02/2018
Fritz + Fränzi Fritz + Fränzi
Fr. 7.50 2/Februar 2018 Lutz Jäncke «Kinder, die musizieren, haben mehr von ihrem Gehirn» Papa trinkt Wie eine Familie die Sucht des Vaters überwand Regenbogenfamilie, Leihmutterschaft, Samenspende – das traditionelle Familienbild wandelt sich Mutter, Mutter, Kind
- Seite 2 und 3: 4x4 MADE FOR SWITZERLAND ENTDECKEN
- Seite 4 und 5: Inhalt Ausgabe 2 / Februar 2018 Vie
- Seite 6 und 7: Entdecken Verdammt stark! 3 FRAGEN
- Seite 8 und 9: Rubrik «Es ist also weniger die He
- Seite 10 und 11: Dossier Wir sind Familie! Samenspen
- Seite 12 und 13: Dossier Alternative Familienmodelle
- Seite 14 und 15: Dossier 14 Februar 2018 Das Schwei
- Seite 16 und 17: Dossier Individualisierung und Plur
- Seite 18 und 19: Dossier Gruppenbild mit drei Eltern
- Seite 20 und 21: Dossier Kathrin Zehnder, hätten ab
- Seite 22 und 23: Dossier «Auf die Beziehung kommt e
- Seite 24 und 25: Dossier «Mir lief die Zeit davon»
- Seite 26 und 27: Dossier Anna wurde 2013 geboren. Di
- Seite 28 und 29: Dossier Aline kam 2016 zur Welt. Si
- Seite 30 und 31: Dossier «Wir wünschen uns, dass u
- Seite 32 und 33: Dossier Familie in der Grauzone Es
- Seite 34 und 35: Monatsinterview «Wer Musik macht,
- Seite 36 und 37: Monatsinterview Wenn das Gehirn gro
- Seite 38 und 39: Monatsinterview Lutz Jäncke über
- Seite 40 und 41: In Zusammenarbeit mit der Credit Su
- Seite 42 und 43: Elterncoaching Die Schule - unser F
- Seite 44 und 45: Digital & Medial Die Kunst des Selb
- Seite 46 und 47: Erziehung & Schule Wie zu Stosszeit
- Seite 48 und 49: Rubrik 48 Februar 2018 Das Schweiz
- Seite 50 und 51: Reportage Als die Eltern Mitte 30 w
Fr. 7.50 2/Februar <strong>2018</strong><br />
Lutz Jäncke<br />
«Kinder, die musizieren,<br />
haben mehr von ihrem<br />
Gehirn»<br />
Papa trinkt<br />
Wie eine Familie<br />
die Sucht des<br />
Vaters überwand<br />
Regenbogenfamilie, Leihmutterschaft, Samenspende –<br />
das traditionelle Familienbild wandelt sich<br />
Mutter,<br />
Mutter, Kind
4x4<br />
MADE FOR<br />
SWITZERLAND<br />
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Editorial<br />
Bild: Geri Born<br />
Nik Niethammer<br />
Chefredaktor<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Es gibt Zuschriften, die beim Lesen runtergehen wie Öl. Und für die allein es sich lohnt,<br />
dieses Magazin zu machen. «Ich bin Mutter von zwei Kindern im Alter von 7 und 4 Jahren»,<br />
schreibt Mirjam Lang aus Bubikon ZH. «Regelmässig erhalte ich von der Schule Ihr<br />
«Fritz+Fränzi», welches ich mit Begeisterung lese. Der Artikel über Joel und seine Familie<br />
hat uns sehr berührt, wir finden Ihre Spendenaktion fantastisch und haben sehr gehofft, dass<br />
es klappt. Wir haben einen kleinen Beitrag geleistet, er kam von Herzen, und wir wünschen<br />
der Familie nur das Beste und vor allem viel Freude mit dem geeigneten Vierbeiner.»<br />
Herzlichen Dank, liebe Frau Lang, Ihnen und allen anderen grossen und kleinen Spendern<br />
unserer Aktion «Ein Autismusbegleithund für Joel». Wir sind überwältigt; mit Ihrer grosszügigen<br />
Unterstützung haben wir den erforderlichen Betrag von 30 000 Franken tatsächlich<br />
zusammenbekommen. Wie geht es nun weiter? In der Woche vom 12. Februar wird Joel<br />
seinen Begleithund kennenlernen. Wir werden über die Zusammenschulung in der nächsten<br />
Ausgabe berichten (sie erscheint am 7. März).<br />
Was Kinderohren brauchen:<br />
1. Ich hab dich lieb!<br />
2. Gut gemacht!<br />
3. Ich bin stolz auf dich!<br />
4. Du bist etwas Besonderes!<br />
5. Schön, dass es dich gibt!<br />
6. Ich glaub an dich!<br />
www.zaubereinmaleins.de<br />
Vor einem Jahr schrieb ich an dieser Stelle: «Ein bisschen stolz sind wir beim Schweizer<br />
ElternMagazin schon, mit Michèle Binswanger die vom Branchenmagazin ‹Schweizer Journalist›<br />
ausgezeichnete ‹Gesellschaftsjournalistin des Jahres 2016› an Bord zu haben.» Nun, das<br />
stolze Gefühl hält an, denn unsere Kolumnistin wurde auch im vergangenen Jahr erneut zur<br />
Besten ihrer Zunft in der Sparte «Gesellschaft» gewählt. In der Begründung<br />
der Jury heisst es unter anderem: «Michèle Binswanger steht für selbstbewussten<br />
Feminismus ohne politische Korrektheit, hat Lust an gesellschaftlichen<br />
Brüchen, ist eine echte Inspirationsquelle, unideologisch und unverblümt,<br />
hat immer eine Meinung abseits des Mainstreams.»<br />
Davon, dass die studierte Philosophin und zweifache Mutter immer wieder<br />
den Nerv der Zeit trifft, können Sie sich auch in dieser Ausgabe überzeugen:<br />
In Ihrer aktuellen Kolumne beschreibt unsere Autorin, was die Pubertät mit<br />
ihrer Tochter macht. «Nicht zu wissen, wer man ist und wohin man steuert,<br />
kann anstrengend sein. Aber es gibt kein grösseres Abenteuer, als sich selbst<br />
zu finden.» Ein wunderbarer, sehr persönlicher Text – Seite 45.<br />
Und noch ein Hinweis in eigener Sache: Mit dieser Ausgabe stösst Stefanie Rietzler zum<br />
Expertenteam von «Eine Frage – drei Meinungen» Stefanie Rietzler ist Psychologin,<br />
Autorin («Erfolgreich lernen mit ADHS») und leitet zusammen mit Fabian Grolimund die<br />
Akademie für Lernchoaching in Zürich. Die erste Frage an unsere neue Kollegin hat es in<br />
sich: «Meine achtjährige Tochter wünscht sich Krücken zum Geburtstag», schreibt uns eine<br />
Mutter. «Jetzt frage ich mich: Darf man mit Krücken «krank sein» spielen?» Die Antworten<br />
von Nicole Althaus, Peter Schneider und Stefanie Rietzler – Seite 74.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Lesevergnügen und erhellende Momente mit dieser Ausgabe und<br />
freue mich wie immer über Post von Ihnen.<br />
Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>3
Inhalt<br />
Ausgabe 2 / Februar <strong>2018</strong><br />
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />
fritzundfraenzi.ch und<br />
facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Augmented Reality<br />
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />
erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />
Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />
10<br />
Dossier: Mutter,<br />
Mutter, Kind<br />
10 Familie im Wandel<br />
Bereits jedes fünfte Kind in der Schweiz<br />
wächst heute nicht mehr in der<br />
Konstellation Vater-Mutter-Kind auf.<br />
22 Resiliente Regenbogenkinder<br />
Sozialforscherin Andrea Buschner<br />
erklärt, warum das Aufwachsen<br />
in einer neuen Familienkonstellation<br />
für Kinder ein Vorteil sein kann.<br />
Bild: Désirée Good / 13 Photo<br />
32 Was ist erlaubt?<br />
Die Medizin macht vieles möglich,<br />
zugelassen ist jedoch längst nicht alles.<br />
Eine Übersicht.<br />
Cover<br />
Bettina und Fiona<br />
Aremu sind die Mütter<br />
von Tobi, 7. In unserem<br />
Dossier berichten<br />
sie aus ihrem<br />
Familienleben.<br />
Bilder: Désirée Good / 13 Photo, Vera Hartmann / 13 Photo, Stephan Rappo / 13 Photo<br />
4 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
34<br />
45<br />
48<br />
Lutz Jäncke, ist Auswendiglernen überhaupt<br />
noch zeitgemäss?<br />
«Was macht die Pubertät mit meinem Kind?»,<br />
fragt sich Michèle Binswanger.<br />
Beats Alkoholsucht dominierte jahrelang den<br />
Alltag der ganzen Familie. Eine Reportage.<br />
Erziehung & Schule<br />
40 Jung und verschuldet<br />
Über die Tücken der Ratenzahlung<br />
sollten Teenager früh aufgeklärt<br />
werden.<br />
46 Unter schlechten Bedingungen<br />
In einer Studie wurden die Arbeitsbedingungen<br />
von Lehrpersonen<br />
untersucht. Die Resultate sind<br />
beunruhigend.<br />
48 Ich, der Alkoholiker<br />
Ein Vater erzählt von seiner<br />
Sucht – und wie er die Krankheit<br />
überwunden hat.<br />
Ernährung & Gesundheit<br />
60 Bluthochdruck<br />
Rund zwei Prozent aller Schweizer<br />
Kinder leiden unter Bluthochdruck.<br />
Tendenz steigend. Eltern sollte<br />
die Diagnose nicht unterschätzen.<br />
Digital & Medial<br />
44 In eigener Sache<br />
Wer sich auf eine Lehrstelle bewirbt,<br />
muss Selbstmarketing betreiben.<br />
64 Generation Smartphone<br />
Jugendliche hängen nur am Handy.<br />
«Stimmt nicht», sagen diese –<br />
und wenden sich in unserem Beitrag<br />
an besorgte Eltern.<br />
69 Adi & Jess voll im Stress<br />
Was tun, wenn der Stoff für die<br />
Abschlussprüfung unbewältigbar<br />
scheint? Die neueste Folge<br />
der Videoserie gibt Antworten.<br />
Rubriken<br />
03 Editorial<br />
06 Entdecken<br />
34 Monatsinterview<br />
Der Neuropsychologe Lutz Jäncke<br />
über die Kunst des Lernens<br />
und die kindliche Hirnentwicklung.<br />
42 Fabian Grolimund<br />
Unser Bildungssystem ist in Verruf<br />
geraten. Aber den Kindern hilft<br />
das mediale Schulbashing nicht.<br />
45 Kampfzone Pubertät<br />
Wenn ihre Kinder zu Teenagern<br />
werden, machen sich viele Eltern<br />
Sorgen. Meist weil sie sich an ihre<br />
eigene Pubertät zurückerinnern,<br />
weiss Michèle Binswanger.<br />
56 Jesper Juul<br />
Übermässige Fürsorge macht unsere<br />
Kinder ängstlich und unsicher,<br />
warnt der dänische Familientherapeut<br />
Jesper Juul.<br />
58 Leserbriefe<br />
74 Eine Frage – drei Meinungen<br />
Darf man seiner gesunden Tochter<br />
Krücken zum Geburtstag schenken?<br />
Service<br />
63 Verlosung<br />
70 Ein Wochenende …<br />
… in Andermatt-Sedrun<br />
72 Sponsoren/Impressum<br />
72 Abo<br />
73 Buchtipps<br />
Die nächste Ausgabe erscheint<br />
am 7. März <strong>2018</strong>.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>5
Entdecken<br />
Verdammt stark!<br />
3 FRAGEN<br />
Wenn Sie Ihrem Kind das nächste<br />
Mal ein Schimpfwort verbieten<br />
wollen – überlegen Sie es sich lieber.<br />
Laut einer britischen Studie hat das<br />
Fluchen nämlich einen besseren Ruf<br />
verdient. Wenn wir fluchen, löst das<br />
eine körperliche Reaktion aus –<br />
das konnte Dr. Richard Stephens,<br />
Psychologe an der Keele University,<br />
mit Tests belegen. In einer ersten<br />
Untersuchung waren Probanden in<br />
zwei Gruppen aufgeteilt. Sie sollten<br />
ihre Hände in Eiswasser halten, aber<br />
nur eine der Gruppen durfte ihrem<br />
Impuls folgen, zu fluchen. Das<br />
Ergebnis: Die Fluchenden ertrugen<br />
den Schmerz länger als die anderen –<br />
sie gaben viel früher auf.<br />
an Regula Straub, Geschäftsführerin der Schweizer Berghilfe<br />
«Wir wollen die Bergwelt als Ganzes fördern»<br />
<strong>2018</strong> wird die Schweizer Berghilfe 75 Jahre alt: ein Grund zum<br />
Feiern! Was Familien im Jubiläumsjahr an Aktionen erwartet, erklärt<br />
Geschäftsführerin Regula Straub.<br />
Interview: Evelin Hartmann<br />
Frau Straub, 1943 erfolgte zum ersten Mal ein schweizweiter<br />
Spendenaufruf mit dem Titel «Berg-Hilfe». Für wen wurde Geld<br />
gesammelt?<br />
Das war sozusagen die Geburtsstunde der Schweizer Berghilfe. Man<br />
wollte die Bergbauernfamilien unterstützen, deren Väter während<br />
des Zweiten Weltkriegs zur Sicherung der Landesgrenzen im Aktivdienst<br />
waren. Das Geld floss also in die Berglandwirtschaft.<br />
Und heute?<br />
2005 wurde der Verein Schweizer Berghilfe in eine Stiftung umgewandelt.<br />
Gleichzeitig beschloss man, mit den Spendengeldern neben der<br />
Landwirtschaft auch Projekte in weiteren Bereichen wie zum Beispiel im<br />
Tourismus, im Gewerbe oder in der Bildung zu fördern. Wir wollen die<br />
Bergwelt als Ganzes begreifen und fördern.<br />
Was erwartet uns im Jubiläumsjahr?<br />
Auf einer Art Schnitzeljagd – der «Berghilfe Trophy» – zeigen 44 Projekte,<br />
was mit der Unterstützung der Schweizer Berghilfe in den verschiedenen<br />
Bergregionen der Schweiz alles entstanden ist: von der Käserei über die<br />
Alphütte bis hin zum Berghotel oder zur Köhlerei. Bei einigen Projekten<br />
gibt es spezielle Veranstaltungen, andere bieten das ganze Jahr hindurch<br />
Aktivitäten an. Und wer vom 1. Januar bis 31. Dezember <strong>2018</strong> mindestens<br />
3 der 44 Projekte besucht hat, nimmt am Wettbewerb um die «Berghilfe<br />
Trophy» teil und hat die Chance, attraktive Preise zu gewinnen.<br />
www.trophy.berghilfe.ch<br />
Knapp 40 % der Bevölkerung kennen die Risiken<br />
des Rauchens ungenügend: Menschen unter<br />
20 und über 40 Jahren, solche mit tieferem<br />
Bildungsniveau, täglich Rauchende und solche,<br />
die nicht mit dem Rauchen aufhören möchten,<br />
haben in der Regel schlechtere Kenntnisse über<br />
die Schädlichkeit des Tabakkonsums.<br />
(Quelle: Ergebnisse der Studie «Etat des connaissances de la population<br />
sur la dangerosité du tabagisme et du tabagisme passif en 2016». Die Studie<br />
ist eine Analyse der Daten aus dem Suchtmonitoring Schweiz.)<br />
Eine Schatzkiste für Eltern<br />
Was für eine Beziehung möchte ich zu meinem Kind haben? Wer<br />
entscheidet bei uns über finanzielle Fragen? Was mag mein Kind<br />
gern? Was nicht? Eltern stellen sich viele Fragen, manche sind leicht<br />
zu beantworten, andere nicht. Sich mit ihnen auseinanderzusetzen<br />
lohnt sich aber fast immer – zum<br />
Beispiel mit der «Eltern-kiste» und<br />
ihren schön gestalteten Karten.<br />
Jede dieser Karten enthält<br />
verschiedene Fragen zu einem<br />
bestimmten Familienthema.<br />
Eine wahre Schatzkiste!<br />
Nicole Troxler-Menzi, Werner<br />
Troxler: Elternkiste, Verlag<br />
Hirschi + Troxler, Fr. 34.90<br />
www.beziehungskiste.ch<br />
Bilder: ZvG<br />
6 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>7
Rubrik<br />
«Es ist also weniger<br />
die Herkunft als die<br />
Migration als solche, die<br />
ausschlag gebend dafür ist,<br />
ob jemand kriminell wird.»<br />
(Quelle: www.bazonline.ch. Der Kriminologe Martin Killias spricht über die<br />
Ergebnisse seiner Untersuchungen über das Delinquenzverhalten von<br />
4000 Jugendlichen in der Schweiz mit und ohne Migrationshintergrund sowie von<br />
6000 Gleichaltrigen in Serbien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien.<br />
So würden nicht nur Schweizer Jugendliche ohne Migrationshintergrund weniger<br />
häufig delinquent als Kinder von Migranten. Auch die Jugendlichen in<br />
den Herkunftsländern der Migranten werden deutlich seltener straffällig.)<br />
Prof. Dr. Martin<br />
Killias ist ein<br />
renomierter<br />
Schweizer<br />
Strafrechtler.<br />
Westen für<br />
Zappelkinder<br />
Verhaltensauffällige Kinder zu<br />
unterrichten, ist für Lehrpersonen<br />
sehr anstrengend. An Hamburger<br />
Schulen werden deshalb seit<br />
einiger Zeit Sandwesten eingesetzt, um<br />
Zappelkinder zu beruhigen. Die Idee kommt – wie so<br />
vieles – aus den USA. Die Westen «verteilen Gewicht<br />
und Druck gleichmässig und flächendeckend auf die<br />
Muskel- und Belastungssensoren. Das steigert die<br />
kognitive Leistungsfähigkeit», erklärt eine Hamburger<br />
Sonderpädagogin das Konzept. «Für die Kinder ist das<br />
wie behutsames Handauflegen.» Die Westen wiegen zwei<br />
bis fünf Kilogramm und werden höchstens 30 Minuten<br />
angelegt, damit sich die Kinder nicht komplett an<br />
sie gewöhnen. Mittlerweile kommen die Westen an<br />
13 Schulen der Hansestadt zum Einsatz. Schweizer<br />
Pädagogen bewerten dieses Konzept eher kritisch.<br />
Wie man auf die Welt kommt … Der Weg durch den Geburtskanal ist<br />
nicht angenehm. Aber er lohnt sich anscheinend. Im Rahmen einer Studie verfolgten<br />
australische Wissenschaftler die Entwicklung von 3666 Neugeborenen bis ins Schulalter.<br />
Die per Kaiserschnitt geborenen Kinder schnitten in einigen Tests zu Grammatik, Rechen-,<br />
Lese- und Schreibfertigkeiten schlechter ab. Warum? Bei einer Vaginalgeburt komme das<br />
Baby mit Bakterien im Geburtskanal der Mutter in Kontakt. Deshalb entwickle sich die<br />
Darmflora des Kindes anders als nach einem Kaiserschnitt. Nun können Bakterien im Darm<br />
die Entwicklung des Nervensystems – und damit des Gehirns – beeinflussen. Trotzdem gebe<br />
es keine stichhaltigen Beweise dafür, dass ein Kaiserschnitt tatsächlich die schlechteren<br />
Testergebnisse verursacht, so die Forscher.<br />
Die Spritze<br />
gegen Akne<br />
Eitergelbe Pickel auf Stirn und<br />
Wangen: Gerade Jugendliche<br />
plagen sich in der Pubertät mit<br />
Akne herum – noch. Denn<br />
Wissenschaftler an der University<br />
of California in San Diego<br />
forschen seit Jahren an einer<br />
Akne-Impfung. Was nicht<br />
unproblematisch sein soll. Laut<br />
den Forschern wird Akne zum<br />
Teil von P.acnes-Bakterien<br />
ausgelöst, die wir ein Leben lang<br />
mit uns herumtragen und die<br />
sich auch positiv auf den Körper<br />
auswirken. Der nun entwickelte<br />
Impfstoff soll die Akneverursachenden<br />
Wirkungen der<br />
P.acnes-Bakterien blockieren,<br />
ohne die Bakterien selbst zu<br />
töten. Bevor der Impfstoff auf<br />
den Markt kommt, muss er noch<br />
an Gewebeproben von Akne-<br />
Patienten getestet werden.<br />
Bilder: Getty Images<br />
8 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
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Gut zu wissen<br />
Eine Zwischenmahlzeit für Kinder (4-10 Jahre)<br />
sollte nicht mehr als<br />
130-150 KCAL<br />
enthalten. Dies entspricht ca. 10 % des<br />
Tagesenergiebedarfs. 1<br />
1<br />
Quelle: Forschungsinstitut für Kinderernährung<br />
SO WERTVOLL SIND MILCHPRODUKTE<br />
P Sie liefern wichtiges Calcium und Proteine.<br />
P Calcium wird für ein gesundes Wachstum bei Kindern benötigt.<br />
P Sie sind daher im Vergleich zu vielen Guetzli und Schokolade<br />
eine gute Snack-Wahl.<br />
P Die SGE (Schweizer Gesellschaft für Ernährung) empfi ehlt für<br />
Kinder drei bis vier Portionen Milch-produkte pro Tag. 2<br />
2<br />
Quelle: SGE - Merkblatt Ernährung von Kindern Juni 2017<br />
CLEVER SNACKEN<br />
WARUM ZWISCHENMAHLZEITEN SO<br />
WICHTIG SIND<br />
Wenn Kinder nachmittags nach einer kleinen Stärkung<br />
fragen, sind sich Eltern oft unsicher. Soll mein Kind zwischen<br />
den Hauptmahlzeiten wirklich snacken? Ernährungsexperten<br />
sagen „ja“, denn Zwischenmahlzeiten halten den Blutzuckerspiegel<br />
aufrecht, was wiederum die Koordination,<br />
Konzentration und Leistungsfähigkeit fördert. Kinder, die<br />
Zwischenmahlzeiten essen, kommen daher fi tter und<br />
konzentrierter durch den Tag. Grundsätzlich wird je zu einem<br />
kleinen Znüni und Zvieri geraten. Bei der Auswahl sollte<br />
auf den Fett- und Zuckeranteil geachtet werden.<br />
AUSGEWOGEN SNACKEN<br />
MIT DANONINO<br />
Obst und Rohkost sowie Milch- und Vollkornprodukte bilden<br />
zusammen mit einem Glas Wasser einen ausgewogenen<br />
Snack. Für die Portion Milch sind Danonino eine gute Wahl,<br />
da sie pro 100 g nur 2,9 g Fett enthalten. Dies ist ein etwas<br />
geringerer Fettanteil als der von Vollmilch (3,5 %). Leckere<br />
Kombinationen sind:<br />
• 1 Becher Danonino, 1 halbe Scheibe Vollkornbrot (dünn<br />
mit Frischkäse bestrichen), Gurken- und Karottensticks<br />
oder<br />
• 1 Danonino für unterwegs, 2 Scheiben Vollkornknäckebrot,<br />
Apfelspalten<br />
Übrigens: Danonino sind glutenfrei, ohne Gelatine und<br />
haben keine Konservierungsstoffe.
Dossier<br />
Wir sind<br />
Familie!<br />
Samenspende, Leihmutterschaft, Regenbogenfamilie: Es gibt heute viele<br />
Möglichkeiten, eine Familie zu gründen. Und ebenso viele, Familie zu leben.<br />
In der Schweiz wächst bereits jedes fünfte Kind in einer anderen<br />
Konstellation auf als Mutter-Vater-Kind. Wie sieht Familie in<br />
Zukunft aus? Und was machen diese neuen Modelle mit den Kindern?<br />
Text: Virginia Nolan Bilder: Désirée Good und Sally Montana / 13 Photo<br />
10 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Drei Frauen, eine<br />
Regenbogenfamilie:<br />
Bettina und Fiona<br />
Aremu mit ihrer<br />
Tochter Tobi, 7.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>11
Dossier<br />
Alternative Familienmodelle<br />
werden immer beliebter:<br />
Rund 30 000 Kinder in der<br />
Schweiz haben heute<br />
gleichgeschlechtliche Eltern.<br />
Papi oder Papa – für Max*<br />
macht das einen Unterschied.<br />
Der Bub wächst<br />
mit zwei Vätern auf, lebt<br />
abwechselnd bei ihnen<br />
und seiner Mutter, die in direkter<br />
Nachbarschaft des Männerpaars<br />
wohnt. Wenn Max Geburtstag hat,<br />
kommen drei Grosselternpaare zum<br />
Fest. Schülerin Tobi hat zwei Mütter.<br />
Cedric und Felix leben bei Mama<br />
und Papa, aber sie wissen, dass es da<br />
noch zwei andere Frauen gibt, in<br />
deren Bauch sie wohnen durften, die<br />
Mama geholfen haben, ihren Kinderwunsch<br />
zu verwirklichen. Aline*<br />
wurde von ihrer Mama ausgetragen<br />
und geboren, ist biologisch aber<br />
nicht verwandt mit ihr. Die Anderthalbjährige<br />
stammt aus einer Em <br />
bryonenspende. Daraus macht ihre<br />
Familie kein Geheimnis, denn für<br />
sie zählt nicht die genetische Verbindung,<br />
sondern die der Herzen.<br />
Jedes siebte Kind lebt mit nur<br />
einem Elternteil<br />
Die Geschichten dieser Kinder sind<br />
nicht konstruiert, sondern aus dem<br />
Leben der Familien gegriffen, die in<br />
diesem Dossier von sich erzählen<br />
werden. Sie zeigen, dass unsere traditionelle<br />
Vorstellung von Familie<br />
der Realität zunehmend weniger<br />
gerecht wird. Dafür spricht auch die<br />
Statistik, die belegt, dass in der<br />
Schweiz jedes fünfte Kind in einer<br />
anderen Konstellation aufwächst als<br />
der Kernfamilie, die aus zwei leiblichen<br />
Elternteilen und ihrem Nachwuchs<br />
besteht.<br />
Es wäre verfehlt, deren Untergang<br />
zu beschwören, leben doch hierzulande<br />
immerhin 80 Prozent der<br />
Familien mit Kindern nach wie vor<br />
dieses Modell. Doch die Zahl gelebter<br />
alternativer Familienmodelle<br />
steigt: Einelternfamilien zum Beispiel<br />
machen bereits 14 Prozent aller<br />
Haushalte mit Kindern aus, weitere<br />
6 Prozent sind Patchworkfamilien,<br />
in denen Kinder bei einem leiblichen<br />
Elternteil mit neuem Partner<br />
leben. Von der offiziellen Statistik<br />
nicht erfasst werden Kinder, die bei<br />
Pflegeeltern aufwachsen – schätzungsweise<br />
sind es rund 13 000 –,<br />
oder solche in Regenbogenfamilien.<br />
Je nach Erhebung haben in der<br />
Schweiz bis zu 30 000 Kinder gleichgeschlechtliche<br />
Eltern, die Mehrheit<br />
davon lebt bei lesbischen Paaren.<br />
Wenn unsere gegenwärtige Vorstellung<br />
von Familie überholt ist:<br />
Wie wird Familie in Zukunft aussehen?<br />
Antworten auf diese Frage liefert<br />
unter anderem Klaus Preisner,<br />
Soziologe an der Universität Zürich.<br />
«Familie wird vielfältiger», sagt er<br />
zusammenfassend. Preisner ist Mitautor<br />
der OECD-Studie «Families to<br />
2030», in der Sozialforscher<br />
Dossier<br />
«Tobi kennt ihre<br />
Geschichte», sagen ihre<br />
Mütter Bettina und<br />
Fiona. «Sie weiss, dass<br />
uns ein Mann mit einer<br />
Samenspende ein<br />
Geschenk gemacht hat.»<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>13
Dossier<br />
14 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
aufzeigen, wie die Lebensrealität<br />
von Familien in 20 Jahren<br />
aussehen könnte.<br />
Die traditionelle Konstellation<br />
aus verheirateten Paaren mit Kindern<br />
werde seltener, folgert der<br />
Bericht. In den OECD-Ländern lebe<br />
heute fast jedes zehnte Kind in einer<br />
Patchworkfamilie, rund jedes siebte<br />
bei einem alleinerziehenden Elternteil<br />
und jedes fünfzehnte wachse bei<br />
den Grosseltern auf. «Noch mehr<br />
Menschen als heute werden alternative<br />
Formen zur Kernfamilie leben»,<br />
sagt Klaus Preisner, «teilweise als<br />
Folge eines gescheiterten klassischen<br />
Familienmodells, teilweise aber<br />
auch, weil es von vornherein die<br />
gewünschte Form war.» Entsprechend<br />
werden gemäss der OECD-<br />
Studie Einelternfamilien bis 2030<br />
bereits 20 Prozent aller Schweizer<br />
Haushalte mit Kindern ausmachen,<br />
ebenso werde die Zahl der Patchwork-<br />
und Regenbogenfamilien<br />
weiter ansteigen.<br />
Dossier<br />
Individualisierung und Pluralisierung<br />
lauten die Schlagworte,<br />
mit denen Soziologen unsere Zu <br />
kunft beschreiben. Sie gelten für<br />
Lebensentwürfe, die nach eigenem<br />
Gusto statt auf sozialen Druck hin<br />
erfolgen, aber auch für Familienformen,<br />
die vielfältiger daherkommen<br />
als die Mama-Papa-Kind-Variante.<br />
Die Gründe für diesen gesellschaftlichen<br />
Wandel sind vielfältig.<br />
Zentral, sagt Soziologe Preisner, sei<br />
Dossier<br />
Die Krankenkasse übernimmt keine<br />
Kosten. Eine Zusatzmassnahme zur IVF ist<br />
die Spermieninjektion (ICSI). Dabei<br />
werden einzelne Spermien direkt in die<br />
Eizelle injiziert, um die Chancen auf eine<br />
Befruchtung zu steigern.<br />
Über Präimplantationsdiagnostik<br />
(PID) ist in der Schweiz zuletzt rege diskutiert<br />
worden. Bei diesem Verfahren werden<br />
befruchtete Eizellen genetisch untersucht,<br />
bevor sie im Rahmen einer künstlichen<br />
Befruchtung in die Gebärmutter eingepflanzt<br />
werden. Die PID soll sicherstellen,<br />
dass zukünftige Kinder nicht unter einer<br />
genetisch bedingten Krankheit leiden.<br />
Seit der Volksabstimmung im Juni 2016 ist<br />
die PID in der Schweiz unter gewissen<br />
Bedingungen erlaubt: So dürfen Paare in<br />
vitro gezeugte Embryos auf Chromosomenstörungen<br />
und Erbkrankheiten testen<br />
lassen, nicht aber auf äusserliche<br />
Merkmale wie Augen- oder Haarfarbe.<br />
Sind im Rahmen des künstlichen<br />
Befruchtungsverfahrens mehr Embryonen<br />
herangereift, als der Frau pro Zyklus eingepflanzt<br />
werden können, werden diese<br />
eingefroren. Der Preis für die sogenannte<br />
Kryokonservierung beträgt zwischen 500<br />
bis 1000 Franken pro Jahr. Dafür kosten<br />
zusätzliche Behandlungszyklen mit eingefrorenen<br />
Embryonen «nur» noch 1000 bis<br />
1500 Franken statt der üblichen 4000 bis<br />
9000 Franken.<br />
Im Gefrierschrank konservierte Em -<br />
bryonen müssen vernichtet werden, wenn<br />
die Eltern keinen Bedarf mehr dafür haben.<br />
In anderen Ländern wie etwa Spanien<br />
können sie mit dem Einverständnis der<br />
Eltern jedoch auch zur Spende freigegeben<br />
werden. Dann wird der Embryo einer Empfängerin<br />
eingesetzt, die ihn auf diese Weise<br />
«adoptiert» und austrägt. Die Embryonenspende<br />
ist in der Schweiz verboten.<br />
Eine hierzulande ebenfalls verbotene<br />
und vor allem in den USA rege genutzte<br />
reproduktionsmedizinische Möglichkeit<br />
ist die Leihmutterschaft. In Anspruch<br />
genommen wird sie von homosexuellen<br />
oder heterosexuellen Paaren, bei letzteren<br />
scheitert der Kinderwunsch meist an<br />
Gebärmutterproblemen der Frau. Eine<br />
Leihmutter erklärt sich bereit, an deren<br />
Stelle das Kind auszutragen, und verpflichtet<br />
sich gegen ein Entgelt und per<br />
Vertrag, auf spätere elterliche Rechte und<br />
Pflichten zu verzichten. Die Leihmutter hat<br />
keine genetische Verbindung zum Kind,<br />
das sie austrägt. Stattdessen werden in der<br />
Geburtsurkunde die Wunscheltern als<br />
rechtliche Eltern eingetragen. Manchmal<br />
ist von diesen nur ein oder kein Elternteil<br />
mit dem Kind verwandt, denn viele Leihmutterkinder<br />
werden mithilfe einer<br />
Eizellen- oder Samenspende gezeugt.<br />
In den USA belaufen sich die Kosten für<br />
eine Leihmutterschaft insgesamt auf rund<br />
100 000 Dollar. Im Fall der Familie Körner<br />
(vgl. Seite 21) gingen 25 000 Dollar an die<br />
Leihmutter, den Rest erhielten Ärzte,<br />
Anwälte, die Agentur und die Kliniken. In<br />
der Ukraine kostet die Dienstleistung je<br />
nach Anbieter halb so viel – dafür seien<br />
Leihmütter und Wunscheltern rechtlich<br />
schlechter abgesichert, betont Rechtsanwältin<br />
Karin Hochl (vgl. Seite 32).<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>17
Dossier<br />
Gruppenbild mit<br />
drei Eltern: Marc,<br />
Matthias und Sonja<br />
kümmern sich<br />
liebevoll um Max.<br />
18 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
«Unser Sohn wächst in<br />
zwei Teilfamilien auf»<br />
Marc, 37, und Matthias, 33, wünschten sich ein<br />
Kind. Das Männerpaar hat sich dafür mit Sonja,<br />
39, zusammengetan.<br />
«Matthias wusste schon immer, dass er Kinder haben<br />
wollte; er war da die treibende Kraft. Als unser Kinderwunsch<br />
spruchreif wurde, gab es verschiedene Optionen.<br />
Klar war, dass wir keine Götti-Rolle übernehmen wollten,<br />
sondern ein Modell anstrebten, das uns die gleichen<br />
Rechte ermöglichte wie der Mutter des Kindes.<br />
Für uns war es naheliegend, uns mit einer Frau zusammenzutun.<br />
Wir finden es wichtig, dass unser Kind ein<br />
Mami hat – was aber nicht bedeutet, dass wir andere<br />
Modelle weniger gut finden. Wir haben uns zunächst im<br />
Internet nach einer Co-Mutter umgesehen und uns dann<br />
mit Frauen getroffen. Das war lustig, passte aber nicht.<br />
Sonja lernten wir über Freunde kennen – oder besser<br />
gesagt: noch besser kennen. Wir hatten schon vor Jahren<br />
gemeinsam eine Studentenparty organisiert. Es war<br />
«Mein Kinderwunsch war so stark, dass er in meinen früheren<br />
Beziehungen immer zu Uneinigkeit geführt hatte.<br />
Es ist ein grosses Glück, dass ich mit Matthias und Marc<br />
Gleichgesinnte gefunden habe. Von der Idee bis zur<br />
Geburt dauerte es fast vier Jahre. Mit unserem Sohn ging<br />
mein grösster Traum in Erfüllung. Als ich schwanger war,<br />
zog ich bei Marc und Matthias gegenüber ein. Für unseren<br />
Sohn ist die räumliche Nähe wichtig, und unser Famischnell<br />
klar, dass wir ähnliche Wert- und Familienvorstellungen<br />
haben. Wir liessen uns dennoch Zeit, uns kennenzulernen,<br />
trafen uns regelmässig, verreisten gemeinsam,<br />
um zu sehen, wie wir zu dritt funktionieren. Das Wichtigste<br />
war für uns, Sonjas Vertrauen zu gewinnen,<br />
schliesslich würde das gemeinsame Kind zur Hälfte bei<br />
uns wohnen.<br />
Nach etwas mehr als zwei Jahren wollten wir es wagen.<br />
Gemeinsam erarbeiteten wir einen Familienvertrag,<br />
der festhielt, wie wir vorgehen wollen. Als wir unseren<br />
Familien eröffneten, dass wir Väter würden, waren sie<br />
etwas überrumpelt, aber die Freude war gross.<br />
Kürzlich ist unser Sohn ein Jahr alt geworden. Dass er<br />
in zwei Teilfamilien aufwächst, beschert uns die eine<br />
oder andere logistische Herausforderung, die wir aber<br />
ganz gut meistern. In der Erziehung müssen wir nicht<br />
alles genau gleich handhaben, wichtig ist, dass wir im<br />
Kern dieselben Werte teilen. Als Teilfamilien üben wir<br />
noch, das richtige Mass an Nähe und Distanz zu finden.<br />
Manchmal hat man zum Beispiel das Gefühl, man habe<br />
jetzt noch eine Schwiegerfamilie. Das ist schön, aber<br />
manchmal auch anstrengend.»<br />
«Es war ein Glücksfall,<br />
die beiden Papas<br />
zu finden»<br />
Drei Eltern können einander gut entlasten,<br />
weiss Mutter Sonja. Davon profitiere nicht<br />
zuletzt das Kind.<br />
lienvertrag sieht vor, dass wir sie aufrechterhalten,<br />
solange er ein Kind ist. Marc und Matthias haben mich<br />
liebevoll durch die Schwangerschaft begleitet und waren<br />
bei der Geburt dabei. Nach der Geburt durfte ich für zwei<br />
Wochen bei ihnen einziehen, das war schön. Wir haben<br />
uns für wechselnde Obhut, also ein 50:50-Modell entschieden.<br />
Am Anfang war es für mich schwierig, das<br />
Baby abzugeben. Marc und Matthias zeigten viel Verständnis.<br />
Ich war dann häufiger zu Besuch bei ihnen und<br />
ging zum Stillen vorbei. Mittlerweile bin ich sehr<br />
glücklich mit unserem Familienmodell. Zu dritt können<br />
wir einander optimal entlasten, davon hat nicht nur der<br />
Einzelne, sondern auch das Kind etwas. Mein Umfeld<br />
freute sich riesig, als ich Mutter wurde. Als in meiner<br />
Schulklasse ein Schüler fragte, warum mein Baby zwei<br />
Väter habe, meinte ein anderes Kind ganz selbstverständlich:<br />
‹Na, weil beide Papas das Baby lieben!›<br />
Was für eine schöne und einleuchtende Erklärung.»<br />
19
Dossier<br />
Kathrin Zehnder, hätten aber<br />
auch andere Emanzipationsbewegungen<br />
ihren Verdienst, etwa die<br />
von Schwulen, Lesben oder Transmenschen,<br />
die sich das Recht auf<br />
einen amtlichen Beziehungsstatus<br />
oder eine Familie erkämpften.<br />
«Auch die Digitalisierung und die<br />
zunehmende Mobilität spielen eine<br />
Rolle», ist Zehnder überzeugt, «wir<br />
können zu jeder Zeit an jedem Ort<br />
sein, das eröffnet nicht nur neue<br />
Bedürfnisse, sondern auch ganz<br />
andere Möglichkeiten, Verbindungen<br />
einzugehen.»<br />
Dossier<br />
«Es war so demütigend»<br />
Nach einer Odyssee durch Kinderwunschkliniken<br />
und Adoptionsbehörden wurden Regula, 52, und<br />
Thomas Körner, 50, mithilfe von Leihmüttern Eltern.<br />
Der darauffolgende Rechtsstreit liess die Familie<br />
die Flucht in die USA ergreifen.<br />
«Fast 20 Jahre lang hatten wir versucht, Eltern zu werden.<br />
Es half weder die Reproduktionsmedizin, noch blieb viel<br />
Hoffnung auf eine Adoption. Als endlich die Adoptionsbewilligung<br />
für die USA vorlag, trat das Haager Übereinkommen<br />
in Kraft, das internationale Adoptionen in Vertragsstaaten<br />
stark einschränkt. 2008 sah Regula einen Film über Leihmutterschaft.<br />
Wenig später reisten wir in die USA. Die<br />
Agentur war professionell, wir wurden mehrfach von einer<br />
Psychologin interviewt, die später auch das erste Gespräch<br />
mit der Leihmutter moderierte. Wir waren dabei, als unser<br />
Kind mithilfe einer Eizellenspende gezeugt wurde, waren da,<br />
als der Embryo zur Leihmutter transferiert wurde, reisten<br />
für jeden Ultraschall an. 2010 erblickte Felix in Ohio das<br />
Licht der Welt.<br />
Zurück in der Schweiz, waren wir überglücklich. 2013 gab es<br />
Familienzuwachs: Cedric kam zur Welt. Wieder mithilfe einer<br />
Eizellenspende und einer Leihmutter. Als wir seine US-<br />
Geburtsurkunde beim Zuger Zivilstandsamt einreichten,<br />
bockten die Behörden. Sie weigerten sich, Regula als rechtliche<br />
Mutter anzuerkennen, weil sie Cedric nicht geboren<br />
hat. Auch Thomas akzeptierten sie – trotz DNA-Test, der<br />
seine Vaterschaft belegt – nicht als rechtlichen Elternteil.<br />
Man drohte uns mit Strafanzeige, reichte bei der KESB eine<br />
Gefährdungsmeldung ein. Cedric erhielt einen Vormund,<br />
und wir mussten Abklärungen für eine Pflegeplatzbewilli<br />
gung über uns ergehen lassen. Es war so demütigend.<br />
Später bot man Thomas die Anerkennung als Cedrics<br />
rechtlichen Vater an, allerdings unter der Bedingung, dass<br />
Regula die Adoption beantragt – für ihren eigenen Sohn!<br />
Dagegen wehrten wir uns. Der Rechtsstreit dauert bis heute<br />
an. 2014 liess sich Thomas von seinem Arbeitgeber in die<br />
USA versetzen – wir wanderten aus. Wir wurden in Connecticut<br />
herzlich aufgenommen und vermissen dennoch<br />
schmerzlich die Heimat. Den Kindern geht es gut. Sie<br />
wissen, woher sie kommen. Als wir uns die Weihnachtsgeschichte<br />
anschauten, sagte Felix einmal: ‹Schau, Mami,<br />
sogar Jesus hatte eine Leihmutter!›»<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>21
Dossier<br />
«Auf die Beziehung<br />
kommt es an»<br />
Wie geht es Kindern, die in<br />
neuen Familienkonstellationen<br />
aufwachsen? Am besten untersucht<br />
wurde diese Frage in Studien<br />
zu Regenbogenfamilien.<br />
Sozialforscherin Andrea Buschner<br />
kennt die Antworten.<br />
Interview: Virginia Nolan<br />
Frau Buschner, wie geht es Kindern<br />
in Regenbogenfamilien?<br />
Sie erreichen oft leicht höhere Werte,<br />
wenn es um Resilienz geht, jene Widerstandsfähigkeit,<br />
die uns Krisen gut<br />
meistern und ein gutes Selbstwertgefühl<br />
bewahren lässt. Wir führen diesen<br />
Umstand darauf zurück, dass Kinder in<br />
diesen Familien einen sehr hohen Stellenwert<br />
haben – die Eltern mussten<br />
meist einen steinigen Weg gehen, um sie<br />
zu bekommen. Das zentrale Fazit der<br />
Wissenschaft lautet aber, dass nicht die<br />
Familienkonstellation, sondern die Beziehungsqualität<br />
innerhalb der Familie<br />
bedeutsam ist für die Entwicklung eines<br />
Kindes. Zudem macht es einen Unterschied,<br />
ob Kinder in eine gleichgeschlechtliche<br />
Beziehung hineingeboren<br />
werden oder nicht.<br />
Inwiefern?<br />
Kinder, die in homosexuellen Stieffamilien<br />
aufwachsen, also mit einem<br />
neuen, gleichgeschlechtlichen Partner<br />
eines Elternteils, stammen meist aus<br />
früheren heterosexuellen Beziehungen.<br />
Sie haben, wie andere Scheidungskinder,<br />
häufig an der Trennung der Eltern zu<br />
nagen. Diese ist für Kinder aus allen<br />
Familienkonstellationen ein sogenannter<br />
Risikofaktor, der sich negativ auf die<br />
psychische Entwicklung auswirken kann.<br />
Insgesamt dürften Kinder, die in eine<br />
gleichgeschlechtliche Beziehung hineingeboren<br />
werden, also etwas unbeschwerter<br />
starten.<br />
Wie oft werden Kinder aus Regenbogenfamilien<br />
diskriminiert?<br />
Der Anteil schwankt je nach Studie<br />
zwischen 20 und 50 Prozent. Bei unserer<br />
Untersuchung mit Kindern aus lesbischen<br />
Stieffamilien sagten rund<br />
20 Prozent der Mütter, dass ihr Kind<br />
aufgrund seiner familiären Situation<br />
schon einmal diskriminiert worden sei.<br />
Demnach waren 80 Prozent der Kinder,<br />
die solche Erfahrungen gemacht hatten,<br />
mit Beschimpfungen oder Hänseleien<br />
konfrontiert worden. Deutlich seltener<br />
waren dagegen Diskriminierungsformen<br />
wie Gewaltandrohungen, körperliche<br />
oder sexuelle Gewalt.<br />
Vom wem kommen die Angriffe?<br />
Überwiegend von Gleichaltrigen und<br />
meist in Teenagerjahren. Jedoch fühlen<br />
sich längst nicht alle Kinder, die schon<br />
einmal diskriminiert wurden, dadurch<br />
auch belastet. Das wird deutlich in Untersuchungen,<br />
die zeigen, dass Kinder aus<br />
Regenbogenfamilien nicht schlechter<br />
abschneiden als andere Kinder, wenn es<br />
um psychisches Wohlbefinden geht.<br />
Diese Tatsache legt nahe, dass es in<br />
ihrem familiären Kontext Schutzfaktoren<br />
gibt, die negative Effekte von Diskriminierung<br />
reduzieren können.<br />
Nämlich?<br />
Untersuchungen zeigen, dass die emotionale<br />
Unterstützung innerhalb der<br />
Familie am wichtigsten ist. Wenn zu<br />
Hause jemand ist, der das Kind auffängt,<br />
an den es sich wenden und mit dem es<br />
nach Lösungen suchen kann, wirkt das<br />
wie ein Puffer.<br />
Kann auch die Schule dazu beitragen,<br />
dass Kinder aus Regenbogenfamilien<br />
Diskriminierung besser wegstecken?<br />
Ja, Kinder sind besser dagegen<br />
gewappnet, wenn ihre Schule Themen<br />
wie sexuelle und familiäre Vielfalt aufgreift.<br />
Solche Pläne stossen oft auf<br />
Widerstand, angeblich aus Angst, dass<br />
22 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Irgendwann wurde<br />
es ihnen zu viel:<br />
Wegen eines<br />
Rechtsstreits mit<br />
den Behörden<br />
wanderten die<br />
Körners 2014<br />
in die USA aus.<br />
Paaren nimmt das Gesetz die<br />
Entscheidung ab: Produziert die<br />
Frau etwa keine gesunden Eizellen,<br />
ist eine künstliche Befruchtung<br />
zwecklos, es bleibt noch die Eizellenspende.<br />
In der Schweiz ist sie, im<br />
Gegensatz zur Samenspende, jedoch<br />
verboten.<br />
Dossier<br />
«Mir lief die Zeit davon»<br />
Kerstin, 41, ist froh um die moderne<br />
Reproduktionsmedizin: Sie verdankt ihre Töchter<br />
einer Samen- sowie einer Embryonenspende.<br />
«Unsere Odyssee startete 2008. Ich war 32, beruflich<br />
erfolgreich und umhergekommen. Jetzt wollten mein<br />
Partner und ich Kinder. Ich wurde jedoch nicht<br />
schwanger. Zum Glück hatte ich eine Frauenärztin, die<br />
uns zu Tests schickte, statt es uns weiter versuchen zu<br />
lassen. Das hätte, wie die Resultate zeigten, nichts<br />
gebracht: Mein Partner war unfruchtbar. Wir entschieden<br />
uns für eine Samenspende und heirateten, damit wir von<br />
dieser Möglichkeit Gebrauch machen konnten. Wenig<br />
später erfolgte meine erste Insemination. Unser Kind<br />
kündigte sich erst nach der sechsten an. Die Freude war<br />
riesig. 2013 kam Anna* zur Welt.<br />
Sie sollte kein Einzelkind bleiben, das war für mich<br />
klar. Ein Jahr nach Annas Geburt startete ich den ersten<br />
Inseminationszyklus. Acht Behandlungen blieben<br />
erfolglos. Ich war 38, mir lief die Zeit davon. Ich drängte<br />
meinen Partner zu einer künstlichen Befruchtung (IVF),<br />
erhoffte mir davon höhere Chancen auf eine Schwangerschaft.<br />
Er stimmte widerwillig zu. Die IVF-Zyklen sind<br />
körperlich belastend, mich nahm das Ganze auch psychisch<br />
mit, zumal ich nicht schwanger wurde.<br />
Irgendwann sagte mein Mann, er mache nicht mehr<br />
mit. Ich stand vor der Wahl: unsere Ehe oder ein weiteres<br />
Kind. Ich entschied mich für Letzteres. Und suchte nach<br />
Alternativen. Nach einem Beratungsgespräch in einer<br />
spanischen Klinik wählte ich eine Embryonenspende.<br />
Ende 2015 reiste ich für den Embryotransfer nach<br />
Spanien, neun Monate später brachte ich Aline zur Welt.<br />
Unsere Geschichte ist kein Geheimnis. Mein Ex-Mann<br />
und ich haben Anna früh erklärt, dass es einen lieben<br />
Mann gibt, dank dessen Hilfe sie bei uns ist. Dafür gibt es<br />
unter anderem sehr schöne Kinderbücher. Aline hat auch<br />
eines. Mein Ex-Mann und ich haben ein gutes Verhältnis,<br />
darüber bin ich sehr froh. Ich bin dankbar für meine<br />
Töchter und gespannt, wohin unsere Reise führen wird.<br />
Die Babykleider habe ich sicherheitshalber behalten …»<br />
auszureizen. Umso schlimmer<br />
ist das Gefühl persönlichen Versagens,<br />
wenn selbst das nichts<br />
bringt.»<br />
Das Wissen um die Möglichkeiten<br />
der modernen Medizin trage<br />
überdies dazu bei, dass junge Frauen<br />
ihren Kinderwunsch zunehmend<br />
vertagten, sagt Ärztin Pfammatter:<br />
«Ab 25 Jahren sinkt die weibliche<br />
Fruchtbarkeit kontinuierlich, ab<br />
35 Jahren rapide. Frauen sind sich<br />
dessen zu wenig bewusst.»<br />
Es sind nicht nur heterosexuelle<br />
Paare, die ihre Hoffnung an die<br />
Reproduktionsmedizin klammern.<br />
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>25
Dossier<br />
Anna wurde<br />
2013 geboren.<br />
Die sechste<br />
Insemination<br />
war erfolgreich<br />
(vgl. Seite 16).<br />
26 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
sich Behandlungen unterziehen,<br />
die in der Schweiz verboten<br />
sind. Zu ihnen gehören Regula Körner,<br />
Mutter zweier Leihmutterkinder,<br />
oder Alines Mutter Kerstin, die<br />
sich in Spanien den Embryo einer<br />
anderen Frau einsetzen liess (vgl.<br />
Seite 24).<br />
Dossier<br />
Aline kam 2016<br />
zur Welt. Sie<br />
wurde in einer<br />
spanischen<br />
Klinik gezeugt.<br />
Publireportage<br />
Dank dem breiten Angebot an Schweizer Milchprodukten findet sich für jedes Bedürfnis etwas Passendes.<br />
Das Beste für Eltern und Kinder<br />
Für echte Milch gibt’s keinen Ersatz<br />
Milch ist ein nährstoffreiches, gesundes Grundnahrungsmittel für<br />
alle, besonders aber für Kinder. Glücklicherweise gibt es auch bei<br />
Laktoseintoleranz passende Lösungen, denn auf Milchprodukte<br />
zu verzichten ist keine gute Idee.<br />
Mehr erfahren?<br />
Weitere Informationen<br />
und Tipps bei Unverträglichkeiten<br />
unter<br />
www.swissmilk.ch/<br />
unvertraeglichkeiten<br />
Eltern wollen für ihre Kinder natürlich das Beste.<br />
Wenn sie vermuten, dass ihr Kind bestimmte<br />
Lebensmittel nicht verträgt, streichen sie diese oft<br />
in guter Absicht vom Menüplan oder ersetzen sie<br />
durch Alternativen. Das ist aber nicht immer eine<br />
gute Lösung.<br />
Fragen Sie Ihren Arzt<br />
Klagt ein Kind häufig über Bauchweh, liegt die<br />
Vermutung nahe, dass ein Lebensmittel schuld ist.<br />
Oft folgen dann Selbstdiagnosen und individuelle<br />
Ernährungsexperimente. Diese können aber Nährstoffmängel<br />
nach sich ziehen und führen meist<br />
nur kurzfristig zu einer Besserung. Sinnvoller ist es,<br />
die Beschwerden durch eine Fachperson abklären<br />
zu lassen, denn die Gründe können vielfältig sein.<br />
Wenn tatsächlich eine Laktoseintoleranz vorliegt –<br />
die bei Kindern jedoch nur äusserst selten vorkommt<br />
–, dann sollten Milchprodukte nicht gestrichen,<br />
sondern gezielt ausgewählt werden. Es gibt<br />
ein grosses Angebot an passenden, fermentierten<br />
Milchprodukten. Gut verträglich sind Hart- und<br />
Halbhartkäse wie etwa Emmentaler oder Tilsiter<br />
sowie alle Jogurtsorten.<br />
Pflanzendrinks sind kein Milchersatz<br />
Keine gute Lösung ist es, Milch durch Pflanzendrinks<br />
zu ersetzen. Die Ernährungswissenschaft<br />
zeigt immer wieder, dass insbesondere Kinder<br />
von Milch profitieren. Drei Milchportionen täglich<br />
unterstützen den Aufbau und die Entwicklung von<br />
Knochen und Muskeln. Zudem liefern sie generell<br />
viele Nährstoffe in idealem Verhältnis zueinander,<br />
was für ein gesundes Wachstum äusserst vorteilhaft<br />
ist.<br />
Niemand kann heute abschätzen, wie sich der<br />
Ersatz von Kuhmilch durch Pflanzendrinks langfristig<br />
auf die Gesundheit von Kindern auswirken<br />
wird. Es gibt dafür weder Langzeitstudien noch<br />
genügend Erfahrung. Ernährungsfachpersonen<br />
und Kinderärzte schätzen das Risiko eines Nährstoffmangels<br />
mit Folgen für die körperliche und<br />
geistige Entwicklung der Kinder als hoch ein. Denn<br />
Pflanzendrinks sind nährstoffarm und enthalten<br />
keine Baustoffe für das Wachstum.<br />
!<br />
Milchprodukte bei Laktoseintoleranz<br />
Milch liefert ein reichhaltiges Spektrum an<br />
Inhaltsstoffen. Davon profitieren Personen<br />
jeden Alters, insbesondere aber Kinder.<br />
Milchprodukte tragen viel zu einer gesunden<br />
Ernährung bei. Deshalb sollten sie auch bei<br />
Laktoseintoleranz auf dem Menüplan zu finden<br />
sein. Welche Milchprodukte besonders<br />
geeignet sind, erfahren Sie unter<br />
www.swissmilk.ch/unvertraeglichkeiten ><br />
Laktoseintoleranz > verträgliche Milchprodukte.<br />
Wer von einer Laktoseintoleranz<br />
betroffen ist, wählt<br />
am besten gereiften Käse.<br />
Auch Jogurt wird häufig gut<br />
vertragen.<br />
Schweizer Milch ist ein<br />
Naturprodukt, sie wird<br />
standortgerecht auf Familienbetrieben<br />
produziert<br />
und braucht nur kurze<br />
Transportwege.<br />
Milch liefert Eiweiss, Kalzium,<br />
Vitamine und Fette für den<br />
Aufbau von Muskeln und<br />
Knochen. Drei Portionen am<br />
Tag sind genau richtig.
Dossier<br />
«Wir wünschen uns,<br />
dass unser<br />
Familienmodell<br />
nicht über die<br />
Abwesenheit eines<br />
Mannes definiert<br />
wird», sagen<br />
Bettina und Fiona.<br />
Kinderwunsch auf Eis<br />
Kinderkriegen ist nicht ewig<br />
möglich – dank Social Freezing aber<br />
deutlich später. Mit eingefrorenen<br />
Eizellen erhalten sich Frauen die<br />
Chancen auf eine Mutterschaft<br />
jenseits der 35.<br />
Text: Virginia Nolan<br />
Dass unsere Biologie dem modernen<br />
Lebensstil hinterherhinkt, zeigt sich am<br />
Beispiel der weiblichen Fruchtbarkeit.<br />
Sie erreicht ihren Höhepunkt im Alter von<br />
25 Jahren – dann, wenn heute die<br />
meisten jungen Frauen alles andere im<br />
Kopf haben als Kinder. Danach sinken die<br />
Chancen auf eine Schwangerschaft kontinuierlich,<br />
ab 35 rapide, denn mit steigendem<br />
Alter der Frau nimmt die Anzahl<br />
und Qualität ihrer Eizellen ab.<br />
Bereits in den 1970er-Jahren forschten<br />
Wissenschaftler an Methoden, unbefruchtete<br />
Eizellen von jungen Frauen einzufrieren<br />
– mit dem Ziel, sie Jahre später<br />
auftauen, befruchten und der Frau als<br />
Embryo wieder einpflanzen zu lassen.<br />
In der Praxis angewendet wird das Verfahren<br />
erst seit einigen Jahren.<br />
Die ursprüngliche Zielgruppe waren<br />
junge Krebspatientinnen vor einer Therapie,<br />
denen die sogenannte Kryokonservierung<br />
von Eizellen die Chancen auf<br />
eine spätere Mutterschaft erhalten sollte.<br />
Heute bieten Spitäler und Kinderwunschkliniken<br />
die Behandlung unter<br />
dem Namen Social Freezing aber auch<br />
gesunden Frauen an, die ihren Kinderwunsch<br />
vertagen, sei es aus beruflichen<br />
oder privaten Gründen. Für den Eingriff,<br />
der ambulant erfolgt, braucht es vorgängig<br />
eine Hormonbehandlung zur Stimulation<br />
der Eierstöcke. Später werden<br />
die Eierstöcke über die Scheide mit<br />
einer Nadel punktiert und die Eizellen<br />
abgesaugt. Gesunde Frauen dürfen<br />
ihre Eizellen maximal fünf Jahre lagern,<br />
Krebspatientinnen unbefristet.<br />
Die Kosten für ein Social Freezing<br />
belaufen sich je nach Anbieter auf rund<br />
4000 bis 5500 Franken, die Lagerungsgebühren<br />
werden mit 200 Franken pro<br />
Jahr separat verrechnet. Die Krankenkasse<br />
übernimmt, auch bei Krebspatientinnen,<br />
keinen Kostenanteil.<br />
In den USA erlebt Social Freezing einen<br />
Boom, seitdem Arbeitgeber wie Apple<br />
oder Google ihren Mitarbeiterinnen die<br />
Kosten dafür zahlen. Auch in der Schweiz<br />
registrieren Reproduktionsmediziner<br />
wachsendes Interesse. «Tendenziell<br />
nimmt die Nachfrage zu», sagt Daniela<br />
Pfammatter, Gynäkologin in der Kinderwunschklinik<br />
OVA IVF in Zürich. Wer<br />
beabsichtigte, eine Eizellreserve anzulegen,<br />
sollte möglichst früh darüber<br />
nachdenken, sagt die Ärztin: «Die meisten<br />
Frauen werden erst gegen Mitte 30<br />
vorstellig. Das ist an der Grenze: Werden<br />
Eizellen nach 35 eingefroren, nehmen<br />
die Chancen auf eine spätere Schwangerschaft<br />
deutlich ab.»<br />
30 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
URLAUB AUF FAMILISCH<br />
Trotz grosser gesellschaftlicher<br />
Umwälzungen wird die<br />
traditionelle Kleinfamilie nicht<br />
verschwinden: Das Modell<br />
erweist sich als erstaunlich stabil.<br />
Die traditionelle Kleinfamilie,<br />
da ist sich Preisner sicher, wird aber<br />
nicht verschwinden. Trotz massiver<br />
gesellschaftlicher Umwälzungen –<br />
oder vielleicht gerade aufgrund dieser<br />
– sei das Modell erstaunlich stabil.<br />
In einer schnelllebigen und<br />
wirtschaftlich zunehmend unsicheren<br />
Welt, so Preisner, werde sich das<br />
auch nicht ändern.<br />
Demzufolge gibt der Rückzug der<br />
Menschen ins Private der Kleinfamilie<br />
erst recht Auftrieb. «Was wir<br />
jetzt als alternative Familien be <br />
zeichnen», sagt Klaus Preisner,<br />
«Patchwork- oder Regenbogenfamilien<br />
zum Beispiel, das sind, rein<br />
strukturell gesehen, Kleinfamilien,<br />
aufgebrochen und neu formiert<br />
zwar, aber stark am klassischen<br />
Modell orientiert: Da sind zwei<br />
Erwachsene, die sich um Kinder<br />
kümmern, als Paar leben und eine<br />
Familie sein wollen.»
Dossier<br />
Familie in der Grauzone<br />
Es gibt viele Wege, eine Familie zu gründen. Der Gesetzgeber erlaubt aber längst nicht<br />
alle, und vor allem: nicht jedem. Eine Bestandsaufnahme. Text: Virginia Nolan<br />
Verliebt, verlobt, verheiratet:<br />
Das bleibt<br />
für die meisten Paare<br />
der Königsweg. Ihre<br />
Beziehung rechtlich<br />
abzusichern, wenn Nachwuchs ins<br />
Spiel kommt, scheint Paaren ein<br />
Bedürfnis zu sein; dafür spricht,<br />
dass die meisten in der Schweiz<br />
geborenen Kinder noch immer aus<br />
einer Ehe hervorgehen. Der Zivilstand<br />
«verheiratet» steht aber nicht<br />
allen offen: So sind gleichgeschlechtliche<br />
Paare von der Ehe ausgeschlossen.<br />
Seit 2007 haben zwar auch sie<br />
die Möglichkeit, ihre Liebe amtlich<br />
zu machen. Die «eingetragene Partnerschaft»<br />
ist der Ehe aus juristischer<br />
Sicht in den meisten Punkten<br />
gleichgestellt. Ausnahmen gibt es<br />
wenige, doch sind sie umso gewichtiger<br />
für alle, die sich eine Familie<br />
wünschen.<br />
Durch Adoption zum Familienglück<br />
Im Gegensatz zu Einzelpersonen<br />
und Verheirateten verbietet das<br />
Gesetz gleichgeschlechtlichen Paaren<br />
zum Beispiel die gemeinsame<br />
Adoption eines Kindes. Immerhin<br />
ist <strong>2018</strong> das revidierte Adoptionsrecht<br />
in Kraft getreten. «Es gibt neuerdings<br />
auch Homosexuellen die<br />
Möglichkeit, das Kind ihrer Partnerin<br />
oder ihres Partners zu adoptieren»,<br />
sagt Karin Hochl. Sie ist<br />
Rechtsanwältin in Zürich, zu ihren<br />
In Zukunft wird es möglich<br />
sein, dass ein Kind zwei<br />
Mütter und zwei Väter hat.<br />
Spezialgebieten gehören Partnerschaftsrecht,<br />
Familienplanung für<br />
gleichgeschlechtliche Paare sowie<br />
rechtliche Fragen zur Fortpflanzungsmedizin.<br />
In Zukunft werde es<br />
rechtlich also möglich sein, dass ein<br />
Kind zwei Mütter oder zwei Väter<br />
habe. «Die sogenannte Stiefkindadoption<br />
stellt sicher, dass Kinder, die<br />
mit gleichgeschlechtlichen Eltern<br />
aufwachsen, im Todes- oder Trennungsfall<br />
der Eltern rechtlich genauso<br />
abgesichert sind wie Kinder, die<br />
aus einer Ehe hervorgegangen sind»,<br />
so Karin Hochl.<br />
Per <strong>2018</strong> hat der Gesetzgeber<br />
auch die Bestimmungen für die allgemeinen<br />
Adoptionsvoraussetzungen<br />
gelockert. So beträgt das<br />
Mindest alter für Einzelpersonen<br />
und verheiratete Paare, die ein Kind<br />
adoptieren wollen, neuerdings 28<br />
statt 35 Jahre. Bei Ehepaaren ist<br />
überdies nicht mehr die Dauer der<br />
Ehe relevant, sie müssen stattdessen<br />
drei Jahre lang einen gemeinsamen<br />
Haushalt geführt haben. Für Unverheiratete<br />
und gleichgeschlechtliche<br />
Paare bleibt die gemeinschaftliche<br />
Adoption verboten. Ausserdem ist<br />
eine Adoption nicht möglich, wenn<br />
der Altersunterschied zwischen dem<br />
Kind und den künftigen Adoptiveltern<br />
mehr als 45 Jahre beträgt.<br />
Auch wer seinen Kinderwunsch<br />
mithilfe der Reproduktionsmedizin<br />
erfüllen will, muss in der Schweiz<br />
strenge Kriterien erfüllen. So steht<br />
die medizinisch unterstützte Fortpflanzung<br />
ausschliesslich heterosexuellen<br />
Paaren offen. «Einzelpersonen<br />
oder gleichgeschlechtlichen<br />
Paaren sind entsprechende Behandlungen<br />
untersagt», sagt Anwältin<br />
Hochl. «Wer sie als Arzt trotzdem<br />
vornimmt, macht sich strafbar.» Zu<br />
den gängigsten reproduktionsmedizinischen<br />
Verfahren gehören hierzulande<br />
medizinische Behandlungen,<br />
etwa zur Stimulation der<br />
Eizellen, die künstliche Befruchtung<br />
sowie die Insemination. Auch<br />
Samenspenden sind in der Schweiz<br />
erlaubt, allerdings dürfen nur Ehepaare<br />
davon Gebrauch machen.<br />
Eizellenspenden sind verboten<br />
Zu den verbotenen Praktiken zählen<br />
hingegen die Eizellen- sowie die<br />
Embryonenspende. Frauen, die für<br />
eine solche Behandlung ins Ausland<br />
reisen, haben in der Regel aber keine<br />
juristischen Konsequenzen zu<br />
befürchten – der Gesetzgeber kann<br />
schliesslich nicht erahnen, auf welche<br />
Art und Weise ein Kind gezeugt<br />
wurde. «Die Frau, die das Kind zur<br />
Welt bringt, gilt vor dem schweizerischen<br />
Gesetz immer als Mutter»,<br />
sagt Karin Hochl.<br />
Das gilt auch für lesbische, nichtverheiratete<br />
oder Singlefrauen,<br />
die ihren Kinderwunsch über eine<br />
private Samenspende oder eine<br />
Samenbank im Ausland erfüllen.<br />
«Recht licher Vater wäre da im Prinzip<br />
der Samenspender», sagt Hochl,<br />
«jedoch ist eine Vaterschaft ausgeschlossen,<br />
wenn die Spende über<br />
eine ausländische Samenbank<br />
erfolgte.<br />
Bei privaten Samenspenden hingegen<br />
kann der Staat zwangsweise<br />
die Vaterschaft des Spenders feststellen<br />
lassen. Die Mutter kann das verhindern,<br />
indem sie die Identität des<br />
privaten Spenders konsequent verschweigt.»<br />
Einen gewichtigen Nach-<br />
32 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
teil haben in diesem Fall jedoch<br />
Frauenpaare: Der Staat anerkennt<br />
die Partnerin der biologischen Mutter<br />
nicht als zweiten Elternteil, und<br />
eine Stiefkindadoption ist erst nach<br />
einem Jahr möglich. «Bis dahin»,<br />
sagt Hochl, «besteht zwischen dem<br />
zweiten Elternteil und dem Kind<br />
keinerlei rechtliche Beziehung.»<br />
Kontrovers diskutiert wird in der<br />
Schweiz auch die Leihmutterschaft.<br />
Sie ist gemäss geltendem Recht verboten<br />
– jedoch für immer mehr kinderlose<br />
Paare eine Option. «Wir<br />
erhalten pro Woche ein bis zwei<br />
Anfragen von Paaren, die sich zum<br />
Thema rechtlich beraten lassen<br />
möchten», sagt Anwältin Karin<br />
Hochl. Wie viele Leihmutterkinder<br />
in der Schweiz leben, ist ungewiss.<br />
Das Bundesamt für Justiz hat Kenntnis<br />
von 30 Kindern, Hochl schätzt<br />
die Dunkelziffer auf 500 bis 1000.<br />
Schweizer Paare, die sich für eine<br />
Leihmutterschaft entscheiden, reisen<br />
dazu oft in die USA. «Dort<br />
geniessen Leihmütter einen relativ<br />
guten rechtlichen und medizinischen<br />
Schutz», sagt Hochl. Auch die<br />
Ukraine sei ein immer häufigeres<br />
Ziel. «Da bestehen in Bezug auf die<br />
Rechtssicherheit als auch den Schutz<br />
der Leihmutter jedoch grosse Unterschiede<br />
zu den USA», so Hochl. In<br />
der amerikanischen oder der ukrainischen<br />
Geburtsurkunde des Kindes<br />
werden die Wunscheltern als rechtliche<br />
Eltern eingetragen. Als solche<br />
anerkennt die Schweiz diese aber<br />
nur, wenn sie mit dem Kind genetisch<br />
verwandt sind. Das Bundesgericht<br />
begründet diesen Entscheid<br />
damit, dass die Umgehung des Leihmutterverbots<br />
einen Verstoss gegen<br />
die öffentliche Ordnung darstelle.<br />
Elternlose Kinder<br />
Dieses Schicksal hat Regula Körner<br />
(vgl. Seite 21) ereilt: Die Behörden<br />
anerkennen sie nicht als rechtliche<br />
Mutter ihres Sohnes, weil sie keine<br />
genetische Verbindung zu ihm hat.<br />
Der Bub, dessen biologischer Vater<br />
Körners Ehemann ist, wurde von<br />
einer amerikanischen Leihmutter<br />
ausgetragen. In solchen Fällen bleibt<br />
dem nichtgenetischen Elternteil nur<br />
die Möglichkeit, die Stiefkindadoption<br />
für ein Kind zu beantragen, das<br />
laut Geburtsurkunde bereits sein<br />
eigenes ist.<br />
Diesen Weg dürfen Betroffene<br />
allerdings erst nach einem Jahr<br />
beschreiten. «Das ist mit einer Unsicherheit<br />
verbunden, die das Kindeswohl<br />
fundamental verletzt», sagt<br />
Anwältin Hochl. «Insbesondere, da<br />
die Dauer des Adoptionsverfahrens<br />
ungewiss ist. Trennt sich das Paar<br />
währenddessen oder stirbt der genetische<br />
Elternteil, ist das Kind rechtlich<br />
nicht abgesichert. Wer etwa<br />
Die Leihmutterschaft ist für<br />
immer mehr Paare eine Option –<br />
aber per Gesetz verboten.<br />
getrennt lebt, kann nicht mehr<br />
adoptieren.» Aber auch andere Kriterien<br />
wie der maximale Altersunterschied<br />
zwischen Eltern und Kind<br />
verunmöglichten unter Umständen<br />
die Adoption.<br />
Was ist mit einem Leihmutterkind,<br />
dessen beide Elternteile keine<br />
genetische Verbindung zu ihm<br />
nachweisen können, weil Samen<br />
und Eizellen aus Fremdspenden<br />
stammten? «In der Schweiz gilt ein<br />
solches Kind als elternlos», sagt<br />
Hochl. Und: «Dann müssen die<br />
Eltern seine rechtliche Beziehung zu<br />
ihm über Adoption herstellen.»<br />
Somit werden die Kindeseltern<br />
aus der Geburtsurkunde zu Pflegeeltern,<br />
und über diesen Status kommen<br />
sie während mindestens einem<br />
Jahr nicht hinaus. «Die Tatsache,<br />
dass die Eltern das Verbot der Leihmutterschaft<br />
umgangen haben,<br />
gewichtet man stärker als den<br />
Anspruch des Kindes auf rechtliche<br />
Absicherung», sagt Hochl. «Das kritisiere<br />
ich scharf. Ein Kind sollte<br />
zwei Elternteile haben, von Geburt<br />
an.»<br />
Im nächsten Heft:<br />
Scheidungskinder<br />
Bild: Thomas Schweigert / 13 Photo<br />
Trennen sich die Eltern, sollen die Kinder möglichst<br />
keinen Schaden nehmen – aber wie kann dies<br />
gelingen? Worauf müssen Eltern achten?<br />
Scheidungskinder, unser Dossier-Thema in der<br />
März-Ausgabe.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>33
Monatsinterview<br />
«Wer Musik macht,<br />
hat mehr vom Gehirn»<br />
Wie lernen Kinder? Ist Auswendiglernen wichtig? Und was bringt (Früh-)Förderung<br />
wirklich? Ein Gespräch mit dem Neuropsychologen Lutz Jäncke über die Kunst<br />
des Lernens, jugendliche Selbstdisziplin und das Problem der Konzentration<br />
in der Pubertät. Text: Claudia Landolt Bilder: Vera Hartman / 13 Photo<br />
Ein Gebäude der Universität in Zürich<br />
Nord. Es herrscht Campusatmosphäre :<br />
Junge Menschen mit Rucksäcken<br />
huschen durch die labyrinthartigen<br />
Gänge, eine Schlange vor der<br />
Cafeteria, Pizza und Sandwiches sind<br />
begehrt. In seinem Eckbüro erwartet<br />
uns Lutz Jäncke. Ein grosser,<br />
distinguierter, elegant gekleideter<br />
Mann. Auf dem Fenstersims gleich<br />
neben der Tür steht eine Collage aus<br />
Sand, Liegestuhl und Sonnenschirm.<br />
Ein Geburtstagsgeschenk seiner<br />
Mitarbeiter: Ein Gutschein für Ferien<br />
auf Sylt, seiner Lieblingsinsel. Doch<br />
das muss warten: «Zu viel Arbeit.»<br />
Herr Jäncke, mein Sohn fragt, ob<br />
Gamen dumm macht. Tut es das?<br />
Gamen sollte man nicht grundsätzlich<br />
verteufeln. Es gibt mittlerweile<br />
einige Studien, die belegen, dass<br />
Gamen die Fingerfertigkeit erhöht.<br />
Auch haben Computergames positive<br />
Auswirkungen auf die Ausbildung<br />
einer Identität und die soziale<br />
und kognitive Entwicklung. Andere<br />
Untersuchungen stellen fest, dass das<br />
Belohnungszentrum im Hirn vergrössert<br />
ist. Das Belohnungszentrum<br />
ist für Lustempfindungen jeglicher<br />
Art zuständig. Bei Vielspielern, die<br />
täglich spielen, ist dieses Zentrum<br />
deutlich grösser.<br />
Wie finden Kinder das richtige Mass?<br />
Es ist schwierig für ein Kind, sich<br />
einem Computerspiel zu entziehen.<br />
Wenn ein Kind zwei Stunden an<br />
einer Konsole gespielt hat und man<br />
es dort wegholen will, erlebt man<br />
häufig ein Phänomen, das dem Entzug<br />
bei Drogensüchtigen ähnelt: Das<br />
Kind wehrt sich gegen den Entzug,<br />
wird bockig und schreit. Das habe<br />
ich bei meinen eigenen Kindern<br />
auch erlebt.<br />
«Eltern müssen<br />
Kindern Grenzen<br />
setzen. Je klarer<br />
die Grenze, desto<br />
besser.»<br />
Was ist die Lösung?<br />
Begrenzungen sind wichtig. Erst<br />
recht bei Kindern und Jugendlichen<br />
zwischen 11 und 14 Jahren, deren<br />
Gehirn gerade total umgebaut wird.<br />
Sie sind von ihrer Hirnentwicklung<br />
her gar nicht in der Lage, sich selbst<br />
effektiv zu begrenzen, darum müssen<br />
Eltern quasi den fehlenden Frontalkortex,<br />
das Stirnhirn, «ersetzen»,<br />
bis dieses ausgereift ist. Das ist<br />
Erziehung.<br />
Eltern sollen Grenzen setzen?<br />
Absolut. Je klarer die Grenze, desto<br />
besser.<br />
Nehmen wir ein Beispiel: Ein<br />
Siebtklässler möchte sich fürs Lernen<br />
motivieren – mit seiner Spielkonsole.<br />
Was wäre da eine sinnvolle<br />
Begrenzung?<br />
Ich würde ihm nahelegen, zuerst<br />
seine Pflichten zu erledigen, und erst<br />
dann seinem Wunsch nachkommen,<br />
sich zu belohnen. Man muss jedoch<br />
sehen, dass es für Jugendliche sehr<br />
schwierig ist, für eine verzögerte<br />
Belohnung zu arbeiten. Das hat<br />
nichts mit Renitenz, sondern mit der<br />
Gehirnentwicklung zu tun. Das<br />
kindliche Gehirn lässt sich leicht<br />
ablenken. Die Krux ist: Je öfter sich<br />
ein Kind dem Impuls der sofortigen<br />
Belohnung hingibt, desto langsamer<br />
entwickelt sich der Frontalkortex.<br />
Was ist Ihre Schlussfolgerung?<br />
Ich empfehle Eltern, ihre Kinder<br />
dazu zu bringen, Dinge nacheinander<br />
zu tun. Musik oder soziale Netzwerke<br />
sind etwas für die Pausen, zum<br />
Entspannen. Gamen sollten Kinder<br />
erst, wenn alles abgeschlossen ist.<br />
Denn die Belohnungsreize wirken<br />
fast wie Drogen auf das Gehirn.<br />
Danach ist es für ein Kind >>><br />
34 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
Studierende der Uni<br />
Zürich haben den<br />
Neuropsychologen<br />
Lutz Jäncke<br />
wiederholt zum<br />
besten Dozenten<br />
gewählt.
Monatsinterview<br />
Wenn das Gehirn<br />
gross wird: Lutz<br />
Jäncke erklärt<br />
die Folgen des<br />
Gehirnumbaus in<br />
der Pubertät.<br />
>>> schwierig, sich wieder an die<br />
Hausaufgaben zu setzen.<br />
Was brauchen Kinder zum Lernen?<br />
Kinder brauchen Inputs, gute<br />
Modelle, Vorlagen und Möglichkeiten<br />
zum Wissenserwerb und zur<br />
Wissensanwendung. Und sie brauchen<br />
Erfahrungen, um zu reifen.<br />
Und Selbstdisziplin – etwas, worauf<br />
Sie grossen Wert legen.<br />
Ich plädiere dafür, Selbstdisziplin,<br />
Konzentration und Selbstkontrolle<br />
zu üben. Denn ein Kind, das alles<br />
bekommt – ein Fernseher, eine Playstation,<br />
ein Smartphone und ein<br />
Computer, wird im Reifungsverlauf<br />
nie üben, selbstdiszipliniert zu sein.<br />
Das heisst, diese regulativen Funktionen<br />
werden nicht implementiert.<br />
Wenn Kinder alles bekommen, was<br />
sie sich wünschen, ohne dafür eine<br />
Gegenleistung zu erbringen, erzieht<br />
man sie zu Lustmenschen.<br />
Wie einfach ist das Lernen in der<br />
Pubertät?<br />
Konzentrationsfähigkeit, Selbstdisziplin<br />
sowie die Fähigkeit, Relevantes<br />
von Irrelevantem zu unterscheiden,<br />
sind psychologische Funktionen, die<br />
«Das Stirnhirn von<br />
Mädchen hat<br />
durchschnittlich<br />
eineinhalb Jahre<br />
Vorsprung.»<br />
für die Schule von grosser Bedeutung<br />
sind. Lehrpersonen und auch Eltern<br />
sollten nun aber wissen, dass genau<br />
diese Funktionen sehr langsam reifen.<br />
Der Frontalkortex, das Stirnhirn,<br />
hinkt bei Jugendlichen stark<br />
hinterher.<br />
Das kindliche Gehirn ist unreif?<br />
Genau. Das Stirnhirn ist ein spät<br />
reifendes System und erst um das<br />
20. Lebensjahr abgeschlossen.<br />
Reifen Mädchen früher als Jungen?<br />
Ja. Das Stirnhirn von Mädchen hat<br />
durchschnittlich eineinhalb Jahre<br />
Vorsprung. Zudem sind Mädchen<br />
vor und nach der Pubertät oft selbstdisziplinierter,<br />
konzentrierter und<br />
verantwortungsbewusster.<br />
Qualitäten, auf die die Schule grossen<br />
Wert legt.<br />
Meiner Meinung nach sollten Pädagogen<br />
und Schule, aber auch Eltern<br />
Lehren aus der Tatsache des unreifen<br />
jugendlichen Hirns ziehen.<br />
Was heisst das?<br />
In der Schule geht es meist darum,<br />
explizites Wissen zu erwerben und<br />
dieses dann abrufen zu können. Ich<br />
36 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
nenne es auch «bulimisches Lernen».<br />
Das heisst, die Kinder schaufeln Wissen<br />
in sich rein, geben dieses bei<br />
Tests wieder und haben es wenig<br />
später vergessen. Das ist in dieser<br />
Altersperiode nicht sehr sinnvoll.<br />
Was wäre sinnvoll?<br />
Um etwas effizient und nachhaltig<br />
im Langzeitgedächtnis zu verankern,<br />
muss das neu Gelernte in bestehende<br />
Wissensnetzwerke eingefügt werden.<br />
Das erfordert vernetztes Denken.<br />
Konkret sollte man Schülerinnen<br />
und Schüler dazu veranlassen, sich<br />
Stoff durch semantische Verarbeitung<br />
einzuprägen.<br />
Was heisst das?<br />
Um einen Text zu lernen, muss man<br />
ihn zuerst verstehen. Dazu müssen<br />
Wortbedeutungen erkannt und eingeordnet<br />
werden. Je mehr etwas<br />
analysiert und in Zusammenhänge<br />
einsortiert wird, desto besser wird<br />
es im Gedächtnis verankert. Alles<br />
Beiläufige wird rasch vergessen.<br />
Was hilft auch?<br />
Emotionen oder Erinnerungen an<br />
Emotionen sind hilfreich, denn<br />
Emotionen sind gute Gedächtnisverstärker.<br />
Je intensiver eine Erfahrung<br />
ist, desto mehr prägt sie sich in<br />
unser Gedächtnis ein.<br />
Was ist mit Wiederholungen?<br />
Die Wiederholung ist die Mutter des<br />
Lernens. Denn das Gehirn sortiert.<br />
Häufig vorkommende Informationen<br />
sind wichtig, punktuell vermittelte<br />
sind weniger wichtig.<br />
Macht es aus neuropsychologischer<br />
Sicht Sinn, die Rechtschreibung nicht<br />
zu korrigieren, wie es teilweise in der<br />
Unterstufe praktiziert wird?<br />
Nein, das ist lernpsychologisch völlig<br />
falsch. Kinder sollen nicht spielerisch<br />
lernen und Fehler machen,<br />
nach dem Motto: Krummes biegt<br />
sich wieder hin. Fehler sollten korrigiert<br />
und falsche Wörter nochmals<br />
richtig geschrieben werden.<br />
Wie lernen Kinder am besten?<br />
Was sich im Gehirn der Kinder festsetzen<br />
muss, sollte glasklar, störungsfrei<br />
und häufig vermittelt werden.<br />
Wer ständig auf verschiedenen<br />
«Erfolg und Mühe<br />
gehören zusammen.<br />
Lernen gelingt<br />
selten nebenbei.»<br />
Medien spielt und Multitasking<br />
macht, arbeitet langsamer, fehlerhafter,<br />
schwimmt an der Oberfläche.<br />
Schuld sind die beschränkten Ressourcen<br />
des Gehirns.<br />
Nützt elterlicher Druck, damit Kinder<br />
lernen?<br />
Erfolg und Mühe gehören schon<br />
zusammen. Selten gelingt das Lernen<br />
so quasi nebenbei. Drill und Druck<br />
sind aber die schlechtesten Formen<br />
des Lernzugangs. Besser ist es, sich<br />
stets das positive Ziel, den Gewinn<br />
oder die Belohnung, zu vergegenwärtigen,<br />
wenn man lernt.<br />
Gibt es Tricks, wie man sich motivieren<br />
kann?<br />
Klar. Je mehr Freude man an einer<br />
Fragestellung hat, desto mehr Eigenmotivation<br />
kann man entwickeln.<br />
Das wiederum hat mit Selbstdisziplin<br />
zu tun. Aus der Motivationspsychologie<br />
weiss man, dass wir dann<br />
besonders gut sind, wenn wir uns<br />
selbst das Anspruchsniveau stecken<br />
und es erfüllen. Das – und eine störungsfreie<br />
Lernumgebung – ist der<br />
Clou beim Lernen.<br />
Wie setzt sich eine gute Schulnote<br />
zusammen?<br />
Neuropsychologen haben untersucht,<br />
wie sich die Einflussfaktoren<br />
einer guten Schulnote zusammensetzen.<br />
10 Prozent war Intelligenz,<br />
40 Prozent Motivation, Selbstkontrolle<br />
und Selbstdisziplin.<br />
Und die restlichen 50 Prozent?<br />
Die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit<br />
und Konzentration sowie das Wollen.<br />
Letzteres ist unglaublich wichtig.<br />
Kann man das Wollen beeinflussen?<br />
Ja: durch Lob und Anerkennung<br />
sowie eine gute Lernatmosphäre.<br />
Womit wir wieder bei den ablenkbaren<br />
Gehirnen unserer Kinder wären.<br />
Ja, tatsächlich sind alle unsere Funktionen,<br />
die unser Verhalten kontrollieren,<br />
zwischen 11 und 16 Jahren<br />
noch nicht ausgereift. Entsprechende<br />
Mühe haben Jugendliche, sich zu<br />
beherrschen, ruhig zu sitzen und<br />
aufmerksam zu sein. Darum sage ich<br />
immer: Sie können nichts dafür!<br />
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen,<br />
sondern sich entwickelnde,<br />
noch nicht erwachsene Menschen.<br />
Genau in jenen Jahren müssen sich<br />
Kinder für ihre Zukunft qualifizieren.<br />
Zwölf Jahre ist der absolut falsche<br />
Zeitpunkt für diese Selektion. Die<br />
Hirnforschung zeigt zur Genüge,<br />
dass genau in jener Zeit das Gehirn<br />
in einer radikalen Umbauphase ist.<br />
Der Frontalkortex ist in heller Aufregung,<br />
es ist die schlimmste Phase<br />
im Leben eines Kindes.<br />
Jetzt weiss ich, warum man Sie gerne<br />
als Schulkritiker bezeichnet.<br />
Ich bin der Meinung, dass Selektion<br />
kein Ausbildungsprinzip ist. Kinder<br />
sind keine Erbsen, die man aussortieren<br />
muss. Wir kategorisieren – das<br />
Gute ins Kröpfchen, das Schlechte<br />
ins Töpfchen. Diese Schubladisierung<br />
hat sich nachweislich als falsch<br />
erwiesen. Ich verstehe nicht, wie in<br />
der heikelsten Phase des Gehirnaufund<br />
-umbaus wichtige Prüfungen<br />
stattfinden, welche über spätere Karrieren<br />
entscheiden.<br />
Manche Teenager haben dann auch<br />
genug und verweigern das Lernen.<br />
Wenn Jugendliche die Kontrolle verlieren,<br />
sind sie deswegen nicht böse.<br />
Sie wissen nicht, was sie tun! Wir<br />
dürfen sie mit ihren Nöten nicht<br />
allein lassen. Wir, Eltern und Lehrer,<br />
müssen ihnen helfen, sie führen und<br />
anleiten. Das Allerwichtigste in der<br />
Erziehung ist doch, dass Kinder<br />
geliebt werden.<br />
Welche Rolle für den Schulerfolg<br />
spielen genetische Voraussetzungen?<br />
Kinder sind sehr verschieden. Es gibt<br />
solche, die früher reifen, andere, die<br />
später reifen. Manche Kinder haben<br />
bessere genetische Vorausset- >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>37
Monatsinterview<br />
Lutz Jäncke über ...<br />
... das süsse Nichtstun<br />
Wer nur auf dem Sofa sitzt, Games<br />
spielt oder TV sieht und Chips isst,<br />
aktiviert seine Stirnhirnstrukturen<br />
nicht. Diesen Prozess bezeichne ich<br />
als «use it or loose it». Es bedeutet:<br />
Wenn Nervenzellen nicht aktiv sind,<br />
bauen sie Verbindungen ab und<br />
verkümmern. Das sollte man<br />
wissen – auch in Bezug auf das<br />
Alter.<br />
... Selbstdisziplin<br />
Ungemein wichtig! Je intensiver<br />
man sich mit dem Schulstoff<br />
aus einandersetzt, desto bessere<br />
Schulnoten folgen. Deshalb haben<br />
Elternhaus und Schule die Aufgabe,<br />
dem Kind beizubringen, sich den<br />
Verlockungen des Alltages zu<br />
entziehen und sich genügend dem<br />
Lernen zu widmen.<br />
... Überforderung<br />
Überforderung entsteht dort, wo<br />
Kinder zu viele Wahlmöglichkeiten<br />
haben. Und das ist vor allem in<br />
der Freizeit. Nicht die schulischen<br />
Inhalte überfordern die Kinder,<br />
sondern die ausserschulischen.<br />
... Talent oder Fleiss<br />
Beides ist unabdingbar. Leistung<br />
ist immer eine Funktion von Wollen<br />
mal Können mal Möglichkeit.<br />
>>> zungen. Studien an eineiigen<br />
Zwillingen haben aber gezeigt, dass<br />
Begabung lediglich zur Hälfte erblich<br />
bedingt ist. Grosse Teile des<br />
Gehirns sind nicht durch unsere<br />
Erbanalage festgelegt. Der Mensch<br />
ist auf Erfahrung und Lernen angewiesen.<br />
Er ist zum Lernen verdammt.<br />
Was ist mit jenen Kindern, die keine<br />
guten Startbedingungen haben?<br />
Diese benötigen unsere Hilfe noch<br />
viel mehr. Das Gute ist: Das Gehirn<br />
ist plastisch, es kann sich verändern<br />
und selbst widrigste Startbedingungen<br />
überwinden.<br />
Bedeutet das, dass wir auch mit 70 Jahren<br />
noch Japanisch lernen können?<br />
Ja, es dauert vielleicht einfach ein<br />
bisschen länger. Spass beiseite: Das<br />
Gehirn ist auch im Alter veränderbar,<br />
es kann wieder jünger werden<br />
– wenn wir es benutzen. Durch Lernen<br />
verhindern wir, dass der normale<br />
Degenerationsprozess eintritt.<br />
Gilt der Umkehrschluss auch? Dass<br />
Frühfördung wünschenswert ist?<br />
Aus neurowissenschaftlicher Sicht<br />
kann Frühförderung nicht früh<br />
genug beginnen. Schon kleine Kinder<br />
können mit Zahlen und Buchstaben<br />
umgehen und drei Sprachen<br />
«Musizierende<br />
Kinder können<br />
komplizierte Sätze<br />
besser verstehen.»<br />
lernen. Das heisst aber nicht, dass<br />
sie schon im Mutterleib Mozart<br />
hören sollen. Ein spielerischer<br />
Umgang mit Frühförderung im Kindergarten<br />
ist dagegen sehr sinnvoll.<br />
Apropos Mozart: Ihr Steckenpferd ist<br />
die Musik. Sind musizierende<br />
Menschen intelligenter?<br />
Ich sage gern: Wer Musik macht, hat<br />
mehr vom Gehirn. Es gibt eine Reihe<br />
von ernstzunehmenden Studien,<br />
die interessante Dinge belegen.<br />
Nämlich?<br />
Erstens: Kinder haben nach einem<br />
Jahr Musikunterricht einen Intelligenzquotienten,<br />
der acht bis neun<br />
Punkte höher ist als ohne Musiktraining.<br />
Zweitens: Kinder mit Musikunterricht<br />
haben ein besseres verbales<br />
Gedächtnis. Und drittens:<br />
Musizierende Kinder können komplizierte<br />
Sätze besser verstehen.<br />
Wie werden Kinder schlau?<br />
Nicht allein durch Leistung. Sie müssen<br />
auch kreativ sein und mit dem<br />
erworbenen Wissen umgehen können.<br />
Lernen basiert auf Verstärkung<br />
und dem Ausbau von Assoziationen.<br />
Beide Seiten der Medaille, die Aneignung<br />
von Wissen und die Anwendung<br />
davon, sind wichtig. Wenn<br />
Kinder immer nur Wissen in sich<br />
hineintrichtern müssen, tötet man<br />
ihre Kreativität.<br />
Was ist für Sie eine kindgerechte<br />
Schule?<br />
Ich bin ein Fan der skandinavischen<br />
Schulen.<br />
Was machen diese Schulen gut?<br />
Sie konzentrieren sich zunächst auf<br />
die Grundfertigkeiten wie Lesen,<br />
Schreiben, Rechnen. Dieses Kerngeschäft<br />
lehren sie, und zwar intensiv.<br />
Und sie vermitteln Wissen fächerübergreifend<br />
und blockweise. Englisch<br />
nehmen sie nicht nur in einer<br />
Lektion pro Tag durch, sondern<br />
tageweise. Auch in Fächern wie<br />
Sport wird dann zum Beispiel nur<br />
Englisch gesprochen. Überhaupt<br />
haben kulturelle Fächer wie Musik,<br />
Theater und Philosophie in diesen<br />
Ländern einen hohen Stellenwert.<br />
Fächer, die in Regelschulen eher stiefmütterlich<br />
behandelt werden.<br />
Ja, und das finde ich schade. Mit<br />
Musik oder Theater trainieren Kinder<br />
übergeordnete Funktionen wie<br />
Selbstdisziplin, Aufmerksamkeit,<br />
Planung, Belohnungsaufschub und<br />
Sozialverhalten. Sie feiern Erfolge<br />
und sind stolz auf die eigene Leistung.<br />
Und verstehen wir eine Sprache<br />
oder eine geschichtliche Epoche<br />
nicht besser, wenn wir gleichzeitig<br />
die Philosophie und die Kunst der<br />
Epoche kennen?<br />
>>><br />
38 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ein geistreiches und<br />
sehr kurzweiliges<br />
Gespräch –<br />
die leitende Autorin<br />
Claudia Landolt<br />
mit Lutz Jäncke.<br />
Zur Person<br />
Lutz Jäncke, 60, ist Professor für<br />
Neuropsychologie an der Univer sität<br />
Zürich. Schwerpunkte seiner Forschung<br />
sind die kognitive Psychologie und die<br />
Plastizität des Gehirns. Jäncke gehört<br />
zu den am häufigsten zitierten<br />
Wissenschaftlern weltweit. Von den<br />
Studierenden wurde er mehrfach für<br />
seine Art der Wissensvermittlung<br />
ausgezeichnet. Lutz Jäncke ist<br />
verheiratet, Vater zweier erwachsener<br />
Söhne und lebt in Zürich.<br />
Meine Schule<br />
Meine Zukunft<br />
Sekundarschule, 10. Schuljahr<br />
Fachmittelschule, Gymnasium<br />
Talente entdecken. Fähigkeiten entwickeln.<br />
Weichen stellen. Ziele erreichen. Freude haben.<br />
Mehr Infos hier: www.theresianum.ch<br />
INTERNAT<br />
persönlich klasse<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>39
In Zusammenarbeit mit der Credit Suisse<br />
Erziehung & Schule<br />
In Raten in die<br />
<br />
Schuldenkrise<br />
Ein Smartphone für 20 Franken pro Monat! Angebote wie dieses locken immer<br />
mehr Jugendliche in die Schuldenfalle: 2016 waren mehr als doppelt so<br />
viele im Zahlungsrückstand bei ihrem Handyanbieter als noch im Vorjahr.<br />
Wie Sie Ihr Kind vor den Gefahren der Ratenzahlung bewahren. Text: Florence Schnydrig Moser<br />
Schulden belasten und nehmen zu<br />
Belastung durch<br />
finanzielle<br />
Verpflichtungen<br />
Handyschulden<br />
«Sind die finanziellen<br />
Verpflichtungen für Ihr<br />
Leben eine Belastung?»,<br />
Antworten «grosse» und<br />
«sehr grosse Belastung»<br />
addiert, in Prozent<br />
«Haben Sie persönlich<br />
finanzielle Verpflichtungen<br />
bei Mobilfunkanbietern?»,<br />
in Prozent<br />
Smartphone, Kleider, Scooter:<br />
Immer mehr Konsumträume<br />
können heute per<br />
Ratenzahlung erfüllt werden.<br />
Die Zahlungsmodelle<br />
sind verschieden, eines ist allen<br />
gemeinsam: Sie suggerieren einen<br />
besonders günstigen Preis, den man<br />
vermeintlich nebenbei in kleinen<br />
Häppchen abbezahlt.<br />
Kinder und Jugendliche sind<br />
besonders anfällig für solche Lockangebote.<br />
Zu verführerisch klingt es,<br />
das neue Smartphone sofort in den<br />
Händen halten zu können. Doch<br />
gerade hier ist besondere Vorsicht<br />
geboten: Zusätzlich zu den Anschaffungskosten<br />
können monatliche<br />
Vertragsgebühren anfallen. Diese<br />
werden oft unterschätzt – und können<br />
Jugendliche in die Schulden falle<br />
treiben.<br />
Jeder zehnte Jugendliche hat<br />
Schulden bei Verwandten oder<br />
Freunden<br />
Das Verschuldungsniveau hat im<br />
letzten Jahr zugenommen. Gründe<br />
dafür gibt es mehrere. Unter anderem<br />
geben immer mehr Jugendliche<br />
an, im Zahlungsrückstand gegenüber<br />
ihrem Mobilfunkbetreiber zu<br />
sein. Das Jugendbarometer der Credit<br />
Suisse zeigt: Während 2015 noch<br />
3 Prozent Verbindlichkeiten gegen<br />
Quelle: Credit Suisse, Jugendbarometer 2016 Bild: Iryna Tiumentseva / Fotolia<br />
40 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
So schützen Sie Ihr Kind<br />
«Heute kaufen, morgen bezahlen»<br />
– für Kinder kann es schwierig sein,<br />
die Auswirkungen eines solchen<br />
Angebots zu erkennen. Deshalb<br />
ist es wichtig, ihm einerseits ein<br />
Vorbild zu sein und selbst nur in<br />
Ausnahmefällen auf Kredit einzukaufen<br />
– und andererseits immer<br />
wieder darüber zu sprechen.<br />
Diese Tipps können helfen, Ihr Kind für die<br />
Schuldenfalle Ratenzahlung zu sensibilisieren:<br />
Tipp 1: Langzeitfolgen bewusst<br />
machen<br />
Erklären Sie Ihrem Kind, dass es bei einer<br />
Ratenzahlung einen Vertrag abschliesst,<br />
an den es lange gebunden ist, dass die<br />
Schulden über viele Monate oder sogar<br />
Jahre abbezahlt werden müssen – vielleicht<br />
sogar dann noch, wenn das Smartphone<br />
schon lange kaputt ist. Bei gleich<br />
mehreren auf Raten gekauften Produkten<br />
kommt so schnell ein unübersichtlicher<br />
Berg an Schulden zusammen.<br />
Tipp 2: Versteckte Kosten erklären<br />
Erklären Sie Ihrem Kind den Unterschied<br />
zwischen gespartem Geld und einem<br />
Kredit: In beiden Fällen dauert es eine<br />
ganze Weile, bis es die Summe für ein<br />
Produkt zusammengespart oder abbezahlt<br />
hat. Der Unterschied ist aber:<br />
Für einen Kredit bezahlt es Zinsen – das<br />
können bis zu 10 Prozent sein. Geben Sie<br />
Ihrem Kind ein Rechenbeispiel: Wenn es<br />
ein Smartphone für 500 Franken kaufen<br />
und 10 Prozent Zinsen für den Ratenkredit<br />
bezahlen würde, müsste es 50 Franken<br />
zusätzlich aufbringen. Unter dem Strich<br />
ist die Ratenzahlung also oft deutlich<br />
teurer.<br />
Tipp 3: Alternativen aufzeigen<br />
Inspirieren Sie Ihr Kind, über Alternativen<br />
nachzudenken. Vielleicht wäre ein günstigeres<br />
Modell eine Alternative? Oder es<br />
leiht sich ein altes Handy der Familie, bis<br />
es die Summe für sein Wunschgerät angespart<br />
hat. Vielleicht nimmt Ihr Kind auch<br />
einen Ferienjob an, um nicht so lange<br />
warten zu müssen – und freut sich dann<br />
über das Gefühl, sich das Smartphone<br />
selbst erarbeitet zu haben.<br />
über dem Mobilfunkanbieter angaben,<br />
waren es ein Jahr später schon<br />
7 Prozent – mehr als doppelt so<br />
viele. Zudem haben 11 Prozent der<br />
16- bis 25-Jährigen auch Schulden<br />
bei Familienmitgliedern oder<br />
Bekannten.<br />
Ein Grossteil der Schweizer Ju -<br />
gend lichen hat zwar keine finanziellen<br />
Verpflichtungen; von den verschuldeten<br />
Jugendlichen gab aber<br />
ein Drittel an, allfällig vorhandene<br />
Schulden seien eine grosse oder<br />
sogar sehr grosse Belastung. Das<br />
sind 12 Prozent mehr als 2016.<br />
Keine Ratenzahlung ohne<br />
Zustimmung der Eltern<br />
Um zu verhindern, dass Kinder und<br />
Jugendliche ungeschützt in die<br />
Schuldenfalle tappen, hat der Gesetzgeber<br />
die Ratengeschäfte klar geregelt.<br />
Das Konsumkreditgesetz (KKG)<br />
schreibt vor: Personen unter 18 Jahren<br />
dürfen keine Ratenzahlungen<br />
ohne die Erlaubnis ihrer Eltern tätigen.<br />
Denn nur Volljährigen darf ein<br />
Kredit gewährt werden. Eine eigene<br />
Kreditkarte oder das neue Smartphone<br />
auf Pump sind damit für<br />
Jugendliche ohne Zustimmung der<br />
Eltern ausgeschlossen.<br />
Das bedeutet: Schliesst ein Kind<br />
ohne Wissen und durch Unterschrift<br />
bestätigtes Einverständnis der Eltern<br />
einen Kaufvertrag mit Ratenzahlung<br />
ab, ist dieser rechtswidrig. Die Eltern<br />
können den Vertrag als nichtig<br />
erklären. Wichtig ist, dass sie den<br />
Händler vor der ersten Zahlung darüber<br />
informieren. Dann müssen<br />
weder das Kind noch die Eltern die<br />
angefallenen Rechnungen begleichen.<br />
Das gekaufte Produkt muss<br />
aber zurückgegeben werden.<br />
Ratenzahlung heisst Kredit<br />
Am besten verstehen Kinder, wie ein<br />
Kauf auf Raten funktioniert, wenn<br />
ihnen das zugrunde liegende Vertragsmodell<br />
bewusst wird: Bei einem<br />
Kauf mit Ratenzahlung schliessen<br />
sie gleichzeitig einen Vertrag über<br />
einen Finanzierungskredit ab – denn<br />
nichts anderes verbirgt sich hinter<br />
dem Prinzip der Ratenzahlung.<br />
Die Zahlungsbedingungen können<br />
sehr unterschiedlich sein: Mal<br />
wird bereits beim Kauf ein bestimmter<br />
Betrag angezahlt, mal ist die erste<br />
Rate erst später fällig. Auch unterscheiden<br />
sich die Laufzeiten der<br />
Verträge, die Höhe der Raten und<br />
die der Zinsen.<br />
Florence<br />
Schnydrig Moser<br />
ist Leiterin von Products & Investment<br />
Services bei der Credit Suisse und<br />
Auftraggeberin der Taschengeldstudie.<br />
In der Viva Kids World der Credit Suisse finden<br />
Eltern Tipps und Tricks für die Finanz erziehung.<br />
Kinder entdecken Finanzthemen gemeinsam<br />
mit der Viva-Kids-Bande.<br />
credit-suisse.com/vivakidsworld<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>41
Elterncoaching<br />
Die Schule –<br />
unser Feind?<br />
Die Kritik an unserem Bildungssystem nimmt seit<br />
Jahren an Schärfe zu. Wie Eltern dem begegnen sollten.<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe und Autor («Mit<br />
Kindern lernen»). In der Rubrik<br />
«Elterncoaching» beantwortet<br />
er Fragen aus dem Familienalltag.<br />
Der 38-Jährige ist verheiratet<br />
und Vater eines Sohnes, 5,<br />
und einer Tochter, 2. Er lebt<br />
mit seiner Familie in Freiburg.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
www.biber-blog.com<br />
Es fällt mir nicht leicht,<br />
den heutigen Artikel zu<br />
schreiben, weil er viele<br />
Menschen aus meinem<br />
Umfeld vor den Kopf<br />
stossen und mir wahrscheinlich<br />
einige böse Kommentare einhandeln<br />
wird. Aber das Thema beschäftigt<br />
mich zu oft, um das Folgende<br />
ungesagt zu lassen. Es geht um die<br />
zunehmend aggressiver werdende<br />
Kritik an der Schule.<br />
In unserer Zeit, in der es auf<br />
Klickraten und Interaktionen in den<br />
sozialen Medien ankommt und gerne<br />
alles auf Facebook und Co. geteilt<br />
wird, was knackig und plakativ<br />
daherkommt, greifen Journalistinnen,<br />
Autoren und Expertinnen vermehrt<br />
auf die Strategie «Polarisieren<br />
und emotionalisieren» zurück. Mit<br />
Titeln wie «Schulinfarkt» oder «Das<br />
Lehrerhasser-Buch» wird um Auf-<br />
Experten, die sich zum Thema<br />
Schule äussern, vermischen<br />
berechtigte Kritik immer mehr mit<br />
populistischer Rhetorik.<br />
merksamkeit gebuhlt. Die Experten,<br />
die zum Thema Schule interviewt<br />
und in Talkshows eingeladen werden,<br />
vermischen berechtigte Kritik<br />
immer mehr mit populistischer<br />
Rhetorik.<br />
Macht lernen dumm?<br />
Einige Monate vor Erscheinen des<br />
Buchs «Anna, die Schule und der<br />
liebe Gott. Der Verrat unseres Bildungssystems<br />
an unseren Kindern»<br />
des deutschen Professors Gerald<br />
Hüther lud der deutsche Professor<br />
und Philosoph Richard David Precht<br />
den Autor in seine Sendung ein –<br />
unter dem Titel: «Skandal Schule.<br />
Macht lernen dumm?»<br />
Precht leitete die Sendung mit<br />
folgender Pauschalisierung ein: «An<br />
unseren Schulen werden die Kinder<br />
von den falschen Leuten nach den<br />
falschen Methoden in den falschen<br />
Dingen unterrichtet.»<br />
Das war vor sechs Jahren. Seither<br />
hat sich der Ton noch verschärft.<br />
Gerald Hüther behauptet, dass unsere<br />
Schulen unsere Kinder zu «Systemlingen»<br />
dressieren, die nicht<br />
selber denken können, sie zu unkreativen<br />
Kümmerwesen verkommen<br />
lassen.<br />
Der Film «Alphabet», der in den<br />
letzten drei Jahren viel diskutiert<br />
wurde, zeigt nicht nur interessante<br />
Lern- und Bildungsalternativen. Er<br />
wirbt auf dem Filmplakat und der<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
42 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
DVD-Hülle auch mit dem Zitat:<br />
«Bei ihrer Geburt sind 98% aller<br />
Menschen hochbegabt, nach der<br />
Schulzeit sind es nur noch 2 Prozent.»<br />
Seither begegnet mir diese<br />
Aussage auf Facebook, in Artikeln<br />
und in Büchern immer wieder.<br />
Kommentare wie diese versetzen<br />
Eltern in Aufruhr. Wie können wir<br />
unsere Kinder, die uns so viel bedeuten,<br />
solch scheinbar grausigen Institutionen<br />
anvertrauen?<br />
Wut und Ängste schüren hilft<br />
niemandem<br />
Doch woher kommen solche Zahlen,<br />
mit denen unser aktuelles Schulsystem<br />
kritisiert wird? In diesem Fall<br />
gehen sie auf eine Studie zurück, die<br />
vor 50 Jahren von George Land in<br />
den USA durchgeführt wurde.<br />
Gemessen wurde darin nicht die<br />
Begabung von Kindern im Allgemeinen,<br />
sondern eine ganz bestimmte<br />
Form der Kreativität: die Fähigkeit<br />
zum divergenten Denken. Die Studie<br />
zeigt, dass Kinder darin sehr viel<br />
besser sind als Erwachsene. Daraus<br />
darf man aber keinesfalls schliessen,<br />
dass die Kinder dies in der Schule<br />
verlernen. Wir könnten analog zeigen,<br />
dass Kinder im Alter von vier<br />
Jahren sehr viel schneller eine neue<br />
Sprache aufnehmen als Zwölfjährige<br />
oder Erwachsene. Daraus abzuleiten,<br />
dass uns unsere sprachlichen Fähigkeiten<br />
durch die Schule abtrainiert<br />
werden, wäre aber alles andere als<br />
eine korrekte Schlussfolgerung.<br />
Es ist richtig und wichtig, unser<br />
Bildungssystem immer wieder<br />
genau unter die Lupe zu nehmen,<br />
Mängel und Probleme zu benennen<br />
und auf Lösungen zu drängen. Wir<br />
dürfen kritisch sein, aber wir sollten<br />
unsere Kritikfähigkeit auch gegenüber<br />
den Kritikern bewahren und<br />
genauer hinschauen. Es ist niemandem<br />
gedient, wenn wir die Schule<br />
zum Feind erklären und unnötig<br />
Wut und Ängste schüren.<br />
Viele Schulkritiker wünschen sich<br />
eine Rebellion und operieren nach<br />
dem Motto «Der Zweck heiligt die<br />
Mittel». Wir leben aber nicht in einer<br />
Diktatur, sondern in einer Demokratie.<br />
Gerade hier in der Schweiz lösen<br />
wir Probleme im Dialog.<br />
Wir verlieren die guten Lehrer<br />
Was benötigen wir für gute Schulen?<br />
Beziehung! Genau das betonen auch<br />
Hüther und Precht, deren Grundbotschaften<br />
ich wertvoll und wahr<br />
finde. Wir alle möchten eine Schule,<br />
in der sich die Schülerinnen und<br />
Schüler wohl fühlen, gerne lernen<br />
und ihre Stärken und Potenziale entdecken<br />
können. Dafür benötigen wir<br />
Lehrpersonen, die gerne unterrichten<br />
und sich auf die Schülerinnen<br />
und Schüler einlassen können. Und<br />
hier liegt das Problem in der Vehemenz,<br />
mit der Hüther und Precht die<br />
Schule attackieren.<br />
Denn je negativer die Stimmung<br />
wird, je mehr die Schule zum Sündenbock<br />
für alle gesellschaftlichen<br />
Probleme erklärt wird, desto weniger<br />
junge Erwachsene werden sich<br />
aus den richtigen Gründen auf diesen<br />
Beruf einlassen. Und je weniger<br />
Wertschätzung die Lehrkräfte für<br />
ihre immer anspruchsvoller werdende<br />
Arbeit erhalten, desto weniger<br />
können sie diese an unsere Kinder<br />
weitergeben und desto eher werfen<br />
gerade die Engagiertesten unter<br />
ihnen nach ein paar Jahren das<br />
Handtuch.<br />
Noch immer sind in der Schweiz<br />
die meisten Eltern und Lehrpersonen<br />
bereit und willens, sich aufeinander<br />
einzulassen. Noch dürfen wir<br />
uns darüber freuen, dass die meisten<br />
Begegnungen zwischen Eltern und<br />
Lehrpersonen konstruktiv verlaufen,<br />
Gespräche mit dem nötigen Respekt<br />
und in gegenseitiger Wertschätzung<br />
geführt werden. Noch haben die<br />
meisten Eltern Vertrauen in die<br />
Lehrpersonen ihrer Kinder. Wir<br />
müssen dafür sorgen, dass dies so<br />
bleibt.<br />
Hüther und Precht haben eigentlich<br />
eine sehr schöne Botschaft: Sie<br />
sagen, dass Ermutigung und Beziehung<br />
der Schlüssel zum Lernen sind<br />
Je weniger Wertschätzung<br />
Lehrkräfte für ihre Arbeit<br />
erhalten, desto weniger<br />
Wertschätzung können sie an<br />
unsere Kinder weitergeben.<br />
und nicht Abwertung. Sie betonen,<br />
dass Zusammenarbeit und konstruktiver<br />
Dialog und nicht Konkurrenzdenken<br />
und Feindseligkeit uns<br />
als Menschen weiterbringen. Ich<br />
wünschte mir, dass wir mit dieser<br />
Haltung allen im Schulsystem<br />
begegnen – den Eltern, den Kindern<br />
und den Lehrpersonen. Und<br />
wir tun gut daran, dort kritisch hinzuschauen,<br />
wo Medien, Experten<br />
und wir selbst diese Haltung vermissen<br />
lassen.<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Mein Kind lügt<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>43
Digital & Medial<br />
Die Kunst des<br />
Selbstmarketings<br />
Um bei der Lehrstellensuche erfolgreich zu<br />
sein, müssen Jugendliche ihre Stärken erst<br />
selber kennenlernen. Die wichtigsten Tipps für<br />
eine erfolgreiche Bewerbung. Text: Michael In Albon<br />
Bild: Antonio Guillem<br />
Die Suche nach der<br />
richtigen Lehrstelle<br />
ist für Jugendliche<br />
eine neue Erfahrung.<br />
Selbständig sollen sie<br />
die Stelle suchen, Firmen kontaktieren,<br />
Bewerbungen schreiben, sich<br />
bemühen und andere von sich überzeugen.<br />
Obwohl sie dabei von Lehrpersonen,<br />
Laufbahnzentren und<br />
Eltern unterstützt werden, ist der<br />
Druck gross. Selbstmarketing kann<br />
helfen: Wichtig ist es dabei, glaubwürdig<br />
zu sein. Bewerber müssen<br />
dafür ihre Stärken kennen und diese<br />
zeigen. Etwa indem ein Teenager mit<br />
wahren Geschichten seine Stärken<br />
darstellt, ohne aufschneiderisch zu<br />
wirken. Jugendliche sollten sich für<br />
ihre Bewerbungen genügend Zeit<br />
nehmen. Am besten planen sie fixe<br />
Zeiten dafür ein, im Rahmen von<br />
drei bis vier Stunden pro Woche.<br />
Wer bin ich?<br />
Hilfreich, um herauszuarbeiten, welche<br />
Begabungen man vorweisen<br />
kann, ist das Beantworten folgender<br />
Fragen: Welche Fächer fallen mir in<br />
der Schule leicht? Was kann ich besser<br />
als andere? Wofür werde ich<br />
gelobt, wofür kritisiert? Wie beurteilt<br />
mich meine Lehrperson? Auf welche<br />
Erfolge und Leistungen kann ich<br />
zurückblicken – auch neben der<br />
Schule? Im Sport etwa, in der Musik,<br />
in der Pfadi, im Schülerparlament<br />
oder als Konfliktlotse? Zudem:<br />
Betreue ich regelmässig meine<br />
Geschwister oder kümmere ich mich<br />
um meine Grosseltern? Stärken zeigen<br />
sich auch an Orten, die den<br />
Jugendlichen gar nicht bewusst sind.<br />
Online ist König<br />
Immer mehr Unternehmen bevorzugen<br />
den elektronischen Weg –<br />
gehen Sie als Eltern davon aus, dass<br />
sich unsere Kinder dereinst ausschliesslich<br />
digital bewerben werden.<br />
Bei Bewerbungen per E-Mail<br />
oder über Online-Tools ist es wichtig,<br />
die Dateien als Pdfs zu versenden<br />
und den Namen im Dateinamen zu<br />
integrieren. Zeugnisse scannen kann<br />
man auch mithilfe einer kostenlosen<br />
App wie zum Beispiel «Genius Scan»<br />
für Android und iOS. Damit lassen<br />
sich Dokumente nacheinander abfotografieren,<br />
zuschneiden, nachbearbeiten<br />
und in einem Dokument<br />
zusammenfassen.<br />
Es empfiehlt sich, ein elektronisches<br />
Dossier anzulegen mit Noten,<br />
Projektarbeiten, Fotos, ausserschulischen<br />
Arbeiten in allen möglichen<br />
Formaten: Videos, PDFs, Fotoalben,<br />
Audiodateien. Wichtig ist, dass das<br />
Dossier in einem Online-Speicher<br />
sicher aufbewahrt wird. Dieses<br />
E-Portfolio wird unsere Kinder<br />
nicht nur bei der Lehrstellensuche,<br />
sondern während ihrer ganzen<br />
beruflichen Karriere begleiten.<br />
Wer bereits mit der Bewerbung Nähe<br />
zum Fachgebiet zeigt, sticht heraus.<br />
Indem ein angehender Informatiker<br />
etwa eine Online-Bewerbung mit<br />
eigener Website erstellt oder eine<br />
angehende Schreinerin Teile ihrer<br />
Bewerbung aus Holz zimmert. Das<br />
bedeutet nicht, dass jede Bewerbung<br />
ausgefallen sein muss. Jugendliche<br />
sollten aber sehr wohl Zeit investieren,<br />
um ihr Profil zu schärfen. Das<br />
überzeugt zuallererst sie selber – sie<br />
gewinnen Selbstbewusstsein, treten<br />
sicherer auf und erhöhen damit ihre<br />
Chancen.<br />
Michael In Albon<br />
ist Beauftragter Jugendmedienschutz<br />
und Experte Medienkompetenz von<br />
Swisscom.<br />
Auf einen Klick<br />
Yousty.ch ist laut eigener Aussage das grösste Online-<br />
Lehrstellenportal der Schweiz. Es bietet dazu wertvolle<br />
Hilfe, wie man sich bewirbt. Auf SRF.ch/myschool finden<br />
sich unter dem Begriff «Berufswelt» filmische Einblicke<br />
in Berufsbilder. berufsberatung.ch bietet Informationen<br />
zu allen Berufen und nennt die Angebote jedes Kantons.<br />
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />
Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />
digitalen Medien im Familienalltag.<br />
swisscom.ch/medienstark<br />
44 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Kolumne<br />
Der leise Neid auf<br />
pubertierende Teenies<br />
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />
Michèle Binswanger<br />
Die studierte Philosophin ist Journalistin<br />
und Buchautorin. Sie schreibt zu<br />
Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder<br />
und lebt in Basel.<br />
Die Vorstellung, dem Nachwuchs könnte etwas zustossen,<br />
ist für jede Mutter grauenhaft. Aber manche Dinge müssen<br />
den Kindern zustossen. Wer liebt, dem stösst Schmerz zu.<br />
Und wer lebt, dem stösst die Pubertät zu.<br />
Dass die eben noch süss nach Hefe duftenden Babys<br />
plötzlich fettige Haare und Pickel bekommen, ist unvermeidlich. Und<br />
wenn man kein Wort mehr von dem versteht, was die beiden Teenies<br />
beim Mittagstisch miteinander verhandeln, und bei ihren Witzen, wie<br />
einst die eigene Mutter, die Pointe erklärt bekommen muss, dann ist es so<br />
weit: Die Pubertät ist da. Und damit auch die grösste aller Sorgen: Was<br />
macht sie mit meinem Kind? Und was macht mein Kind damit?<br />
Ich habe Grund zur Sorge. Die Erinnerung an meine eigenen Teenagerjahre<br />
ist düster, ich war ein einziger Krisenherd. Ich hasste die<br />
Schule, die Lehrer, fühlte mich unverstanden und ungeliebt und dachte<br />
viel an den Tod. Glücklicherweise scheint meine Sechzehnjährige mit<br />
dieser turbulenten Zeit besser zurechtzukommen als ich damals. Zwar<br />
findet auch sie die Schule das Allerletzte, aber sie meistert die Sache bravourös.<br />
Und schafft sogar, was ich nie für möglich gehalten hätte: dass ich<br />
sie um diese Phase ein bisschen beneide.<br />
«Kennt ihr das», fragte sie neulich beim Nachtessen, «wenn ein Lied<br />
dich plötzlich in die Vergangenheit zurückversetzt und man so ein Ziehen<br />
in der Brust kriegt, weil diese Phase unwiederbringlich vorbei ist?»<br />
Ja!, wollte ich sagen, kenne ich, funktioniert auch mit Düften und<br />
Büchern! Aber bevor ich mich fragen konnte, wann mir das zum letzten<br />
Mal passiert ist, fuhr die Tochter fort: «Und dann stellst du fest, dass<br />
diese unwiederbringliche Vergangenheit erst zwei Monate her ist.»<br />
Kann man das Empfinden eines Teenagers noch besser auf den Punkt<br />
bringen? Und gleichzeitig auch den Unterschied zum Erwachsensein?<br />
Teenagersein heisst, in einer Nussschale durch eine stürmisch aufgewühlte<br />
See zu navigieren, unkontrolliert von Wellenbergen in Abgründe zu<br />
sausen. Nicht zu wissen, wer man ist und wohin man steuert, kann<br />
anstrengend sein, ist manchmal schlicht zu viel. Aber es gibt kein grösseres<br />
Abenteuer, als sich selbst zu finden.<br />
Die Pubertät dauert nicht ewig und dann beruhigt sich die stürmische<br />
See, das Leben mündet in einen träge dahinziehenden Fluss, und wenn<br />
erst mal Kinder kommen, ist die Richtung klar, Wellen wirft höchstens<br />
noch das eigene Schiff. Dagegen hatte ich nie etwas einzuwenden, doch<br />
angesichts der gefühlvollen Seufzer meiner Tochter fragte ich mich plötzlich:<br />
Ist mir nicht auch etwas verloren gegangen? Wann habe ich zuletzt<br />
solche Leidenschaft und Intensität empfunden? Wann habe ich zum letzten<br />
Mal mein Leben total umgekrempelt und mich neu erfunden? Werde<br />
ich das je wieder erfahren?<br />
Vielleicht liegt darin die Krux: dass Menschen sich das in der Regel<br />
nicht freiwillig antun, dass es einem zustossen muss. Wie wenn man eine<br />
Familie gründet und keine Ahnung hat, was das heisst. Meine Tochter<br />
jedenfalls macht mir Mut, mich auch künftig auf Abenteuer einzulassen.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>45
Erziehung & Schule<br />
Wie zu Stosszeiten<br />
am Takeaway-Stand<br />
Für eine Studie begleitete ein Arzt drei Lehrpersonen während ihrer Arbeit. Ziel war es,<br />
die Lehrtätigkeit und den Arbeitsplatz aus Sicht der Arbeitsmedizin und - psychologie<br />
zu beobachten und zu beschreiben. Die Resultate sind beunruhigend. Text: Franziska Peterhans<br />
«Eine Lehrperson muss auch<br />
für Eltern nicht rund um die<br />
Uhr erreichbar sein.»<br />
Franziska Peterhans ist Zentralsekretärin des<br />
LCH und Mutter von drei erwachsenen Kindern.<br />
Weitere Informationen zur Studie: www.lch.ch/<br />
publikationen/studien.<br />
Um es vorwegzunehmen:<br />
Eltern wissen<br />
es genauso wie die<br />
Be treuerinnen in<br />
Kinder tagesstätten:<br />
Das Zusammensein mit Kindern ist<br />
bereichernd und beglückend, aber<br />
auch fordernd und anstrengend.<br />
Genauso ist es für die Lehrerinnen<br />
und Lehrer.<br />
Doch wie sieht das aus Sicht eines<br />
Mediziners aus? Der Dachverband<br />
Lehrerinnen und Lehrer Schweiz<br />
(LCH) hat die Arbeitsbelastung von<br />
Lehrpersonen durch das Institut für<br />
Arbeitsmedizin ifa beobachten und<br />
messen lassen. Die Ergebnisse wurden<br />
mit Vorgaben des Arbeitsgesetzes<br />
sowie der für alle Berufe geltenden<br />
Bau- und Gesundheitsnormen<br />
verglichen. Die Untersuchung zeigte,<br />
dass der Lehrberuf eine Vielzahl<br />
von psychosozialen Belastungen<br />
aufweist und die Arbeitsräume teils<br />
erhebliche Mängel aufweisen.<br />
Zu kurze Pausen und mangelde<br />
Rückzugsmöglichkeiten<br />
Was verursacht also konkret Stress<br />
und Belastung bei Lehrerinnen und<br />
Lehrern? Die Ergebnisse zeigen<br />
deutlich: Psychosoziale Faktoren wie<br />
die Häufigkeit der Interaktion zwischen<br />
Lehrpersonen und Schülerinnen<br />
und Schülern, die fehlenden<br />
oder zu kurzen Pausen, die mangelhaften<br />
Rückzugsmöglichkeiten und<br />
die ständige Erreichbarkeit machen<br />
den Lehrberuf anstrengend und<br />
belasten die Lehrerinnen und Lehrer<br />
teilweise sehr.<br />
So notierten die Fachpersonen<br />
des Instituts für Arbeitsmedizin ifa<br />
in Baden bei einer Kindergartenlehrperson<br />
während ihrer Arbeit<br />
über 200 Interaktionen pro Stunde.<br />
Gleich hohe oder höhere Werte<br />
erzielen nur wenige Berufsleute, so<br />
etwa der Billettkontrolleur im Zug<br />
oder die Angestellte eines Takeaway-<br />
Stands zu Stosszeiten. Die Interaktionen<br />
bei diesen Berufen sind jedoch<br />
bei Weitem nicht so komplex.<br />
Interessant ist auch der Unterschied,<br />
wenn nur die halbe Klasse<br />
anwesend ist: Die Interaktionen halbieren<br />
sich nicht, sondern sind mit<br />
70 deutlich geringer als die Hälfte.<br />
Mit mehr als einer Kontaktaufnahme<br />
pro Minute ist die Interaktionsdichte<br />
zwar nach wie vor beachtlich,<br />
aber deutlich geringer als bei vollzähliger<br />
Klasse. Im Englischunterricht<br />
in einer Primarklasse wurden<br />
sogar 276 Interaktionen pro Stunde<br />
gemessen. Nicht verwunderlich, ist<br />
doch der Fremdsprachenunterricht<br />
an der Primarschule stark auf das<br />
Mündliche ausgerichtet.<br />
Auch wenn es unzählige Witze<br />
über Lehrer und ihre vielen Pausen<br />
gibt: Gerade für Lehrpersonen sind<br />
erholsame Pausen während der<br />
Unterrichtstage rar. Rückzugsmöglichkeiten<br />
sind oft gar nicht gegeben.<br />
Gerade im Kindergarten müssen die<br />
Kinder meist durchgehend und pausenlos<br />
beaufsichtigt sein, auch während<br />
dem Znüni.<br />
Darum sind «Znünipausen»<br />
sicher keine Pausen für Kindergartenlehrpersonen.<br />
Bei einem derart<br />
intensiven Arbeitsalltag wären aber<br />
ein kurzer Gang nach draussen und<br />
die Möglichkeit, sich kurz zurückzuziehen,<br />
unabdingbar. Andernfalls<br />
entstehe eine ungünstige und er <br />
müdende Dauerbelastung im Ar <br />
beitsleben, erklären die Arbeitsmediziner.<br />
Dicke Luft im Klassenzimmer<br />
Es gibt zwar Vorschriften, wie viel<br />
Platz einem Geissbock im Stall einzuräumen<br />
ist, nämlich 3,5 Quadratmeter.<br />
Wie viel Raum für Kinder und<br />
Lehrpersonen im Schulzimmer zur<br />
46 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Online-Kurs für<br />
Eltern<br />
Verfügung stehen sollte, damit ein<br />
lernförderndes Klima gewährleistet<br />
werden kann, ist jedoch nicht geregelt.<br />
Sie befinden sich im Schulzimmer<br />
und merken es nicht einmal:<br />
Aber die CO 2 -Konzentration nimmt<br />
rasch zu und die Raumluftqualität<br />
verschlechtert sich.<br />
Auch wenn die Sinnesorgane sich<br />
laufend daran gewöhnen, so verschlechtert<br />
sich die Luft sehr schnell<br />
und kann bei gefüllten Klassenzimmern<br />
bald zu Konzentrationsstörungen,<br />
Leistungsabfall und sogar<br />
Kopfschmerzen und Reizungen der<br />
Atemwege führen.<br />
Auch mit regelmässigem Stosslüften<br />
ist die Garantie für gute<br />
Raumluft nicht gegeben, halten die<br />
Arbeitsmediziner fest. Daher sollte<br />
die Raumluft mit CO 2 -Messgeräten<br />
kontrolliert werden, und bei kritischen<br />
Resultaten sollten die nötigen<br />
Massnahmen in die Wege geleitet<br />
werden. Gleiches gilt gemäss ifa<br />
auch für das Messen der Raumbeleuchtung,<br />
der Temperatur und<br />
der Luftfeuchtigkeit.<br />
«Erhebliche Abweichungen<br />
von der Norm»<br />
Klar ist, dass die Raumgrösse eines<br />
Klassenzimmers und die Grös se der<br />
Klasse von hoher Bedeutung sind<br />
– nicht nur in Bezug auf die Dichte<br />
der Interaktionen: Ist die Schülerzahl<br />
pro Raumvolumen zu hoch und<br />
dadurch die Luft schlecht, lernen die<br />
Kinder weniger gut.<br />
Zusammenfassend hält die Studie<br />
fest: «Die Arbeitsplätze der Lehrpersonen<br />
wiesen punkto Belüftung,<br />
Beleuchtung, Raumgrösse zum Teil<br />
erhebliche Abweichungen von der<br />
Norm auf.» Nicht nur wegen der<br />
Lehrpersonen, auch wegen der Kinder<br />
müssten sich die Schulgemeinden<br />
dringend um Verbesserungen<br />
bemühen. Kinder sollten in ihren<br />
Schulzimmern gesund bleiben und<br />
gut lernen können. Das Lernen wird<br />
aber nachweislich tangiert, wenn die<br />
Luft abgestanden ist bzw. einen zu<br />
hohen CO 2 -Gehalt aufweist.<br />
Andere Bereiche, die die Studie<br />
beleuchtet, sind die vielen Zuständigkeiten,<br />
das Arbeiten in der Freizeit<br />
sowie die fast ständige Erreichbarkeit.<br />
Lehrpersonen äussern in der<br />
Berufszufriedenheitsstudie des LCH<br />
aus dem Jahr 2014, dass das Verhältnis<br />
zwischen Arbeitszeit und Erholungszeit<br />
problematisch sei. Das<br />
Gefühl, nie fertig zu sein mit der<br />
Arbeit, gehört zu den Schwierigkeiten<br />
im Lehrberuf, mit denen sich<br />
Lehrerinnen und Lehrer immer wieder<br />
auseinandersetzen müssen.<br />
Um gesund zu bleiben, ist es<br />
gerade in diesem Beruf besonders<br />
wichtig, sich gut zu strukturieren<br />
und abzugrenzen. Die Bewertung<br />
einer Prüfung etwa muss nicht nach<br />
22 Uhr per WhatsApp mit Eltern<br />
«diskutiert» werden. Es ergibt<br />
durchaus Sinn, dass eine Lehrperson<br />
auch für Eltern nicht permanent per<br />
E-Mail, WhatsApp und Telefon<br />
erreichbar ist. Notfälle sind davon<br />
natürlich ausgenommen.<br />
82 Prozent der Lehrerinnen und<br />
Lehrer würden ihren Beruf wieder<br />
wählen – das hat die Berufszufriedenheitsstudie<br />
des LCH ergeben.<br />
Diese Zufriedenheit ist hauptsächlich<br />
auf den «direkten Kontakt mit<br />
Menschen» und insbesondere die<br />
Unterrichtstätigkeit mit Kindern<br />
und Jugendlichen zurückzuführen.<br />
Ein wirklich guter Befund – für die<br />
Lehrerinnen und die Lehrer, aber<br />
auch für die Kinder.<br />
Umso mehr sollten die Arbeitgeber,<br />
die Gemeinden und Kantone zu<br />
Räumlichkeiten beitragen, die das<br />
Lernen begünstigen und die Ge -<br />
sundheit nicht beeinträchtigen. Und<br />
dafür sorgen, dass gesundheitserhaltende<br />
Verhältnisse geschaffen werden,<br />
damit viele Lehrerinnen und<br />
Lehrer ihren Beruf weiterhin engagiert<br />
und zum Wohle der Kinder<br />
ausüben können.<br />
In der Schule geht es um die<br />
Zukunft unserer Kinder – umso<br />
wichtiger, dass sie von gesunden<br />
und motivierten Lehrpersonen<br />
unterrichtet werden.<br />
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in die Beziehung und in die<br />
eigene Haltung stärken<br />
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den Kurs allen, die mit<br />
Kindern und Jugendlichen<br />
zu tun haben.»<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>
Rubrik<br />
48 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Reportage<br />
Wenn Papa<br />
trinkt<br />
In der Schweiz trinkt jede fünfte Person zu viel:<br />
Alkoholmissbrauch ist eine Volkskrankheit.<br />
Und ist ein Vater oder eine Mutter süchtig, leidet die ganze<br />
Familie. Beat Schaffner* war jahrelang alkoholkrank.<br />
Zusammen mit seiner Frau Margrit erzählt er, was die Sucht<br />
mit ihrer Familie gemacht hat – und wie sie die Krankheit<br />
überwinden konnten.<br />
Text: Falco Meyer Bilder: Stephan Rappo / 13 Photo<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>49
Reportage<br />
Als die Eltern Mitte 30 waren,<br />
musste die Familie erst einmal<br />
herausfinden, wer sie war,<br />
ohne den Alkohol.<br />
Draussen bricht der<br />
Winter herein, in<br />
einem einzigen nassen<br />
Windstoss. Aber<br />
Beat und Margrit*<br />
sind drüber hinweg, über die Kälte,<br />
über die Schwere, die Verwirrung,<br />
den Krach, die Depression. Stattdessen<br />
ist Arbeit angesagt: an sich<br />
selbst, an der Beziehung, an der<br />
Familie. Beat und Margrit haben<br />
drei Kinder. «Wir sind endlich angekommen»,<br />
sagt Margrit. «Wir mussten<br />
mit Mitte 30 erst einmal herausfinden,<br />
wer wir sind, ohne den<br />
Alkohol.»<br />
Beat ist trocken, und zwar schon<br />
seit mehr als zehn Jahren. Davor war<br />
er es nie. «Ich bin so geboren», sagt<br />
er. Beat konnte nie trinken, ohne<br />
sich zu betrinken, ohne die Kontrolle<br />
zu verlieren. Das erste Mal als<br />
Ministrant. Beat hat mit zwölf den<br />
Messwein probiert. Und ist dann die<br />
Kirchentreppe hinuntergestolpert.<br />
«Ich kann mich an das Gefühl noch<br />
gut erinnern», sagt er und lacht, «ich<br />
hatte gummige Knie.»<br />
Als Beat zum ersten Mal verliebt<br />
war, kaufte er sich eine Flasche<br />
Whisky. «Um es nicht mehr zu spüren»,<br />
sagt er. So ein Gefühl kannte<br />
er nicht, hielt er nicht aus. Eine Strategie,<br />
die er bald bewusst einsetzte.<br />
Zum Beispiel, wenn er als junger<br />
Mann seine depressive Mutter<br />
besuchte. «Ich habe es kaum ausgehalten,<br />
mit ihr am Tisch zu sitzen.<br />
Bis ich ein Glas Weisswein bekommen<br />
habe. Dann wurde das Gefühl<br />
erträglich.» Beat trank, wenn es darum<br />
ging, Emotionen auszuhalten,<br />
gute wie schlechte. Es gibt keinen<br />
zwingenden Grund für Beats Alkoholkrankheit<br />
in seiner Biografie. Sie<br />
war schlicht und einfach: eine destruktive<br />
Überlebensstrategie, die<br />
sich verselbstständigt hat.<br />
Keiner hat etwas gemerkt<br />
«Mir hat er von Anfang an gesagt,<br />
dass er sich nicht unter Kontrolle<br />
hat», erinnert sich Margrit. «Aber ich<br />
dachte als naive Zwanzigjährige:<br />
Wenn er es ja weiss, dann ist das kein<br />
Problem. Dann kann er es ändern.»<br />
Das er das überhaupt nicht konnte,<br />
dass das für einen Alkoholiker gar<br />
nicht möglich ist, das habe sie damals<br />
nicht gewusst. Zu dieser Zeit standen<br />
die Studentin und der gelernte<br />
Bäcker am Anfang ihrer Beziehung.<br />
Mit 25 schrieb Margrit ihre Diplomarbeit.<br />
Das Thema: Alkoholismus.<br />
Beat füllt heimlich einen der<br />
Fragebogen aus, die herumliegen.<br />
«Es hat mich einfach interessiert.»<br />
Das Ergebnis hat ihn erschüttert:<br />
«Sie sind Alkoholiker, suchen Sie<br />
sich Hilfe.»<br />
Beat war kein Penner. War nie<br />
aggressiv. Beat war erfolgreicher<br />
Unternehmer, Familienvater, Kollege.<br />
So wirkte es für Aussenstehende.<br />
Die Familie wohnt in einer kleinen<br />
Gemeinde im Kanton Aargau.<br />
7000 Einwohner, man kennt sich,<br />
kennt Beat wegen seines Unternehmens.<br />
Trotzdem: Gemerkt habe von<br />
seinen Problem keiner etwas, sagt<br />
das Paar. Bis heute gibt es Leute, die<br />
denken, sein Entzug sei völlig übertrieben<br />
gewesen. «Die denken, das<br />
bisschen Alkohol, deshalb bist du<br />
noch lange kein Alkoholiker. Aber<br />
das stimmt nicht», sagt Beat. «Es ist<br />
nicht die Menge, es ist der Kontrollverlust.»<br />
Sobald er ein Glas getrunken<br />
hatte, ging es los. Die guten<br />
Vorsätze waren weggespült. Am<br />
Schluss war er komplett betrunken,<br />
hat lautstark philosophiert, war der<br />
Grösste.<br />
Am Tag danach war Beat jeweils<br />
wieder zurechnungsfähig. Zumindest<br />
teilweise. «Ich habe mich<br />
immer rasiert, geduscht, bin immer<br />
pünktlich arbeiten gegangen», sagt<br />
er. Den Schnaps hat er irgendwann<br />
gegen Bier und Wein getauscht. «Da<br />
konnte ich die Menge etwas besser<br />
dosieren.»<br />
Beat und Margrit waren nicht die<br />
verwahrloste Klischee-Alkoholiker-Familie<br />
– sie sind damit die<br />
Regel, nicht die Ausnahme. Der<br />
Alkoholismus ist eine Schweizer<br />
Volkskrankheit: Rund 250 000 Menschen<br />
sind hierzulande alkoholabhängig.<br />
Und jede fünfte Person<br />
trinkt Alkohol missbräuchlich: Zur<br />
falschen Zeit, zu viel, zu oft. Jeder<br />
zwölfte Todesfall in der Schweiz ist<br />
auf Alkohol zurückzuführen. Das<br />
sind Zahlen des Bundesamtes für<br />
Gesundheit aus dem Jahr 2016.<br />
Die Kinder waren nicht mehr<br />
wichtig<br />
«Wenn wir in unserer Beziehung<br />
Krach hatten, dann wegen dem<br />
Alkohol», erinnert sich Margrit.<br />
Aber schlimmer als das Torkeln, das<br />
Lallen war der ständige Vertrauensbruch,<br />
wenn Beat am Abend für die<br />
Kinder zuständig war, während<br />
Margrit unterwegs war. «Natürlich<br />
bringe ich sie rechtzeitig ins Bett»,<br />
versprach Beat dann, «natürlich<br />
klappt alles gut.» Nur, wenn dann<br />
die Freunde da waren und Beat die<br />
erste und dann die zweite Flasche<br />
Wein getrunken hatte, dann war das<br />
nicht mehr wichtig. «Dann sind die<br />
Kinder halt irgendwann irgendwo<br />
eingeschlafen, wenn sie müde<br />
waren», sagt Beat. Seinen Knockout<br />
haben sie jeweils nicht mehr mitbekommen.<br />
Obwohl: Als Alkoholiker<br />
50 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
verträgt man viel. «Nach aussen hat<br />
man mir das nicht angemerkt, dass<br />
ich an einem Abend zwei Flaschen<br />
Wein oder fünf bis zehn Bier getrunken<br />
hatte», sagt Beat heute. «Als<br />
Alkoholiker rechnest du in einer<br />
anderen Liga.»<br />
Ein Sattelschlepper als Ausweg<br />
Die Alkoholkrankheit wurde zum<br />
Lebensmittelpunkt der Familie. Und<br />
Margrit erlebte das, was die Experten<br />
als Co-Abhängigkeit bezeichnen: die<br />
Verunsicherung, die Hilflosigkeit,<br />
das Unvermögen, etwas ändern zu<br />
können. Sie wurde depressiv.<br />
Margrit stellt ihren Kaffee auf den<br />
Tisch und seufzt. Heute staunt sie<br />
über die eigene Vergangenheit. Sie<br />
sitzt im Wohnzimmer, schaut aus<br />
dem Fenster, Nebel. «Ich bin oft in<br />
der Wohnung gesessen und habe<br />
mich nicht getraut, hinauszugehen»,<br />
erinnert sie sich. «Ich hatte Angst,<br />
dass sie mir die Kinder wegnehmen.<br />
Denn mit mir stimmte ja offenbar<br />
etwas nicht.» Nach Jahren voller<br />
Unsicherheiten war sie irgendwann<br />
davon überzeugt, psychisch krank<br />
zu sein.<br />
Von ihrem Umfeld wurde Margrit<br />
damals die wütende Mutter, die<br />
überstrenge, diejenige, welche ihren<br />
Mann an die Kandare nimmt, welche<br />
die Familie auf Trab hält. Diejenige,<br />
mit der etwas nicht stimmte.<br />
Und das, obwohl sie solch einen<br />
Mann hat: Einen, der sie alles<br />
machen lässt, der so liebenswürdig<br />
ist, den sie gar nicht verdient hat.<br />
Margrit sagt: «Irgendwann hatte ich<br />
es so oft gehört, dass ich angefangen<br />
habe, es zu glauben: Ich bin krank,<br />
nicht der Beat.» Dass das typisch ist<br />
für die Frauen von Alkoholkranken,<br />
wusste sie damals nicht.<br />
Irgendwann hatte es Margrit so<br />
oft gehört, dass sie es glaubte:<br />
Sie war krank, nicht ihr Mann.<br />
Margrit hat das Problem übernommen.<br />
Er hatte die Sucht, sie die Symptome.<br />
«Ich war gar nicht da», sagt<br />
Margrit, «immer irgendwie abwesend.<br />
Dass ich für die Kinder emotional<br />
nicht vorhanden war, bereue<br />
ich heute am meisten. Sie sagen mir<br />
zwar, dass sie das nicht gemerkt<br />
haben. Aber ich merke es.» Beat<br />
auch. Er war nach aussen charmant,<br />
lebensfreudig, gut organisiert. Innerlich<br />
aber war er betäubt, unglücklich,<br />
selbstmordgefährdet. «Dieser Sattelschlepper<br />
da, der könnte<br />
eichen», hat er manchmal<br />
gedacht, am Morgen, auf dem Weg<br />
ins Büro.<br />
Beat hat sich damals bei jeder<br />
Gelegenheit betrunken. Das heisst:<br />
nicht immer. Sondern so, dass alles<br />
weiter funktioniert hat. «Ich wusste<br />
ja, dass etwas nicht stimmte. Deshalb<br />
habe ich angefangen, mir den<br />
Alkohol einzuteilen. Ich trank montags<br />
und dienstags nicht, mittwochs<br />
nur bei Besuch. Also musste ich für<br />
Besuch sorgen.» Beat lacht, heute<br />
steht er anders da im Leben. Heute<br />
Reportage<br />
trank mittlerweile jeden Tag. Und<br />
wenn er einmal nicht trank, wachte<br />
er mitten in der Nacht schweissgebadet<br />
auf – wegen des kurzen Entzuges.<br />
Das war der Tiefpunkt. Das<br />
Ende: Auf einem Geschäftsausflug<br />
traf er eine andere Frau. «Sie hat<br />
mich völlig aufgewühlt», sagt Beat.<br />
«Er kam nach Hause und wollte trocken<br />
werden», erinnert sich Margrit.<br />
«Das war für mich extrem bedrohlich,<br />
dass eine andere Frau das in ihm<br />
auslösen konnte, was ich nicht<br />
geschafft hatte.»<br />
Beat wollte wieder etwas fühlen.<br />
«Noch in der selben Woche sind wir<br />
ans erste Treffen der anonymen<br />
Alkoholiker gegangen.» Und seither<br />
jede Woche. Trennung kam nicht in<br />
Frage. «Man liebt ja den Men-<br />
«Man liebt den Menschen<br />
dahinter», sagt Margrit.<br />
«Den, der er sein könnte.»<br />
schen dahinter», sagt Margrit.<br />
«Den, der er sein könnte. Er sieht<br />
den Menschen hinter meiner De <br />
pression und ich den hinter seinem<br />
Alkohol.»<br />
Den körperlichen Entzug machte<br />
Beat zu Hause. Damals war der<br />
älteste Sohn zwölf Jahre alt, der<br />
mittlere acht, der jüngste drei. «In<br />
meiner Arroganz dachte ich damals,<br />
ich schaffe das. Das war für Margrit<br />
und die Kinder vielleicht das<br />
Schlimmste von allem», sagt Beat.<br />
«Das tut mir heute noch unglaublich<br />
leid.» Drei Wochen lang war<br />
Beat ausser sich. «Ich war Jesus und<br />
Teufel zugleich», erinnert er sich.<br />
Sagte Margrit und den Kindern Dinge<br />
wie: «Ich weiss nicht mehr, ob<br />
irgendetwas, das ich euch jemals<br />
gesagt habe, stimmt. Ich weiss nicht,<br />
ob ich euch jemals wirklich geliebt<br />
Reportage<br />
habe. Ich weiss nur, dass ich im<br />
Moment gar nichts spüre.» Im<br />
Nachhinein ist ihm klar: «Das war<br />
für Margrit und die Kinder unglaublich<br />
verletzend.»<br />
Margrit: «Wir waren für die Kinder<br />
überhaupt nicht mehr berechenbar,<br />
wir haben als Familie nur noch<br />
geradeso funktioniert. Das war für<br />
uns sicher die traumatischste Phase.»<br />
Was man bei den Anonymen<br />
Alkoholikern als Erstes lernt? «Dass<br />
das, was uns passiert ist, alle Familien<br />
mit Alkoholikern erleben», sagt<br />
Margrit. Ihre Symptome, die Versuche,<br />
etwas zu ändern, die Unmöglichkeit,<br />
das Flüchten. «Bei den<br />
Anonymen Alkoholikern haben sie<br />
das alles schon x-Mal gehört.» Das<br />
ist eine Erleichterung. Mit Hilfe der<br />
Selbsthilfegruppe konnte die Familie<br />
die Sucht loswerden. Das ist für<br />
die beiden ein Geschenk. Und die<br />
Kinder? Ob sie einen Schaden<br />
davongetragen haben, können Beat<br />
und Margrit nicht beurteilen. «Meine<br />
Alkoholsucht hat sicher alle<br />
Familienmitglieder getroffen», sagt<br />
Beat. Aber der Umgang mit der<br />
Suchtkrankheit und das gemeinsame<br />
Aufarbeiten derselben habe die<br />
Familie auch gestärkt. Inwieweit die<br />
jetzige Lebensituation der Kinder<br />
anders wäre ohne die Trinkerei,<br />
könne man nicht wissen, sagt Beat.<br />
«Aber alle drei stehen heute selbständig<br />
und sicher im Leben.»
Kolumne<br />
Dauernde Sorge ist Gift<br />
für das Kind<br />
Kinder müssen lernen, Hindernisse zu überwinden –<br />
auch wenn dies mit Schmerzen verbunden ist.<br />
Jesper Juul<br />
ist Familientherapeut und Autor<br />
zahlreicher internationaler Bestseller<br />
zum Thema Erziehung und Familien.<br />
1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />
nach dem Schulabschluss zur See, war<br />
später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />
und Barkeeper. Nach der<br />
Lehrerausbildung arbeitete er als<br />
Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />
und bildete sich in den Niederlanden<br />
und den USA bei Walter Kempler zum<br />
Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />
leidet Juul an einer Entzündung des<br />
Rückenmarks und sitzt im Rollstuhl.<br />
Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />
Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />
Ehe geschieden.<br />
Als Mutter ist es mir<br />
wichtig, dass unsere<br />
drei Kinder erfahren,<br />
wie sich Schmerz und<br />
Trauer anfühlen. Ich<br />
akzeptiere, dass sie phasenweise<br />
unglücklich sind oder auch mal weinen.<br />
So ist das Leben. Ich tröste sie<br />
dann und kümmere mich wenn<br />
nötig um die Wunde. In meinem<br />
Umfeld beobachte ich allerdings oft,<br />
dass Kinder ängstlich sind und<br />
zuerst überprüfen, was ihre Eltern<br />
denken, bevor sie sich selbst etwas<br />
trauen. Als ob sie wissen wollten,<br />
wie ihre Eltern in diesem Moment<br />
funktionieren.<br />
Viele Eltern trösten ihr Kind so<br />
schnell, dass es die Situation nicht<br />
richtig erleben kann. Irgendwie<br />
habe ich das Gefühl, dass viele<br />
Eltern die Trauer ihrer Kinder nicht<br />
aushalten können. Ich erlebe Eltern,<br />
die ihren Kindern verbieten, auf<br />
Bäume zu klettern oder schnell zu<br />
Die Sorge um die Kinder<br />
soll eine angemessene<br />
Mischung aus Liebe und<br />
Fürsorge sein.<br />
rennen. Aus Angst, es könnte etwas<br />
passieren.<br />
Die Zeitungen sind voll von<br />
Unfällen und schrecklichen Ereignissen.<br />
Ist es da ein Wunder, dass<br />
sich viele fürchten? Ich weiss, dass<br />
sich Kinder ernsthaft und schwer<br />
verletzen können. Aber muss nicht<br />
ich entscheiden, wieviel ich ihnen<br />
zutraue? Ich kann ja nicht dauernd<br />
vor ihnen herlaufen und alles<br />
Gefährliche aus dem Weg räumen<br />
– oder hinter ihnen hergehen, um<br />
zu überprüfen, ob sie Angst haben.<br />
Ich bin mir sicher, dass sie merken,<br />
ob sie sich einer Situation gewachsen<br />
fühlen und etwas nicht tun,<br />
wenn sie es sich nicht zutrauen. Und<br />
auch umgekehrt bin ich zuversichtlich,<br />
dass ihnen gelingt, was sie tun.<br />
Wie denken Sie darüber?<br />
Jesper Juul antwortet:<br />
Es ist in der Tat so, dass wir nicht<br />
verhindern können, dass die Kinder<br />
Schmerzen erleiden – und wir sollten<br />
dies auch nicht tun. Die Sorge<br />
um die Kinder soll eine angemessene<br />
Mischung aus Liebe und Fürsorge<br />
sein.<br />
Sie haben völlig recht mit Ihrer<br />
Beobachtung, dass Ein- bis Vierjährige<br />
mit der Einstellung, den Gefühlen<br />
und Reaktionen ihrer Eltern<br />
kooperieren. Sie beobachten und<br />
spiegeln die Reaktionen der Eltern.<br />
Das beginnt schon zu Hause im<br />
Wohnzimmer, wenn beim Fangen<br />
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />
56 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
spielen ein Kind zu schnell um die<br />
Ecke kommt und mit dem anderen<br />
zusammenstösst. Wenn sie von<br />
ihren Eltern dazu einen einfachen<br />
und nüchternen Kommentar erhalten,<br />
erheben sie sich schnell wieder<br />
und alles ist okay. Reagieren die<br />
Erwachsenen mit Entsetzen, Angst,<br />
Sorge oder Ähnlichem, beginnen<br />
die Kinder zu weinen.<br />
Ich erinnere mich an ein achtjähriges<br />
Mädchen auf einem Schulausflug<br />
ans Meer. Sie stand lange und<br />
unschlüssig am Strand, während<br />
sich die anderen Kinder bereits im<br />
Wasser tummelten. Als wir sie fragten,<br />
ob sie denn Angst vor dem Wasser<br />
habe, sagte sie nur: «Nein, aber<br />
ich denke gerade darüber nach, was<br />
meine Mama sagen würde.» Dauernde<br />
Sorge und übermässige Angst<br />
sind pures Gift für Kinder – für<br />
deren Selbstwahrnehmung und<br />
Selbstvertrauen.<br />
Fahrradhelme oder das Sicherheitsnetz<br />
um ein Trampolin sind<br />
wichtige Erfindungen, um Kopfoder<br />
Rückenverletzungen zu verhindern.<br />
Eine 30 Zentimeter dicke<br />
Gummimatte unter einer Schaukel<br />
auf dem Spielplatz dient jedoch ausschliesslich<br />
Eltern oder Institutionen<br />
als Absicherung.<br />
Das Leben ist nicht schmerzfrei<br />
In unserer Kultur gibt es die Tendenz<br />
zu glauben, dass das Leben schmerzfrei<br />
sein soll. Ein Trend, der unseren<br />
Kindern die Möglichkeit nimmt, von<br />
ihren eigenen, überraschenden<br />
Erfahrungen zu lernen, Hindernisse<br />
– oft schmerzvoll – zu überwinden<br />
und die Folgen ihres Handelns zu<br />
begreifen.<br />
Dieser Trend orientiert sich nicht<br />
daran, was gut und gesund für<br />
un sere Kinder ist. Er widerspiegelt<br />
nur den Narzissmus der Erwachsenen<br />
– dient also den Eltern für ihr<br />
eigenes Selbstbild als Eltern, das<br />
sich nicht über die Kindererlebens-<br />
Kompetenz definiert. Gleichzeitig<br />
ist es auch traurig für die Erwachsenen<br />
selbst, wenn die Freude und<br />
Aufregung der Kinder über Experimente<br />
von Sorge und Angst verdrängt<br />
wird.<br />
Kindgerechte Vor-«Sorge»<br />
Wir fragten das Kind, ob es<br />
Angst habe, ins Wasser zu gehen.<br />
«Nein», sagte es. «Aber ich<br />
denke gerade darüber nach, was<br />
meine Mama sagen würde.»<br />
Kinder sind, wie wir wissen, sehr<br />
unterschiedlich. Manche scheinen<br />
ein wenig aufmerksamer und vorsichtiger<br />
geboren zu sein. Sie bereiten<br />
sich auch geistig schon sehr sorgfältig<br />
auf die nächste Phase ihrer<br />
Entwicklung vor. Andere preschen<br />
ohne Rücksicht auf Verluste nach<br />
vorne und können nur von ihren<br />
konkreten Erfahrungen lernen. Beide<br />
Extreme sind, wie sie sind, und<br />
Eltern sollten sich nicht wünschen,<br />
dass ihre Kinder anders sind. Deshalb<br />
ist es wichtig, dass Eltern und<br />
andere Erwachsene sich bewusst<br />
werden, wie sie genau dieses Kind<br />
am besten in seiner Entwicklung<br />
unterstützen können.<br />
Niemand kann eine exakte Antwort<br />
auf die Frage geben, wann<br />
genau Eltern eingreifen sollten. Eine<br />
gute Richtschnur ist aber die Frage:<br />
«Tue ich das, weil es meinem Kind<br />
zugutekommt, oder tue ich es, um<br />
mich selber zu beruhigen oder zu<br />
trösten?»<br />
Haben auch Sie eine Frage an Jesper Juul,<br />
die er persönlich beantworten soll?<br />
Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch oder<br />
einen Brief an: Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97,<br />
8008 Zürich<br />
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>57
«Was um Himmels willen<br />
kann ich denn noch essen?»<br />
«Milch und Milchprodukte<br />
sind Grundnahrungsmittel»<br />
(Dossier «Fleisch, Milch, Ei. Was ist gut für<br />
mein Kind – und was nicht?» Heft 11/2017)<br />
Den Artikel «Du bist, was du isst» können wir nicht unkommentiert<br />
lassen. Die Autorin will Mythen prüfen und einordnen.<br />
Das geschieht aber nicht, vielmehr werden Zweifel gesät am<br />
gesundheitlichen Nutzen tierischer Nahrungsmittel und<br />
besonders an der Milch. Der Beitrag hinterlässt den Eindruck,<br />
dass Milch gesundheitsschädlich sei und dass man sie guten<br />
Gewissens weglassen könne. Dies ist nicht richtig und unserer<br />
Meinung nach gar verantwortungslos.<br />
In Fachkreisen ist unbestritten, dass Milch und Milchprodukte<br />
Grundnahrungsmittel sind und einen wichtigen Beitrag an die<br />
Nährstoffversorgung in jedem Alter leisten. Deshalb empfiehlt<br />
die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE drei<br />
Portionen täglich. Gesundheitsprobleme gehen nicht auf<br />
einzelne Lebensmittel zurück, sondern auf einen ungesunden<br />
Lebensstil mit unausgewogener, übermässiger Ernährung und<br />
zu wenig Bewegung.<br />
Nur mit Kalzium kann Knochenmasse aufgebaut werden.<br />
Der Grundstein dazu wird in der Kindheit gelegt. Auch die<br />
Knochenfestigkeit hängt unter anderem von der Kalziumversorgung<br />
ab. Viele wissenschaftliche Studien belegen einen positiven<br />
Effekt der Milch auf gesunde Knochen. Denn Milch ist eine ideale<br />
Kalziumquelle und enthält viele weitere knochenfördernde<br />
Inhaltsstoffe. Im Artikel wird jedoch kolportiert, dass Milch die<br />
Knochen nicht schütze, sondern mehr Knochenbrüche und ein<br />
höheres Osteoporose-Risiko bewirke. Die Knochenbrüchigkeit<br />
ist genetisch bedingt und kann durch eine kalziumreiche<br />
Ernährung nicht verhindert werden. Wer aber im Kindesalter<br />
genügend Knochenmasse aufbaut und lebenslang durch eine<br />
gesunde, kalziumreiche Ernährung und genügend Bewegung zur<br />
Knochengesundheit aktiv beiträgt, profitiert im höheren Alter<br />
davon.<br />
Krebs ist eine sehr komplexe Erkrankung, die neben der Ernährung<br />
durch Lebensstilfaktoren, Umwelteinflüsse, genetische<br />
Voraussetzungen und chronische Infektionen beeinflusst wird.<br />
Die Entstehung von Krebs einem bestimmten Lebensmittel<br />
zuzuschreiben, ist nicht statthaft.<br />
Dass die im Artikel propagierten zwei Milchportionen täglich<br />
massvoll seien, ist die persönliche Ansicht des zitierten Experten.<br />
Die Behauptung steht im Widerspruch zu den offiziellen Empfehlungen<br />
von drei täglichen Milchportionen. Milch und Milchprodukte<br />
sind gut untersuchte Lebensmittel mit hohem gesundheitlichem<br />
Nutzen. Risiken sind keine bekannt.<br />
Verband Schweizer Milchproduzenten SMP/Swissmilk (per Mail)<br />
«Ich habe täglich einen Liter<br />
Milch getrunken»<br />
Beim Lesen Ihres Beitrags fiel mir ein, wie viel Milch ich in meiner<br />
Jugend getrunken habe. Während meiner Lehrzeit war es täglich<br />
etwa ein Liter Milch und eine Portion Joghurt. Jetzt bin ich<br />
78 Jahre alt, 158 cm gross, habe weder Osteoporose noch jemals<br />
einen Knochen gebrochen ... Soo schlimm kann Milch wirklich<br />
nicht sein!<br />
Erika Amsler, Schinznach-Dorf<br />
58 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Leserbriefe<br />
«Erst wenn der letzte Fluss<br />
vergiftet ist, werden wir merken:<br />
Geld kann man nicht essen»<br />
Der Artikel erinnert mich an einen Spruch, den mir<br />
die Klassenkameraden vor über 20 Jahren ins<br />
Freundschaftsbuch geschrieben haben: Erst wenn<br />
der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet,<br />
der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass<br />
man Geld nicht essen kann! Damals dachten wir<br />
Kinder, so weit würde es bestimmt nie kommen.<br />
Wenn ich heute aber von hormonverseuchter Milch<br />
und hormonverseuchtem Fleisch lese, davon, dass<br />
Gemüse mit Pestiziden vergiftet ist und dass, was im<br />
Artikel noch am besten wegkommt, Poulet und Fisch,<br />
bei näherer Betrachtung genauso mit Antibiotika<br />
bzw. von der Verschmutzung der Seen und Meere<br />
belastet ist, so stehe ich immer wieder vor derselben<br />
Frage: Was um Himmels willen kann ich denn noch<br />
essen bzw. meiner Familie vorsetzen?<br />
Gabriela Birchmeier (per Mail)<br />
«Hut ab, wie sich<br />
diese Mutter für<br />
ihre Kinder einsetzt»<br />
(Reportage «Ein Hund nach<br />
Mass für Joel» und Spenden aktion<br />
für einen Autismus-Hund, Heft 11/2017)<br />
Ich habe auf Ihrer Website gelesen, dass der Betrag für den Hund<br />
zusammengekommen ist, und habe mich für Joel und seine<br />
Familie sehr, sehr gefreut! Juhu! Diese Geschichte hat mich sehr<br />
berührt, und ich habe sofort etwas gespendet. Ich finde es super,<br />
dass Sie solche Beiträge bringen, und ich finde es auch bemerkenswert<br />
von der Mutter, wie sie sich für ihre Kinder einsetzt und<br />
den Stolz überwindet und um Hilfe bittet. Hut ab! Es ist keine<br />
Schande – jeder kann in eine Notsituation geraten. Ich wünsche<br />
dieser Familie von ganzem Herzen nur das Allerbeste! Ich finde Ihr<br />
Heft einfach toll! Ich wünsche mir und allen Leserinnen und<br />
Lesern weiterhin so viele tolle, interessante und aufschlussreiche<br />
Berichte. Vielen Dank!<br />
Marlies Meier (per Mail)<br />
«Für eine gesunde Nahrung<br />
braucht es eine<br />
naturnahe Produktion»<br />
Herzlichen Dank für diesen umfangreichen und<br />
interessanten Bericht. Die Ernährung ist aus meiner<br />
Sicht sehr wichtig. Ich komme ursprünglich von<br />
einem Bergbauernhof in Graubünden, die Natur liegt<br />
mir sehr am Herzen. Damit unsere Nahrung gesund<br />
ist, braucht es eine naturnahe Produktion. Es stellen<br />
sich viele Fragen: Müssen Gemüse und Früchte<br />
immer perfekt sein? Wie werden die Tiere gehalten?<br />
Müssen Nahrungsmittel immer billiger werden oder<br />
braucht es eine faire Bezahlung von Produzenten in<br />
allen Teilen der Erde? Schade, dass so viele Pestizide<br />
und so weiter versprüht werden, dass die Tiere<br />
teilweise so eng gehalten werden und deshalb<br />
Antibiotikum unumgänglich wird. Der Konsument<br />
bestimmt mit, ob sich da etwas ändert. Wir sind alle<br />
für unsere Umwelt mitverantwortlich, nicht nur die<br />
Bauern. Zur Info: Es gibt eine Unterschriftensammlung<br />
für «eine Schweiz ohne synthetische Pestizide».<br />
Christine Haldemann (per Mail)<br />
«Es hat zu viel<br />
Jesper Juul im<br />
ElternMagazin»<br />
(Monatsinterview mit Jesper Juul, Heft 12/2017)<br />
Das ElternMagazin gefällt mir grundsätzlich sehr gut. Allerdings<br />
ist mir etwas zu viel Jesper Juul darin. Ich finde seine Gedanken<br />
und Haltung durchaus gut, aber mittlerweile habe ich verinnerlicht,<br />
was er meint, und es kommt meiner Ansicht nach nicht<br />
mehr Neues dazu. Es gäbe sicher auch andere Pädagogen, die<br />
neue Denkanstösse geben könnten.<br />
Katharina Schmid (auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />
Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns wissen!<br />
Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder Redaktion<br />
Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich. Und natürlich auch über Twitter:<br />
@fritzundfraenzi oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>59
Bluthochdruck –<br />
die unterschätzte Diagnose<br />
Rund zwei Prozent der Schweizer Kinder haben Bluthochdruck, Tendenz steigend. Experten machen<br />
hierfür vor allem die zunehmende Zahl an übergewichtigen Kindern und Jugendlichen verantwortlich.<br />
Was Eltern wissen müssen. Text: Anja Lang<br />
Bild: iStockphoto<br />
60 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ernährung & Gesundheit<br />
Cheeseburger, Chips<br />
und Cola ade! Seit der<br />
Kinderarzt bei Julian<br />
einen zu hohen Blutdruck<br />
festgestellt hat,<br />
muss der Zehnjährige lernen, gesünder<br />
zu essen, um abzunehmen.<br />
Denn starkes Übergewicht hat bei<br />
Julian zu erhöhten Blutdruckwerten<br />
geführt. Werden diese nicht gesenkt,<br />
kann das auf Dauer zu Gefässschäden<br />
an seinen Organen und ernsthaften<br />
Folgeerkrankungen wie<br />
Schlaganfall , Arteriosklerose, Herzinfarkt,<br />
oder Nierenversagen führen.<br />
Zwei Prozent der Kinder in der<br />
Schweiz haben Bluthochdruck<br />
Die Entstehung von Bluthochdruck,<br />
fachsprachlich arterielle Hypertonie,<br />
bei Kindern kann unterschiedliche<br />
Ursachen haben: «Zum einen können<br />
organische Ursachen wie eine<br />
Herzerkrankung oder ein Nierenleiden<br />
zu einem erhöhten Blutdruck im<br />
Kindesalter führen», weiss Professor<br />
Giacomo Simonetti, Vorstandsmitglied<br />
der Swiss Society of Hypertension<br />
und Chefarzt der Kinderklinik<br />
am Regionalkrankenhaus von Bellinzona<br />
und Valli. «Diese Form der<br />
arteriellen Hypertonie gab es schon<br />
immer. Sie ist aber vergleichsweise<br />
selten.»<br />
Eine Zunahme lässt sich vor<br />
allem bei der sogenannten essentiellen<br />
oder auch primären arteriellen<br />
Hypertonie verzeichnen. Davon<br />
spricht man, wenn keine ursächlichen<br />
Grunderkrankungen ausgemacht<br />
werden können. «In der Regel<br />
sind für diese inzwischen deutlich<br />
häufigere Form des Bluthochdrucks<br />
bei Kindern Übergewicht und Adipositas<br />
verantwortlich», erklärt<br />
Simonetti. «Daneben können aber<br />
auch bestimmte Medikamente wie<br />
etwa der Wirkstoff Methylphenidat<br />
zur Behandlung von ADHS, Kortison<br />
oder auch Lakritze den kindlichen<br />
Blutdruck ansteigen lassen.»<br />
Wird der sehr früh entstandene<br />
Bluthochdruck nicht rechtszeitig<br />
behandelt, kann es zu schweren<br />
Schäden an den Gefässen kommen.<br />
Und gefährliche Folgeerkrankungen<br />
wie Schlaganfall, Nieren-, Herz- und<br />
Kreislauferkrankungen, die man<br />
sonst nur bei älteren Patienten<br />
kennt, können schon in jungen Jahren<br />
auftreten.<br />
Hoher Blutdruck tut (leider)<br />
nicht weh<br />
Besonders heimtückisch an hohem<br />
Blutdruck ist, dass die Krankheit<br />
über lange Zeit nahezu symptomlos<br />
verläuft. «Die Kinder spüren den zu<br />
hohen Blutdruck nicht», erklärt der<br />
Tessiner Kinderarzt. «Bluthochdruck<br />
tut nicht weh und macht auch<br />
sonst kaum spürbare Probleme.»<br />
Somit merken auch die Eltern oft<br />
nichts und es kann passieren, dass<br />
der zu hohe Blutdruck lange Zeit<br />
unerkannt und damit auch unbehandelt<br />
bleibt.<br />
«Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung<br />
wird deshalb in der Schweiz<br />
eine präventive Routinemessung des<br />
Blutdrucks ab einem Alter von sechs<br />
Jahren empfohlen», betont Simonetti.<br />
«Bei Kindern mit einem erhöhten<br />
Risikopotenzial für Bluthochdruck,<br />
also mit Nieren- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen,<br />
bei familiärer<br />
Vorbelastung von Hypertonie in der<br />
Familie, bei Frühgeborenen, bei laufender<br />
Kortison- und Ritalinbehandlung<br />
sowie bei übergewichtigen<br />
und fettleibigen Kindern, sollten<br />
allerdings immer zusätzlich weitere<br />
gezielte Messungen erfolgen.»<br />
Dasselbe gilt, wenn unklare Symptome<br />
wie häufiges Nasenbluten<br />
und Erbrechen, anhaltende Kopfschmerzen<br />
und Schwindel<br />
auftreten, die, neben anderen<br />
Ursachen, auch auf einen erhöhten<br />
Blutdruck hinweisen können.<br />
Ernährung & Gesundheit<br />
liegende Krankheit therapiert werden»,<br />
weiss Simonetti. «Ist Übergewicht<br />
die Ursache, kann eine Lebensstiländerung<br />
gute Erfolge bringen.»<br />
Betroffene Kinder und Jugendliche<br />
müssen dazu einerseits lernen, ge <br />
sünder und fettarmer zu essen.<br />
Dazu muss oft der komplette<br />
Speiseplan der Kinder auf den Kopf<br />
gestellt werden: weg von kalorienreichen,<br />
aber nährstoffarmen Fast-<br />
Food-Gerichten und Süssigkeiten<br />
vor dem Fernseher hin zu viel Ge <br />
müse und Obst, satt machenden<br />
Vollkornprodukten und fettarmen<br />
tierischen Eiweisslieferanten in<br />
Form von Milchprodukten, Fleisch<br />
und Fisch. «Wichtig im Sinne der<br />
Blutdrucksenkung ist auch, den vorher<br />
oft hohen Salzkonsum zu reduzieren»,<br />
weiss Simonetti. «Zudem<br />
sollten stark zuckerhaltige Getränke<br />
vermieden und der Durst mit Mineralwasser,<br />
Saftschorlen und ungesüssten<br />
Tees gestillt werden.»<br />
Ausserdem sollten die Kinder<br />
anfangen, sich wieder mehr zu<br />
bewegen. «Dazu muss kein Hochleistungssport<br />
betrieben werden»,<br />
betont der Kinderarzt. «Leichte<br />
Ausdauersport arten wie Walken,<br />
Schwimmen oder Fahrradfahren<br />
bringen schon viel.» Damit die Kinder<br />
diese Lebensstil änderung aber<br />
auch umsetzen und vor allem durchhalten<br />
können, brauchen sie tatkräftige<br />
Unterstützung. Dazu gibt es in<br />
der Schweiz viele Programme,<br />
Camps und Gruppen mit Gleichgesinnten,<br />
die es einfacher machen<br />
(siehe Box Seite 62). Lokale Adressen<br />
können auch bei den Kinderärzten<br />
erfragt werden. Vor allem aber<br />
ist es wichtig, dass die Eltern den<br />
neuen Lebensstil unterstützen und<br />
möglichst selbst mit gutem Beispiel<br />
vorangehen. Es lohnt sich, denn mit<br />
jedem Pfund, das purzelt, sinkt auch<br />
der Bluthochdruck.
Digital & Medial<br />
«WIR SIND<br />
KEINE<br />
SMOMBIES!»<br />
Jugendliche hängen zu viel am Handy – sagen Erwachsene. Beim Forschungsprojekt<br />
«Generation Smartphone» haben Jugendliche selbst mitgeforscht, sie haben<br />
Konsumtagebücher geschrieben und ihre Ansichten zum Thema eingebracht.<br />
Zwei junge Forscherinnen, Finni Doan, 15, und Nadja Gmür, 16, wenden sich in Form<br />
von persönlichen Chats und einer E-Mail direkt an die Eltern von Jugendlichen.<br />
Text: Finni Doan (Chat), Nadja Gmür (E-Mail)<br />
64 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Simon<br />
Hey, das glaubsch mer nie: Min<br />
Vater hät mer hüt demit droht, mir<br />
s Smartphone wegzne, sötti<br />
wiiterhin so schlechti Note<br />
heibringe!<br />
Anna<br />
What? Wie wettsch denn<br />
OHNI überhaupt lerne? Und<br />
was isch mit em Klassechat?<br />
Verpassisch ja alles!<br />
Simon<br />
Ich glaub er checkt gar nöd, das i eso<br />
quasi vo minere Umwelt abgschirmt<br />
wäri: D Online-Änderige im Stundeplan,<br />
de Wetterbricht lese, abmache,<br />
Voci i de Lernapp nomal duregah ...<br />
Forschungsprojekt «Generation Smartphone»<br />
Welche Risiken, welche Chancen birgt das Smartphone<br />
für Jugendliche? Welche Bedeutung hat es im Alltag?<br />
Diese und andere Fragen will das Forschungsprojekt<br />
«Generation Smartphone» beantworten. Für die<br />
Forschung der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW<br />
und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften<br />
ZHAW, die von der Stiftung Mercator Schweiz<br />
gefördert wird, dokumentierten 30 Jugendliche im Alter<br />
zwischen 12 und 19 Jahren in Tagebuchform, wann und<br />
wie oft sie ihr Smartphone nutzen. Die Tagebücher geben<br />
Einblick in die alltägliche Smartphone-Nutzung und die<br />
damit verbundenen Emotionen und Einstellungen,<br />
anschliessend wurden die Jugendlichen interviewt. Das<br />
Datenmaterial wurde von einem Team von professionellen<br />
Forschenden sowie acht jugendlichen Co-Forschenden<br />
ausgewertet. Dadurch fliesst auch das Insiderwissen<br />
der «Generation Smartphone» in die wissenschaftliche<br />
Studie ein. Demnächst erscheinen von Jugendlichen<br />
gestaltete Postkarten mit «Botschaften» an andere<br />
Jugendliche zur Smartphone-Nutzung, der Abschlussbericht<br />
des Projekts erscheint im Frühjahr <strong>2018</strong>.<br />
Weitere Informationen zum Projekt:<br />
www.stiftung-mercator.ch/de/projekte/<br />
generation-smartphone<br />
Anna<br />
Dini Lieblingsserie müsstisch<br />
immer denn luege, wenn si im<br />
Fernseh chunnt, für euses<br />
Gschichtsplakat müessted mer<br />
eus in echt irgendwo treffe und<br />
uf Instagram würed alli meine,<br />
du ignoriersch sie eifach,<br />
wennd plötzlich für es Ziitli weg<br />
wärsch.<br />
Simon<br />
Und überhaupt: Grad morn triff ich<br />
de Luca, i emene richtige Kaff<br />
wohnt de. Zum Glück gits es Navi!<br />
Anna<br />
S isch scho no lässig, wie all die<br />
grosse unpraktische Sache und<br />
Funktione i so emene chline<br />
Smartphone vereint worde sind!<br />
Simon<br />
Obwohl … Mir isch mengisch<br />
scho chli unwohl zmuet, wenn ich<br />
dra denk, was mis Phone als<br />
Wegbegleiter so alles ufzeichnet ...<br />
Bild: iStockphoto<br />
Digital & Medial<br />
Betreff: Gebt uns einfach etwas Zeit!<br />
NG<br />
von:<br />
an:<br />
Nadja Gmür<br />
Eltern von Teenagern mit Smartphones<br />
Liebe Eltern<br />
Wir Jugendliche haben es satt, immer in einen Topf geworfen zu werden. «Die heutige Jugend ist nur noch<br />
am Handy.» «Die verdummen ja total, wenn die nur vor dem Bildschirm sitzen.» Das ist total verallgemeinernd.<br />
Wir sind nicht alle «Smombies», also Smartphone-Zombies. (Übrigens benutzt kein Jugendlicher<br />
dieses Wort.)<br />
Natürlich gibt es immer Ausnahmen, Leute, die ihren Umgang mit dem Smartphone nicht im Griff haben.<br />
Aber viele Teenager haben eine unproblematische Beziehung zu ihrem Smartphone und vor allem auch<br />
eine, die sich wandelt. Vielleicht haben Sie, liebe Eltern, Ihrem Kind kürzlich ein Smartphone gekauft. Und<br />
würden sich jetzt am liebsten dafür ohrfeigen, denn Ihr Nachwuchs hängt nur noch vor dem Bildschirm<br />
rum. «Mein Kind ist bestimmt schon abhängig», denken Sie vielleicht.<br />
Wir können Ihnen Ihre Sorge etwas nehmen: Denken Sie einmal zurück an die Zeit, als Ihr Kind noch etwas<br />
jünger war. Bestimmt hat sich Ihr Kind ein bestimmtes Spielzeug gewünscht. Und was ist passiert, als es<br />
dieses endlich bekommen hat? Genau. Das Kind beschäftigte sich für einige Zeit fast ausschliesslich mit<br />
dem neuen, interessanten Gegenstand.<br />
Mit dem Handy ist das genauso. Wenn man ein neues Handy bekommt, ist das erst mal sehr aufregend.<br />
Was kann das Gerät alles? Was passiert, wenn ich bestimmte Funktionen aktiviere? Wie funktionieren<br />
WhatsApp, Instagram, Snapchat? Es ist ganz normal, dass man sich mit einem neuen Gerät vertraut<br />
machen will. Wenn Sie sich nun denken, dass diese Phase bei Ihrem Kind schon sehr lange andauert,<br />
halten Sie sich vor Augen, wie viele Möglichkeiten ein Handy zu bieten hat. Da ist es fast logisch, dass die<br />
Zeit des Kennenlernens etwas länger dauert.<br />
Generell nimmt mit zunehmendem Alter das Interesse bei Jugendlichen an ihrem Smartphone ab. Man<br />
verpasst nichts, wenn man einen Trend mal nicht mitmacht. Das ist eine wohltuende Erkenntnis, die zum<br />
Erwachsenwerden dazugehört. Das Smartphone ist Teil unserer Gesellschaft geworden; durch eigene<br />
Erfahrungen lernen Jugendliche am besten den Umgang mit diesem Medium.<br />
Lassen Sie uns die Zeit, die wir brauchen. So wie jeder Jugendliche das Smartphone unterschiedlich<br />
braucht, so braucht jeder Jugendliche unterschiedlich lange, eine gesunde Beziehung zu seinem Smartphone<br />
zu entwickeln.<br />
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Simon<br />
Anna? Bisch no wach? Ich hett no<br />
e Frag bezüglich Mathi …<br />
Anna<br />
Simon, din Ernst? Es isch bald<br />
zwölfi und du fangsch erscht<br />
mit em Lerne für d Prüefig a?<br />
Simon<br />
… Bin uf YouTube hängeblibe. Hesch<br />
gwüsst, dass es in Thailand Rieseroche<br />
hett, wo giftig sind?<br />
Anna<br />
Simon, wo simer grad gsi? Ich<br />
glaub nöd bi Rieseroche.<br />
Simon<br />
Tschuldigung, aso, ich han scho online<br />
nagluegt weg de Glichige mit Variable,<br />
aber ich hett mir für gwüssi Lösige en<br />
Fake-Lehreraccount müese erstelle, und<br />
da hani denn scho Skrupel gha…<br />
Checksch du s Thema?<br />
Anna<br />
Staht doch alles im Klassechat!<br />
Simon<br />
Döt bini nüm dinne, irgendöper<br />
hett mich usekickt willi z’vill Links<br />
gschickt han.<br />
Nadja Gmür<br />
16, wohnt in Wald im Zürcher Oberland. Sie versucht, weniger Zeit<br />
am Handy zu verbringen. «Unter der Woche bin ich täglich ein bis<br />
zwei Stunden am Handy, am Wochenende, je nachdem, ob ich etwas<br />
unternehme, bis zu sechs Stunden, Musik nicht einberechnet. Die<br />
meiste Zeit verbringe ich auf YouTube und WhatsApp. Während<br />
YouTube für mich zur Unterhaltung dient, nutze ich WhatsApp für die<br />
Kommunikation mit Freunden und Klassenkameraden. Das Handy ist<br />
für mich auch für die Schule mittlerweile unentbehrlich. Voci lerne ich<br />
beispielsweise nur noch mit einer App, und auch Gruppenaufträge<br />
bespreche ich über WhatsApp. Bei mir zu Hause gibt es keine Regeln<br />
im Umgang mit dem Handy, aber ich setze mir selber welche. Zum<br />
Beispiel lege ich mein Handy über Nacht in die Küche.»<br />
Anna<br />
Da muesch unbedingt wieder<br />
ine! Hesch mitübercho dasmer<br />
morn uf Bsuech is Bruefsinformationszentrum<br />
gönd?<br />
Simon<br />
Ja, zum Glück hett mer de Marco no<br />
churz ahglüte… Checksch Mathi jetzt?<br />
Anna<br />
Aso guet, ich erchlärs der churz, s next<br />
Mal frögsch aber bitte früehner, gell?<br />
Mached mer en Videochat uf?<br />
Finni Doan<br />
15, wohnt in Zürich und nutzt seit der mittleren Primarstufe ein<br />
Smartphone. Ende der sechsten Klasse trat ein Fairphone in ihr<br />
Leben, kurz vor Ende des partizipativen Forschungsprojekts<br />
«Generation Smartphone» wich es einem Klapp-Nokia. «Als das<br />
Gefühl, abgelenkt zu werden, nicht länger nur ein Gefühl war und<br />
bevor noch mehr Zeit und gute Noten verloren gingen, war der<br />
Handytausch vollbracht. Jetzt bin ich telefonisch sowie per Mail<br />
immer noch erreichbar, wenn auch im Vergleich zu früher nur noch<br />
eingeschränkt. Der treibenden Verlockung bin ich aber nicht mehr<br />
ausgesetzt. Es lebt sich einfacher – schnelles Nachprüfen diverser<br />
Öffnungszeiten und Adressen einmal ausgenommen.»<br />
Simon<br />
Super, gern! Und weisch, nach de<br />
Schuel hani zersch mal müese chli<br />
abecho und entspanne… Bim Musig<br />
lose uf em Smartphone hani denn d Ziit<br />
echli us de Auge verlore.<br />
Simon ruft mit Video an<br />
68 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Digital & Medial<br />
Prüfungen clever vorbereiten<br />
Im dritten Teil unserer<br />
neuen Videoserie «Adi &<br />
Jess» merkt Adi, dass ihm<br />
die Zeit davonläuft. Bis zur<br />
Abschlussprüfung kann er<br />
unmöglich den gesamten<br />
Stoff nochmals durcharbeiten.<br />
Er muss Prioritäten setzen und sich einen Lernplan erstellen.<br />
Grössere Prüfungen wie die Lehrabschlussprüfung oder<br />
Matura/Abitur stellen für Jugendliche eine grosse Herausforderung<br />
dar. Oft ist es das erste Mal, dass sie eine Fülle von Inhalten<br />
über einen längeren Zeitraum hinweg vorbereiten, während<br />
laufend neuer Stoff dazukommt. Es tauchen Fragen auf wie: «Es<br />
ist so viel, wie soll ich das nur schaffen?», «Wie finde ich heraus,<br />
was wichtig ist?», «Wie teile ich mir den Stoff am besten ein,<br />
damit ich nicht in Zeitnot komme?»<br />
Der Film zeigt, dass es nicht sinnvoll ist, einfach draufloszulernen<br />
und ein Thema nach dem anderen zu bearbeiten. Adi bringt<br />
zuerst in Erfahrung, wie die Prüfungen aufgebaut sind und was<br />
er am Ende wissen und können muss. Nachdem er sich mit den<br />
Anforderungen vertraut gemacht hat, erstellt er einen Prioritätenplan<br />
und beginnt mit den wichtigsten Inhalten.<br />
Teil 1 und 2 verpasst?<br />
In Teil 1 haben Adi und Jess verschiedene Lernmythen aus der<br />
Welt geschafft.<br />
In Teil 2 lernt Adi, wie man sich lange Textinhalte<br />
merken kann.<br />
Die Videos der Psychologen<br />
Stefanie Rietzler und<br />
Fabian Grolimund über<br />
einfache, aber wirkungsvolle<br />
Lernstrategien<br />
sind abrufbar unter:<br />
www.fritzundfraenzi.ch/video<br />
Starten<br />
Sie die<br />
Fritz+Fränzi-App,<br />
scannen Sie diese Seite<br />
und sehen Sie das aktuelle<br />
Video mit Adi & Jess.<br />
Das Familienparadies<br />
im Herzen der 4 Vallées<br />
Skifahren, Schlittschuhlaufen, Snowtunbing,<br />
Schatzsuche und vieles mehr erwartet Sie in Nendaz<br />
Mehr Infos : www.nendaz.ch/familien<br />
Das Nendaz Schweizer Tourisme<br />
ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2018</strong>69<br />
+41 27 289 55 89 - info@nendaz.ch<br />
www.nendaz.ch<br />
#Nendaz
Ein Wochenende …<br />
in der SkiArena<br />
Andermatt-Sedrun<br />
Feriendorf<br />
Andermatt<br />
Reuss<br />
Zürich<br />
Casa Popolo<br />
Nätschen<br />
Andermatt<br />
Schlittelpiste<br />
Furkapassstrasse<br />
Erleben …<br />
URI<br />
GRAUBÜNDEN<br />
Oberalppass<br />
Milez<br />
Chur<br />
Bogn<br />
Stella Libra<br />
Rueras<br />
Dieni<br />
Sedrun<br />
Hotel<br />
la Cruna<br />
Amaretto von Biobauer Edi Hess. Seit zwei Saisons ziehen sie<br />
Kinder auf Skiern bei Rueras den Schlittelweg hoch – die<br />
dann jeweils schnellstmöglich wieder herunterfahren, um<br />
erneut hochgezogen zu werden: Hier ist für einmal der Skilift<br />
die Attraktion und nicht die Abfahrt. Und er ist dazu natürlich<br />
total umweltfreundlich, schliesslich kommt die Energie aus<br />
Bio-Heu statt aus Atom- oder anderen Kraftwerken. Um in den<br />
Genuss von «Edis Bio-Pferdelift» zu kommen, muss man<br />
das Wochenende allerdings schon am Donnerstag beginnen.<br />
«Edis Bio-Pferdeskilift» in Rueras, jeweils Donnerstag von 14<br />
bis 17 Uhr, für Inhaber einer Wintergästekarte gratis.<br />
disentis-sedrun.graubuenden.ch, www.biohof-edihess.ch<br />
… Rund 200 Bauarbeiter, 40 schwere Baumaschinen,<br />
10 Baukräne, 3 Helikopter, 8 Baustellen: An den Hängen<br />
oberhalb Andermatts und Sedruns wurde diesen Sommer<br />
hart gearbeitet. Diese Saison sind drei neue Sessellifte<br />
eröffnet worden, womit der grösste Teil der Verbindung der<br />
Skigebiete Andermatt und Sedrun in Betrieb ist. Damit<br />
entstand am Gotthard das grösste und modernste<br />
Skigebiet der Zentralschweiz.<br />
… Neu eröffnet wurde diese Saison auch die «MATTI<br />
Kids Arena» bei der Mittelstation NätschenI. Neben Übungshängen<br />
gibt es Spielplätze drinnen und draussen, ein<br />
Familienrestaurant mit MATTI-Bärenhöhle und Spielmöglichkeiten<br />
für Kinder. Für Familien geeignet ist auch der<br />
Snowpark Valtgeva in der Nähe des Bahnhofs Sedrun.<br />
Er verfügt über eine gut überblickbare Anfängerpiste sowie<br />
eine 200 Meter lange Snowtubing-Piste, auf der man mit<br />
grossen Gummireifen hinuntersausen kann. Zwei Skilifte<br />
bringen zudem auch Fortgeschrittene auf geeignetes Terrain.<br />
www.skiarena.ch<br />
… So weit, so schön, doch drei Pferde stehlen allen die Show:<br />
die Freiberger Miki und Volero und der Trakehner Wallach<br />
… Und wer trotz allem lieber sitzend die Hänge hoch- und<br />
runterfährt, für diejenigen gibt es in Andermatt-Sedrun gleich<br />
drei Schlittelpisten, zwei davon mit Gondelbahntransport.<br />
Die schönste, rasanteste und längste Abfahrt die Furkapassstrasse<br />
hinunter muss man sich allerdings erst mit einer<br />
zweistündigen Bergwanderung verdienen.<br />
Schlittelpiste Nätschen-Andermatt: 5,5 Kilometer, Schlittenmiete<br />
an der Talstation Nätschen und am Bahnhof Andermatt.<br />
Schlittelpiste Milez-Dieni: 3,5 Kilometer, Schlittenmiete an der<br />
Talstation Dieni. Schlittelerlebnis Furkapassstrasse von<br />
Tiefenbach bis Realp: 7 Kilometer, Schlittenmiete im Hotel<br />
Tiefenbach, Wanderung hoch ca. zwei Stunden auf einem<br />
Winterwanderweg.<br />
Geniessen …<br />
… Einzigartig in Sedrun ist auch die «Stalla Libra»:<br />
Der Kunstausstellungsort «Freier Stall» wurde vor sieben<br />
Jahren von zwei nach London ausgewanderten Sedrunern in<br />
einem historischen Stall eröffnet. Vor zwei Jahren haben zwei<br />
junge Gestalter des Royal College of Art London darin ein<br />
«Spielhaus» gebaut, in welchem kleine und grosse Kinder an<br />
70 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Service<br />
Bilder: ZvG<br />
In Andermatt-Sedrun<br />
kann man auch im Winter<br />
baden und grillieren – die<br />
Hauptattraktion für Kids ist<br />
aber Edi Hess’ Pferdeskilift.<br />
künstlerisch gestalteten Insatllationen ihre Geschicklichkeit,<br />
Kreativität und Ausdauer testen können.<br />
Geöffnet von Mittwoch bis Samstag jeweils nachmittags von 12<br />
bis 18 Uhr, Eintritt frei.<br />
disentis-sedrun.graubuenden.ch<br />
… Haben die Kids (oder die Eltern) vom Schlitteln und<br />
Skifahren kalte Füsse bekommen, empfiehlt sich das Bogn<br />
Sedrun, ein Bad an der Quelle des Rheins. Für Action gibt es<br />
Wasserfälle, einen Strömungs- und einen Wildwasserkanal<br />
sowie ein 25-Meter-Becken für Schwimmer, für Entspannung<br />
einen modernen Wellnessbereich mit Saunas, römischen<br />
Dampfbädern und einer grossen Panoramaterrasse.<br />
www.bognsedrun.ch<br />
… Und natürlich machen Skifahren und in Ställen herumturnen<br />
nicht nur müde, sondern auch hungrig. In besonderem<br />
Ambiente kann man hungrige Mäuler am Nätschen stopfen:<br />
Dort stehen Kotas – das sind skandinavische Grillhütten für<br />
sechs bis zehn Personen, eine Art Saunas, in welchen Würste<br />
grilliert statt Menschen ins Schwitzen gebracht werden.<br />
www.skiarena.ch<br />
Übernachten …<br />
… ein Kinderhotel gibt es in Andermatt-Sedrun (noch) nicht,<br />
ein Kinderspielzimmer und einen Aufenthaltsraum zum Lesen,<br />
Fernsehen und Kinderfilme schauen gibt es aber im heimeligen<br />
Hotel La Cruna in Sedrun. Ideal für Gruppen und<br />
Familien ist auch das zentral gelegene Casa Popolo in<br />
Andermatt: Es verströmt Lagerhausflair und bietet ein gutes<br />
Preis-Leistungs-Verhältnis. In einer Gastroküche kann selber<br />
gekocht werden, gegessen wird in einem grossen Speisesaal.<br />
Moderne Ferienwohnungen für gehobenere Ansprüche finden<br />
sich im stetig wachsenden Feriendorf Andermatt Reuss am<br />
Eingang des historischen Andermatt und in Gehdistanz zu<br />
Bahnhof, Läden und Skigebiet.<br />
Hotel La Cruna, Via Alpsu 65, Sedrun, Doppelzimmer ab<br />
90 Franken, Kinder bis 5 Jahre gratis, bis 12 Jahre 50%, bis 15<br />
Jahre 30%. Casa Popolo, Gotthardstrasse 31, Andermatt,<br />
Übernachtung ab 40 Franken pro Person, für aktuelle<br />
Familienangebote direkt anfragen: casa.popolo@bluewin.ch.<br />
www.hotelcruna.ch, www.casapopolo.ch<br />
www.andermatt-swissalps.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>71
Service<br />
Vielen Dank<br />
an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />
Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsor<br />
Dr. iur. Ellen Ringier<br />
Walter Haefner Stiftung<br />
Credit Suisse AG<br />
Rozalia Stiftung<br />
UBS AG<br />
Happel Foundation<br />
Mirjam und Martin<br />
Bisang Staub<br />
Impressum<br />
18. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />
Herausgeber<br />
Stiftung Elternsein,<br />
Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />
www.elternsein.ch<br />
Präsidentin des Stiftungsrates:<br />
Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />
Tel. 044 400 33 11<br />
(Stiftung Elternsein)<br />
Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />
ts@fritzundfraenzi.ch,<br />
Tel. 044 261 01 01<br />
Redaktion<br />
Nik Niethammer (Chefredaktor),<br />
Evelin Hartmann (stv. Chefredaktorin),<br />
Bianca Fritz (Leitung Online),<br />
Florian Blumer, Claudia Landolt,<br />
Irena Ristic, Florina Schwander, Leo Truniger<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Verlag<br />
Fritz+Fränzi,<br />
Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />
Tel. 044 277 72 62,<br />
info@fritzundfraenzi.ch,<br />
verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
Business Development & Marketing<br />
Leiter: Patrik Luther,<br />
p.luther@fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigenverkauf<br />
Corina Sarasin, Tel. 044 277 72 67,<br />
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Jacqueline Zygmont, Tel. 044 277 72 65,<br />
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Anzeigenadministration<br />
Dominique Binder, Tel. 044 277 72 62,<br />
d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />
Art Direction/Produktion<br />
Partner & Partner, Winterthur<br />
Bildredaktion<br />
13 Photo AG, Zürich<br />
Korrektorat<br />
Brunner Medien AG, Kriens<br />
Auflage<br />
(WEMF/SW-beglaubigt 2017)<br />
total verbreitet 1<strong>02</strong> 108<br />
davon verkauft 24 846<br />
Preis<br />
Jahresabonnement Fr. 68.–<br />
Einzelausgabe Fr. 7.50<br />
iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />
Abo-Service<br />
Galledia Verlag AG Berneck<br />
Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />
abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />
Für Spenden<br />
Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />
Postkonto 87-447004-3<br />
IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />
Inhaltspartner<br />
Institut für Familienforschung und -beratung<br />
der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />
Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />
Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />
Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />
Jugendmedien<br />
Stiftungspartner<br />
Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />
Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />
Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />
Schweiz / Schweizerischer Verband<br />
alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />
Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />
Kinderbetreuung Schweiz<br />
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1 Ausgabe zum Kennenlernen<br />
72 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Buchtipps<br />
Iain Lawrence:<br />
Der Riesentöter.<br />
Freies<br />
Geistes leben,<br />
2017, Fr. 28.90,<br />
ab 10 Jahren.<br />
Peter Goes:<br />
Zeitreise – Vom<br />
Urknall bis heute<br />
Auf grosszügigen,<br />
wimmligen<br />
Doppelseiten<br />
präsentiert der<br />
Illustrator Peter Goes je eine Epoche<br />
– vom Ursprung des Lebens über die<br />
Hunnen und Azteken bis zum<br />
Internetzeitalter gibt es unglaublich<br />
viel zu entdecken!<br />
Beltz & Gelberg, 2016, Fr. 38.90,<br />
ab 8 Jahren<br />
Bilder: zVg<br />
Von früheren Zeiten zu lesen, heisst auch,<br />
etwas über die Gegenwart zu lernen.<br />
In diesen Kinder- und Jugendbüchern<br />
wagen die Autorinnen und Autoren einen<br />
unkonventionellen Blick auf<br />
vergangene Jahrzehnte und Jahrhunderte.<br />
Der Blick zurück<br />
Polio ist ein Wort, das<br />
heutigen Kindern in der<br />
Schweiz zum Glück<br />
höchstens noch vom<br />
Impfausweis be kannt ist.<br />
Noch vor einigen Jahrzehnten sah<br />
dies anders aus: Kleine Kinderlähmungspatientinnen<br />
und -pa tienten<br />
lagen in sogenannten eisernen Lungen,<br />
die ihnen atmen halfen.<br />
Genau von solchen Kindern handelt<br />
der Roman «Der Riesentöter»<br />
von Iain Lawrence. Ein unübliches<br />
Thema für Kinderliteratur: Der<br />
Autor katapultiert die jungen Leserinnen<br />
und Leser nicht nur zurück<br />
in die Fünfzigerjahre und damit in<br />
eine Zeit, in der Kinderlähmung<br />
eine ernste Bedrohung darstellte,<br />
sondern er mutet ihnen auch gleich<br />
zwei Erzählebenen zu: eine realistische<br />
und eine fantastische. In der<br />
ersten lebt das Mädchen Laurie ein<br />
einsames Leben, da ihr Vater sie aus<br />
Angst vor dem Polio-Virus überbehütet.<br />
In Dickie findet Laurie endlich<br />
einen Freund – bis dieser an<br />
Kinderlähmung erkrankt. Heimlich<br />
schleicht sich Laurie ins Krankenhaus.<br />
Dort nimmt die fantastische<br />
Geschichte ihren Anfang, welche die<br />
fabulierfreudige Laurie den Kindern<br />
auf der Polio-Station bei jedem ihrer<br />
Besuche weitererzählt. Es ist eine<br />
Geschichte von Riesen, Gnomen,<br />
Drachen, von Abenteuer und Mut,<br />
eine Geschichte, in der sich die<br />
kranken Kinder wiederfinden. «Der<br />
Riesentöter» bietet so nicht nur eine<br />
einfühlsame Sicht auf eine andere<br />
Zeit, sondern auch ein fantasievolles,<br />
märchenhaftes Abenteuer.<br />
Der Autor Iain<br />
Lawrence<br />
katapultiert<br />
die jungen<br />
Leser in die<br />
Fünfziger jahre.<br />
John Boyne: Der<br />
Junge auf dem Berg<br />
Mitleid und Abscheu<br />
zugleich ruft Boynes<br />
Roman über den<br />
Jungen Pierrot<br />
hervor, der in Hitlers<br />
Sommerresidenz zum überzeugten<br />
Hitlerjugend-Mitglied wird.<br />
Jugendliche Empfänglichkeit für den<br />
Extremismus: ein hochaktuelles<br />
Thema.<br />
Fischer, 2017, Fr. 27.00, ab 12 Jahren<br />
Alexandra Litwina/<br />
Anna Desnitskaya:<br />
In einem alten Haus<br />
in Moskau – Ein<br />
Streifzug durch<br />
100 Jahre russische<br />
Geschichte<br />
Ein Haus in Moskau und seine<br />
Bewohner stehen im Zentrum dieses<br />
Sachbilderbuchs, das an Detailfülle<br />
in Text und Bild kaum zu überbieten<br />
ist. Ein faszinierender Blick in die<br />
russische Geschichte!<br />
Gerstenberg, 2017, Fr. 36.90,<br />
ab 12 Jahren<br />
Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />
Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />
Instituts für Kinder- und<br />
Jugendmedien SIKJM.<br />
Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />
weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Februar <strong>2018</strong>73
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Meine Tochter hat sich zu ihrem achten Geburtstag Krücken gewünscht.<br />
Ich habe keinen Augenblick daran gedacht, dass es ein unsinniges<br />
Geschenk sein könnte. Als neulich meine Schwiegermutter zu Besuch<br />
war, zeigte sie sich schockiert: «Einem Kind Krücken zu schenken, geht<br />
ja gar nicht!» Geht das wirklich nicht? Darf man «krank sein» spielen mit<br />
einem Arztkoffer, mit Spritzen, Pflaster, Verbandszeug und Stethoskop,<br />
aber nicht mit Krücken? Was finden Sie? Sandra, 36, St. Gallen<br />
Nicole Althaus<br />
Ich erinnere mich, dass wir in<br />
unseren Spitalspielen den<br />
alten Buggy zum Rollstuhl<br />
umfunktionierten und eine<br />
Stehlampe als Infusionsständer<br />
benutzten. Auch gab es<br />
stets einen Blinden im Spital,<br />
der immer und überall im<br />
Weg rumstand. Kinderspiele<br />
müssen nicht politisch korrekt sein. Ich kann also am<br />
Wunsch Ihrer Tochter nichts Verwerfliches finden. Man<br />
kann sich allerdings überlegen, ob es der Fantasie der<br />
Kinder nicht förderlich wäre, wenn diese ein Spielgerät<br />
auch mal selber bauen müssten. Den Rollator sähen Sie<br />
ja auch nicht unbedingt auf dem Gabentisch, oder?<br />
Stefanie Rietzler<br />
Manche Kinder wünschen<br />
sich ein Doktor-Bibber-Spiel,<br />
bei dem sie einem Patienten<br />
Plastikorgane entnehmen<br />
müssen, andere legen ihren<br />
Stofftieren Verbände an – ihre<br />
Tochter spielt eben gerne mit<br />
Krücken. Wo ist das Pro blem?<br />
In meiner Schulzeit wurden<br />
Krücken auch gerne als Turngeräte verwendet: Hatte<br />
sich ein Mitschüler am Bein verletzt, bildete sich vor<br />
ihm oft eine Schlange. Jeder wollte auf den Krücken<br />
Gleichgewichtsübungen machen oder Kunststücke vollführen.<br />
Ich wünsche fröhliches Humpeln!<br />
Peter Schneider<br />
Antithese: Ein total<br />
gewöhnlicher Wunsch ist<br />
das schon nicht; wenngleich<br />
auch nicht annähernd<br />
so krass, wie wenn<br />
sie sich ein Spekulum zum<br />
Doktorspielen gewünscht<br />
hätte. Prothese: Warum soll<br />
das «gar nicht gehen»?<br />
Zumal Ihre Tochter mit den Krücken auch nicht gehen,<br />
sondern humpeln möchte. (Hat Ihre Schwiegermutter<br />
vielleicht Angst, dass da eine künftige Scheininvalide<br />
heranwächst?) Synthese: Ich wünsche Ihrem Kind viel<br />
Freude mit den Geburtstagskrücken. Hals- und Beinbruch!<br />
Nicole Althaus, 49, ist Chefredaktorin Magazine,<br />
Kolumnistin, Autorin und Mitglied der<br />
Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war<br />
sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den<br />
Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert und<br />
geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei<br />
Kindern, 18 und 14.<br />
Stefanie Rietzler ist Psychologin, Autorin<br />
(«Erfolgreich lernen mit ADHS») und leitet die<br />
Akademie für Lerncoaching in Zürich.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
Peter Schneider, 59, arbeitet als Psychoanalytiker<br />
und Kolumnist in Zürich. Bis 2017 war er Professor<br />
für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie<br />
in Bremen; zurzeit lehrt er Geschichte und<br />
Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse in Berlin.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
74 Februar <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
©Tdh/Tad<br />
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Wir suchen Freiwillige, die uns<br />
tatkräftig bei der Orangenaktion<br />
unterstützen und so bedürftigen<br />
Kindern helfen.<br />
Kontakt + Informationen:<br />
Terre des hommes – Kinderhilfe<br />
Orangenteam<br />
Tel: 058 611 06 66<br />
E-Mail: orange@tdh.ch<br />
www.tdh.ch/orangenaktion
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