; Felgenring: Kinlin 451mm, 28 Löcher, 18,7mm breit. U = 162,2 cm, D =<br />
51,9 cm, R = 25,95 cm. Die <strong>Kurbellänge</strong> beträgt 170mm.<br />
13 Aktuelle Konfiguration des Fahrers Oliver <strong>Rauprich</strong> (Cruiser Senioren III). Mantel: Maxxis DTH 24 x 1.75<br />
(44-507), Luftdruck 4 bar; Felgenring: Sun Envy Lite Cruiser 507mm, 36 Löcher, 25mm breit. U = 186,1 cm, D<br />
= 59,4 cm, R = 29,7 cm. Die <strong>Kurbellänge</strong> beträgt 175 mm.<br />
14 Wie im nächsten Abschnitt dargelegt wird, gilt dies jedoch nur dann, wenn die <strong>Kurbellänge</strong> der verschiedenen<br />
Räder identisch ist. Bei unterschiedlicher <strong>Kurbellänge</strong> sind die Fahreigenschaften der Räder trotz identischer<br />
Entfaltung unterschiedlich.<br />
8
2.4.1 Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> (gain ratio)<br />
Ein Maß, das die <strong>Kurbellänge</strong> mit einbezieht, ist das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> (V). Es errechnet<br />
sich aus zwei Verhältnissen: erstens dem Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel <strong>und</strong> zweitens<br />
dem Verhältnis des Radius des Laufrades (inkl. Reifen) <strong>und</strong> der <strong>Kurbellänge</strong>. Diese beiden<br />
Verhältnisse werden zu einem Gesamtverhältnis multipliziert.<br />
V =<br />
z (KKKKKKKKKKK)<br />
z (RRRRRR)<br />
x<br />
RRRRRR ddd LLLLLLLLL (mm)<br />
Lännn ddd KKKKKK (mm)<br />
Die Bedeutung des Verhältnisses von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel wurde oben erläutert. Das Verhältnis<br />
vom Radius des Mantels <strong>und</strong> Länge der Kurbel setzt die beiden anderen Komponenten,<br />
die einen Einfluss auf die Übersetzung eines Fahrrades haben, in Beziehung. Sie haben<br />
einen entgegengesetzten Einfluss. Genau, wie die Übersetzung eines Fahrrades mit einem<br />
größeren Kettenblatt länger wird <strong>und</strong> mit einem größeren Ritzel kürzer, wird die Übersetzung<br />
des Fahrrades mit einem größeren Reifen länger <strong>und</strong> mit einer längeren Kurbel kürzer. Dies<br />
lässt sich mechanisch damit erklären, dass die Kurbel ein Hebel des antreibenden Kettenblattes<br />
ist <strong>und</strong> das Laufrad ein Hebel der angetriebenen Hinterradachse. Ein Hebel, der antreibt,<br />
verkürzt die Übersetzung mit zunehmender Länge, ein Hebel, der angetrieben wird, verlängert<br />
die Übersetzung mit zunehmender Länge. 15<br />
Zur Ermittlung des Radius des Laufrades inkl. Mantel kann entweder im ausgebauten Zustand<br />
der Radius direkt von der Achsmitte zum Mantelrand gemessen werden; oder man misst den<br />
Durchmesser des Laufrades <strong>und</strong> halbiert den Wert. Eine weitere Möglichkeit besteht darin<br />
den Umfang des Laufrades durch abrollen einer vollen Umdrehung (orientiert am Ventil) zu<br />
ermitteln <strong>und</strong> durch den Faktor 2 π zu dividieren. 16 In jedem Falle sollte die Messung möglichst<br />
exakt erfolgen, da schon kleine Unterschiede an der Laufradgröße zu relevanten Unterschieden<br />
im <strong>Vortriebsverhältnis</strong> führen können.<br />
Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> ist genau wie die Entfaltung ein anschauliches Maß. Es sagt aus, welche<br />
Fahrstrecke das Fahrrad im Verhältnis zur Wegstrecke der Pedalachse zurücklegt. Typische<br />
Werte für <strong>BMX</strong>-Räder liegen über alle Größen- <strong>und</strong> Altersklassen hinweg im Bereich<br />
von 4 (+/- 0,25). Dies bedeutet, dass pro Meter, den die Pedale auf ihrer Kreisbahn zurücklegen,<br />
eine Distanz von 4 Metern mit dem Fahrrad zurückgelegt wird.<br />
Ergänzt man die oben angegebenen Konfigurationen zweier Beispielräder um die <strong>Kurbellänge</strong>n<br />
von 170 mm für das 20-Zoll-Rad bzw. 175 mm für das 24-Zoll-Rad, so ergeben sich <strong>Vortriebsverhältnis</strong>se<br />
von 3,93 (36/14 x 259,5mm/170mm = 3,93) bzw. 3,79 (38/17 x 297mm/<br />
175mm = 3,79). Während die Übersetzungen beider Räder <strong>beim</strong> Vergleich der Entfaltungen<br />
praktisch identisch erschienen, zeigt sich <strong>beim</strong> Vergleich der <strong>Vortriebsverhältnis</strong>se, dass signifikanten<br />
Unterschiede in der Übersetzung beider Räder bestehen, die auf der Verwendung<br />
unterschiedlich langer Kurbeln beruhen. Wären die Kurbeln beider Räder gleich lang (z.B.<br />
170mm), so wären auch die resultierenden <strong>Vortriebsverhältnis</strong>se fast identisch (3,93 vs. 3,90).<br />
Durch die kürzere Kurbel ist die Übersetzung des 20-Zoll-Rades länger als die des 24-Zoll-<br />
15 Vgl. Fn. 9.<br />
16 π = 3,14159<br />
9
Rades. Der Effekt einer um 5 mm kürzeren Kurbel ist in etwa so groß wie die Vergrößerung<br />
des Kettenblattes um einen Zahn, der bei dem 24-Zoll-Beispielrad zu einem <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
von 3,89 führen würde (39/17 x 297mm/175mm = 3,89).<br />
Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> wurde erstmalig von Sheldon Brown 17 1995 beschrieben <strong>und</strong> ist im<br />
Bereich <strong>BMX</strong> weitgehend unbekannt. Dabei ist es gerade im <strong>BMX</strong> häufig von Nutzen, die<br />
Kurbelläge in die Berechnung der Übersetzung mit einzubeziehen, weil viele Sportler in sehr<br />
jungen Jahren mit entsprechend kleinen Kurbeln beginnen <strong>und</strong> im Laufe ihres Wachstums auf<br />
größere Räder mit längerer Kurbel wechseln. Nur mit dem <strong>Vortriebsverhältnis</strong> kann berechnet<br />
werden, welches Übersetzungsverhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel zu wählen ist, wenn man<br />
die Länge der Kurbel ändert, aber die Übersetzung konstant halten möchte. Auch kann es<br />
sinnvoll sein, die Übersetzungen der <strong>BMX</strong>-Räder verschiedener Sportler mit unterschiedlich<br />
langen Kurbeln zu vergleichen.<br />
2.5 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion des Abschnittes<br />
Zusammenfassend soll hier noch einmal eine Übersicht der verschiedenen Maßzahlen gegeben<br />
werden:<br />
• Mit dem Verhältnis der Zahnräder (gear ratio) können die Einflüsse von Kettenblatt <strong>und</strong><br />
Ritzel auf die Übersetzung bestimmt werden. Die Einflüsse der Laufradgröße <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong><br />
bleiben unberücksichtigt.<br />
• Mit dem „Gang-Zoll“ können die Einflüsse von Kettenblatt, Ritzel <strong>und</strong> der Größe des<br />
Laufrades abstrakt bestimmt werden. Der Einfluss der <strong>Kurbellänge</strong> bleibt unberücksichtigt.<br />
• Mit der Entfaltung können die Einflüsse von Kettenblatt, Ritzel <strong>und</strong> der Größe des Laufrades<br />
anschaulich bestimmt werden. Der Einfluss der <strong>Kurbellänge</strong> bleibt unberücksichtigt.<br />
• Mit dem <strong>Vortriebsverhältnis</strong> können die Einflüsse von Kettenblatt, Ritzel, Größe des<br />
Laufrades <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong> anschaulich bestimmt werden. Es bleibt kein Einflussfaktor<br />
unberücksichtigt.<br />
Betrachtet man die vier verschiedenen Konfigurationen von Kettenblatt, Ritzel, Laufradradius<br />
bzw. Laufradumfang <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong> bei <strong>BMX</strong>-Rädern in Tabelle 1, so ist ersichtlich, dass<br />
die verschiedenen Maßzahlen unterschiedliche Aussagen treffen. Die Konfigurationen Nr. 2<br />
<strong>und</strong> 3 haben dasselbe Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel, die Konfigurationen Nr. 1,2 <strong>und</strong><br />
3 eine (fast) identische Entfaltung <strong>und</strong> die Konfigurationen 1, 3 <strong>und</strong> 4 ein fast identisches<br />
<strong>Vortriebsverhältnis</strong> (jeweils grau hinterlegt in der Tabelle). 18<br />
17 Sheldon Brown war US-amerikanischer Fahrradmechaniker, der sich im Internet mit f<strong>und</strong>ierten Kenntnissen<br />
<strong>und</strong> akribischen Analysen der Fahrradtechnik einen Namen gemacht hat (https://www.wikipedalia.com/index.<br />
php? title= Sheldon_Brown, http://www.sheldonbrown.com/gain.htm, http://www.adventurecycling.org/default/<br />
assets/resources/gainratios.pdfl).<br />
18 Der Gang-Zoll wurde in dieser Übersicht weggelassen, da die Berechnung der Laufradgröße in Zoll viel zu<br />
ungenau ist, wenn man nur die Radklassen (18-, 20- <strong>und</strong> 24-Zoll) zu Gr<strong>und</strong>e legt. Würde man den Durchmesser<br />
der Laufräder exakt in der Einheit Zoll messen, so wären die resultierenden Werte äquivalent zu der Entfaltung,<br />
jedoch weniger anschaulich. Es gibt somit keinen Gr<strong>und</strong> gear inches statt Entfaltung zu verwenden.<br />
10
Ritzel<br />
Verhältnis<br />
Kettenblatt/<br />
Ritzel<br />
Nr Kettenblatt<br />
Laufradradius<br />
Laufradumfang<br />
<strong>Kurbellänge</strong><br />
Entfaltung<br />
<strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
1 36 14 259 mm 162,2 cm 170 mm 2,57 417 cm 3,92<br />
2 38 17 297 mm 186,1 cm 175 mm 2,24 416 cm 3,79<br />
3 38 17 297 mm 186,1 cm 170 mm 2,24 416 cm 3,91<br />
4 39 17 297 mm 186,1 cm 175 mm 2,29 427 cm 3,89<br />
Tab. 1: Vier Konfigurationen bei <strong>BMX</strong>-Rädern <strong>und</strong> ihr Einfluss auf verschiedene Maßzahlen<br />
der Übersetzung.<br />
Obwohl die Konfigurationen 1 <strong>und</strong> 2 dieselbe Entfaltung haben, haben sie ein unterschiedliches<br />
<strong>Vortriebsverhältnis</strong>. Ebenso haben die Konfigurationen 2 <strong>und</strong> 3 dasselbe Zahnradverhältnis<br />
<strong>und</strong> dieselbe Entfaltung, aber ein unterschiedliches <strong>Vortriebsverhältnis</strong>. Dafür haben<br />
die Konfiguration 1 <strong>und</strong> 4 ein unterschiedliches Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel <strong>und</strong><br />
eine unterschiedliche Entfaltung, aber ein (fast) identisches <strong>Vortriebsverhältnis</strong>.<br />
Was in der Tabelle gezeigt wird, ist nur anhand des <strong>Vortriebsverhältnis</strong>ses ersichtlich: Das<br />
24-Zoll-Rad in der Konfiguration 2 wird auf zwei verschiedene Weisen der Übersetzung des<br />
20-Zoll-Rades in der Konfiguration 1 angepasst. In Konfiguration 3 erfolgt die Anpassung<br />
durch eine Reduzierung der <strong>Kurbellänge</strong> um 5mm, in Konfiguration 4 durch die Verwendung<br />
eines um einen Zahn größeren Kettenblattes.<br />
Daraus ergeben sich zwei wesentliche Schlussfolgerungen:<br />
2.5.1 Nur das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> misst die Übersetzung<br />
Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> ist die einzige Maßzahl, die alle Elemente, die einen Einfluss auf die<br />
Übersetzung eines Fahrrads haben, einbeziehen. Nur mit dem <strong>Vortriebsverhältnis</strong> lassen sich<br />
die Übersetzungen ausnahmslos aller Fahrräder sinnvoll vergleichen <strong>und</strong> ggf. anpassen. Alle<br />
anderen Maßzahlen sind unvollständig in Bezug auf die Übersetzung eines Fahrrades <strong>und</strong><br />
lassen sich nur sinnvoll anwenden, wenn die nicht berücksichtigten Komponenten dieselbe<br />
Größe bzw. Länge haben bzw. konstant bleiben. Somit messen die anderen Maßzahlen nicht<br />
wirklich die Übersetzung eines Fahrrades, sondern nur Teilaspekte davon. Das <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
kann alle anderen Maßzahlen ersetzen, aber keine andere Maßzahl kann das <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
ersetzen.<br />
Ein weiterer Vorteil des <strong>Vortriebsverhältnis</strong>ses ist es, dass nur mit dieser Maßzahl genau das<br />
bestimmt wird, worum es bei der Übersetzung geht: die mechanische Übertragung der Bewegung<br />
des Fahrers in die Bewegung des Fahrrads. Die Kreisbewegung der Beine wird im Verhältnis<br />
von ziemlich genau 1:4 in die Vorwärtsbewegung des Fahrrads übertragen. Um vier<br />
Meter vorwärts zu kommen müssen die Pedale um einen Meter gedreht werden. Schon kleine<br />
Veränderungen in dem Verhältnis bewirken spürbar „schwerere“ oder „leichtere“ Übersetzungen.<br />
11
Zwar ist die Entfaltung auch ein anschauliches Maß - die Distanz, die das Fahrrad bei einer<br />
Kurbelumdrehung zurücklegt. Aber nicht die Kurbelumdrehung, sondern die Distanz, die mit<br />
den Pedalen auf dieser Umdrehung zurückgelegt wird, ist unmittelbar relevant, wenn es darum<br />
geht, das Fahrrad so zu konfigurieren, dass der Antrieb nicht „zu schwer“ <strong>und</strong> nicht „zu<br />
leicht“ ist.<br />
Aus diesen Gründen ist das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> der einzig vollumfänglich gültige Maßstab zur<br />
Messung der Übersetzung eines Fahrrades <strong>und</strong> es wäre empfehlenswert, das <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
als Standard der Berechnung der Übersetzungen von <strong>BMX</strong>-Rädern einzuführen.<br />
Zwei Beispiele:<br />
Bislang ist das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> jedoch weitgehend unbekannt im <strong>BMX</strong>-Bereich. Stattdessen<br />
wird zumeist die Entfaltung verwendet. Um nur exemplarisch zwei Quellen zu nennen<br />
<strong>und</strong> die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die hieraus resultieren:<br />
1. Auf der Homepage des <strong>BMX</strong>-Team Cottbus, das der Lausitzer Sportschule <strong>und</strong> dem <strong>BMX</strong>-<br />
Olympiastützpunkt Cottbus angeschlossen ist, werden auf einer - gr<strong>und</strong>sätzlich sehr guten -<br />
Informationsseite Empfehlungen für die Wahl der Übersetzungen für verschiedene Laufradgrößen<br />
<strong>und</strong> Altersklassen gegeben, die sich an der Entfaltung orientieren. 19 Dabei steigt die<br />
empfohlene Entfaltung von 3,79m für die Altersklasse U9 kontinuierlich bis auf 4,22 m für<br />
die Klasse Elite. Damit wird der Eindruck erweckt, dass die Sportler eine umso längere Übersetzung<br />
fahren, je mehr Kraft sie haben. Dieser Eindruck ist jedoch falsch. Übersetzt man die<br />
Werte in <strong>Vortriebsverhältnis</strong>se, so erhält man für die U9 (unter Annahme eines Laufradradius<br />
von 256 mm für ein 20 x 1 1/8 Rad sowie einer Kurbel von 135 mm für ein Rad der Größe<br />
Mini) einen Wert von 4,5. Für den Elite-Fahrer resultiert (bei einem Reifenradius von 254<br />
mm für ein Rad der Größe 20 x 2.1 <strong>und</strong> einer <strong>Kurbellänge</strong> von 175mm) ein Wert von 4,0!<br />
So betrachtet erscheint nun die Empfehlung zu sein, mit steigender Kraft eine geringere Übersetzung<br />
zu wählen. Dies ist insofern nicht völlig unplausibel, als in den höheren Leistungsklassen<br />
auch die motorischen Fähigkeiten zu einer sehr schnellen Tretbewegung steigen (bis<br />
über 250 U/min), die eine hohe Leistungserbringungen bei kürzeren Übersetzungen erlauben.<br />
Tatsächlich aber liegen die passenden <strong>Vortriebsverhältnis</strong>se nach Erfahrung <strong>und</strong> Ansicht dieses<br />
Autors in der Praxis erstaunlich konstant über alle Leistungsklassen hinweg bei etwa 4 mit<br />
akzeptablen Variationen von +/- 0,25.<br />
<strong>Vortriebsverhältnis</strong>se von über 4,25 sind eindeutig zu lang, so dass der Empfehlung für die<br />
U9 hier nicht zugestimmt werden kann. Eine Lösung mag darin liegen, dass möglicherweise<br />
längere Kurbeln als 135mm für die U9 empfohlen werden. So würde das <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
auf einen akzeptablen (wenn auch immer noch recht hohen) Wert von 4,2 bei Kurbeln mit<br />
145mm Länge sinken. Aber dies zeigt nur wiederum, dass die Angabe der Entfaltung unvollständig<br />
ist <strong>und</strong> in der Praxis gerade im Amateurbereich zu Fehlern führen kann, wenn die<br />
<strong>Kurbellänge</strong> nicht mit berücksichtigt wird.<br />
19 http://www.bmx-team-cottbus.de/training/racetips/<br />
12
2. Ein weiteres Beispiel ist das Buch „Pro <strong>BMX</strong> Skills“, das in vieler Hinsicht als ein exzellentes<br />
Lehrbuch gelten kann. 20 Im Technik-Kapitel wird empfohlen, dass Kinder von 122-137<br />
cm Körpergröße einen Fahrrad-Rahmen der Größe Mini mit einem Kettenblatt mit 36 Zähnen,<br />
einem Ritzel mit 16 Zähnen <strong>und</strong> einer Kurbel mit der Länge 155-165 fahren sollten (S. 30-<br />
35). Hinsichtlich der Übersetzung resultiert daraus eine Entfaltung von 141 inches oder 358<br />
cm - was signifikant unterhalb der Empfehlung auf der Homepage des <strong>BMX</strong>-Teams Cottbus<br />
liegt. Berechnet man das <strong>Vortriebsverhältnis</strong>, so ergibt sich ein Wert von 3,6 (36/16*256/160<br />
= 3.6), der extrem niedrig ist <strong>und</strong> keinesfalls empfohlen werden kann.<br />
Wesentlichen Einfluss auf diesen Wert hat die sehr lange Kurbel, die - wie im folgenden Kapitel<br />
ausgeführt wird - sicher nicht für Fahrer mit der oben genannten Körpergröße geeignet<br />
ist. Korrigiert man die Kurbel zu 135mm Länge ergibt sich ein <strong>Vortriebsverhältnis</strong> von 4.3.<br />
Dieser Wert liegt etwas unterhalb des Wertes, der sich aus den Empfehlungen auf der Internetseite<br />
des <strong>BMX</strong>-Team Cottbus ergibt, ist jedoch ebenfalls noch sehr hoch.<br />
Insgesamt zeigt sich an diesem Beispiel, dass unabhängige Empfehlungen für die Konfiguration<br />
einzelner Vortriebselemente zu unplausiblen Übersetzungen führen können. In einem<br />
Technikkapitel sollten die Angaben im Zusammenhang mit dem <strong>Vortriebsverhältnis</strong> entwickelt<br />
<strong>und</strong> geprüft werden. Empfehlungen zu den Größen von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel ohne<br />
gleichzeitige Angabe der Reifengröße <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong> sollten vermieden werden.<br />
2.5.2 Die vier Komponenten der Übersetzung sind äquivalent<br />
Für die weitere Analyse in dieser Arbeit ist es wichtig festzuhalten, dass die Einflüsse aller<br />
vier Komponenten - Kettenblatt, Ritzel, Laufradgröße <strong>und</strong> Kurbelläge - auf die Übersetzung<br />
äquivalent sind. Das heißt, es macht in Bezug auf die „Schwere“ des Tritts keinen Unterschied,<br />
ob sie mit einem größeren oder kleinerem Kettenblatt oder Ritzel oder Laufrad oder<br />
einer kürzeren oder längeren Kurbel realisiert wird, solange das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> aller vier<br />
Komponenten gleich ist.<br />
Wenn es nur um die Übersetzung geht, ist es also etwa in Bezug auf Tabelle 1 unerheblich, ob<br />
die Anpassung der Übersetzung des 24-Zoll-Fahrrades an die Übersetzung des 20-Zoll-<br />
Fahrrades durch eine Verkleinerung der Kurbel (Konfiguration 3) oder Vergrößerung des Kettenblattes<br />
(Konfiguration 4) geschieht - der Effekt ist der Gleiche.<br />
Aus dieser Einsicht folgt, dass man die Möglichkeit hat, bestimmte Komponenten nach anderen<br />
Aspekten als der Übersetzung zu konfigurieren, <strong>und</strong> dann mit den verbleibenden Komponenten<br />
die gewünschte Übersetzung einzustellen. So wird offenk<strong>und</strong>ig die Laufradgröße in<br />
der Regel nicht ausgewählt, um eine bestimmte Übersetzung zu erreichen, sondern um in einer<br />
entsprechenden Fahrrad-Klasse (20-Zoll vs. 24-Zoll) zu fahren <strong>und</strong> um die Laufräder der<br />
erwarteten Belastung anzupassen. Auch die <strong>Kurbellänge</strong> sollte, wie im nächsten Abschnitt<br />
20 Lee McCormack, Pro <strong>BMX</strong> Skills. Equipment, Techniques, Tactics and Training. Race Line Publishing 2010<br />
ISBN 978-0-9745660-2-3. Das Technik-Kapitel wurde unter der Federführung von Toby Henderson erstellt, der<br />
nicht nur ein erfolgreicher <strong>BMX</strong>-Profi in den USA war, sondern danach wie wohl kein anderer in der Produktion<br />
<strong>und</strong> dem Verkauf von <strong>BMX</strong>-Race-Rädern tätig war <strong>und</strong> zahlreiche sehr erfolgreiche Marken aufgebaut hat (Intense<br />
<strong>BMX</strong>, Intense Tire Systems, Sinz Racing, THE Industrie <strong>und</strong> jüngst BOX Components).<br />
13
erläutert wird, nicht nach der Übersetzung, sondern nach der Größe des Fahrers ausgewählt<br />
werden. Somit verbleibt für die Einstellung der Übersetzung die Konfiguration des Verhältnisses<br />
von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel, die sich dann an der vorher bestimmten Größe des Laufrades<br />
<strong>und</strong> Länge der Kurbel zu orientieren hat.<br />
3 Die Bestimmung der <strong>Kurbellänge</strong><br />
Im vorherigen Abschnitt wurde dargelegt, dass die <strong>Kurbellänge</strong> einen Einfluss auf die Übersetzung<br />
des Fahrrades hat. Die Kurbel übt eine Hebelwirkung auf das Tretlager <strong>und</strong> das Kettenblatt<br />
aus. Je länger die Kurbel ist, desto kürzer ist die Übersetzung <strong>und</strong> desto leichter der<br />
Antritt.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird im Bereich <strong>BMX</strong> häufig die Auffassung vertreten, man solle eine<br />
längere Kurbel wählen, wenn man den „Snap“ - die explosionsartige Startbewegung <strong>und</strong> den<br />
ersten Tritt - aus dem Startgatter oder überhaupt die Beschleunigung verbessern möchte. Zwar<br />
soll hier nicht in Frage gestellt werden, dass der Snap mit einer längeren Kurbel verbessert<br />
werden kann. Jedoch soll im Folgenden gezeigt werden, dass dies ein gr<strong>und</strong>legend falscher<br />
Ansatz zur Konfiguration des Fahrrades ist.<br />
Der „Hebel“, der den Snap <strong>und</strong> die Beschleunigung des Fahrrades beeinflusst, ist nichts anderes<br />
als die Übersetzung. Das Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel ist mechanisch betrachtet<br />
nicht weniger ein Hebel wie die Kurbel <strong>und</strong> das Laufrad. Die Summe aller Hebel im Antrieb<br />
des Fahrrades entscheiden darüber, wie leicht oder schwer sich das Fahrrad beschleunigen<br />
lässt. Die Kurbel hat keinen spezifischen Effekt auf den „Snap“, der über die allgemeine Einwirkung<br />
auf die Übersetzung hinausgehen würde. Der Einfluss aller vier Komponenten auf<br />
die Beschleunigung des Fahrrades ist gleichwertig (vgl. 2.5.2). Man erzielt also den exakt<br />
gleichen Effekt für die Beschleunigung, wenn man nicht die Kurbel verlängert, sondern das<br />
Kettenblatt verkleinert oder das Ritzel vergrößert <strong>und</strong> damit das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> entsprechend<br />
verringert.<br />
Die präzise Aussage ist also: Wer einen besseren Snap möchte, sollte sein <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
verringern <strong>und</strong> die Übersetzung verkürzen. Eine Frage, die sich daran anschließt ist, über welche<br />
Komponenten des Antriebs dies geschehen soll. Die Antwort hierauf lautet: Über das<br />
Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel <strong>und</strong> nicht über die <strong>Kurbellänge</strong>. Die Länge der Kurbel<br />
sollte aus biomechanischen Gründen ausschließlich an der Körpergröße <strong>und</strong> den Körperproportionen<br />
ausgerichtet werden. Dies soll im Folgenden erläutert werden.<br />
3.1 Auswirkungen der <strong>Kurbellänge</strong> auf die maximale Leistung<br />
Für die folgenden Überlegungen wird angenommen, dass bei veränderter <strong>Kurbellänge</strong> das<br />
<strong>Vortriebsverhältnis</strong> stets durch Veränderungen von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel ausgeglichen wird.<br />
Somit ist das Verhältnis von der Wegstrecke der Pedale zur Wegstrecke des Fahrrads <strong>und</strong><br />
somit die „schwere“ des Tritts bei allen <strong>Kurbellänge</strong>n konstant. Dennoch ändern sich die<br />
Fahreigenschaften des Fahrrades mit veränderten <strong>Kurbellänge</strong>n.<br />
Bei gleicher Geschwindigkeit muss bei kürzeren Kurbeln eine höhere Kadenz auf einer kleineren<br />
Kreisbahn getreten werden <strong>und</strong> bei längeren Kurbeln eine niedrigere Kadenz auf einer<br />
14
größeren Kreisbahn. Eine Kurbel von 120 mm Länge muss 1,5mal gedreht werden, um mit<br />
dem Fahrrad dieselbe Strecke zurückzulegen, wie bei einer Kurbel von 180 mm Länge bei<br />
einer Umdrehung (Umfänge 754mm vs. 1131mm). Entsprechend muss die Kadenz 1,5-fach<br />
sein, um dieselbe Geschwindigkeit zu erzielen.<br />
Auch wenn es in mechanischer Hinsicht leichter ist, höhere Kadenzen bei kleineren Kurbeln<br />
zu treten, weil der Weg pro Umdrehung kürzer ist, stellen höhere Kadenzen höhere motorische<br />
Anforderungen, weil die Ansteuerung der verschiedenen Muskeln, die an einer Pedalumdrehung<br />
beteiligt sind, schneller erfolgen muss. Bei sehr schnellen Kadenzen kann die<br />
motorische Fähigkeit des Sportlers <strong>und</strong> nicht die Kraft der limitierende Faktor der Leistungserbringung<br />
sein. Daher ist es im <strong>BMX</strong> üblich, extrem hohe Kadenzen (> 250 U/min) zu trainieren,<br />
um auch bei kurzen Übersetzungen hohe Leistungen erbringen zu können. 21<br />
Bei einer längeren Kurbel ist die Amplitude größer als bei einer kürzeren Kurbel. Der Durchmesser<br />
zwischen dem tiefsten <strong>und</strong> dem höchsten Punkt der Pedale auf der Kreisbahn beträgt<br />
240mm bei einer <strong>Kurbellänge</strong> von 120mm <strong>und</strong> 360mm bei einer <strong>Kurbellänge</strong> von 180mm.<br />
Dementsprechend muss das Knie bei jeder Umdrehung einen Weg von 240 mm bzw. 360 mm<br />
nach oben <strong>und</strong> unten nehmen. Wie stark dabei das Knie am Hochpunkt angewinkelt werden<br />
muss, hängt von der Länge des Oberschenkels ab.<br />
Die Winkelverhältnisse des Oberschenkels haben einen Einfluss auf die Kraft, die für den<br />
Pedaltritt aufgewendet werden kann. Sind die Kurbeln im Verhältnis zum Oberschenkel sehr<br />
kurz, so können die Knie nur eine geringe Beuge machen. Ist das Verhältnis sehr lang, so<br />
muss das Knie stark gebeugt werden. Bei einer sehr kurzen Beuge wird nur ein Teil der möglichen<br />
Muskelbewegungen genutzt, bei einer sehr starken Beuge muss aus einer Überstreckung<br />
heraus getreten werden. Beides ist biomechanisch ungünstig, so dass nicht r<strong>und</strong> getreten<br />
<strong>und</strong> nicht die maximale Leistung erbracht werden kann.<br />
Diese theoretischen Überlegungen wurden in einer empirischen Studie von Martin <strong>und</strong> Spirduso<br />
bestätigt. 22 Die maximale Leistung, die trainierte erwachsene Fahrradfahrer auf einem<br />
Ergometer bei einem Antritt über wenige Sek<strong>und</strong>en erbringen konnten, variierte um 4% (1149<br />
Watt vs. 1194 Watt) bei der Verwendung von Kurbeln mit einer Länge zwischen 120mm <strong>und</strong><br />
220mm, wobei die höchsten Werte bei mittleren <strong>Kurbellänge</strong>n (145 <strong>und</strong> 170 mm) auftraten.<br />
4% oder 45 Watt Differenz in der maximalen Leistung bei 83% Differenz in der <strong>Kurbellänge</strong><br />
mag auf den ersten Blick nicht besonders groß erscheinen. Sie ist jedoch sicher groß genug,<br />
um im <strong>BMX</strong>-Race, wo es um Bruchteile von Sek<strong>und</strong>en geht, entscheidende Unterschiede zu<br />
21 Eine Untersuchung ergab Hinweise darauf, dass <strong>beim</strong> Pedaltritt der Übergang von der Schubphase zur Druckphase<br />
bei hohen Kadenzen verzögert erfolgt, so dass sich die Druckphase verkürzt <strong>und</strong> in ihr weniger Arbeit (=<br />
Kraft x Weg) verrichtet wird, wodurch die erbrachte Leistung (in Watt) sinkt (Samozion, Horvais, Hintzy<br />
(2007), Medicine & Science in Sports & Exercise 39 (4): 680-687.<br />
22 J.C. Martin <strong>und</strong> W.W. Spirduso (2001): Determinants of maximal cycling power: crank length, pedaling rate<br />
<strong>und</strong> pedal speed. European Journal of Applied Physiology 84: 413-418. Eine Limitation der Untersuchung für<br />
den Bereich <strong>BMX</strong> besteht darin, dass die Messungen im Sitzen gemacht wurden. Ob <strong>und</strong> in welchem Ausmaß<br />
sich der Einfluss der <strong>Kurbellänge</strong> auf die maximale Leistung verändert, wenn die Sportler wie <strong>beim</strong> <strong>BMX</strong> im<br />
Stehen sprinten, ist schwer zu sagen.<br />
15
Abb. 2: Auswirkung der <strong>Kurbellänge</strong> im Verhältnis zur Beinlänge auf die maximale Leistung.<br />
Aus Martin <strong>und</strong> Spirduso (2001).<br />
erzielen. Eine 4%-tige Zeitdifferenz (z.B. 35s vs. 36.4 s) würde in vielen Rennen einen Unterschied<br />
zwischen Viertelfinale <strong>und</strong> Finale ausmachen.<br />
Bei näherer Betrachtung waren nicht die absoluten <strong>Kurbellänge</strong>n entscheidend für die maximale<br />
Leistung der Fahrer, sondern das Verhältnis von <strong>Kurbellänge</strong> <strong>und</strong> Beinlänge. Die optimale<br />
<strong>Kurbellänge</strong> erwies sich als 20% von der Beinlänge, wobei die Beinlänge als Differenz<br />
zwischen der Körpergröße im Stehen <strong>und</strong> im Sitzen gemessen wurde.<br />
Wie Abb. 2 entnommen werden kann, haben Abweichungen vom optimalen Verhältnis der<br />
Bein- <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong> von +/- 0,25% nicht mehr als 0,5% Abweichungen in der maximalen<br />
Leistungserbringung. Daher kann zumindest im Amateurbereich ein gröberes Maß als ausreichend<br />
angesehen werden, nach dem sich die <strong>Kurbellänge</strong> an der Körpergröße orientiert, <strong>und</strong><br />
10% der Körpergröße +/- 10 mm als ein angemessener Richtwert dienen kann.<br />
Diese Empfehlung weicht insbesondere von den Empfehlungen ab, die häufig für Kinder gegeben<br />
werden. So wurde in der C-Trainerausbildung 2017 eine Größentabelle vorgestellt, in<br />
der für Kinder bis 115 cm Körpergröße eine <strong>Kurbellänge</strong> von 145-155 mm vorgesehen ist. In<br />
dem <strong>BMX</strong>-Lehrbuch von McCormack (Fn. 20) ist eine <strong>Kurbellänge</strong> von 150-160 mm für<br />
Fahrer bis 122 cm (4 feet 0 inches) empfohlen. Demgegenüber erscheint nach der hier vertretenen<br />
Argumentation für 115 cm große Kinder eine <strong>Kurbellänge</strong> von 105 bis 125 cm vertretbar<br />
<strong>und</strong> für Kinder mit der Größe 120 cm Kurbeln zwischen 110 <strong>und</strong> 130 cm.<br />
Die geläufigen Empfehlungen sind auch deshalb zu hinterfragen, weil sie nicht über alle Körpergrößen<br />
hinweg das gleiche Verhältnis zur <strong>Kurbellänge</strong> implizieren. Während die Länge<br />
einer 150 mm Kurbel 13% der Körpergröße eines 115cm großen Kindes ausmacht, liegt bei<br />
einem 190 cm großen Mann mit einer empfohlenen 180mm Kurbel der Wert bei 9,4%. Dies<br />
sind eklatante Unterschiede, die es nach den in Abb. 2 dargestellten Untersuchungen als unwahrscheinlich<br />
erscheinen lassen, dass beide Gruppen mit diesen <strong>Kurbellänge</strong>n in der Nähe<br />
ihres Optimums liegen. Entweder die Kurbeln für die Kinder sind zu lang oder die Kurbel für<br />
die Erwachsenen zu kurz. Es müssten besondere Gründe vorgebracht werden, die zeigen, wa-<br />
16
um bei Kindern die optimalen <strong>Kurbellänge</strong>n relativ zur Körpergröße deutlich von denen bei<br />
Erwachsenen variieren.<br />
3.2 Weitere Auswirkungen der <strong>Kurbellänge</strong><br />
Neben den Einflüssen auf die Übersetzung <strong>und</strong> die maximale Leistung hat die <strong>Kurbellänge</strong><br />
noch Einfluss auf zwei weitere Aspekte, die im <strong>BMX</strong> von Relevanz sind.<br />
Erstens beeinflusst die <strong>Kurbellänge</strong>, wie stabil <strong>und</strong> beweglich der Fahrer auf den Pedalen<br />
steht. Dies ist relevant für die <strong>BMX</strong>-Techniken zur Überwindung der Hindernisse (Pushen,<br />
Manual, Pick-up, Bunny-hop, Springen, Kurvenfahren etc.) bei denen zumeist nicht getreten,<br />
sondern auf den Pedalen in waagerechter Stellung gestanden wird. Bei sehr kleinen Pedalen<br />
stehen die Füße relativ eng zueinander, bei sehr großen Pedalen stehen sie relativ weit auseinander.<br />
Beides kann die Balance ungünstig beeinflussen.<br />
Zweitens beeinflusst die <strong>Kurbellänge</strong>, wie viel Freiraum <strong>beim</strong> Treten zwischen den Pedalen<br />
<strong>und</strong> dem Boden ist. Je länger die Kurbel, umso eher setzt sie bei Hindernissen auf, wenn die<br />
Pedalstellung nicht ganz waagerecht ist. Dies kann sich insbesondere <strong>beim</strong> Übertreten von<br />
Hindernissen bemerkbar machen.<br />
4 Empfehlungen zur Konfiguration des <strong>BMX</strong>-Rades<br />
Aus den obigen Ausführungen resultieren folgende Empfehlungen zur Konfiguration von<br />
Kettenblatt, Ritzel, Laufradgröße <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong>:<br />
4.1 Auswahl der Laufradgröße<br />
Eine gr<strong>und</strong>legende Wahl betrifft die Laufradgröße. Zunächst muss entschieden werden, ob<br />
mit dem Rad in der 20-Zoll oder der 24-Zoll Klasse (Cruiser) gestartet werden soll. Dies ist<br />
eine Entscheidung nach individuellem Gusto. Die leistungsorientierten Klassen sind alle im<br />
20-Zoll Bereich. Für Senioren (ab 30 Jahre) kann die Wahl eines 24-Zoll Rades vorteilhaft<br />
sein, weil die Räder ruhiger fahren <strong>und</strong> mehr Fahrfehler verzeihen. Aber auch für jüngere<br />
Fahrer kann es Gründe geben, ein 24-Zoll Rad zu fahren, z.B. weil die Konkurrenz in diesen<br />
Klassen nicht so hoch ist oder um als Doppelstarter einen zusätzlichen Trainingseffekt bei<br />
Rennen zu haben.<br />
Ein zweiter Aspekt betrifft die Breite des Laufrades, die wesentlichen Einfluss auf dessen<br />
Stabilität <strong>und</strong> Belastbarkeit hat. Neben der Fähigkeit, stärkere Schläge auszuhalten, haben<br />
breitere Laufräder in der Regel eine höhere Auflagefläche <strong>und</strong> größere Seitenstabilität bei<br />
Schräglagen, die höhere Geschwindigkeiten in Kurven erlauben. Andererseits kann ein Laufrad<br />
umso schwerer beschleunigt werden, desto schwerer es ist. Insbesondere haben die rotierenden<br />
Massen am äußeren Rand des Laufrades - Mantel, Schlauch <strong>und</strong> Felgenring - einen<br />
Einfluss auf die Trägheit des Laufrades.<br />
Daher gilt es, das schmalste Laufrad zu wählen, das noch ausreichend stabil für das Gewicht<br />
<strong>und</strong> die Fahrweise des Sportlers ist, aber nicht breiter <strong>und</strong> schwerer, als notwendig. Mit<br />
hochwertigen Komponenten, professionellem Zusammenbau mit hoher Speichenspannung<br />
sowie stets hohem Luftdruck in den Reifen kann ein schmaleres Laufrad stabiler als ein brei-<br />
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teres sein. Es kommt relativ häufig vor, dass Fahrer ein Laufrad fahren, das stabiler <strong>und</strong><br />
schwerer ist, als notwendig. Dies kann im Hobbybereich Sinn machen, um sehr hohe Sicherheitsreserven<br />
der Laufräder zu haben <strong>und</strong> damit die Gefahr von Schäden zu minimieren. Im<br />
Leistungsbereich sind schwere Laufräder ein signifikanter Wettbewerbsnachteil, der tunlichst<br />
vermieden werden sollte.<br />
Aus solchen Überlegungen, die nichts mit der Übersetzung des Fahrrades zu tun haben, resultiert<br />
eine bestimmte Größe des Laufrades. Sie sollte individuell gemessen werden <strong>und</strong> in die<br />
Konfiguration des Übersetzungsverhältnisse einfließen.<br />
4.2 Auswahl der <strong>Kurbellänge</strong><br />
Die <strong>Kurbellänge</strong> sollte ausschließlich nach der Körpergröße bzw. Beinlänge des Fahrers ausgesucht<br />
werden. Der Aspekt des größeren Hebels einer längeren Kurbel sollte keine Rolle<br />
spielen, obwohl dies sehr häufig empfohlen wird. So argumentiert McCormick (Fn. 20), längere<br />
Kurbeln gäben mehr Spielraum, einen größeren Gang zu treten <strong>und</strong> schneller zu beschleunigen.<br />
Daher solle man die längste Kurbel fahren, die man noch schnell <strong>und</strong> r<strong>und</strong> treten<br />
könne (S. 35).<br />
Aber mit dem gleichen Argument könnte man behaupten, größere Ritzel gäben mehr Spielraum,<br />
ein größeres Kettenblatt zu fahren <strong>und</strong> schneller zu beschleunigen. Diese Aussage wäre<br />
offenk<strong>und</strong>ig falsch, da der Effekt größerer Ritzel durch größere Kettenblätter wieder ausgeglichen<br />
wird <strong>und</strong> das Fahrrad daher nicht schneller beschleunigt werden kann. In gleicher<br />
Weise gleicht ein größerer Gang (d.h. ein größeres Verhältnis von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel) eine<br />
längere Kurbel wieder aus, so dass die Beschleunigung des Fahrrades nicht schneller wird,<br />
wenn man mit längerer Kurbel einen größeren Gang fährt.<br />
Genau weil die Auswirkung von Kettenblatt, Ritzel <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong> auf die Beschleunigung<br />
äquivalent sind, sollte man bei der Länge der Kurbel keine Kompromisse in Bezug auf die<br />
Körpergröße eingehen, um vermeintliche Vorteile in der Übersetzung zu haben. Man sollte<br />
nicht die längste Kurbel montieren, die man gerade noch schnell <strong>und</strong> r<strong>und</strong> treten kann, sondern<br />
die Kurbel, mit der man am schnellsten <strong>und</strong> r<strong>und</strong>esten treten kann <strong>und</strong> mit der man die<br />
größte Leistung entwickeln kann.<br />
Als Gr<strong>und</strong>regel kann 20% der Beinlänge oder 10% der Körpergröße dienen. Individuelle Anpassungen<br />
von +/- 10 mm sind möglich. Gründe hierfür können z.B. sein, Kurbeln auf Zuwachs<br />
des Fahrers zu kaufen, fehlende Zwischengrößen <strong>beim</strong> gewünschten Kurbelmodell,<br />
individuelle Vorlieben oder Gewöhnungen des Fahrers oder ungewöhnliche Körperproportionen<br />
(z.B. sehr lange Beine). Auch können motorische Fähigkeiten eine Rolle spielen, da kürzere<br />
Kurbeln bei gegebenem Übersetzungsverhältnis schneller gedreht werden müssen.<br />
Auf der Basis dieser Empfehlung sind die Kurbeln, die in <strong>BMX</strong>-Kompletträdern verbaut werden,<br />
bei Kindern häufig zu lang <strong>und</strong> sollten ggf. ausgewechselt werden.<br />
4.3 Auswahl von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel<br />
Wenn die Größe des Laufrades <strong>und</strong> die Länge der Kurbel festgelegt sind, folgt die Bestimmung<br />
des <strong>Vortriebsverhältnis</strong>ses durch eine passende Kombination von Kettenblatt <strong>und</strong> Ritzel.<br />
Da die Werte von Kettenblättern <strong>und</strong> Ritzeln nicht stufenlos eingestellte werden können,<br />
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sollte man über einen größeren Bereich alle möglichen Kombinationen berechnen <strong>und</strong> diejenige<br />
auswählen, die dem gewünschten <strong>Vortriebsverhältnis</strong> am nächsten kommt. Wenn mehrere<br />
Kombinationen praktisch gleichwertig sind, sollte die Kombination mit dem kleinsten Kettenblatt<br />
<strong>und</strong> Ritzel ausgewählt werden, um Gewicht zu sparen <strong>und</strong> Schwankungen der Kettenlinie<br />
zu minimieren.<br />
Ergänzend können spezielle Erwägungen hinzukommen, wie die Verwendung von Kettenblättern<br />
<strong>und</strong>/oder Ritzeln mit abwechselnd schmalen <strong>und</strong> breiten Zähnen (narrow/wide design),<br />
die sich in die schmalen <strong>und</strong> breiten Taschen der Kette einfügen <strong>und</strong> die Gefahr des<br />
Abwurfs minimieren. Für die Auswahl der Größe der Zahnräder ist dies insofern relevant, als<br />
das Design nur eine gerade Anzahl von Zähnen zulässt <strong>und</strong> somit die Auswahl einschränkt.<br />
Als „Standardeinstellung“ des <strong>Vortriebsverhältnis</strong>ses kann im <strong>BMX</strong>-Bereich der Wert 4,0 für<br />
alle Alters- <strong>und</strong> Leistungsklassen angesehen werden. Das Ziel sollte es sein, niedrigere Werte<br />
<strong>und</strong> somit eine kürzere Übersetzung, fahren zu können. Motorisch versierte Fahrer im Leistungsbereich<br />
schaffen es, Übersetzungsverhältnisse von bis zu ca. 3,75 ohne signifikante Leistungseinbußen<br />
zu fahren <strong>und</strong> haben entsprechende Vorteile bei der Beschleunigung. Dies bedarf<br />
der Realisierung einer sehr hohen Pedalgeschwindigkeit <strong>und</strong> insbesondere bei kleinen<br />
Kurbeln einer sehr hohe Kadenz. Bei kleinen Kindern oder Anfängern kann es nützlich sein,<br />
das Übersetzungsverhältnis auf bis zu 4,25 zu erhöhen, solange sie nur in der Lage sind, ihre<br />
Kraft bei langen Übersetzungen auf die Pedale zu bringen.<br />
Im Leistungsbereich sollte das individuelle optimale Übersetzungsverhältnis eines Fahrers<br />
idealerweise durch Zeitmessungen bestimmt werden, da der äußere Eindruck des Trainers <strong>und</strong><br />
das innere Gefühl des Fahrers täuschen können. Die Fähigkeit, ein niedriges <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
fahren zu können, ist zum Teil erblich bedingt durch den Anteil an schnellen <strong>und</strong> langsamen<br />
Muskelfasern, der darüber bestimmt, ob man eher ein „Smasher“ oder ein „Spinner“ ist,<br />
<strong>und</strong> der nur bis zu einem gewissen Grad durch Training beeinflusst werden kann. Bis zu einem<br />
gewissen Grad gilt aber sicherlich auch die Ansicht von Greg Romero, 23 nach der sich<br />
Sportler an die Übersetzung bzw. das <strong>Vortriebsverhältnis</strong> ihres Fahrrads gewöhnen <strong>und</strong> mit<br />
dem gewohnten Verhältnis die besten Leistungen erbringen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sollte<br />
man z.B. mit der Strategie, das Übersetzungsverhältnis an den Charakter verschiedener <strong>BMX</strong>-<br />
Bahnen anzupassen, zurückhaltend sein. Sicherlich kann es angemessen sein, auf einer Supercrosss-Strecke<br />
eine etwas andere Übersetzung zu fahren als auf einer einfachen Übungsbahn.<br />
Letztlich müsste aber auch dies mit Zeitmessungen bestätigt werden.<br />
5 Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
1. Die im <strong>BMX</strong>-Bereich gängigen Maßzahlen zur Bestimmung der Übersetzung eines<br />
Fahrrades (Zahnradverhältnis, Gang-Zoll, Entfaltung) sind alle unvollständig <strong>und</strong> führen<br />
zu falschen Empfehlungen hinsichtlich der Zahnradgrößen <strong>und</strong> <strong>Kurbellänge</strong>n. Insbesondere<br />
führen sie zu der falschen Vorstellung, die <strong>Kurbellänge</strong> hätte aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
23 http://bmxtraining.com/2017/08/17/tips-picking-gear-ratio/<br />
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Hebelwirkung einen Effekt auf die Beschleunigung, der unabhängig von der Übersetzung<br />
sei. Tatsächlich ist aber die <strong>Kurbellänge</strong> Teil der Übersetzung <strong>und</strong> hat keinen anderen<br />
Effekt auf die Beschleunigung als die Größe der Zahnräder <strong>und</strong> der Laufräder.<br />
Ihre Einflüsse sind äquivalent.<br />
2. Das einzige vollständige Maß der Übersetzung - das einzige Maß, das die <strong>Kurbellänge</strong><br />
mit einbezieht - ist das <strong>Vortriebsverhältnis</strong>. Obwohl im Bereich <strong>BMX</strong> völlig unbeachtet,<br />
hat es gerade in diesem Bereich eine besondere Relevanz, weil über die Altersklassen<br />
hinweg Kurbeln von 120 mm bis 180 mm Länge gefahren werden. Nur mit dem<br />
<strong>Vortriebsverhältnis</strong> können aussagekräftige Vergleiche der Übersetzung von Rädern<br />
mit verschiedenen <strong>Kurbellänge</strong>n gemacht werden. Daher sollte das <strong>Vortriebsverhältnis</strong><br />
als neuer Standard zur Bestimmung der Übersetzung im <strong>BMX</strong>-Bereich etabliert werden.<br />
3. Unabhängig von ihrer Auswirkung auf die Übersetzung hat die <strong>Kurbellänge</strong> eine<br />
Auswirkung auf die maximale Leistung, die ein Sportler auf dem Ergometer <strong>und</strong> somit<br />
auch auf dem Fahrrad erbringen kann. Aus biomechanischen Gründen können die optimalen<br />
Leistungen mit Kurbeln erbracht werden, die etwa 20% der Beinlänge oder<br />
10% der Körperlänge haben. Legt man diese Regel zu Gr<strong>und</strong>e werden für Kinder zumeist<br />
Kurbeln empfohlen, die deutlich zu lang sind. Daher sollte die 10% Regel als<br />
neuer Standard zur Bestimmung der <strong>Kurbellänge</strong> im <strong>BMX</strong>-Bereich etabliert werden.<br />
4. Zur Konfiguration der Elemente, die einen Einfluss auf die Übersetzung haben, sollte<br />
erstens die Laufradgröße nach der gewünschten Rennklasse (20-Zoll, Cruiser) <strong>und</strong> der<br />
notwendigen Stabilität ausgesucht werden. Zweitens sollte die <strong>Kurbellänge</strong> nach der<br />
10% Regel bestimmt werden. Schließlich sollte das Größenverhältnis von Kettenblatt<br />
<strong>und</strong> Ritzel so ausgewählt werden, dass ein <strong>Vortriebsverhältnis</strong> von etwa 4 erreicht<br />
wird. Dies gilt als Standardwert für alle Alters- <strong>und</strong> Leistungsklassen <strong>und</strong> kann individuell<br />
bis zu +/- 0,25 angepasst werden.<br />
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