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soziologie heute Juni 2010

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<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 19<br />

Weg von „Taylor“ - und zurück?<br />

Arbeit ist ein soziales Verhältnis. Es<br />

ist geprägt von den formal-normativen<br />

Strukturen des Unternehmens<br />

wie Arbeitsteilung und Hierarchien,<br />

aber auch von informellen Strukturen,<br />

und es ist geprägt von gesellschaftlichen<br />

Strukturen: sozialer<br />

Schichtung, Milieubildung, Status<br />

und Prestige, die sich an die ausgeübten<br />

Berufe und Tätigkeiten knüpfen.<br />

Arbeit ist ebenso ein soziales Verhalten:<br />

deutlich dort, wo unmittelbare<br />

Kooperation und Kommunikation<br />

zwischen Arbeitenden stattfindet,<br />

aber unverkennbar auch in den indirekten<br />

Bezügen. Noch der isolierteste<br />

Arbeitsplatz an einer vollautomatisierten<br />

Fertigungsstraße bezieht<br />

sich auf die Arbeit Anderer, vor- oder<br />

nachgelagert, und letztlich auf den<br />

Kunden als Abnehmer.<br />

Das nach F. Taylor, Ingenieur der<br />

Ford-Werke Anfang des 20. Jh., Taylorismus<br />

bzw. Fordismus benannte<br />

System ignorierte und verdrängte<br />

diese Fakten, die erst um 1930 in den<br />

bahnbrechenden Untersuchungen<br />

von F. Roethlisberger und E. Mayo<br />

für die Wissenschaft entdeckt wurden.<br />

Heutige alternative Konzepte<br />

stammen aus der Organisationsentwicklung<br />

und der Bewegung zur Humanisierung<br />

der Arbeit ebenso wie<br />

dem Lean Management. Der gemeinsame<br />

Nenner ist Dezentralisierung<br />

und Flexibilisierung. Beides betont<br />

das auch psychische Involvement<br />

Ein Werbeplakat für den Taylorimus aus<br />

den 1920er Jahren in Deutschland<br />

der Mitarbeiter und deren Selbstverantwortung<br />

und Kompetenzentwicklung.<br />

Merkmale dieses „Postfordismus“<br />

sind:<br />

• Integration von Planung und Ausführung<br />

auf verschiedenen Niveaus<br />

• die individuelle Aufgabe als Teil einer<br />

Gesamtaufgabe eines „Teams“<br />

• Selbstverantwortlichkeit für Abläufe<br />

und Ergebnisse<br />

• persönliches Engagement und individuelles<br />

Zeitmanagement<br />

• eigenes Interesse an Fortbildung<br />

auch außerhalb der Unternehmensgrenzen<br />

und -zeiten<br />

Autonomie, Partizipation und Kooperation<br />

sind dabei wichtige Merkmale,<br />

die in Organisationsformen<br />

der Gruppen- wie der Einzelarbeit<br />

realisiert oder nicht realisiert sein<br />

können. In der Tat finden wir gegenläufige<br />

Tendenzen gleichzeitig: eine<br />

Abkehr vom und eine erneute Hinwendung<br />

zum Taylorismus.<br />

Nach einer breit angelegten Untersuchung<br />

des früheren Instituts Arbeit<br />

und Technik in Gelsenkirchen<br />

(Bosch 2000), lassen sich vereinfacht<br />

drei Typen bilden - je nach Ausprägungsgrad<br />

der Merkmale:<br />

• eine tayloristische Arbeitsform mit<br />

hoher Fremdbestimmtheit in Einzelals<br />

auch Gruppenarbeit,<br />

• eine Arbeitsform mit hoher Partizipation<br />

und Kooperation, aber geringer<br />

Autonomie,<br />

• eine post-tayloristische Arbeitsform<br />

mit ausgeprägter Partizipation<br />

und Autonomie und, bei Gruppenarbeit,<br />

hoher Kooperation.<br />

Ende der 1990er Jahre haben sowohl<br />

die tayloristischen wie die post-tayloristischen<br />

Arbeitsformen zu- und hat<br />

die partizipative Arbeitsorganisation<br />

abgenommen. Insbesondere in der<br />

Automobilindustrie (Mercedes Benz,<br />

Rastatt; Volvo, Udevalla/ Schweden)<br />

wurden strukturinnovative Konzepte<br />

zugunsten von restriktiv-tayloristischen<br />

Formen der Gruppenarbeit<br />

aufgegeben. Eine eindeutige Tendenz<br />

ist jedoch nicht erkennbar. Dass das<br />

Konzept „Gruppenarbeit“ überholt<br />

ist, lässt sich jedenfalls nicht begründen.<br />

(Müller-Jentsch 2003: 68)<br />

Arbeiten in neuen Strukturen<br />

Geht man von dem Primat des Nutzens<br />

aller menschlichen Fähigkeiten<br />

aus, so kann nur in der Ganzheitlichkeit<br />

der Arbeit eine „nicht-tayloristische“<br />

Lösung liegen. Es ist<br />

offensichtlich, dass die technologische<br />

Entwicklung gerade den früher<br />

überwiegenden Bereich von Arbeit:<br />

die handwerkliche Formgebung, fast<br />

vollständig ausgeschaltet hat. Die<br />

Elektronisierung bewirkt eine Mediatisierung,<br />

eine Trennung des Arbeitenden<br />

vom Objekt und den Ersatz<br />

dieser direkten Beziehung durch die<br />

Handhabung technisch angepasster<br />

Symbole (sprachliche und grafische<br />

Zeichen etc.). Dadurch verlagert sich<br />

die Arbeit in geistige Arbeit: Planen,<br />

Steuern, Kontrollieren, Überwachen.<br />

Die pluralistische Arbeitsstruktur<br />

als Kombination von manueller Geschicklichkeit,<br />

Erfahrungswissen<br />

und Reflexion dieser Erfahrungen<br />

(Feedback) ist gestört. Um so wichtiger<br />

ist es, gerade diese Tätigkeiten<br />

‚ganzheitlich‘ in Arbeitsgruppen zu<br />

planen und auszuführen, um den<br />

Arbeits- und Produktionsprozess<br />

übersichtlich und durchschaubar zu<br />

machen.<br />

Gruppenarbeit als<br />

Wissensmanagement<br />

Im Taylorismus bleibt wertvolles<br />

Know-how brachliegen, obwohl<br />

es ‚bezahlt‘ ist. In den von Lean<br />

Management inspirierten Managementkonzepten<br />

geht es daher um<br />

eine umfassendere Nutzung von<br />

Humanressourcen und Organisationswissen,<br />

um die innovativen, motivationalen<br />

und qualifikatorischen<br />

Potenziale der Beschäftigten, um<br />

deren optimale Nutzung durch „intelligente<br />

Organisationsstrukturen“,<br />

Flexibilität und Eigenverantwortung.<br />

Dies trifft sich mit Forderungen nach<br />

mehr Selbststeuerung und Selbstverantwortung<br />

(Humanisierung der Arbeit),<br />

allerdings mit anderem Akzent<br />

und normativem Hintergrund.<br />

Die Optimierung der Arbeitsabläufe,<br />

Fragen der Qualitätssicherung, des<br />

Personaleinsatzes einschließlich<br />

Arbeitszeiten und Urlaub und die<br />

Bewältigung sozialer Prozesse werden<br />

in Entscheidung und Gestaltung<br />

auf Gruppen und Individuen verlagert.<br />

Für die Gruppenmitglieder als<br />

Nicht-Manager wird Management<br />

somit zur Alltagsaufgabe. „Beteiligung<br />

von Organisationsmitgliedern<br />

an Entscheidungen über Strukturen<br />

und Prozesse ist [...] zu einem Basis-

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