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soziologie heute Februar 2018

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NACHRUF<br />

Ein Soziologieprofessor alten Schlages<br />

von Volker Wackerfuß<br />

Mit Horst Baier ist einer der großen<br />

deutschen Soziologen gegangen,<br />

der noch in der Tradition des wahrhaften<br />

und vielseitigen Gelehrten<br />

beheimatet war. Er verstarb am 2.<br />

Dezember 2017 in Konstanz.<br />

Am 26. März 1933 wurde er in<br />

Brünn (Mähren) geboren. Er studierte<br />

Medizin und Philosophie zwischen<br />

1952-1959 an den Universitäten in<br />

Erlangen und München. Nach dem<br />

Examen in Medizin, erfolgte die Promotion<br />

zum Dr. med., danach wurde<br />

er wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

beim Soziologen Helmut Schelsky<br />

an der Sozialforschungsstelle der<br />

Universität Münster in Dortmund.<br />

1969 habilitierte sich Baier mit einer<br />

Arbeit über Max Weber im Fach<br />

Soziologie an der Universität Münster.<br />

In Münster war er ordentlicher<br />

Professor für Soziologie an der dortigen<br />

Pädagogischen Hochschule.<br />

Schnell erfolgte der Ruf von der<br />

Universität Frankfurt (Main) an ihn.<br />

Er wurde zum Ordinarius für Soziologie<br />

und Philosophie berufen. Es war<br />

der Ruf auf den Lehrstuhl von Theodor<br />

W. Adorno. Dort war Baier von<br />

1970-1975 tätig. 1975 wechselte<br />

er an die neugegründete Universität<br />

Konstanz und als Lehrstuhlinhaber<br />

für Soziologie entwickelte Professor<br />

Baier erneut großes Schaffen in den<br />

Fächern der Soziologie und zusätzlich<br />

ebenso der Verwaltungswissenschaften.<br />

Von 1989-1994 kamen<br />

außerdem Gastprofessuren in Kiew,<br />

Prag und Brünn hinzu. Im Jahre<br />

1998 erfolgte die Emeritierung, die<br />

Entbindung von der Verpfl ichtung<br />

Vorlesungen abzuhalten.<br />

Die Mitherausgabe von soziologischen<br />

Zeitschriften war ihm ein zusätzliches<br />

Anliegen gewesen. Bei<br />

„Soziale Welt“ war er von 1965-<br />

1969 tätig, bei „Zeitschrift für Soziologie“<br />

von 1971-1974 und bei<br />

„Medizin, Mensch, Gesellschaft“<br />

von 1976-1992. Zu erwähnen ist<br />

auch die Mitherausgabe an der historisch-kritischen<br />

Gesamtausgabe<br />

der Schriften, Briefe und Vorlesungen<br />

Max Webers und die Tätigkeit<br />

als Mitherausgeber der „Konstanzer<br />

Schriften zur Sozialwissenschaft“.<br />

Sein Forschungsinteresse war weit<br />

gefächert, von der Beschäftigung<br />

mit Max Weber über Friedrich Nietzsche<br />

bis zur Sozialstruktur und Sozialpolitik.<br />

Er setzte sich mit der Rolle<br />

und Bedeutung von Verbänden im<br />

Sozialstaat auseinander. Er analysierte<br />

die Krankenhausökonomik<br />

und publizierte beständig über die<br />

Gesundheitsverwaltung. Zudem untersuchte<br />

er den Wandel der Werte<br />

innerhalb der Gesellschaft. Es entstanden<br />

Schriften wie „Ehrlichkeit<br />

im Sozialstaat – Gesundheit zwischen<br />

Medizin und Manipulation“<br />

oder „Gesundheit als Lebensqualität<br />

– Folgen für Staat, Markt und<br />

Medizin“. Vor fast zwanzig Jahren<br />

sprach er bereits davon, dass jener<br />

sogenannte „Umbau des Staates“<br />

nichts anderes als ein Abbau desselben<br />

sei und dass sich dies aufgrund<br />

der Globalisierung ereigne. Zugleich<br />

sah er das Aufkommen einer postmodernen<br />

Erlebnisgesellschaft und<br />

eines damit verstärkten Hedonismus<br />

mit entsprechenden Folgen<br />

und Konsequenzen für Staat, soziale<br />

Versorgung und Gesundheitswesen<br />

voraus.<br />

Während der letzten Jahre verfasste<br />

er Gedichte, Novellen, Kurzgeschichten<br />

und Anekdoten, die in mehreren<br />

Publikationen veröffentlicht wurden.<br />

Mit Horst Baier ist ein Professor<br />

gegangen, der stets für die Soziologiestudenten<br />

als Ansprechpartner<br />

existent war. Er nahm sich Zeit, versuchte<br />

den Anderen zu verstehen,<br />

gab sich nie besserwisserisch, arrogant<br />

oder überheblich, sondern<br />

diskutierte stets mit dem Anderen in<br />

vorbildlicher Achtung und Respekt.<br />

Und ebenso unvergesslich wird bleiben,<br />

dass nach dem Doktorandenkolloquium,<br />

er mit den angehenden<br />

Promovierten und Zuhörern noch in<br />

eine Kneipe ging und in gemütlicher<br />

Runde über alles Mögliche gesprochen<br />

und diskutiert wurde.<br />

Sein Gedankengut, seine wissenschaftliche<br />

Art der Erörterung und<br />

zugleich seine Humanitas werden in<br />

seinen einstigen Studenten weiterleben<br />

und wirken.<br />

<strong>Februar</strong> <strong>2018</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 39

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