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soziologie heute Februar 2018

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Gier nach Karriere und materiellen<br />

Gütern doch wieder gleich ist, sich<br />

letztlich nur durch den Grad des „Erfolges“<br />

unterscheidet.<br />

Die Kraft, die die Demokratie in<br />

eine Postdemokratie verwandelt, ist<br />

damit identifi ziert, es ist der neoliberale<br />

globale Kapitalismus. Diese<br />

Wirtschaftsordnung drängt nicht nur<br />

politische Entscheidungen in Räume,<br />

die für die Öffentlichkeit nicht<br />

mehr zugänglich sind, sie verändert<br />

politische und soziale Strukturen in<br />

ihrem Sinne. Ob die Staatsgewalt<br />

überhaupt noch vom Volk ausgeht<br />

(Artikel 20, Abs. 2 GG), ob der Bundeskanzler<br />

tatsächlich die Richtlinien<br />

der Politik bestimmt (Artikel 65,<br />

GG), sind in diesem Zusammenhang<br />

spannende Fragen. Auf jeden Fall<br />

sind in der Postdemokratie die Wahlmöglichkeiten<br />

der jeweiligen Regierung<br />

stark eingeengt.<br />

Dies war nicht immer so. Zu Beginn<br />

des Kapitalismus hatte der Staat<br />

eine strenge Aufsichtsfunktion über<br />

das kapitalistische Treiben. Das Gemeinwohl<br />

stand im Vordergrund, und<br />

dieses Gemeinwohl war von seiner<br />

Zielsetzung her nicht immer mit dem<br />

identisch, was die Unternehmen wollten:<br />

Profi t. Der Staat stand den kapitalistischen<br />

Interessen skeptisch<br />

gegenüber und wollte seine Bürger<br />

vor den negativen Auswirkungen dieser<br />

Wirtschaftsordnung schützen.<br />

Dafür wurde seinerzeit der Beamtenapparat<br />

ausgebaut - jetzt wird er<br />

wieder abgebaut, aber nicht nur das:<br />

es wird in großem Maße privatisiert,<br />

also wesentliche staatliche Bereiche<br />

der Wirtschaft zur privaten Organisation<br />

überlassen. Diese Privatisierungsorgie<br />

steht im Einklang mit den<br />

politischen Zielen der Europäischen<br />

Union. Auf diese Weise wird der Staat<br />

selbst zu einem Unternehmen, das<br />

in Konkurrenz zu privaten Unternehmen<br />

tritt. Weil der Staat aber nicht<br />

die Erfahrung von privaten Unternehmen<br />

mit einer langen kapitalistischen<br />

Vorgeschichte hat, wird er immer<br />

weiter in die Defensive gedrängt,<br />

so lange, bis es sich nur noch um ein<br />

von Medien inszeniertes politisches<br />

Theater handelt, für das man zu viel<br />

Steuern bezahlt. Diese Verdrängung<br />

eines ineffi zienten Mitbewerbers ist<br />

im Kapitalismus aber nicht nur legal,<br />

sondern erwünscht.<br />

So verschiebt sich aber die<br />

Macht im Staat von der Politik<br />

hin zur kapitalistischen<br />

Wirtschaft. Dies ist nicht in<br />

Ordnung, weil es nur staatliche<br />

Macht geben sollte.<br />

Private Macht ist ein Widerspruch<br />

in sich. Nur Träger<br />

öffentlicher Rechte und<br />

Pfl ichten können Macht<br />

ausüben. Man kann deshalb<br />

erkennen, dass sich<br />

das demokratische System<br />

nur schwer (eigentlich<br />

überhaupt nicht) mit einem<br />

global agierenden Kapitalismus<br />

in Übereinstimmung<br />

bringen lässt. Diese Wirtschaftsordnung<br />

verlangt<br />

von allen demokratischen<br />

Regierungen ähnliche Reaktionen,<br />

so dass es am<br />

Ende egal ist, wen man wählt. Sogar<br />

politische Organisationen, die eine<br />

völlig unterschiedliche Ideologie vertreten,<br />

geben am Ende fast die gleichen<br />

politischen Antworten. Genau<br />

aus diesem Grunde können auch die<br />

unterschiedlichsten Parteien koalieren.<br />

Immer mehr Menschen machen<br />

dann auch die Erfahrung, dass sich<br />

die Dinge trotz Stimmabgabe nicht<br />

so ändern, wie man es gewünscht<br />

hätte. Man kann wählen, man kann<br />

denken, was man will, am Ende geschehen<br />

doch andere Dinge.<br />

Die Macht, die vom Kapitalismus<br />

ausgeht, wird hier als private Macht<br />

verstanden, die nicht legitim ist, deren<br />

Rahmenbedingungen aber von<br />

der Legislative konstituiert wurden<br />

und dadurch den Schein einer Legitimität<br />

erhält. Private Macht ließe<br />

sich beschränken, so die Rechtsauffassung,<br />

indem man sie zeitlich<br />

begrenzt und dem, der dieser Macht<br />

ausgesetzt ist, genügend Zeit einräumt,<br />

zu vernünftigen Entscheidungen<br />

zu kommen, ihn also nicht unter<br />

Druck setzt. Beides ist in der Postdemokratie<br />

nicht mehr möglich: die<br />

Politik ist durch Wahlen in ihren Entscheidungen<br />

zeitlich getrieben, steht<br />

also ständig unter Druck, und der<br />

Kapitalismus kann nicht abgeschaltet<br />

werden wie eine Lampe, die man<br />

löscht, bevor man zu Bett geht.<br />

Marktwirtschaft fordert die Demokratie<br />

als Staatsform, so dachte man<br />

bisher. Doch genau genommen ist es<br />

nicht die Demokratie, die der Kapitalismus<br />

fordert, sie ist nur eine Illusion,<br />

eine Übergangsstation auf dem<br />

Weg zur Postdemokratie.<br />

Dr. Michael Mayer, Studium der Sozialarbeit,<br />

Promotion in Soziologie, mehrjährige<br />

Tätigkeit in verschiedenen sozialen<br />

Einrichtungen im In- und Ausland.<br />

Schwerpunkt der wissenschaftlichen Tätigkeit:<br />

Organisations<strong>soziologie</strong>, Identifi -<br />

kation Mechanismen sozialer Evolution.<br />

Heute tätig als freier Wissenschaftler<br />

und Publizist.<br />

E-Mail: Allheit@yahoo.de<br />

Foto: Mayer<br />

<strong>Februar</strong> <strong>2018</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 31

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