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Mixology - Magazin für Barkultur 1-18

Korn kann was, und wie! Unser MIXOLOGY TASTE FORUM widmet sich in dieser Ausgabe einer Spirituosengattung, die vor allem mit ihrem schlechten Ruf zu kämpfen hat: Doppelkorn. Dass sie ebenjenen Ruf vollkommen zu Unrecht hat, demonstrieren die Ergebnisse der großen Verkostungsrunde – Korn ist vielfältig, aromatisch und komplex! Und der Gewinner kommt sogar von einem alten Bekannten. In gänzlich „unkornige” Gegenden ist unser Autor Roland Graf gewandert – nach Tokio nämlich. Das fernöstliche Bar-Eldorado in Japan ist vital und wie immer im steten Wandel. Denn auch die manchmal als verkopft und dogmatisch angesehene Barszene Japans sucht nach neuen Ansätzen und Ideen. Grafs Streifzug durch die Ginza, das Golden Gai und allerlei zwielichtige Ecken bringt Licht ins Dunkel. Steht japanische Barkultur für fein ziselierte Trinkkunst, haftet russischen Trinksitten eine ganz andere Konnotation an, nämlich die des blanken Suffs. Natürlich mit Vodka. Und tatsächlich ist an beidem Wahres dran. Die Russen trinken viel. Und noch immer ist Vodka die absolute Nummer 1 im größten Reich der Erde. Was sonst noch passiert und wie sich die dortige Barszene zaghaft enwickelt – das beleuchtet unser Autor Markus Orschiedt in seiner „Trinkwelt”. Ein regelrechtes Spirituosen-Stiefkind ist, jedenfalls aus europäischer Sicht, Canadian Whisky. Lange Zeit etwa immerhin als Verlegenheitslösung für Cocktails wie Manhattan vermixt, ist ihm auch diese Domäne durch das Wiedererstarken von Rye und Bourbon abhanden gekommen. Canadian gilt vielen Genießern und Bartendern als flach, kraftlos, öde, gepanscht. Doch es tut sich was: Neue Qualitäten werden in Deutschland verfügbar, das Angebot vielfältiger und kraftvoller, der Markt interessanter. In unserem großen Mix-Workshop sind wir der Frage nachgegangen, was für eine Figur die aktuellen „Kanadier” in klassischen American-Whiskey-Cocktails machen. Cheers & viel Freude mit dieser Ausgabe!

Korn kann was, und wie! Unser MIXOLOGY TASTE FORUM widmet sich in dieser Ausgabe einer Spirituosengattung, die vor allem mit ihrem schlechten Ruf zu kämpfen hat: Doppelkorn. Dass sie ebenjenen Ruf vollkommen zu Unrecht hat, demonstrieren die Ergebnisse der großen Verkostungsrunde – Korn ist vielfältig, aromatisch und komplex! Und der Gewinner kommt sogar von einem alten Bekannten.

In gänzlich „unkornige” Gegenden ist unser Autor Roland Graf gewandert – nach Tokio nämlich. Das fernöstliche Bar-Eldorado in Japan ist vital und wie immer im steten Wandel. Denn auch die manchmal als verkopft und dogmatisch angesehene Barszene Japans sucht nach neuen Ansätzen und Ideen. Grafs Streifzug durch die Ginza, das Golden Gai und allerlei zwielichtige Ecken bringt Licht ins Dunkel.

Steht japanische Barkultur für fein ziselierte Trinkkunst, haftet russischen Trinksitten eine ganz andere Konnotation an, nämlich die des blanken Suffs. Natürlich mit Vodka. Und tatsächlich ist an beidem Wahres dran. Die Russen trinken viel. Und noch immer ist Vodka die absolute Nummer 1 im größten Reich der Erde. Was sonst noch passiert und wie sich die dortige Barszene zaghaft enwickelt – das beleuchtet unser Autor Markus Orschiedt in seiner „Trinkwelt”.

Ein regelrechtes Spirituosen-Stiefkind ist, jedenfalls aus europäischer Sicht, Canadian Whisky. Lange Zeit etwa immerhin als Verlegenheitslösung für Cocktails wie Manhattan vermixt, ist ihm auch diese Domäne durch das Wiedererstarken von Rye und Bourbon abhanden gekommen. Canadian gilt vielen Genießern und Bartendern als flach, kraftlos, öde, gepanscht. Doch es tut sich was: Neue Qualitäten werden in Deutschland verfügbar, das Angebot vielfältiger und kraftvoller, der Markt interessanter. In unserem großen Mix-Workshop sind wir der Frage nachgegangen, was für eine Figur die aktuellen „Kanadier” in klassischen American-Whiskey-Cocktails machen.
Cheers & viel Freude mit dieser Ausgabe!

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APERITIF<br />

VEREHRTE LESER!<br />

Einer meiner engsten Freunde ist Arzt. Keiner<br />

von der Gesundheitsnazisorte, sondern einer jener<br />

Ärzte, die eigentlich eher so leben, wie es einem kein<br />

Arzt je empfehlen würde. Wir kennen uns schon<br />

lange. So lange, dass wir bereits als Halbstarke, nur<br />

mit Unterhose bekleidet, nachts gemeinsam warmes<br />

Dosenbier auf einem ungarischen Dorffriedhof<br />

getrunken haben. Solche Erfahrungen schweißen<br />

zusammen. Glauben Sie mir.<br />

Jedenfalls ist dieser Freund von mir nie ein Kostverächter<br />

gewesen: gutes Elternhaus und so, kulinarisch<br />

versiert. Aufgewachsen in dem Wissen,<br />

dass man <strong>für</strong> ein Abendessen mal einen dreistelligen<br />

Betrag pro Person bezahlt. Oder mehr als fünf<br />

Euro <strong>für</strong> eine Flasche Wein. In seinem Wohnzimmer<br />

stehen auch durchaus einige Flaschen guter<br />

Scotch. Nur zu Cocktails hatte er noch keinen wirklichen<br />

Draht bekommen. Das wusste ich. Macht ja<br />

nichts. Ebensowenig, dass er sich frank und frei<br />

dazu bekennt, in gewissen Situationen eher Wirkungstrinker<br />

zu sein. Dann aber sagte er mir eines Abends, in besagtem<br />

Wohnzimmer sitzend: »Ich habe noch nie einen Cocktail gemacht.<br />

Ich habe nicht mal einen Shaker!« Das ging irgendwie nicht klar. Zwei<br />

Wochen später hatte er einen. Ich habe ihm einen gekauft.<br />

Nun ist es nicht so, dass mir ein Missionierungsdrang innewohnt. Jeder<br />

soll trinken, wie und was er will. Mit falscher Verve kann man Leute<br />

auch verprellen, das braucht Fingerspitzengefühl. Ich habe durch meinen<br />

Job schon genügend Leute im Freundes- und Verwandtenkreis,<br />

die Angst haben, wenn sie mir ein Bier anbieten müssen (vollkommen<br />

unbegründet). Bei jenem Freund aber wusste ich: Da geht noch was.<br />

Einige Wochen später weihten wir den Shaker ein. Ich hatte beschlossen,<br />

dass wir mit Whiskey Sour anfangen – gottlob ist er ja erfahren und<br />

<strong>für</strong>chtet sich nicht vor rohen Eiern.<br />

Nils Wrage<br />

Chefredakteur<br />

Den ersten Drink habe ich gemacht, er hat zugesehen.<br />

Den zweiten dann er, überraschend flott übrigens.<br />

Dann haben wir probiert. Und es war einer<br />

dieser Augenblicke, in denen das Gespräch stockt.<br />

Weil ich gesehen habe, dass da was mit ihm passierte.<br />

Da tat sich was hinter seinen Augenlidern.<br />

Da kam eine Erkenntnis: dass man mit zwei weiteren<br />

Dingen – mit Säure und Süße – aus einer Spirituose<br />

etwas vollkommen Neues, Anderes machen<br />

kann. Etwas, das größer ist als die Summe der<br />

Teile. Der vielzitierte »Mehrwert des Mischens«.<br />

Warum ich das schreibe? Weil solche Erkenntnisse<br />

immer wieder wichtig sind. Weil sie einem<br />

zeigen, worum es beim ominösen Begriff »<strong>Barkultur</strong>«<br />

eigentlich geht. Nicht um falsche Noblesse,<br />

teure Luxusgüter, die abgefahrenste Arbeitstechnik.<br />

Sondern um das Verständnis da<strong>für</strong>, dass ein<br />

Cocktail kein Mittel zum Zweck ist, sondern etwas<br />

an sich Wunderbares. Und auch darum, dass man<br />

Leute nicht »bekehren« sollte, indem man sie mit<br />

vermeintlichem High-End-Kram zuballert, sondern<br />

ihnen einen Einstieg vermittelt. Missionierung und Dogmen sind<br />

nie gut. Aber Aufklärung, Offenheit, die Freude an der Kommunikation<br />

über das Kulturgut Spirituose. Und darum machen wir auch im 16. Jahrgang<br />

<strong>Mixology</strong>. Nicht als Selbstzweck, sondern mit Antrieb. Hoffentlich<br />

auch weiterhin <strong>für</strong> Sie, lieber Leser!<br />

Die angebrochene Flasche Bourbon ließ ich beim Abschied übrigens<br />

da. Mein Freund wollte gern seinen Gästen am nächsten Abend einen<br />

Drink anbieten.<br />

Mit den herzlichsten Grüßen<br />

aus der Redaktion<br />

Ihr Nils Wrage<br />

NIV ABOOTALEBI & TOKIO<br />

Fotos Bildstrecke: Niv Abootalebi<br />

Im Zuge der Dreharbeiten zum 2017 veröffentlichten Kinofilm »Schumanns Bargespräche«<br />

begleitete der Kameramann und Fotograf Niv Abootalebi den großen Charles Schumann an<br />

zahlreiche Drehorte rund um die Welt, so auch nach Japan. Passend zur großen Tokio-Story<br />

unseres Autors Roland Graf war Abootalebi so freundlich, uns <strong>für</strong> die Bildstrecke am Anfang<br />

der Ausgabe einige der Fotografien zur Verfügung zu stellen, die er während des Aufenthaltes<br />

in der japanischen Hauptstadt angefertigt hat. Seine Bilder zeigen diese laute, bunte<br />

und <strong>für</strong> westliche Augen teils unfassbar schrille Megalopole in beeindruckend meditativen,<br />

ruhigen und formal strengen Bildern. Ein besonderer Blick auf eine besondere Stadt.<br />

5


Bars & Menschen<br />

MIXOLOGY INTERN<br />

Unsere Highlights der kommenden Bar Week<br />

................................................................................ 8<br />

ZEHN<br />

Zehnmal rund um den Vodka<br />

.............................................................................. 20<br />

STADTGESCHICHTEN<br />

Tokio: Auf einen Oshibori beim Sensei<br />

.............................................................................. 24<br />

NEUE BARS<br />

Black Dog – Bereicherung am Bahnhofsviertel<br />

.............................................................................. 34<br />

NACHTRAUSCHEN<br />

Amsterdam: Zwanglos im Zwilling namens Pollux<br />

.............................................................................. 36<br />

AUF EIN GLAS MIT …<br />

Cristina Neves & Oliver Ebert<br />

.............................................................................. 40<br />

40 AUF EIN GLAS MIT…<br />

Cristina Neves & Oliver Ebert. Diese<br />

beiden Persönlichkeiten betreiben<br />

seit knapp 14 Jahren das »Beckett’s<br />

Kopf« und haben Berlin damit eine<br />

Institution geschenkt, ohne welche<br />

die derzeitige Barszene eine andere<br />

wäre. Ein Gespräch über Radikalität<br />

und Reduktion und darüber, weshalb<br />

Avantgarde und Antithese irgendwie<br />

zusammengehören.<br />

Flüssiges<br />

MIXTUR<br />

Neue Produkte aus dem Baruniversum<br />

.............................................................................. 10<br />

MEINUNG<br />

Bartender über ihre liebsten Ginger Ales<br />

.............................................................................. <strong>18</strong><br />

MADE IN GSA<br />

Lichter am heimischen Barhimmel<br />

.............................................................................. 22<br />

FOOD & DRINK<br />

Boozing like an Ale in London<br />

.............................................................................. 38<br />

SPIRITUOSE<br />

Workshop Canadian Whiskey – Star oder<br />

Stiefkind?<br />

.............................................................................. 44<br />

ALCHEMIST<br />

Zentrifugieren: Spin me around!<br />

.............................................................................. 48<br />

TRINKWELT<br />

Russland: Mehr als Vodka an der Wolga<br />

.............................................................................. 54<br />

HOW TO COCKTAIL<br />

Die perfekte Bloody Mary<br />

.............................................................................. 59<br />

BACK TO BASICS<br />

Eis, Eis, Baby<br />

.............................................................................. 60<br />

FOUR OF A KIND<br />

Global bekannte Lagerbiere<br />

.............................................................................. 64<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

Urig & Würzig: Doppelkorn & Stout im Test<br />

.............................................................................. 66<br />

6<br />

ALCHEMIST 48<br />

Für die meisten Menschen ist die<br />

Zentrifugalkraft nichts weiter als<br />

ein ermüdendes Element aus<br />

dem Physikunterricht. Irgendwas<br />

mit Umdrehungen. Am Bartresen<br />

findet diese unzureichende<br />

Assoziation ihre bestimmt eleganteste<br />

Anwendung: beim Zentrifugieren<br />

von Cocktail-Zutaten.<br />

Nicht günstig, nicht schnell und<br />

auch nicht pflegeleicht – lohnt<br />

sich aber enorm!<br />

44 SPIRITUOSE<br />

Für viele ist kanadischer Whiskey nicht<br />

viel mehr als ein notwendiges Gimmick<br />

aus der Serie »Mad Men«. Wir finden, dass er<br />

das nicht verdient hat. Raus aus dem Schatten<br />

der Stiefmütterlichkeit mit ihm!


24 STADTGESCHICHTEN<br />

Wir machen uns auf die Reise nach Tokio. Auf einen Spaziergang voller<br />

Glitzerstraßen und Gastfreundlichkeit, auf Hühnerbeine bei Hakushi-Whisky<br />

– und auf einen Oshibori beim Sensei. Zu Gast in einer Stadt,<br />

über die man in nur einem Satz die Begriffe »Schlangenschnaps« und<br />

»Beyoncé-Karaoke« schreiben kann.<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM 66<br />

Ein Gros des Winters ist überstanden.<br />

Bevor wir allerdings <strong>für</strong> Hugo und<br />

Holunderespuma-Drinks bereit sind, dauert<br />

es noch etwas. Perfekt <strong>für</strong> ein Gedeck<br />

der urigen Kategorie: Stout und Doppelkorn.<br />

Damit wird wirklich jede Jahreszeit<br />

zu einer guten Jahreszeit.<br />

WHISK(E)Y NEWS<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt<br />

.............................................................................. 76<br />

BIER<br />

Böses, gutes Lager: Ein Stil erfi ndet sich neu<br />

.............................................................................. 78<br />

BIERNOTIZEN<br />

Die wichtigsten Hopfenneuheiten<br />

.............................................................................. 84<br />

KAFFEE<br />

Nitro: Das TNT der Kaffee-Zubereitung<br />

.............................................................................. 86<br />

KAFFEENOTIZEN<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Kaffeewelt<br />

.............................................................................. 88<br />

KLIMEK’S KAUFBEFEHL<br />

Diesmal: der Messias im Mainstream<br />

.............................................................................. 89<br />

Wirtschaft & Kultur<br />

BUSINESS<br />

Spirituosenvertrieb: Irgendwer muss es ja tun.<br />

Aber wie?<br />

.............................................................................. 90<br />

DIE FLASCHE IN ZAHLEN<br />

Ron Matusalem<br />

.............................................................................. 95<br />

TIEFENRAUSCH<br />

Dr. Kochan & die betrunkene DDR<br />

.............................................................................. 96<br />

HOMEBAR<br />

Wirf dich mal in Schale!<br />

.............................................................................. 98<br />

MUSIK<br />

Depression und Dunkelheit kann nieman so<br />

wie Björk<br />

........................................................................... 100<br />

KULTUR<br />

Neue Schätze <strong>für</strong> Augen und Ohren<br />

........................................................................... 102<br />

78 LAGERBIER<br />

Da<strong>für</strong>, dass das Lager einer der<br />

meist konsumiertesten Bierstile<br />

weltweit ist, leidet sein Ruf in den<br />

letzten Jahren sehr. Dabei muss<br />

gar nicht immer alles nach Mango<br />

schmecken, was gutes Bier sein<br />

will.<br />

Neues & Notizen<br />

VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE<br />

Alle wichtigen Termine der vergangenen<br />

und kommenden Wochen<br />

........................................................................... 104<br />

IMPRESSUM & KOMMENDE THEMEN<br />

........................................................................... 108<br />

7


STADTGESCHICHTEN<br />

TOKIO HOTEL,<br />

RE-MIXED<br />

Text Roland Graf<br />

Japanische Gastlichkeit beginnt stets mit dem oshibori ().<br />

Doch mitunter bleibt das heiße Handtuch auch der einzige Kontaktpunkt<br />

mit dem Bartender. Den unnahbaren Tresen-Senseis mit<br />

ihren großen Verdiensten um den Hard Shake und das Eis-Schnitzen<br />

stehen in Tokio die 400 handtuchgroßen »Bars« in Golden Gai<br />

gegenüber, Schlangenschnaps inklusive. Wir suchten den Mittelweg.<br />

Und bekamen vorerst mal Suppe statt Erdnüsse.<br />

Die Bar Kusama ist nicht leicht zu finden. Vor allem, weil sie auch in<br />

Adressenangaben auf der japanischen Schreibweise beharrt. Das Türschild<br />

zeigt lediglich die beiden Schriftzeichen . Sie stehen <strong>für</strong><br />

»Gras« und »Zwischenraum«, aber auch den Namen des Besitzers Tsuneaki<br />

Kusama. Nach fast 30 Jahren im Imperial Hotel (auch heute noch<br />

eine gute Bar-Adresse!) hat er sich 2001 in einer ruhigeren Ecke der Ginza<br />

selbstständig gemacht. Mit ihm als Meister werkt hier Masato Sakurai<br />

an den Drinks. Der aus einer Kimono-Dynastie stammende Bartender<br />

passt zum traditionalistischen Bild der Bar Kusama, er gehört aber<br />

schon zur Generation der Erneuerer. »Du musst die Drinks <strong>für</strong> das neue<br />

Jahrtausend machen«, hat ihm sein Meister mitgegeben – und Masato<br />

24<br />

kommt dem gerne nach. Doch eine Garnitur wie sein aus einer Gurke<br />

geschnitzter Drache samt roten Augen aus Pfeffer käme bei Uyeda-san,<br />

ein Stück weiter die Straße hinunter, wohl niemals auf den Glasrand.<br />

Die beiden »Mister Hard Shake« ...<br />

Uyeda ist »Mister Hard Shake«, das stellt gleich einmal das Türschild<br />

klar. Er hat wie der nicht mit ihm zu verwechselnde Ueno-san aus der<br />

High Five international viel <strong>für</strong> die Anerkennung der in den Hafenstädten<br />

(Yokohama gilt als erste »Bar-Stadt« des Kaiserreichs) erblühten<br />

Foto: Old Imperial Bar Tokyo / Imperial Hotel


25


NEUE BARS<br />

The Black Dog<br />

Temperance Society<br />

Wiesenhüttenplatz 28 – 38<br />

(im Hotel Le Méridien)<br />

60329 Frankfurt am Main<br />

— facebook: The Black Dog<br />

Temperance Society<br />

Foto: tyguzy.com<br />

DIE REDUKTION AUFS<br />

MAXIMUM<br />

34


NACHTRAUSCHEN<br />

DER HELLE IRRTUM<br />

Text Manfred Klimek<br />

Amsterdam scheint kein guter Ort <strong>für</strong> coole Bars zu sein. Warum denn<br />

auch, wenn es eine derart neben der Spur liegende Institution wie das<br />

Pollux gibt?<br />

36<br />

Foto: Café Pollux


AUF EIN GLAS MIT … CRISTINA NEVES & OLIVER EBERT<br />

RADIKALE KÖPFE<br />

40<br />

Fotos: Constantin Falk


Cristina Neves und Oliver Ebert<br />

betreiben mit dem »Becketts<br />

Kopf« seit knapp 14 Jahren<br />

eine Bar, die bis heute Maßstäbe<br />

setzt. Ein Gespräch über<br />

Radikalität, Reduktion, gesundes<br />

Misstrauen und Veränderungsprozesse.<br />

Interview & Text Stefan Adrian<br />

Es pfeift ein eisiger Wind durch die Pappelallee.<br />

Eine Straßenbahn hält an einer neu asphaltierten<br />

Haltestelle, Co-Working-Spaces strahlen<br />

Zukunftsmonotonie aus. 2004 sah es hier noch<br />

etwas anders aus. Räudiger. Damals eine »Bar<br />

zur Verfeinerung der Sinne« aufzumachen, entsprach<br />

definitiv nicht dem Zeitgeist. Um diesen<br />

ging es Cristina Neves und Oliver Ebert aber<br />

nie – und tut es bis heute nicht. Sondern um<br />

eine Suche. Genau aus diesem Grund verharrt<br />

das Becketts Kopf aber in keinem musealen<br />

Zustand, sondern ist nach wie vor eine der führenden<br />

Bars des Landes.<br />

Cristina und Oliver, ihr strebt als Personen nicht<br />

stark in die Öffentlichkeit, in 14 Jahren hat sich<br />

erstaunlich wenig Material über euch angesammelt.<br />

Eine Sache aber taucht auf: Ihr habt die<br />

Bar gemacht, weil ihr zusammenarbeiten wolltet<br />

und gerne lange ausschlaft. Ein wahrlich ehrbarer<br />

Grund, eine Bar zu eröffnen …<br />

Cristina Neves: Und die Wahrheit! Wir<br />

sind aber auch Genussmenschen und haben<br />

immer gerne schön gegessen und getrunken,<br />

auch zu Hause. Die Geschichte des Cocktails<br />

ist in Europa gegen Ende der 1960er ja etwas<br />

verloren gegangen. Bis dahin hat man auch<br />

zu Hause durchaus Gäste mit einem Cocktail<br />

empfangen. Wir haben also nur das gemacht,<br />

was bis in diese Zeit üblich gewesen war.<br />

Die Personen<br />

Das Ehepaar Cristina Neves und Oliver<br />

Ebert betreibt mit dem Becketts Kopf eine<br />

der großen Institutionen der europäischen<br />

<strong>Barkultur</strong>. Vom ersten Tag an setzt das<br />

Duo auf höchste Qualität, Eigenständigkeit<br />

und eine singuläre Produktauswahl. Ihre<br />

Arbeit wurde u.a. mit einem MIXOLOGY<br />

BAR AWARD <strong>für</strong> Oliver Ebert gewürdigt.<br />

Oliver Ebert: Ich kann auch selten den Student<br />

in mir verleugnen, also nähere ich mich<br />

den Themen meistens sehr wissenschaftlich:<br />

These, Antithese, Synthese. Das beginnt beim<br />

Sammeln und Lesen von Literatur. Damals gab<br />

es im Barbereich nicht viel, aber glücklicherweise<br />

einige Re-Prints. Aus dieser Privatidiotie<br />

heraus ist das Becketts Kopf entstanden.<br />

2004 gingen hippe Berliner ins White Trash,<br />

um sich Burger von tätowierten Expats auf<br />

den Tisch werfen zu lassen. War eine »Bar zur<br />

Verfeinerung der Sinne« – so euer Zusatz bis<br />

heute – ein bewusster Gegenentwurf?<br />

CN: Bewusst würde ich nicht sagen. Die Stadt<br />

war anders, vieles innovativ. Man hat sich gesagt:<br />

Entweder es funktioniert – oder nicht. Dass z. B.<br />

weder Oliver noch ich zuvor in einer Bar gearbeitet<br />

hatten, war nichts Ungewöhnliches.<br />

OE: Natürlich hat sich die Barszene in<br />

Deutschland extrem verändert. Vor 14 Jahren<br />

mussten wir Peychaud’s per Post aus den USA<br />

bestellen. Im ersten Jahr war die Hauptaussage:<br />

»Oh, das sind aber kleine Gläser!« Das hörst<br />

du heute nie. Obwohl es diese kleinen Gläser<br />

mittlerweile überall gibt – oder gerade deshalb.<br />

Kann man sagen: Am Anfang war eure<br />

schlichte Existenz Avantgarde, jetzt spielt ihr<br />

die Avantgarde im Glas weiter?<br />

OE: Wir haben uns mit Sicherheit immer<br />

weiter radikalisiert. Unser Gedankengang war<br />

aber nicht zu sagen, wir müssen es jetzt unbedingt<br />

etwas anders machen. Zu Beginn haben<br />

wir sehr klassisch gearbeitet, aber da das Klassische<br />

eben verloren gegangen war, haben wir<br />

Sensibilität geschaffen. Den Cosmopolitan beispielsweise<br />

kannten die meisten aus dem TV,<br />

aber niemand wusste, dass es auch eine Rezeptur<br />

aus den 1930er-Jahren gab, bestehend aus<br />

Gin, Zitrone, Orange Curaçao und Himbeere.<br />

CN: Wir haben über ein Jahr lang eine<br />

Strichliste geführt, welche Variante populärer<br />

war, und als die 1930er-Variante einen uneinholbaren<br />

Vorsprung hatte, haben wir gesagt:<br />

Wenn das so ist, dann kann man auch alles<br />

rausschmeißen, was man meint, als Konzession<br />

an den Geschmack oder die Gäste machen<br />

zu müssen. Denn vielleicht ist diese vermeintliche<br />

Konzession nur mangelnder Mut und<br />

mangelndes Zutrauen an den Gast.<br />

Mut kann man euch bis heute nicht absprechen:<br />

Ihr seid bekannt <strong>für</strong> eine strikte Spirituosenauswahl,<br />

die vor allem auf kleine Brennereien<br />

setzt …<br />

OE: Ein Lernprozess im Laufe der Jahre war<br />

mit Sicherheit zu erkennen: Es gibt gute Produkte,<br />

aber wenn man mehr über die Zutaten<br />

wissen will, stößt man auf eine Verschlei-<br />

erungstaktik. Da ich aber kein Labor habe<br />

und nur meiner Nase vertrauen kann, wurde<br />

ein Vertrauensverhältnis zum Produzenten<br />

immer wichtiger. Deutsche, österreichische<br />

oder Schweizer Destillen kann ich besuchen,<br />

um zu sehen, wie sie arbeiten. Für Clairin aber<br />

müssten wir nach Haiti reisen, d. h. man ist<br />

darauf angewiesen, dass das, was einem gesagt<br />

wird, auch stimmt. Das ist leider alles andere<br />

als üblich.<br />

Womit wir schon beim Drink sind:<br />

dem Hispanola Buccaneer.<br />

OE: Den haben wir vor knapp zwei Jahren<br />

entwickelt. Er besteht aus haitianischem<br />

Clairin von Michael Sajous, Kaffeegeist vom<br />

Freimeisterkollektiv, PX Sherry von Colosía<br />

sowie Tiki Bitters von Bittermens. Und, um<br />

sozusagen die regionale Fraktion abzudecken,<br />

Verjus vom Klosterhof Töplitz, der eine hintergründige<br />

Säure ins Spiel bringt. Wir arbeiten ja<br />

nicht mit Limetten.<br />

Warum nicht?<br />

CN: Weil man Limetten nur in schlechter<br />

Qualität bekommt. Die Qualität an Zitronen<br />

ist bei Weitem besser. Wir kriegen wöchentlich<br />

eine 20-kg-Lieferung aus Mallorca. Die<br />

Früchte sind alles andere als optisch schön<br />

oder einheitlich. Aber wenn man die Kisten<br />

öffnet, duftet die ganze Küche wunderbar nach<br />

Zitronen. Das musst du mit Zitronen aus dem<br />

Supermarkt erst mal schaffen.<br />

Läuft diese Zutaten-Radikalisierung rein über<br />

den Geschmack? Gerade bei einem ehemaligen<br />

Theatermann wie dir, Oliver, vermute ich auch<br />

eine Art No-Logo-Haltung, ein grundlegendes<br />

Misstrauen gegen die Großen dieser Welt …<br />

OE: Das hat damit nichts zu tun. Wir gehen<br />

immer vom Geschmack aus. Aber es gibt eben<br />

Gesetzmäßigkeiten: Ein Schuh aus industrieller<br />

Fertigung wird nie so gut sein wie ein<br />

Schuh, <strong>für</strong> den der Fuß vermessen wird und<br />

den der Schuster in Handarbeit herstellt. Vielleicht<br />

ist nicht jede Spirituose aus einer Manufaktur<br />

besser als eine industriell hergestellte,<br />

aber die beste hergestellte Spirituose wird<br />

immer eine aus einer Manufaktur sein.<br />

CN: Ich würde sagen, wir handeln mit einer<br />

Kombination aus Eigeninteresse und Professionalität.<br />

Ich selbst kann mir nicht vorstellen,<br />

jahrelang das Gleiche zu machen, ohne Entwicklung.<br />

Ich langweile mich, wenn ich nichts<br />

Neues mache. Das hat mit Neugier zu tun, und<br />

diese wiederum mit Charakter.<br />

41


SPIRITUOSE<br />

SPERRIG<br />

UND GEFÄLLIG<br />

Text Peter Eichhorn Fotos Constantin Falk<br />

Canadian Whisky ist hierzulande ein Stiefkind der Bar. Man kennt ihn,<br />

aber irgendwie auch nicht. Es gibt viele Irrtümer. Vielen gilt er als langweilig.<br />

Plötzlich aber gibt es neue Qualitäten auf dem Markt, die Vielfalt wächst.<br />

Zeit <strong>für</strong> einen Workshop, der sich Cocktails mit dem Whisky aus dem »anderen«<br />

Nordamerika widmet.<br />

Es ist schon bemerkenswert: Bei den Olympischen Spielen fiebert die<br />

Nation mit den paddelnden Herren (und erst seit kurzer Zeit auch mit<br />

den Damen) in den »Kanadier«-Booten mit. Die destillierten Kanadier<br />

aus Getreide führen derzeit hierzulande noch eher ein Schattendasein<br />

unter Whiskytrinkern und in den Bars.<br />

Zu Recht? Zu Unrecht? Es herrscht Bewegung in der kanadischen<br />

Whisky-Branche. Grund genug, einige der Destillate auf ihre Qualität<br />

und Mixability zu testen. Was sind ihre Qualitäten? Für welche Cocktails<br />

sind sie ideal geeignet? Wo treten geschmackliche Schwächen<br />

zutage, wenn sie in Mixgetränken Anwendung finden? Diese Fragen<br />

brannten <strong>Mixology</strong>-Chefredakteur Nils Wrage unter den Nägeln und<br />

er paddelte nach Berlin-Charlottenburg, um dort die Hildegard Bar zu<br />

entern und einige Cocktails mit Canadian Whisky zu bereiten, um sie<br />

dann den kritischen Gaumen bewährter Berliner Bartender zum kritischen<br />

Urteil vorzusetzen.<br />

Als Dreier mit Steuermann kamen in der Hildegard Bar zusammen:<br />

Anne Linden von der Bar am Steinplatz, Tarek Nix aus dem Provocateur<br />

und Thomas Pflanz, Betreiber der Hildegard Bar. Der Autor<br />

dieser Zeilen komplettierte die Runde. Hinter dem Tresen wirkte Nils<br />

Wrage und servierte folgende vier Canadian Whiskys: Canadian Club<br />

Small Batch Classic 12 yo, Lot No. 40 Rye Whisky, WhistlePig Straight<br />

Rye Whiskey 10 yo und J.P. Wisers Triple Barrel 10 yo.<br />

44


45


48


ALCHEMIST<br />

WHAT GOES<br />

AROUND …<br />

Text Reinhard Pohorec<br />

Fotos Otttn<br />

Die Zentrifuge ist eine runde Sache –<br />

im wahrsten Sinne des Wortes. Und ein Spielzeug<br />

von der Kragenweite des Heimwerkerkönigs<br />

Tim Allen, der inbrünstig nach mehr Power schreit.<br />

»Gogo-Gadget einschalten«, heißt es also!<br />

49


TRINKWELT<br />

RUSSLANDS<br />

HEILIGER GEIST<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Die Fußball-Weltmeisterschaft eilt heran und Russland<br />

ist Gastgeber. Der Alkohol und natürlich der Vodka werden<br />

in Strömen fließen. Ist das Vorurteilsgastronomie?<br />

Oder wie trinkt es sich eigentlich in dem Land, das so viele<br />

Kulturen kennt und das einen ewigen Kampf mit seinem<br />

Heiligen Geist führt, den andere auch den russischen Gott nennen?<br />

54


Illustrationen: Inga Israel<br />

55


HOW TO COCKTAIL<br />

BLOODY MARY<br />

Ein echter amerikanischer Sonntagsbrunch ist ohne sie ebenso undenkbar wie<br />

ein zünftiger Kater. Es ist schwer, einen wirklichen Archetyp dieses Drinks zu definieren,<br />

dessen Grundform vermutlich in den 1920er-Jahren in Paris entwickelt wurde.<br />

Aber genau das ist ja das Schöne an der Bloody Mary – alles ist erlaubt. Allein<br />

das arg antiquierte Selleriesalz sollte man doch lieber außen vor lassen.<br />

5 – 6 cl Vodka (gut ersetzbar durch Gin oder Aquavit)<br />

1 – 2 cl frischer Zitronensaft<br />

10 – 15 cl hochwertiger Tomatensaft<br />

ca. 1 BL Worcestershire-Sauce<br />

ca. 1 BL scharfe Würzsauce (z. B. Tabasco)<br />

frisch gemahlener schwarzer Pfeffer<br />

Meersalzflocken (oder ein anderes hochwertiges Salz)<br />

GLAS: Longdrink/Highball<br />

GARNITUR: z. B. Selleriestange, ausgelassener Bacon<br />

oder eine gekochte Garnele<br />

ZUBEREITUNG: Vodka und Säfte auf Eis in einem Rührglas vermischen.<br />

Nach Geschmack (in jedem Fall kräftig) mit den Gewürzen abschmecken<br />

und gründlich kaltrühren. Je nach Vorliebe »straight up« oder auf Eiswürfeln<br />

(oder gefrorenen Kirschtomaten) ins Glas abseihen und garnieren.<br />

Als weitere Gewürze, Aromate oder Garnituren bieten sich z. B. an: frisch<br />

geriebener Meerrettich, Beef Jerky, Sojasauce, Dill, Szechuanpfeffer, Cayenne-<br />

Pfeffer/getrocknete Chiliflocken, Harissa, Cornichons oder Austernsauce.<br />

Fotos: Constantin Falk, Drink-Design: Nils Wrage<br />

59


BACK TO BASICS<br />

KLÄR MICH MAL AUF!<br />

Auf ein Jahr des Handwerks! 20<strong>18</strong> beschäftigt sich unser Autor in seiner Rubrik<br />

mit einigen dringenden Fragen der alltäglichen Bar-Arbeit. Denn vieles, was grundlegend<br />

und selbstverständlich scheint, trägt Aspekte in sich, die mehr beachtet werden müssen.<br />

Den Anfang macht das – bestenfalls klare – »Gold des Bartenders«. Das Eis.<br />

Text Gabriel Daun<br />

Eine Warnung vorweg: Wenn Sie weiterlesen<br />

und sich im Anschluss dazu entschließen, die<br />

nun folgenden Informationen umzusetzen,<br />

wird es kein Zurück mehr geben. Ein Mehraufwand,<br />

der sich nicht mehr abschaffen lässt,<br />

wird dann auf Sie zukommen. Vertrauen Sie<br />

mir, ich weiß, wovon ich spreche. Es ist mir<br />

selbst passiert. Sie lesen ja immer noch! Na gut,<br />

dann soll es so sein ...<br />

Zum Auftakt der diesjährigen Back-to-Basics-<br />

Serie sprechen wir über Eis. Dabei soll es auf<br />

den nächsten Seiten natürlich nicht um Speiseeis<br />

gehen – auch wenn ein Soyer au Champagne<br />

eine wunderbare Sache ist, über diesen Drink<br />

reden wir vielleicht ein andermal! Heute gilt<br />

unser Interesse – so profan das auf den ersten,<br />

aber auch nur den ersten Blick anmuten mag –<br />

gefrorenem Wasser.<br />

Nicht umsonst spricht man von »Bartender’s<br />

Gold«, womit keineswegs gemeint ist, die großzügige<br />

Verwendung von Eis gründe auf einem<br />

geizigen Wesen. Dem ist nicht so!<br />

Die meisten Drinks verlangen nach Eis.<br />

Häufig sogar nach viel davon. Ein Julep ohne<br />

eine stattliche Menge Nugget oder Crushed<br />

Ice? Undenkbar! Und wer mir einen Longdrink<br />

auf nur zwei traurigen, angetauten Hohlkegeln<br />

serviert, kann sich sicher sein, mich<br />

nicht wiederzusehen. Die besten Drinks entstehen<br />

nur mit dem besten Eis. Wer ernsthaft<br />

kochen will, tritt dazu auch nicht mit einem<br />

antik anmutenden Zweiplattenkochfeld an,<br />

das nur noch halb funktioniert. Was Hitze in<br />

der Küche <strong>für</strong> so viele Gerichte ist, ist Kälte<br />

<strong>für</strong> die meisten Drinks an der Bar. Und da<strong>für</strong><br />

brauchen wir vor allem: Eis.<br />

Wie das Eis in den Cocktail kam<br />

Bereits in einem Artikel von 2016 in diesem<br />

<strong>Magazin</strong> berichtete ich davon, wie Eis zu einer<br />

der wichtigsten Zutaten in Drinks wurde. Die<br />

flächendeckende Verfügbarkeit von Eis nahm<br />

<strong>18</strong>06 mit Frederic Tudor ihren Anfang.<br />

Dieser hatte die revolutionäre Idee, mit gefrorenem<br />

Wasser Geld zu verdienen. Mit der<br />

Erfindung des Eispflugs Mitte der <strong>18</strong>20er-Jahre<br />

durch Tudors Freund Nathaniel Jarvis<br />

Wyeth wurde es ihm möglich, massive Eisblöcke<br />

aus zugefrorenen Seen zu schneiden, um<br />

diese anschließend zu verschiffen. Tudor »erntete«<br />

Eis auf den Gewässern Neu-Englands<br />

und verschiffte die Blöcke nach Kuba oder<br />

Martinique, aber auch in die Südstaaten der<br />

USA und später sogar bis nach Indien.<br />

Gekühlte Drinks. Was sich heute so selbstverständlich<br />

anhört, muss damals an vielen heißen<br />

Orten auf dem Erdball bahnbrechend gewesen<br />

sein. Ein Meilenstein in der Geschichte der<br />

Bar: Eis in jedem Drink war eine Revolution<br />

und erklärt, warum sich American Bars in<br />

der ganzen Welt verbreiteten. Mixed Drinks<br />

wurden plötzlich auf Eis serviert und machten<br />

dadurch, was den Genussaspekt betrifft,<br />

einen riesigen Satz nach vorn. Das Herabsetzen<br />

seiner Temperatur vermag die Wahrnehmung<br />

eines Drinks zu verändern. Kaum etwas<br />

erfrischt besser als der erste Schluck eines eiskalten<br />

Martini Cocktails nach einem langen<br />

Tag – und kaum etwas ist elender und schwieriger<br />

zu trinken als ein Martini knapp unter<br />

Zimmertemperatur! Doch Eis kühlt den Drink<br />

oder die Spirituose nicht nur: Das Schmelzwasser,<br />

das langsam und über einen längeren<br />

Zeitraum abgegeben wird, vermag eine Spirituose<br />

zu öffnen und ihre mitunter harten<br />

Kanten ein wenig zu glätten. Dabei verändert<br />

sich der Inhalt des Glases auch von Schluck zu<br />

Schluck und lässt ihn so zu einem spannenden<br />

und abwechslungsreichen Erlebnis werden.<br />

Aufgrund des flächendeckenden Aufkommens<br />

an Eiswürfelbereitern irgendwann im zweiten<br />

Drittel des 20. Jahrhunderts verschwanden die<br />

Eisblöcke aus Bars und Haushalten irgendwann<br />

in den 1950er-Jahren <strong>für</strong> längere Zeit von<br />

der Bildfläche. Zu aufwendig, zu unbequem!<br />

Wer Eis brauchte, konnte es fortan bequem aus<br />

einer Maschine entnehmen und dabei sollte es<br />

die nächsten 50 Jahre bleiben.<br />

Die Eisblock-Renaissance<br />

Seit einigen Jahren jedoch feiern der Eisblock<br />

und handgeschnittenes Eis ein Comeback.<br />

Das Japanese Bartending kultivierte mit stiller<br />

und bescheidener Zurückhaltung <strong>für</strong> sich<br />

selbst das individuelle Zuschneiden von Eis <strong>für</strong><br />

jeden Drink. Das hat einen einfachen Grund:<br />

Die meisten japanischen Bars besitzen wegen<br />

Platzmangels keine Eismaschine, sondern lassen<br />

sich das Eis täglich liefern. Die japanischen<br />

Bartender haben Handling und Bearbeitung<br />

des Eises zur Meisterschaft gebracht und zu<br />

einer Kunstform erhoben. Jeder Block und<br />

60<br />

Collage: Editienne


66<br />

MIXOLOGY<br />

TASTE FORUM<br />

20<strong>18</strong>


MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

EBONY & IVORY<br />

Text Peter Eichhorn<br />

Schwarz und Weiß sind die Farben des ersten MIXOLOGY<br />

TASTE FORUM im neuen Jahr. Oder Schwarz und Klar. Denn es<br />

geht um zwei urige Getränkegattungen, die doch beide derzeit<br />

reichlich Innovation erfahren. Vorhang auf <strong>für</strong> ein saftiges Herrengedeck<br />

aus Stout und Doppelkorn!<br />

Ein reiner Brand und ein dunkles, tiefschwarzes Bier stehen diesmal auf<br />

der Agenda <strong>für</strong> das <strong>Mixology</strong> Taste Forum (MTF). Der Trend, regionale<br />

und einheimische Produkte in verschiedensten Bereichen der Gastronomie<br />

stärker zu betonen und zu genießen, rückt auch die deutsche<br />

Traditionsspirituose Korn wieder stärker in den Fokus. Das MTF testet<br />

die höherprozentige Variante des Edel- oder auch Doppelkorns. Dabei<br />

kommen bewährte Traditionsmarken ebenso unter die Lupe wie aktuelle<br />

Craft-Produkte. In der zweiten Verkostungsrunde nehmen sich die<br />

MTF-Verkoster einen enorm vielfältigen und wintertauglichen Braustil<br />

vor – Stout. Stets röstmalzbetont mit Aromen von Kaffee und Schokolade,<br />

aber dennoch enorm vielfältig in Herstellung und Aroma.<br />

Von Korn zu Doppelkorn<br />

Wie dichtete und sang einst der große Alltagsphilosoph Heinz Erhardt:<br />

»Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn. Wenn ich dann<br />

noch traurig bin, trink ich noch ’n Korn … und wenn ich dann noch<br />

traurig bin, dann fang ich an von vorn!« Die Traurigkeit können wir<br />

<strong>für</strong> ein nächstes Glas Doppelkorn getrost außen vor lassen, denn das<br />

<strong>Mixology</strong> Taste Forum beweist, wie köstlich und abwechslungsreich<br />

die Qualitäten munden. Hier ist ein Destillat auf dem Weg vom altmodischen<br />

Stammtischbegleiter hin zu einem facettenreichen klaren Brand<br />

<strong>für</strong> elegante Bartresen. Zudem verfügt Doppelkorn über eine überraschend<br />

hohe Mixability.<br />

»Korn« muss laut Gesetzgeber über eine Alkoholstärke von 32 % Vol.<br />

verfügen (was darunter liegt, wird meist als »Klarer« verkauft). Ab 37,5 %<br />

Vol. darf »Kornbrand«, ab 38 % Vol. »Doppelkorn« oder »Edelkorn«<br />

als Bezeichnung auf den Etiketten stehen. Das Destillat muss aus dem<br />

vollen Korn von Weizen, Roggen, Gerste, Hafer oder Buchweizen stammen.<br />

Meist basieren die Produkte auf Roggen und Weizen. Für den Herstellungsprozess<br />

wichtig ist ein Anteil Malz, der aus der Gerste gewonnen<br />

wird. Aber der Anteil eines gemälzten Getreides darf nicht mehr<br />

als 25 % betragen. Einige Handwerksbrenner bringen mittlerweile auch<br />

wieder Spezialitäten wie Buchweizen oder Emmer ins Spiel, aber noch<br />

sind derlei Produkte selten. Das Süßen, Verschneiden oder Hinzufügen<br />

von Farbstoffen oder Aromen ist niemals zulässig.<br />

Illustration: Inga Israel<br />

67


Platz<br />

1<br />

Korn2Korn<br />

Preis (ca): € 29,99<br />

Herkunft: Haselünne<br />

Füllmenge: 0,7 l<br />

Hersteller: Berentzen Hof<br />

Destillerie Haselünne<br />

Alkoholgehalt: 38 % Vol.<br />

Vertrieb: Berentzen-Gruppe Aktiengesellschaft<br />

Die Traditionsmarke Berentzen wagt den Schritt<br />

ins Zeitalter der Craft-Spirituosen. In der Destille<br />

in Haselünne wird aus Bio-Zutaten ein eindrucksvoller<br />

Doppelkorn gebrannt. Opulent im Duft,<br />

ausgewogen und komplex am Gaumen. Anklänge<br />

von Malz, Blütenhonig, Frucht, Roggen und zarten<br />

Kräutern stimulieren vielfältig. Angenehmes Mundgefühl<br />

und charaktervolle, malzige Aromatik münden<br />

in einen langen Nachhall.<br />

68 MTF — <strong>Mixology</strong> Taste Forum


BrewDog Jet Black Heart<br />

Platz<br />

1<br />

Preis (ca): € 2,99<br />

Herkunft: Schottland<br />

Füllmenge: 0,33 l<br />

Hersteller: BrewDog PLC<br />

Alkoholgehalt: 4,7 % Vol.<br />

Vertrieb: Hamburg Beer Company<br />

Die extravagante Brauerei aus Schottland bringt ein<br />

herausragendes Milk Stout ins Glas. 2015 verkosteten<br />

BrewDog-Gäste Prototypen <strong>für</strong> mögliche neue Biere<br />

und stimmten ab, welches ins Sortiment aufgenommen<br />

werden sollte. Mit großer Mehrheit wurde das<br />

Bier gewählt, das nun als Jet Black Heart das Portfolio<br />

bereichert. Eingebraut mit Haferflocken, Vanille und<br />

Milchzucker und den Hopfensorten Magnum und<br />

Sorachi Ace. Das Bier ist angenehm trocken und<br />

opulent zugleich. Säure trifft perfekt balanciert auf<br />

Süße und Bittere. Dazu Röstaromen, Kaffee, Schokolade<br />

und Dörrobst. Süffig und komplex zugleich.<br />

Samuel Smith<br />

Organic Chocolate<br />

Stout<br />

Preis (ca): € 2,99<br />

Herkunft: Großbritannien<br />

Füllmenge: 0,355 l<br />

Hersteller: Samuel Smith’s<br />

Brewery<br />

Alkoholgehalt: 5,0 % Vol.<br />

Vertrieb: One Pint GmbH<br />

Die Samuel Smith Brewery aus<br />

Tadcaster in Großbritannien braut seit<br />

1758 zahlreiche Bierstile. Insbesondere<br />

ihrer Porter- und Stout-Varianten<br />

beeindrucken. Das Organic Chocolate<br />

Stout wird mit biologisch zertifi ziertem<br />

Kakao-Extrakt und Zuckerrohr gebraut.<br />

Ergebnis ist ein cremiges Mundgefühl,<br />

ein markanter Charakter mit Noten von<br />

Schokolade und einer herrlichen Süße.<br />

Schlank im Antrunk, entwickelt sich der<br />

Abgang herrlich opulent, trocken und<br />

beinahe etwas ölig. Wird es etwas wärmer,<br />

entfalten sich beerige und weinige Noten.<br />

Platz<br />

2<br />

72 MTF — <strong>Mixology</strong> Taste Forum


TITEL<br />

LA-LA-LAGERLAND<br />

Text Peter Eichhorn<br />

Eigentlich steht kein Wort so sehr <strong>für</strong> neutrale Plörren aus<br />

der Massenfertigung: Lager. Wenig Farbe, wenig Geschmack.<br />

Jahrelang fungierten die untergärigen Stile beinahe als<br />

Feindbild der jungen Brauszene. Doch das ändert sich – aufgrund<br />

eines detaillierteren Blicks in die Vergangenheit ebenso wie<br />

durch eine neue, progressive Sicht auf den Braustil selbst.<br />

Über den Groß-Bierstil, der noch immer der beste <strong>für</strong> die Bar ist.<br />

Was ist das eigentlich – ein »Lagerbier«? In<br />

den letzten Jahren haben doch die Fachleute<br />

eigentlich nur über Ales, Stouts und Sauerbiere<br />

gesprochen. Dennoch darf nicht übersehen<br />

werden, dass neun von zehn getrunkenen<br />

Bieren weltweit in die Kategorie »Lager« fallen.<br />

Eine deutsche Vokabel – ein internationaler<br />

Begriff. Was verbirgt sich dahinter? Sprachlich,<br />

historisch, aromatisch? Wir blicken auf industrielle,<br />

traditionelle und regionale Lagerbiere<br />

und auch darauf, wie die junge Generation der<br />

Kreativbrauer mit dem Bierstil umgeht.<br />

Es sollte ein Aprilscherz sein. James Watt und<br />

Martin Dickie, die Gründer der schottischen<br />

Kult-Brauerei BrewDog, gaben am 1. April 2013<br />

ein entschlossenes Statement ab und verkündeten<br />

ihr neues Bier: BrewDog Fake Lager.<br />

»Wir haben den Biermarkt in den vergangenen<br />

Jahren genau studiert und nun beschlossen,<br />

unsere bewährten Prinzipien über Bord<br />

zu werfen und alles, woran wir bisher geglaubt<br />

haben. Wir geben dem Markt, was er will: ein<br />

Bier <strong>für</strong> den kleinsten gemeinsamen Nenner.<br />

Wenn auch du dich identifizierst mit der<br />

geschmacklosen, herumhurenden Mittelmäßigkeit,<br />

dann ist dies das Bier <strong>für</strong> dich.«<br />

78<br />

Collage: Editienne


25°C<br />

14°C<br />

79


MIXOLOGY IM ABONNEMENT – ALLE 2 MONATE 100% BAR<br />

MIXOLOGY.EU/ABONNEMENT

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