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Masterthesis - Notfallseelsorge in Deutschland

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Evangelische Hochschule Ludwigsburg und<br />

Pädagogische Hochschule Ludwigsburg<br />

<strong>Masterthesis</strong><br />

E<strong>in</strong>gereicht im Studiengang Master Religionspädagogik<br />

„Du bist nicht alle<strong>in</strong>“ - Der Beitrag der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit zur Unterstützung<br />

von Menschen <strong>in</strong> Krisensituationen<br />

Begleitender Dozent und E<strong>in</strong>gereicht von:<br />

Erstprüfer: Dr. Manfred Rohloff Nadescha Arnold<br />

Robert-Boehr<strong>in</strong>ger-Str. 7<br />

Zweitprüfer: Prof. Dr. Siegfried Zimmer 71364 W<strong>in</strong>nenden<br />

W<strong>in</strong>nenden, im Dezember 2009


Nichts trennt uns<br />

Ich kehre zurück an die Orte,<br />

wo wir uns begegnet s<strong>in</strong>d,<br />

und du bist wieder da.<br />

Ich gehe die Wege,<br />

die du gegangen bist,<br />

du gehst wieder mit mir.<br />

Ich freue mich an dem,<br />

was dich weiterh<strong>in</strong> erfreut hätte,<br />

ich sehe dich mitlächeln.<br />

Ich gehe den Spuren nach,<br />

die du h<strong>in</strong>terlassen hast,<br />

und begegne dir immer wieder.<br />

Nichts kann uns trennen,<br />

wenn uns so viel verb<strong>in</strong>det.<br />

Klaus Huber 1<br />

1 Klaus Huber, <strong>in</strong>: Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> e.V., 2004, S. 20.<br />

2


Vorwort<br />

„Der 11. März ist unser 11. September“ stand auf e<strong>in</strong>em Plakat geschrieben, das vor der<br />

Albertville-Realschule abgelegt wurde.<br />

In der Tat ist der 11. März 2009 e<strong>in</strong> Datum, an dem sich für viele Menschen ihr Leben<br />

e<strong>in</strong>schneidend und maßgeblich verändert hat. Das gilt auch für mich.<br />

An diesem Tag stürmte e<strong>in</strong> 17-Jähriger morgens <strong>in</strong>s se<strong>in</strong>e ehemalige Schule, die<br />

Albertville-Realschule, an der er im Sommer 2008 se<strong>in</strong>en Abschluss gemacht hatte. Er<br />

tötete dabei wahllos drei Lehrer<strong>in</strong>nen, acht Schüler<strong>in</strong>nen und e<strong>in</strong>en Schüler. Auf se<strong>in</strong>er<br />

anschließenden Flucht nahm er nochmals drei Männern und schlussendlich sich selbst<br />

das Leben.<br />

E<strong>in</strong> zutiefst grausames Ereignis, auf das W<strong>in</strong>nenden immer noch fassungslos<br />

zurückblickt. Das e<strong>in</strong>zige was bleibt, ist die Frage nach dem „Warum?“ dieser s<strong>in</strong>nlosen,<br />

schockierenden und unfassbaren Tat.<br />

Me<strong>in</strong>e persönliche Betroffenheit liegt dar<strong>in</strong>, dass ich <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden aufgewachsen und<br />

bis zum Abitur zur Schule gegangen b<strong>in</strong>. Auch mit Beg<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>es Studiums habe ich<br />

me<strong>in</strong>en Wohnort nicht gewechselt, so dass ich immer noch <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden wohne und <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>er Freizeit ehrenamtlich im CVJM tätig b<strong>in</strong>, der wiederum auch regelmäßig<br />

Projekte <strong>in</strong> Kooperation mit den beiden Gymnasien und Realschulen durchführt.<br />

Am Tag des Geschehens war ich selber gar nicht <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden, sondern <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />

Tätigkeit als Jugendreferent<strong>in</strong> auf 3-tägiger Fortbildung <strong>in</strong> Le<strong>in</strong>felden. Als me<strong>in</strong><br />

Kollege und ich von der leitenden Referent<strong>in</strong>, die wusste, dass wir aus W<strong>in</strong>nenden<br />

kommen, über den Amoklauf <strong>in</strong>formiert wurden, machten wir uns relativ zügig auf den<br />

Heimweg. Unterwegs herrschte im Auto e<strong>in</strong>e erschreckende Stille. Me<strong>in</strong>e Gedanken –<br />

immer noch an der Realität der Nachricht zweifelnd - kreisten jedoch zirkulär<br />

vordergründig um 2 Fragen:<br />

1. Ist auch e<strong>in</strong> Jugendlicher aus de<strong>in</strong>er Jugendarbeit unter den Opfern? Oder e<strong>in</strong> Lehrer,<br />

den du kennst?<br />

2. Wie wird es jetzt nur weitergehen?<br />

In W<strong>in</strong>nenden angekommen, meldeten wir uns <strong>in</strong> der Stadthalle, <strong>in</strong> der schon direkt<br />

nach der Tat e<strong>in</strong> Krisenzentrum e<strong>in</strong>gerichtet wurde. Dort standen unter anderem<br />

Psychologen, Polizisten und <strong>Notfallseelsorge</strong>r als Ansprechpartner zur Verfügung. Und<br />

3


hierher konnten besorgte Eltern, hilflose Lehrer und betroffene Schüler kommen, um<br />

Informationen oder Hilfe zu erhalten. Dieses Krisenzentrum ist bis heute – mittlerweile<br />

aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>eren Version <strong>in</strong> Conta<strong>in</strong>ern – neben der Stadthalle e<strong>in</strong>gerichtet.<br />

In dem Moment, als ich mich <strong>in</strong> die Stadthalle begeben habe, um mich dort freiwillig<br />

als Ansprechpartner<strong>in</strong> anzubieten, habe ich mir nicht überlegt, ob ich dafür eigentlich<br />

geeignet b<strong>in</strong>. Oder ob ich dem Ganzen überhaupt gewachsen b<strong>in</strong>. Was das <strong>in</strong> mir<br />

auslösen könnte? Primär hatte ich nur im S<strong>in</strong>n, dorth<strong>in</strong> zu müssen, um hauptsächlich <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie für Jugendliche e<strong>in</strong>fach nur da zu se<strong>in</strong>.<br />

Da es aus der Not heraus begrüßt wurde, so viele Helfer und Betreuungspersonen wie<br />

nur möglich zu haben, wurde ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Team e<strong>in</strong>geteilt, dass aus Personen aus der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, dem Notfallnachsorgedienst und der Krisen<strong>in</strong>tervention der Polizei<br />

bestand. Zwei Tage lang stand ich dafür <strong>in</strong> der Stadthalle zur Verfügung.<br />

E<strong>in</strong> paar Tage später begann dann die Betreuung der e<strong>in</strong>zelnen Klassenstufen <strong>in</strong><br />

verschiedenen Räumlichkeiten – verstreut über ganz W<strong>in</strong>nenden und se<strong>in</strong>e Teilorte. Zu<br />

diesem Zeitpunkt war ich <strong>in</strong> der Betreuung für die Klassenstufe 10 tätig, die über e<strong>in</strong>en<br />

Zeitraum von zehn Tagen durchgeführt wurde.<br />

Sowohl während der Versorgung <strong>in</strong> der Stadthalle, als auch während der Betreuung der<br />

e<strong>in</strong>zelnen Klassenstufen, habe ich <strong>Notfallseelsorge</strong>r kennen gelernt und mit ihnen<br />

zusammen gearbeitet. Ich durfte die Arbeit der <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> dieser Zeit<br />

„hautnah“ miterleben und spüren, wie wichtig ihre Anwesenheit für die Betroffenen war.<br />

Erst e<strong>in</strong>ige Wochen danach habe ich mich erstmals darüber gewundert, dass ich noch<br />

nie etwas von der <strong>Notfallseelsorge</strong> gehört hatte. Weder im medialen Alltag, noch <strong>in</strong> der<br />

Ausbildung zur Diakon<strong>in</strong>.<br />

Berührt und erfüllt durch diese Erfahrungen <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden, habe ich im Internet das<br />

Arbeitsfeld der <strong>Notfallseelsorge</strong> recherchiert, weil ich mehr darüber wissen wollte.<br />

Schlussendlich und nach e<strong>in</strong>igen Abwägungen, habe ich mich auch dazu entschlossen,<br />

im Anschluss an me<strong>in</strong> Studium, die Ausbildung zur <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong> aufzunehmen.<br />

Und so kam es, dass bei den Überlegungen zum Thema me<strong>in</strong>er <strong>Masterthesis</strong> daraus das<br />

Interesse entstand, mich mit dieser Thematik und dieser Arbeit noch <strong>in</strong>tensiver und<br />

tiefgründiger ause<strong>in</strong>andersetzen zu wollen, zumal die <strong>Notfallseelsorge</strong> auch <strong>in</strong> den<br />

Medien eher selten ersche<strong>in</strong>t. Zum<strong>in</strong>dest habe ich sie dort bis dah<strong>in</strong>, wenn überhaupt,<br />

nur am Rande wahrgenommen.<br />

4


In der Regel zielt die Presse darauf ab, möglichst viele „Orig<strong>in</strong>altöne“ und damit<br />

e<strong>in</strong>hergehend auch viel Sensation darzubieten. Nachrichten von solchen grausamen<br />

Taten sollen die Menschen auf der ganzen Welt schockieren und vielleicht auch e<strong>in</strong><br />

wenig den Tabubereich der Themen Tod, Sterben und Trauer verlassen. Aber häufig<br />

wird wenig darüber berichtet, welche Maßnahmen und Institutionen nach e<strong>in</strong>em so<br />

schrecklichen Ereignis Hilfe und Unterstützung br<strong>in</strong>gen. Deshalb geraten die Personen,<br />

die h<strong>in</strong>ter den Kulissen e<strong>in</strong>e so immens wichtige Arbeit leisten, wie zum Beispiel auch<br />

die <strong>Notfallseelsorge</strong>, leider allzu häufig <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund, weil sie nicht im<br />

Rampenlicht stehen und weil diese Arbeit kaum publik gemacht wird.<br />

Aus diesen Gründen habe ich mich dafür entschieden, mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er <strong>Masterthesis</strong> mit<br />

dem kirchlichen Arbeitsfeld „<strong>Notfallseelsorge</strong>“ ause<strong>in</strong>anderzusetzen und b<strong>in</strong> mit viel<br />

Interesse und Neugier an die spannende Thematik herangetreten.<br />

5


Inhaltsverzeichnis<br />

0. EINLEITUNG ............................................................................................................................... 10<br />

1. GESCHICHTE DER SEELSORGE ........................................................................................... 14<br />

1.1 BEGRIFFSDEFINITION............................................................................................................... 14<br />

1.2 SEELSORGE IN DER BIBEL........................................................................................................ 15<br />

1.3 SEELSORGE IN DER ALTEN KIRCHE ......................................................................................... 16<br />

1.4 SEELSORGE IM MITTELALTER.................................................................................................. 17<br />

1.5 SEELSORGE IM ZEITALTER DER REFORMATION BIS HIN ZUM PIETISMUS.................................. 17<br />

1.6 SEELSORGE VON DER AUFKLÄRUNG BIS INS 20. JAHRHUNDERT.............................................. 19<br />

1.7 DIE SEELSORGERLICHE KIRCHE IM 21. JAHRHUNDERT ............................................................ 22<br />

2. DIE NOTFALLSEELSORGE ..................................................................................................... 24<br />

2.1 DIE ENTSTEHUNG DER NOTFALLSEELSORGE........................................................................... 24<br />

2.2 GRUNDLEGENDE THESEN ........................................................................................................ 26<br />

2.2.1 Die Kasseler Thesen von 1997........................................................................................... 26<br />

2.2.2 Die Hamburger Thesen von 2007 ...................................................................................... 27<br />

2.3 DAS SELBSTVERSTÄNDNIS DER ARBEIT .................................................................................. 28<br />

2.4 DAS LOGO DER NOTFALLSEELSORGE ...................................................................................... 29<br />

2.5 DIE ORGANISATIONSSTRUKTUR DER NOTFALLSEELSORGE ..................................................... 30<br />

2.6 FINANZIERUNG........................................................................................................................ 33<br />

3. THEOLOGISCHE GRUNDLEGUNGEN DER (NOTFALL-) SEELSORGE....................... 34<br />

3.1 DIE RELIGIÖSE DIMENSION DER SEELSORGE ........................................................................... 34<br />

3.1.1 Seelsorge als Gottesbegegnung und Praxis des Evangeliums ........................................... 34<br />

3.1.2 Theologische Begründung.................................................................................................. 36<br />

3.1.3 Theologische Begleitung.................................................................................................... 40<br />

3.1.4 Theologische Verteidigung ................................................................................................ 41<br />

3.1.5 Die Theodizee – Frage....................................................................................................... 43<br />

3.2 MÖGLICHKEITEN DES UMGANGS MIT BIBLISCHEN TEXTEN ..................................................... 44<br />

3.2.1 Psalm 23 ............................................................................................................................ 44<br />

3.2.2 E<strong>in</strong>e Meditation des Vater Unsers ..................................................................................... 46<br />

3.3 ZUR PASTORALTHEOLOGIE DER NOTFALLSEELSORGE............................................................. 52<br />

3.3.1 Pr<strong>in</strong>zip der Kooperation .................................................................................................... 52<br />

3.3.2 Pr<strong>in</strong>zip der Sicherstellung zuverlässiger Erreichbarkeit ................................................... 52<br />

3.3.3 Pr<strong>in</strong>zip der Geme<strong>in</strong>debezogenheit und Ökumenizität ........................................................ 52<br />

3.3.4 Pr<strong>in</strong>zip der Freiwilligkeit................................................................................................... 52<br />

3.3.5 Pr<strong>in</strong>zip der Professionalität der <strong>Notfallseelsorge</strong>.............................................................. 53<br />

6


4. TOD UND TRAUER – WAS SIE IN MENSCHEN AUSLÖSEN. ........................................... 54<br />

4.1 DER TOD ALS TABUTHEMA IN UNSERER GESELLSCHAFT......................................................... 54<br />

4.2 DER TRAUERPROZESS.............................................................................................................. 55<br />

4.3 DIE TRAUERPHASEN................................................................................................................ 56<br />

4.3.1 Die Schockphase ................................................................................................................ 56<br />

4.3.2 Die kontrollierte Phase ...................................................................................................... 56<br />

4.3.3 Die regressive Phase.......................................................................................................... 56<br />

4.3.4 Die adaptive Phase ............................................................................................................ 57<br />

4.4 DIE TRAUERAUFGABEN........................................................................................................... 57<br />

4.4.1 Erste Aufgabe: den Verlust als Realität akzeptieren.......................................................... 57<br />

4.4.2 Zweite Aufgabe: den Trauerschmerz erfahren................................................................... 58<br />

4.4.3 Dritte Aufgabe: sich anpassen an e<strong>in</strong>e Umwelt, <strong>in</strong> der der Verstorbene fehlt. .................. 58<br />

4.4.4 Vierte Aufgabe: dem Toten e<strong>in</strong>en neuen Platz zuweisen und sich dem eigenen Leben<br />

zuwenden............................................................................................................................ 59<br />

4.5 NOTFALLSEELSORGE UND TRAUER ......................................................................................... 59<br />

5. VORSTELLUNG DER FORSCHUNGSMETHODE ............................................................... 60<br />

5.1 DIE BEFRAGUNG IN DER EMPIRISCHEN SOZIALFORSCHUNG .................................................... 60<br />

5.2 DAS EXPERTENINTERVIEW ...................................................................................................... 60<br />

5.3 DER INTERVIEWLEITFADEN ..................................................................................................... 61<br />

5.4 DIE VORGEHENSWEISE BIS ZUR DURCHFÜHRUNG DER INTERVIEWS........................................ 62<br />

5.5 TRANSKRIPTION UND AUSWERTUNG ....................................................................................... 62<br />

6. DIE INTERVIEWPARTNER UND IHRE AUFGABEN.......................................................... 63<br />

6.1 HANJO VON WIETERSHEIM ...................................................................................................... 63<br />

6.2 SEBASTIAN BERGHAUS............................................................................................................ 63<br />

6.3 FRIEDMAR PROBST.................................................................................................................. 64<br />

6.4 JOACHIM MÜLLER-LANGE....................................................................................................... 65<br />

7. NOTFALLSEELSORGE IN DER PRAXIS............................................................................... 66<br />

7.1 DER NOTFALLSEELSORGER ..................................................................................................... 66<br />

7.1.1 Zur Gew<strong>in</strong>nung von <strong>Notfallseelsorge</strong>rn ............................................................................. 66<br />

7.1.2 Eignung und Kompetenzen................................................................................................. 67<br />

7.1.3 Ausbildung und Fortbildung .............................................................................................. 69<br />

7.1.4 Supervision für die Psychohygiene .................................................................................... 71<br />

7.1.5 Rechtliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen ........................................................................................ 72<br />

7.1.6 Wie <strong>Notfallseelsorge</strong>r ihre Arbeit sehen ............................................................................ 75<br />

7


7.2 DIE ARBEIT IN EXTREMSITUATIONEN...................................................................................... 77<br />

7.2.1 Rufbereitschaft und Alarmierung....................................................................................... 77<br />

7.2.2 Innerhäusliche E<strong>in</strong>sätze ..................................................................................................... 79<br />

7.2.3 Außerhäusliche E<strong>in</strong>sätze.................................................................................................... 82<br />

7.2.4 Der Materialrucksack e<strong>in</strong>es <strong>Notfallseelsorge</strong>rs................................................................. 86<br />

7.3 DIE AUFGABEN DER NOTFALLSEELSORGE............................................................................... 87<br />

7.3.1 Erwartungen und Wünsche an die <strong>Notfallseelsorge</strong> .......................................................... 87<br />

7.3.2 Das seelsorgerliche Gespräch ........................................................................................... 88<br />

7.3.3 Rituale................................................................................................................................ 89<br />

7.3.4 Betreuung von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen......................................................................... 90<br />

7.3.5 Umgang mit anderen Religionen und Kulturen ................................................................. 91<br />

7.3.6 E<strong>in</strong>satznachsorge ............................................................................................................... 92<br />

7.3.7 Was kann und will die <strong>Notfallseelsorge</strong> nicht leisten?....................................................... 94<br />

7.4 EVALUATION UND QUALITÄTSSICHERUNG.............................................................................. 95<br />

7.5 DIE NOTFALLSEELSORGE DER ZUKUNFT ................................................................................. 96<br />

8. NOTFALLSEELSORGE – EINE AUFGABE DER KIRCHE?............................................... 98<br />

8.1 DAS KIRCHLICHE SELBSTVERSTÄNDNIS .................................................................................. 98<br />

8.2 HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE SEELSORGE IN DER HEUTIGEN GESELLSCHAFT ................... 100<br />

8.3 CHANCEN UND GRENZEN VON NOTFALLSEELSORGE ALS AUFGABE DER KIRCHE ................. 102<br />

8.4 NOTFALLSEELSORGE IN ABGRENZUNG ZU NICHTKIRCHLICHEN ORGANISATIONEN ............... 104<br />

9. PERSÖNLICHES FAZIT .......................................................................................................... 105<br />

10. EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG DER VERFASSERIN................................................ 107<br />

11. LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................................... 108<br />

12. ANHANG..................................................................................................................................... 114<br />

12.1 DIE KASSELER THESEN VON 1997......................................................................................... 114<br />

12.2 DIE HAMBURGER THESEN VON 2007..................................................................................... 116<br />

12.3 DER INTERVIEWLEITFADEN ................................................................................................... 120<br />

12.4 INTERVIEW MIT HANJO VON WIETERSHEIM........................................................................... 121<br />

12.5 INTERVIEW MIT SEBASTIAN BERGHAUS ................................................................................ 138<br />

12.6 INTERVIEW MIT FRIEDMAR PROBST....................................................................................... 156<br />

12.7 INTERVIEW MIT JOACHIM MÜLLER-LANGE ........................................................................... 173<br />

8


Abkürzungsverzeichnis<br />

AT Altes Testament<br />

BBK Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />

CISM Critical Incident Stress Management<br />

DRK Deutsches Rotes Kreuz<br />

Dtn Deuteronomium (5. Buch Mose)<br />

EKD Evangelische Kirche <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Ex Exodus (2. Buch Mose)<br />

FW Feuerwehr<br />

Hes Hesekiel<br />

Jer Jeremia<br />

Jes Jesaja<br />

Joh Johannes<br />

KEN Konferenz Evangelischer <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

KIT Krisen<strong>in</strong>terventionsteam<br />

Kön Könige<br />

Lk Lukas<br />

Mt Matthäus<br />

NFS <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

NND Notfallnachsorgedienst<br />

NT Neues Testament<br />

Ps Psalmen<br />

PSNV Psychosoziale Notfallversorgung<br />

RD Rettungsdienst<br />

SBE Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen<br />

UE Unterrichtse<strong>in</strong>heit<br />

9


0. E<strong>in</strong>leitung<br />

Schockierende Nachrichten s<strong>in</strong>d aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Hier e<strong>in</strong><br />

schlimmer Verkehrsunfall mit getöteten Menschen, dort e<strong>in</strong> Amoklauf mit vielen<br />

Opfern, nebenan e<strong>in</strong> plötzlicher Todesfall und wieder woanders e<strong>in</strong>e Katastrophe mit<br />

verheerenden Folgen. Es ist jedoch die Frage, ob solche Nachrichten <strong>in</strong> den Medien nur<br />

aus Gründen der Information übermittelt werden oder ob noch andere Absichten<br />

dah<strong>in</strong>ter stecken.<br />

Und wie werden diese Nachrichten <strong>in</strong> unserer Gesellschaft aufgenommen? Sie<br />

schockieren. Das steht außer Frage. Aber <strong>in</strong> der Regel geraten sie auch ganz schnell<br />

wieder <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund und <strong>in</strong> Vergessenheit, sofern ke<strong>in</strong>e persönliche Betroffenheit<br />

vorliegt. Unsere Gesellschaft reagiert auf diese Schicksale häufig ablehnend und mit<br />

verschlossenen Augen, weil sie dieses Leid nicht ertragen können und von e<strong>in</strong>er<br />

Unsicherheit und Angst im Umgang damit geplagt werden. Außerdem s<strong>in</strong>d<br />

Unglücksfälle, unabhängig ihres Ausmaßes, im Normalfall immer ganz weit weg und<br />

betreffen nur „die Anderen“. E<strong>in</strong> Grund, warum sie sich nicht weiter damit beschäftigen<br />

müssen.<br />

Es gibt aber Menschen, die sich mit genau denjenigen befassen, denen e<strong>in</strong> solches<br />

Schicksal widerfahren ist. Das ist neben den E<strong>in</strong>satzkräften <strong>in</strong>sbesondere die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>. Menschen, die sich Zeit nehmen, Beistand leisten und ihre Hilfe<br />

anbieten. Vielen Menschen ist es <strong>in</strong> der Regel pe<strong>in</strong>lich, wenn sie Hilfe <strong>in</strong> Anspruch<br />

nehmen müssen. Aber Personen, die unter Schock stehen, weil ihr Leben von e<strong>in</strong>er<br />

Sekunde auf die andere nicht mehr das ist was es e<strong>in</strong>mal war und weil nun alles erstmal<br />

<strong>in</strong> Frage gestellt wird, s<strong>in</strong>d im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> oft froh darüber, dass <strong>in</strong> diesem Moment<br />

jemand da war, der diese Hilflosigkeit mit ausgehalten hat.<br />

Deshalb möchte ich mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er <strong>Masterthesis</strong> mit der Arbeit der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

beschäftigen. Es geht dabei nicht um langfristige Betreuungsmöglichkeiten oder<br />

Therapieformen, sondern um lebensnotwendige Hilfe und menschlichen Beistand, die<br />

Menschen <strong>in</strong> akuten Notsituationen zuteil werden.<br />

Natürlich b<strong>in</strong> ich mir darüber bewusst, dass dies ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Thema ist und<br />

selbstverständlich die eigene Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Themen Sterben, Tod und<br />

Trauer ebenso erforderlich ist, wie auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Diskussion zur E<strong>in</strong>stellung von<br />

Katastrophen mit menschlichem Leid ihren Platz f<strong>in</strong>den wird. Aber ich hoffe, dass es<br />

10


mir dennoch gel<strong>in</strong>gt, die Arbeit der <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vielfalt zu beleuchten und<br />

zum Ausdruck zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Das Ziel me<strong>in</strong>er <strong>Masterthesis</strong> ist, die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> all se<strong>in</strong>en Facetten vorzustellen<br />

und dabei drei Fragestellungen zu beantworten:<br />

1. Was bedeutet es <strong>in</strong> der Akutphase für Betroffene, mit dem Tod e<strong>in</strong>es nahe stehenden<br />

Menschen oder e<strong>in</strong>er erlebten Notsituation umgehen zu müssen? Und was benötigen<br />

sie zur Bewältigung und Verarbeitung?<br />

2. Welche Aufgaben hat die <strong>Notfallseelsorge</strong> bei der Arbeit <strong>in</strong> Extremsituationen?<br />

3. Welche Chancen und Grenzen hat die <strong>Notfallseelsorge</strong> als e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche?<br />

Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, habe ich mich für qualitative<br />

Experten<strong>in</strong>terviews anhand e<strong>in</strong>es Leitfadens entschieden, weil ich dadurch die<br />

Situationen und Prozesse besser verstehen kann. Die Fragen me<strong>in</strong>er Interviews geben<br />

deshalb e<strong>in</strong>e bestimmte Richtung vor und s<strong>in</strong>d bei allen Interviews nahezu gleich<br />

gestellt worden, wobei sie trotz allem Handlungsspielraum für Exkurse und tief<br />

greifende Erklärungen offen lassen.<br />

Insgesamt habe ich vier Interviews mit <strong>Notfallseelsorge</strong>rn geführt. Das erste davon mit<br />

Hanjo von Wietersheim, der die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit maßgeblich mit <strong>in</strong>itiiert und<br />

geprägt hat und heute Koord<strong>in</strong>ator der <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppe im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen<br />

ist. E<strong>in</strong>en Tag später habe ich mich mit Sebastian Berghaus getroffen. Er ist<br />

Landespolizeipfarrer und als Beauftragter für die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der Evangelischen<br />

Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg zuständig. Das dritte Interview habe ich mit Friedmar<br />

Probst geführt, der sich im Rems-Murr-Kreis um die <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppe Süd<br />

kümmert. Und abschließend kam das Interview mit Joachim Müller-Lange –<br />

Beauftragter für die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der Evangelischen Landeskirche im Rhe<strong>in</strong>land<br />

und Herausgeber des „Handbuch <strong>Notfallseelsorge</strong>“.<br />

Natürlich basieren die Ergebnisse der Befragung nur auf e<strong>in</strong> paar wenigen, aber dafür<br />

qualitativer und tief greifender Interviews, die selbstverständlich nicht zu 100%<br />

deckungsgleich stellvertretend für alle <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen <strong>in</strong> ganz <strong>Deutschland</strong><br />

stehen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich darauf h<strong>in</strong>weisen, dass me<strong>in</strong>e<br />

geführten Interviews nur e<strong>in</strong>en Teil des Ganzen ausmachen und nicht ohne Weiteres<br />

grundlegend auf alle <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen <strong>in</strong> allen Landeskirchen bundesweit<br />

übertragen werden können.<br />

11


Me<strong>in</strong>e <strong>Masterthesis</strong> ist <strong>in</strong> acht Kapitel gegliedert, wobei die ersten fünf Kapitel<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und Grundlagen abstecken, während sich die Kapitel sechs bis<br />

acht um die konkrete <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit bemühen.<br />

Im ersten Kapitel geht es um die geschichtliche Entwicklung der Seelsorge im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en. Nach e<strong>in</strong>er kurzen Begriffsdef<strong>in</strong>ition, wird der Wandel der Seelsorge mit<br />

allen se<strong>in</strong>en Besonderheiten, ausgehend von der Seelsorge <strong>in</strong> der Bibel bis h<strong>in</strong> <strong>in</strong>s 21.<br />

Jahrhundert beschrieben. E<strong>in</strong> großer Sprung mit e<strong>in</strong> paar tausend Jahren dazwischen<br />

beschränken die Erklärungen auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum. Deshalb werden die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Zeitepochen wirklich nur sehr knapp gehalten und auf die wichtigsten Charakteristika<br />

e<strong>in</strong>gegrenzt.<br />

Das zweite Kapitel befasst sich mit den Grundlagen der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit. Dazu<br />

gehört zunächst e<strong>in</strong>e Beschreibung von der Entstehung und geschichtlichen<br />

Entwicklung dieses Arbeitsfeldes. Darüber h<strong>in</strong>aus werden aber auch die grundlegenden<br />

Thesen, das Selbstverständnis und die Organisationsstruktur erläutert, um zu verstehen,<br />

wie und wo die Arbeit e<strong>in</strong>gebettet ist.<br />

Als e<strong>in</strong> Tätigkeitsfeld der Kirche bedarf es auch e<strong>in</strong>es Bezugs zur Theologie. Aufgrund<br />

dessen wird das dritte Kapitel die theologische Begründung der <strong>Notfallseelsorge</strong> und<br />

verschiedene Umgangsmöglichkeiten mit biblischen Texten enthalten.<br />

Kapitel vier befasst sich mit Reaktionen von Menschen, die den Tod e<strong>in</strong>es Angehörigen<br />

verkraften müssen. Der Tod als Tabuthema und die darauf folgenden Trauerphasen s<strong>in</strong>d<br />

bedeutend im Leben e<strong>in</strong>es jeden Menschen und haben E<strong>in</strong>fluss auf dessen weiteren<br />

Lebenslauf. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie die e<strong>in</strong>zelnen Phasen konkret<br />

verlaufen.<br />

Nachdem ich dann <strong>in</strong> den Kapiteln fünf und sechs die Forschungsmethode und me<strong>in</strong>e<br />

Interviewpartner vorgestellt habe, widme ich mich im siebten Kapitel der Praxis der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit. Untergliedert <strong>in</strong> drei wesentliche Abschnitte, beschreibe ich<br />

zunächst den <strong>Notfallseelsorge</strong>r als Person, bevor ich deren E<strong>in</strong>satzorte und Aufgaben<br />

näher beleuchten werde. Abschließend versuche ich über die Evaluation der Arbeit<br />

e<strong>in</strong>en Ausblick <strong>in</strong> die Zukunft zu geben.<br />

12


Das letzte Kapitel beschäftigt sich dann komplett damit, welche Chancen und Grenzen<br />

die <strong>Notfallseelsorge</strong> als spezifische Aufgabe der Kirche hat. Wie sie sich zu anderen<br />

Hilfsorganisationen abgrenzt und welche speziell christlichen Angebote sie auszeichnet.<br />

Re<strong>in</strong> formell habe ich der E<strong>in</strong>fachheit wegen und aufgrund der besseren Lesbarkeit <strong>in</strong><br />

der Regel durchgehend jeweils die männliche Form der angesprochenen Personenkreise<br />

gewählt. Leider gibt es <strong>in</strong> der deutschen Sprache nur wenig geschlechtsneutrale Begriffe<br />

und ich wollte Doppelungen, Wortneubildungen oder Schrägstriche vermeiden. Es s<strong>in</strong>d<br />

deshalb immer jeweils beide Geschlechter geme<strong>in</strong>t und so dürfen sich dementsprechend,<br />

sowohl Männer als auch Frauen gleichermaßen angesprochen fühlen.<br />

13


1. Geschichte der Seelsorge<br />

1.1 Begriffsdef<strong>in</strong>ition<br />

Der Sprachgebrauch des Begriffs „Seelsorge“ ist nicht e<strong>in</strong>heitlich. 2 Der Duden<br />

beschreibt das Wort „Seelsorge“ als geistliche Beratung und Hilfe <strong>in</strong> wichtigen<br />

Lebensfragen. 3 Das heutige Wort ist säkularen Ursprungs. 4<br />

Der früheste Beleg für diesen Begriff f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Platos Apologie 5 – e<strong>in</strong>er Philosophie,<br />

die sich selbst als Seelsorge versteht. Hier ermahnt Sokrates se<strong>in</strong>e Mitmenschen, sich<br />

anstatt um Besitz, Ehre und Ruhm zu kümmern, mehr um ihre eigene Seele zu sorgen.<br />

Denn die Sorge für den Leib und die Sorge für die Seele werden unterschieden. Im<br />

Gegensatz zum Leib ist die Seele unsterblich und bedarf deshalb der Erziehung, der<br />

Pflege und der Vervollkommnung. 6<br />

Dieses sokratische „Gnothi seauton“ (Erkenne dich selbst) ist somit Teil der Bemühung,<br />

die Menschen zur Selbstprüfung zu bewegen, damit sie sich über die leiblichen Belange<br />

h<strong>in</strong>aus, auch um E<strong>in</strong>sicht und Wahrheit kümmern, um den bestmöglichen Zustand ihrer<br />

Seelen zu erlangen. Denn e<strong>in</strong> Leben, das nicht mit Sorge um die Seele gelebt wird, wird<br />

nicht als lebenswert betrachtet. 7<br />

Der Begriff „Seelsorge“ ist somit also ke<strong>in</strong> biblischer, obwohl die „Wendung des Paulus,<br />

er trage Sorge […] für alle Geme<strong>in</strong>den […], ihm nahe kommt. Die Kirche <strong>in</strong> ihrer<br />

Existenzform, als Leib Christi ist daran zu erkennen, daß die Glieder füre<strong>in</strong>ander<br />

sorgen“. 8<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Geschichte der Seelsorge nicht erst mit<br />

Beg<strong>in</strong>n des biblischen Christentums anfängt und nicht an den Grenzen christlicher<br />

Konfessionen und Denom<strong>in</strong>ationen endet. Vielmehr ist Seelsorge e<strong>in</strong> Phänomen<br />

menschlicher Kommunikation und dadurch auch ebenso wie diese, sowohl zeit- als<br />

auch situationsabhängig. Das heißt, überall wo Menschen bewusst aufe<strong>in</strong>ander treffen<br />

und mite<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>en Umgang pflegen, wird sich Seelsorge <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form<br />

ereignen, ob sie für andere wahrnehmbar ist oder nicht. 9<br />

2 Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1110.<br />

3 Vgl. Wissenschaftlicher Rat, 1989, S. 1378.<br />

4 Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1110.<br />

5 Vgl. Steiger, <strong>in</strong>: Müller, 2000, S. 8.<br />

6 Vgl. Stollberg, <strong>in</strong>: Fahlbusch/ Lochmann/ Mbiti/ Pelikan/ Vischer, 1996, S. 173.<br />

7 Vgl. Möller, 1994, S. 9.<br />

8 Müller, 2000, S. 8.<br />

9 Vgl. Ziemer, 2008, S. 41.<br />

14


1.2 Seelsorge <strong>in</strong> der Bibel<br />

Die christliche Seelsorge hat ihren Ursprung der Sache nach und nicht dem Begriff nach<br />

<strong>in</strong> der biblischen Überlieferung. Sie begründet sich im Gottesverständnis, 10 denn der<br />

dreie<strong>in</strong>ige Gott selbst, ist der erste Seelsorger und Pr<strong>in</strong>zip aller Seelsorge. 11<br />

Im Alten Testament ist Jahwe der Schöpfer des nefesch (hebräisches Wort für Seele),<br />

das den ganzen Menschen als Abhängigen und Bedürftigen me<strong>in</strong>t. 12 Er wird hier nicht<br />

nur als seelsorgerlicher Gott (Dtn 7,7.8a; Jes 40,29-31; 41,10), sondern auch als Arzt<br />

(Ex 15,26) oder Tröster (Ps 73,1; Jes 40,1; Jes 66,13) verstanden. Diese Themen der<br />

Seelsorge prägen durchweg sowohl die Psalmen als auch das Buch Hiob. Somit sorgt<br />

sich Gott fortwährend „um den Erhalt der kreatürlichen Wirklichkeit und der Seele im<br />

umfassenden S<strong>in</strong>ne“ und ist „durch se<strong>in</strong>e Tröstung Ursprung aller von Menschen<br />

geübten Seelsorge“. 13<br />

Im Neuen Testament ist Jesus als guter Hirte (Joh 10,1-16) das Leitbild der Seelsorge. 14<br />

Übere<strong>in</strong>stimmend wird <strong>in</strong> den Evangelien davon berichtet, dass er sich <strong>in</strong>sbesondere<br />

den hilfsbedürftigen Menschen heilend und tröstend zuwandte 15 – bis dah<strong>in</strong>gehend, dass<br />

se<strong>in</strong>e Lebensh<strong>in</strong>gabe am Kreuz die Seelsorge im Tiefsten begründet. 16 Zeit se<strong>in</strong>es<br />

Lebens hat Jesus die Menschen angesprochen, sie aufgesucht, getröstet und begleitet, 17<br />

so dass aus diesen Begegnungen Impulse für die Seelsorge hervorgehen, die als<br />

„<strong>in</strong>teraktives Geschehen im Spannungsfeld von Wahrnehmung und Annahme,<br />

Herausforderung zum Glauben, sowie Zuspruch und Heilung“ beschrieben werden. 18<br />

Aus dieser Praxis heraus leitet sich der Seelsorgeauftrag (Lk 22,32; Joh 21,15ff.) an die<br />

Geme<strong>in</strong>de her, <strong>in</strong> Jesu Nachfolge e<strong>in</strong> seelsorgerliches Klima im Mite<strong>in</strong>ander<br />

herzustellen (Lk 9,48; Joh 13,14ff.). Bedeutend s<strong>in</strong>d hier die Worte „stärken“, „trösten“,<br />

„barmherzig se<strong>in</strong>“, aber auch „ermahnen“, welche die Geme<strong>in</strong>den auf ihre<br />

seelsorgerliche Verantwortung h<strong>in</strong> ansprechen sollen. 19 So wurde von Anfang an gelernt,<br />

e<strong>in</strong>e selbstverständliche Praxis der Solidarität zu pflegen. 20<br />

10<br />

Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1111.<br />

11<br />

Vgl. Steiger, <strong>in</strong>: Müller, 2000, S. 7.<br />

12<br />

Vgl. Horn/ Nüssel, 2008, S. 1079.<br />

13<br />

Vgl. Müller, 2000, S. 7.<br />

14<br />

Vgl. Vere<strong>in</strong>igte Evangelisch-Lutherische Kirche <strong>Deutschland</strong>s, 2000, S. 708.<br />

15<br />

Vgl. Horn/ Nüssel, 2008, S. 1079.<br />

16<br />

Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1111.<br />

17<br />

Vgl. Vere<strong>in</strong>igte Evangelisch-Lutherische Kirche <strong>Deutschland</strong>s, 2000, S. 708.<br />

18<br />

Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1111f.<br />

19<br />

Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112.<br />

20<br />

Vgl. Horn/ Nüssel, 2008, S. 1079.<br />

15


1.3 Seelsorge <strong>in</strong> der Alten Kirche<br />

„Für die Alte Kirche muß man von e<strong>in</strong>er Vielfalt der Gestaltungsformen<br />

seelsorgerlichen Handelns ausgehen“ 21 , denn die Seelsorge begegnet uns hier nicht nur<br />

<strong>in</strong> Schriftauslegungen und Predigten wie von Origenes und Johannes Chrysostomus,<br />

sondern auch <strong>in</strong> Briefen, wie beispielsweise von Basilius von Cäsarea, Hieronymus oder<br />

August<strong>in</strong>. Viele dieser Schriftstücke thematisieren Lebenssituationen, die von Trauer,<br />

Suizidalität oder anderer sozialer Not geprägt s<strong>in</strong>d. Herausragend ist jedoch die<br />

durchgängige Kernaufgabe, den Kampf gegen die Sünde anzutreten und nach dem Heil<br />

zu suchen. Immer wieder wird daher auch die Sünde als „Krankheit“ schlechth<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>terpretiert und deshalb die Aufgabe des Seelsorgers mit der Tätigkeit e<strong>in</strong>es Arztes<br />

gleichgesetzt. Denn diese Arztmetapher <strong>in</strong>spiriert zu differenzierender Wahrnehmung<br />

der seelsorgerlichen Aufgabe. 22 So lebt das frühe Christentum im endzeitlichen<br />

Erwartungshorizont immer unter der Prämisse, e<strong>in</strong>e möglichst sündlose Se<strong>in</strong>sweise<br />

anzustreben, um unversehrt dem Tag der Parusie entgegengehen und ohne Angst dem<br />

kommenden Endgericht mit Zuversicht entgegen treten zu können. 23<br />

Sehr viel direkter und wohl auch realitätsnaher wird die Seelsorge bei den<br />

Wüstenmönchen verstanden, die im 4. und 5. Jahrhundert <strong>in</strong> Ägypten gelebt haben. Sie<br />

waren Charismatiker der Seelsorge, denn sie lebten <strong>in</strong> konsequenter Askese und<br />

Selbstause<strong>in</strong>andersetzung 24 , um den Kampf gegen das Böse und zuweilen auch das<br />

Dämonische aufzunehmen. Die Wüste bot hier als Ort der größten Wirksamkeit<br />

diabolischer Gewalten, aber auch als Ort der erfahrbaren Nähe Gottes, die höchste<br />

Herausforderung. 25 Diese beschriebene Form ist „e<strong>in</strong>e Seelsorge der Freiheit und<br />

Wahrhaftigkeit aus dem Geist e<strong>in</strong>es radikalen Nachfolgeverständnisses“. 26<br />

Im Folgenden wurde die Seelsorge im Westen zunehmend verkirchlicht und unter die<br />

Verantwortung der Amtsträger gestellt, die als „Hirten“ (pastores) die seelsorgerlichen<br />

Aufgaben wahrnehmen sollten. 27<br />

21 Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112.<br />

22 Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112.<br />

23 Vgl. Ziemer, 2008, S. 51.<br />

24 Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112.<br />

25 Vgl. Ziemer, 2008, S. 52.<br />

26 Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112.<br />

27 Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112.<br />

16


1.4 Seelsorge im Mittelalter<br />

Über mehr als e<strong>in</strong> Jahrtausend h<strong>in</strong>weg „war die Seelsorge der Kirchen entscheidend<br />

geprägt von der Institution der Beichte im Rahmen des Bußsakraments.“ 28 Jedem<br />

Christen bot sich dabei regelmäßig die Möglichkeit e<strong>in</strong>er seelsorgerlichen Begegnung,<br />

die <strong>in</strong> der Praxis selbstverständlich recht zügig der Gefahr e<strong>in</strong>er Rout<strong>in</strong>e unterlag und<br />

somit nicht mehr den Bemühungen um e<strong>in</strong>er stärker ver<strong>in</strong>nerlichten Seelsorge folgte. 29<br />

E<strong>in</strong>geführt wurde die Beichte jedoch mit e<strong>in</strong>em stark rechtlich-sakramentalen Charakter,<br />

wodurch Seelsorge zum Mittel der Kirchenzucht überg<strong>in</strong>g. 30 Dabei stellt sich natürlich<br />

dementsprechend die Frage, <strong>in</strong>wieweit wir es hier bei all der Kirchenzucht noch mit<br />

e<strong>in</strong>er Gestalt von „Seelsorge“ zu tun haben. Diese Frage kann kaum beantwortet werden,<br />

zumal sich aus der historischen Distanz und ohne gründliche Quellenrecherchen vor<br />

schnellen Bewertungen gehütet werden muss. Vielmehr lässt sich aber sagen, dass es<br />

<strong>in</strong>tentional um seelsorgerliches Handeln g<strong>in</strong>g, aber kirchenzuchtliche Motive dabei<br />

nicht ausblieben. Aus der Entstehung heraus, war der Ausgangspunkt, e<strong>in</strong>e<br />

Vergebungsmöglichkeit für die nach der Taufe begangenen Sünden zu schaffen. 31<br />

1.5 Seelsorge im Zeitalter der Reformation bis h<strong>in</strong> zum<br />

Pietismus<br />

Die Reformation hat gegenüber der Seelsorgepraxis im Mittelalter e<strong>in</strong>e vorausgehende<br />

und frei lassende Gnade Gottes im seelsorgerlichen Geschehen herausgestellt. Diese<br />

Form der Seelsorge wird zur Grunddimension Mart<strong>in</strong> Luthers. 32<br />

Ihm ist es wichtig, die Menschen <strong>in</strong> ihren sozialen und religiösen Ängsten und<br />

Ungewissheiten zu trösten. Denn laut Luther vollzieht sich Evangelium auch durch die<br />

gegenseitige Tröstung im Gespräch. So ist für ihn die Vergebung Gottes und nicht das<br />

Sündenbekenntnis der Ausgangspunkt der Seelsorge. 33 Diese Seelsorgeauffassung<br />

Luthers muss jedoch auf dem H<strong>in</strong>tergrund der mittelalterlichen Bußpraxis gesehen<br />

werden. Denn <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dieser hat es ihn aufs tiefste beunruhigt.<br />

Immer und immer wieder stellte er sich die Frage, wie er vor Gott Gnade und damit für<br />

se<strong>in</strong>e Seele Heil erlangen könnte. Er hatte die grundlegende Angst, es Gott niemals<br />

28<br />

Ziemer, 2008, S. 54.<br />

29<br />

Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112.<br />

30<br />

Vgl. Horn/ Nüssel, 2008, S. 1080.<br />

31<br />

Vgl. Ziemer, 2008, S. 54.<br />

32<br />

Vgl. Horn/ Nüssel, 2008, S. 1080.<br />

33<br />

Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1112f.<br />

17


echt machen zu können. Erst im e<strong>in</strong>gehenden Studium der Schrift, <strong>in</strong>sbesondere des<br />

Römerbriefs (Röm 1,17), gelangte er zu der reformatorischen Erkenntnis, dass der<br />

Mensch durch Gottes Gerechtigkeit lebt – also aus Glauben. Resultierend daraus ergab<br />

sich für Luther e<strong>in</strong>e Art Perspektivwechsel, welcher zu e<strong>in</strong>er Seelsorgepraxis der<br />

Vergebung und Tröstung führte. 34 Luthers Theologie betonte fortan stets „das gnädige<br />

Handeln Gottes am Menschen […] als Voraussetzung aller seelischen Entwicklung.“ 35<br />

Im Gegensatz dazu gehen die Reformatoren Calv<strong>in</strong>, Zw<strong>in</strong>gli und Bucer davon aus, dass<br />

Christus die Kirche regiert, dafür aber geeignete Mitarbeiter im Hirtendienst benötigt.<br />

Deshalb soll die Glaubensentfremdung und die nachlassende Kirchenb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>zelner<br />

Geme<strong>in</strong>demitglieder durch die Kirchenzucht als notwendiges Hilfsmittel wieder zum<br />

Positiven gewendet werden. 36<br />

Erst im Zeitalter der Orthodoxie (16./17. Jahrhundert) lässt die Betonung der<br />

Kirchenzucht allmählich nach und es entsteht e<strong>in</strong>e Fülle an Trostschriften, Handbüchern<br />

und Kompendien. Nicht nur der Gewissens-Begriff, sondern auch die „Seelenkur“ s<strong>in</strong>d<br />

neue Schlagworte, welche die Seelsorge wieder zunehmend als beistehendes Gespräch<br />

und diakonische Hilfe beschreiben und wor<strong>in</strong> demnach Kontrolle, Diszipl<strong>in</strong>ierung und<br />

Bestrafung ke<strong>in</strong>e Rolle mehr spielen. 37<br />

Der anschließend heraufkommende Pietismus wandte sich gegen e<strong>in</strong>e veräußerlichte<br />

Seelsorgepraxis, denn Seelsorge sollte der Erbauung und der Stärkung des Glaubens<br />

e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen Geme<strong>in</strong>demitglieds dienen. 38 E<strong>in</strong>er der herausragenden<br />

Führungsgestalten des Pietismus war Philipp Jakob Spener, der verlangte, dass sich<br />

Seelsorge zuerst auf die Kerngeme<strong>in</strong>de ausrichte. Die primäre Aufgabe e<strong>in</strong>es<br />

pietistischen Seelsorgers sei die Stärkung und Festigung des Glaubens der<br />

Wiedergeborenen. Dadurch wurden das seelsorgerliche Gespräch und die Hausbesuche<br />

nunmehr wieder hoch geschätzt.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus sollte die Seelsorge <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>schaft führen, weil trotz des Ansatzes<br />

der Seelsorge beim E<strong>in</strong>zelnen, die Erbauung für Spener über<strong>in</strong>dividuell ist. Denn<br />

obschon der Tatsache, dass sich die pietistische Seelsorge zunächst an den <strong>in</strong>neren<br />

Menschen wendet, <strong>in</strong>tendiert sie ke<strong>in</strong>e Privatisierung des Glaubens. Seelsorge im<br />

Pietismus ist also sozusagen e<strong>in</strong>e Realisierung des allgeme<strong>in</strong>en Priestertums. Was<br />

34 Vgl. Ziemer, 2008, S. 58f.<br />

35 Stollberg, <strong>in</strong>: Fahlbusch/ Lochmann/ Mbiti/ Pelikan/ Vischer, 1996, S. 176.<br />

36 Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1113.<br />

37 Vgl. Stollberg, <strong>in</strong>: Fahlbusch/ Lochmann/ Mbiti/ Pelikan/ Vischer, 1996, S. 177.<br />

38 Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1113.<br />

18


Luther gewollt hatte, letztlich aber nicht durchsetzen konnte, das gew<strong>in</strong>nt hier nun<br />

praktische Wirklichkeit. Denn Erbauung ist „Recht und Pflicht aller Christen“.<br />

Durch diesen Schritt steckte der Pietismus e<strong>in</strong>e wichtige Phase <strong>in</strong> der Kirchen- und<br />

Seelsorgegeschichte ab, so dass Elemente des pietistischen Frömmigkeitsanliegens und<br />

Glaubenserlebens auch heute <strong>in</strong> den Kirchen immer noch gegenwärtig s<strong>in</strong>d. 39<br />

1.6 Seelsorge von der Aufklärung bis <strong>in</strong>s 20. Jahrhundert<br />

Im Zuge der Aufklärung erhält die Seelsorge e<strong>in</strong> stärker moralisch-pädagogisches<br />

Gewicht, das sie zum Teil zu e<strong>in</strong>er „Sittenlehre der re<strong>in</strong>en Vernunft“ werden lässt.<br />

Seelsorge hat es nun vorrangig damit zu tun, die Menschen zu e<strong>in</strong>em selbständigen<br />

Gebrauch ihrer Vernunft anzuleiten. Dabei sollen sie befähigt werden, irrational<br />

disqualifizierte dogmatische Inhalte zu überw<strong>in</strong>den und den Weg des verdienstvoll-<br />

tugendhaften Lebens zu begehen. 40 Damit sorgt die Aufklärung für e<strong>in</strong>e Mündigkeit und<br />

Würde jedes E<strong>in</strong>zelnen, durch die Aufforderung aus der „selbstverschuldeten<br />

Unmündigkeit“ herauszutreten. 41<br />

Diese Epoche betont <strong>in</strong> der Seelsorge also e<strong>in</strong>en Freiheitsgedanken, der bis heute e<strong>in</strong>e<br />

bedeutsame Rolle spielt: Es gibt nun ke<strong>in</strong>e Herrschaft über die Gewissen und ke<strong>in</strong>e<br />

Abhängigkeitsverhältnisse mehr. Vielmehr werden die Selbständigkeit der<br />

Geme<strong>in</strong>deglieder und der Respekt vor dem Nächsten <strong>in</strong> den Vordergrund gerückt. 42<br />

Damit e<strong>in</strong>her geht auch e<strong>in</strong>e gewisse „Pädagogisierung der Theologie“ mit e<strong>in</strong>er<br />

Neuorientierung des Pfarrerberufs, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er sozialpädagogischen Funktion jetzt die<br />

Rolle e<strong>in</strong>es Volksaufklärers und Lehrers übernimmt, um die Menschen nach dem Maß<br />

der Vernunft zu bilden und ihnen die Sitte und Religion ans Herz zu legen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wird jetzt zudem zwischen e<strong>in</strong>er „allgeme<strong>in</strong>en Seelsorge“ und e<strong>in</strong>er<br />

„speziellen Seelsorge“ unterschieden. Die allgeme<strong>in</strong>e Seelsorge sorgt sich um die<br />

Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Existenz und Frömmigkeit. Sie kümmert sich um<br />

die ökonomischen Lebensbed<strong>in</strong>gungen und hat demzufolge mit sehr konkreten realen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen des Alltagslebens der Menschen zu tun. Die spezielle Seelsorge geschieht<br />

h<strong>in</strong>gegen vor allem im „Privatumgang“ – also im Gespräch. Hier soll dem E<strong>in</strong>zelnen<br />

dazu verholfen werden, „sittliche Kompetenz“ zu erlangen.<br />

39 Vgl. Ziemer, 2008, S. 67f.<br />

40 Vgl. Steiger, <strong>in</strong>: Müller, 2000, S. 21.<br />

41 Vgl. Möller, 1996, S. 9.<br />

42 Vgl. Stollberg, <strong>in</strong>: Fahlbusch/ Lochmann/ Mbiti/ Pelikan/ Vischer, 1996, S. 177.<br />

19


Im Gesamten verdanken wir der Aufklärung von dem her neue Konzeptionen e<strong>in</strong>er<br />

professionelleren Pfarrerausbildung. In der Folge daraus beg<strong>in</strong>nt die E<strong>in</strong>sicht, für e<strong>in</strong>e<br />

kompetente Seelsorgepraxis auch psychologische Fachkenntnisse zu Rate zu ziehen, um<br />

e<strong>in</strong>e geeignete Qualifikation herzustellen. H<strong>in</strong>zu kommen die ersten Erfahrungen mit<br />

e<strong>in</strong>er empirischen Seelsorgeausbildung, die ihre Bündelung 1781 <strong>in</strong> der Gründung des<br />

„Pastoral<strong>in</strong>stituts“ <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen durch He<strong>in</strong>rich Phillip Sextro erleben. 43<br />

Das anschließende 19. Jahrhundert ist nachhaltig geprägt durch die e<strong>in</strong>drucksvolle<br />

Auffassung von Seelsorge bei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Er übernimmt<br />

nicht die übliche Ableitung der Seelsorge aus dem Amtsbegriff, sondern argumentiert<br />

vielmehr vom religiösen Bewusstse<strong>in</strong> der e<strong>in</strong>zelnen Geme<strong>in</strong>deglieder heraus. Dadurch<br />

nimmt er das allgeme<strong>in</strong>e Priestertum aller Gläubigen ernst und setzt somit die<br />

Freiwilligkeit als entscheidendes Pr<strong>in</strong>zip voraus. 44 Diese Freiheit beherbergt allerd<strong>in</strong>gs<br />

auch große Herausforderungen durch die Industrialisierung, die eng mit sozialen<br />

Problemen, kulturellen Differenzierungen und e<strong>in</strong>er zunehmenden Verstädterung der<br />

Bevölkerung verknüpft ist. 45 Dennoch und gerade deshalb setzt Schleiermacher voraus,<br />

dass gemäß dem evangelischen Glauben, die e<strong>in</strong>zelnen Gläubigen grundsätzlich ihr<br />

eigenes Gewissen selbst, aus dem göttlichen Wort heraus, beraten können. Das ist die<br />

Freiheit e<strong>in</strong>es jeden Christenmenschen. Zwar bestehe die Pflicht des Pfarrers, e<strong>in</strong>em<br />

auftauchenden und notwendigen Seelsorgebedürfnis e<strong>in</strong>es Gläubigen nachzukommen –<br />

e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Seelsorgepflicht mith<strong>in</strong>, besteht jedoch nicht. Diese Auffassung hat<br />

allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong>e problematische Seite: Schleiermacher impliziert dadurch nämlich,<br />

dass jedes Seelsorgebedürfnis e<strong>in</strong>en geistlichen Mangel ausdrückt und umgekehrt<br />

gleichzeitig, dass erst e<strong>in</strong> entsprechender Mangel vorhanden se<strong>in</strong> muss, um Seelsorge zu<br />

<strong>in</strong>dizieren. 46<br />

Im Anschluss an Schleiermacher tritt Carl Immanuel Nitzsch <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, der die<br />

Seelsorge als „wissenschaftliche Seelenpflege“ titulierte und vom Seelsorger strenge<br />

Realitätsorientierung forderte, die sich <strong>in</strong> diagnostischer Fähigkeit und therapeutischer<br />

Tüchtigkeit niederschlug. 47<br />

Neben diesen beiden Ansätzen des 19. Jahrhunderts gibt es weitere zahlreiche<br />

Darstellungen der Seelsorge. E<strong>in</strong>e ungeme<strong>in</strong>e Vielzahl von höchst unterschiedlichen<br />

43<br />

Vgl. Ziemer, 2008, S. 69f.<br />

44<br />

Vgl. Stollberg, <strong>in</strong>: Fahlbusch/ Lochmann/ Mbiti/ Pelikan/ Vischer, 1996, S. 177.<br />

45<br />

Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1113.<br />

46<br />

Vgl. Ziemer, 2008, S. 72f.<br />

47<br />

Vgl. Ziemer, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1113.<br />

20


Ansätzen, die zum Teil mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Konkurrenz stehen, prägte die Seelsorge so<br />

<strong>in</strong>tensiv, dass man heute nicht von „der“ Seelsorge des 19. Jahrhunderts sprechen<br />

kann. 48<br />

Das nachfolgende 20. Jahrhundert ist durch die starke Aufnahme der Human- und<br />

Sozialwissenschaften geprägt. So nahmen alsbald auch die liberale Theologie von<br />

Friedrich Niebergall und die dialektische Theologie von Eduard Thurneysen ihren<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Seelsorgelehre der Gegenwart – nebst vielen weiteren verschiedenen<br />

Ansätzen, die sich <strong>in</strong> diesem Jahrhundert entwickelten. 49<br />

Prägend für diese Zeit s<strong>in</strong>d vordergründig drei historische Herausforderungen, die an<br />

dieser Stelle hervorzuheben s<strong>in</strong>d.<br />

Zunächst sei hier der Siegszug der modernen Psychologie erwähnt, denn<br />

psychologische Kenntnisse gestalten heutzutage <strong>in</strong> mannigfaltiger Weise das Leben der<br />

Menschen aus. Vor allem die Psychoanalyse – obwohl nur bed<strong>in</strong>gt akzeptiert –<br />

bee<strong>in</strong>flusst unsere Gesellschaft <strong>in</strong> höherem Maße, als uns bewusst ist. Deshalb kommt<br />

die Seelsorgelehre nicht umh<strong>in</strong>, sich mit psychologischen E<strong>in</strong>sichten und<br />

therapeutischen Verfahren ause<strong>in</strong>anderzusetzen, wenn sie nicht zu e<strong>in</strong>em geschlossenen<br />

kirchlich-religiösen Kreis deklassiert werden will. Aus diesem Grund wurden<br />

empirische Erkenntnisse der Psychoanalyse Sigmund Freunds, der „analytischen<br />

Seelsorge“ Oskar Pfisters und der „komplexen Psychologie“ Carl Gustav Jungs <strong>in</strong> die<br />

Seelsorgelehre des 20. Jahrhunderts <strong>in</strong>tegriert. Obwohl sich die Seelsorge <strong>in</strong> ihrem<br />

ursprünglichen Monopol im Blick auf die Arbeit an der menschlichen Seele zuvor durch<br />

die Psychotherapie angegriffen gefühlt hat, nimmt sie nun die Chancen wahr, die <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er guten Begegnung zwischen Seelsorge und Therapie liegen. 50<br />

Da Menschen auch im seelischen Bereich angeschlagen oder krank werden können,<br />

liegt es auf der Hand, solche Zustände nicht nur durch Gebet zu heilen, sondern auch<br />

die Parallele zur Mediz<strong>in</strong> zu ziehen und e<strong>in</strong>e Therapie bzw. Seelsorge auf biblischem<br />

H<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong> Betracht zu nehmen. Dadurch kann e<strong>in</strong>em Menschen, dessen<br />

Krankheitsursachen im ekklesiogenen Bereich liegen, von e<strong>in</strong>em Therapeuten bzw.<br />

biblisch-therapeutischen Seelsorger geholfen werden, der die Dimension des Glaubens<br />

kennt und mit im Blick hat. 51<br />

48 Vgl. Steiger, <strong>in</strong>: Müller, 2000, S. 23.<br />

49 Vgl. Stollberg, <strong>in</strong>: Fahlbusch/ Lochmann/ Mbiti/ Pelikan/ Vischer, 1996, S. 178.<br />

50 Vgl. Ziemer, 2008, S. 78ff.<br />

51 Vgl. Dieterich, 1989, S. 32.<br />

21


Die zweite historische Herausforderung liegt <strong>in</strong> den Katastrophenerfahrungen seit<br />

Beg<strong>in</strong>n des letzten Jahrhunderts: die Weltkriege, der Holocaust, der Terrorismus oder<br />

die Atombombe – um nur e<strong>in</strong> paar Anhaltspunkte der Ungerechtigkeit aufzuzeigen.<br />

Diese angedeuteten kollektiven Erfahrungen haben unser Menschenbild im Positiven<br />

wie auch im Negativen geprägt und wirken sich somit auch auf die Seelsorgearbeit der<br />

Kirchen aus. 52 Diese „Krisenerfahrungen führen die Seelsorge an ihre Grenzen und die<br />

Seelsorger selbst <strong>in</strong>s Schweigen.“ 53 Die Zeiten, <strong>in</strong> denen es möglich ist, e<strong>in</strong>e Seelsorge<br />

der klugen Ratschläge und sicheren Antworten zu betreiben, s<strong>in</strong>d vorbei. Nach zwei<br />

Weltkriegen, den Leiden von Auschwitz, Hiroshima und Vietnam, sowie den<br />

alltäglichen Differenzen zwischen Menschen, kann nicht mehr von e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>ladenden<br />

und zuversichtlichen Welt gesprochen werden. Im Zeichen dieser leidvollen<br />

Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ist Seelsorge, sofern sie wirklich aufbauenden Trost<br />

spenden will, möglicherweise nur noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Solidarität der leeren<br />

Hände“ durchführbar.<br />

Der dritte Faktor hängt nicht nur mit den beiden vorangegangenen Herausforderungen<br />

zusammen, sondern hat auch etwas mit dem generellen, modernen Traditionsabbau zu<br />

tun: es handelt sich um die Säkularisierung der modernen Gesellschaft. Die<br />

fortschreitenden Prozesse religiöser Entfremdung und praktischer Entkirchlichung<br />

zw<strong>in</strong>gen die Seelsorge dazu, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, die jenseits der<br />

traditionellen Grenzen von Glauben und Nichtglauben wirken. Fortan muss sich<br />

Seelsorge der Herausforderung stellen, auch Menschen tröstend zu begegnen, die nicht<br />

oder nicht mehr glauben. 54<br />

1.7 Die seelsorgerliche Kirche im 21. Jahrhundert<br />

Die Seelsorgelehre bewegt sich gegenwärtig „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pluralität von Konzeptionen und<br />

methodischen Orientierungen“ 55 , vermischt mit neuen Fragen und Themenstellungen –<br />

wobei die Debatten und Herausforderungen aus der zweiten Hälfte des vorigen<br />

Jahrhunderts immer noch Bestand haben. Seit den 90er Jahren werden hier <strong>in</strong>tensiv<br />

neue Fragen gestellt und diverse Konzepte entworfen, die allerd<strong>in</strong>gs nicht mit dem<br />

Anspruch e<strong>in</strong>es Gesamtkonzepts auftreten. 56<br />

52 Vgl. Ziemer, 2008, S. 80f.<br />

53 Ziemer, 2008, S. 80.<br />

54 Vgl. Ziemer, 2008, S. 80f.<br />

55 Pohl-Patalong, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1114.<br />

56 Vgl. Pohl-Patalong, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1115.<br />

22


Ziemer nennt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Seelsorgelehre“ beispielsweise für die gegenwärtige<br />

Diskussion, fünf Optionen, die von der pastoralpsychologisch orientierten Seelsorge zu<br />

lernen seien, um zukunftsfähig zu werden:<br />

1. Mehr Aufmerksamkeit für die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen<br />

Kontexte: Nicht nur Persönlichkeitsfaktoren, sondern auch die soziale Situation<br />

e<strong>in</strong>es Menschen muss begriffen werden.<br />

2. Seelsorge muss im Zusammenhang mit aktivem sozialpolitischen Engagement<br />

praktiziert werden: Kirche muss für soziale Gerechtigkeit kämpfen.<br />

3. Mehr Aufmerksamkeit dem <strong>in</strong>terkulturellen Dialog <strong>in</strong> der Seelsorgelehre: Die<br />

ethnische, kulturelle und religiöse Verschiedenheit wird <strong>in</strong> der Seelsorge und<br />

Beratung zunehmen.<br />

4. Ethischen Fragestellungen Raum gewähren: Es geht um die Befähigung E<strong>in</strong>zelner<br />

zur sittlichen Verantwortung und Entscheidungshilfe <strong>in</strong> ethischen Konflikten.<br />

5. Pluriformität und Pluralität der Beteiligungsformen s<strong>in</strong>d zuzulassen und<br />

anzustreben: Zufallsgespräche und alltagsseelsorgerliche Kommunikation s<strong>in</strong>d Teil<br />

der Seelsorgepraxis. Darüber h<strong>in</strong>aus müssen auch Laien für den Dienst <strong>in</strong> der<br />

Seelsorge ausgerüstet werden. 57<br />

Diese fünf Anregungen Ziemers zeigen die Richtung auf, die Seelsorge nun e<strong>in</strong>schlagen<br />

sollte. Denn es müssen neue Wege gesucht und gefunden werden, die als christliches<br />

Angebot auch für die weniger kirchlich verbundenen Menschen da s<strong>in</strong>d. Gleichzeitig<br />

muss sich die Seelsorge aber auch mit ihrer Stimme <strong>in</strong> gesellschaftlichen Diskursen<br />

e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und positionieren. Über die <strong>in</strong>terkulturelle Dimension h<strong>in</strong>aus, dürfte dabei<br />

auch die <strong>in</strong>terreligiöse Dimension e<strong>in</strong>e wichtige neue Fragestellung se<strong>in</strong>. 58<br />

57 Vgl. Ziemer, 2008, S. 107.<br />

58 Vgl. Pohl-Patalong, <strong>in</strong>: Betz/ Brown<strong>in</strong>g/ Janowski/ Jüngel, 2004, S. 1116.<br />

23


2. Die <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

2.1 Die Entstehung der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

Schon von „Anfang an wussten die christlichen Geme<strong>in</strong>den, dass sie e<strong>in</strong>e besondere<br />

Verantwortung für kranke und schwache Menschen hatten. Es gehörte immer auch zu<br />

den Aufgaben von Klöstern, Kranke zu behandeln und Arme zu unterstützen.“ 59<br />

Aus diesem Grund, war es auch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts üblich, dass wenn<br />

e<strong>in</strong>e Mensch im Sterben lag, der örtliche Pfarrer herbei gerufen wurde, um die Familie<br />

seelsorgerlich zu begleiten, den Verstorbenen auszusegnen und auf dem Kirchhof zu<br />

bestatten. Aber mit der E<strong>in</strong>richtung von Krankenwägen und e<strong>in</strong>em sich professionell<br />

entwickelnden Rettungsdienst, wurden Menschen, die von e<strong>in</strong>em Unfall oder e<strong>in</strong>em<br />

Notfall betroffen waren, möglichst schnell <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krankenhaus gebracht, wo ihnen<br />

<strong>in</strong>tensivmediz<strong>in</strong>ische Hilfe zuteil wurde, um sie am Leben zu erhalten. Die kirchliche<br />

Antwort darauf, war der flächendeckende Aufbau e<strong>in</strong>er professionellen<br />

Krankenhausseelsorge. Dadurch fiel die Begleitung der Angehörigen zu Hause immer<br />

mehr weg, weil sie sich von selbst meist auch nicht meldeten. Erst wenn der Patient<br />

nach längerem Aufenthalt <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik verstarb und die Bestattung anstand, erhielt der<br />

Ortsgeistliche <strong>in</strong> der Regel die Nachricht vom Tod. Für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive seelsorgerliche<br />

Begleitung der Angehörigen vor dem Tod des Patienten, war es dann zu spät. 60<br />

Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass ke<strong>in</strong>er der benachbarten seelsorgerlichen<br />

Bereiche auf die Idee kam, sich um den Bereich des Rettungswesens zu kümmern.<br />

Weder die Geme<strong>in</strong>deseelsorge, noch die Polizeiseelsorge, noch die gut ausgebaute<br />

Krankenhausseelsorge.<br />

Erst <strong>in</strong> den 60er und 70er Jahren wurde von der EKD (Evangelische Kirche <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong>) e<strong>in</strong> erster Schritt h<strong>in</strong> zur heutigen <strong>Notfallseelsorge</strong> gemacht 61 – ausgehend<br />

von e<strong>in</strong>igen großen Katastrophen wie zum Beispiel der Hamburger Flut 1962, e<strong>in</strong>igen<br />

Flugzeugabstürzen, dem Attentat bei den Olympischen Spielen <strong>in</strong> München 1972 oder<br />

dem Zugunglück von Holzkirchen 1975. Alle diese Unglücksfälle ließen die Frage<br />

aufkommen, welche Rolle dabei eigentlich die Kirche auszufüllen hat. 62 Sie antwortete<br />

mit der Broschüre „Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen“. Diese<br />

59<br />

http://www.notfallseelsorge.de/Infos/nfs-geschichte.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

60<br />

Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 18.<br />

61<br />

Vgl. http://www.notfallseelsorge.de/Infos/nfs-geschichte.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

62 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 18f.<br />

24


Handreichung sollte den Mitarbeitern mehr Klarheit verschaffen, stellte allerd<strong>in</strong>gs mehr<br />

Fragen als Antworten <strong>in</strong> den Raum. Und nachdem zusätzlich festgestellt wurde, dass<br />

der Katastrophenschutz und der Rettungsdienst <strong>in</strong> der Verantwortung der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Länder stehen, versandete diese Initiative weitgehend. 63<br />

E<strong>in</strong> paar Jahrzehnte später wurde e<strong>in</strong> neuer Versuch gestartet, der diesmal allerd<strong>in</strong>gs<br />

„von unten“ e<strong>in</strong>gebracht wurde. Denn nicht immer kamen die Anstöße für die<br />

Initiierung e<strong>in</strong>er <strong>Notfallseelsorge</strong> von den Kirchen. Vielmehr waren es die Mitarbeiter<br />

der Rettungsdienste, der Feuerwehr und der Polizei, die <strong>in</strong> ihren Rettungse<strong>in</strong>sätzen<br />

immer wieder die Erfahrung machen mussten, aufgrund ihres speziellen Auftrages,<br />

ke<strong>in</strong>e Möglichkeit zu haben, auf die seelischen Belange der Betroffenen und ihrer<br />

Angehörigen e<strong>in</strong>zugehen. Verschärft wurde das Ganze durch verschiedene<br />

außergewöhnliche Großschadensereignisse <strong>in</strong> den 80er und 90er Jahren. 64 Insbesondere<br />

das ICE-Unglück von Eschede am 03. Juni 1998, welches das Bewusstse<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e breitere Öffentlichkeit gerückt hat. 65 Denn es war e<strong>in</strong><br />

„Glücksfall, dass e<strong>in</strong> Kirchenkonvent <strong>in</strong> der Nachbarschaft tagte und dass dann Türen<br />

aufg<strong>in</strong>gen, viele Kirchenleute rausströmten und dann als <strong>Notfallseelsorge</strong>r tätig waren.<br />

Und wo dann deutlich wurde, wie wichtig e<strong>in</strong>e solche psychosoziale Unterstützung für<br />

die unverletzt Betroffenen, für die Angehörigen, für die Rettungskräfte“ 66 ist.<br />

Also entstanden schon zu Anfang der 90er Jahre die ersten organisierten Formen<br />

heutiger <strong>Notfallseelsorge</strong>, die <strong>in</strong> Extremsituationen menschlich-geistlichen Beistand<br />

leisteten. 67 Hervorgerufen wurden diese Initiativen zumeist durch das persönliche<br />

Engagement E<strong>in</strong>zelner. 68 Aus diesem Grund kann man für die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> auch ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutiges Gründungsdatum benennen. Denn sie entstand mit<br />

vielen Geschichten an vielen Orten – vor allem dann, wenn e<strong>in</strong> Pfarrer gleichzeitig auch<br />

<strong>in</strong> der Feuerwehr oder im Rettungsdienst verwurzelt war.<br />

Erst nach und nach wurde den Kirchen, sowohl von Seiten der Gesellschaft, als auch<br />

von Seiten der Rettungskräfte, fachliche Kompetenz und auch Zuständigkeit<br />

zugesprochen, 69 so dass „an die Kirchen die Bitte erg<strong>in</strong>g, sowohl die psychosozialen<br />

und humanitären Kompetenzen der E<strong>in</strong>satzkräfte zu stärken, als auch die Angehörigen<br />

63<br />

Vgl. http://www.notfallseelsorge.de/Infos/nfs-geschichte.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

64<br />

Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 3<br />

65<br />

Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 22.<br />

66<br />

Interview Sebastian Berghaus, 36.<br />

67<br />

Vgl. Zippert, 2006, S. 9.<br />

68<br />

Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 4.<br />

69<br />

Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 5.<br />

25


von Notfallpatienten seelsorgerlich zu begleiten.“ 70 Dieses Anliegen fiel bei den<br />

Kirchen auf fruchtbaren Boden und sie begannen auf landeskirchlicher bzw. diözesaner<br />

Ebene die Initiativen zur <strong>Notfallseelsorge</strong> zunehmend wahr- und ernst zu nehmen.<br />

Diese bereits vorhandenen und h<strong>in</strong>zukommend weitere Initiativen wurden systematisiert,<br />

strukturiert und durch offizielle kirchliche Beauftragungen vor Ort errichtet.<br />

Auf der Seite der evangelischen Kirchen schlossen sich die landeskirchlichen<br />

Beauftragten zur „Konferenz Evangelische <strong>Notfallseelsorge</strong> (KEN)“ zusammen. Im<br />

Pendant dazu wurde auf katholischer Seite die „Zusammenkunft der<br />

Diözesanbeauftragten für die <strong>Notfallseelsorge</strong>“ gegründet. Beide Gremien arbeiten<br />

selbstverständlich eng vernetzt mite<strong>in</strong>ander.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus f<strong>in</strong>det seit 1998 jährlich der „Bundeskongress <strong>Notfallseelsorge</strong> und<br />

Krisen<strong>in</strong>tervention“ statt, der sich mittlerweile nicht nur als Forum für Fort- und<br />

Weiterbildung, sondern auch für Austausch und Kontaktpflege, fest etabliert hat.<br />

Doch trotz aller bundesweiten Zusammenschlüsse und landeskirchlichen Vere<strong>in</strong>igungen,<br />

hat sich die <strong>Notfallseelsorge</strong> aus den unterschiedlichsten Strängen heraus entwickelt, die<br />

sich auch bis heute nicht zusammenfassen lassen. Auch heute noch s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Initiativen und Stränge stark vom Charisma ihrer Gründerpersönlichkeiten und<br />

Entstehungssituationen geprägt. 71<br />

2.2 Grundlegende Thesen<br />

2.2.1 Die Kasseler Thesen von 1997<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Schritt zur Konsolidierung auf Bundesebene war die Formulierung der<br />

„Kasseler Thesen“, 72 um die <strong>Notfallseelsorge</strong>, als profilierten Dienst <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Evangelischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> zu etablieren. Diese Thesenreihe wurde von<br />

Vertretern von <strong>Notfallseelsorge</strong>diensten aus verschiedenen Landeskirchen und<br />

Bistümern am 5. Februar 1997 auf e<strong>in</strong>er Tagung der Akademie Bruder-<br />

Familienfürsorge <strong>in</strong> Kassel verabschiedet. Sie beschreiben die verb<strong>in</strong>denden<br />

Geme<strong>in</strong>samkeiten, würdigen jedoch gleichzeitig auch die unterschiedlich organisierten<br />

und geprägten <strong>Notfallseelsorge</strong>dienste im E<strong>in</strong>zelnen. 73<br />

70 Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 4.<br />

71 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 5ff.<br />

72 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 6.<br />

73 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 20ff.<br />

26


Inhaltlich beg<strong>in</strong>nen die Kasseler Thesen zunächst damit, drei Grundlagen für die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> zu def<strong>in</strong>ieren. <strong>Notfallseelsorge</strong> ist demnach die „erste Hilfe für die<br />

Seele“ <strong>in</strong> Notfällen und Krisensituationen, Grundbestandteil des Seelsorgeauftrages der<br />

Kirche und <strong>in</strong> ökumenischer Weite und Offenheit für drei Zielgruppen da: Primär<br />

Geschädigte, andere Betroffene und E<strong>in</strong>satzkräfte.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus nimmt die Seelsorge <strong>in</strong> Notfallsituationen ernst, dass bei Menschen <strong>in</strong><br />

existentiellen Extremsituationen religiöse und weltanschauliche Prägungen offenbar<br />

werden, die erst e<strong>in</strong>mal alles <strong>in</strong> Frage stellen. Vom S<strong>in</strong>n des Lebens bis h<strong>in</strong> zur<br />

Theodizeefrage. Wichtig ist hierbei <strong>in</strong>sbesondere die Beziehung und Kommunikation<br />

mit dem Seelsorger.<br />

Anschließend werden <strong>in</strong> den Kasseler Thesen die konkreten Tätigkeiten e<strong>in</strong>es<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>rs am E<strong>in</strong>satzort und die Indikationen für e<strong>in</strong>en seelsorgerlichen E<strong>in</strong>satz<br />

aufgeführt, um unter anderem darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass die Mitarbeiter <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> sowohl seelsorgerliche und theologische Kompetenzen, sowie auch<br />

weitere Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben müssen, um für den Dienst <strong>in</strong> der Not gut<br />

vorbereitet zu se<strong>in</strong>. Der Erfahrungsaustausch, die Reflexion und Supervision s<strong>in</strong>d dabei<br />

unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung.<br />

Abschließend werden <strong>in</strong> den Thesen noch organisatorische D<strong>in</strong>ge benannt, welche<br />

e<strong>in</strong>erseits von der <strong>Notfallseelsorge</strong> und andererseits von den Kirchen angestrebt werden<br />

sollen. Die <strong>Notfallseelsorge</strong> soll regionale Strukturen entwickeln, die mit den<br />

Gegebenheiten von Kommune und Kirche kompatibel s<strong>in</strong>d und sich bundesweit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Konvent organisieren. Die Kirche h<strong>in</strong>gegen soll geeignete Beauftragungen<br />

aussprechen und die Personalkosten übernehmen. 74<br />

2.2.2 Die Hamburger Thesen von 2007<br />

Als Fortschreibung und Aktualisierung der „Kasseler Thesen“ wurden von der<br />

Konferenz Evangelische <strong>Notfallseelsorge</strong> am 12. September 2007 die so genannten<br />

„Hamburger Thesen“ verabschiedet. 75 Unterteilt <strong>in</strong> die vier Absätze Selbstverständnis,<br />

Auftrag, besondere Arbeitsfelder und Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, unterscheiden sie sich<br />

hauptsächlich <strong>in</strong>sofern von den Kasseler Thesen, als dass sie die Weiterentwicklungen<br />

der letzten zehn Jahre <strong>in</strong> diesem Arbeitsfeld mit aufgreifen und zur Umsetzung anregen.<br />

74 Vgl. http://www.nfs-bw.de/uploads/media/Kasseler_Thesen.pdf [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

75 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 6.<br />

27


Folgende Punkte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Hamburger Thesen neu h<strong>in</strong>zugekommen oder verändert<br />

worden:<br />

• Die <strong>Notfallseelsorge</strong> bleibt <strong>in</strong> ihrer Arbeit auf die Seelsorge <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den<br />

bezogen, für die sie stellvertretend Dienst leistet. Nach dem unmittelbaren<br />

E<strong>in</strong>satzzeitraum verweist die <strong>Notfallseelsorge</strong> an die Seelsorger vor Ort.<br />

• <strong>Notfallseelsorge</strong> arbeitet <strong>in</strong> besonderen Schadenslagen mit anderen Professionen im<br />

Rahmen der Psychosozialen Notfallversorgung zusammen. Mit entsprechender<br />

Qualifikation können hier <strong>Notfallseelsorge</strong>r auch Führungsaufgaben übernehmen.<br />

• Bei Unglücksfällen oder Katastrophen im Ausland können <strong>Notfallseelsorge</strong>r ebenso<br />

zur Begleitung e<strong>in</strong>gesetzt werden, wenn deutsche Bürger betroffen s<strong>in</strong>d.<br />

• Auch für die E<strong>in</strong>satzkräfte <strong>in</strong> Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz<br />

muss e<strong>in</strong> eigenes seelsorgerliches e<strong>in</strong>satz-, berufs- und lebensbegleitendes Angebot<br />

der Kirchen vorhanden se<strong>in</strong>.<br />

• <strong>Notfallseelsorge</strong> ist <strong>in</strong> die Alarmierung von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst<br />

mit e<strong>in</strong>gebunden.<br />

• Auch Menschen, die nicht zur Gruppe der hauptamtlichen Seelsorger gehören,<br />

können aufgrund von erworbenen Qualifikationen mit dem Dienst der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> betraut werden. 76<br />

2.3 Das Selbstverständnis der Arbeit<br />

Die <strong>Notfallseelsorge</strong> ist die „Erste Hilfe für die Seele“. Sie bietet akute, zeitlich<br />

begrenzte Hilfe für Menschen, die sich <strong>in</strong> besonderen Krisensituationen bef<strong>in</strong>den. 77<br />

Dabei wendet sich die <strong>Notfallseelsorge</strong> primär an die direkt Betroffenen und ihre<br />

Angehörigen, unabhängig ihrer religiösen Prägung oder ihrer weltanschaulichen<br />

Überzeugung. 78 So wie auch der Samariter im Lukasevangelium nicht erst nach<br />

Herkunft oder Religion des hilflos Daliegenden fragt, steht die <strong>Notfallseelsorge</strong> allen<br />

Menschen offen und stellt ihn als Bedürftigen <strong>in</strong> den Vordergrund. 79<br />

Als ökumenisches Angebot der Kirchen ist die <strong>Notfallseelsorge</strong> also getragen vom<br />

gegenseitigen Respekt vor den konfessionellen Traditionen und Besonderheiten der<br />

76<br />

Vgl. http://www.nfs-bw.de/fileadm<strong>in</strong>/materialien/HamburgerThesen_Langfassung_12092007.pdf<br />

[aufgerufen am 21.11.2009].<br />

77<br />

Vgl. Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 6.<br />

78<br />

Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 7.<br />

79<br />

Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 13.<br />

28


eteiligten Kirchen, so dass sie im seelsorgerlichen Handeln die jeweiligen<br />

konfessionellen Ausdrucksformen achtet und wertschätzt. Aus diesem Grund trägt sie<br />

auch Sorge dafür, dass Betroffenen und ihren Angehörigen auf Wunsch Seelsorger ihrer<br />

jeweiligen Konfession oder Religion zur Verfügung stehen. 80<br />

Über die direkt Betroffenen h<strong>in</strong>aus, richtet sich <strong>Notfallseelsorge</strong> gleichermaßen aber<br />

auch an die Mitarbeiter der beteiligten Rettungs- und Hilfsdienste. In eigenständigen<br />

Strukturen an verschiedenen Orten bietet sie dabei Hilfen für E<strong>in</strong>satzkräfte nach<br />

besonders schweren und belastenden E<strong>in</strong>sätzen, sowohl <strong>in</strong> der Prävention, als auch <strong>in</strong><br />

der E<strong>in</strong>satz-Nachsorge. 81<br />

Da die <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong> Angebot <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er spezifischen und zeitlich begrenzten<br />

Krisensituation ist und bleibt, geschieht sie <strong>in</strong> enger Partnerschaft mit Rettungsdiensten,<br />

Feuerwehr und Polizei. Sie ergänzt deren E<strong>in</strong>satz mit e<strong>in</strong>em von ihr eigenverantwortlich<br />

gestalteten seelsorgerlichen Angebot, das wiederum vom Krisenereignis <strong>in</strong> die<br />

seelsorgerlichen Angebote der Kirchen bzw. Pfarrgeme<strong>in</strong>den überleitet. Auch andere<br />

kirchliche E<strong>in</strong>richtungen, sowie weitere beratende und therapeutische Angebote<br />

psychologischer und sozialer E<strong>in</strong>richtungen s<strong>in</strong>d hierbei denkbar und hilfreich. 82<br />

Dadurch bleibt das akute Angebot auf die Seelsorge der örtlichen Kirchengeme<strong>in</strong>de<br />

verwiesen. Denn dadurch, dass die <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> Tätigen die örtliche<br />

Seelsorge entlasten, werden sie von ihnen solidarisch unterstützt und getragen. 83<br />

2.4 Das Logo der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

Das Logo der <strong>Notfallseelsorge</strong> besteht aus 3 Komponenten, wobei nur zwei davon e<strong>in</strong>e<br />

Bedeutung haben. Der H<strong>in</strong>tergrund des Logos <strong>in</strong> nicht immer, aber <strong>in</strong> der Regel blau.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund gibt es e<strong>in</strong>en roten Kreis. Dieser symbolisiert unsere Welt mit<br />

all ihren Nöten und allem geschehenden Leid. Da Rot die Farbe des Blutes ist, s<strong>in</strong>d hier<br />

die vielen Verletzten und Getöteten geme<strong>in</strong>t, denen <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> Notfällen<br />

begegnet.<br />

80 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 7.<br />

81 Vgl. Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 6.<br />

82 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 7f.<br />

83 Vgl. Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 6.<br />

29


Vor dem roten Kreis erhebt sich e<strong>in</strong> gelbes Sternenkreuz. Das Kreuz ist das universelle<br />

Symbol aller Christen und steht für den christlichen Glauben an die Auferstehung und<br />

an den Sieg Jesu Christi über den Tod. Der Stern ist das Zeichen der Hoffnung.<br />

Das Sternenkreuz ragt nun über den roten Kreis h<strong>in</strong>aus. Dadurch wird gezeigt, dass<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der Welt helfen will, aber nicht <strong>in</strong> dieser Welt gefangen ist. Den<br />

jeder Mensch lebt genauso auch <strong>in</strong> der anderen Realität und auf diese andere Realität<br />

h<strong>in</strong>, die all unser Wissen und Verstehen überschreitet: Gott. 84<br />

2.5 Die Organisationsstruktur der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

„Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) von Überlebenden, Angehörigen,<br />

H<strong>in</strong>terbliebenen, Vermissenden sowie E<strong>in</strong>satzkräften und weiteren von schweren Not-<br />

und Unglücksfällen sowie Katastrophen Betroffenen gehört national wie <strong>in</strong>ternational<br />

<strong>in</strong>zwischen zum Versorgungsstandard.“ 85 Die weltweiten Unglücksfälle und<br />

Katastrophen der letzten Jahre haben dazu geführt und bestätigt, dass die mediz<strong>in</strong>ische<br />

und technische Hilfeleistung um die psychosozialen Versorgungsangebote erweitert<br />

werden müssen.<br />

Der Begriff PSNV steht also übergeordnet für alle Anbieter, die <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form<br />

kurz-, mittel- und langfristig die Versorgung im Kontext von belastenden Notfällen bzw.<br />

E<strong>in</strong>satzsituationen übernehmen. Die Prävention und die Früherkennung von<br />

psychosozialen Belastungsfolgen, sowie die Bereitstellung von adäquater Unterstützung<br />

von betroffenen Personen und Gruppen zur Erfahrungsverarbeitung, gehören zu den<br />

übergreifenden Zielen der Psychosozialen Notfallversorgung.<br />

Ebenso wie Bundesm<strong>in</strong>isterien und Bundesbehörden, zählen auch Hilfsorganisationen<br />

(z.B. DRK), Feuerwehren, Polizei und Berufsfachverbände (z.B. Psychologen und<br />

Ärzte) zum PSNV-System, wie die Kirchen mit ihrer <strong>Notfallseelsorge</strong> auch. Sie ist also<br />

e<strong>in</strong>e Form von Psychosozialer Notfallversorgung und <strong>in</strong> dieses große Netz mit<br />

e<strong>in</strong>gebunden. 86<br />

Soviel kurz zur Begrifflichkeit der „Psychosozialen Notfallversorgung“ und der<br />

E<strong>in</strong>bettung der <strong>Notfallseelsorge</strong> dar<strong>in</strong>, bevor es im Folgenden nun um die<br />

Organisationsstruktur der e<strong>in</strong>zelnen Gruppen vom örtlichen bzw. regionalen Bereich bis<br />

h<strong>in</strong> zur bundesweiten Ebene geht.<br />

84 Vgl. http://notfallseelsorge.de/Infos/logob.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

85 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, 2009, S. 7.<br />

86 Vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, 2009, S. 15.<br />

30


Die e<strong>in</strong>zelnen Dekanate und Kirchenbezirke s<strong>in</strong>d dafür zuständig, dass <strong>in</strong> ihrem Gebiet<br />

die <strong>Notfallseelsorge</strong> (NFS) als Dienst e<strong>in</strong>gerichtet ist und organisatorisch ausgestaltet<br />

wird. Dabei haben sich drei verschiedene Modelle herausgebildet:<br />

• Die <strong>Notfallseelsorge</strong> ist vollständig <strong>in</strong> kirchlicher Trägerschaft organisiert und<br />

arbeitet als e<strong>in</strong>e Form der Psychosozialen Notfallversorgung mit anderen<br />

E<strong>in</strong>richtungen und Organisationen zusammen.<br />

• Die <strong>Notfallseelsorge</strong> wird von mehreren E<strong>in</strong>richtungen und Organisationen wie zum<br />

Beispiel dem Landkreis, den Kirchen, den Rettungsdiensten, der Feuerwehr und der<br />

Polizei geme<strong>in</strong>sam getragen und verantwortet. Für die <strong>in</strong>haltliche Ausgestaltung der<br />

Kooperation wurde e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft gebildet, <strong>in</strong> der die Konzeption, die<br />

Struktur und die Arbeitsweise erarbeitet und vere<strong>in</strong>bart werden.<br />

• Die kirchlichen Seelsorger arbeiten <strong>in</strong> der Psychosozialen Notfallversorgung e<strong>in</strong>es<br />

nicht-christlichen Träger mit und s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dessen Organisation e<strong>in</strong>gebunden. 87<br />

Die ersten beiden Modelle entstanden vielfach <strong>in</strong> den Städten und Landkreisen, wo noch<br />

ke<strong>in</strong> Notfallnachsorge-System e<strong>in</strong>gerichtet war. Hier ergriffen häufig die Dekanate und<br />

Kirchenbezirke die Initiative und luden Landkreis, Polizei, Feuerwehr und<br />

Rettungskräfte e<strong>in</strong>, an der Errichtung e<strong>in</strong>er <strong>Notfallseelsorge</strong> mitzuwirken.<br />

Unter dieser kirchlichen Moderation ist dann entweder das erste Modell entstanden, wo<br />

die NFS vollständig <strong>in</strong> kirchlicher Trägerschaft organisiert ist, aber eng mit den anderen<br />

Organisationen zusammen arbeitet. Oder das zweite Modell, wo e<strong>in</strong>e NFS gegründet<br />

wurde, die von allen Beteiligten geme<strong>in</strong>sam getragen und verantwortet wird. Hier<br />

sichern die Kirchenbezirke die personelle Ausstattung durch die Mitarbeiter ihrer<br />

Seelsorger ab. Darüber h<strong>in</strong>aus ist für die Kooperation zwischen diesen beteiligten<br />

Trägern <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft gegründet worden, <strong>in</strong> dessen<br />

Leitungskreis Konzeption, Struktur und Arbeitsweise der NFS vere<strong>in</strong>bart und<br />

verb<strong>in</strong>dliche Absprachen getroffen werden.<br />

Beim dritten Modell war es <strong>in</strong> der Regel so, dass es schon e<strong>in</strong> bestehendes<br />

Notfallnachsorge-System gab, an das sich die Dekanate und Kirchenbezirke<br />

angeschlossen haben. Mehrheitlich haben die Seelsorger dann direkt <strong>in</strong> der vorhandenen<br />

E<strong>in</strong>richtung mitgearbeitet, nur vere<strong>in</strong>zelt hat die <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>en an der<br />

87 Vgl. Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 9.<br />

31


vorhandenen E<strong>in</strong>richtung angehängten Dienst aufgebaut, der dann bei Bedarf<br />

angefordert wird. 88<br />

Unabhängig von den genannten Modellen, ist die <strong>Notfallseelsorge</strong> stets auf Stadt- und<br />

Landkreisebene organisiert und dort <strong>in</strong> die Alarmierungsstruktur der Rettungsdienste<br />

e<strong>in</strong>gebunden. Wenn es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kreis mehrer Dekanate gibt, organisieren sie die NFS<br />

geme<strong>in</strong>sam. Dabei achten sie darauf, dass die NFS nicht <strong>in</strong> Konkurrenz, sondern <strong>in</strong><br />

Ergänzung zu anderen Angeboten der PSNV steht. 89<br />

Über die örtlichen und regionalen Strukturen h<strong>in</strong>aus, werden die e<strong>in</strong>zelnen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen von der jeweiligen Landeskirche betreut und unterstützt. In<br />

Württemberg ist das zum Beispiel der landeskirchliche Beauftragte Sebastian Berghaus,<br />

der als Ansprechpartner zur Verfügung steht, sich um Ausbildung und Fortbildungen<br />

kümmert, Supervision und Begleitung anbietet und die Vernetzung mit den<br />

Partnerorganisationen voran treibt. 90<br />

Auf Bundesebene bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e ähnliche Struktur. Die Landeskirchen <strong>in</strong> der<br />

Evangelischen Kirche <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> (EKD) und die Bistümer der Deutschen<br />

Bischofskonferenz (DNK) haben jeweils Beauftragte ernannt, die <strong>in</strong> den jeweiligen<br />

bundesweiten Konferenzen die <strong>Notfallseelsorge</strong> weiterdenken und verbessern. 91<br />

Die Evangelischen haben sich am 16. März 1998 <strong>in</strong> der „Konferenz Evangelische<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>“ konstituiert. Als Konferenz aller landeskirchlichen Beauftragten, ist<br />

sie das Vertretungsgremium der <strong>Notfallseelsorge</strong> bei der EKD. 92 Auf katholische Seite<br />

s<strong>in</strong>d die Beauftragten <strong>in</strong> der „Zusammenkunft der Diözesanbeauftragten für die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>“ organisiert. Beide Gremien arbeiten und kooperieren eng mite<strong>in</strong>ander<br />

und treffen zum Beispiel geme<strong>in</strong>same Vere<strong>in</strong>barungen zu Inhalten und Standards der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>. 93<br />

88 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 23f.<br />

89 Vgl. Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 9.<br />

90 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 22.<br />

91 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 7.<br />

92 Vgl. http://www.notfallseelsorge.de/Infos/ken.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

93 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 7f.<br />

32


2.6 F<strong>in</strong>anzierung<br />

Die an der <strong>Notfallseelsorge</strong> beteiligten Träger verantworten und sichern, neben der<br />

konzeptionellen und organisatorischen Mitarbeit und den direkten personellen E<strong>in</strong>satz,<br />

auch die f<strong>in</strong>anzielle Ausstattung der Arbeit. Dazu gehören die Sachkosten und die<br />

Kosten für Aus- und Fortbildungen.<br />

Bisher ist dies <strong>in</strong> den jeweiligen Städten und Landkreisen auf differenzierte Weise<br />

aufgeteilt. Viele Landkreise übernehmen anteilig Kosten wie zum Beispiel die<br />

technische Ausstattung und die Arbeitsmittel. Darüber h<strong>in</strong>aus leisten sie e<strong>in</strong>en<br />

regelmäßigen Zuschuss für die Arbeit der <strong>Notfallseelsorge</strong>.<br />

In anderen Landkreisen ist die NFS unter dem Dach e<strong>in</strong>er anderen Hilfsorganisation<br />

und nutzt <strong>in</strong> dem Fall auch deren Infrastruktur und ihre Bildungsangebote. In diesem<br />

Fall organisieren die Kirchenbezirke lediglich die Rufbereitschaften, leisten aber<br />

zusätzlich e<strong>in</strong>en f<strong>in</strong>anziellen Zuschuss. 94<br />

In den meisten Bezirken ist es jedoch so, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong> komplett und<br />

ausschließlich von der Kirche getragen wird. Natürlich kommen h<strong>in</strong> und wieder<br />

e<strong>in</strong>zelne Spenden dazu, aber der Hauptteil wird vom Träger, der Kirche, f<strong>in</strong>anziert. 95<br />

Nur manchmal gibt es weitere F<strong>in</strong>anzierungsquellen, dass <strong>in</strong> Teilen auch Städte die<br />

Arbeit <strong>in</strong> Materialkosten und Ausbildungskosten ref<strong>in</strong>anzieren. 96<br />

Grundsätzlich wird jedoch appelliert und angestrebt, dass die F<strong>in</strong>anzierung der NFS<br />

vollständig durch den jeweiligen Landkreis aufgrund ihrer Zuständigkeit als<br />

Katastrophenschutzbehörde abgedeckt wird. Dennoch empfiehlt es sich dann, dass die<br />

Kirchenbezirke <strong>in</strong> ihrem Haushalt ebenso F<strong>in</strong>anzmittel fest e<strong>in</strong>stellen, um sowohl nach<br />

<strong>in</strong>nen (Kirchengeme<strong>in</strong>de, Mitarbeiter), als auch nach außen (Öffentlichkeit) e<strong>in</strong> Signal<br />

der Anerkennung und Wertschätzung der NFS als kirchliche Aufgabe zu vermitteln. 97<br />

Trotz allem, braucht es, angesichts der immer knapper werdenden f<strong>in</strong>anziellen<br />

Ressourcen, e<strong>in</strong>e Möglichkeit langfristig ausreichend f<strong>in</strong>anzielle Mittel zu<br />

erwirtschaften, um die Träger zu entlasten und die f<strong>in</strong>anzielle Abdeckung sicher<br />

zustellen. Dafür gibt es nun die Stiftung <strong>Notfallseelsorge</strong> mit se<strong>in</strong>em Stiftungsrat, der<br />

die e<strong>in</strong>geworbenen Mittel an die jeweiligen <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen ausschüttet. 98<br />

94 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 34f.<br />

95 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 45.<br />

96 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 26.<br />

97 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 35.<br />

98 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 422f.<br />

33


3. Theologische Grundlegungen der (Notfall-) Seelsorge<br />

In diesem Kapitel geht es weder um e<strong>in</strong>e richtige und endgültige Theologie oder<br />

Dogmatik der <strong>Notfallseelsorge</strong>, noch um kirchlich verordnete Vorschriften, Praktiken<br />

und Rituale. Vielmehr geht es um spirituelle und sprachliche Erfahrungen. 99<br />

3.1 Die religiöse Dimension der Seelsorge<br />

3.1.1 Seelsorge als Gottesbegegnung und Praxis des Evangeliums<br />

„<strong>Notfallseelsorge</strong>rliches Handeln ist e<strong>in</strong>e kirchliche Kernaufgabe, die unter den<br />

besonderen Bed<strong>in</strong>gungen moderner gesellschaftlicher Entwicklungen wahrgenommen<br />

wird.“ 100 E<strong>in</strong> besonders <strong>in</strong>haltlicher und struktureller Eckpunkt ist dabei die<br />

Nächstenliebe als Grundgebot christlicher Ethik. Deshalb gehen <strong>in</strong> Not geratene<br />

Menschen jeden Christen etwas an. Unabhängig davon, ob die Not körperlicher oder<br />

seelischer Art ist, gehört das Annehmen der Armen und Bedürftigen zur uralten<br />

gesellschaftsdiakonischen christlich-kirchlichen Tradition. 101<br />

Die Seelsorge ist hier<strong>in</strong> immer auf den e<strong>in</strong>zelnen Menschen bezogen, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

konkreten Lebens- und Leidenssituation vor Gott <strong>in</strong> den Blick kommt. In diesem<br />

Zusammenhang kann Seelsorge als e<strong>in</strong>e Aktualisierung des biblischen Gottesbildes<br />

gesehen werden. Zwar stellt der biblische Gott ke<strong>in</strong>e dem Menschen verfügbare Größe<br />

(1. Kön 8, 27) dar, er gibt sich ihnen jedoch <strong>in</strong> besonderen Geschehen zu erkennen. So<br />

prägt Gott <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Geschichte das Volk Israel <strong>in</strong> Begegnungen (Ex 6,2f).<br />

So wie Gott se<strong>in</strong>em Volk jedoch gegenwärtig ist, so ist er ihnen allerd<strong>in</strong>gs auch<br />

verborgen (Jer 23,23) und zeigt se<strong>in</strong>e dunkle Seite (Ps 22,2). Doch trotz der<br />

Abwesenheit gibt es Gottes Zusage, da zu se<strong>in</strong>, die endgültig <strong>in</strong> Jesus Christus erfahrbar<br />

und erkennbar wird. Durch Jesus Christus ist Gott den Menschen <strong>in</strong> der Welt nahe und<br />

<strong>in</strong> Jesus Christus erweist er sich als e<strong>in</strong> seelsorgerlicher Gott, der Leben und<br />

Versöhnung schafft. Zudem ist er e<strong>in</strong> Gott der für die Menschen für immer ansprechbar<br />

geworden ist und der se<strong>in</strong>e Liebe zeigt, vor allem auch an den Punkten, an denen das<br />

Leben besonders gefährdet ist. Denn durch die Menschwerdung Jesu bekommt se<strong>in</strong>e<br />

Liebe die Kraft des Lebendigen – gegen und durch den Tod h<strong>in</strong>durch. Und weil Gott<br />

99 Vgl. Zippert, 2006, S. 16.<br />

100 Waterstraat, 2008, S. 15.<br />

101 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 15.<br />

34


der Gott „allen Trostes“ ist, kann man ihn im Alltag - auch <strong>in</strong> Krisen und <strong>in</strong> der<br />

Todesnähe – erleben und spüren.<br />

Damit beg<strong>in</strong>nt die Seelsorge geschehendes Evangelium zu werden, ja sich sogar als<br />

Praxis des Evangeliums zu verstehen. Nicht umsonst hat Mart<strong>in</strong> Luther die Seelsorge<br />

als e<strong>in</strong>e der vier Wirkweisen des Evangeliums tituliert. Da <strong>in</strong> der seelsorgerlichen Praxis<br />

nicht nur die Nachricht vom Evangelium weitergegeben wird, sondern <strong>in</strong> und mit ihr das<br />

Evangelium selbst Gestalt gew<strong>in</strong>nt, erweist sie sich als aufmerksame und liebende<br />

Zuwendung zu den Menschen.<br />

Wichtig ist nun aber, dass Seelsorge nicht nur den kognitiven Inhalt des Evangeliums<br />

vermittelt, sondern darüber h<strong>in</strong>aus auch das Evangelium erfahrbar macht. Erst dann<br />

entfaltet sich das Evangelium <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er vollen Kraft, <strong>in</strong> der es nicht nur um Lehren,<br />

sondern auch um die Erfahrung geht. Die Erfahrung, dass dieses Evangelium die<br />

Trostbotschaft für ratlos gewordene Menschen und Lebensbotschaft sowohl für<br />

Ratsuchende als auch für Seelsorger ist. Denn erst dann, wenn sich <strong>in</strong> der Begegnung<br />

zwischen zwei Menschen für beide die Wahrheit des Evangeliums erschließt, dann ist<br />

Seelsorge gelungen. Und „Wahrheit“ heißt hier: Erkennen e<strong>in</strong>er Beziehung zum Leben<br />

mit all se<strong>in</strong>en Höhen und Tiefen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus führen die Begegnungen mit Gott und mit dem Evangelium zu e<strong>in</strong>er<br />

Selbsterfahrung des Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er realen Wirklichkeit, die nicht immer nur Gutes<br />

bereithält. E<strong>in</strong>e Wirklichkeit, <strong>in</strong> der es vernünftige Menschen gibt, die Gott nahe s<strong>in</strong>d<br />

und <strong>in</strong> der es aber auch Menschen gibt, die zugleich die Erfahrung des Elends der<br />

Vergänglichkeit und der Sünde machen. Größe und Grenze, Gut und Böse, liegen oft<br />

dicht beie<strong>in</strong>ander und der Mensch kann nicht das e<strong>in</strong>e ohne das andere se<strong>in</strong>. Er<br />

verkörpert zugleich immer beides <strong>in</strong> sich – ist nicht dem Tier gleich, aber auch nicht<br />

den Engeln. Durch das Evangelium erkennt sich der Mensch als etwas Mittleres, das<br />

sich zwischen den beiden Extremen bewegt. Wenn e<strong>in</strong> Seelsorgegespräch also gel<strong>in</strong>gt,<br />

erkennen beide Partizipanten, dass die Wahrheit des wirklichen Menschen auf der e<strong>in</strong>en<br />

Seite e<strong>in</strong>en Menschen vermag, der vor Gottes Liebe und dem Leben davon läuft und<br />

zeitgleich auf der anderen Seite e<strong>in</strong>en Menschen zum Vorsche<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gt, der die<br />

Möglichkeiten des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe entdeckt, weil Gott ihn<br />

ebenso entdeckt hat. Diese Gotteswirklichkeit, die uns <strong>in</strong> der Seelsorge begegnen kann,<br />

führt uns also nicht an unserer Alltagswirklichkeit vorbei, sondern mitten h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, weil<br />

der Glaube uns nicht vor unserem Leben bewahren kann – weder vor se<strong>in</strong>em Glück des<br />

Gel<strong>in</strong>gens, noch vor se<strong>in</strong>em möglichen Scheitern.<br />

35


Doch alles Gel<strong>in</strong>gen und Erkennen hängt stets davon ab, wie offen und empfangsbereit<br />

beide Partner dafür s<strong>in</strong>d. Denn nur wenn dies gegeben ist, kann das Wunder geschehen,<br />

das jemand mit erhobenem Haupt, gestärkt und getröstet, aus e<strong>in</strong>em seelsorgerlichen<br />

Gespräch herausgeht. 102<br />

3.1.2 Theologische Begründung<br />

Für e<strong>in</strong>e theologische Begründung der <strong>Notfallseelsorge</strong> ist es unerlässlich, auch von<br />

e<strong>in</strong>er Spiritualität und Theologie <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> zu sprechen. Zunächst sollen<br />

deshalb e<strong>in</strong> paar Begriffserklärungen vorweg die Richtung andeuten.<br />

Widmen wir uns zuerst dem Begriff Spiritualität. Dieses Wort hat Konjunktur, weil es<br />

nicht auf e<strong>in</strong>e bestimmte Religion, Kirche oder Frömmigkeit abzielt, sondern das je<br />

<strong>in</strong>dividuelle Suchen nach Erfüllung me<strong>in</strong>t. Es ist e<strong>in</strong> Suchen nach der eigenen<br />

Lebense<strong>in</strong>stellung, der Grundhaltung, sowie das <strong>in</strong>dividuelle Wahrnehmen und<br />

Gestalten der eigenen Welt, <strong>in</strong> der Erfahrungen und Erlebnisse eng mit der eigenen<br />

Lebensgeschichte verwoben s<strong>in</strong>d. Spirituelle Erfahrungen s<strong>in</strong>d dadurch ganzheitlicher<br />

und nachhaltiger, allerd<strong>in</strong>gs aber auch schwerer greifbar, weil es offen bleibt, ob und<br />

von welcher Seite sich Gott oder e<strong>in</strong>e andere höhere Macht zeigt und uns zum Erlebnis<br />

wird.<br />

Der zweite Begriff – Theologie – ist das Besondere der evangelischen Kirchen, das<br />

nicht kirchenamtlich verordnungsfähig ist, sich aber auch nicht von Individualität<br />

abstrahieren kann und will. Vielmehr kommt der Begriff da <strong>in</strong>s Spiel, wo religiöse und<br />

spirituelle Erfahrungen ausgedrückt und reflektiert werden, um Zusammenhänge und<br />

Ursachen zu ergründen. Bei dieser Frage nach den Traditionen und Prägungen, geht es<br />

natürlich auch um Klärungen, wer das Gegenüber darstellt bzw. welche Bilder von Gott<br />

dem Menschen lebensdienlich s<strong>in</strong>d.<br />

Nun stellt sich die Frage: Was haben Spiritualität und Theologie mit der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> zu tun? In erster L<strong>in</strong>ie nehmen wir an, dass es sich bei der Spiritualität<br />

und der Theologie von <strong>Notfallseelsorge</strong> weder um etwas Besonderes handelt, noch dass<br />

es um e<strong>in</strong>en Spezialbereich der Spiritualität gehen kann, da sie die Lebense<strong>in</strong>stellung im<br />

Ganzen me<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> der es um unsere existentielle Grundhaltung gegenüber Gott und den<br />

Mitmenschen geht. Vielmehr zeigen beide Begriffe <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Grenz- und<br />

Notsituationen, welche E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> uns stecken und hier wirksam werden. Da vor<br />

102 Vgl. Ziemer, 2008, S. 110ff.<br />

36


allem <strong>in</strong> Extremsituationen alles durche<strong>in</strong>ander gerät, haben die Begriffe an dieser<br />

Stelle „Offenbarungsqualität“, die unter Umständen dazu führen kann, dass sich die je<br />

eigene Spiritualität verändert.<br />

Über diese beiden Begriffe h<strong>in</strong>aus, verdient aber noch e<strong>in</strong> anderes Wort e<strong>in</strong>en Moment<br />

der Aufmerksamkeit: das Wort Notfall. Allzu selbstverständlich ist es mittlerweile<br />

geworden, dass es „Notfälle“ gibt. Wir haben uns daran gewöhnt und wissen genau was<br />

als Notfall gilt. Dabei s<strong>in</strong>d unser Umgang und unsere Wahrnehmung von Notfällen e<strong>in</strong><br />

Ergebnis der Kultur- und Mentalitätsgeschichte der letzten zwei- bis dreihundert Jahre.<br />

In e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der die Menschen unter anderem <strong>in</strong> den Krieg ziehen, um die Welt zu<br />

erobern, werden Leiden, Tod und Katastrophen nicht mehr als Strafe Gottes, Schicksal<br />

oder Zufall h<strong>in</strong>genommen, sondern als empörende Herausforderungen empfunden, die<br />

es zu beseitigen gilt. Es werden immer mehr Anstrengungen unternommen, etwas gegen<br />

Notfälle zu unternehmen, um sich und andere abzusichern und zu schützen. Während<br />

früher K<strong>in</strong>dersterblichkeit oder Unglücke noch als Strafe Gottes angesehen wurden, so<br />

versuchen Rettungsdienste heute, möglichst viele Leben zu retten und <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne<br />

Gott damit <strong>in</strong>s Handwerk zu pfuschen. Heute sche<strong>in</strong>t diese Spannung, sich Gottes Urteil<br />

fügen zu müssen und sich nicht selbst retten zu dürfen, verschwunden, weil das Leben<br />

<strong>in</strong>sgesamt angenehmer und bequemer werden soll. Es soll ke<strong>in</strong>en leidenden Menschen<br />

mehr geben und es will auch niemand mehr Leid h<strong>in</strong>nehmen. Alle Grundbedürfnisse an<br />

Wärme, Essen, Gesundheit, sowie e<strong>in</strong> langes und erfülltes Leben, werden jedem<br />

Menschen so zugesprochen, dass Gott nahezu abhanden gekommen ist. Menschen leben<br />

so, als ob Gott oder e<strong>in</strong>e andere höhere Macht nicht existiert. 103<br />

Da wir e<strong>in</strong>e der am höchsten entwickelten Nationen der Welt s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> der die<br />

technologische Entwicklung die emotionale h<strong>in</strong>ter sich gelassen hat, s<strong>in</strong>d wir an e<strong>in</strong>em<br />

Punkt angekommen, an dem wir uns im Namen des Fortschritts, der Flexibilität, der<br />

Innovation und des Wachstums selbst betrügen. Ohne dabei jemandem e<strong>in</strong>en Vorwurf<br />

zu machen, begegnet Seelsorge im E<strong>in</strong>satz den direkten Konsequenzen dieser<br />

kollektiven Tendenzen. Da immer weniger Menschen an ihre eigene Verwundbarkeit<br />

glauben, ist im Unglücksfall e<strong>in</strong>e immense Hilflosigkeit die Folge, weil Verwundbarkeit<br />

als Grundbestandteil der eigenen Existenz nicht mehr dazu gehört. 104<br />

Denn trotz aller Bemühungen und stetigen Professionalisierungen der<br />

Hilfsorganisationen, bleiben Gefahren bestehen und wachsen Risiken nach, die E<strong>in</strong>zelne<br />

103 Vgl. Zippert, 2006, S. 16ff.<br />

104 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 24.<br />

37


immer ohnmächtiger und hilfloser im Umgang mit Katastrophen machen. Da diese<br />

Risiken als Herausforderung für Wissenschaft und Krisenstäbe wahrgenommen werden,<br />

s<strong>in</strong>d Unglücke eigentlich e<strong>in</strong> Un-D<strong>in</strong>g, das nicht se<strong>in</strong> darf und von dem her auch nicht<br />

als e<strong>in</strong>e Grenze akzeptiert wird, über die wir allerd<strong>in</strong>gs nicht h<strong>in</strong>aus kommen werden.<br />

Der Tod ist und bleibt e<strong>in</strong>e Grenze, etwas, das wir niemals beherrschen werden.<br />

Hier<strong>in</strong> liegen Gefahr und Chance der <strong>Notfallseelsorge</strong> ganz eng beie<strong>in</strong>ander, weil im<br />

Bekämpfen von Leiden auch e<strong>in</strong>e andere Dimension eröffnet wird: E<strong>in</strong>e<br />

Grundspannung zwischen der Spiritualität der Tat und der Spiritualität des Leidens, der<br />

Macht und der Ohnmacht. Beide Extreme dieser Spannung s<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>e genu<strong>in</strong><br />

christliche Tradition der Spiritualität zurückzuführen.<br />

Die Spiritualität der guten Tat und der Nächstenliebe, wie sie im Gleichnis des<br />

Barmherzigen Samariters (Lk 10, 25-35) oder im Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,<br />

31-46) beschrieben wird, wie sie <strong>in</strong> Taten und Werken auch heute noch Gestalt gew<strong>in</strong>nt,<br />

steht der Spiritualität des Leiden-Könnens, der Nachfolge im Leiden gegenüber. Beide<br />

gehören und hängen zusammen, s<strong>in</strong>d aber <strong>in</strong> unserem Bewusstse<strong>in</strong> nicht gleichermaßen<br />

lebendig. Deshalb soll nun jede e<strong>in</strong>zelne Spiritualität kurz im E<strong>in</strong>zelnen betrachtet<br />

werden. 105<br />

Die Spiritualität der Tat spiegelt sich im Helfen-Wollen und Helfen-Können wieder.<br />

Macht zu haben, Schäden beheben oder e<strong>in</strong>grenzen zu können, Leben zu retten,<br />

Schmerzen zu l<strong>in</strong>dern, das alles ruft <strong>in</strong> uns e<strong>in</strong> Gefühl der Befriedigung und<br />

Zufriedenheit hervor. Dah<strong>in</strong>ter steht e<strong>in</strong>e Lebense<strong>in</strong>stellung, e<strong>in</strong>e besondere Art der<br />

Spiritualität, die uns den Weg weist, die Welt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Art und Weise<br />

anzuschauen. Unter dieser Prämisse handelt auch der barmherzige Samariter aus dem<br />

Lukasevangelium, der unabhängig aller Gefahren und Risiken e<strong>in</strong>em Not leidenden<br />

Menschen hilft. Er schaut h<strong>in</strong>, lässt sich berühren, geht h<strong>in</strong> und tut das Nötigste. Das ist<br />

Spiritualität der Nächstenliebe, denn es zeigen sich Glaube und Liebe im Handeln.<br />

Dadurch ist und bleibt es unser Auftrag, unsere Fähigkeiten zum Nutzen für uns und<br />

unsere Nächsten e<strong>in</strong>zusetzen und zu entfalten, weil die Spiritualität der Tat e<strong>in</strong><br />

geistliches Fundament hat, welches uns durch Jesus aufgetragen und durch den Heiligen<br />

Geist lebendig wurde. 106<br />

Im Pendant dazu, steckt die zweite Hälfte der Wahrheit <strong>in</strong> der Spiritualität des Leidens.<br />

Der andere Pol der Spiritualität, das Leiden-Können, die Ohnmacht und Hilflosigkeit,<br />

105 Vgl. Zippert, 2006, S. 19f.<br />

106 Vgl. Zippert, 2006, S. 20f.<br />

38


wenn wir mit unserem Wissen am Ende angekommen s<strong>in</strong>d, zeigt uns, dass es e<strong>in</strong><br />

Gegenstück gibt, das aber zum Leben dazugehört. Drei verschiedene Grundtypen von<br />

Ohnmacht und Leiden werden hier sorgfältig vone<strong>in</strong>ander unterschieden.<br />

Zunächst sei die Ohnmacht genannt, die zur menschlichen Endlichkeit dazu gehört,<br />

denn alles Leben auf Erden ist zeitlich begrenzt. Da wir verletzlich und sterblich s<strong>in</strong>d,<br />

erfahren wir hier, ähnlich wie Hiob, e<strong>in</strong>e Grenze unserer Macht, die uns auf Höheres<br />

schließen lässt. Im Angesicht von Tod und Leid können wir etwas von Gottes Macht<br />

über Leben und Tod erfahren, wodurch wir kle<strong>in</strong> und demütig werden.<br />

Der zweite Typ von Ohnmacht ist der, der zu den Folgen menschlicher Schuld gehört.<br />

Wie oft wird Schuld bagatellisiert, tabuisiert oder die Schuldfrage zur Frage nach der<br />

Ursache? Fast immer geht es um Schuld, um Gewissen und um Ursachen, deren<br />

Klärung im Vordergrund steht. Selten geht es um die Barmherzigkeit und um die<br />

Vergebung, die uns Gott schon im Alten Testament erweist (Ex 20,5f), ohne dabei die<br />

Schuldfrage zu tilgen. Über die Ohnmacht h<strong>in</strong>aus bedarf es durch Barmherzigkeit e<strong>in</strong>en<br />

Neuanfang zu ermöglichen.<br />

Die dritte Form der Ohnmacht be<strong>in</strong>haltet alles Leiden, das nicht selbst verschuldet ist.<br />

Und hier ist die Frage, wie geht man mit solchem Leid um? Wie kann man es ertragen,<br />

ohne daran zu zerbrechen? Unser großes, zentrales Vorbild ist an dieser Stelle Jesus<br />

Christus, der se<strong>in</strong> Kreuz bis zum bitteren Ende auf sich nahm. Erst nach se<strong>in</strong>em Tod<br />

wurde offenbar, dass hier nicht das Ende war, sondern der Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es unzerstörbaren<br />

Lebens mit dem Ruf zur Nachfolge. Und darüber h<strong>in</strong>aus ist uns gewiss, dass Gott uns<br />

im Leiden begegnet und <strong>in</strong> Leidenden erfahrbar wird. 107<br />

Abschließend kann man beide Pole der Grundspannung <strong>in</strong> der Spiritualität der leeren<br />

Hände zusammenfassen. Wo sich gerade noch Werkzeuge befanden, die vielleicht<br />

nichts mehr ausrichten konnten, s<strong>in</strong>d jetzt nur noch leere Hände, die Hilflosigkeit und<br />

Ohnmacht ausdrücken. Zugleich aber die Haltung des Empfangens, des Wartens und<br />

Erwartens darstellen. Denn leere Hände symbolisieren, dass noch mit etwas anderem<br />

gerechnet und Raum für anderes Tun und Handeln gegeben wird. Schließlich können<br />

nur leere Hände andere Menschen annehmen, sie <strong>in</strong> den Arm nehmen, sie an der Hand<br />

halten oder segnen. 108<br />

107 Vgl. Zippert, 2006, S. 22ff.<br />

108 Vgl. Zippert, 2006, S. 20.<br />

39


3.1.3 Theologische Begleitung<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> als „Erste Hilfe für die Seele“ ist e<strong>in</strong> Grundbestandteil des kirchlichen<br />

Auftrags zur Seelsorge. Dies geschieht aus der uralten christlichen Tradition heraus,<br />

Menschen <strong>in</strong> Not beizustehen. Neu ist allerd<strong>in</strong>gs, dass <strong>Notfallseelsorge</strong> heute <strong>in</strong><br />

Zusammenarbeit mit Rettungsdiensten und Feuerwehren geschieht.<br />

Um allerd<strong>in</strong>gs die Theologie der <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht beleuchten zu<br />

können, bedarf es, die verschiedenen biblischen Traditionen im H<strong>in</strong>tergrund des<br />

seelsorgerlich-diakonischen Auftrags der Kirchen e<strong>in</strong>en Augenblick anzuschauen, da sie<br />

gleichwohl auch für die <strong>Notfallseelsorge</strong> gelten.<br />

Wie schon kurz erwähnt, steht dabei allem voran die Beispielerzählung vom<br />

Barmherzigen Samariter (Lk 10, 25-37). Hier ist <strong>in</strong>sbesondere der letzte Satz: „Gehe h<strong>in</strong><br />

und tue desgleichen“ sehr bedeutend. Im Pendant dazu haben auch die<br />

Heilungsgeschichten Jesu als Aufforderung zu ähnlichem Handeln gewirkt. Aber auch<br />

diverse Traditionen zum Hirtenamt und zur Suche nach dem Verlorenen (Hes 34,16;<br />

Joh 10,11; Lk 15), sowie das Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25, 31-46), sprechen von<br />

den Werken der Barmherzigkeit: belehren, raten, trösten, ermutigen, vergeben und<br />

Unrecht geduldig ertragen.<br />

In all diesen Traditionen steht das praktische Engagement der Kirchen, sich leiblichen<br />

und seelischen Nöten zuzuwenden, sowohl <strong>in</strong> der Leidensbekämpfung, als auch <strong>in</strong> der<br />

Leidensnachfolge (Mitleiden). So war es beispielsweise jahrhundertelang Sitte und ist<br />

es auch bis <strong>in</strong> unsere heutigen Tage noch üblich, dass bei schwerer Krankheit oder im<br />

Angesicht des Todes der Priester oder der Pfarrer zur letzten Ölung bzw. zum letzten<br />

Abendmahl herbeigerufen wird. Daraus lässt sich herausdeuten, dass e<strong>in</strong> „Abschied <strong>in</strong><br />

Würde“ schon immer und auch immer noch e<strong>in</strong> großes Bedürfnis von Sterbenden und<br />

Angehörigen, sowie h<strong>in</strong>zukommend heutzutage auch von Rettungskräften ist. Somit ist<br />

die Seelsorge im Angesicht des Todes heute ke<strong>in</strong>e neue Aufgabe der Kirche, sondern<br />

e<strong>in</strong>e ureigene Aufgabe, die sich allerd<strong>in</strong>gs im Wandel der Zeit den veränderten<br />

Bed<strong>in</strong>gungen angepasst hat. So entstanden beispielsweise auch die<br />

Krankenhausseelsorge, die Gefängnisseelsorge und letztendlich auch die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>. Trotz, dass der gegenwärtige Umgang mit dem Tod immer mehr der<br />

Verdrängung unterliegt, wächst die Institutionalisierung und Professionalisierung der<br />

Seelsorge als Kennzeichen neuzeitlicher Gesellschaften <strong>in</strong> alle Lebensbereiche h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />

40


Aus diesem Grund begegnet <strong>Notfallseelsorge</strong> auch vielfach Menschen, bei denen die<br />

göttliche Macht erst dann ersche<strong>in</strong>t, wenn die eigene am Ende ist. Auf der anderen Seite<br />

bietet es jedoch auch die Chance <strong>in</strong>mitten der erfahrenen Machtlosigkeit, Religion und<br />

Gottesbild wieder neu <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> zu rücken, ohne Gott dabei auf „gut“ oder<br />

„böse“ h<strong>in</strong> zu reduzieren. <strong>Notfallseelsorge</strong> umfasst und begleitet hier <strong>in</strong> beide<br />

Richtungen: Sowohl <strong>in</strong> der Klage mit den Betroffenen, wo den Gefühlen von Angst,<br />

Ohnmacht, Zorn und Hilflosigkeit Ausdruck verliehen wird, als auch im Beistand, im<br />

geme<strong>in</strong>samen Gebet und dem Ausharren, dann wenn sche<strong>in</strong>bar nichts mehr „zu<br />

tun“ ist. 109<br />

3.1.4 Theologische Verteidigung<br />

In den letzten gut zehn Jahren, <strong>in</strong> denen sich die <strong>Notfallseelsorge</strong> nahezu<br />

flächendeckend <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> etabliert hat und sich im Falle des „bösen schnellen<br />

Todes“ den Menschen annimmt, stößt sie allerd<strong>in</strong>gs auch auf Widerstand und Zweifel.<br />

Insbesondere <strong>in</strong> den Pfarrkonferenzen und –konventen ist sie immer noch umstritten,<br />

wie ke<strong>in</strong> anderes Arbeitsfeld der Kirchen. Deshalb sollen an dieser Stelle 10 Argumente<br />

für die <strong>Notfallseelsorge</strong> angebracht werden, die sowohl aus verschiedenen Perspektiven<br />

die Notwendigkeit darstellen, als auch Chancen und Gefahren dar<strong>in</strong> aufzeigen.<br />

1. Menschen <strong>in</strong> Not beizustehen und Sterbende und Trauernde nicht alle<strong>in</strong>e zu lassen<br />

war immer und ist immer noch „Grundbestandteil des Seelsorgeauftrags der Kirche“.<br />

2. Durch die Professionalisierung von Feuerwehr und Rettungsdienst <strong>in</strong> den letzten 20<br />

Jahren, hat sich das hauptamtlich arbeitende Netz fast flächendeckend <strong>in</strong> ganz<br />

<strong>Deutschland</strong> ausgeweitet. Um dem Auftrag der Seelsorge <strong>in</strong> Notsituationen<br />

nachzukommen, muss Kirche <strong>in</strong> verlässlicher Kooperation mit dem etablierten<br />

System geschehen und sich <strong>in</strong>sofern anpassen, als dass sie e<strong>in</strong> Teil dieses wichtigen<br />

Systems wird. Der Auftrag der Seelsorge kann hier nur arbeitsteilig mit allen<br />

anderen Hilfsorganisationen wahrgenommen werden.<br />

3. <strong>Notfallseelsorge</strong> ist e<strong>in</strong> organisierter Bereitschaftsdienst analog beispielsweise zu<br />

dem der Ärzte. Realistischerweise wird <strong>Notfallseelsorge</strong> kollegial und regional als<br />

Vertretungsdienst oder Zusatzauftrag wahrgenommen, so dass e<strong>in</strong>e Entlastung für<br />

jeden e<strong>in</strong>zelnen Pfarrer spürbar wird, nicht immer rund um die Uhr im Dienst se<strong>in</strong><br />

zu müssen.<br />

109 Vgl. Zippert, 2006, S. 33ff.<br />

41


4. Aus der Perspektive von Betroffenen ist <strong>Notfallseelsorge</strong> „Erste Hilfe für die Seele“,<br />

die sich nicht im „Bei-Leid“, sondern im „Bei-Stand“ für Menschen <strong>in</strong> Not äußert.<br />

Annahme und Begleitung, Zuhören und mite<strong>in</strong>ander Beten eröffnen Wege, dem<br />

Chaos der Gefühle Ausdruck zu verleihen. Oft reicht auch schon die stille Präsenz<br />

e<strong>in</strong>es Geistlichen <strong>in</strong> der Notsituation.<br />

5. <strong>Notfallseelsorge</strong> schafft durch die Momente des Schweigens oder Redens und durch<br />

die Er<strong>in</strong>nerung an die eigenen Ressourcen der Betroffen die von R. Smed<strong>in</strong>g<br />

benannten „Trittstufen der Trauer“. Durch diese Möglichkeit, <strong>in</strong> der Betroffene nicht<br />

nur hilflos s<strong>in</strong>d, sondern selbst etwas tun können, wird der Trauerprozess hilfreich<br />

unterstützt.<br />

6. <strong>Notfallseelsorge</strong> bietet ebenso auch Hilfe für die Helfer. In Situationen extremer<br />

Ohnmacht und Hilflosigkeit von Seiten der Rettungskräfte, kann <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

helfen, mit der Situation anders umgehen zu lernen, sie <strong>in</strong>sbesondere nicht als<br />

persönliche Niederlage zu deuten.<br />

7. Die <strong>Notfallseelsorge</strong> schließt e<strong>in</strong>e Lücke im System der Rettungsdienste. Während<br />

andere sich um die körperlichen, rechtlichen, organisatorischen und f<strong>in</strong>anziellen<br />

Aspekte kümmern, ist <strong>Notfallseelsorge</strong> für die emotionale und erlebnishafte<br />

Innenseite der Menschen da, die leider lange übersehen wurde.<br />

8. Natürlich benötigt <strong>Notfallseelsorge</strong>, wie jede Seelsorge auch, das rechte Verhältnis<br />

zwischen anteilnehmender Nähe und Hilfe ermöglichender Distanz, um nicht der<br />

Gefahr zu unterliegen, die eigene Identität zu verlieren.<br />

9. E<strong>in</strong>e weitere Gefahr lauert <strong>in</strong> der Erfahrung von Macht und Ohnmacht. Hier muss<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> das richtige Mittel f<strong>in</strong>den, mit Ohnmachtserfahrungen angemessen<br />

umzugehen. Nicht zu belehren auf der e<strong>in</strong>en Seite und nicht zu vermeiden auf der<br />

anderen. Deshalb braucht <strong>Notfallseelsorge</strong> erfahrungsnahen Austausch unter den<br />

Kollegen, damit e<strong>in</strong>er Überforderung vorgebeugt werden kann.<br />

10. Nicht selten spielen bei der Motivation der <strong>Notfallseelsorge</strong>r die biographischen<br />

Muster e<strong>in</strong>e große Rolle. Es geht dabei um Wiederholung oder Vermeidung.<br />

Wichtig ist deshalb, dass regelmäßig Supervision und Beratung stattf<strong>in</strong>det, um<br />

feststellen zu können, ob früher erlebte Notsituationen bearbeitet s<strong>in</strong>d, damit sie<br />

nicht im E<strong>in</strong>satz wieder zum Vorsche<strong>in</strong> kommen und handlungsunfähig machen. 110<br />

110 Vgl. Zippert, 2006, S. 75ff.<br />

42


3.1.5 Die Theodizee – Frage<br />

Der Begriff „Theodizee“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt<br />

„Recht Gottes“ 111 , abgeleitet von theos, Gott und dike, Gerechtigkeit.<br />

Dieser Fachbegriff bezeichnet die Rechtfertigung Gottes angesichts der Frage, wie Gott,<br />

wenn er doch vollkommen gut und allmächtig ist, das Böse und das Leid <strong>in</strong> der Welt<br />

zulassen kann. Der Begriff selbst ist ke<strong>in</strong> biblischer, 112 sondern wurde erst mit der<br />

Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert durch den Philosophen Gottfried Wilhelm<br />

Leibnitz geprägt, der damit den Versuch der Rechtfertigung Gottes angesichts der<br />

Anklagen, die gegen ihn aufgrund des Zustandes der Welt erhoben wurden,<br />

bezeichnete. 113<br />

Dieses Theodizeeproblem, das sich formal(logisch) nicht lösen lässt, ist vermutlich<br />

DAS theologische Problem der <strong>Notfallseelsorge</strong>. Während die Theodizeefrage <strong>in</strong> der<br />

kirchlichen Verkündigung kaum e<strong>in</strong>e Rolle spielt, wird sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Notsituation umso<br />

deutlicher bewusst. Jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r ist hier nun gefordert, darauf e<strong>in</strong>e persönlich<br />

echte und anderen vermittelbare Antwort gefunden zu haben. Denn sonst besteht die<br />

Gefahr, an Betroffenen, denen <strong>in</strong>nerhalb von Sekunden alles fraglich geworden ist,<br />

vorbeizureden und vorbeizuhandeln.<br />

Die formale Unlösbarkeit der Frage, hat vor über 2000 Jahren der griechische Philosoph<br />

Epikur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Klassischen Epikuräischen Dilemma beschrieben: 114<br />

„Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht,<br />

oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es. Wenn er nun will und nicht<br />

kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er<br />

missgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er<br />

sowohl missgünstig wie auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann,<br />

was alle<strong>in</strong> sich von Gott ziemt, woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht<br />

weg?“ 115<br />

Doch trotz dieser beschriebenen formalen Unlösbarkeit Epikurs und trotz der Tatsache,<br />

dass sich das Theodizeeproblem nicht auf der Basis naturwissenschaftlicher<br />

Erkenntnisgrundsätze lösen lässt, können <strong>Notfallseelsorge</strong>r von e<strong>in</strong>em barmherzigen,<br />

guten Gott reden, ohne dabei realitätsfern zu se<strong>in</strong>. Dies gel<strong>in</strong>gt allerd<strong>in</strong>gs nur, wenn<br />

auch <strong>Notfallseelsorge</strong>r die Wirklichkeit bewusst zur Kenntnis nehmen, Leiden nicht<br />

111 Vgl. Härle, <strong>in</strong>: Christophersen/ Jordan, 2007, S. 310.<br />

112 Vgl. Holm, <strong>in</strong>: Betz/ Ego/ Grimm, 2004, S. 1338.<br />

113 Vgl. Härle, 2000, S. 439.<br />

114 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 19.<br />

115 Ritter/ Hanisch/ Nestler/ Gramzow, 2006, S. 31.<br />

43


schön reden und die eigene Sprachlosigkeit und Ohnmacht zugeben können. Dann aber,<br />

wenn dies gel<strong>in</strong>gt, wird die Hoffnung aus der Offenbarung des Johannes jedem zuteil, 116<br />

denn „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr<br />

se<strong>in</strong>, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr se<strong>in</strong>; denn das Erste ist<br />

vergangen.“ 117<br />

3.2 Möglichkeiten des Umgangs mit biblischen Texten<br />

Seelsorge geschieht an vielen Orten <strong>in</strong> der Begegnung mit Menschen, deren<br />

Lebensentwurf von e<strong>in</strong>er Sekunde auf die andere <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Krise geraten ist. Und <strong>in</strong> dieser<br />

Notsituation gibt es nun <strong>Notfallseelsorge</strong>r, die nach Möglichkeiten suchen, mit den<br />

Betroffenen e<strong>in</strong>en Weg weiterzugehen, für den sie Hilfe und Ansprache, Nähe und<br />

Zuverlässigkeit benötigen. Es wird <strong>in</strong>sbesondere e<strong>in</strong> Gegenüber gewünscht, „der von<br />

e<strong>in</strong>er Hoffnung getragen wird, die über den Tod h<strong>in</strong>ausgeht.“ 118 Dazu können die<br />

folgenden biblischen Texte hilfreich se<strong>in</strong>.<br />

3.2.1 Psalm 23<br />

Der Psalm 23 ist e<strong>in</strong>e Bibelstelle, die <strong>in</strong> der evangelischen Volkskirche durch den<br />

Religions- und Konfirmandenunterricht tradiert wird und den meisten Menschen<br />

vertraut ist, wie ke<strong>in</strong> anderer Psalm. 119 Wer also nachzusprechen vermag, dass Gott se<strong>in</strong><br />

„Hirte“ ist, wird, im Gegensatz zu denjenigen, die sich von Gott und den Menschen<br />

verlassen glauben, anders durch die „Täler“ des Lebens und Sterbens gehen. 120<br />

Der HERR ist me<strong>in</strong> Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf e<strong>in</strong>er grünen<br />

Aue und führet mich zum frischen Wasser.<br />

Gottes Begleitung durch das gesamte Leben ist von Beg<strong>in</strong>n an festgeschrieben.<br />

Bekräftigt wird dieses Vertrauen durch Jesus, der sich selbst als „der gute<br />

Hirte“ bezeichnet. Und e<strong>in</strong> guter Hirte ist Tag und Nacht für se<strong>in</strong>e Schützl<strong>in</strong>ge da, sorgt<br />

für sie und beschützt sie. Die „grünen Auen“ von denen gesprochen wird, stehen für<br />

glückliche und gelungene Zeiten, <strong>in</strong> denen alles gut und zufrieden stellend läuft. So<br />

116 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 24ff.<br />

117 Deutsche Bibelgesellschaft, 1999, Offenbarung 21, Vers 4.<br />

118 Tarnow/ Gladisch, 2007, 85.<br />

119 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 87.<br />

120 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 31.<br />

44


hätten wir es gerne immer, betrachten es auch als selbstverständlich, doch e<strong>in</strong> Leben<br />

ohne Krisen gibt es nicht. 121<br />

Er erquicket me<strong>in</strong>e Seele.<br />

Menschen <strong>in</strong> Krisensituationen fühlen sich oft kraftlos. Sie benötigen Unterstützung,<br />

um wieder Energie zu tanken. Dabei helfen <strong>Notfallseelsorge</strong>r, die e<strong>in</strong>e verständnisvolle<br />

Ruhe ausstrahlen und Rituale anbieten, denn Menschen <strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>neren Not suchen<br />

häufig wieder nach ihren religiösen Wurzeln. Durch Gebete und Segnung, die sich als<br />

Lebensquelle für die Seele erweisen, f<strong>in</strong>den Betroffene Trost und schöpfen neue<br />

Kraft. 122<br />

Er führet mich auf rechter Straße um se<strong>in</strong>es Namens willen.<br />

Der Tag X stellt für Betroffene e<strong>in</strong>en bedeutenden Wendepunkt dar. Es gibt e<strong>in</strong> davor<br />

und e<strong>in</strong> danach. Für manche ist das Ereignis e<strong>in</strong>e wichtige Wegkreuzung, für manche<br />

e<strong>in</strong>e immer wieder schmerzende Narbe. Es ist schwer zu akzeptieren, dass Gott den<br />

Menschen auf rechtem Wege führt. Es ist jedoch leichter e<strong>in</strong> „Ja“ zum eigenen<br />

Schicksal zu f<strong>in</strong>den, wenn man dabei verständnisvoll begleitet wird. 123<br />

Und ob ich schon wanderte im f<strong>in</strong>stern Tal, fürchte ich ke<strong>in</strong> Unglück; denn du bist bei<br />

mir, de<strong>in</strong> Stecken und Stab trösten mich.<br />

Da ke<strong>in</strong> Leben frei ist von „f<strong>in</strong>steren Tälern“ ist es umso schmerzlicher, wenn gute<br />

Zeiten im Leben zu Ende gehen. <strong>Notfallseelsorge</strong>r werden <strong>in</strong> dieser Situation zu<br />

Begleiter, die e<strong>in</strong> Stück des dunklen Weges mitgehen und mit ihrem Dase<strong>in</strong><br />

ermöglichen, Trauer zuzulassen und Schmerz auszuhalten. Sie helfen Schicksalsschläge<br />

zu bewältigen. Vor allem durch ihren Glauben an den bejahenden Gott, werden sie zu<br />

„Stecken und Stab“, um verzweifelten Menschen Halt zu geben. Gottes Reich, das<br />

mitten unter uns ist, wird hier durch die Zuwendung zum leidenden Menschen erfahrbar<br />

und spürbar. 124<br />

121 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 87f.<br />

122 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 88.<br />

123 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 90.<br />

124 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 91f.<br />

45


Du bereitest vor mir e<strong>in</strong>en Tisch im Angesicht me<strong>in</strong>er Fe<strong>in</strong>de Du salbest me<strong>in</strong> Haupt<br />

mit Öl und schenkest mir voll e<strong>in</strong>.<br />

Wenn Menschen dem Tod begegnen, dann können auch diese Verse des Psalms auf die<br />

Situation übertragen werden. Oft löst der unerwartete Tod Panik aus, <strong>in</strong> der alle<br />

Menschen – vom unschuldigen Autofahrer bis h<strong>in</strong> zum Rettungsdienst – zum Fe<strong>in</strong>d<br />

werden. <strong>Notfallseelsorge</strong>r s<strong>in</strong>d dann hilfreich, denn sie ermutigen die Betroffenen, ihren<br />

Gefühlen freien Lauf zu lassen, um den Weg für den Trauerprozess zu ebnen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus kann die Salbung als Ritual den Trauernden als s<strong>in</strong>nliche Zuwendung und<br />

Vergewisserung der Nähe Gottes auf dem Weg durch die Trauer bedeutsam se<strong>in</strong>.<br />

Und wenn sich dann das erste Chaos gelegt hat, melden sich oft Hunger und Durst.<br />

Dann ist es gut, geme<strong>in</strong>sam am Tisch zu sitzen und auch hier Leben mite<strong>in</strong>ander zu<br />

teilen. 125<br />

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen me<strong>in</strong> Leben lang, und ich werde bleiben<br />

im Hause des HERRN immerdar.<br />

Trotz e<strong>in</strong>es schmerzhaften Verlustes verlieren Menschen nicht ihr Wohnrecht <strong>in</strong> Gottes<br />

Haus, denn Gott will uns verbunden bleiben und er lädt uns immer wieder zu sich e<strong>in</strong>.<br />

Begleitende <strong>Notfallseelsorge</strong>r geben ihnen Zeugnis davon: 126 „Denn ich b<strong>in</strong> gewiß, daß<br />

weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder<br />

Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch e<strong>in</strong>e andere Kreatur<br />

uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die <strong>in</strong> Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ 127<br />

3.2.2 E<strong>in</strong>e Meditation des Vater Unsers<br />

Nach der Auffassung Mart<strong>in</strong> Luthers: „Not lehrt beten“, bietet das „Vater Unser“ als<br />

Grundgebet der Christenheit e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit zur Reflexion der eigenen<br />

theologischen Auffassungen. Dadurch kann es als Leitfaden dienen, um die<br />

Wirklichkeit und ihre damit verbundenen Nöte nicht aus den Augen zu verlieren. 128<br />

125 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 92f.<br />

126 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 93f.<br />

127 Deutsche Bibelgesellschaft, 1999, Römer 8, Vers 38+39.<br />

128 Vgl. Zippert, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 33f.<br />

46


Die Anrede: „Vater unser im Himmel“ oder: Wer oder was ist Gott?<br />

Alle<strong>in</strong> schon die beg<strong>in</strong>nenden Worte „Vater Unser“, zeigen die geme<strong>in</strong>same Basis aller<br />

Beteiligten. Es gibt etwas, das alle – jedweder Unterschiedlichkeit – mite<strong>in</strong>ander<br />

verb<strong>in</strong>det: „Unser Vater im Himmel“. Vor ihm s<strong>in</strong>d alle gleich, egal ob Betroffene oder<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte. Durch ihn s<strong>in</strong>d alle ane<strong>in</strong>ander verwiesen und aufe<strong>in</strong>ander angewiesen.<br />

Und das auf gleicher Ebene.<br />

Doch wie ersche<strong>in</strong>t der „Vater“ <strong>in</strong> dieser Situation? Als „Herr über Leben und Tod“, als<br />

Richter oder sogar als jemand, der alle e<strong>in</strong>er Prüfung unterwirft? Oder ist es der, der <strong>in</strong><br />

jedem Leidenden neu mit leidet, damit er uns Menschen nahe ist und uns e<strong>in</strong>en Ausweg<br />

zeigen kann? Ist es dann auch der Vater, der die menschlichen Fehler verzeiht, alles neu<br />

macht und alle Tränen abwischt? Genauso steht die Frage im Raum, ob Gott „im<br />

Himmel“, weit weg ist oder so nah wie Jesus uns den Himmel verkündigt hat, <strong>in</strong>dem<br />

Gottes Reich mitten unter uns ist (Lk 17,21)?<br />

Jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r muss sich bewusst werden, ob Notsituationen für ihn selbst Orte<br />

der Gottesbegegnung s<strong>in</strong>d und welche Seite Gottes ihm dort ersche<strong>in</strong>t, die er dann durch<br />

se<strong>in</strong> Tun und Lassen bezeugt. 129<br />

Die erste Bitte: „Geheiligt werde de<strong>in</strong> Name“ – Oder: Was bewegt mich wirklich?<br />

In wessen Namen ist der <strong>Notfallseelsorge</strong>r unterwegs? Im eigenen Namen, im Namen<br />

der Kirche oder im Namen des Herrn? Wenn er im eigenen Namen unterwegs ist, stellt<br />

sich die Frage, welche Motivation dah<strong>in</strong>ter steckt, Menschen <strong>in</strong> Not zu helfen. Ist es<br />

durch persönliche Erlebnisse <strong>in</strong> der eigenen Biographie begründet? Supervision ist dann<br />

dr<strong>in</strong>gend notwendig, um professionell zu bleiben.<br />

Ist der <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Namen der Kirche im E<strong>in</strong>satz, hat er e<strong>in</strong> Amt <strong>in</strong>ne, das es<br />

ihm erlaubt, Rituale durchzuführen, welche die sonstigen E<strong>in</strong>satzkräfte nicht<br />

beherrschen. Allerd<strong>in</strong>gs soll hier ke<strong>in</strong>e Missionierung wider Willen geschehen. Das<br />

heißt, dass Rituale nur dann angeboten werden, wenn sie die Betroffenen auch wirklich<br />

selbst wollen. Darüber h<strong>in</strong>aus muss auch damit gerechnet werden, dass Betroffene ihr<br />

eigenes Bild und ihre eigenen Erfahrungen mit der Institution Kirche haben und<br />

dementsprechend auch reagieren. Das gleiche gilt auch dann, wenn der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r im Namen Gottes unterwegs ist. Auch hier kann es se<strong>in</strong>, dass jegliche<br />

Erfahrungen auf ihn projiziert werden.<br />

129 Vgl. Zippert, 2006, S. 44f.<br />

47


Bleibt die Frage, wie denn aber nun Gottes Name <strong>in</strong> Notsituationen „geheiligt“ wird.<br />

Trotz dass Gottes Name an sich schon heilig ist, geht es darum, sowohl unsere Lehre,<br />

als auch unser Leben christlich zu führen, also das, was wir heilend sagen oder tun. 130<br />

Die zweite Bitte: „De<strong>in</strong> Reich komme“ – Oder: Von der Kraft der Vorläufigkeit<br />

In dieser Bitte geht es um die Bitte der Durchsetzung des göttlichen Willens. Zwar<br />

kommt das Reich Gottes auch ohne unser Gebet, dennoch bitten wir darum, dass es uns<br />

offenbar werde. Auf der e<strong>in</strong>en Seite sche<strong>in</strong>t dies für Betroffene <strong>in</strong> Notsituationen<br />

schwer erklärbar – die Diskrepanz ist zu offensichtlich. Auf der anderen Seite aber kann<br />

diese Bitte erlebbar machen, wie vergänglich und unvollkommen unser „Reich“ hier<br />

und heute ist und dass Gott uns aus der Zukunft immer wieder neu entgegenkommt, um<br />

neue Wege zu eröffnen. Im Moment der Not ist dieser Gedanke unvorstellbar, doch<br />

durch Jesu Auferstehung zeigt sich die Gewissheit, dass wir uns <strong>in</strong> Gott geborgen<br />

wissen dürfen und er uns wieder aufrichten wird. 131<br />

Die dritte Bitte: „De<strong>in</strong> Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ – Oder: Vom<br />

Willensstreit <strong>in</strong> Gott und <strong>in</strong> mir.<br />

Im Blick auf das Leiden steht e<strong>in</strong>e Frage im Raum: Was ist Gottes Wille? Sicherlich<br />

nicht e<strong>in</strong>fach das, was geschieht. Aber zum Leben unter irdischen Bed<strong>in</strong>gungen, gehört<br />

auch das Leiden dazu, das letztlich reifend wirken und sich zum Guten wenden kann.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus will Gott auch etwas von uns. Er fordert das Doppelgebot der Gottes-<br />

und Nächstenliebe und er lässt uns für unterlassene Befolgung se<strong>in</strong>er Gebote leiden,<br />

<strong>in</strong>dem er uns den Folgen unserer eigenen Taten aussetzt. Pr<strong>in</strong>zipiell aber will Gott nicht<br />

das Leiden, sondern das Leben se<strong>in</strong>er Geschöpfe, weswegen er Jesus Christus für uns<br />

leiden, sterben und auferstehen ließ.<br />

Was bleibt ist die Spannung zwischen Verh<strong>in</strong>derung und S<strong>in</strong>ngebung von Leiden, von<br />

tatkräftigem Handeln und geduldigem Ertragen. Beide Aspekte muss sich jeder<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> rufen. Denn e<strong>in</strong>erseits versucht er Ursachen von<br />

Leiden zu beseitigen, aber andererseits fragt er sich auch nach dem S<strong>in</strong>n des Leidens,<br />

wie daraus gelernt werden kann und wie unter auszuhaltenden Ohnmachtserfahrungen<br />

Not leidende Menschen begleitet werden können. 132<br />

130 Vgl. Zippert, 2006, S. 45ff.<br />

131 Vgl. Zippert, 2006, S. 47ff.<br />

132 Vgl. Zippert, 2006, S. 49f.<br />

48


Die vierte Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – Oder: Von der Kraft des<br />

Beistehens<br />

Hier geht es um das was für Leib und Leben notwendig ist, wie das tägliche Brot. Doch<br />

was tut Not im Notfall? Was wird über die mediz<strong>in</strong>ische, technische und<br />

organisatorische Hilfe h<strong>in</strong>aus benötigt? Allem voran ist wohl der Beistand das<br />

Wichtigste und Notwendigste, was Menschen <strong>in</strong> Notsituationen dr<strong>in</strong>gend brauchen, weil<br />

sie oft wie durch e<strong>in</strong>en Sog <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>samkeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gezogen werden. Betroffene<br />

brauchen e<strong>in</strong>en Beistand, der zuhört, da ist und mit schweigt. Möglicherweise kann<br />

auch nach Ressourcen Ausschau gehalten werden, die für den kommenden je<br />

<strong>in</strong>dividuellen Trauerprozess e<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong> können. „Das tägliche Brot“ für Betroffene<br />

ist <strong>in</strong> diesem Moment also menschlich zugewendeter Beistand, auch wenn es für den<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r bisweilen anstrengend ist und an die Grenzen der Kraft geht. Deshalb<br />

s<strong>in</strong>d Supervision und kollegiale Beratung unverzichtbar.<br />

Wir bitten Gott um das tägliche Brot und wissen zugleich, dass Gott uns alles Not-<br />

wendige auch durch andere Menschen zukommen lässt. Als Geschöpfe und Ebenbild<br />

Gottes haben wir die Gabe bekommen, uns gegenseitig zu Nutzen und zu<br />

unterstützen. 133<br />

Die fünfte Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren<br />

Schuldigern“ – Oder: Von der Schuldverleugnung und der Lust an ihr<br />

Von Schuld zu reden ist sehr schwer. Deshalb sche<strong>in</strong>t der Umgang mit Schuld e<strong>in</strong> Tabu-<br />

Thema zu se<strong>in</strong>, was nicht verwunderlich ist, nach dem was unser Volk im letzten<br />

Jahrhundert „verursacht“ und erlitten hat. Wir haben e<strong>in</strong> „defizitäres<br />

Schuldbewusstse<strong>in</strong>“ und es fehlt uns an Ausrucksformen, mit Schuld umzugehen.<br />

Demgegenüber hält aber das Vaterunser an unserer Schuldfähigkeit fest, weil sie zu<br />

unserer Würde als freie Geschöpfe gehört. Und zu dieser Freiheit gehört auch, dass wir<br />

fehlbar s<strong>in</strong>d und schuldig werden können.<br />

Wichtig ist dann aber, sich se<strong>in</strong>er Schuld bewusst zu werden. Um welche Schuld geht es<br />

genau? Woran habe ich Schuld, woran andere? Was ist me<strong>in</strong> Anteil? Erst, wenn diese<br />

Fragen geklärt s<strong>in</strong>d, wird e<strong>in</strong>e Bitte um Vergebung ehrlich und s<strong>in</strong>nvoll. Erst dann kann<br />

vergeben und Vergebung erbeten werden - auch wenn beides manchmal schwer fällt<br />

und viel Mut braucht. 134<br />

133 Vgl. Zippert, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 40ff.<br />

134 Vg. Zippert, 2006, S. 54ff.<br />

49


Die sechste Bitte: „Führe uns nicht <strong>in</strong> Versuchung“ – Oder: Von den besonderen<br />

Versuchungen der <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

Henri J.M. Nouwen benennt drei typische Versuchungen die für die Seelsorge und<br />

damit auch für die <strong>Notfallseelsorge</strong> gelten.<br />

Zunächst besteht vielerorts immer noch die Ansicht, dass Seelsorger nichts Besonderes<br />

s<strong>in</strong>d. Sie betrachten sich selbst so, denn jahrelang g<strong>in</strong>g es auch ohne sie. Die<br />

Versuchung der Unentbehrlichkeit be<strong>in</strong>haltet somit den Trugschluss, dass jeder<br />

Christenmensch, derer es genug gibt, ebenso Beistand leisten kann. Doch<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> muss hier ihr eigenes Profil zeigen und die eigene Professionalität<br />

pflegen.<br />

Des Weiteren gibt es die Versuchung der Beliebtheit. Wem gefällt es nicht, anerkannt<br />

und beliebt zu se<strong>in</strong>? Doch gel<strong>in</strong>gt es jedem <strong>Notfallseelsorge</strong>r auch die anderen<br />

Rettungskräfte anzuerkennen? Nichts desto trotz geht es hier nicht um die E<strong>in</strong>satzkräfte,<br />

sondern um die Menschen die <strong>in</strong> Not s<strong>in</strong>d und Hilfe brauchen. Das darf nicht vergessen<br />

werden.<br />

Die dritte Versuchung ist die der Macht. Seelsorge kann Leid nicht wegzaubern, Schuld<br />

nicht <strong>in</strong> Luft auflösen und nichts besser wissen, als die Betroffenen selbst. Oft fällt es<br />

Seelsorgern deshalb schwer „nur“ Beistand zu leisten oder mit Menschen auszuharren.<br />

Doch das ist es, worauf es <strong>in</strong> diesen Situationen ankommt. 135<br />

Die siebte Bitte: „Sondern erlöse uns von den Bösen“ – Oder: Von der Schwierigkeit zu<br />

trösten<br />

Es ist e<strong>in</strong>e Bitte, die von Gott alles erwartet, naiv davon ausgeht, dass Gott letztlich der<br />

E<strong>in</strong>zige ist, der noch helfen kann. Zwar sehen Menschen alles Böse und alles Übel<br />

zunächst als das, was gerade noch nicht erfolgreich bekämpft und kompensiert worden<br />

ist. Doch darüber h<strong>in</strong>aus stellen sich relativ schnell die Warum-Fragen im Theodizee-<br />

Problem. Warum kann Gott das zulassen? Wieso geschieht das ausgerechnet mir? Das<br />

kl<strong>in</strong>gt widersprüchlich. Auf der e<strong>in</strong>en Seite wird Autonomie beansprucht und auf der<br />

anderen Seite Gott für alles verantwortlich gemacht.<br />

H<strong>in</strong>zu kommt, dass es ke<strong>in</strong> absolutes Maß für das Böse gibt, denn jeder Mensch nimmt<br />

Tragödien anders wahr. Doch jeder Mensch kommt irgendwann an den Punkt, an dem<br />

es nicht mehr weiter geht, wo der Schmerz alles bestimmt. Und hier braucht die<br />

135 Vgl. Zippert, 2006, S. 57ff.<br />

50


<strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Sensibilität, um zu ertragen, auszuhalten und<br />

durchzuhalten. Das kann viel Kraft kosten.<br />

Den Blick nach vorne gerichtet, stellt sich jetzt die Frage, was tröstend wirken kann? Ist<br />

es tröstend sich an Gott zu er<strong>in</strong>nern, wo wir doch Jesu Auferstehung auch nicht ohne<br />

se<strong>in</strong>en Kreuzestod haben? Gehört auch das Leid dazu? In diesen Momenten braucht<br />

jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r das Bewusstse<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong> der Arbeit zwischen Leben und Tod<br />

viel Leid geschieht, Gott uns aber immer wieder aufs Neue se<strong>in</strong>e Liebe offenbaren wird.<br />

Auf diese Türe h<strong>in</strong>zuweisen, kann den Betroffenen Trost se<strong>in</strong>, um von dem Bösen erlöst<br />

zu werden und um aus dem Leiden herauszukommen. 136<br />

Der Schluss: „Denn de<strong>in</strong> ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit <strong>in</strong> Ewigkeit.<br />

Amen.“ – Oder: Von der Kraft der guten Bilder<br />

Gott sei Dank hat das Vaterunser diesen Schluss, denn es er<strong>in</strong>nert uns an die Kraft<br />

Gottes, aus dem Nichts etwas Neues, aus dem Tod das Leben zu schaffen. Hier deutet<br />

sich e<strong>in</strong> Bild an, dass sehr viel stärker ist, als der Tod und alles Böse. Es ist die „ewige<br />

Herrlichkeit“. Und solche Bilder der Herrlichkeit werden wieder gebraucht. Um als<br />

wirksamstes Heil- und Vorbeugemittel dem Sog und der Macht der schlimmen Bilder<br />

entgegenzuwirken, benötigt jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r auch se<strong>in</strong>e eigenen<br />

„herrlichen“ Bilder aus der Familie, dem Urlaub, der eigenen Glaubensgeschichte und<br />

schönen Ereignissen.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Unterstützung ist <strong>in</strong>sbesondere der Aaronitische Segen, der am Schluss<br />

e<strong>in</strong>es jeden evangelischen Gottesdienstes, voller wunderbarer Bilder neuen Halt und<br />

Mut für die Zukunft gibt: 137 „Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lassen<br />

se<strong>in</strong> Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR erhebe se<strong>in</strong> Angesicht<br />

über dich und gebe dir Frieden.“ 138<br />

136 Vgl. Zippert, 2006, S. 59ff.<br />

137 Vgl. Zippert, 2006, S. 66f.<br />

138 Deutsche Bibelgesellschaft, 1999, 2. Mose 6, Vers 24-26.<br />

51


3.3 Zur Pastoraltheologie der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

3.3.1 Pr<strong>in</strong>zip der Kooperation<br />

„<strong>Notfallseelsorge</strong> funktioniert nur, wenn sie sowohl <strong>in</strong> die kirchlichen Strukturen als<br />

auch <strong>in</strong> die der Feuerwehren und Rettungsdienste e<strong>in</strong>gebunden bleibt“ 139 Da die<br />

Zusammenarbeit nicht von selbst funktioniert und verschiedene Vorurteile gegenüber<br />

den anderen E<strong>in</strong>satzkräften oft vorhanden s<strong>in</strong>d, muss e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Kontaktpflege<br />

und Vernetzung nach allen Seiten h<strong>in</strong>, angestrebte Voraussetzung se<strong>in</strong>. 140<br />

3.3.2 Pr<strong>in</strong>zip der Sicherstellung zuverlässiger Erreichbarkeit<br />

Damit Menschen <strong>in</strong> Not flächendeckend und beständig geholfen werden kann, muss<br />

e<strong>in</strong>e zuverlässige Erreichbarkeit gewährleistet werden. Dies ist für Pfarrer<strong>in</strong>nen und<br />

Pfarrer aufgrund der Besonderheit ihres Dienstes nicht immer möglich. Erreichbarkeit<br />

ist aber unabd<strong>in</strong>gbar. Deswegen muss <strong>Notfallseelsorge</strong> kollegial und regional <strong>in</strong><br />

Rufbereitschaftsdiensten sichergestellt werden, durch enge Kontakte mit den<br />

Kirchenkreisen und der Landeskirche und <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit den Leitstellen. 141<br />

3.3.3 Pr<strong>in</strong>zip der Geme<strong>in</strong>debezogenheit und Ökumenizität<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> baut auf dem flächendeckenden Netz der beiden Großkirchen auf. In<br />

der Regel wird deshalb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Notfall versucht, e<strong>in</strong>en zuständigen Ortspfarrer zu<br />

erreichen, der wiederum vom e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>genden <strong>Notfallseelsorge</strong>r <strong>in</strong>formiert wird, falls er<br />

verh<strong>in</strong>dert gewesen se<strong>in</strong> sollte. Dies gilt natürlich gleichermaßen auch für die<br />

Geistlichen anderer Religionen und Konfessionen, denn <strong>Notfallseelsorge</strong> kann auf<br />

ökumenische Offenheit nicht verzichten. 142<br />

3.3.4 Pr<strong>in</strong>zip der Freiwilligkeit<br />

„Zuverlässige E<strong>in</strong>satzbereitschaft bleibt nur dann erhalten, wenn die Motivation stimmt<br />

und der Dienst auch entsprechende Anerkennung und Berücksichtigung f<strong>in</strong>det […]und<br />

vor allem, wenn die Teilnahme an e<strong>in</strong>em Rufbereitschaftsdienst freiwillig bleibt“, 143<br />

139 Zippert, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 53.<br />

140 Vgl. Zippert, 2006, S. 68.<br />

141 Vgl. Zippert, 2006, S. 68f.<br />

142 Vgl. Zippert, 2006, S. 69.<br />

143 Zippert, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 54.<br />

52


denn von ke<strong>in</strong>em Pfarrer und ke<strong>in</strong>em Ehrenamtlichen kann dieser zusätzliche<br />

Zeitaufwand samt Fortbildung verlangt werden. 144<br />

3.3.5 Pr<strong>in</strong>zip der Professionalität der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> erfordert über die übliche Qualifikation h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e gesonderte<br />

Fortbildung. Denn diese Arbeit benötigt Grundkenntnisse zum Verhalten und Ablauf <strong>in</strong><br />

Notsituationen, aber auch Fachwissen aus Psychologie und Theologie. 145<br />

144 Vgl. Zippert, 2006, S. 69.<br />

145 Vgl. Zippert, 2006, S. 69f.<br />

53


4. Tod und Trauer – Was sie <strong>in</strong> Menschen auslösen.<br />

4.1 Der Tod als Tabuthema <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

Der Tod ist uns allen immer gegenwärtig und doch ist er uns seltsam fremd. Er wird<br />

medial <strong>in</strong>szeniert und doch pe<strong>in</strong>lich gemieden. Wahrsche<strong>in</strong>lich haben <strong>in</strong> der ganzen<br />

Menschheitsgeschichte noch niemals zuvor so viele Menschen so viele Tote und<br />

Todesarten gesehen und dennoch zeitgleich so wenig Berührung mit Sterbenden und<br />

Toten wie heute. Und diese Diskrepanz erklärt e<strong>in</strong> Stück weit die Unsicherheit des<br />

modernen Menschen gegenüber Tod und Sterben und im weiteren S<strong>in</strong>ne auch der<br />

Trauer. Denn trotz allem, dass uns der Tod gewiss ist, wird das Sterben Fremder<br />

begieriger verfolgt und wir leben meist so, als beträfe er nur die anderen. Diese<br />

E<strong>in</strong>stellung ist <strong>in</strong> der heutigen, unsrigen Gesellschaft so verbreitet, dass von e<strong>in</strong>er<br />

Tabuisierung des Todes gesprochen werden kann. 146<br />

Es ist allerd<strong>in</strong>gs nicht der Fall, dass der Tod <strong>in</strong> unserem Leben gar nicht auftaucht oder<br />

zum Vorsche<strong>in</strong> kommt. Natürlich beobachten wir im Leben unsere Zeitlichkeit und die<br />

Vergänglichkeit aller D<strong>in</strong>ge. Doch den Tod selbst vermögen wir <strong>in</strong> der Regel nur als<br />

Horizont des Lebens zu verstehen, der <strong>in</strong> sehr weiter Ferne liegt und uns somit<br />

momentan überhaupt nicht betrifft. 147<br />

Dieses Phänomen, dass wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt der Todesverdrängung leben, hat se<strong>in</strong>e<br />

Ursache vermutlich dar<strong>in</strong>, dass wir immer das Gefühl haben, noch etwas erleben zu<br />

wollen. Und dieses Gefühl weckt e<strong>in</strong>e große Zukunftsbezogenheit <strong>in</strong> uns. 148 Weiterh<strong>in</strong><br />

haben die Menschen <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten ihre Hoffnung auch sehr deutlich auf<br />

den Fortschritt der Wissenschaft gesetzt. Die mediz<strong>in</strong>ische Entwicklung hat es uns<br />

ermöglicht daran zu glauben, nicht nur Krankheiten, sondern e<strong>in</strong>es Tages auch den Tod<br />

besiegen zu können und dass wir dadurch eigentlich gar nicht mehr so richtig sterblich<br />

s<strong>in</strong>d. Diese Denkweise hat dazu geführt, dass der Tod im Bewusstse<strong>in</strong> vieler Menschen<br />

den Charakter e<strong>in</strong>es Versehens bekommen hat, vor dem man ständig ausweichen<br />

muss. 149<br />

Diese Todesverdrängung f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>en Höhepunkt dann, wenn tatsächlich e<strong>in</strong> Unglück<br />

über uns here<strong>in</strong>bricht und Todesopfer zu verzeichnen s<strong>in</strong>d. Dann haben viele Menschen<br />

146 Vgl. Student/ Mühlum/ Student, 2007, S. 11ff.<br />

147 Vgl. von Jüchen, 1984, S. 9.<br />

148 Vgl. R<strong>in</strong>gel, <strong>in</strong>: Scheiblich, 1991, S. 11ff.<br />

149 Vgl. Hoffmann, <strong>in</strong> Scheiblich, 1991, S. 41.<br />

54


leider die Angewohnheit, schon nach kurzer Zeit wieder zum „bus<strong>in</strong>ess as<br />

usual“ überzugehen und im Übergang zur Tagesordnung, nicht nur den Tod selbst,<br />

sondern auch den für sie notwendigen Trauerprozess zu unterdrücken und zu<br />

verdrängen. 150<br />

4.2 Der Trauerprozess<br />

Grundsätzlich ist die Trauerreaktion e<strong>in</strong>e wichtige Fähigkeit, die uns angeboren ist und<br />

<strong>in</strong> unserem ganzen Leben immer wieder auftritt. Von Anfang an ist das Leben voller<br />

Abschiede, Trennungen und Verluste bis h<strong>in</strong> zu unserer eigenen Trennung von der Welt,<br />

wenn wir sterben. Die Trauer ist also e<strong>in</strong>e Erfahrung, die niemandem erspart bleiben<br />

wird. 151 Erschwerend kommt h<strong>in</strong>zu, dass frühere Generationen für die Trauerzeit<br />

Rituale entwickelt haben, die ihnen helfen sollten, ihre Trauer auszudrücken und<br />

dadurch zu neuer Lebensfreude zu f<strong>in</strong>den. Heute tun wir uns schwer mit solchen<br />

Ritualen, die <strong>in</strong> der Trauer gut tun. 152<br />

Aus diesem und anderen Gründen, kann es zu Problemen führen, wenn Trauerprozesse<br />

unterdrückt und der Tod e<strong>in</strong>es Menschen nicht verarbeitet wird. Mart<strong>in</strong> Herbert<br />

unterscheidet zwischen e<strong>in</strong>er unkomplizierten und e<strong>in</strong>er komplizierten Trauer. Bei e<strong>in</strong>er<br />

unkomplizierten Trauer durchläuft der Mensch verschiedene Trauerphasen. Dabei ist er<br />

nicht an e<strong>in</strong>en klaren Ablauf gebunden, noch wird er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben bei e<strong>in</strong>em<br />

weiteren Trauerfall auf die gleiche Weise trauern. Bei e<strong>in</strong>er komplizierten Trauer jedoch,<br />

ist der Mensch außerstande zu trauern. Er verzögert den Prozess oder dehnt die Trauer<br />

auf e<strong>in</strong>e unbestimmte Zeit aus. 153 Dadurch kann der Mensch <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Trauerphasen stagnieren oder durch Trauerverdrängung <strong>in</strong> Depressionen fallen, die für<br />

den Betroffenen selbst recht unerklärlich s<strong>in</strong>d. Häufig werden sie aber explizit durch<br />

unbearbeitete Konflikte und unabgeschlossene Trauerprozesse ausgelöst. Diese<br />

Depressionen entstehen allerd<strong>in</strong>gs nicht nur im konkreten Zeitraum nach dem Unglück<br />

oder dem Todesfall, sondern können auch noch Jahre danach auftreten, zum Beispiel<br />

am Geburtstag oder Todestag, oder auch wiederum, wenn andere Situationen mit dem<br />

Verstorbenen <strong>in</strong> engem Zusammenhang stehen. 154<br />

150 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 15.<br />

151 Vgl. Canacakis, 1990, S. 23.<br />

152 Vgl. Grün, 2004, S. 14.<br />

153 Vgl. Herbert, 1999, S. 30ff.<br />

154 Vgl. Kast, 1999, S. 93ff.<br />

55


4.3 Die Trauerphasen<br />

„Der Prozess des Trauerns“ nach Yorick Spiegel umfasst vier Phasen der Trauer, die<br />

nun nachfolgend beschrieben werden.<br />

4.3.1 Die Schockphase<br />

Die Schockphase setzt <strong>in</strong> dem Moment e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem die Nachricht vom Tod e<strong>in</strong>es nahen<br />

Angehörigen überbracht wird. Zwischen Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit, taumelt<br />

die betroffene Person, als ob ihr der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Erste<br />

Reaktionen zeigen sich im Ausbrechen von Tränen, Klagen und Selbstbeschuldigungen<br />

bis dah<strong>in</strong>gehend, dass die Person kaum ansprechbar, benommen und unfähig ist, klare<br />

Gedanken zu fassen. Nicht selten werden jetzt schon erste Schuldgefühle geäußert. 155<br />

4.3.2 Die kontrollierte Phase<br />

Während der kontrollierten Phase wird den Betroffenen die größtmöglichste Entlastung<br />

gewährt, <strong>in</strong> dem das gesamte Umfeld dazu beiträgt, dass die darauf folgenden Tage<br />

reibungslos verlaufen. Die Trauernden können <strong>in</strong> dieser Situation ihre Selbstkontrolle<br />

aufrecht erhalten und versuchen stark zu se<strong>in</strong>, damit die anstehende Trauerfeier<br />

angemessen durchgeführt werden kann. Sie selbst erleben sich allerd<strong>in</strong>gs als passiv und<br />

völlig außerstande, notwendige Entscheidungen zu treffen, weil e<strong>in</strong>e Welt<br />

zusammengebrochen ist und jetzt Hilflosigkeit regiert. 156<br />

4.3.3 Die regressive Phase<br />

Die regressive Phase ist die Zeit, <strong>in</strong> der sich H<strong>in</strong>terbliebene <strong>in</strong>tensiv mit dem Thema<br />

Tod beschäftigen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie wieder arbeiten und damit auch wieder<br />

funktionieren müssen. Während das Umfeld wieder zur Tagesordnung übergeht und den<br />

Trauernden vielleicht sogar meidet, ist der Angehörige auf sich alle<strong>in</strong> gestellt dem<br />

Schmerz ausgesetzt und muss viel Energie aufbr<strong>in</strong>gen, um e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igermaßen<br />

„normales“ Verhalten an den Tag zu legen. Darunter leiden aber viele andere D<strong>in</strong>ge.<br />

In dieser E<strong>in</strong>samkeit beschleicht den Trauernden die Frage, was wohl nach dem eigenen<br />

Tod kommt, wie die Zukunft aussieht und was dem Leben überhaupt noch e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />

155 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 59.<br />

156 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 59.<br />

56


geben kann. All dies macht den Trauernden <strong>in</strong> dieser Phase sehr verletzlich und<br />

empf<strong>in</strong>dlich. Allerd<strong>in</strong>gs kämpfen an dieser Stelle zwei Seelen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Brust: Auf der<br />

e<strong>in</strong>en Seite wünscht er sich die Wiedervere<strong>in</strong>igung mit dem Verstorbenen, sei es auch<br />

durch den eigenen Tod, und auf der anderen Seite versucht er sich auf den Verlust zu<br />

konzentrieren und wie e<strong>in</strong> Leben nach dem Verlust aussehen könnte. Der Trauernde lebt<br />

jetzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zwischenwelt, zwischen den Toten und den Lebenden, was die Welt irreal<br />

und unwirklich ersche<strong>in</strong>en lässt. 157<br />

4.3.4 Die adaptive Phase<br />

Die letzte Phase lässt sich daran erkennen, dass der Trauernde sich vom Verstorbenen<br />

lösen kann und Befreiung erlebt. Das Selbstwertgefühl steigt, erste Entscheidungen<br />

werden alle<strong>in</strong>e getroffen, der Alltag mit se<strong>in</strong>en Problemen wird zunehmend besser<br />

bewältigt. Durch die Er<strong>in</strong>nerungen an den Verstorbenen, die nun weniger schmerzlich<br />

s<strong>in</strong>d, kehrt das Gefühl für die Realität zurück. Auch wird der Kontakt zur Umwelt<br />

wieder stärker, ohne dabei den Verlust <strong>in</strong> Vergessenheit geraten zu lassen.<br />

Wenn Trauernde an diesem Punkt angelangt s<strong>in</strong>d, heißt das noch lange nicht, dass sie<br />

nicht wieder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Phase zurückgeworfen werden können, sei es durch<br />

Jahrestage, das erste Weihnachtsfest ohne den geliebten Menschen oder an allgeme<strong>in</strong>en<br />

Totengedenktagen. Oft kann sich die Ause<strong>in</strong>andersetzung über Jahre h<strong>in</strong>weg ziehen und<br />

verschiedene Phasen mehrfach durchlebt werden. 158<br />

4.4 Die Traueraufgaben<br />

Anders als der gerade skizzierte Ansatz, wählt J. William Worden e<strong>in</strong>en dazu<br />

differierenden Ansatz zur Bewältigung der Trauer. Die Bewältigung ist für ihn erst dann<br />

erfolgreich vollzogen, wenn anstatt der vier Phasen, vier Aufgaben erfüllt worden s<strong>in</strong>d.<br />

4.4.1 Erste Aufgabe: den Verlust als Realität akzeptieren<br />

Vor allem beim Überbr<strong>in</strong>gen der Todesnachricht wird es oft erlebt, dass Betroffene es<br />

nicht wahrhaben wollen und den Verlust abwehren und verleugnen. Verschiedene<br />

Reaktionen können die Folge se<strong>in</strong>. Dem Verstorbenen werden Briefe geschrieben oder<br />

157 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 60f.<br />

158 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 61.<br />

57


aber persönliche Gegenstände von ihm werden weggeworfen, um nur e<strong>in</strong>ige wenige<br />

Beispiele zu nennen. Aufgabe ist nun, den Tod als Realität zu akzeptieren. 159<br />

4.4.2 Zweite Aufgabe: den Trauerschmerz erfahren<br />

Sobald der erste Schock überwunden ist, brechen alle Gefühle und Emotionen aus den<br />

H<strong>in</strong>terbliebenen heraus. Wut und Zorn vermischen sich mit Trauer, Angstgefühlen und<br />

Ruhelosigkeit. Helle Freude und tiefe Niedergeschlagenheit können sich <strong>in</strong>nerhalb von<br />

kürzester Zeit abwechseln. E<strong>in</strong> absolutes Wechselbad der Gefühle wird durchlebt. 160 Es<br />

ist aber immens wichtig, dass diese Schmerzen und Trauererfahrungen durchlebt<br />

werden, damit sich H<strong>in</strong>terbliebene <strong>in</strong> ihrem Trauerprozess auf den Weiterweg machen<br />

können. 161<br />

4.4.3 Dritte Aufgabe: sich anpassen an e<strong>in</strong>e Umwelt, <strong>in</strong> der der<br />

Verstorbene fehlt.<br />

In dieser Zeit s<strong>in</strong>d betroffene Personen zunächst kaum noch <strong>in</strong> der Lage mit ihrem<br />

Leben fort zu fahren, weil sie <strong>in</strong> hohem Maße von Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit,<br />

E<strong>in</strong>samkeit, Angst und Depressionen gequält werden. Sie fühlen sich bedroht <strong>in</strong> ihrer<br />

Sicherheit, ihrer Identität und ihrem S<strong>in</strong>n des Lebens, was auf den Verlust e<strong>in</strong>er<br />

B<strong>in</strong>dung und Abhängigkeit zurückzuführen ist. 162 Dadurch kommt dieser Zeit e<strong>in</strong>e<br />

Schlüsselstellung zu, denn jetzt kommt es darauf an, Fähigkeiten zu entwickeln, die<br />

vorher der Verstorbene <strong>in</strong> die Beziehung e<strong>in</strong>gebracht hat und die nun im Alltag fehlen.<br />

Aber nur durch die energische Anpassung und den eisernen Willen, entsprechende<br />

Fertigkeiten zu erlernen, wird die Bewältigung der Trauer gefördert. Ist diese dritte<br />

Aufgabe erfüllt, wird der Trauerprozess aller Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong> gutes Ende<br />

nehmen. Denn jetzt erkennt der H<strong>in</strong>terbliebene die veränderten Umstände an, kann<br />

se<strong>in</strong>e Weltanschauung neu def<strong>in</strong>ieren und strukturieren und dadurch für sich selbst neue<br />

Lebensziele benennen. 163<br />

159 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 62.<br />

160 Vgl. Kast, 1999, S. 73.<br />

161 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 62.<br />

162 Vgl. Herbert, 1999, S. 31.<br />

163 Vgl. Müller-Lange, S. 62f.<br />

58


4.4.4 Vierte Aufgabe: dem Toten e<strong>in</strong>en neuen Platz zuweisen und<br />

sich dem eigenen Leben zuwenden<br />

Die letzte Aufgabe ist durch Akzeptanz und Neuausrichtung geprägt. Jetzt, wo der<br />

Verlust akzeptiert worden ist, beg<strong>in</strong>nt die trauernde Person ihre Identität neu zu<br />

def<strong>in</strong>ieren und plant e<strong>in</strong> Leben ohne den Verstorbenen, der dabei aber auf gar ke<strong>in</strong>en<br />

Fall gänzlich vergessen wird. 164 Häufig ist es allerd<strong>in</strong>gs zuerst e<strong>in</strong>mal so, dass der<br />

H<strong>in</strong>terbliebene jegliche Neub<strong>in</strong>dung scheut, weil er glaubt, die Er<strong>in</strong>nerung an den<br />

Verstorbenen dadurch zu beschmutzen. Aber auch die Furcht davor, e<strong>in</strong>e neue<br />

Beziehung wieder zu verlieren, lässt sie vor neuen B<strong>in</strong>dungen zurückschrecken. Sie<br />

müssen erst lernen, dass es andere Menschen gibt, die genauso liebenswert s<strong>in</strong>d, ohne<br />

das das gleich bedeuten muss, den Verstorbenen dadurch weniger zu lieben. 165<br />

4.5 <strong>Notfallseelsorge</strong> und Trauer<br />

Situationen der <strong>Notfallseelsorge</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel davon geprägt, dass die ersten<br />

Trauerreaktionen durch den Seelsorger ausgelöst werden, <strong>in</strong>dem er die Todesnachricht<br />

überbr<strong>in</strong>gt. <strong>Notfallseelsorge</strong>r werden hier also mit dem akuten Trauerschock<br />

konfrontiert und es gilt diese Reaktionen aufzufangen und emotionale wie körperliche<br />

Nähe spüren zu lassen. Darüber h<strong>in</strong>aus gehört zur ersten Begleitung auch die Aufgabe<br />

bei der Realisation des Todes behilflich zu se<strong>in</strong>, sich deshalb über die Todesumstände<br />

zu <strong>in</strong>formieren und aus diesen Begebenheiten heraus zu klären, ob und <strong>in</strong> welcher<br />

Weise e<strong>in</strong> persönlicher Abschied mit den Angehörigen oder e<strong>in</strong>e rituelle Begleitung<br />

möglich bzw. erwünscht ist.<br />

All das trägt dazu bei, <strong>in</strong> die Phasen des Trauerprozesses e<strong>in</strong>zuleiten und den Verlauf<br />

der Trauerarbeit damit nachhaltig zu prägen. Zwar weisen die Trauerphasen und die<br />

Traueraufgaben Ähnlichkeiten auf, dennoch ist es hier angemessener nur von<br />

Traueraufgaben zu sprechen, weil dadurch deutlicher wird, dass Trauer auch Arbeit an<br />

sich selbst und mit der Umwelt bedeutet. 166<br />

164 Vgl. Herbert, 1999. S. 31.<br />

165 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 63.<br />

166 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 63.<br />

59


5. Vorstellung der Forschungsmethode<br />

5.1 Die Befragung <strong>in</strong> der empirischen Sozialforschung<br />

In der empirischen Sozialforschung gibt es mehrere Möglichkeiten objektive<br />

Gegebenheiten, subjektive Faktoren und Verhaltensweisen zu erforschen. Die<br />

Befragung ist dabei e<strong>in</strong> wichtiges Instrument zur Gew<strong>in</strong>nung von Informationen über<br />

E<strong>in</strong>stellungen, Me<strong>in</strong>ungen, Wissen und Verhaltensweisen von Menschen <strong>in</strong> ihrem<br />

Agierungsfeld. 167 Die bekanntesten Formen der Befragung erfolgen schriftlich oder<br />

mündlich. Erstere Form eignet sich vor allem dann, wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Umfang<br />

Daten zu ermitteln s<strong>in</strong>d, während die mündliche Form dann zum E<strong>in</strong>satz kommt, wenn<br />

wichtige Grundaussagen, Me<strong>in</strong>ungen, E<strong>in</strong>stellungen und Stimmungen zu erheben s<strong>in</strong>d.<br />

Dass Fragen je nach Situation angepasst werden können, sollten vorher nicht erkannte<br />

Sachverhalte auftreten, oder dass andere Personen während des Interviews ke<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>fluss auf den Befragten nehmen können, s<strong>in</strong>d Vorteile e<strong>in</strong>er mündlichen<br />

Befragung. 168 Zudem muss man zwischen quantitativen Methoden, die <strong>in</strong> der Regel mit<br />

standardisierten Befragungen arbeiten, und qualitativen Methoden, bei deren Befragung<br />

eher sehr offene Formen gewählt werden, unterscheiden und entscheiden. 169<br />

5.2 Das Experten<strong>in</strong>terview<br />

Als Experten versteht man zunächst e<strong>in</strong>mal Menschen, die auf Anfrage ihr Wissen zu<br />

e<strong>in</strong>em bestimmten Gebiet mitteilen und so bei der Lösung e<strong>in</strong>es Problems behilflich<br />

se<strong>in</strong> können. Dabei geht es allerd<strong>in</strong>gs nicht nur um Wissenschaftler und Politiker oder<br />

dergleichen. Denn jeder Mensch verfügt eigentlich über e<strong>in</strong> besonderes Wissen. Das<br />

Wissen über den sozialen Kontext <strong>in</strong> dem sie agieren, über das Unternehmen für das sie<br />

arbeiten, über das Wohngebiet <strong>in</strong> dem sie wohnen oder auch über konkrete<br />

Veranstaltungen, an denen sie teilgenommen haben. Somit hat jeder unmittelbar<br />

Beteiligte auf Grund se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Position und se<strong>in</strong>er persönlichen<br />

Beobachtungen e<strong>in</strong>e ganz eigene Perspektive auf den jeweiligen Sachverhalt.<br />

Demzufolge s<strong>in</strong>d Experten im sozialwissenschaftlichen Forschungskontext also<br />

Menschen, die ihr besonderes Wissen über soziale Kontexte für die Untersuchungen zur<br />

167 Vgl. Schnell/ Hill/ Esser, 2005, S. 319ff.<br />

168 Vgl. Lehmann, 2001, S. 4.<br />

169 Vgl. Schnell/ Hill/ Esser, 2005, S. 319ff.<br />

60


Verfügung stellen. 170 Gläser und Laudel def<strong>in</strong>ieren das so: „Experten s<strong>in</strong>d Menschen,<br />

die e<strong>in</strong> besonderes Wissen über soziale Sachverhalte besitzen, und Experten<strong>in</strong>terviews<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Methode, dieses Wissen zu erschließen.“ 171<br />

Aus diesen Gegebenheiten heraus habe ich mich bei me<strong>in</strong>en Untersuchungen für<br />

Experten<strong>in</strong>terviews als Erhebungs<strong>in</strong>strument entschieden, um die Situationen und<br />

Prozesse rekonstruieren zu können. Darüber h<strong>in</strong>aus habe ich das Interview zu e<strong>in</strong>em<br />

leitfadengesteuerten Experten<strong>in</strong>terview erweitert. Dabei werden festgelegte Fragen<br />

anhand von Leitthemen gestellt, die es der <strong>in</strong>terviewten Person ermöglichen, offen auf<br />

die Fragen zu antworten, frei zu berichten und neue Gesichtspunkte während des<br />

Gesprächs zu eröffnen. Dadurch kann das gesamte Interview auch währenddessen<br />

sowohl durch den Interviewer, als auch durch die <strong>in</strong>terviewte Person, erweitert oder<br />

ergänzt werden, wobei die Reihenfolge der Fragen nicht zw<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>zuhalten ist und<br />

Zwischenfragen erlaubt s<strong>in</strong>d.<br />

5.3 Der Interviewleitfaden<br />

Um sicherzustellen, dass ke<strong>in</strong>e wichtigen Themenbereiche vergessen werden oder<br />

wichtige Aspekte unberührt bleiben, habe ich e<strong>in</strong>en Interviewleitfaden erstellt, durch<br />

den es mir ermöglicht wird, der <strong>in</strong>terviewten Person Handlungsspielraum oder<br />

Exkursmöglichkeiten zu lassen und dennoch Anhaltspunkte zu haben, die mich wieder<br />

zurück zu me<strong>in</strong>em Leitthema führen.<br />

Me<strong>in</strong>en Interviewleitfaden habe ich <strong>in</strong> folgende sechs Leitthemen e<strong>in</strong>geteilt, zu denen<br />

ich detaillierte Fragen gestellt habe:<br />

1. Werdegang und Aufgaben der Person<br />

2. Struktur und Grundlagen der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

3. Die <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>/ Der <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

4. Erwartungen und Wünsche der Betroffenen<br />

5. Aufgaben und Angebote der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

6. <strong>Notfallseelsorge</strong> – e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche?<br />

170 Vgl. Gläser/ Laudel, 2006, S. 9ff.<br />

171 Gläser/ Laudel, 2006, S. 10.<br />

61


5.4 Die Vorgehensweise bis zur Durchführung der Interviews<br />

Um Interviewpartner für me<strong>in</strong>e Befragung zu f<strong>in</strong>den und zu gew<strong>in</strong>nen, habe ich<br />

zunächst e<strong>in</strong>ige Personen aus der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit, die ich im Internet über die<br />

entsprechenden Seiten heraus gesucht habe, per E-Mail angeschrieben und ihnen me<strong>in</strong><br />

Anliegen dargestellt. Überraschenderweise haben mir alle geantwortet. Überraschend<br />

deshalb, weil ich eher davon ausgegangen b<strong>in</strong>, dass sie e<strong>in</strong>en Arbeitsumfang haben, der<br />

es ihnen kaum bis gar nicht ermöglicht, Zeit für weitere Tätigkeiten und Anliegen zu<br />

haben. Zumal bei manchen vermutlich des Öfteren Anfragen, wie die me<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehen.<br />

Bis auf zwei Personen, die aufgrund von anderen Term<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong>e Zeit hatten, haben<br />

sich alle angefragten Personen dazu bereit erklärt, mir für e<strong>in</strong> Interview zur Verfügung<br />

zu stehen, was ich zu schätzen weiß und worüber ich sehr dankbar b<strong>in</strong>. Das waren dann<br />

am Ende die vier Interviewpartner aus Wiesenbronn, Stuttgart, Alfdorf und Düsseldorf,<br />

die ich im nächsten Kapitel noch näher vorstellen werde.<br />

Daraufh<strong>in</strong> und nach weiterem E-Mail-Verkehr und teilweise telefonischem Kontakt,<br />

habe ich Anfang November alle Interviewpartner besucht und das Interview<br />

durchgeführt. Bei allen Interviewterm<strong>in</strong>en wurde ich sehr offen und freundlich<br />

empfangen und habe darüber h<strong>in</strong>aus zum Teil weiteres Material zur<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit bekommen.<br />

Die Interviews wurden mit e<strong>in</strong>em digitalen Diktiergerät aufgezeichnet und lagen mit<br />

ihrer Dauer zwischen 54 und 68 M<strong>in</strong>uten.<br />

5.5 Transkription und Auswertung<br />

Alle vier Interviewaufnahmen habe ich nach der Durchführung jeweils transkribiert und<br />

zu Papier gebracht. Kle<strong>in</strong>ere Pausen oder ger<strong>in</strong>gfügige Störungen aufgrund der<br />

Geräuschkulisse und Raumbeschaffenheit habe ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Aufzeichnungen<br />

weggelassen, weil sie nicht zum Sachverhalt beitragen. Ebenso habe ich<br />

Verzögerungssignale wie zum Beispiel „ähm“, „äh“ und „hm“ nicht verschriftlicht.<br />

Die Ergebnisse me<strong>in</strong>er Interviews s<strong>in</strong>d teilweise bereits im zweiten Kapitel <strong>in</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung getreten, werden aber auch im Folgenden mit e<strong>in</strong>fließen und die<br />

vorhandene Literatur ergänzen.<br />

62


6. Die Interviewpartner und ihre Aufgaben<br />

6.1 Hanjo von Wietersheim<br />

Hanjo von Wietersheim hat e<strong>in</strong>ige Berufe. Polizeibeamter, Rettungsassistent und<br />

Pfarrer. 172 Genau <strong>in</strong> der Reihenfolge. Früher war er Polizist <strong>in</strong> Hamburg und hat dann<br />

damals auch se<strong>in</strong>en Rettungsassistent gemacht. Doch irgendwann ist er „halt doch<br />

Pfarrer“ geworden. 173 Und <strong>in</strong> diesem Beruf arbeitet er jetzt <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de<br />

Wiesenbronn im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen.<br />

Über die Mitgliedschaft <strong>in</strong> Rettungsorganisationen und deren E<strong>in</strong>sätze, wo sie gemerkt<br />

haben, dass sie Seelsorger brauchen, hat Hanjo von Wietersheim festgestellt, dass hier<br />

e<strong>in</strong> System benötigt wird. Und so kam es dazu, dass er damit begonnen hat, die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> aufzubauen. 174 Aus diesem Grund ist er seit den Anfängen, also seit<br />

ungefähr 19 Jahren, mit der <strong>Notfallseelsorge</strong> vertraut. 175<br />

Heute ist Hanjo von Wietersheim Koord<strong>in</strong>ator aller <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Landkreis<br />

Kitz<strong>in</strong>gen und darüber h<strong>in</strong>aus auch der Sprecher und Leiter des PSNV-Systems im<br />

selbigen Landkreis. Auf der nächst höheren Ebene ist er im Landesarbeitskreis PSNV<br />

tätig und ebenso <strong>in</strong> den leitenden Gremien der Kirche, wie zum Beispiel im Beirat<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, dem dafür zuständigen Gremium der Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche <strong>in</strong> Bayern. Auf Bundesebene gehört er dann zusätzlich auch noch der<br />

„Konferenz Evangelischer <strong>Notfallseelsorge</strong>“ an. Das ist die Konferenz der<br />

landeskirchlichen Beauftragten für <strong>Notfallseelsorge</strong> der EKD. Also von unten bis oben<br />

<strong>in</strong> allem dr<strong>in</strong>, wie er selbst sagt. 176<br />

6.2 Sebastian Berghaus<br />

Als evangelischer Geme<strong>in</strong>depfarrer im Landkreis Böbl<strong>in</strong>gen – S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen, musste<br />

sich Sebastian Berghaus die Stelle mit se<strong>in</strong>er Frau, die ebenfalls Pfarrer<strong>in</strong> ist, teilen.<br />

Deshalb hat er sich nach weiteren Arbeitsfeldern umgeschaut und ist so 1998 zur<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> als Bezirksaufgabe gekommen. Dadurch hat er dann auch angefangen,<br />

an der Polizeischule <strong>in</strong> Böbl<strong>in</strong>gen berufsethischen Unterricht zu erteilen. Als dann aber<br />

172 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 1.<br />

173 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 3.<br />

174 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 9.<br />

175 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 5.<br />

176 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 13.<br />

63


die Stelle im Pfarramt für Polizei- und <strong>Notfallseelsorge</strong> frei wurde, hat er sich darauf<br />

beworben und wurde genommen. 177<br />

75% se<strong>in</strong>es Dienstauftrages s<strong>in</strong>d Polizeiseelsorge. Das heißt, als Landespolizeipfarrer,<br />

ist er für die etwa 6000 Polizist<strong>in</strong>nen und Polizisten und deren Familien zuständig. Er<br />

begleitet und unterstützt sie <strong>in</strong> und nach ihren E<strong>in</strong>sätzen, hat aber auch für<br />

E<strong>in</strong>zelgespräche immer e<strong>in</strong> offenes Ohr. Darüber h<strong>in</strong>aus gibt er aber auch<br />

berufsethischen Unterricht an Polizeischulen und Fortbildungen für e<strong>in</strong>zelne<br />

Polizeigruppen. 178<br />

Mit den verbleibenden 25% se<strong>in</strong>es Dienstauftrages übernimmt er die Funktion<br />

„Beauftragung für die <strong>Notfallseelsorge</strong> der evangelischen Landeskirche <strong>in</strong><br />

Württemberg“. Als solcher hat Sebastian Berghaus die Fachaufsicht über die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r <strong>in</strong> der Landeskirche und sorgt für Ausbildungen und Fortbildungen,<br />

geme<strong>in</strong>sam mit den drei anderen großen Kirchen <strong>in</strong> Baden-Württemberg. Es gehört aber<br />

auch zu se<strong>in</strong>en Aufgaben, sich um Supervision, Begleitung und die Lösung regionaler,<br />

sowie örtlicher Probleme zu kümmern, ebenso wie um die Vernetzung, sowohl<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Kirche, als auch mit den Partnerorganisationen. 179<br />

6.3 Friedmar Probst<br />

Friedmar Probst ist seit neun Jahren evangelischer Geme<strong>in</strong>depfarrer <strong>in</strong> der<br />

Evangelischen Kirchengeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Alfdorf. 180<br />

2001 ist er vom damaligen Obmann der <strong>Notfallseelsorge</strong> angefragt worden, ob er sich<br />

dieses Arbeitsfeld auch vorstellen könnte. Seitdem ist er als <strong>Notfallseelsorge</strong>r selbst<br />

aktiv dabei, 181 seit e<strong>in</strong> paar Wochen aber auch als Koord<strong>in</strong>ator für den Bereich Rems-<br />

Murr-Kreis Süd. 182<br />

Zu se<strong>in</strong>en Aufgaben gehört allem voran die Sicherstellung der Rufbereitschaft, die für<br />

jeden <strong>Notfallseelsorge</strong>r immer jeweils e<strong>in</strong>e ganze Woche geht. 183 Da die Arbeit <strong>in</strong><br />

diesem Bezirk <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em „Arbeitskreis <strong>Notfallseelsorge</strong>“ ökumenisch besetzt ist, arbeitet<br />

er hier eng mit den Kollegen aus den anderen Kirchen zusammen.<br />

177 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 2.<br />

178 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 18.<br />

179 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 22.<br />

180 Vgl. Interview Friedmar Probst, 2.<br />

181 Vgl. Interview Friedmar Probst, 4.<br />

182 Vgl. Interview Friedmar Probst, 7-8.<br />

183 Vgl. Interview Friedmar Probst, 10<br />

64


Über die Rufbereitschaft h<strong>in</strong>aus, organisiert Friedmar Probst aber auch noch die<br />

regionalen Fortbildungen 184 und steht allen 30 <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>rn aus se<strong>in</strong>em Bezirk für Gespräche zur Verfügung. 185<br />

6.4 Joachim Müller-Lange<br />

Von Hause aus ist Joachim Müller-Lange evangelischer Pfarrer – zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

kle<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Wuppertal. Und weil das so e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de war, be<strong>in</strong>haltete<br />

se<strong>in</strong> Stellenumfang nur 50% und er musste sich nach e<strong>in</strong>em weiteren Tätigkeitsfeld<br />

umschauen. So kam er <strong>in</strong> den 80er Jahren <strong>in</strong> den Bereich der Polizeiseelsorge h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. 186<br />

Dort hat er dann <strong>in</strong> der Begleitung von Polizeibeamten und <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit<br />

Feuerwehren und Rettungsdiensten verstärkt festgestellt, dass es Situationen gibt, wo<br />

Menschen plötzlich Hilfe und Beistand brauchen. Doch dafür gab es bis dato noch ke<strong>in</strong>e<br />

Strukturen.<br />

Erst als bekannt wurde, dass e<strong>in</strong> Kollege aus Bayern, Hanjo von Wietersheim, hier e<strong>in</strong><br />

bestimmtes System aufbauen will, begann man mit ersten Austauschen zu dem Thema<br />

und setzte geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>e Bewegung <strong>in</strong> Gang, samt Ausbildung und Fortbildung von<br />

Personen, die sich nun <strong>Notfallseelsorge</strong>r nannten. Und genau das macht Joachim<br />

Müller-Lange bis heute. Er stellt Ausbildungsgänge mit unterschiedlichen Themen<br />

zusammen und schult Menschen dar<strong>in</strong>. 187<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist er der Koord<strong>in</strong>ator auf landeskirchlicher Ebene. Er betreut<br />

mittlerweile 56 <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen, versorgt sie mit Materialien und Unterlagen,<br />

kümmert sich um ihre Bedürfnisse und sorgt für den notwendigen Erfahrungsaustausch<br />

unter <strong>Notfallseelsorge</strong>rn. Wenn es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bereich allerd<strong>in</strong>gs zu<br />

Großschadensereignissen kommt, wo viele <strong>Notfallseelsorge</strong>r benötigt werden, dann ist<br />

es se<strong>in</strong>e Aufgabe diese zu koord<strong>in</strong>ieren – so wie beim Flughafenbrand <strong>in</strong> Düsseldorf. 188<br />

184 Vgl. Interview Friedmar Probst, 16.<br />

185 Vgl. Interview Friedmar Probst, 26.<br />

186 Vgl. Interview Joachim-Müller-Lange, 2.<br />

187 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 4.<br />

188 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 6.<br />

65


7. <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der Praxis<br />

7.1 Der <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

7.1.1 Zur Gew<strong>in</strong>nung von <strong>Notfallseelsorge</strong>rn<br />

Im Arbeitsfeld der <strong>Notfallseelsorge</strong> s<strong>in</strong>d bislang zumeist Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer tätig.<br />

Aufgrund ihrer seelsorgerlichen Ausbildung s<strong>in</strong>d sie prädest<strong>in</strong>iert für diese Arbeit.<br />

Dadurch dass die <strong>Notfallseelsorge</strong> aber e<strong>in</strong> noch sehr junges Arbeitsfeld ist, das noch<br />

flächendeckender ausgebaut werden soll, gilt es doch immer noch, möglichst viel<br />

„Nachwuchs“ zu gew<strong>in</strong>nen. Nicht selten kommt es auch vor, dass <strong>Notfallseelsorge</strong>r aus<br />

dienstlichen Gründen den Bezirk verlassen, so dass es e<strong>in</strong>e dauernde Aufgabe – meist<br />

des Koord<strong>in</strong>ators – ist, neue Leute h<strong>in</strong>zu zu gew<strong>in</strong>nen. 189<br />

In der Regel geschieht dies dadurch, dass geeignete Personen persönlich und direkt<br />

angesprochen werden, die als vernünftig und belastbar e<strong>in</strong>gestuft werden. 190 Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus wird die Thematik natürlich auch <strong>in</strong> den Pfarrerdienstbesprechung angesprochen,<br />

um zu signalisieren, dass hier e<strong>in</strong>e große Notwendigkeit an weiteren Kräften besteht. Es<br />

kann natürlich auch se<strong>in</strong>, dass neue Kollegen <strong>in</strong> den Bezirk kommen, e<strong>in</strong>e neue<br />

Geme<strong>in</strong>de übernehmen, aber schon Erfahrungen als <strong>Notfallseelsorge</strong>r aus anderen<br />

Bezirken und Landkreisen mitbr<strong>in</strong>gen. Diese Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer melden sich dann<br />

für gewöhnlich freiwillig und möchten bei der Arbeit mitmachen. Es ist allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

der Fall, dass alle Pfarrer e<strong>in</strong>es Bezirkes grundsätzlich angesprochen oder zur<br />

Mitarbeiter gezwungen werden. Die <strong>Notfallseelsorge</strong> ist und bleibt e<strong>in</strong> freiwilliges<br />

Engagement. 191<br />

Über die Profession des Theologen h<strong>in</strong>aus, gibt es aber auch noch weitere<br />

Personenkreise, die als <strong>Notfallseelsorge</strong>r wertvolle Arbeit am Nächsten leisten. Zum<br />

e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d das die Diakone, Religionspädagogen, Psychologen und Ärzte, die alle schon<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Grunderfahrung <strong>in</strong> diesem Bereich mitbr<strong>in</strong>gen, und zum anderen gibt es<br />

aber auch Ehrenamtliche <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>. 192 Immer wieder kommt es auch vor,<br />

dass sich Laien für diese Arbeit <strong>in</strong>teressieren, <strong>Notfallseelsorge</strong>r darauf ansprechen und<br />

dann <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>steigen. Da es bewusst auch nicht gewollt ist, nur auf Geistliche<br />

zuzugreifen, werden auch explizit kompetente Laien mit hoher sozialer Kompetenz<br />

189 Vgl. Interview Friedmar Probst, 48.<br />

190 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 55.<br />

191 Vgl. Interview Friedmar Probst, 48.<br />

192 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 54.<br />

66


ausgewählt, ausgebildet, gefördert und kirchlich beauftragt <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

mitzuwirken. 193<br />

Aktionen, wie im Osten von <strong>Deutschland</strong>, wo es mitunter auch Zeitungsaufrufe gegeben<br />

hat, um Menschen für die <strong>Notfallseelsorge</strong> zu begeistern, wird es hier wohl nicht geben.<br />

Vielmehr werden Ehrenamtliche hier im <strong>in</strong>nerkirchlichen Bereich gesucht. Also<br />

Menschen, die der Kirche nahe stehen oder die schon <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de mitarbeiten.<br />

Diese werden dann vom jeweiligen Pfarrer der Geme<strong>in</strong>de angesprochen und <strong>in</strong> die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong>tegriert. 194<br />

Da Seelsorge e<strong>in</strong> sehr verschwiegener Bereich unserer Kirche se<strong>in</strong> darf und se<strong>in</strong> muss,<br />

will man auf gezielte und aufrufende Öffentlichkeit verzichten. 195 Verschiedene<br />

Initiativen an Universitäten und Fachhochschulen der Theologie, Diakonie und<br />

Religionspädagogik, die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> den Unterricht mit e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, würden<br />

dah<strong>in</strong>gegen sehr begrüßt werden. 196 Und trotzdem ist allen Mitarbeitenden der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> bewusst, dass der Anteil der Ehrenamtlichen <strong>in</strong> Zukunft noch weiter<br />

steigen wird. 197<br />

7.1.2 Eignung und Kompetenzen<br />

Zuallererst muss es den Personen natürlich klar se<strong>in</strong>, was auf sie zukommt, auf was sie<br />

sich e<strong>in</strong>lassen und welche Anforderungen dieser Dienst an die eigene Person stellt, um<br />

nicht <strong>in</strong>s kalte Wasser geworfen zu werden. 198<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wird zwischen fachlichen Voraussetzungen und persönlichen<br />

Kompetenzen unterschieden, die beide aber gleichermaßen als wichtig und notwendig<br />

erachtet werden.<br />

Auf fachlicher Seite gehören e<strong>in</strong>e kirchlich anerkannte seelsorgerliche Ausbildung zur<br />

Voraussetzung, sowie e<strong>in</strong>e Zusatzqualifikation. „Die Seelsorgeausbildung garantiert die<br />

grundlegende Handlungskompetenz; die Zusatzqualifikation vermittelt spezifische<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten für den E<strong>in</strong>satz.“ 199 Wenn also e<strong>in</strong>e Person e<strong>in</strong><br />

193 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 34<br />

194 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 36.<br />

195 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 38.<br />

196 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 40.<br />

197 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 87.<br />

198 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 13.<br />

199 Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 6.<br />

67


abgeschlossenes Studium der Theologie, der Religionspädagogik oder Vergleichbares<br />

hat, ist e<strong>in</strong>e grundsätzliche Eignung schon erfüllt. 200<br />

H<strong>in</strong>zu kommen dann aber noch Fortbildungen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>satzspezifische<br />

Kompetenzen und Qualifikationen angeeignet werden. Hierzu gehören fachliche<br />

Kenntnisse und Fertigkeiten wie beispielsweise im Blick auf Krisen<strong>in</strong>tervention,<br />

Kommunikation, Gefahrenprävention, Psychologie und Ethik. Aber auch Kenntnisse<br />

über die örtlichen Strukturen und Arbeitsweisen der Rettungs- und Hilfsdienste, der<br />

Beratungs- und Therapiee<strong>in</strong>richtungen und der kirchlichen Geme<strong>in</strong>den und Dienste s<strong>in</strong>d<br />

unerlässlich für die Arbeit <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>. 201<br />

Auf persönlicher Ebene gibt es e<strong>in</strong>ige Kompetenzen, die vorhanden se<strong>in</strong> müssen, um als<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r tätig zu werden. Allem voran muss der <strong>Notfallseelsorge</strong>r e<strong>in</strong><br />

empathisches Wesen besitzen. Die Fähigkeit haben, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen re<strong>in</strong> denken<br />

zu können, um zu wissen, was das Gegenüber gerade beschäftigt und an was er gerade<br />

leidet. Dabei sollte er sich stets selber als Person zurücknehmen und nicht von sich<br />

selbst etwas <strong>in</strong> den anderen re<strong>in</strong> projizieren. 202 Die angemessene Balance von Nähe und<br />

Distanz zeichnen hier e<strong>in</strong>en kompetenten Seelsorger aus, der neben dem qualifizierten<br />

Gespräch auch das qualifizierte Schweigen kennt. 203<br />

Des Weiteren benötigt e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r an persönlichen Kompetenzen auch<br />

Kenntnisse über se<strong>in</strong>e eigenen Grenzen 204 , e<strong>in</strong>e gewisse persönliche Reife samt e<strong>in</strong>er<br />

psychischen und physischen Stabilität, e<strong>in</strong> gutes Maß an Belastbarkeit das Leid anderer<br />

Menschen auszuhalten 205 , e<strong>in</strong>e absolute Verschwiegenheit, e<strong>in</strong>e Motivation zum Helfen<br />

und die Bereitschaft, sich ständig fortzubilden, sowie Supervision <strong>in</strong> Anspruch zu<br />

nehmen. All diese D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d wichtig und von großer Bedeutung, um mit e<strong>in</strong>er<br />

kritischen Solidarität <strong>in</strong> dieses „Blaulicht-Milieu“ h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen zu können. Denn wie<br />

Sebastian Berghaus sagt: „Blaulicht-Erotiker können wir nicht brauchen“. 206<br />

Alles zusammen mündet dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, die Bereitschaft zu zeigen, zum e<strong>in</strong>en Dienst zu<br />

ungünstigen Zeiten (nachts, an Wochenenden, an Feiertagen) zu übernehmen und zum<br />

anderen sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> großes Team von E<strong>in</strong>satzkräften e<strong>in</strong>gliedern zu können. 207<br />

200 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 54.<br />

201 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 14.<br />

202 Vgl. Interview Friedmar Probst, 56.<br />

203 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 15.<br />

204 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 65.<br />

205 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 48.<br />

206 Interview Sebastian Berghaus, 54.<br />

207 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 380.<br />

68


7.1.3 Ausbildung und Fortbildung<br />

Von den Anfängen bis <strong>in</strong> die heutigen Tage h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, hat sich <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

vieles verändert und weiterentwickelt. Als Hanjo von Wietersheim, Sebastian Berghaus,<br />

Friedmar Probst und Joachim Müller-Lange als <strong>Notfallseelsorge</strong>r begonnen haben, gab<br />

es <strong>in</strong> diesem Arbeitsfeld noch ke<strong>in</strong>e Ausbildung. Aber sie haben sie mitunter<br />

maßgeblich mit entwickelt. 208<br />

Heute braucht jeder, der <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> mitarbeitet, „auf der Basis der <strong>in</strong><br />

Studium, Vikariat und Selbstreflexion von Lebens- und Berufserfahrung erworbenen<br />

Kompetenzen e<strong>in</strong>e gezielte Qualifizierung“, um e<strong>in</strong>e „gel<strong>in</strong>gende Bewältigung<br />

krisenhafter E<strong>in</strong>satzsituationen“ zu ermöglichen. 209<br />

Die EKD hat deshalb für die <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>e bundese<strong>in</strong>heitliche Regelung<br />

entworfen, die sie den e<strong>in</strong>zelnen Landeskirchen empfiehlt. Danach muss auf<br />

Bundesebene jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r, der zertifiziert werden will, e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>destens<br />

sechswöchige Seelsorge- und psychotherapeutische Grundqualifikation besitzen und<br />

e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>destens dreiwöchige, fachspezifische <strong>Notfallseelsorge</strong>-Fortbildung absolvieren.<br />

Die Grundqualifikation kann <strong>in</strong> der Vikarsausbildung, <strong>in</strong> der Fortbildung <strong>in</strong> den ersten<br />

Amtsjahren oder <strong>in</strong> ähnlichen Ausbildungen wie zum Beispiel der<br />

Krankenhausseelsorge oder im Hospiz erworben werden. Die dortigen Standards<br />

werden als qualifizierend für die NFS anerkannt.<br />

Anschließend empfiehlt die Konferenz evangelischer <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r den Landeskirchen die Ausbildung <strong>in</strong> sechs Modulen, für die die<br />

landeskirchlichen Beauftragten für die <strong>Notfallseelsorge</strong> verantwortlich s<strong>in</strong>d. Die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Fortbildungsangebote können jedoch auf örtlicher, regionaler oder<br />

überregionaler Ebene angeboten und durchgeführt werden. 210<br />

Diese Module haben sich vor dem H<strong>in</strong>tergrund der bisherigen E<strong>in</strong>satzerfahrungen als<br />

gewisser Kern an Themen herausgebildet, was allerd<strong>in</strong>gs nicht als verb<strong>in</strong>dlicher Kanon<br />

missverstanden werden darf, da die persönlichen Voraussetzungen der Mitarbeiter und<br />

die regionalen E<strong>in</strong>satzbed<strong>in</strong>gungen sehr unterschiedlich s<strong>in</strong>d. Deshalb sollen die<br />

Module vielmehr Anregungen für die regional verantworteten Planungen von jeweils<br />

eigenen Fortbildungskonzepten geben. 211<br />

208 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 11.<br />

209 Waterstraat, 2008, S. 51.<br />

210 Vgl. Wietersheim, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 354.<br />

211 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 17.<br />

69


Im Folgenden werde ich die Inhalte und Ziele der sechs Module stichwortartig und nicht<br />

auf Vollständigkeit beruhend, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Tabelle zusammengefasst darstellen, wobei<br />

h<strong>in</strong>zuzufügen ist, dass jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r schon nach den ersten beiden Modulen <strong>in</strong><br />

den Dienst der <strong>Notfallseelsorge</strong> gehen kann und die Module 4-6 darüber h<strong>in</strong>aus<br />

Interesse geleitet und freiwillig s<strong>in</strong>d. 212<br />

Modul 1 Modul 2 Modul 3 Modul 4 Modul 5 Modul 6<br />

Grundkurs Aufbaukurs E<strong>in</strong>satzpraktikum<br />

Psychosoziale<br />

Unterstützung/<br />

E<strong>in</strong>satznachsorge<br />

Seelsorge <strong>in</strong><br />

Feuerwehr<br />

und<br />

Rettungsdienst<br />

Leitender<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

35 UE 35 UE 35 UE 35 UE<br />

• Klärung d.<br />

eigenen<br />

Motivation<br />

• Gesprächsführung<br />

• Psychotraumatologie<br />

• Struktur des<br />

örtlichen<br />

NFS-<br />

Systems<br />

• Theologie<br />

der NFS<br />

• <strong>Notfallseelsorge</strong>rliche<br />

Situationen<br />

• Verhalten a.<br />

d. E<strong>in</strong>satzstelle<br />

• Konflikte<br />

und Krisen<br />

• Worte und<br />

Rituale<br />

• Vernetzung<br />

• Umgang<br />

mit eigenen<br />

Belastunge<br />

n u.<br />

Grenzen<br />

• Theol.<br />

Themen <strong>in</strong><br />

der NFS<br />

• Interventionsmöglichkeiten<br />

• Weitere<br />

notfallseelsorgerliche<br />

Situationen<br />

• Betreuung<br />

von<br />

Fahrzeugführer<br />

• Andere<br />

Religionsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

und<br />

Kulturen<br />

• Juristische<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

• Großschadensereignisse<br />

• Kennen<br />

lernen der<br />

kooperierendenOrganisationen<br />

• Praktische<br />

Erfahrung<br />

• Reflexion<br />

• Umgang<br />

mit<br />

Belastungen<br />

• Stressbelastung<br />

von<br />

E<strong>in</strong>satzkräften<br />

• Stressbewältigung<br />

• E<strong>in</strong>zelgespräche<br />

mit<br />

E<strong>in</strong>satzkräften<br />

• Gruppen<strong>in</strong>tervention<br />

• Strukturen<br />

von<br />

Nachsorgeteams<br />

• Vernetzung<br />

mit weiteren<br />

Unterstützungsangeboten<br />

• Kenntnisse<br />

über<br />

E<strong>in</strong>satzorganisation<br />

• Theol.<br />

Grundlagen<br />

der<br />

Seelsorge <strong>in</strong><br />

FW und RD<br />

• Gestaltungsmöglichkeiten<br />

von<br />

Fortbildungen<br />

und UE<br />

• Eigensicherung<br />

• Gesetzl.<br />

Grundlagen<br />

• Umgang mit<br />

Medien<br />

• E<strong>in</strong>satznachsorge<br />

• Supervision<br />

• Gottesdienste<br />

und<br />

Kasualien<br />

• Führungssysteme<br />

und<br />

E<strong>in</strong>satztaktiken<br />

bei<br />

Großschadensereignissen<br />

• Personalplanung<br />

• Kirchliche<br />

Zuständigkeiten<br />

bei<br />

Großschadensereignissen<br />

• Pressearbeit<br />

• Modelle<br />

von Trauerfeiern<br />

und<br />

Gedenkgottesdiensten<br />

Für die unterschiedlichen Module können verschiedene Zeitstrukturen gewählt werden.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es e<strong>in</strong>e unheimliche Bandbreite an weiteren kont<strong>in</strong>uierlichen<br />

Fortbildungen auf örtlicher und regionaler Ebene. 213<br />

212 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 44.<br />

213 Vgl. Wietersheim, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 354ff.<br />

70


7.1.4 Supervision für die Psychohygiene<br />

„<strong>Notfallseelsorge</strong> ist wie jedes kirchliche Handeln zuallererst e<strong>in</strong> personales Angebot“,<br />

<strong>in</strong>dem Christen aus ihrem Glauben heraus, „anderen Menschen beistehen und sich deren<br />

Fragen und Sorgen und Ängsten und Nöten öffnen“, so dass es hierdurch unabd<strong>in</strong>gbar<br />

ist, dass „auch […] <strong>Notfallseelsorge</strong>rn selbst Fürsorge zuteil wird und sie auch selbst<br />

[…] Begleitung und Unterstützung erfahren“, zur „Erhaltung bzw. der<br />

Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und der Psychohygiene“. 214<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Schritt diesbezüglich ist, die <strong>Notfallseelsorge</strong>r nicht mit zu vielen<br />

Aufgaben zu überlasten, sondern stattdessen Entlastung anzustreben. Aus diesem Grund<br />

teilt Hanjo von Wietersheim, wenn er als Leitender <strong>Notfallseelsorge</strong>r im E<strong>in</strong>satz ist,<br />

se<strong>in</strong>e Leute immer nur für ganz kle<strong>in</strong>e Ausschnitte e<strong>in</strong>, um sie vor Überforderung zu<br />

schützen. 215<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist Supervision e<strong>in</strong> unerlässliches Element <strong>in</strong> und für die Arbeit der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>. Doch was br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>em <strong>Notfallseelsorge</strong>r die Supervision? Zunächst<br />

muss man wissen, dass sie nichts mit irgendwelchen Formen adm<strong>in</strong>istrativer Inspektion<br />

zu tun hat, sondern sich als „e<strong>in</strong> Spezialfall der Beratung“ auf die (berufliche) Arbeit<br />

bezieht. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den persönlichen Faktoren.<br />

Supervision kann dadurch helfen, die eigenen Schwächen zu erkennen und gelassener<br />

wahrzunehmen, so wie auch an ihrer Überw<strong>in</strong>dung zu arbeiten. 216<br />

Aufgrund dieser Bedeutsamkeit, bietet Joachim Müller-Lange deshalb gleich zwei<br />

verschiedene Möglichkeiten von Supervision an. Die Akut-Supervision und die Regel-<br />

Supervision. Erstere greift direkt nach dem E<strong>in</strong>satz und Zweitere <strong>in</strong> regelmäßigen<br />

Abständen für die ganze <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppe. 217 Die Wichtigkeit von immer<br />

wiederkehrender Supervision unterstreicht Sebastian Berghaus mit se<strong>in</strong>em Zitat: „E<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>satz fängt an, […] wenn man den Hörer abnimmt und die Leitstelle ist am Telefon<br />

und der hört nicht erst auf, wenn man zu Hause ist, sondern erst dann, wenn auch die<br />

Seele wieder zu Hause ist.“ 218<br />

Doch was passiert, wenn Supervision nicht e<strong>in</strong>gesetzt wird oder nicht zum tragen<br />

kommt? Was ist, wenn Stress zum Burnout führt? Stress ist e<strong>in</strong> Teil des (Über-) Lebens,<br />

der allerd<strong>in</strong>gs krank machen kann, wenn man über se<strong>in</strong>e persönlichen Ressourcen<br />

214<br />

Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 19f.<br />

215<br />

Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 69.<br />

216<br />

Vgl. Ziemer, 2008, S. 192f.<br />

217<br />

Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 50.<br />

218<br />

Interview Sebastian Berghaus, 58.<br />

71


h<strong>in</strong>weg sieht und sich ke<strong>in</strong>e aktive Erholung gönnt. Dabei s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, wo man mit unglaublichem Leid konfrontiert wird, regelmäßige<br />

Phasen der aktiven Ruhe nach dem E<strong>in</strong>satzstress von hoher Bedeutung.<br />

Wenn die Ruhephasen weggelassen werden und e<strong>in</strong> Stressor den Nächsten jagt, dann<br />

kumulieren sich die seelischen und körperlichen Belastungen und der Mensch lebt im<br />

Dauerstress. Am Anfang, <strong>in</strong> der Alarmphase, reagiert der Mensch noch mit e<strong>in</strong>er<br />

Adrenal<strong>in</strong>steigerung, wobei die kognitive Leistungsfähigkeit („Tunnelblick“) schon<br />

herabgesetzt ist. Danach schließt sich die Widerstandsphase an, <strong>in</strong> der der Körper<br />

bereits kämpfen muss. Deshalb reduziert sich hier die körpereigene immunologische<br />

Abwehr und der Mensch wird schneller krank. In der letzten Phase, der<br />

Erschöpfungsphase, drohen die energetischen Eigenreserven so weit zu schw<strong>in</strong>den, dass<br />

der Körper den Mehrkraftaufwand nicht mehr länger aufrechterhalten kann und der<br />

Kreislauf irgendwann zusammen bricht.<br />

Stress ist nicht gleich Burnout und Stress führt auch nicht zwangsläufig zu Burnout.<br />

Burnout kann aber e<strong>in</strong>e schwerwiegende Folge von Stress se<strong>in</strong>, der nicht nur den Alltag<br />

massiv bee<strong>in</strong>trächtigt, sondern aus dem es auch schwer und langwierig ist, wieder<br />

herauszukommen. Deshalb braucht jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r Möglichkeiten, den Druck<br />

und die Erlebnisse abbauen zu können, um nicht <strong>in</strong> Depressionen oder im Burnout zu<br />

enden. Supervision hilft hier, die Möglichkeiten zu erkennen und anzuwenden. 219<br />

7.1.5 Rechtliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

Für alle <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Bereich der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der<br />

Evangelischen Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg gelten zum e<strong>in</strong>en deren jeweiligen<br />

Ordnungen und zum anderen ergibt sich ihr rechtlicher Status aus der<br />

„Verwaltungsvorschrift des Innenm<strong>in</strong>isteriums über die Geme<strong>in</strong>samen Grundsätze für<br />

die Zusammenarbeit zwischen Katastrophenschutzbehörden und Kirchen“ vom 17.<br />

Oktober 1997. Darüber h<strong>in</strong>aus gilt auch die Anlage „Geme<strong>in</strong>same Grundsätze für die<br />

Zusammenarbeit zwischen Katastrophenschutzbehörden und Kirchen“ vom 22.<br />

November 1999.<br />

Diese beiden Vere<strong>in</strong>barungen regeln, dass die Kirchen nicht nur im Rahmen von<br />

Katastrophen <strong>Notfallseelsorge</strong> betreiben, sondern auch <strong>in</strong> Unglücksfällen unterhalb der<br />

Katastrophenschwelle. Im Bereich des Landes Baden-Württemberg s<strong>in</strong>d hierfür die<br />

219 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 9.1, S. 12ff.<br />

72


Katastrophenschutzbehörden zuständig, kirchlicherseits wirken die Dekanate bzw.<br />

Kirchenbezirke <strong>in</strong> der Organisation mit. Dazu gehört auch, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

für ihre Mitarbeit <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> vom zuständigen Dekan des Bezirkes zu<br />

diesem Dienst schriftlich beauftragt werden müssen. Das gilt auch für <strong>Notfallseelsorge</strong>r,<br />

die nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dienstverhältnis mit den Kirchen stehen. 220<br />

Aus den bereits genannten Geme<strong>in</strong>samen Grundsätzen werde ich im Folgenden e<strong>in</strong>ige<br />

wichtige Punkte herausgreifen und ihre Bedeutung für die <strong>Notfallseelsorge</strong>r darstellen.<br />

a) Versicherungsschutz<br />

Bei allen E<strong>in</strong>sätzen ist für die <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Rahmen der bestehenden<br />

Sammelversicherungsverträge der Kirchen e<strong>in</strong> Versicherungsschutz gegeben.<br />

Voraussetzung ist die oben dargestellte schriftliche Beauftragung zu diesem Dienst und<br />

die Alarmierung über die zuständige Leitstelle im Auftrag der untersten<br />

Katastrophenschutzbehörde.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus können <strong>Notfallseelsorge</strong>r bei Katastrophen und besonderen<br />

Gefahrenlagen gemäß den Grundsätzen e<strong>in</strong>en Helferstatus im S<strong>in</strong>ne des<br />

Landeskatastrophenschutzgesetzes erlangen. Auch hier gilt wieder die schriftliche<br />

Beauftragung als Voraussetzung. Zusätzlich müssen die <strong>Notfallseelsorge</strong>r aber auch bei<br />

den Katastrophenschutzbehörden namentlich benannt werden. Wenn diese beiden<br />

Voraussetzungen erfüllt s<strong>in</strong>d, erhalten sie e<strong>in</strong>en Versicherungsschutz, der e<strong>in</strong>e<br />

Unfallversicherung und Ersatz bei Sachschäden umfasst. Während der Ausübung ihres<br />

Dienstes werden die <strong>Notfallseelsorge</strong>r mit Helferstatus nach den Grundsätzen der<br />

Amtshaftung von der Haftung freigestellt. 221<br />

b) Zeugnisverweigerungsrecht<br />

Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 der Strafprozessordnung gilt zunächst e<strong>in</strong>mal<br />

nur für Geistliche, denen im Rahmen ihrer Eigenschaft als Seelsorger Informationen<br />

anvertraut oder bekannt geworden s<strong>in</strong>d. Dazu gehören aber auch „ihre Gehilfen und die<br />

Personen […], die zur Vorbereitung auf den Beruf an der berufsmäßigen Tätigkeit<br />

teilnehmen“. 222<br />

220 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 26f.<br />

221 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 31.<br />

222 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 32f.<br />

73


Konkret bedeutet das für die <strong>Notfallseelsorge</strong>, dass auch Ehrenamtliche, die ke<strong>in</strong>e<br />

Geistlichen s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> Zeugnisverweigerungsrecht haben können, weil es auf die so<br />

genannten „Berufshelfer“ erweitert werden kann. Dazu benötigen sie allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e<br />

Bestätigung des zuständigen Dekans, dass sie als Hilfspersonen der Geistlichen<br />

gehandelt haben. Nur er darf darüber entscheiden, ob das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

ausgeübt werden kann. 223<br />

c) Schweigepflicht<br />

Grundsätzlich gilt für alle Fälle seelsorgerlichen Handelns das Gebot der<br />

Verschwiegenheit. Es ist für die seelsorgerliche Arbeit fundamental.<br />

Ord<strong>in</strong>ierte Seelsorger s<strong>in</strong>d zur Wahrung des Seelsorgegeheimnisses durch ihre<br />

Ord<strong>in</strong>ation verpflichtet, so dass e<strong>in</strong>e Verletzung dieser Pflicht dienstrechtliche Schritte<br />

nach sich zieht. 224 Allerd<strong>in</strong>gs gilt die Schweigepflicht hier unabhängig von der<br />

Eigenschaft als Geistlicher für alle Mitarbeiter der <strong>Notfallseelsorge</strong>. Sogar das<br />

Strafrecht schützt die Schweigepflicht <strong>in</strong> § 203 des Strafgesetzbuches, auch wenn<br />

Seelsorger <strong>in</strong> dieser Vorschrift nicht explizit erwähnt werden. 225<br />

Generell sollte deshalb alle seelsorgerliche Arbeit <strong>in</strong> der Kirche – auch die der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> – unter strenger Vertraulichkeit stehen, denn es „liegt sozusagen im<br />

Begriff von Seelsorge selbst, dass sie nur dann möglich ist, wenn der, der sich ihr<br />

anvertraut, davon ausgehen kann, dass alles, was er sagt, vertraulich behandelt wird.“ 226<br />

d) Datenschutz<br />

Das Zeugnisverweigerungsrecht und die Schweigepflicht stehen <strong>in</strong> unmittelbarem<br />

Zusammenhang mit den Vorschriften des Datenschutzes. Deshalb muss die<br />

Dokumentation des E<strong>in</strong>satzes auch unter datenschutzrechtlichen Bestimmungen<br />

erfolgen. Während allerd<strong>in</strong>gs grundsätzlich das Bundesdatenschutzgesetz und die<br />

jeweiligen Datenschutzgesetze der Länder als Rechtsgrundlage gelten, haben die<br />

Kirchen eigenständige Regelungen geschaffen, die von ihren Inhalten aber weitgehend<br />

dem Bundesdatenschutzgesetz entsprechen. Die evangelische Kirche regelt den Bereich<br />

Datenschutz im DSG-EKD (Kirchengesetz über den Datenschutz der Evangelischen<br />

Kirche <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>).<br />

223<br />

Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 10.2, S. 1ff.<br />

224<br />

Vgl. Ziemer, 2008, S. 194.<br />

225<br />

Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 10.3, S.1.<br />

226 Ziemer, 2008, S. 194.<br />

74


Dieses Kirchengesetz zum Datenschutz erlaubt pr<strong>in</strong>zipiell nur den Umgang mit<br />

personenbezogenen Daten (also Speicherung, Veränderung, Nutzung), die für die<br />

Aufgabenerfüllung erforderlich s<strong>in</strong>d. Demnach ist es auch verboten, Daten unbefugt zu<br />

erheben, zu verarbeiten und zu nutzen, weil dadurch das Datengeheimnis verletzt wird.<br />

Diese Regelungen bleiben auch nach der Beendigung der Tätigkeit bestehen. 227<br />

e) Dienstrechtliche Fragen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r, die im Dienst der Diözese Rottenburg-Stuttgart oder der<br />

Evangelischen Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg stehen, nehmen ihren Dienst im Rahmen<br />

ihres jeweiligen Dienstauftrages wahr. Dadurch entfällt ihre Pflicht zur Arbeits- bzw.<br />

Dienstleistung, wenn sie an E<strong>in</strong>sätzen im Rahmen des Landeskatastrophen-<br />

schutzgesetzes teilnehmen. Aufgrund dessen ist bei der Beauftragung darauf zu achten,<br />

dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>r verb<strong>in</strong>dlich mitarbeiten können und zu den erforderlichen<br />

E<strong>in</strong>satzzeiten abkömmlich s<strong>in</strong>d. 228<br />

Bisher gibt es für die E<strong>in</strong>satzzeiten ke<strong>in</strong>en Freizeitausgleich zum Beispiel <strong>in</strong> der Form,<br />

dass es nach e<strong>in</strong>er Woche E<strong>in</strong>satzbereitschaft e<strong>in</strong>en freien Tag als Ausgleich gibt.<br />

Bislang ist es e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e ehrenamtliche Tätigkeit, die noch h<strong>in</strong>zukommt. 229<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r, die nicht im kirchlichen Dienst stehen, verrichten die Arbeit<br />

ehrenamtlich und müssen deswegen mit ihrem jeweiligen Arbeitgeber e<strong>in</strong>e<br />

Übere<strong>in</strong>kunft treffen, <strong>in</strong> wie weit sie flexibel gehen können, wenn e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz ansteht.<br />

7.1.6 Wie <strong>Notfallseelsorge</strong>r ihre Arbeit sehen<br />

Es ist auch wichtig e<strong>in</strong>mal danach zu fragen, wie die <strong>Notfallseelsorge</strong>r eigentlich selbst<br />

ihre Arbeit sehen. Unter den beiden Fragestellungen „Was ist das Schönste an ihrer<br />

Arbeit?“ und „Was macht ihnen gar ke<strong>in</strong>en Spaß?“ habe ich sie dazu befragt.<br />

Beg<strong>in</strong>nen möchte ich mit den schwierigeren Seiten aus dem Alltag e<strong>in</strong>es<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>rs, die ihnen weniger Freude bereiten. Zunächst wurden hier Punkte aus<br />

dem Bereich der Verwaltung genannt. Viele, viele Kle<strong>in</strong>arbeiten, die sehr mühsam s<strong>in</strong>d,<br />

aber auch die Personalarbeit, machen nicht immer Spaß. 230 H<strong>in</strong>zu kommen auch die<br />

Zeiten der Arbeitsverdichtung, meist so zwischen den Sommerferien und Weihnachten,<br />

227 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 10.4, S. 1ff.<br />

228 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 36f.<br />

229 Vgl. Interview Friedmar Probst, 30.<br />

230 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 23.<br />

75


<strong>in</strong> denen der Druck unglaublich steigt und es deshalb Mühe kostet, sich auf e<strong>in</strong>zelne<br />

D<strong>in</strong>ge angemessen zu konzentrieren. Untersuchungen unter den E<strong>in</strong>satzkräften haben<br />

auch gezeigt, dass oft das Organisations<strong>in</strong>terne das ist, was ihnen am meisten Stress<br />

bereitet. Durch den schnellen Wandel, <strong>in</strong> dem sich fachliche und strukturelle<br />

Notwendigkeiten entwickeln, wieder über den Haufen geworfen und neu konzipiert<br />

werden, entstehen oft Reibungen, wo es wünschenswert wäre, wenn die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>nden e<strong>in</strong>en besseren Ruf hätten und <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form e<strong>in</strong>e<br />

Anerkennung, dass sie zusätzlich zu ihrem normalen Dienst ehrenamtlich noch <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> tätig s<strong>in</strong>d. 231<br />

Doch nun zu den schönen Seiten der <strong>Notfallseelsorge</strong>, wenn man bei e<strong>in</strong>er Arbeit an<br />

den Grenzen des Lebens überhaupt von „schön“ reden kann. Friedmar Probst nennt es<br />

eher e<strong>in</strong> „Gefühl der Befriedigung“, das sich e<strong>in</strong>stellt, wenn man Betroffenen zur Seite<br />

stehen konnte und sie <strong>in</strong> dieser schlimmen Situation nicht alle<strong>in</strong>e waren, weil jemand<br />

Zeit für sie hatte. 232<br />

Für Sebastian Berghaus ist es das Netz, <strong>in</strong> das der <strong>Notfallseelsorge</strong>r e<strong>in</strong>gebunden ist.<br />

Hier wird Kirche <strong>in</strong> unserer Gesellschaft erfahrbar, weil man auf der e<strong>in</strong>en Seite spüren<br />

kann, wie dieses Netz wirkt und auf der anderen Seite mit wie vielen Begabungen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r ausgestattet s<strong>in</strong>d, um sie im Dienst am Nächsten e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />

Dadurch ist es schön zu erleben, wenn sich bei Betroffenen wieder etwas Neues auftut<br />

und sie e<strong>in</strong>e Ahnung von dem bekommen, wie es weitergehen kann. 233<br />

Auch bei Joachim Müller-Lange liegt das Gute und Schöne dar<strong>in</strong>, dass dieser Dienst<br />

unmittelbar S<strong>in</strong>n macht und auch unmittelbar von den betroffen Menschen<br />

angenommen wird. Man kann dann die Veränderung förmlich spüren, wenn<br />

H<strong>in</strong>terbliebene, dadurch dass sie begleitet wurden, e<strong>in</strong>e Entwicklung mitmachen. 234<br />

Insbesondere auch deshalb, weil es natürlich schön ist, wenn die Arbeit funktioniert.<br />

Wenn die Gedanken, die im Vorfeld dazu gemacht wurden, stimmen, dadurch der<br />

E<strong>in</strong>satz klappt und den Betroffenen bestmöglich geholfen wurde. 235<br />

231 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 30.<br />

232 Vgl. Interview Friedmar Probst, 20.<br />

233 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 28.<br />

234 Vgl. Joachim Müller-Lange, 10.<br />

235 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 21.<br />

76


7.2 Die Arbeit <strong>in</strong> Extremsituationen<br />

„Die E<strong>in</strong>satzgebiete der Seelsorge s<strong>in</strong>d genauso mannigfaltig wie die Arten psychischer<br />

Belastungen.“ 236 Es gibt unzählige Krisen und Anlässe, wo Menschen <strong>in</strong> Situationen<br />

kommen und dadurch Unterstützung brauchen – von Großschadensereignissen bis h<strong>in</strong><br />

zu menschlichen E<strong>in</strong>zelschicksalen. Die Hilfe, die <strong>Notfallseelsorge</strong>r anbieten, geschieht<br />

dabei immer auf freiwilliger Basis und auf Wunsch auch anonym.<br />

In diesem Unterkapitel soll deshalb nun dargestellt werden, wie die e<strong>in</strong>zelnen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r zu ihrem E<strong>in</strong>satz kommen und welche verschiedenen Arten von<br />

Notsituationen es überhaupt gibt. Da die Bandbreite enorm groß ist, kann ich nur e<strong>in</strong><br />

paar Beispiele beschreiben, sowie ihre <strong>in</strong>dividuellen Besonderheiten im Umgang mit<br />

den Betroffenen erläutern. 237<br />

7.2.1 Rufbereitschaft und Alarmierung<br />

Die Rufbereitschaften und die Alarmierung geschehen bundesweit nicht auf e<strong>in</strong>heitliche<br />

Weise. In den meisten <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen ist es so geregelt, dass immer e<strong>in</strong>e<br />

Person Bereitschaft hat und zu E<strong>in</strong>sätzen gerufen werden kann. Am Anfang hat es dafür<br />

die Bereitschaftswochen gegeben. 238 Bei vielen Gruppen ist es auch heute noch so. Im<br />

Rems-Murr-Kreis zum Beispiel, hat immer e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r von montagmorgens<br />

um 8 Uhr bis zur nächsten Woche Montag 8 Uhr Bereitschaft. Dann wird gewechselt. 239<br />

In anderen <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen ist die Rufbereitschaft flexibler angelegt. Es gibt<br />

neben den Wochenbereitschaften auch Tagesbereitschaften oder Wochenend-<br />

bereitschaften. Manchmal sogar Bereitschaften, wo sich zwei <strong>Notfallseelsorge</strong>r den<br />

Dienst teilen, um dann flexibel reagieren zu können. Die ursprünglich starre<br />

Bereitschaftswoche hat sich <strong>in</strong> vielen Gruppen nicht so sehr bewährt, so dass sie andere<br />

Formen der Bereitschaft gefunden haben, die für sie angemessen s<strong>in</strong>d. 240<br />

Im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen ist es jedoch so, dass alle <strong>Notfallseelsorge</strong>r immer, das heißt<br />

das ganze Jahr über, Bereitschaft haben. 241 Wenn also e<strong>in</strong>e Notsituation entsteht, <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r gebraucht werden, dann werden sie über den Koord<strong>in</strong>ator des<br />

Landkreises alle alarmiert und jeder der e<strong>in</strong>satzbereit ist, meldet sich zurück. Wer dann<br />

236 Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.1, S. 9.<br />

237 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.1, S. 9ff.<br />

238 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 16.<br />

239 Vgl. Interview Friedmar Probst, 10.<br />

240 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 18.<br />

241 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 49.<br />

77


tatsächlich <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satz geschickt wird, entscheidet der Koord<strong>in</strong>ator und hängt oft<br />

damit zusammen, wer am Nächsten dran wohnt. Diese Form der Bereitschaft ist zwar<br />

e<strong>in</strong>e enorme Belastung, hat aber den Vorteil, dass diese <strong>Notfallseelsorge</strong>r deutlich mehr<br />

E<strong>in</strong>satzerfahrungen haben als andere und zumeist im Team am E<strong>in</strong>satzort s<strong>in</strong>d. Die<br />

Belastung wird also teilweise dadurch schon reduziert, weil die Arbeit vor Ort besser<br />

verteilt werden kann. Dennoch ist die psychische Belastung <strong>in</strong> diesem Landkreis höher<br />

als <strong>in</strong> anderen Bezirken. Deswegen muss hier mehr und regelmäßiger mit Supervision<br />

gearbeitet werden. 242<br />

E<strong>in</strong>e bundesweit e<strong>in</strong>heitliche Regelung, die für alle <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen<br />

gleichermaßen gilt, wird es vermutlich nie geben. Vielmehr werden die<br />

unterschiedlichen Formen auf Dauer gebraucht werden, weil nur jede Gruppe für sich<br />

selbst entscheiden kann, welche Form ihnen am Angemessensten ersche<strong>in</strong>t und für sie<br />

durchführbar ist.<br />

Joachim Müller-Lange würde sich darüber h<strong>in</strong>aus aber wünschen, dass e<strong>in</strong>e noch weiter<br />

reichende Form für die Bereitschaftsdienste geschaffen wird. Bereitschaft b<strong>in</strong>det<br />

Personal – egal ob <strong>in</strong> der Krankenhausseelsorge, <strong>in</strong> der Gefängnisseelsorge, <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> oder im Hospiz. Se<strong>in</strong>e Idealform be<strong>in</strong>haltet, „solche<br />

Bereitschaftsdienste dauerhaft auch fachlich zusammen zu legen, damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region<br />

nur noch e<strong>in</strong>e Person gebunden ist für e<strong>in</strong>e zu def<strong>in</strong>ierende Zeit, aber vielfältig<br />

e<strong>in</strong>setzbar.“ 243<br />

Die Alarmierung geschieht <strong>in</strong> allen Regionen <strong>in</strong> jedem Fall über die Leitstelle. In<br />

manchen Landkreisen über die Rettungsdienst- und Feuerwehrleitstelle, <strong>in</strong> manchen<br />

Landkreisen über die jeweilige Leitstelle der Polizei. Die Erreichbarkeit der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r wird durch E<strong>in</strong>satzhandys oder Funkmeldeempfänger mit eigenem<br />

Umsetzer gewährleistet. 244 Je nach Notfallsituation und Region werden die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r direkt von der Leitstelle alarmiert oder nachgerückt über die<br />

jeweiligen Koord<strong>in</strong>atoren, die vom E<strong>in</strong>satzleiter alarmiert werden, wenn sie sich e<strong>in</strong><br />

erstes Bild von der Lage gemacht haben und zu dem Entschluss gekommen s<strong>in</strong>d, dass<br />

hier <strong>Notfallseelsorge</strong>r benötigt werden. Dann fahren die georderten <strong>Notfallseelsorge</strong>r, <strong>in</strong><br />

242 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 53.<br />

243 Interview Joachim Müller-Lange, 20.<br />

244 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 24.<br />

78


der Regel mit dem privaten Auto, zum E<strong>in</strong>satz, machen sich selbst e<strong>in</strong> Bild der Lage<br />

und können, sofern es notwendig ist, weitere Hilfe nachalarmieren. 245<br />

7.2.2 Innerhäusliche E<strong>in</strong>sätze<br />

Dreiviertel aller E<strong>in</strong>sätze der <strong>Notfallseelsorge</strong> bewegen sich im <strong>in</strong>nerhäuslichen<br />

Bereich. 246 Hier werden <strong>Notfallseelsorge</strong>r alarmiert, um <strong>in</strong> der Regel direkt <strong>in</strong> das Haus<br />

der Betroffenen zu kommen. Anlass dazu, könnten Unfälle, akute Erkrankungen,<br />

plötzliche Todesfälle oder auch Notsituationen von e<strong>in</strong>samen Menschen se<strong>in</strong>.<br />

Wichtige Ansatzpunkte s<strong>in</strong>d dann, e<strong>in</strong>fach nur da zu se<strong>in</strong> und zu klären, ob explizit<br />

geistliches Handeln als christlicher Seelsorger erwünscht ist. Wichtig ist aber auch, zu<br />

schauen, welche sozialen Ressourcen aus dem näheren menschlichen und räumlichen<br />

Umfeld genutzt werden können, damit sich der <strong>Notfallseelsorge</strong>r wieder zurückziehen<br />

kann. In der Regel dauern die E<strong>in</strong>sätze im <strong>in</strong>nerhäuslichen Bereich etwa 2 Stunden. 247<br />

E<strong>in</strong>ige dieser Situationen möchte ich im Folgenden beschreiben.<br />

a) Erfolglose Reanimation/ Plötzlicher Tod<br />

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten schnell und ohne Vorbereitung se<strong>in</strong>er Angehörigen zu<br />

versterben und diese dadurch plötzlich mitten aus dem Alltag des Lebens heraus zu<br />

reißen. E<strong>in</strong> solcher Tod stellt e<strong>in</strong>en massiven Umbruch dar. Wenn man Menschen<br />

allerd<strong>in</strong>gs danach fragt, wie sie e<strong>in</strong>mal sterben möchten, so schildern sie meistens genau<br />

e<strong>in</strong>en solchen Tod, der schnell und ohne Vorahnung e<strong>in</strong>tritt. Doch für diejenigen, die<br />

damit weiterleben müssen, stellt sich das ganz anders dar. 248<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r treten hier vor allem dann <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, wenn sich bei den<br />

Betroffenen e<strong>in</strong> Trauma anbahnt. Wenn Entsetzen und Hilflosigkeit Macht über den<br />

Menschen gew<strong>in</strong>nen, so dass sie handlungsunfähig zu werden drohen. 249 An dieser<br />

Stelle ist es dann hilfreich, wenn <strong>Notfallseelsorge</strong>r und Betroffene geme<strong>in</strong>sam<br />

schweigen, e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fühlendes Gespräch führen und nach Symbolen oder Er<strong>in</strong>nerungen<br />

Ausschau halten. Auf die Bewertung von Denkweisen und Moralisierungen sollte<br />

verzichtet werden. 250<br />

245 Vgl. Interview Friedmar Probst, 32.<br />

246 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 10.<br />

247 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 76f.<br />

248 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.4, S. 1f.<br />

249 Vgl. Waterstraat, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 86.<br />

250 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.4, S. 6ff.<br />

79


) Plötzlicher K<strong>in</strong>dstod<br />

Wenn e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g oder e<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d plötzlich und unerwartet verstirbt, dann ist es für<br />

die Familie noch mal wesentlich schlimmer, als wenn es sich um e<strong>in</strong>en älteren<br />

Menschen handelt, der nach langer Krankheit, absehbar und nach e<strong>in</strong>em erfüllten Leben<br />

stirbt. Aber e<strong>in</strong> so „kle<strong>in</strong>er Mensch, der se<strong>in</strong> ganzes Leben noch vor sich hat, ist<br />

plötzlich tot und niemand weiß genau, warum.“ 251<br />

Der plötzliche K<strong>in</strong>ds- oder Säugl<strong>in</strong>gstod, auch SIDS (Sudden Infant Death Syndrome)<br />

genannt, gehört immer noch zu den ungeklärten und häufigsten Todesursachen e<strong>in</strong>es<br />

Babys. Es ist ke<strong>in</strong>e Krankheit, sondern e<strong>in</strong>e Diagnose, die gestellt wird, wenn e<strong>in</strong><br />

gesunder Säugl<strong>in</strong>g ohne Voranzeichen verstirbt. Der Säugl<strong>in</strong>gstod kann zwischen dem 7.<br />

Lebenstag und etwa dem 1. Lebensjahr auftreten – e<strong>in</strong>e Häufung zeigt sich jedoch<br />

zwischen dem 2. und 4. Lebensmonat, vor allem, wenn es W<strong>in</strong>termonate s<strong>in</strong>d.<br />

Wenn also der Notarzt ke<strong>in</strong>e Erklärung für den Tod des Säugl<strong>in</strong>gs f<strong>in</strong>det und er SIDS<br />

diagnostiziert, dann muss er die Krim<strong>in</strong>alpolizei verständigen, die den Säugl<strong>in</strong>g zur<br />

Obduktion abholt, sofern dies von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde. Diese<br />

Beschlagnahmung des toten K<strong>in</strong>des bedeutet für die Familie e<strong>in</strong>e zusätzliche Belastung.<br />

Deshalb sollte der <strong>Notfallseelsorge</strong>r sich darum bemühen, dass die Familie das K<strong>in</strong>d<br />

noch mal sehen darf und Rituale zum Abschied anbieten. 252 In gut e<strong>in</strong>em Viertel der<br />

Fälle kommt es dann vor, dass die Familie den <strong>Notfallseelsorge</strong>r darum bittet, das K<strong>in</strong>d<br />

noch zu taufen. Darauf muss er e<strong>in</strong>e theologische Antwort haben, denn die Kirche tauft<br />

nur lebende Menschen <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>de h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Die Taufe toter Menschen wird nicht<br />

praktiziert, es kann aber e<strong>in</strong>e Segnung angeboten werden. 253<br />

Bei allem, was <strong>in</strong> diesen schweren Stunden passiert, dürfen die Geschwisterk<strong>in</strong>der auf<br />

ke<strong>in</strong>en Fall vergessen oder weggeschickt werden. Natürlich s<strong>in</strong>d die Eltern <strong>in</strong> diesem<br />

Moment so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht wissen, wie sie mit ihren weiteren<br />

K<strong>in</strong>dern umgehen sollen. Aber auch diese können von Schuldgefühlen geplagt se<strong>in</strong> und<br />

sollten <strong>in</strong> die Abläufe (Abschied, Beerdigung, Er<strong>in</strong>nerung) mit e<strong>in</strong>bezogen werden. 254<br />

c) Überbr<strong>in</strong>gung von Todesnachrichten<br />

Die Überbr<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er Todesnachricht ist gegenüber den anderen Aufgabenfeldern der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> durch zwei Eigentümlichkeiten besonders gekennzeichnet. Zum e<strong>in</strong>en<br />

251 Helmerichs/ Rollmann/ Saternus, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 104.<br />

252 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.7, S. 2f.<br />

253 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 54.<br />

254 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.7, S. 9<br />

80


ist der <strong>Notfallseelsorge</strong>r selbst e<strong>in</strong> Moment des Geschehens, das von den Betroffenen<br />

als schockartig erlebt wird und zum anderen ist die unmittelbare Zusammenarbeit mit<br />

der Polizei hier so eng wie sonst nirgends. Deshalb braucht es hier e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige<br />

Aufgabenverteilung, zumal das Überbr<strong>in</strong>gen der Todesnachricht eigentlich e<strong>in</strong>e<br />

Aufgabe der Ordnungsämter bzw. Polizei ist. H<strong>in</strong> und wieder wird diese Aufgabe<br />

jedoch auf die <strong>Notfallseelsorge</strong>r übertragen. 255<br />

In solch e<strong>in</strong>er Situation ist es wichtig auf Klarheit der Äußerung und E<strong>in</strong>deutigkeit der<br />

Handlungen zu achten. Dazu gehört, die Todesnachricht kurz und prägnant, wenn<br />

möglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Satz zu überbr<strong>in</strong>gen, aber auf e<strong>in</strong>e gute und e<strong>in</strong>fühlsame E<strong>in</strong>leitung zu<br />

nicht zu verzichten. Die Art und der Umstand des Todes müssen hier noch nicht zur<br />

Sprache kommen. Im weiteren Verlauf der Begleitung sollte sich der Seelsorger darum<br />

bemühen, gewünschte Unterstützung von Verwandten, Freunden und Nachbarn zu<br />

organisieren und e<strong>in</strong>e Suizidgefahr auszuschließen. 256<br />

d) Suizidalität<br />

Diese E<strong>in</strong>satzart der <strong>Notfallseelsorge</strong> ist neben den Großschadensereignissen e<strong>in</strong>e<br />

Situation die zeitkritisch ist und e<strong>in</strong> schnelles E<strong>in</strong>treffen am Ort des Geschehens<br />

erfordern. Ideal wäre hier die Abholung des Seelsorgers durch e<strong>in</strong> Fahrzeug mit<br />

Sondersignal („Blaulicht“). Darüber h<strong>in</strong>aus sollten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en solchen E<strong>in</strong>satz nur<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r gehen, die e<strong>in</strong>er solchen Grenzsituation durch persönliche und<br />

fachliche Eignung gewachsen s<strong>in</strong>d. 257<br />

Die Suizidalität kann der <strong>Notfallseelsorge</strong> auf drei Arten begegnen. Zunächst bei<br />

Todesfällen durch erfolgreichen Suizidversuch, dann bei (teils verdeckten) suizidalen<br />

Äußerungen und schlussendlich bei akuter Suizidalität, die ohne E<strong>in</strong>greifen von außen<br />

unter Umständen kurzfristig zum Tod führen könnte. 258<br />

In den letzten beiden Situationen kommt es stark darauf an, wie der <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

die Suizidalität e<strong>in</strong>schätzt, wobei die Wahrnehmung oft nur begrenzt möglich ist. Dabei<br />

spielen viele Faktoren e<strong>in</strong>e wichtige Rolle: Andeutungen des Hilfesuchenden, die<br />

Lebensumstände des Betroffenen, se<strong>in</strong>e Biographie und se<strong>in</strong>e eigenen Empf<strong>in</strong>dungen,<br />

Äußerungen von Suizid-Gedanken und –Vorstellungen und das Stadium der suizidalen<br />

255 Vgl. Kiehn/ Trappe, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 138f.<br />

256 Vgl. Kiehn/ Trappe, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 145ff.<br />

257 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 83<br />

258 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.6, S. 8.<br />

81


Entwicklung. Und alle diese Risikofaktoren muss der <strong>Notfallseelsorge</strong>r nun möglichst<br />

richtig e<strong>in</strong>schätzen, um angemessen handeln und Entscheidungen treffen zu können.<br />

Dies kann mit e<strong>in</strong>em Beziehungsaufbau beg<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> dem der Seelsorger das Gespräch<br />

sucht und mit dem Suizidalen nach Alternativen zum Leben h<strong>in</strong> sucht. Im schlimmsten<br />

Fall muss er e<strong>in</strong>e Unterbr<strong>in</strong>gung veranlassen. 259<br />

7.2.3 Außerhäusliche E<strong>in</strong>sätze<br />

Auch im außerhäuslichen Bereich gibt es e<strong>in</strong>e Vielzahl an E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten. Im<br />

Gegensatz zum <strong>in</strong>nerhäuslichen Bereich bestehen hier die Unterschiede dar<strong>in</strong>, dass<br />

zunächst die Rückzugsmöglichkeiten fehlen und erst – sofern möglich – geschaffen<br />

werden müssen und dass es e<strong>in</strong>e Öffentlichkeit gibt, vor der die Betroffenen<br />

abgeschirmt und geschützt werden sollten. Auch hier möchte ich exemplarisch e<strong>in</strong>ige<br />

wenige Situationen herausgreifen und erläutern.<br />

a) Unfälle im Straßenverkehr<br />

Bei „e<strong>in</strong>fachen“ Verkehrsunfällen wird die <strong>Notfallseelsorge</strong> häufig nicht h<strong>in</strong>zu<br />

gerufen. 260 Das hängt damit zusammen, dass der rettungsdienstliche Blick sich auf die<br />

Patienten richtet und der polizeiliche auf Unfallverursacher, Unfallbeteiligte und<br />

Zeugen. Dabei kann e<strong>in</strong> solcher Unfall auch für Ersthelfer und zufällig<br />

vorbeikommende Verkehrsteilnehmer e<strong>in</strong> prägendes Ereignis werden, das die<br />

Fahrtüchtigkeit im Anschluss erheblich verm<strong>in</strong>dert und Folgeunfälle nicht ausschließt.<br />

Aus diesem Grund ist es auch <strong>in</strong> solchen Situationen unbed<strong>in</strong>gt notwendig,<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r e<strong>in</strong>zuschalten, weil der Kreis der zu Betreuenden meist erheblich<br />

höher ist, als angenommen oder erkennbar. 261<br />

Wenn <strong>Notfallseelsorge</strong>r allerd<strong>in</strong>gs im E<strong>in</strong>satz s<strong>in</strong>d, dann gibt es e<strong>in</strong>ige Punkte, die<br />

unbed<strong>in</strong>gt beachtet werden sollten. Dazu gehört nach der E<strong>in</strong>weisung durch die<br />

Leitende E<strong>in</strong>satzkraft, sich zunächst den Opfern und erst dann den Tätern zu widmen,<br />

denn es wäre für das Opfer e<strong>in</strong>e zusätzliche Belastung und würde als unverständliche<br />

Zumutung wahrgenommen werden. 262 Zusätzlich gehören aber auch deeskalierende<br />

259 Vgl. Kunz/ Scheuermann/ Schürmann, 2004, S. 36ff.<br />

260 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.2, S. 6.<br />

261 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 125f.<br />

262 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 58.<br />

82


Maßnahmen mitunter zu den Aufgaben e<strong>in</strong>es Seelsorgers, weil es nicht selten<br />

vorkommt, dass sich Unfallverursacher und Opfer <strong>in</strong> Streitigkeiten verwickeln.<br />

Nach der Betreuung vor Ort sollte die seelsorgerliche Begleitung an den zuständigen<br />

Geme<strong>in</strong>depfarrer übergeben werden und e<strong>in</strong>e Möglichkeit des Gesprächs für<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte auf der Wache stattf<strong>in</strong>den. 263<br />

b) Unfälle mit Schienenfahrzeugen und Personenschaden<br />

Bei Unfällen mit Schienenfahrzeugen ist die Art der Zerstörung und der<br />

Verletzungsmuster meist sehr schockierend. Entsprechend sollte e<strong>in</strong>e solche Unfallstelle<br />

als sehr belastend für alle Beteiligten e<strong>in</strong>gestuft werden, so dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

aller Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit nach, auch noch <strong>in</strong> der Nachsorge angefordert werden. Falls<br />

die Unfallstelle <strong>in</strong> unwegsamem Gelände liegt, ist die Transportfrage zu klären.<br />

Besonders zu berücksichtigen ist, dass die Schadensstelle niemals ohne die Rücksprache<br />

und Erlaubnis durch die Bahnverantwortlichen betreten werden darf, weil der<br />

möglicherweise noch nicht abgeschaltete Fahrstrom oder entgegenkommende Züge<br />

lebensgefährliche Risiken für Betroffene und Helfer bergen. 264<br />

Seelsorgerliche Gespräche sollten wenn möglich nicht im Zug durchgeführt werden, um<br />

den Betroffenen den Anblick weiterer Rettungsmaßnahmen und damit verbunden<br />

möglicherweise von Schwerverletzten oder Leichen(-teilen) zu ersparen. Besser wären<br />

hier nahe stehende Gebäude, Fahrzeuge oder e<strong>in</strong> weiträumiges, aber abgeschirmtes<br />

Gelände. Bei aller Betreuung und Begleitung von Verletzten, Zeugen, Angehörigen und<br />

unverletzt Mitreisenden, sollten auf ke<strong>in</strong>en Fall der Lokomotivführer und die anderen<br />

Zugbegleiter vergessen werden. 265 Da bei e<strong>in</strong>em solchen Unglück <strong>in</strong> der Regel sehr<br />

viele Menschen zu betreuen s<strong>in</strong>d, ist die Alarmierung von Verstärkung der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> frühzeitig zu überlegen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist es unbed<strong>in</strong>gt notwendig alle aufdr<strong>in</strong>glichen Medienvertreter, die<br />

nach sensationstauglichen „O-Tönen“ Ausschau halten, rigoros im Rahmen der<br />

gesetzlichen Möglichkeiten abzuweisen, um alle beteiligten Personen vor dieser<br />

Belästigung zu schützen. 266<br />

263 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 125ff.<br />

264 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 114f.<br />

265 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.2, S. 10f.<br />

266 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 115.<br />

83


c) Brand<br />

E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satzstelle, <strong>in</strong> der Brand die Ursache ist, bietet oft e<strong>in</strong> heilloses Bild von Chaos<br />

und Zerstörung, <strong>in</strong> dem verzweifelte Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz stehen.<br />

Aber auch der Anblick von verbrannten Menschen, der Geruch oder der<br />

Gesamte<strong>in</strong>druck des Szenarios können <strong>Notfallseelsorge</strong>r regelrecht überrollen. Deshalb<br />

sollten sich <strong>Notfallseelsorge</strong>r, die dort zu erwartenden E<strong>in</strong>drücke auf jeden Fall im<br />

Vorfeld deutlich machen.<br />

In der Akutsituation selbst braucht es auf die Schnelle Räumlichkeiten, <strong>in</strong> denen sich<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r um die Betroffenen kümmern können, die allerd<strong>in</strong>gs eher versuchen<br />

werden, <strong>in</strong> das Brandobjekt zurückzukehren, um nach Angehörigen oder wichtigen<br />

Dokumenten zu suchen und sich dabei selbst gefährden. Relativ zügig werden jedoch<br />

Fragen nach Unterkunftsmöglichkeiten, Kleidung und Lebensmittel, sowie der Umgang<br />

mit Behörden und Versicherungen zu klären se<strong>in</strong>. Auch hierfür s<strong>in</strong>d <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

da und unterstützen mithilfe von kommunalen und kirchlichen E<strong>in</strong>richtungen. 267<br />

d) Gewaltverbrechen<br />

Gewaltverbrechen verursachen nicht nur körperliche Verwundungen, sondern auch<br />

seelische. Doch diese werden leider häufig übersehen. E<strong>in</strong> Opfer ist also e<strong>in</strong>e Person,<br />

die „durch e<strong>in</strong>e Tat oder e<strong>in</strong> Ereignis unmittelbar physisch, psychisch oder materiell<br />

geschädigt wurde.“ 268 Da Gewalt von jeder Person <strong>in</strong>dividuell empfunden wird, ist auch<br />

die Stärke von Gewalt subjektiv durch das Opfer bestimmt.<br />

In jedem Fall der Gewalt besteht die Gefahr e<strong>in</strong>er Traumatisierung und e<strong>in</strong>er<br />

anschließenden posttraumatischen Belastungsstörung. Wichtig ist deshalb e<strong>in</strong><br />

behutsames, sensibles und geduldiges Vorgehen, das die Geschlechtertrennung mit<br />

e<strong>in</strong>bezieht. E<strong>in</strong> weibliches Opfer e<strong>in</strong>es Sexualverbrechens möchte und sollte auch e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong> als Ansprechpartner bekommen. Als Grundregeln für solche<br />

seelsorgerlichen Gespräche gelten: unvore<strong>in</strong>genommen zu se<strong>in</strong>, aktiv zuzuhören, dem<br />

Opfer zu glauben und es ernst zu nehmen. 269<br />

267 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 117f.<br />

268 Kroner, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 170<br />

269 Vgl. Kroner, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 170ff.<br />

84


e) Großschadensereignisse und Katastrophen<br />

Zunächst muss an dieser Stelle e<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen Großschadensereignissen<br />

und Katastrophen vorgenommen werden, denn sie s<strong>in</strong>d nicht dasselbe.<br />

Großschadensereignisse s<strong>in</strong>d außergewöhnliche und schwerwiegende Situationen, <strong>in</strong><br />

denen zahlreiche Menschen, Sachwerte und Infrastrukturen betroffen se<strong>in</strong> könnten,<br />

deren Folgen jedoch mit örtlich und regional frühzeitig verfügbaren Kräften und Mitteln<br />

<strong>in</strong> absehbarer Zeit beherrscht oder überwunden werden können. Wenn dies nicht der<br />

Fall ist und die verfügbaren Kräfte und Mittel unzureichend s<strong>in</strong>d, so dass überregional<br />

weitere Kräfte und Mittel zur Bewältigung herbei gerufen werden müssen, dann<br />

erweitert sich das Großschadensereignis zu e<strong>in</strong>er Katastrophe. Der Übergang ist zumeist<br />

fließend und kann nicht immer e<strong>in</strong>deutig abgegrenzt werden. 270<br />

In beiden Szenarien, <strong>in</strong>sbesondere aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Katastrophe, braucht es für die<br />

Bewältigung das koord<strong>in</strong>ierte und strukturierte Vorgehen aller beteiligten<br />

Hilfeleistungssysteme. Deshalb <strong>in</strong>tegriert sich die <strong>Notfallseelsorge</strong> – wie alle anderen<br />

auch – <strong>in</strong> das System der Psychosozialen Notfallversorgung und wirkt <strong>in</strong> den<br />

vorgegebenen E<strong>in</strong>satzstrukturen und –abläufen verb<strong>in</strong>dlich mit.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus benennen die Kirchen den unteren Katastrophenschutzbehörden<br />

„Leitende <strong>Notfallseelsorge</strong>r“, die e<strong>in</strong>e gesonderte und vom Innenm<strong>in</strong>isterium Baden-<br />

Württemberg anerkannte Fortbildung absolviert haben. Diese können bei e<strong>in</strong>em<br />

Großschadensereignis und bei Katastrophen als Fachberater PSNV <strong>in</strong> den<br />

Führungsstäben und E<strong>in</strong>satzleitungen e<strong>in</strong>gesetzt werden. 271 Allerd<strong>in</strong>gs wird für e<strong>in</strong>en<br />

solchen E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>e große Anzahl von Leitenden <strong>Notfallseelsorge</strong>rn benötigt, weil<br />

mehrere Funktionen zu übernehmen s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong>e Befähigung zur Leitung benötigen:<br />

• Fachberater PSNV: Mitarbeit <strong>in</strong> der Technischen E<strong>in</strong>satzleitung oder im<br />

Katastrophenstab (Lage<strong>in</strong>formation, Bedarfsabschätzung, Gewährleistung von<br />

qualifizierten <strong>Notfallseelsorge</strong>rn).<br />

• E<strong>in</strong>satzleiter PSNV: E<strong>in</strong>satzleitung (Alarmierung und Koord<strong>in</strong>ation aller im E<strong>in</strong>satz<br />

bef<strong>in</strong>dlichen <strong>Notfallseelsorge</strong>r)<br />

• Gruppenleiter PSNV: Abschnittsleitung (Verantwortung für e<strong>in</strong> Team von fünf bis<br />

zehn <strong>Notfallseelsorge</strong>rn). 272<br />

270 Vgl. Häcker, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 266ff.<br />

271 Vgl. Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 10f.<br />

272 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 29.<br />

85


Die Aufgaben der <strong>Notfallseelsorge</strong>r erstrecken sich bei Großschadensereignissen und<br />

Katastrophen von der Betreuung von Verletzten über die Begleitung von Sterbenden bis<br />

h<strong>in</strong> zur Betreuung von Angehörigen, <strong>in</strong> Form von Gesprächsangeboten. Besonders ist<br />

jedoch, dass die Betreuung von E<strong>in</strong>satzkräften <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situation, sofern es<br />

möglich und zu verantworten ist, nicht während des E<strong>in</strong>satzes geschehen sollte, sondern<br />

erst danach, damit es nicht zur Handlungsunfähigkeit der E<strong>in</strong>satzkräfte kommt.<br />

Insgesamt arbeiten hier die unterschiedlichsten Professionen zusammen, deren Ziel es<br />

ist, die bestmögliche psychosoziale Begleitung der Betroffenen und E<strong>in</strong>satzkräfte zu<br />

erreichen. 273<br />

Die Dekanate und Kirchenbezirke haben die Aufgabe, mögliche Bereitstellungsräume<br />

e<strong>in</strong>zurichten, <strong>in</strong> denen sich die <strong>Notfallseelsorge</strong>r sammeln können. Die logistischen<br />

Anforderungen (Parkplätze, Kommunikationsmittel, Verpflegung, Aufenthaltsräume<br />

etc.) sollten dabei e<strong>in</strong>er eventuellen tagelangen Belegung entsprechen. 274<br />

7.2.4 Der Materialrucksack e<strong>in</strong>es <strong>Notfallseelsorge</strong>rs<br />

Bei den vielen <strong>in</strong>nerhäuslichen und außerhäuslichen E<strong>in</strong>sätzen, <strong>in</strong> die e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r kommen kann, stellt sich auch die Frage, was er an Material mitnimmt,<br />

zumal er oft nur erste H<strong>in</strong>weise auf Indikationen bekommt.<br />

Hanjo von Wietersheim war so nett und hat mir e<strong>in</strong>en solchen Standardrucksack gezeigt,<br />

den die <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen immer griffbereit haben.<br />

Neben der Weste, um kenntlich zu se<strong>in</strong>, be<strong>in</strong>haltet der rote Rucksack e<strong>in</strong>e große<br />

Taschenlampe und relativ viel Informations- und Schreibmaterial. Die<br />

Informationszettel s<strong>in</strong>d zu Suizid, zur Betreuung von K<strong>in</strong>dern und zu Stressreaktionen.<br />

Den letzten gibt es sogar <strong>in</strong> 24 Sprachen, so dass den Leuten unabhängig ihrer Herkunft<br />

etwas mitgegeben werden kann. Darüber h<strong>in</strong>aus f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> dem Rucksack noch e<strong>in</strong>e<br />

Kle<strong>in</strong>igkeit zu Essen und zu Tr<strong>in</strong>ken, sowie Teddybären, falls es K<strong>in</strong>der zu betreuen<br />

gibt. Speziell kirchliche D<strong>in</strong>ge, wie beispielsweise e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>iaturset um Abendmahl<br />

halten zu können, gibt es wenn überhaupt, nur auf den Fahrzeugen.<br />

E<strong>in</strong>fache Gebete, Worte der Ohnmacht oder des Trostes, sowie e<strong>in</strong>en möglichen Ablauf<br />

e<strong>in</strong>er Aussegnung von Toten haben die <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Kopf. 275<br />

273 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 4.2, S. 8.<br />

274 Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 29.<br />

275 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 102.<br />

86


7.3 Die Aufgaben der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

7.3.1 Erwartungen und Wünsche an die <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

Ja, welche Erwartungen und Wünsche werden von den betroffenen Opfern und<br />

Angehörigen, aber auch von den E<strong>in</strong>satzkräften, eigentlich an die <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

gestellt? E<strong>in</strong>e Frage, die schwer zu beantworten ist. Menschen, die <strong>in</strong> solche<br />

Notsituationen geraten, haben diese nicht im Vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> kommen sehen. Plötzlich und<br />

völlig unerwartet trifft sie der Schicksalsschlag <strong>in</strong> voller Härte.<br />

Aus diesem Grund können Betroffene <strong>in</strong> diesem Moment erst e<strong>in</strong>mal gar ke<strong>in</strong>e<br />

Erwartungen und Wünsche formulieren. Was aber im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als wohltuend<br />

empfunden wurde, ist e<strong>in</strong>fach nur der Beistand durch die <strong>Notfallseelsorge</strong>r, 276 weil diese<br />

Menschen <strong>in</strong> der Schocksituation meist gar nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, Hilfe von außen<br />

herbeizurufen. 277<br />

Opfer und Angehörige benötigen Ansprechpartner, die für Gespräche und für<br />

geme<strong>in</strong>sames Schweigen da s<strong>in</strong>d. Die aber auch strukturell wissen, wie es jetzt weiter<br />

geht. 278 Sie wollen allerd<strong>in</strong>gs nicht, dass von den Toten als Leiche gesprochen wird,<br />

sondern dass sie beim Namen genannt werden und dadurch die persönliche Identität des<br />

Verstorbenen gewahrt bleibt. 279 Sie wollen auch nicht, dass das Ereignis oder die<br />

nachfolgenden Reaktionen bewertet werden. Das würde das Geschehen entwürdigen.<br />

Sie brauchen e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong>e Ansprechperson, die ihnen e<strong>in</strong>en Raum eröffnet, für sie<br />

Zeit hat und für sie da ist. E<strong>in</strong>e Person, die all ihre Wut und Klagen auf Gott und die<br />

Welt aushält. 280 Häufig aber auch e<strong>in</strong>e Person, die Rituale <strong>in</strong> Form von Gebeten und<br />

Aussegnungen anbietet.<br />

Bei den E<strong>in</strong>satzkräften ist die Erwartung klarer. Sie möchten auf gar ke<strong>in</strong>en Fall als<br />

Opfer wahrgenommen werden, auch wenn sie etwas Schreckliches erlebt haben. 281 Und<br />

sie erwarten von der <strong>Notfallseelsorge</strong>, dass sie ihren Job machen und sie h<strong>in</strong>sichtlich der<br />

Betroffenen entlasten. Meist erst im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, im Bereich des Stressmanagements<br />

und der Nachsorge, s<strong>in</strong>d dann die <strong>Notfallseelsorge</strong>r auch für die E<strong>in</strong>satzkräfte als<br />

Ansprechpartner gefragt. 282<br />

276 Vgl. Interview Friedmar Probst, 62.<br />

277 Vgl. Müller-Lange/ Schirrmacher, <strong>in</strong>: Kramer/ Schirrmacher, 2005, S. 165.<br />

278 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 71.<br />

279 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 54.<br />

280 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 70.<br />

281 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 54.<br />

282 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 71.<br />

87


7.3.2 Das seelsorgerliche Gespräch<br />

„Das Gespräch zu zweit ist die Grundform christlicher Seelsorge.“ 283 Eduard<br />

Thurneysen bezeichnete es als e<strong>in</strong>e Gestalt, die vom Wort Gottes herkommt und <strong>in</strong> die<br />

Verkündigung der Geme<strong>in</strong>de h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>führt. Das Gespräch ist demzufolge also e<strong>in</strong>e Form<br />

seelsorgerlichen Handelns, das se<strong>in</strong>em Gehalt nach e<strong>in</strong> Hören auf Gottes Wort und e<strong>in</strong><br />

Antworten auf das Wort Gottes darstellt. 284 Darüber h<strong>in</strong>aus versteht Joachim<br />

Scharfenberg das Gespräch <strong>in</strong> der Seelsorge <strong>in</strong>sbesondere durch die Sprache als<br />

heilendes, also auch therapeutisches, Geschehen. Dabei ist das Gespräch selbst, also der<br />

Prozess des Mite<strong>in</strong>andersprechens und Interagierens, das Heilende und weniger der<br />

Inhalt, der vermittelt wird. 285<br />

Aufbauend auf diesem H<strong>in</strong>tergrund bedarf es jetzt zu schauen, wie das seelsorgerliche<br />

Gespräch <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>e heilende Wirkung entfalten kann. Es beg<strong>in</strong>nt<br />

meistens mit e<strong>in</strong>em Kurzgespräch, dessen Ort und Zeit der Zufall bestimmt.<br />

Hervorgerufen durch e<strong>in</strong>e Notsituation treffen zwei Menschen unverabredet aufe<strong>in</strong>ander,<br />

die im Gespräch mite<strong>in</strong>ander zu klären versuchen, welche Impulse notwendig s<strong>in</strong>d, um<br />

erste Schritte aus dieser gefühlten Sackgasse gehen zu können. 286<br />

Dabei sollte der <strong>Notfallseelsorge</strong>r vier Verhaltensweisen berücksichtigen, damit e<strong>in</strong>e<br />

förderliche Beziehungsstruktur erreicht werden kann.<br />

1. Verstehendes Verhalten: Es geht hierbei nicht primär um das Verstehen kognitiver<br />

Art, sondern darum, sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gegenüber e<strong>in</strong>fühlen zu können und die Welt aus<br />

dessen Perspektive sehen zu lernen. Die Fähigkeit zur Empathie ist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere<br />

Haltung und damit grundlegend für e<strong>in</strong> seelsorgerliches Gespräch.<br />

2. Annehmendes Verhalten: E<strong>in</strong>e förderliche Beziehung wird nur dann gel<strong>in</strong>gen<br />

können, wenn es sich auf annehmender Basis gestaltet. Rogers spricht <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang von „Wertschätzung“ und „emotionaler Wärme“. Beide gehören<br />

dazu und s<strong>in</strong>d fundamentale Voraussetzungen. Aber auch der angemessene Umgang<br />

mit den Emotionen des Gegenübers muss ausgehalten werden können.<br />

3. Ermutigendes Verhalten: Wenn sich Menschen <strong>in</strong> ihrer Situation wirklich<br />

verstanden und als Person angenommen fühlen, trägt dies schon e<strong>in</strong>en erheblichen<br />

Teil dazu bei, e<strong>in</strong>e aufbauende, stimulierende und aktivierende Wirkung<br />

herzustellen. Darüber h<strong>in</strong>aus ist es jedoch notwendig und s<strong>in</strong>nvoll <strong>in</strong>itiativ zu<br />

283 Ziemer, 2008, S. 151.<br />

284 Vgl. Thurneysen, 1980, S. 87ff.<br />

285 Vgl. Ziemer, 2008, S. 151f.<br />

286 Vgl. Lohse, 2003, S. 13ff.<br />

88


werden, ohne dabei gleich zu bevormunden. Vielmehr geht es hier darum,<br />

Möglichkeiten als Perspektive zu eröffnen, Ressourcen zu entdecken und zu nutzen,<br />

sowie e<strong>in</strong>e beg<strong>in</strong>nende Er<strong>in</strong>nerungsarbeit anzuleiten.<br />

4. Authentisches Verhalten: E<strong>in</strong>e elementare Bedeutung wird der „Echtheit“ des<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>rs zugemessen. 287 Dazu müssen sich Seelsorger bewusst machen,<br />

dass sie Gespräche nicht nur führen, sondern s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> solches Gespräch hat dadurch<br />

nicht nur mit erlernten oder nicht erlernten Fähigkeiten zu tun, sondern auch mit der<br />

Person des <strong>Notfallseelsorge</strong>rs selbst. Wer es ist, welches Temperament er besitzt,<br />

welche Neigungen und E<strong>in</strong>stellungen er hat oder wie er auf Gefühle reagiert. E<strong>in</strong>e<br />

fe<strong>in</strong>fühlige Transparenz kann an dieser Stelle sehr hilfreich se<strong>in</strong>. 288<br />

7.3.3 Rituale<br />

Jeder erste Geburtstag oder <strong>in</strong>sbesondere das erste Weihnachtsfest nach dem Tod e<strong>in</strong>es<br />

Angehörigen können die Familie vor e<strong>in</strong>e kaum zu bewältigende Aufgabe stellen.<br />

Während andere mit e<strong>in</strong>er Fröhlichkeit unterwegs s<strong>in</strong>d, bedeutet es für sie Stillstand.<br />

E<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer Stillstand, durch den sie mit der äußeren Geschäftigkeit nicht mithalten<br />

können. 289 In dieser schwierigen Situation, aber auch schon direkt nach dem Geschehen,<br />

können Rituale e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung erhalten und sehr hilfreich se<strong>in</strong>. Ich möchte<br />

mich an dieser Stelle jedoch nur auf Rituale am E<strong>in</strong>satzort beschränken.<br />

Symbole und Rituale am Ort des Geschehens vermitteln Betroffenen und Helfern e<strong>in</strong>e<br />

Orientierung. Kurze Texte, e<strong>in</strong> Gebet oder e<strong>in</strong>e Segnung unterstützen alle beim<br />

Aushalten der schrecklichen Situation und beim F<strong>in</strong>den von Worten <strong>in</strong>mitten e<strong>in</strong>er<br />

unendlichen Sprachlosigkeit. Die <strong>Notfallseelsorge</strong> ist hier so etwas wie die Wegführer<strong>in</strong><br />

durch das Entsetzliche, durch das tiefe Tal. 290<br />

Allen voran steht das Ritual der Aussegnung wohl <strong>in</strong> der Regel zuerst im Blickfeld aller<br />

Beteiligten. E<strong>in</strong>e solche rituelle Handlung kann sowohl im <strong>in</strong>nerhäuslichen wie auch im<br />

außerhäuslichen Bereich vollzogen werden und gibt auch E<strong>in</strong>satzkräften e<strong>in</strong>en Moment<br />

der Stille und des Aufatmens, wenn sie ihre Tätigkeiten für e<strong>in</strong>en kurzen Augenblick<br />

ruhen lassen können. Allerd<strong>in</strong>gs sollten alle rituellen Handlungen, seien es Segnungen,<br />

287 Vgl. Ziemer, 2008, S. 156ff.<br />

288 Vgl. Blattner/ Gareis/ Plewa, 1993, S. 477.<br />

289 Vgl. Wiese, 2001, S. 65.<br />

290 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 155f.<br />

89


das Aufstellen e<strong>in</strong>er Kerze, das Gebet oder andere Texte nur auf Wunsch der Beteiligten<br />

ausgeführt werden, denn nur sie können beurteilen, ob ihnen das hilfreich ersche<strong>in</strong>t. 291<br />

Immer wieder werden <strong>Notfallseelsorge</strong>r auch gefragt, ob sie e<strong>in</strong> totes K<strong>in</strong>d noch taufen<br />

können, damit man es von Gott angenommen weiß. Hier gilt es behutsam zu sagen, dass<br />

die Taufe toter Menschen <strong>in</strong> christlichen Kirchen nicht praktiziert wird, e<strong>in</strong>e Segnung<br />

aber sehr wohl möglich sei. Dadurch kann den Eltern versichert werden, dass ihr K<strong>in</strong>d<br />

auch ungetauft bei Gott geborgen ist. 292 Insgesamt ist es wichtig, dass e<strong>in</strong>e Gestaltung<br />

von Abschied möglich ist, damit vor Ort e<strong>in</strong>e Entlastung stattf<strong>in</strong>det und e<strong>in</strong> erster Trost<br />

gespendet werden kann. 293<br />

Überdies s<strong>in</strong>d Rituale auch für die <strong>Notfallseelsorge</strong>r selbst sehr hilfreich. Egal ob es<br />

sich dabei um das Anziehen bestimmter Kleidung, das Greifen nach der E<strong>in</strong>satztasche,<br />

e<strong>in</strong> kurzes Innehalten, e<strong>in</strong>e bestimmte Musik auf der Anfahrt oder e<strong>in</strong> Gebet handelt –<br />

alles trägt dazu bei, nach e<strong>in</strong>em prägenden E<strong>in</strong>satz die Rolle des <strong>Notfallseelsorge</strong>rs<br />

wieder abzulegen. E<strong>in</strong> gelungener Abschluss e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes ist wichtiger als der<br />

Beg<strong>in</strong>n. 294<br />

7.3.4 Betreuung von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen<br />

Bei der Betreuung von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen ist e<strong>in</strong> besonders umsichtiges und<br />

fe<strong>in</strong>fühliges Verhalten des <strong>Notfallseelsorge</strong>rs gefragt. Deshalb sollten <strong>Notfallseelsorge</strong>r,<br />

die hier zum E<strong>in</strong>satz kommen, Grundkenntnisse zu k<strong>in</strong>dlichem Verhalten unter<br />

extremen Bed<strong>in</strong>gungen haben. 295<br />

Um psychischen Folgen und posttraumatischen Belastungsstörungen vorzubeugen,<br />

muss das Erlebte von den K<strong>in</strong>dern verarbeitet werden. Grundsätzlich sollte der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r sie daher ernst nehmen. Erfahrungsgemäß werden die Ressourcen der<br />

K<strong>in</strong>der eher unter- als überschätzt. Dazu gehört auch, dass nichts verniedlicht oder<br />

verharmlost wird und die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> alle Abläufe (bis h<strong>in</strong> zur Beerdigung) <strong>in</strong>tegriert<br />

werden, sofern sie das möchten.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus kann der Körperkontakt (<strong>in</strong> den Arm nehmen; Kopf streicheln) bei<br />

K<strong>in</strong>dern grundsätzlich <strong>in</strong>tensiver ausfallen als bei Erwachsenen und das E<strong>in</strong>setzen von<br />

Stofftieren ist vor allem bei jüngeren K<strong>in</strong>dern une<strong>in</strong>geschränkt zu empfehlen.<br />

291<br />

Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 2.4, S. 5.<br />

292<br />

Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 32.<br />

293<br />

Vgl. Müller-Lange/ Schirrmacher, <strong>in</strong>: Kramer/ Schirrmacher, 2005, S. 166.<br />

294<br />

Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 143f.<br />

295<br />

Vgl. Waterstraat, 2008, S. 78.<br />

90


Es ist auch nicht immer möglich und notwendig, K<strong>in</strong>der vom Geschehen abzuschirmen.<br />

Oft kann die Entstehung von Phantasien unter Umständen noch belastender se<strong>in</strong>, als die<br />

Realität <strong>in</strong> Begleitung des <strong>Notfallseelsorge</strong>rs und aus e<strong>in</strong>iger Distanz zu verfolgen. In<br />

jedem Fall aber, muss das K<strong>in</strong>d über das was geschieht wahrheitsgemäß <strong>in</strong>formiert<br />

werden. K<strong>in</strong>der haben e<strong>in</strong> Gespür dafür, wenn sie belogen werden. Anschließend ist es<br />

auch wichtig, Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen, Ressourcen zu nutzen, auf<br />

Schuldgefühle zu achten und ungewöhnliche Verhaltensweisen <strong>in</strong>dividuell<br />

zuzulassen. 296<br />

Bei Jugendlichen ist es besonders wichtig, dass <strong>Notfallseelsorge</strong>r sie als vollwertige und<br />

nahezu erwachsene Personen wahrnehmen und nicht wie kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der behandeln. Das<br />

Jugendalter ist nicht e<strong>in</strong>e Zeit der Krise, sondern e<strong>in</strong>e Zeit des Wandelns, <strong>in</strong> der sie auf<br />

der Suche nach ihrer eigenen Identität s<strong>in</strong>d und dabei auch eigene religiöse<br />

Vorstellungen entwickeln. 297 Deshalb müssen <strong>Notfallseelsorge</strong>r die Lebenswelt der<br />

Jugendlichen mit e<strong>in</strong>beziehen, nicht aber versuchen, selbst Teil davon zu se<strong>in</strong> und zu<br />

me<strong>in</strong>en, alles verstehen zu können.<br />

7.3.5 Umgang mit anderen Religionen und Kulturen<br />

Immer wieder kommt es auch vor, dass <strong>Notfallseelsorge</strong>r am Unglücksort auf<br />

Menschen anderer Religionen und Kulturen treffen. Um <strong>in</strong> solchen Extremsituationen<br />

auch diesen Menschen hilfreich und begleitend zur Seite stehen zu können, müssen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r deren E<strong>in</strong>stellungen zu Tod und Trauer kennen und sich schon vorher<br />

mit den Ritualen und E<strong>in</strong>stellungen der unterschiedlichen Religionen und Kulturen<br />

ause<strong>in</strong>andersetzen. 298 Dazu gehört beispielsweise zu wissen, dass im Haus von<br />

Muslimen die Schuhe ausgezogen werden oder dass tote Muslime nicht berührt werden<br />

dürfen. Dazu gehört aber auch, dass die Rituale <strong>in</strong> den unterschiedlichen Religionen<br />

nicht gleichermaßen erwünscht s<strong>in</strong>d, denn nicht <strong>in</strong> allen Religionen zum Beispiel, darf<br />

für den Verstorbenen gebetet werden. 299<br />

Natürlich wird e<strong>in</strong> Optimum an Versorgung nur dann erreicht, wenn auch Menschen mit<br />

gleichen Wertvorstellungen, gleichen S<strong>in</strong>nvorstellungen und e<strong>in</strong>em gleichen<br />

Menschenbild die Betreuung <strong>in</strong> entsprechender Situation übernehmen. Trotzdem gibt es<br />

296 Vgl. Karutz, <strong>in</strong>: Müller-Lange, 2006, S. 195ff.<br />

297 Vgl. Günther, 2009, S. 135.<br />

298 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 8.1, S. 1.<br />

299 Vgl. Tarnow/ Gladisch, 2007, S. 152ff.<br />

91


islang ke<strong>in</strong>e Probleme mit Andersgläubigen, auf die <strong>Notfallseelsorge</strong>r im E<strong>in</strong>satz<br />

treffen. 300 Ganz im Gegenteil: Bisher ist es sogar so, dass Andersgläubige den Pfarrer<br />

als e<strong>in</strong>e Art heiligen Menschen anerkennen und sich von ihnen betreuen lassen. Ihnen<br />

kommt es darauf an, menschlich und fachlich gut betreut zu werden und „da ist die<br />

Religion <strong>in</strong> aller Regel e<strong>in</strong>e sekundäre Geschichte.“ 301<br />

Nichtsdestotrotz ist es für alle <strong>Notfallseelsorge</strong>r von immenser Bedeutung, ke<strong>in</strong>e Rituale<br />

und Überzeugungen aufzustülpen, sondern vielmehr den e<strong>in</strong>fachen Bedürfnissen<br />

nachzukommen und wenn es gewünscht wird, den Geistlichen der jeweiligen Religion<br />

h<strong>in</strong>zuzuholen. 302 In dieser H<strong>in</strong>sicht ist es deshalb umso erfreulicher, dass <strong>in</strong> diesen<br />

Tagen <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit der christlich-islamischen Gesellschaft, die ersten<br />

Muslime zu <strong>Notfallseelsorge</strong>rn ausgebildet werden, weil sie gerne ich e<strong>in</strong>em solchen<br />

Dienst mitarbeiten möchten. 303<br />

7.3.6 E<strong>in</strong>satznachsorge<br />

Nicht nur bei direkt Betroffenen e<strong>in</strong>es Unglücks, sondern auch bei E<strong>in</strong>satzkräften<br />

h<strong>in</strong>terlassen die schlimmen Ereignisse ihre Spuren. Die Bilder e<strong>in</strong>er Katastrophe, die<br />

Geräusche oder die Gerüche aus e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz können sich mit nachhaltigen Folgen <strong>in</strong><br />

die Seele von E<strong>in</strong>satzkräften e<strong>in</strong>brennen. Meistens treten diese beschriebenen<br />

Phänomene erst dann auf, wenn sie wieder zur Ruhe kommen. Oftmals mischen sich<br />

auch quälende Fragen darunter: Hätte ich manche Folgen der Katastrophe verh<strong>in</strong>dern<br />

können, wenn ich anders gehandelt hätte? Es folgen Belastungsreaktionen wie<br />

Schlafstörungen, Gereiztheit, stetige Übererregtheit oder sogar der Rückzug aus dem<br />

sozialen Leben. Zwar können solche Belastungsreaktionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gewissen Zeitraum<br />

ganz normale Reaktionen von normalen Menschen auf e<strong>in</strong> abnormales Ereignis se<strong>in</strong>, sie<br />

sollten jedoch nach ca. 4 Wochen wieder abkl<strong>in</strong>gen. Wenn sie länger andauernd s<strong>in</strong>d,<br />

spricht man von e<strong>in</strong>er posttraumatischen Belastungsstörung. 304<br />

Aus diesem Grund ist die Nachsorge ganz besonders <strong>in</strong> helfenden Berufen so immens<br />

wichtig. Erfolgt ke<strong>in</strong>e Nachsorge, also ke<strong>in</strong> angemessener Umgang mit solchen<br />

Belastungen, dann werden mit e<strong>in</strong>iger Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>zelne oder mehrere der<br />

soeben dargestellten Folgen auftreten. <strong>Notfallseelsorge</strong> ist somit auch Prävention.<br />

300 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 74.<br />

301 Interview Hanjo von Wietersheim, 89.<br />

302 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 90.<br />

303 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 34.<br />

304 Vgl. Unruh/ Duven/ Müllenmeister, 2008, S. 154.<br />

92


Ferner gibt es für die Nachsorge verschiedene Sett<strong>in</strong>gs, die zwar zu unterscheiden s<strong>in</strong>d,<br />

die aber alle die gleichen Ziele verfolgen. So kann die Nachsorge eher <strong>in</strong>dividuell,<br />

<strong>in</strong>formell und unorganisiert zwischen Kollegen erfolgen oder aber auch offiziell und<br />

organisiert durch die jeweilige Organisation <strong>in</strong> Form von Supervision. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

muss auch zwischen der Nachsorge im alltäglichen Dienst und der Nachsorge nach<br />

belastenden Ereignissen (Debrief<strong>in</strong>g) unterschieden werden. 305<br />

Es ist also e<strong>in</strong>e unerlässliche Aufgabe mitunter auch der <strong>Notfallseelsorge</strong>, den<br />

E<strong>in</strong>satzkräften und den eigenen <strong>Notfallseelsorge</strong>rn e<strong>in</strong>e Fürsorge zuteil werden zu<br />

lassen, um angesichts der erlebten Not, Begleitung und Unterstützung zu erfahren. 306<br />

Allerd<strong>in</strong>gs kann diese Aufgabe nicht e<strong>in</strong>fach so von jedem <strong>Notfallseelsorge</strong>r erfüllt<br />

werden. Vielmehr bedarf es hierfür eigens ausgebildeter Führungskräfte, weil hier<br />

besondere Strukturen und besondere Qualifikationen erfordert s<strong>in</strong>d. 307<br />

Um also e<strong>in</strong>er Belastungsstörung unter E<strong>in</strong>satzkräften vorzubeugen, hat sich <strong>in</strong> den<br />

letzten zwei Jahrzehnten das aus den USA stammende Critical Incident Stress<br />

Management (CISM) entwickelt, dessen deutsche Version die SBE (Stressbearbeitung<br />

nach belastenden E<strong>in</strong>sätzen) darstellt. 308 Das CISM beschreibt e<strong>in</strong> Modell der<br />

Prävention, M<strong>in</strong>derung und Nachsorge von berufsbed<strong>in</strong>gtem Stress <strong>in</strong> hochbelasteten<br />

Tätigkeitsfeldern, wie die von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst. 309 Dieses Modell,<br />

das <strong>in</strong> den 80er Jahren durch den Psychologen Jeffrey T. Mitchell entwickelt wurde,<br />

wurde <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> zunächst skeptisch adaptiert, fand dann aber e<strong>in</strong>e schnelle<br />

Verbreitung unter den Hilfsorganisationen. Heute ist es die am meisten verbreitete<br />

Methode der Hilfe für E<strong>in</strong>satzkräfte. 310<br />

Die CISM-Methode gliedert sich <strong>in</strong> fünf Stufen: 1. Ausbildung und<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmaßnahmen (Bewältigungshilfen erlernen), 2. „One-Scene-Support“ (e<strong>in</strong>zelne<br />

Helfer werden während des E<strong>in</strong>satzes herausgenommen, wenn sie Belastungssymptome<br />

erkennen lassen), 3. Demobilization (allen Helfern wird während des E<strong>in</strong>satzes für e<strong>in</strong>e<br />

kurze Zeit e<strong>in</strong>e Ruhepause e<strong>in</strong>geräumt), 4. Defus<strong>in</strong>g (erster kurzer Austausch<br />

unmittelbar nach dem E<strong>in</strong>satz) und 5. Debrief<strong>in</strong>g (größere Nachbesprechung etwa 24<br />

bis 72 Stunden nach dem beendeten E<strong>in</strong>satz). 311<br />

305 Vgl. Lasogga/ Karutz, 2005, S. 122.<br />

306 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 19.<br />

307 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 70.<br />

308 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 73.<br />

309 Vgl. Waterstraat, 2008, S. 135.<br />

310 Vgl. Müller-Lange, 2006, S. 331.<br />

311 Vgl. Forum GesundheitsMedien GmbH, 2009, Kapitel 5.3, S. 1ff.<br />

93


Die Nachbesprechung (5. Stufe: Debrief<strong>in</strong>g) ist der Mittelpunkt des CISM und die<br />

differenzierteste aller Interventionen im Rahmen der Stressbearbeitung. Sie ist auch die<br />

e<strong>in</strong>zige Stufe, die sowohl für E<strong>in</strong>satzkräfte, als auch für breitere Bevölkerungsschichten<br />

angewandt und nur <strong>in</strong> Gruppen durchgeführt wird. Ihr Ziel ist es, die Auswirkungen<br />

e<strong>in</strong>es belastenden Ereignisses zu reduzieren und den normalen Erholungsprozess bei<br />

Menschen zu beschleunigen. Es muss jedoch auch ausdrücklich erwähnt werden, dass<br />

CISM ke<strong>in</strong>e therapeutische Maßnahme und auch ke<strong>in</strong> Ersatz dafür ist. Vielmehr soll<br />

hier aufgezeigt werden, ob e<strong>in</strong>e Weitervermittlung zur Therapie notwendig ist. 312<br />

Natürlich hat nicht jede <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppe e<strong>in</strong>en im CISM ausgebildeten<br />

Mitarbeiter, was aber von Vorteil wäre. Hier kann dann e<strong>in</strong> CISM-Team angefordert<br />

werden. Denn e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz ist nicht dann beendet, wenn alle E<strong>in</strong>satzkräfte vom Ort des<br />

Geschehens heimfahren, sondern erst dann, „wenn es auch der E<strong>in</strong>satzkraft wieder gut<br />

geht!“ 313<br />

7.3.7 Was kann und will die <strong>Notfallseelsorge</strong> nicht leisten?<br />

Neben den vielen Aufgaben, welche die <strong>Notfallseelsorge</strong> leistet, habe ich me<strong>in</strong>en<br />

Interviewpartnern auch die Frage gestellt, ob es etwas gibt, was sie gerne hätten, aber<br />

leider aus f<strong>in</strong>anziellen, personellen oder weiteren Gründen nicht leisten können oder<br />

wollen.<br />

Friedmar Probst nannte mir hier, dass er sich wünschen würde, sie seien kle<strong>in</strong>räumiger<br />

strukturiert, um schneller am Ort des Geschehens zu se<strong>in</strong>. Wenn er zu e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz bis<br />

an den Rand se<strong>in</strong>es Bezirkes muss, dann kann es se<strong>in</strong>, dass er dafür m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e<br />

dreiviertel Stunde braucht. Und das ist e<strong>in</strong>e relativ lange Zeit. Wenn allerd<strong>in</strong>gs die<br />

Distrikte kle<strong>in</strong>er wären, könnte er jeden Ort <strong>in</strong> maximal e<strong>in</strong>er viertel Stunde erreichen.<br />

Dadurch wäre den Betroffenen zügiger geholfen. E<strong>in</strong> schöner Wunsch, der allerd<strong>in</strong>gs<br />

leider im Rems-Murr-Kreis aufgrund des Personalmangels nicht durchführbar ist, weil<br />

es zu wenig <strong>Notfallseelsorge</strong>r gibt und die Wenigen sonst mehr Bereitschaftswochen<br />

leisten müssten. 314<br />

Im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen gab es bis vor kurzem auch noch e<strong>in</strong> Problem, das sie jetzt aber<br />

gelöst haben. Die <strong>Notfallseelsorge</strong>r haben festgestellt, dass bei Unglücken gerade <strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>eren Dörfern, <strong>in</strong> der Regel nicht nur die direkt Betroffenen und die Angehörigen,<br />

312 Vgl. Mitchell/ Everly, 2005, S. 127ff.<br />

313 Unruh/ Duven/ Müllenmeister, 2008, S. 155.<br />

314 Vgl. Interview Friedmar Probst, 76.<br />

94


sondern e<strong>in</strong> ganze Dorfgeme<strong>in</strong>schaft betroffen ist. Und für viele gibt es <strong>in</strong> diesem<br />

Moment ke<strong>in</strong>e Angebote. Aus diesem Grund haben sie damit begonnen, möglichst<br />

zügig nach dem Unglück, meist noch am selben Tag, Geme<strong>in</strong>de<strong>in</strong>formationstreffen zu<br />

veranstalten. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Pfarrstellen, dem örtlichen<br />

Bürgermeister und vielleicht auch den Schulen, f<strong>in</strong>det also e<strong>in</strong> Treffen für die ganze<br />

Geme<strong>in</strong>de statt. Und über die anwesenden <strong>Notfallseelsorge</strong>r und Personen aus<br />

Beratungsstellen können hier Hilfsangebote für alle Leute unterbreitet oder vermittelt<br />

werden. 315<br />

Und im Gegensatz zu den Landkreisen, wo e<strong>in</strong>ige Angebote nicht leistbar s<strong>in</strong>d und zu<br />

Landkreisen, wo fehlende Angebote ergänzt und ausprobiert werden, gibt es auch<br />

Gegenden <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>, wo alle Angebote, die s<strong>in</strong>nvoll gefunden werden, e<strong>in</strong>fach<br />

gemacht werden und es eigentlich an nichts fehlt. So kümmert sich Joachim Müller-<br />

Lange darum, dass e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzierung steht und dass auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Arbeit über<br />

mehrere Jahre am Leben erhalten werden kann. E<strong>in</strong> Beispiel dafür ist die Tsunami-<br />

Arbeit, die sie seit nunmehr 5 Jahren begleiten und dafür sorgen, dass hierfür<br />

ausreichend Geld vorhanden ist. Er ist überzeugt davon, dass wenn man der<br />

Kirchleitung darstellen kann, dass bestimmte D<strong>in</strong>ge notwendig s<strong>in</strong>d, sie sich auch <strong>in</strong><br />

aller Regel f<strong>in</strong>anzieren lassen. 316<br />

7.4 Evaluation und Qualitätssicherung<br />

Bei jährlich rund 750 E<strong>in</strong>sätzen im <strong>in</strong>nerhäuslichen Bereich und rund 250 E<strong>in</strong>sätzen im<br />

außerhäuslichen Bereich <strong>in</strong> Baden-Württemberg, 317 dient die Evaluation der Kontrolle<br />

der geleisteten Arbeit, der Qualitätssicherung und der Verbesserung der<br />

Arbeitsstrukturen und -abläufe. Zum e<strong>in</strong>en ermöglicht sie dadurch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche<br />

Weiterentwicklung des seelsorgerlichen Angebots und zum anderen e<strong>in</strong>er Erweiterung<br />

der Erkenntnisse im Umgang mit Menschen <strong>in</strong> verschiedenen Notsituationen. 318<br />

„Zugleich kann die Evaluation [aber auch] e<strong>in</strong> Instrument se<strong>in</strong>, um die Träger und<br />

kooperierenden E<strong>in</strong>richtungen, aber auch die Öffentlichkeit über die Qualität,<br />

Effektivität und Effizienz der Arbeit der <strong>Notfallseelsorge</strong>r zu <strong>in</strong>formieren.“ 319<br />

315 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 81.<br />

316 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 64.<br />

317 Vgl. http://www.nfs-bw.de/<strong>in</strong>dex.php?id=84 [aufgerufen am 24.11.2009].<br />

318 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 21.<br />

319 Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 21.<br />

95


Zunächst geschieht die Evaluation über E<strong>in</strong>satzprotokolle, die neben den technischen<br />

Daten (Term<strong>in</strong>, E<strong>in</strong>satzzeit, E<strong>in</strong>satzort, Mitwirkende, E<strong>in</strong>satzdauer), auch <strong>in</strong>haltliche<br />

Informationen (Alarmierungsgrund, seelsorgerliche Themen) erfassen. Alle diese<br />

Protokolle von E<strong>in</strong>sätzen werden dann vor Ort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Statistik e<strong>in</strong>gepflegt, die<br />

wiederum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e landesweite Statistik der Kirchen e<strong>in</strong>gehen. 320<br />

Über diese E<strong>in</strong>satzprotokolle, aber auch über die regelmäßige Supervision können nun<br />

die e<strong>in</strong>zelnen <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen und deren Leitung danach schauen, was gut<br />

gelaufen ist und wo es für den nächsten E<strong>in</strong>satz Verbesserungsmöglichkeiten gibt. 321<br />

Allerd<strong>in</strong>gs kann e<strong>in</strong>e statistische Größe hier nicht zu hundert Prozent gewährleistet<br />

werden, weil es nicht von jedem E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong> Protokoll gibt und von dem her auch nicht<br />

jeder E<strong>in</strong>satz statistisch erfasst ist. 322<br />

Zusätzlich dazu, wird die Arbeit der <strong>Notfallseelsorge</strong> aber auch durch e<strong>in</strong>e<br />

wissenschaftliche Begleitung evaluiert. Federführend s<strong>in</strong>d hier die Universitäten<br />

Magdeburg und Freiburg. Und auf Bundesebene wird die <strong>Notfallseelsorge</strong> strukturell<br />

durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ziemlich<br />

langen Prozess untersucht. Sie stellen also e<strong>in</strong> Instrumentarium her, br<strong>in</strong>gen es an die<br />

Leute und werten es anschließend wissenschaftlich aus. Die Ergebnisse der<br />

Untersuchung können dann auf deren Homepage im Internet kostenlos runter geladen<br />

werden. 323<br />

7.5 Die <strong>Notfallseelsorge</strong> der Zukunft<br />

Als e<strong>in</strong> relativ junges Arbeitsfeld, das sich <strong>in</strong> den letzten zwei Jahrzehnten sehr weit<br />

entwickelt hat, birgt die <strong>Notfallseelsorge</strong> noch viel Potential zur Entfaltung für die<br />

Zukunft.<br />

Dafür müssen allerd<strong>in</strong>gs noch e<strong>in</strong>ige Positionen angegangen und verbessert werden.<br />

Hanjo von Wietersheim wünscht sich zum Beispiel, dass mehr Leute und mehr Geld für<br />

diese Arbeit zur Verfügung stehen. Natürlich ist es e<strong>in</strong> ehrenamtlicher Dienst, der<br />

zusätzlich zum normalen Arbeitsalltag e<strong>in</strong>e weitere Belastung darstellt. Und gerade<br />

deshalb wäre es notwendig, diese Arbeit e<strong>in</strong> Stück weit zu honorieren, 324 <strong>in</strong>dem die<br />

320 Vgl. Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Rottenburg/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat Freiburg/ Evangelischer<br />

Oberkirchenrat Karlsruhe/ Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart, 2009, S. 11f.<br />

321 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 59.<br />

322 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 30.<br />

323 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 52.<br />

324 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 47.<br />

96


Frage der Stellvertretung geändert wird. Muss denn e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r, der aktuell<br />

gerade e<strong>in</strong>e ganze Woche Bereitschaft hat, zusätzlich auch noch Gottesdienst halten und<br />

viele Verpflichtungen auf sich nehmen? Oder könnte man ihn <strong>in</strong> dieser Woche durch<br />

e<strong>in</strong>e stellvertretende Kraft entlasten? 325<br />

Fragen, die vor allem dann S<strong>in</strong>n machen, wenn wie von Joachim Müller-Lange der<br />

Wunsch besteht, dass noch mehr Pfarrer ihre Verantwortung für die Seelsorge als<br />

Kernkompetenz der Kirche wahrnehmen und sich freiwillig für den Dienst <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> melden. 326 Dazu muss aber der Wert von Seelsorge <strong>in</strong> allen se<strong>in</strong>en<br />

Formen noch stärker <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> rücken. Dann würde die Bereitschaft, Arbeitszeit<br />

und f<strong>in</strong>anzielle Mittel <strong>in</strong> die <strong>Notfallseelsorge</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zu stecken, vermutlich von selbst<br />

noch weiter ansteigen. 327 Und mit e<strong>in</strong>er höheren personellen Ausstattung könnten damit<br />

e<strong>in</strong>hergehend auch die Distrikte kle<strong>in</strong>räumiger strukturiert werden, um e<strong>in</strong>e schnelle<br />

Hilfe für alle Betroffenen zu gewährleisten, wie Friedmar Probst angedeutet hat. 328<br />

Überdies hat Joachim Müller-Lange für die <strong>Notfallseelsorge</strong> die Vision, dass sie <strong>in</strong><br />

Zukunft bundesweit flächendeckend sehr gut ausgebaut und strukturiert ist. Ebenso<br />

auch, dass alle Notfälle zu e<strong>in</strong>er Alarmierung der <strong>Notfallseelsorge</strong> führen, damit jeder<br />

Mensch, der Seelsorge braucht, sie auch bekommt. 329 E<strong>in</strong> Vorschlag se<strong>in</strong>erseits wäre<br />

deshalb, alle seelsorgerlichen Bereitschaftsdienste aus Krankenhaus, Hospiz, Gefängnis<br />

und weiteren Bereichen, die ja alle Personal b<strong>in</strong>den, zusammenzulegen, so dass <strong>in</strong> der<br />

Idealform nur e<strong>in</strong>e Person Bereitschaft hat und dann flexibel und vielfältig e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden kann. 330<br />

Schlussendlich ist es natürlich auch e<strong>in</strong> großer Wunsch und e<strong>in</strong>e bedeutende Vision,<br />

dass die <strong>Notfallseelsorge</strong> auf der e<strong>in</strong>en Seite E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> alle kirchlichen<br />

Ausbildungsordnungen erhält und auf der anderen Seite <strong>in</strong> der Gesellschaft e<strong>in</strong>e<br />

Sensibilisierung erfährt, um allen bedürftigen Menschen e<strong>in</strong>e Lobby zu se<strong>in</strong>, denen<br />

unsere Gesellschaft ke<strong>in</strong> passendes Angebot und soziales Netz bieten kann. 331<br />

325 Vgl. Interview Friedmar Probst, 40.<br />

326 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 32.<br />

327 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 76.<br />

328 Vgl. Interview Friedmar Probst, 76.<br />

329 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 76.<br />

330 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 20.<br />

331 Vgl. Die Akademie Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, 2009, S. 19f.<br />

97


8. <strong>Notfallseelsorge</strong> – e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche?<br />

8.1 Das kirchliche Selbstverständnis<br />

Die Grundlage der evangelischen „Seelsorge ist die Botschaft von der Rechtfertigung<br />

des Sünders alle<strong>in</strong> aus Gottes Gnade. In der Seelsorge wirkt sich dieser Grund vor allem<br />

dar<strong>in</strong> aus, dass sich Seelsorger von Gott mit ihrem Leben beschenkt und <strong>in</strong> den Dienst<br />

am Nächsten gerufen wissen.“ 332 Sie leben also nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus ihrem<br />

Selbstvertrauen heraus, sondern <strong>in</strong> der Hoffnung, dass Gott ihnen immer wieder neue<br />

Kraft zum Leben schenkt. Und mit dieser Gewissheit können sie Sorge für ihre<br />

Mitmenschen tragen.<br />

Deswegen ist es Ziel und Aufgabe von Seelsorge <strong>in</strong> den anvertrauten und belasteten<br />

Menschen, die ihnen begegnen, die bestimmende Lebensorientierung und<br />

Glaubensgewissheit wachsen zu lassen, damit wieder Hoffnung entstehen kann.<br />

Dadurch wird die Hilfe zum Glauben auch e<strong>in</strong>e Hilfe zum Leben, denn Seelsorge und<br />

Fürsorge s<strong>in</strong>d im christlichen Glauben eng mite<strong>in</strong>ander verbunden. 333<br />

Petra Bosse-Huber bezeichnet die Seelsorge sogar als die „Muttersprache“ der Kirche.<br />

Sie verfolgt damit drei verschiedene Voraussetzungen.<br />

Zunächst geht sie davon aus, dass im weitesten S<strong>in</strong>ne, alle Begegnungen, Handlungen<br />

und Rituale e<strong>in</strong>e seelsorgerliche Dimension besitzen, <strong>in</strong> denen Menschen etwas von<br />

Gottes Liebe und Annahme spüren können. Dadurch versucht die Seelsorge als<br />

Glaubens- und Lebenshilfe die Lebensmöglichkeiten der Menschen zu erweitern und<br />

deren unlösbare Situationen mit zu tragen, <strong>in</strong>dem sie Perspektiven der Klärung, der<br />

Beziehung, der Problemlösung und des Trostes schafft. In dieser H<strong>in</strong>sicht ist die<br />

Seelsorge der ganzen christlichen Geme<strong>in</strong>de aufgetragen und wird auch von der ganzen<br />

Geme<strong>in</strong>de wahrgenommen.<br />

Die zweite Voraussetzung ist die kirchliche Zugewandtheit zu den Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

elementaren und annehmenden Sprache. Wie die Muttersprache bis zu e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten Punkt quasi „automatisch“ erlernt wird, kann auch jeder Mensch e<strong>in</strong>e<br />

seelsorgerliche Kompetenz „automatisch“ als e<strong>in</strong>e „personale<br />

Grundkompetenz“ erlernen. Sie befähigt dazu, sich auf andere Menschen e<strong>in</strong>zulassen,<br />

ihnen zuzuhören und ihre Situation von der eigenen Lebenserfahrung her angemessen<br />

332 Vere<strong>in</strong>igte Evangelisch-Lutherische Kirche <strong>Deutschland</strong>s, 2000, S. 709f.<br />

333 Vgl. Vere<strong>in</strong>igte Evangelisch-Lutherische Kirche <strong>Deutschland</strong>s, 2000, S. 710.<br />

98


zu deuten. Um jedoch den Anspruch ernst zu nehmen, e<strong>in</strong>e „seelsorgerliche Kirche“ zu<br />

se<strong>in</strong>, muss sich um e<strong>in</strong>e Erweiterung der Grundkompetenz bemüht werden, um<br />

ausreichend qualifiziert zu se<strong>in</strong>. Dies erfolgt für Hauptamtliche durch die<br />

Seelsorgeausbildung im Theologiestudium und für Ehrenamtliche <strong>in</strong> entsprechenden<br />

Seelsorgefortbildungen.<br />

Dass Menschen diese Muttersprache verstehen und <strong>in</strong> ihr kommunizieren möchten, ist<br />

die dritte Voraussetzung nach Bosse-Huber. Wie e<strong>in</strong>e EKD-Erhebung über die<br />

Kirchenmitglieder zeigt, erfährt die kirchliche Seelsorge <strong>in</strong> unserer Gesellschaft e<strong>in</strong>e<br />

hohe Akzeptanz. Allerd<strong>in</strong>gs hängt das auch damit zusammen, dass die Seelsorge sich <strong>in</strong><br />

den letzten Jahrzehnten auf den Weg gemacht hat, dorth<strong>in</strong> zu gehen, wo sie Menschen<br />

erreichen kann und wo sie von Menschen auch am dr<strong>in</strong>gendsten benötigt wird. Und<br />

damit s<strong>in</strong>d wir bei den Bereichen der Krankenhausseelsorge, der Gefängnisseelsorge,<br />

der Seelsorgearbeit im Hospiz oder bei der <strong>Notfallseelsorge</strong>. 334<br />

Getragen von diesem kirchlichen Seelsorgeverständnis ist die <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong><br />

ökumenisches Angebot, das den Menschen <strong>in</strong> Krisensituationen seelsorgerlich beisteht.<br />

In Zusammenarbeit mit den Rettungs- und Hilfsdiensten geschieht sie <strong>in</strong> der<br />

unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Nähe zum auslösenden Ereignis und leistet<br />

seelsorgerliche Akuthilfe <strong>in</strong> den ersten Stunden danach. <strong>Notfallseelsorge</strong> versteht sich<br />

als „Erste Hilfe für die Seele“.<br />

Sie ist also e<strong>in</strong> Angebot, das allen Menschen offen steht, unabhängig von deren<br />

Konfession und Religion. Und sie ist aus dem christlichen Glauben heraus motiviert und<br />

orientiert sich am christlichen Menschenbild. Die <strong>Notfallseelsorge</strong> ist aber auch auf die<br />

enge zeitliche und räumliche Nähe zum Krisenereignis begrenzt und leitet von dort aus<br />

auf die kirchlichen Angebote der Kirchengeme<strong>in</strong>den und kirchlichen E<strong>in</strong>richtungen<br />

über. 335<br />

Als biblisches Paradebeispiel lässt sich hier das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter<br />

nennen, das nunmehr als Modell für die <strong>Notfallseelsorge</strong> steht. E<strong>in</strong> Samariter, der e<strong>in</strong>en<br />

ausgeraubten, schwer verletzten und blutenden Menschen am Wegesrand gesehen hat,<br />

erkennt dessen Not und verwendet Zeit für ihn. Er br<strong>in</strong>gt soviel Empathie auf, dass er<br />

sogar se<strong>in</strong>en Alltag unterbricht, um ihn zu versorgen und zur weiteren Pflege<br />

unterzubr<strong>in</strong>gen. Doch der Samariter hat nach e<strong>in</strong>er gewissen Zeit auch wieder Abschied<br />

334 Vgl. Bosse-Huber, <strong>in</strong>: Kramer/ Schirrmacher, 2005, S. 11ff.<br />

335 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat/ Bischöfliches Ord<strong>in</strong>ariat, 2004, S. 7f.<br />

99


genommen und ist se<strong>in</strong>es Weges gegangen. E<strong>in</strong> Gleichnis, das <strong>in</strong> ganz besonderer<br />

Weise als Modell für die <strong>Notfallseelsorge</strong> dient. 336<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> ist dadurch die heute gegenwärtige Form, Menschen <strong>in</strong> Not<br />

beizustehen und damit e<strong>in</strong> „unverzichtbarer Bestandteil kirchlicher Arbeit und zwar<br />

nicht nur für ihre geme<strong>in</strong>dlichen Mitglieder, sondern als gesellschaftsdiakonischer<br />

Dienst, als Arbeit e<strong>in</strong>er Volkskirche, für alle Menschen dieses Landes.“ 337<br />

8.2 Herausforderungen für die Seelsorge <strong>in</strong> der heutigen<br />

Gesellschaft<br />

Die Ergebnisse der neuen Mitgliedschaftsuntersuchungen der EKD zeigen, wie schon<br />

erwähnt, dass die Seelsorge als Grundfunktion kirchlichen Lebens nicht <strong>in</strong> Frage<br />

gestellt, sondern vielmehr noch gestärkt wird. Nach wie vor schätzen die Menschen die<br />

seelsorgerliche Begleitung an den Lebenswenden und <strong>in</strong> Notsituationen. Das s<strong>in</strong>d<br />

zentrale Faktoren der B<strong>in</strong>dung von Menschen an die Kirche. 338<br />

Und trotzdem bef<strong>in</strong>det sich die Kirche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krise, an der auch die Seelsorge<br />

partizipiert. Diesen Herausforderungen muss sich die kirchliche Seelsorgearbeit<br />

dr<strong>in</strong>gend stellen.<br />

Die religiösen Institutionen, <strong>in</strong>sbesondere die großen christlichen Kirchen, bleiben von<br />

den gesellschaftlichen Umstrukturierungen und Veränderungsprozessen nicht unberührt.<br />

Auch sie spüren die Verunsicherungen und Veroberflächlichungen des <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lebens, was sich schon dadurch bemerkbar macht, dass die christlichen Kirchen an<br />

E<strong>in</strong>fluss und Bedeutung <strong>in</strong> der Gesellschaft verloren haben.<br />

E<strong>in</strong>e Ursache dafür ist die zunehmende Skepsis unserer Gesellschaft gegenüber den<br />

bestehenden Groß<strong>in</strong>stitutionen. Das bekommen nicht nur die Parteien und Verbände,<br />

sondern auch die Kirchen zu spüren, denn das Vertrauen <strong>in</strong> die Glaubwürdigkeit von<br />

Institutionen s<strong>in</strong>kt immer mehr ab. Faktisch s<strong>in</strong>d sie immer weniger <strong>in</strong> der Lage, den<br />

Menschen auf überzeugende Weise Orientierung zu geben. 339 Ersichtlich am<br />

abnehmenden E<strong>in</strong>fluss der Kirchen <strong>in</strong> der Politik, wie zum Beispiel an den Themen<br />

Bioethik und Sterbehilfe, aber auch an der Verstärkung von Tendenzen e<strong>in</strong>er Trennung<br />

von Kirche und Staat, wie zum Beispiel im Religionsunterricht.<br />

336 Vgl. Interview Friedmar Probst, 78.<br />

337 Interview Joachim Müller-Lange, 66.<br />

338 Vgl. Schneider-Harpprecht, <strong>in</strong>: Kramer/ Schirrmacher, 2005, S. 29.<br />

339 Vgl. Ziemer 2008, S. 34f.<br />

100


Darüber h<strong>in</strong>aus geraten die großen Kirchen demographisch <strong>in</strong> Zukunft <strong>in</strong> zunehmendem<br />

Maße <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheitenposition. Ausgelöst durch e<strong>in</strong>e kulturelle Pluralisierung, <strong>in</strong><br />

der die Angebote der Kirchen stärker als bisher <strong>in</strong> Konkurrenz zu denen anderer<br />

religiöser und weltanschaulicher Gruppierungen stehen. In diesem Wettbewerb steht<br />

auch die Seelsorgearbeit der Kirchen. Da die Menschen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft auf die<br />

Angebote der Kirchen sche<strong>in</strong>bar nicht mehr angewiesen s<strong>in</strong>d, muss Kirche hier<br />

umdenken, neu strukturieren und religiös neu ausgerichtete kirchliche<br />

Organisationsformen e<strong>in</strong>führen. 340<br />

E<strong>in</strong> dritter Faktor, der ebenfalls mit der Marktsituation zusammenhängt, ist die<br />

E<strong>in</strong>stellung der Menschen zu Religion und Glauben. In e<strong>in</strong>em Prozess der Anpassung<br />

an e<strong>in</strong>e weltanschaulich plurale Gesellschaft, ist das Kriterium auch für Religion und<br />

Glaube, was ihnen das ganz persönlich bedeutet und was ihnen das schlussendlich auch<br />

br<strong>in</strong>gt. Nur wegen der von e<strong>in</strong>er Kirche vertretenen positiven Werte, wird noch nicht<br />

gleich e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung zu ihr e<strong>in</strong>gegangen und gelebt. Eben darum könnte <strong>in</strong> Zukunft<br />

gerade die Seelsorgearbeit der Kirchen e<strong>in</strong>e ekklesiologisch erhöhte Bedeutung<br />

e<strong>in</strong>nehmen, weil sie <strong>in</strong> besonderer Weise das Individuum <strong>in</strong>s Blickfeld rückt. 341<br />

Aber neben diesen eben genannten Herausforderungen, denen die Kirchen ausgesetzt<br />

s<strong>in</strong>d und denen sie sich stellen müssen, liegt die größte zu bewältigende Aufgabe dar<strong>in</strong>,<br />

e<strong>in</strong> neues Bewusstse<strong>in</strong> für den Umgang mit Leid zu eröffnen. Wie ich schon im vierten<br />

Kapitel erwähnt habe, ist der Tod <strong>in</strong> unserer Gesellschaft zu e<strong>in</strong>em Tabuthema<br />

geworden, dem es möglichst schnell und möglichst lange zu entfliehen gilt. Niemand<br />

rechnet damit, dass <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em persönlichen Umfeld jemand durch e<strong>in</strong>en tragischen<br />

Unfall oder durch e<strong>in</strong>e Katastrophe ausgelöst, zu Tode kommt. Nicht e<strong>in</strong>mal mit dem<br />

eigenen Tod haben sich die meisten Menschen ause<strong>in</strong>andergesetzt, geschweige denn,<br />

dass er plötzlich und nicht erst nach e<strong>in</strong>em langen und erfüllten Leben e<strong>in</strong>tritt.<br />

Wenn dann aber doch etwas geschieht, s<strong>in</strong>d die meisten Menschen nicht nur völlig<br />

verzweifelt und hilflos, sondern es steht dann auch schnell die Theodizeefrage im Raum.<br />

Wie kann Gott so etwas nur zulassen? Wieso hat Gott, wenn er doch gut ist und alles<br />

lenken kann, nicht e<strong>in</strong>gegriffen? Wo war Gott überhaupt, als wir ihn gebraucht haben?<br />

Diese und weiterer solcher Fragen stellen e<strong>in</strong>en gütigen Gott, ja manchmal sogar Gott<br />

selbst <strong>in</strong> Frage.<br />

340 Vgl. Schneider-Harpprecht, <strong>in</strong>: Kramer/ Schirrmacher, 2005, S. 27.<br />

341 Vgl. Ziemer, 2008, S. 36.<br />

101


Mancher gläubige Christ vermutet eventuell auch e<strong>in</strong>e Strafe Gottes dah<strong>in</strong>ter, weil er<br />

Leiden und Schuld mite<strong>in</strong>ander verknüpft. Der Ursprung dafür mag vielleicht <strong>in</strong> der tief<br />

im Menschen verwurzelten Überzeugung dr<strong>in</strong> stecken, dass alles im Leben bezahlt<br />

werden muss. In e<strong>in</strong>er Leistungsgesellschaft wie der unsrigen, mag dieser Grundsatz<br />

möglicherweise evident und notwendig se<strong>in</strong>. Im Reich Gottes hat er allerd<strong>in</strong>gs nichts zu<br />

suchen. 342<br />

Natürlich hat die <strong>Notfallseelsorge</strong> auf all diese Fragen auch ke<strong>in</strong>e Antwort. Es wäre<br />

auch nicht s<strong>in</strong>nvoll zu versuchen, darauf e<strong>in</strong>e Antwort zu geben. Aber die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen schwierigen Notsituation da se<strong>in</strong> und Beistand<br />

leisten, und sie kann <strong>in</strong>sbesondere jegliche Emotionen von der Wut, über die<br />

Hilflosigkeit und Verwirrung bis h<strong>in</strong> zu den Theodizeefragen aushalten und mittragen.<br />

8.3 Chancen und Grenzen von <strong>Notfallseelsorge</strong> als Aufgabe<br />

der Kirche<br />

Seelsorge stellt e<strong>in</strong> spezifisches Angebot der Kirche dar. Als praktiziertes Evangelium<br />

versucht die Seelsorge die Fürsorge Gottes nicht nur <strong>in</strong> Worten erfahrbar und spürbar zu<br />

machen, sondern auch durch e<strong>in</strong> bestimmtes persönliches und methodisch reflektiertes<br />

Verhalten. Dar<strong>in</strong> liegt ihre Chance, aber auch ihre Begrenzung.<br />

E<strong>in</strong>e Chance der <strong>Notfallseelsorge</strong> besteht dar<strong>in</strong>, dass es sich um e<strong>in</strong> aufsuchendes und<br />

niedrigschwelliges Angebot handelt, das kurzfristig arrangiert werden kann und<br />

meistens ke<strong>in</strong>e langfristigen Ziele verfolgt. 343 Zudem verfügt die <strong>Notfallseelsorge</strong> über<br />

e<strong>in</strong> dichtes Netz an gut ausgebildeten Seelsorgern. Es gibt ke<strong>in</strong>e andere Organisation,<br />

die e<strong>in</strong> derartiges Netz anbieten kann. Dazu gehört auch, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>r,<br />

sofern sie als Geme<strong>in</strong>depfarrer tätig s<strong>in</strong>d, Prioritäten setzen können. Das heißt, dass sie<br />

viele Arbeiten h<strong>in</strong>ten an stellen können, was beispielsweise e<strong>in</strong> Psychologe nicht kann,<br />

wenn er zum Zeitpunkt der Alarmierung die Praxis voll hat. 344<br />

Weitere Chancen kommen dadurch zum Vorsche<strong>in</strong>, dass durch die <strong>Notfallseelsorge</strong> das<br />

ganze Spektrum menschlicher Lebenswirklichkeit wahrgenommen werden kann, das so<br />

normalerweise <strong>in</strong> der Kirche eher ausgeblendet ist. 345 Dadurch nimmt sie an der<br />

naturgegebenen Aufgabe der Kirche teil, <strong>in</strong>dem sie am Leiden der Welt teilnimmt.<br />

342 Vgl. Brantschen, 2009, S. 26f.<br />

343 Vgl. Klessmann, <strong>in</strong>: Kramer/ Schirrmacher, 2005, S. 236<br />

344 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 83.<br />

345 Vgl. Interview Friedmar Probst, 80.<br />

102


Natürlich tut Kirche das nicht zum Selbstzweck, sondern im Lichte e<strong>in</strong>er<br />

missionarischen Dimension. Diese missionarische Dimension besteht aber vorrangig<br />

nicht dar<strong>in</strong>, neue Mitglieder zu gew<strong>in</strong>nen, sondern dar<strong>in</strong>, das Leben gegen den<br />

Augensche<strong>in</strong> h<strong>in</strong>, aufzuspüren und zu entdecken. So kann Kirche <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

e<strong>in</strong>e ganz tiefe und s<strong>in</strong>nstiftende Funktion erhalten. 346<br />

Dadurch rückt die <strong>Notfallseelsorge</strong> als solidarischer Dienst, unmittelbar s<strong>in</strong>nvoll <strong>in</strong> die<br />

Öffentlichkeit und wird auch als solcher wahrgenommen. Während andere Arbeitsfelder<br />

der Kirchen unter Umständen auch mal „unter Beschuss geraten“ können, gibt es<br />

gegenüber der <strong>Notfallseelsorge</strong> ke<strong>in</strong>e Kritiker. 347<br />

Aber wo Chancen und Vorteile vorhanden s<strong>in</strong>d, da gibt es <strong>in</strong> der Regel auch Nachteile<br />

und Grenzen.<br />

Zwei große Punkte s<strong>in</strong>d zum Beispiel der Personalbereich und die f<strong>in</strong>anziellen Mittel.<br />

Wie auch <strong>in</strong> jedem anderen Vere<strong>in</strong> und jeder anderen Organisation, die ehrenamtlich<br />

getragen wird, leidet auch die <strong>Notfallseelsorge</strong> darunter, dass es Menschen gibt, die re<strong>in</strong><br />

kräftemäßig und zeitmäßig nicht dazu <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, noch zusätzliche Aufgaben<br />

wahrzunehmen. Aber auch im f<strong>in</strong>anziellen Bereich muss die Kirche Abstriche machen<br />

und Sparmaßnahmen ansetzen, weil das kirchliche Geld schlichtweg begrenzt ist. 348<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus kann es selbstverständlich auch e<strong>in</strong>mal vorkommen, dass<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r als kirchliche Mitarbeiter von betroffenen Menschen abgelehnt<br />

werden. Auch die Möglichkeit, dass durch die Betreuung e<strong>in</strong>es Theologen<br />

Aggressionen aufkommen, ist denkbar. Beides kann e<strong>in</strong>e Grenze der Arbeit der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> darstellen, kommt glücklicherweise aber nur sehr selten vor. 349<br />

Alles <strong>in</strong> allem ist die <strong>Notfallseelsorge</strong> resümierend also e<strong>in</strong>e sehr wertvolle und<br />

geschätzte Aufgabe der Kirche, die zwar Chancen und Grenzen hat, dafür aber niemals<br />

den Menschen als Mittelpunkt aus den Augen verliert.<br />

346 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 86.<br />

347 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 68.<br />

348 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 85.<br />

349 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 72.<br />

103


8.4 <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> Abgrenzung zu nichtkirchlichen<br />

Organisationen<br />

In Abgrenzung zu nichtkirchlichen Organisationen wie beispielsweise dem<br />

Notfallnachsorgedienst (NND) oder den Krisen<strong>in</strong>terventionsteams (KIT) bleibt<br />

zuallererst zu sagen, dass 80% von dem was getan wird, die gleiche Arbeit ist. Alle<br />

Hilfskräfte s<strong>in</strong>d darum bemüht, menschlich und fachlich gut mit den Betroffenen<br />

umzugehen. E<strong>in</strong>fach nur für sie da zu se<strong>in</strong> und im Leid Beistand zu leisten. Dar<strong>in</strong><br />

unterscheiden sie sich nicht, denn es ist e<strong>in</strong>e identische Arbeit.<br />

Wor<strong>in</strong> sie sich allerd<strong>in</strong>gs erheblich unterscheiden, ist die rituelle Kompetenz, die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r mitbr<strong>in</strong>gen. Verschiedene Rituale <strong>in</strong> Form von Aussegnungen,<br />

Gebeten, kurzen Texten oder Abendmahl, s<strong>in</strong>d Handlungen, die<br />

Notfallnachsorgedienste und Krisen<strong>in</strong>terventionsteams nicht anbieten und auch nicht<br />

leisten können.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus zählt auch die absolute Anonymität als Differenz zu NND und KIT,<br />

weil ord<strong>in</strong>ierte Pfarrer das Beichtgeheimnis gewährleisten, was allen anderen verwehrt<br />

bleibt, wenn sie gerichtlich zu e<strong>in</strong>er Aussage gezwungen werden. 350<br />

Abschließend bleibt mir nur zu sagen, dass das Besondere der <strong>Notfallseelsorge</strong>r ihr<br />

festes, geprägtes christliches Menschenbild ist, 351 durch das sie den betroffenen<br />

Menschen neue Wege gel<strong>in</strong>genden Lebens auch im Angesicht des Todes eröffnen. 352<br />

350 Vgl. Interview Hanjo von Wietersheim, 95.<br />

351 Vgl. Interview Joachim Müller-Lange, 70.<br />

352 Vgl. Interview Sebastian Berghaus, 92.<br />

104


9. Persönliches Fazit<br />

Am Ende me<strong>in</strong>er <strong>Masterthesis</strong> angelangt – wenn ich die e<strong>in</strong>zelnen Kapitel noch e<strong>in</strong>mal<br />

Revue passieren lasse – bleibt mir zunächst zusammenfassend nur zu sagen, dass die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>e sehr wertvolle Arbeit leistet.<br />

Durch die persönlichen Erfahrungen, die ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wirklich schrecklichen<br />

Notsituation machen durfte, habe ich erkannt, wie wichtig und unersetzlich die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> im Dienst am Nächsten ist.<br />

In dem Moment, wo Menschen durch e<strong>in</strong> unfassbares Schicksal Angehörige verlieren,<br />

wo ihr Leben <strong>in</strong> den Grundfesten erschüttert wird, wo sie zwischen Schock,<br />

Verzweiflung, Wut, Angst und Hilflosigkeit gefesselt s<strong>in</strong>d und ke<strong>in</strong>e Worte mehr f<strong>in</strong>den,<br />

da ist Kirche da. Sie entsendet Menschen, die Zeit haben, die alles, was gesagt oder<br />

nicht gesagt werden muss mit aushalten und die Beistand leisten. Dadurch entsteht für<br />

die Betroffenen die Chance, irgendwann wieder <strong>in</strong> e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nstiftendes Leben<br />

zurückzuf<strong>in</strong>den.<br />

Das Besondere als Aufgabe der Kirche besteht dar<strong>in</strong>, dass <strong>Notfallseelsorge</strong>r ihrem<br />

Gegenüber mit e<strong>in</strong>em christlich geprägten Menschenbild entgegen treten und auf<br />

Wunsch der Betroffenen ihre rituelle Kompetenz e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können.<br />

Durch diese Seelsorgearbeit nimmt die Kirche ihre Kernkompetenz wahr. Ich denke<br />

darüber h<strong>in</strong>aus sogar, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong> heutzutage e<strong>in</strong>e der wichtigsten<br />

Aufgaben der Kirche ist. Weil unsere Gesellschaft der Thematik des Todes aus dem<br />

Wege geht, die Konfrontation scheut und es zu e<strong>in</strong>em Tabuthema macht, s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> der<br />

akuten Notsituation so hilflos, dass alles <strong>in</strong> Frage gestellt wird und dass sie nicht mehr<br />

wissen, wie ihr Leben nun weitergehen soll.<br />

Deshalb ist es me<strong>in</strong>er Ansicht nach von immenser Bedeutung, dass die Kirche hier<br />

präsent ist und dadurch <strong>in</strong> der Gesellschaft die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Themen wie<br />

Sterben, Tod und Trauer, wieder neu <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> ruft.<br />

Die letzten Wochen, ja sogar Monate, <strong>in</strong> denen ich mich mit dem Thema für me<strong>in</strong>e<br />

<strong>Masterthesis</strong> beschäftigt habe, haben mir sehr viel Freude bereitet. Trotz e<strong>in</strong>es nicht<br />

e<strong>in</strong>fachen Themas, habe ich mich <strong>in</strong>tensiv und gerne mit der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

ause<strong>in</strong>andergesetzt, aber auch ganz persönlich noch e<strong>in</strong>mal mit den Themen Sterben,<br />

Tod und Trauer.<br />

105


Durch diese <strong>Masterthesis</strong> habe ich e<strong>in</strong> für mich komplett neues Arbeitsfeld der Kirche<br />

kennen gelernt, so dass ich von e<strong>in</strong>em deutlichen Erkenntnisgew<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>erseits<br />

sprechen kann. Und me<strong>in</strong> Entschluss, selbst <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong> zu werden, hat sich<br />

noch weiter bekräftigt.<br />

Ich hoffe und wünsche mir, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit <strong>in</strong> Zukunft das Tabuthema<br />

Tod noch weiter herunter brechen kann, <strong>in</strong>dem die Menschen von der Arbeit Kenntnis<br />

erlangen und wissen, dass im Notfall jemand für sie da ist.<br />

Darum hoffe ich auch, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der Öffentlichkeit breiter publik<br />

gemacht wird und dass sie auch im Lehrplan an den kirchlichen Hochschulen ihren<br />

Platz f<strong>in</strong>det.<br />

Für die <strong>Notfallseelsorge</strong> wünsche ich mir zum e<strong>in</strong>en, dass weiterh<strong>in</strong><br />

„Nachwuchs“ vorhanden ist, um die Arbeit am Leben zu erhalten oder sogar weiter<br />

auszubauen und zum anderen, dass die f<strong>in</strong>anziellen Mittel von der Kirche und von<br />

Spendern noch weiter wachsen, damit alle Angebote, die notwendig s<strong>in</strong>d durchgeführt<br />

werden können, ohne sich dabei Gedanken um die F<strong>in</strong>anzierung machen zu müssen.<br />

Ich möchte mich an dieser Stelle auch noch e<strong>in</strong>mal bei me<strong>in</strong>en vier Interviewpartnern<br />

bedanken, die mir für e<strong>in</strong> Interview zur Verfügung standen, sich die Zeit genommen<br />

und mich mit weiterem Material versorgt haben. Dadurch konnte ich E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die<br />

Arbeit gew<strong>in</strong>nen, die mir re<strong>in</strong> durch das Lesen von Literatur, sicherlich so nicht möglich<br />

gewesen wären.<br />

Und so hoffe ich, dass betroffene Menschen, die e<strong>in</strong>e Begleitung durch die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> erfahren durften, irgendwann an den Punkt kommen, wo sie nach<br />

e<strong>in</strong>em erfolgreichen Trauerprozess über den Verstorbenen sagen können:<br />

Ich kehre zurück an die Orte, wo wir uns begegnet s<strong>in</strong>d, und du bist wieder da.<br />

Ich gehe die Wege, die du gegangen bist, du gehst wieder mit mir.<br />

Ich freue mich an dem, was dich weiterh<strong>in</strong> erfreut hätte, ich sehe dich mitlächeln.<br />

Ich gehe den Spuren nach, die du h<strong>in</strong>terlassen hast, und begegne dir immer wieder.<br />

Nichts kann uns trennen, wenn uns so viel verb<strong>in</strong>det.<br />

Klaus Huber<br />

106


10. Eidesstattliche Erklärung der Verfasser<strong>in</strong><br />

Ich versichere, dass ich die vorliegende <strong>Masterthesis</strong> eigenständig verfasst und ke<strong>in</strong>e<br />

anderen als die im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet<br />

und mich auch sonst ke<strong>in</strong>er unerlaubten Hilfe bedient habe.<br />

Ich versichere auch, dass ich die Satzung der PH Ludwigsburg zur Sicherung guter<br />

wissenschaftlicher Praxis beachtet und die Standards von wissenschaftlicher Arbeit der<br />

EH Ludwigsburg berücksichtigt habe.<br />

Die vorgelegte <strong>Masterthesis</strong> wurde bisher weder im In- noch im Ausland <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er<br />

Form als Prüfungsarbeit bei e<strong>in</strong>er akademischen oder staatlichen Prüfung e<strong>in</strong>gereicht.<br />

W<strong>in</strong>nenden, den _________________ ___________________________<br />

Datum Nadescha Arnold<br />

107


11. Literaturverzeichnis<br />

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theologische Enzyklopädie/ Vierter Band S-Z, dritte Auflage, Gött<strong>in</strong>gen, 1996.<br />

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Soziale Arbeit <strong>in</strong> Hospiz und Palliative Care, 2. überarbeitete Auflage, München,<br />

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111


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UNRUH, Jutta/ DUVEN, Johannes/ MÜLLENMEISTER, Frank:<br />

Wenn die Not Worte verschl<strong>in</strong>gt, vierte erweiterte Auflage, Pfalzfeld, 2008.<br />

VEREINIGTE EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE DEUTSCHLANDS<br />

(Hrsg.):<br />

Evangelischer Erwachsenen Katechismus/ glauben erkennen leben, sechste<br />

völlig neu bearbeitete Auflage, Gütersloh, 2000.<br />

VON JÜCHEN, Aurel:<br />

Das Tabu des Todes und der S<strong>in</strong>n des Sterbens, Stuttgart, 1984.<br />

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Erfolglose Reanimation, <strong>in</strong>: Müller-Lange, Joachim (Hrsg.): Handbuch<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, 2. überarbeitete Auflage, Edewecht, 2006.<br />

WATERSTRAAT, Frank:<br />

Wenn plötzlich alles anders ist: <strong>Notfallseelsorge</strong> im E<strong>in</strong>satz/ E<strong>in</strong> Leitfaden für<br />

die Praxis, Hannover, 2008.<br />

WIETERSHEIM, Hanjo von:<br />

Fortbildung <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>, <strong>in</strong>: Müller-Lange, Joachim (Hrsg):<br />

Handbuch <strong>Notfallseelsorge</strong>, 2. überarbeitete Auflage, Edewecht, 2006.<br />

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WISSENSCHAFTLICHER RAT:<br />

Duden Deutsches Universalwörterbuch, zweite, völlig neu bearbeitete und stark<br />

erweiterte Auflage, Mannheim/ Wien/ Zürich, 1989.<br />

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Seelsorge/ I. Zum Begriff/ II. Geschichtlich, <strong>in</strong>: Betz, Hans Dieter/ Brown<strong>in</strong>g,<br />

Don S./ Janowski, Bernd/ Jüngel, Eberhard (Hrsg.): Religion <strong>in</strong> Geschichte und<br />

Gegenwart/ Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft/ Band 7<br />

R-S, vierte, völlig neu bearbeitete Auflage, Tüb<strong>in</strong>gen, 2004.<br />

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Seelsorgelehre, dritte Auflage, Gött<strong>in</strong>gen, 2008.<br />

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Zur Theologie der <strong>Notfallseelsorge</strong>, <strong>in</strong>: Müller-Lange, Joachim (Hrsg.):<br />

Handbuch <strong>Notfallseelsorge</strong>, 2. überarbeitete Auflage, Edewecht, 2006.<br />

112


Internetquellen<br />

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[aufgerufen am 21.11.2009].<br />

• http://www.nfs-bw.de/<strong>in</strong>dex.php?id=84 [aufgerufen am 24.11.2009].<br />

• http://www.nfs-bw.de/uploads/media/Kasseler_Thesen.pdf<br />

[aufgerufen am 21.11.2009].<br />

• http://www.notfallseelsorge.de/Infos/ken.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

• http://www.notfallseelsorge.de/Infos/logob.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

• http://www.notfallseelsorge.de/Infos/nfs-geschichte.htm [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

Titelseite<br />

• Logo:http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/0/09/<strong>Notfallseelsorge</strong>.svg/80<br />

0px-<strong>Notfallseelsorge</strong>.svg.png, [aufgerufen 24.11.2009].<br />

• Bild: http://www.bz-berl<strong>in</strong>.de/aktuell/deutschland/trauer-nach-amoklaufarticle395987.html<br />

[aufgerufen am 21.11.2009].<br />

113


12. Anhang<br />

12.1 Die Kasseler Thesen von 1997<br />

Thesenreihe zur <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

(Kasseler Thesen)<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> ist "erste Hilfe für die Seele" <strong>in</strong> Notfällen und Krisensituationen.<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> ist damit e<strong>in</strong> Grundbestandteil des Seelsorgeauftrages der Kirchen. Sie<br />

sieht den Menschen <strong>in</strong> Not und Bedürftigkeit, <strong>in</strong> Schwäche und Schuld als e<strong>in</strong> von Gott<br />

getragenes, geliebtes und auf Hoffnung h<strong>in</strong> versöhntes und erlöstes Geschöpf.<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> wendet sich <strong>in</strong> ökumenischer Weite und Offenheit an primär<br />

Geschädigte, andere Betroffene und an E<strong>in</strong>satzkräfte.<br />

Seelsorge <strong>in</strong> Notfallsituationen nimmt ernst, dass bei den Menschen <strong>in</strong> existentiellen<br />

Extremsituationen die faktisch wirksamen religiösen und weltanschaulichen Prägungen<br />

offenbar werden. Notfallsituationen s<strong>in</strong>d Schnittstellen des Lebens, an denen S<strong>in</strong>n- und<br />

Wertfragen aufbrechen, der eigene Lebensentwurf und se<strong>in</strong>e schlagartige Veränderung<br />

besonders bewusst werden, Schuld- und Theodizeefrage die Gegenwart überschatten<br />

und die Lebenskraft absorbieren.<br />

Seelsorge für E<strong>in</strong>satzkräfte <strong>in</strong> Extremlagen begleitet die E<strong>in</strong>satzkräfte <strong>in</strong> ihrer Arbeit,<br />

vor allem bei e<strong>in</strong>em akut zusammenbrechenden Retterbild, das e<strong>in</strong>hergeht mit Gefühlen<br />

von Versagen und Hilflosigkeit, Ohnmacht und ggf. Angst und hilft im Anschluss an<br />

das E<strong>in</strong>satzgeschehen, belastende E<strong>in</strong>drücke, die sich <strong>in</strong> die Seele e<strong>in</strong>gebrannt haben, zu<br />

verarbeiten.<br />

Die Arbeit der <strong>Notfallseelsorge</strong> geschieht im Wesentlichen durch Beziehung und<br />

Kommunikation, seelsorgerliches Gespräch und Präsenz des Seelsorgers, der<br />

Seelsorger<strong>in</strong> vor Ort.<br />

Konkrete Tätigkeiten des <strong>Notfallseelsorge</strong>rs vor Ort können se<strong>in</strong>:<br />

- Begleitung von unverletzten Beteiligten<br />

- Begleitung von Verletzten während der Rettung und <strong>in</strong> Wartezeiten<br />

- Begleitung von Angehörigen, die am E<strong>in</strong>satzort s<strong>in</strong>d und dah<strong>in</strong> kommen<br />

- Fürsorge für erschöpfte E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

- auf Wunsch Spende der Sakramente und Gebet für Sterbende und Tote<br />

Überbr<strong>in</strong>gung von Todesnachrichten geme<strong>in</strong>sam mit der Polizei<br />

114


Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter <strong>in</strong> der Kirchlichen Arbeit <strong>in</strong> Feuerwehr,<br />

Rettungsdienst und Katastrophenschutz professionalisieren ihre seelsorgerliche<br />

Kompetenz <strong>in</strong> extremen Arbeitsfeldern, um E<strong>in</strong>satzkräfte an den E<strong>in</strong>satzstellen<br />

unterstützen zu können bzw. die seelsorgerliche Begleitung nach dem Abrücken der<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte weiterführen zu können, vor allem bei folgenden (häufigeren)<br />

E<strong>in</strong>satz<strong>in</strong>dikationen:<br />

- erfolglose Reanimation<br />

- Tod von K<strong>in</strong>dern<br />

- Suizidabsicht/ Suizid<br />

- Schwere Verkehrsunfälle<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> erwerben sich seelsorgerliche<br />

und theologische Kompetenz und <strong>in</strong>sbesondere Kenntnisse und Fähigkeiten über<br />

- Reaktionsformen von Menschen <strong>in</strong> Not- und Extremsituationen<br />

und das mögliche E<strong>in</strong>gehen darauf<br />

- Gefahren an der E<strong>in</strong>satzstelle<br />

(Erkennbarkeit, Selbstschutz, Schutzausrüstung)<br />

- Organisationsübergreifende Zusammenarbeit<br />

(Arbeitsweisen und Zusammenwirken von allen am E<strong>in</strong>satz beteiligten<br />

Organisationse<strong>in</strong>heiten und die eigene Mitwirkung)<br />

Sie halten engen Kontakt zue<strong>in</strong>ander und reflektieren ihre Erfahrungen regelmäßig <strong>in</strong><br />

Fortbildungen der <strong>Notfallseelsorge</strong>. Für den Dienst ist Supervision unabd<strong>in</strong>gbare<br />

Voraussetzung.<br />

Die <strong>Notfallseelsorge</strong> entwickelt regional Strukturen, die mit den Gegebenheiten von<br />

Kommune und Kirche kompatibel s<strong>in</strong>d.<br />

Die beteiligten Kirchen sprechen geeignete Beauftragungen aus auf den Ebenen der<br />

Kirchenkreise, Dekanate und Landeskirchen, Bistümer und kommen für die<br />

Personalkosten auf.<br />

Die <strong>Notfallseelsorge</strong>r organisieren sich auf Bundesebene <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konvent.<br />

Diese Thesenreihe wurde verabschiedet von Vertretern von<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>diensten aus verschiedenen Landeskirchen und Bundesländern<br />

auf der Tagung der Bruderhilfe-Verkehrsakademie <strong>in</strong> Kassel am 5.2.1997<br />

und beschreibt die geme<strong>in</strong>samen Essentials der unterschiedlich organisierten und<br />

geprägten <strong>Notfallseelsorge</strong>dienste. 353<br />

353 http://www.nfs-bw.de/uploads/media/Kasseler_Thesen.pdf [aufgerufen am 21.11.2009].<br />

115


12.2 Die Hamburger Thesen von 2007<br />

Hamburger Thesen 2007<br />

Evangelische <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Aktualisierung der Kasseler Thesen von 1997<br />

Selbstverständnis<br />

Menschen <strong>in</strong> Notfallsituationen beizustehen, ist unverzichtbarer Bestandteil<br />

christlichen Glaubens. <strong>Notfallseelsorge</strong> ist e<strong>in</strong>e Form dieses Beistands.<br />

Sie ist damit e<strong>in</strong> Grundbestandteil des Seelsorgeauftrages der Kirchen und ist <strong>in</strong><br />

ihrem Grundsatz ökumenisch ausgerichtet.<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> richtet sich an alle Menschen und achtet das Recht auf<br />

Selbstbestimmung und die religiöse und weltanschauliche Orientierung der<br />

Betroffenen.<br />

Die Seelsorge im Angesicht von Leid und Tod ist von jeher wesentlicher Bestandteil<br />

des seelsorgerlichen Auftrags der Kirchen. Dabei galt die christliche Zuwendung für<br />

Menschen, die <strong>in</strong> existentiellen Krisen stehen, immer schon deren leiblichen und<br />

seelischen Nöten gleichermaßen.<br />

Die <strong>Notfallseelsorge</strong> steht <strong>in</strong> dieser diakonischen Tradition und gehört zum<br />

seelsorgerlichen Auftrag der Kirchen. Sie aktualisiert die christliche Tradition, allen<br />

Menschen <strong>in</strong> Not beizustehen. Dies geschieht unter den besonderen Bed<strong>in</strong>gungen und <strong>in</strong><br />

den außergewöhnlichen Situationen e<strong>in</strong>es Unglücks, <strong>in</strong> denen die klassischen<br />

seelsorgerlichen Angebote und Strukturen der Kirchen nicht oder erst verzögert greifen.<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> ist somit e<strong>in</strong>e unerlässliche, ergänzende Form kirchlicher Seelsorge.<br />

Auftrag<br />

A) Handlungsraum<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> ist Zuspruch der Zuwendung Gottes an den Menschen <strong>in</strong> Not. Sie<br />

wird konkret <strong>in</strong> der Präsenz des Seelsorgers, der Seelsorger<strong>in</strong> vor Ort und dem<br />

Angebot e<strong>in</strong>er helfenden Begleitung <strong>in</strong> der Akutphase.<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> geschieht <strong>in</strong> der Zuwendung zu dem von Unheil betroffenen Menschen<br />

und im solidarischen Aushalten se<strong>in</strong>es Leides. Sie nutzt die Grundlagen, Erkenntnisse<br />

und Methoden der Theologie und Pastoralpsychologie sowie der Humanwissenschaften.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus eröffnet <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>en Raum für Spiritualität. Im Angebot von<br />

Gebet, Ritus und Segen wird sowohl der Trauer als auch der Hoffnung Ausdruck<br />

verliehen und der Beg<strong>in</strong>n von Heilung ermöglicht.<br />

116


Die <strong>Notfallseelsorge</strong> bietet Schutzraum und Gestaltung für<br />

• den Umgang mit dem Gefühl der Ohnmacht,<br />

• das Fragen nach eigener und fremder Schuld,<br />

• das Fragen nach dem S<strong>in</strong>n des Ereignisses und des Lebens überhaupt,<br />

• religiöse Fragestellungen <strong>in</strong> Grenzsituationen,<br />

• den Umgang mit den Gefühlen bei Trauer und Abschied,<br />

• die Bearbeitung traumatischer Erlebnisse,<br />

• das kollektive Betroffense<strong>in</strong> bei und den kollektiven Umgang mit Notfällen<br />

<strong>in</strong>sbesondere durch Trauer- und Gedächtnisgottesdienste.<br />

B) Anlässe<br />

Indikationen für die Begleitung Betroffener durch die <strong>Notfallseelsorge</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie:<br />

• Tod im häuslichen Bereich<br />

• Überbr<strong>in</strong>gen von Todesnachrichten<br />

• Tod und schwere Verletzungen von K<strong>in</strong>dern<br />

• Unfälle<br />

• Brände<br />

• Suizid<br />

• Gewaltverbrechen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> leistet ihren Dienst stellvertretend für die Seelsorger und<br />

Seelsorger<strong>in</strong>nen der Ortsgeme<strong>in</strong>den. Je nach Möglichkeit und Art des Ereignisses kann<br />

sie an die Geme<strong>in</strong>deseelsorge oder andere Hilfsangebote vermitteln.<br />

Für die weitere seelsorgerliche Begleitung nach dem unmittelbaren E<strong>in</strong>satzzeitraum<br />

verweist die <strong>Notfallseelsorge</strong> an Seelsorger und Seelsorger<strong>in</strong>nen vor Ort. So bleibt die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> ihrer Arbeit auf die Seelsorge <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den bezogen und wird<br />

von dieser solidarisch getragen.<br />

Besondere Arbeitsfelder<br />

C) <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> besonderen Lagen<br />

Bei größeren Schadenslagen bis h<strong>in</strong> zu Katastrophen im In- und Ausland kann<br />

sich <strong>Notfallseelsorge</strong> an der Begleitung Betroffener beteiligen und lässt sich dabei<br />

<strong>in</strong> die örtlichen Konzepte zur Bewältigung der Schadenslage e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den.<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> arbeitet auch <strong>in</strong> besonderen Lagen mit anderen Professionen im<br />

Rahmen der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) zusammen. Mit entsprechender<br />

Qualifikation können <strong>Notfallseelsorge</strong>r und <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen hier auch<br />

Führungsaufgaben übernehmen.<br />

Nach Unglücksfällen im Ausland, von denen deutsche Bürger und Bürger<strong>in</strong>nen<br />

betroffen s<strong>in</strong>d, können <strong>Notfallseelsorge</strong>r und <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen auch dort zur<br />

Begleitung e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />

Sie arbeiten mit den zuständigen Auslandspfarrern und –pfarrer<strong>in</strong>nen sowie den<br />

örtlichen Stellen zusammen.<br />

117


D) Seelsorge <strong>in</strong> Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz<br />

Aus der seelsorgerlichen Begleitung bei Notfällen ergibt sich auch die<br />

seelsorgerliche Begleitung der E<strong>in</strong>satzkräfte <strong>in</strong> Feuerwehr, Rettungsdienst und<br />

Katastrophenschutz.<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte gehören bezüglich möglicher seelischer Belastungen zu den<br />

Berufsgruppen, für die e<strong>in</strong> eigenes seelsorgerliches e<strong>in</strong>satz-, berufs- und<br />

lebensbegleitendes Angebot der Kirchen vorhanden se<strong>in</strong> muss.<br />

Dazu s<strong>in</strong>d gesonderte Qualifikationen, Ressourcen und Beauftragungen erforderlich.<br />

Bereiche der Seelsorge für E<strong>in</strong>satzkräfte s<strong>in</strong>d z.B.:<br />

• Präsenz auf den Wachen im alltäglichen Dienstbetrieb<br />

• Gottesdienste und Amtshandlungen<br />

• Prävention und E<strong>in</strong>satznachsorge<br />

• Beratung der Organisationen im Bereich PSNV<br />

• Beratung der E<strong>in</strong>satzleitung bei E<strong>in</strong>sätzen<br />

• Unterstützung der E<strong>in</strong>satzkräfte bei größeren E<strong>in</strong>sätzen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

E) Organisation der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

Die <strong>Notfallseelsorge</strong> ist <strong>in</strong> örtlichen Rufbereitschaften organisiert und <strong>in</strong> die<br />

Alarmierungsstruktur von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst e<strong>in</strong>gebunden.<br />

Sie wird üblicherweise über deren zuständige Leitstellen alarmiert.<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> vernetzt sich mit PSNV-Kräften anderer Organisationen und<br />

Institutionen vor Ort und überregional.<br />

Die Kirchen benennen Beauftragte für <strong>Notfallseelsorge</strong> auf ihren unterschiedlichen<br />

Organisationsebenen.<br />

Die landeskirchlich Beauftragten für <strong>Notfallseelsorge</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der „Konferenz<br />

Evangelische <strong>Notfallseelsorge</strong>“ (KEN) organisiert.<br />

F) Qualifikation<br />

Grundlage notfallseelsorgerlichen Handelns ist e<strong>in</strong>e kirchlich verantwortete<br />

Seelsorgeausbildung, die durch fachbezogene Fortbildungen ergänzt wird.<br />

Mitarbeiter und Mitarbeiter<strong>in</strong>nen der <strong>Notfallseelsorge</strong> s<strong>in</strong>d gehalten, sich nach<br />

erworbener Qualifikation <strong>in</strong> diesem Arbeitsbereich ständig weiterzubilden und<br />

supervisorische Begleitung der eigenen Tätigkeit wahrzunehmen.<br />

Aufgrund von erworbenen Qualifikationen <strong>in</strong> der Begleitung von Menschen <strong>in</strong><br />

Notsituationen (z.B. durch Telefonseelsorge, Hospizarbeit, psychologische Ausbildung)<br />

können die Kirchen auch Menschen, die nicht zu der Gruppe der hauptamtlichen<br />

Seelsorger und Seelsorger<strong>in</strong>nen gehören, mit dem Dienst <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> und<br />

Seelsorge <strong>in</strong> Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz betrauen.<br />

118


<strong>Notfallseelsorge</strong> und Seelsorge <strong>in</strong> Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz<br />

geschehen <strong>in</strong> engem Austausch mit anderen wissenschaftlichen Diszipl<strong>in</strong>en.<br />

Konferenz Evangelische <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Hamburg, den 12 September 2007<br />

„Hamburger Thesen“<br />

(Langfassung, 12.09.2007) 354<br />

354 http://www.nfs-bw.de/fileadm<strong>in</strong>/materialien/HamburgerThesen_Langfassung_12092007.pdf<br />

[aufgerufen am 21.11.2007].<br />

119


12.3 Der Interviewleitfaden<br />

Leitthema 1: Werdegang und Aufgaben der Person<br />

• Was s<strong>in</strong>d Sie von Beruf?<br />

• Seit wann arbeiten Sie <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>?<br />

• Wie s<strong>in</strong>d Sie zur <strong>Notfallseelsorge</strong> gekommen?<br />

• Wie sah ihre Ausbildung zur <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>/ zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r aus?<br />

• Was gehört alles zu Ihren (koord<strong>in</strong>ierenden) Aufgaben?<br />

• Was unterscheidet Ihre Aufgaben zu denen der <strong>Notfallseelsorge</strong>r vor Ort?<br />

• Was ist das Schönste an Ihrer Arbeit?<br />

• Was macht Ihnen gar ke<strong>in</strong>en Spaß?<br />

Leitthema 2: Struktur und Grundlagen der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

• Seit wann gibt es die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit allgeme<strong>in</strong> und <strong>in</strong>sbesondere hier?<br />

• Wie viele <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r gibt es <strong>in</strong> Ihrer Region/<br />

Ihrem Bezirk/ Ihrem Arbeitsbereich?<br />

• Wie ist die <strong>Notfallseelsorge</strong> strukturell organisiert und vernetzt/ Wer ist der Träger?<br />

• Wie kommen die e<strong>in</strong>zelnen <strong>Notfallseelsorge</strong>r zu ihrem E<strong>in</strong>satz?<br />

• Wie wird die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit f<strong>in</strong>anziert?<br />

• Gibt es e<strong>in</strong>en Punkt, der sich Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

dr<strong>in</strong>gend ändern sollte?<br />

• Wie wird die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit evaluiert?<br />

• Gibt es auch ehrenamtliche <strong>Notfallseelsorge</strong>r?<br />

Leitthema 3: Die <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong> / Der <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

• Wie wird man <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>/ <strong>Notfallseelsorge</strong>r?<br />

• Wie sieht die Ausbildung bzw. Fortbildung zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r aus? (Standards)<br />

• Welche Eignung/ Kompetenzen braucht e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r?<br />

• Wie werden <strong>Notfallseelsorge</strong>r vor eigener Betroffenheit oder Überforderung<br />

geschützt?<br />

Leitthema 4: Erwartungen und Wünsche der Betroffenen<br />

• Welche Erwartungen und Wünsche haben Betroffene (Opfer, Angehörige,<br />

Rettungskräfte) an die <strong>Notfallseelsorge</strong>?<br />

Leitthema 5: Aufgaben und Angebote der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

• Welche Aufgaben hat e<strong>in</strong>e <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>/ e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r?<br />

• Welche Angebote bieten <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r darüber<br />

h<strong>in</strong>aus?<br />

• Gibt es auch Angebote, die Sie gerne hätten, aber nicht leisten können?<br />

Leitthema 6: <strong>Notfallseelsorge</strong> – e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche?<br />

• Wie sieht das kirchliche Selbstverständnis zur <strong>Notfallseelsorge</strong> aus?<br />

• Welche Chancen und Vorteile hat die <strong>Notfallseelsorge</strong> als e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche?<br />

• Gibt es auch Grenzen, wo <strong>Notfallseelsorge</strong> als kirchliche Aufgabe nicht mehr<br />

weiterkommt?<br />

• Wie grenzt sich die NFS zum Notfallnachsorgedienst und zur Krisen<strong>in</strong>tervention ab?<br />

120


12.4 Interview mit Hanjo von Wietersheim<br />

Interview mit Hanjo von Wietersheim,<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r aus dem Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen,<br />

am 03.11.2009 <strong>in</strong> Wiesenbronn,<br />

im Rahmen der Master-Thesis „Der Beitrag der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

zur Unterstützung von Menschen <strong>in</strong> Krisensituationen“<br />

durch die Student<strong>in</strong> Nadescha Arnold<br />

A = Nadescha Arnold<br />

W = Hanjo von Wietersheim<br />

1. W: Ja, also von Beruf b<strong>in</strong> ich, ja, Polizeibeamter, Rettungsassistent und Pfarrer.<br />

2. A: Ah ja. Vieles auf e<strong>in</strong>mal. Genau, und seit…<br />

3. W: Also auch <strong>in</strong> dieser Reihenfolge. Nicht, ich war also früher Polizist <strong>in</strong> Hamburg<br />

und habe damals me<strong>in</strong>en Rettungssanitäter gemacht, mittlerweile eben anerkannt<br />

als Rettungsassistent, weil ich da auch noch gearbeitet habe <strong>in</strong> dem Bereich und<br />

ja, aber dann b<strong>in</strong> ich halt doch Pfarrer geworden.<br />

4. A: OK.<br />

5. W: OK. Seit wann arbeite ich <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>? Ja, seit es die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> gibt. Also ungefähr seit 19 Jahren.<br />

6. A: Ah, OK. Sehr lange.<br />

7. W: Genau, weil wir haben die hier entwickelt, <strong>in</strong> Bayern so.<br />

8. A: Und wie s<strong>in</strong>d sie dann genau zur <strong>Notfallseelsorge</strong> gekommen?<br />

9. W: Ja, OK, da b<strong>in</strong> ich halt gekommen durch me<strong>in</strong>e Mitgliedschaft <strong>in</strong><br />

Rettungsorganisationen und dann eben auch als Pfarrer. Weil ich halt gemerkt<br />

habe, wir haben immer wieder E<strong>in</strong>sätze, bei Feuerwehr und Rettungsdienst, wo<br />

wir halt dann doch e<strong>in</strong>en Seelsorger gebraucht haben. Wo ich dann halt auch<br />

tätig wurde <strong>in</strong> der Regel, aber da habe ich gemerkt, wir müssen hier e<strong>in</strong> System<br />

aufbauen und so habe ich dann die <strong>Notfallseelsorge</strong> begonnen.<br />

10. A: OK, und wie sah dann damals vor 19 Jahren ihre Ausbildung aus?<br />

11. W: Gab es ke<strong>in</strong>e Ausbildung. Die haben wir ja alles erst entwickelt. Das heißt,<br />

me<strong>in</strong>e Grundlage war eben me<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>in</strong> den Rettungsorganisationen,<br />

also dann auch freiwillig <strong>in</strong> der Feuerwehr, Rettungsassistent, Polizist und me<strong>in</strong>e<br />

Seelsorgeausbildung, die ich allerd<strong>in</strong>gs natürlich schon speziell, ja, auf diese<br />

121


Erfahrung <strong>in</strong> den anderen Berufen aufgebaut habe. Also, da habe ich mir schon<br />

<strong>in</strong> der Uni auch das, wie läuft denn das Trauernde begleiten und solche<br />

Geschichten.<br />

Also zu Anfang gab es gar ke<strong>in</strong>e Ausbildung und die haben wir dann nach und<br />

nach, habe ich zusammen mit anderen dann entwickelt.<br />

12. A: Jetzt habe ich gesehen, so im Internet, sie haben ja sehr viele übergeordnete<br />

Aufgaben. Vielleicht können sie e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> paar ihrer koord<strong>in</strong>ierenden<br />

Aufgaben beschreiben.<br />

13. W: Fangen wir e<strong>in</strong>fach so die kle<strong>in</strong>eren, von der untersten Ebene an. Ich b<strong>in</strong><br />

Sprecher und Leiter des PSNV-Systems hier im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen. Das heißt,<br />

ich koord<strong>in</strong>iere den E<strong>in</strong>satz der PSNV-Kräfte und eben auch der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r hier im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen,<br />

sowohl im Normalfall, als auch im E<strong>in</strong>satz. Was uns hier sehr wichtig ist, dass<br />

wir, wenn es nötig ist, auch mit mehreren Leuten im E<strong>in</strong>satz s<strong>in</strong>d und dann die<br />

Aufgaben auch vernünftig koord<strong>in</strong>iert werden. Dann b<strong>in</strong> ich tätig im<br />

Landesarbeitskreis PSNV und natürlich <strong>in</strong> den Kirchenleitenden Gremien, die<br />

sich mit der <strong>Notfallseelsorge</strong> beschäftigen. Also zum e<strong>in</strong>en mit dem Beirat<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, das ist das leitende Gremium der Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche <strong>in</strong> Bayern. Und <strong>in</strong> der Konferenz Evangelische <strong>Notfallseelsorge</strong>. Das<br />

s<strong>in</strong>d, also das ist die Konferenz der landeskirchlichen Beauftragten für<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der EKD. Also von daher, ja. Von unten bis oben <strong>in</strong> allem<br />

dr<strong>in</strong>. Wenn es jetzt mehr auf den E<strong>in</strong>satz gehen soll, da also zum e<strong>in</strong>en wie<br />

gesagt, bei E<strong>in</strong>sätzen hier im Landkreis. Aber eben auch bei größeren E<strong>in</strong>sätzen.<br />

Da gibt es praktisch e<strong>in</strong> Netzwerk von Leuten, die da koord<strong>in</strong>ierend tätig werden,<br />

hier auf Landesebene. Zum Beispiel bei dem Amoklauf jetzt <strong>in</strong> Ansbach habe<br />

ich die Nachalarmierung weiterer Kräfte koord<strong>in</strong>iert. Hier von zuhause aus. Also<br />

ich war gar nicht <strong>in</strong> Ansbach. Und auch dann <strong>in</strong> den nächsten Tagen die<br />

Verpflegung und Versorgung unserer E<strong>in</strong>satzkräfte.<br />

14. A: Gibt es denn dort auch Unterschiede ihrer Aufgaben zu denen der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r vor Ort? Oder s<strong>in</strong>d sie da Teil e<strong>in</strong>es Teams wie jeder andere<br />

auch?<br />

15. W: Na ja, zum e<strong>in</strong>en b<strong>in</strong> ich <strong>Notfallseelsorge</strong>r vor Ort, zum anderen ist es e<strong>in</strong>e<br />

komplett andere Arbeit. Also, Nachalarmierung zu koord<strong>in</strong>ieren oder dann eben<br />

größere E<strong>in</strong>sätze zu koord<strong>in</strong>ieren, ist e<strong>in</strong>e vollkommen andere Arbeit als die<br />

eigentliche Seelsorgearbeit. Aber, gut, es ist natürlich absolut wichtig, dass man<br />

die Seelsorgearbeit vor Ort kennt, um die Belastung der Leute e<strong>in</strong>schätzen zu<br />

können und um e<strong>in</strong>fach auch e<strong>in</strong>en Blick dafür haben, was jetzt eigentlich nötig<br />

ist und was man da als Koord<strong>in</strong>ator machen kann und soll. Von daher also, die<br />

koord<strong>in</strong>ierende Arbeit und die Seelsorgearbeit des e<strong>in</strong>zelnen Seelsorgers s<strong>in</strong>d<br />

vollkommen unterschiedliche Aufgabengebiete, die letztendlich auch<br />

unterschiedliche Ausbildungen brauchen.<br />

16. A: Das heißt, sie haben dafür e<strong>in</strong>e zusätzliche Ausbildung gemacht, um diese<br />

Leitung und Koord<strong>in</strong>ierung zu übernehmen.<br />

122


17. W: Die haben wir entwickelt, ja. Gut, wobei es natürlich ganz eng auch natürlich an<br />

der Ausbildung der Rettungsorganisationen mit dran ist. Also, sehr vieles was<br />

unsere Teamleiter oder später der Leiter PSNV wissen muss, ist natürlich schon<br />

<strong>in</strong> Lehrgängen von Gruppenführern und Zugführern beim Roten Kreuz oder bei<br />

der Feuerwehr mit dr<strong>in</strong>. Also da nehmen wir uns natürlich ganz viel von denen<br />

doch mit und ganz viel natürlich auch <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit den<br />

Rettungsorganisationen.<br />

18. A: Das heißt, diese Ausbildung ist dann <strong>in</strong> Anlehnung an die von Feuerwehr und<br />

Rettungsdienst oder wurde das geme<strong>in</strong>sam entwickelt?<br />

19. W: Das wurde geme<strong>in</strong>sam entwickelt, ja.<br />

20. A: Jetzt übergeordnet, e<strong>in</strong>fach mal <strong>in</strong>s Blaue h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, was ist das Schönste an ihrer<br />

Arbeit?<br />

21. W: Das Schönste an der Arbeit ist natürlich, wenn es funktioniert. Wenn wir<br />

E<strong>in</strong>sätze haben, und wir können h<strong>in</strong>terher sagen, jawohl, die Gedanken die wir<br />

uns vorher gemacht haben, die haben gestimmt, das hat geklappt. Wenn man<br />

sagen kann, von unserer Seite her ist es wirklich gut gelaufen. Wobei gut<br />

gelaufen natürlich immer heißt, das den betroffenen Personen bestmöglich<br />

geholfen wurde. Und wenn das der Fall ist, ja, das macht Spaß, das ist sehr<br />

befriedigend. Also zum Beispiel jetzt beim Amoklauf <strong>in</strong> Ansbach, dass es<br />

praktisch ke<strong>in</strong>e Orig<strong>in</strong>alton-Interviews mit Betroffenen gab. Das ist Teil unserer<br />

Arbeit, die da entsprechend abzuschirmen. Und wenn man sieht, jawohl, das hat<br />

geklappt, das ist gut gelaufen, da konnten wir auf der e<strong>in</strong>en Seite der Presse<br />

genügend Informationen geben, auf der anderen Seite konnten wir die<br />

Betroffenen schützen. Das ist dann e<strong>in</strong>e tolle Geschichte.<br />

22. A: Gibt es auf der anderen Seite auch was, was ihnen gar ke<strong>in</strong>en Spaß macht?<br />

23. W: Auf der e<strong>in</strong>en Seite ist natürlich viel, viel Kle<strong>in</strong>arbeit immer. Das ist also e<strong>in</strong>e<br />

sehr kont<strong>in</strong>uierliche Arbeit, das ist manchmal mühsam. Gar ke<strong>in</strong> Spaß macht es,<br />

wenn die Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen anfangen rumzumeckern und me<strong>in</strong>er<br />

Me<strong>in</strong>ung nach unberechtigte Kritik – sei es an mir oder an anderen – da äußern.<br />

Das ist also auch wieder sehr mühsam, da so e<strong>in</strong>e Personalarbeit zu machen, wo<br />

man eigentlich denkt, das müssten sie doch eigentlich wissen und das müssten<br />

sie können. Also das macht ke<strong>in</strong>en Spaß. Aber ansonsten, hält es sich gut die<br />

Waage, eigentlich.<br />

24. A: Gut. Kommen wir zum Leitthema 2. Seit wann gibt es die <strong>Notfallseelsorge</strong> denn<br />

allgeme<strong>in</strong> und <strong>in</strong>sbesondere hier im Landkreis?<br />

25. W: Ja, also allgeme<strong>in</strong> gibt es sie halt seit 19 Jahren. Und hier im Landkreis seit<br />

ungefähr 13 Jahren.<br />

26. A: OK. Wenn ich zum Allgeme<strong>in</strong>en zurückgehe, gab es da irgende<strong>in</strong>en Anstoßpunkt,<br />

auf dessen Grund, die <strong>Notfallseelsorge</strong> angestoßen wurde?<br />

123


27. W: Na ja, allgeme<strong>in</strong>, das waren halt me<strong>in</strong>e Erfahrungen und die Erfahrungen auch<br />

anderer Seelsorger. Insbesondere auch Eckart Mattke damals. Ich war damals<br />

halt ehrenamtlich <strong>in</strong> der Feuerwehr und er war ehrenamtlich im Roten Kreuz<br />

und wir machten ähnliche Erfahrungen. Und dann haben wir uns<br />

zusammengetan und haben halt <strong>Notfallseelsorge</strong> entwickelt.<br />

Hier f<strong>in</strong>g es halt an, dadurch dass ich eben hier die Pfarrstelle <strong>in</strong> Wiesenbronn<br />

bekommen habe und dann natürlich angefangen habe <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

aufzubauen.<br />

28. A: Dann die Frage, wie viele <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r gibt es<br />

denn hier <strong>in</strong> der Region? Oder <strong>in</strong> ihrem Arbeitsbereich, den sie jetzt so<br />

koord<strong>in</strong>ieren.<br />

29. W: Also hier im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen ist e<strong>in</strong> katholisches und zwei evangelische<br />

Dekanate. Wir haben zusammen ungefähr zwölf <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r, zwölf, dreizehn, und dazu dann noch mal ungefähr zehn<br />

PSNV-Fachkräfte aus den Rettungsorganisationen. Wir arbeiten eben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft ganz eng zusammen.<br />

30. A: S<strong>in</strong>d denn die <strong>Notfallseelsorge</strong>r, die jetzt hier <strong>in</strong> der Region s<strong>in</strong>d, alles Pfarrer?<br />

31. W: Die <strong>Notfallseelsorge</strong>r s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel Pfarrer. Es gibt ganz wenige<br />

Pastoralreferenten oder Diakone. Aber die meisten s<strong>in</strong>d Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer.<br />

32. A: Das heißt alle hier aus der Region s<strong>in</strong>d dann auch <strong>Notfallseelsorge</strong>r oder ist das<br />

auf freiwilliger Basis, wer…<br />

33. W: …das ist auf freiwilliger Basis. Es arbeiten nicht alle mit. Sondern, e<strong>in</strong>ige<br />

können natürlich körperlich nicht, für andere ist es e<strong>in</strong>fach nicht ihre Arbeit.<br />

Ne<strong>in</strong>, das geht auf freiwilliger Basis.<br />

34. A: Und wer ist der Träger hier von der <strong>Notfallseelsorge</strong>?<br />

35. W: Die <strong>Notfallseelsorge</strong> wird von den Kirchen getragen. Also Evangelisch-<br />

Lutherische Kirche und Katholische Kirche, speziell hier also Diözese<br />

Würzburg. Die f<strong>in</strong>anzieren und tragen die <strong>Notfallseelsorge</strong>. Aber eben im<br />

Landkreis hier <strong>in</strong> ganz enger Zusammenarbeit halt <strong>in</strong> dieser Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

PSNV.<br />

36. A: Das heißt strukturell organisiert läuft das auch alles über die Kirche?<br />

37. W: Genau.<br />

38. A: Wie sieht denn die Vernetzung aus mit jetzt Feuerwehr und Rettungsdiensten?<br />

Gibt es da zum Beispiel geme<strong>in</strong>same Treffen?<br />

39. W: Dadurch dass wir die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft PSNV haben, s<strong>in</strong>d wir also sehr eng<br />

vernetzt. Aufgebaut hat sich hier im Landkreis die <strong>Notfallseelsorge</strong> eben aus der<br />

Feuerwehrseelsorge. Das heißt, wir haben, da s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>s, zwei, wir haben vier<br />

Seelsorger<strong>in</strong>nen, die also, Seelsorger und Seelsorger<strong>in</strong>nen, die zugleich<br />

124


Feuerwehrseelsorger s<strong>in</strong>d. Das heißt, wir benutzen also auch für unsere E<strong>in</strong>sätze<br />

Fahrzeuge der Feuerwehr. Haben natürlich aber auch e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Doppel-Ausbildung. Von daher ist es sehr eng mit dem Roten Kreuz, was eben<br />

hier der alle<strong>in</strong>ige Träger des Rettungsdienstes ist, s<strong>in</strong>d wir auch personell sehr<br />

eng verquickt, weil die eben ihre eigenen PSNV-Kräfte ausgebildet haben. Und<br />

wir halt ganz eng mit denen zusammen arbeiten <strong>in</strong> der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

PSNV.<br />

40. A: Wie kommen denn die e<strong>in</strong>zelnen <strong>Notfallseelsorge</strong>r dann zu ihrem E<strong>in</strong>satz? Wie<br />

geschieht die Alarmierung?<br />

41. W: Gut. Also die Alarmierung geschieht über Funkmeldeempfänger und über<br />

Handys. Wir haben e<strong>in</strong>en eigenen Umsetzer. Das heißt, wenn<br />

Funkmeldeempfänger ausgelöst werden, haben wir zwei verschiedene Schleifen.<br />

E<strong>in</strong>e große Schleife, e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Schleife. Wenn die große Schleife ausgelöst<br />

wird, dann kriegen sämtliche die Meldung und melden sich dann, wenn sie<br />

e<strong>in</strong>satzbereit s<strong>in</strong>d. Wenn nur die kle<strong>in</strong>e Schleife ist, bekommt nur die<br />

Leitungsgruppe praktisch die Meldung und wir koord<strong>in</strong>ieren dann. Dann wird<br />

auch <strong>in</strong> der Regel nur e<strong>in</strong>er oder e<strong>in</strong>e vor Ort gebraucht. Und wir schauen dann,<br />

wer ist am Nächsten dran. Oder wirklich, können wir die Ortsseelsorge erreichen,<br />

die dann den E<strong>in</strong>satz übernehmen.<br />

So re<strong>in</strong> technisch, also wie gesagt, wir haben zum e<strong>in</strong>en Fahrzeuge der<br />

Feuerwehr, zum anderen natürlich dann mit Privat-Fahrzeugen, wenn die nicht<br />

da s<strong>in</strong>d.<br />

42. A: Jetzt bei kle<strong>in</strong>eren E<strong>in</strong>sätzen, sage ich jetzt mal, geht da e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

h<strong>in</strong> oder ist das auch dann wieder bestehend aus e<strong>in</strong>em Team? Zum Beispiel,<br />

dass dann e<strong>in</strong> Seelsorger von der Feuerwehr noch mitkommt oder so.<br />

43. W: Ne<strong>in</strong>, bei kle<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>sätzen, also kle<strong>in</strong>e häusliche E<strong>in</strong>sätze, denke ich mal,<br />

Überbr<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er Todesnachricht, dann sehen wir zu, dass wirklich nur e<strong>in</strong>er<br />

h<strong>in</strong>geht. Aber immer mit der Möglichkeit nachzualarmieren, wenn er merkt es<br />

wird mehr oder es s<strong>in</strong>d mehr Leute oder man braucht mehrere Leute, weil die<br />

e<strong>in</strong>fach unterschiedliche Bedürfnisse haben. Dann hat er die Möglichkeit<br />

jederzeit nachzualarmieren.<br />

44. A: Jetzt haben sie ja vorh<strong>in</strong> schon angesprochen, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

hier von der Kirche f<strong>in</strong>anziert wird. Wird das komplett von der Kirche getragen<br />

oder gibt es auch irgende<strong>in</strong>e Spendenbasis?<br />

45. W: Komplett von der Kirche getragen. Aber natürlich mit entsprechenden Spenden.<br />

Also das gibt es immer wieder mal, das, aber der Hauptteil kommt über die<br />

Kirche.<br />

46. A: Jetzt haben sie ja 19 Jahre Erfahrung <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit, haben sie<br />

denn vielleicht e<strong>in</strong>en Punkt oder gibt es e<strong>in</strong>en Punkt, der sich ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />

nach dr<strong>in</strong>gend ändern müsste oder verbessern müsste?<br />

47. W: Wir brauchen mehr Geld und mehr Leute. Das ist, ja, die Arbeit wird eben auf<br />

Seiten der Rettungsorganisationen sowieso komplett ehrenamtlich geleistet, auf<br />

125


Seiten der Kirchen eben zusätzlich zum normalen Dienst und das ist natürlich<br />

immer e<strong>in</strong>e zusätzliche Entlastung, ne<strong>in</strong>, zusätzliche Belastung, ja, wo ich eben<br />

denke, dass es schon notwendig wäre, das stückweit mehr zu, zu honorieren,<br />

auch zu gucken, wie könnte man denn die <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r entlasten. Wobei es natürlich sehr schwierig ist. Es gibt ja<br />

lange Zeiten wo gar nichts ist, wo re<strong>in</strong>er Bereitschaftsdienst ist. Und dann gibt<br />

es wieder Wochen, wo es wirklich e<strong>in</strong>es nach dem anderen kommt. Das ist<br />

immer das Problem, denke ich, mit diesen Bereitschaftsdiensten, wie kann man<br />

die vernünftig. Bei der katholischen Kirche s<strong>in</strong>d sie im Augenblick <strong>in</strong> Bayern<br />

sehr stark dran, weil sie da ihre Ordnung neu schreiben. Und da s<strong>in</strong>d also die<br />

Gewerkschaften drauf gekommen, bzw. ihre Mitarbeitervertretung, dass<br />

eigentlich Bereitschaftsdienst auch f<strong>in</strong>anziell ausgeglichen werden müsste.<br />

Ähnlich wie <strong>in</strong> Krankenhäusern und so. Und die Diözese Würzburg und Freis<strong>in</strong>g,<br />

die werden es also so machen, dass also für die Nichtkleriker, also für die, die<br />

nicht Pfarrer, eben katholisch nicht Pfarrer s<strong>in</strong>d, wird es also <strong>in</strong> München<br />

künftig e<strong>in</strong>e gewisse Vergütung für den Bereitschaftsdienst geben. Die anderen<br />

Diözesen können sich das noch nicht vorstellen. Wobei man eben sagen muss,<br />

dass München und Freis<strong>in</strong>g natürlich, auf der e<strong>in</strong>en Seite relativ reich ist, auf der<br />

anderen Seite e<strong>in</strong>e relativ kle<strong>in</strong>e eigene <strong>Notfallseelsorge</strong> hat, zwar da das meiste<br />

von e<strong>in</strong>em Krisen<strong>in</strong>terventionsteam gemacht wird. Das ist noch nicht ganz klar,<br />

wie die anderen das machen sollen. Andere Diözesen wie also hier <strong>in</strong> Würzburg<br />

haben es eben für Nichtkleriker als e<strong>in</strong>en re<strong>in</strong> ehrenamtlichen Dienst, der aber<br />

erwartet wird. Von daher wird es da ke<strong>in</strong>e Vergütung geben, aber das ist<br />

natürlich immer bisschen e<strong>in</strong>e Problematik. Es gibt Leute die leben mit Piepser,<br />

so wie ich, die s<strong>in</strong>d es gewohnt und das war schon immer so. Und wenn man <strong>in</strong><br />

der Feuerwehr ist, kennt man das gar nicht anders. Für andere Pfarrer<strong>in</strong>nen und<br />

Pfarrer ist das e<strong>in</strong>e wirkliche Belastung. Also, wenn sie also e<strong>in</strong>en Piepser oder<br />

e<strong>in</strong> Handy haben und jederzeit erreichbar se<strong>in</strong> sollen, da muss man wirklich<br />

gucken, wie man das vernünftig regeln kann. Aber da habe ich auch ke<strong>in</strong>e, ke<strong>in</strong>e<br />

echte, ja, Vorstellung, wie man das mal machen könnte, weil, gut hier im<br />

Landkreis haben wir 60 E<strong>in</strong>sätze im Jahr. Und wenn man das dann alles<br />

f<strong>in</strong>anziell noch regeln sollte, weiß ich nicht wie es eigentlich gehen könnte.<br />

Müsste man wahrsche<strong>in</strong>lich mit irgendwelchen anderen Aufgaben mehr<br />

verb<strong>in</strong>den.<br />

48. A: Wie viele Wochen Bereitschaft hat dann jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Jahr?<br />

49. W: Hier im Landkreis alle immer.<br />

50. A: Alle immer?<br />

51. W: Ja.<br />

52. A: OK!<br />

53. W: Ja es ist, gibt so die unterschiedlichen Systeme. Es gibt ja die Systeme, wo man<br />

Bereitschaftsdienst hat e<strong>in</strong>e Woche und dann wieder lange Zeit nichts. Und es<br />

gibt eben so e<strong>in</strong> System hier, wie hier, was eben aus der Feuerwehr kommt, aus<br />

der Feuerwehrseelsorge, wo wir sagen, alle haben immer Bereitschaft. Und wer,<br />

wenn der Alarm kommt und diejenigen e<strong>in</strong>satzbereit s<strong>in</strong>d, melden sich, die die<br />

126


nicht e<strong>in</strong>satzbereit s<strong>in</strong>d melden sich nicht. Unser System hier hat den Vorteil,<br />

dass wir unsere Leute viel mehr E<strong>in</strong>satzerfahrung haben. Die kommen e<strong>in</strong>fach<br />

häufiger zu E<strong>in</strong>sätzen. Wir haben den Vorteil, dass wir <strong>in</strong> der Regel mit<br />

mehreren Leuten am E<strong>in</strong>satzort s<strong>in</strong>d. Das heißt, wir können unsere eigene<br />

Belastung da deutlich reduzieren, weil wir besser verteilen können. Aber<br />

natürlich ist die psychische Belastung unserer Leute hier im Landkreis auch<br />

deutlich höher als <strong>in</strong> anderen, wo sie halt nur ab und zu mal Bereitschaftsdienst<br />

haben. Da müssen wir natürlich dann mehr mit Supervision und so arbeiten. Das<br />

ist also bei uns hier fest e<strong>in</strong>geführt und feste Regel, dass also die gesamte<br />

Gruppe so circa alle zwei Monate Supervision hat.<br />

54. A: Ja, wenn jetzt jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r hier im Landkreis quasi dauerhaft<br />

Bereitschaft hat, welche Bemühungen gibt es denn, neue <strong>Notfallseelsorge</strong>r h<strong>in</strong>zu<br />

zu gew<strong>in</strong>nen? Oder wie ist da der Weg, dass man Neue gew<strong>in</strong>nt.<br />

55. W: Gut, wir sprechen Leute an und Leute sprechen uns an. Das ist e<strong>in</strong>fach so. Wir<br />

gucken wer könnte zu uns passen, wen halten wir für vernünftig und für<br />

belastbar, die sprechen wir direkt an. Auf der anderen Seite gibt es immer<br />

wieder auch, dass Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger, die hierher kommen<br />

eventuell, oder auch so me<strong>in</strong>en, Mensch, das ist doch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Arbeit,<br />

wie macht ihr das eigentlich und dann kommen die her.<br />

Ausbildung läuft bei uns so, dass es ungefähr e<strong>in</strong>e zweijährige Vorbereitungszeit<br />

gibt, wo die Leute zur so genannten Unterstützungsgruppe dann gehören. Das<br />

heißt, sie kommen mit zu den E<strong>in</strong>sätzen, dürfen aber nicht selbständig arbeiten,<br />

sondern es muss immer e<strong>in</strong> Erfahrener mit ihnen zusammen se<strong>in</strong>. Und nebenher<br />

machen sie halt die typischen Fortbildungskurse. Also <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>s und<br />

zwei nach dem EKD-Curriculum oder eben die PSNV-Ausbildung zum Beispiel<br />

beim Bayrischen Roten Kreuz, die wir hier also als durchaus gleichwertig sehen.<br />

56. A: Wie viele <strong>Notfallseelsorge</strong>r kommen denn im Jahr dazu?<br />

57. W: Wir haben e<strong>in</strong>e sehr ger<strong>in</strong>ge Fluktuation. Also sage ich mal pro Jahr e<strong>in</strong> oder<br />

zwei oder so. Weil wir eben e<strong>in</strong>e ziemlich kle<strong>in</strong>e Gruppe s<strong>in</strong>d. Ja, so <strong>in</strong> der Art.<br />

58. A: Wie wird hier die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit evaluiert?<br />

59. W: Zum e<strong>in</strong>en wird über jeden E<strong>in</strong>satz Bericht geschrieben. Der Verantwortliche für<br />

den E<strong>in</strong>satz schreibt den Bericht, die ich natürlich durchschaue als Leitender und<br />

auch sammle. Und über die regelmäßige Supervision, wo also die E<strong>in</strong>sätze dann<br />

noch mal durchgesprochen werden und geschaut wird, was ist gut gelaufen, was<br />

hatte ich für e<strong>in</strong> Gefühl dabei, was könnte vielleicht das nächste Mal besser<br />

laufen.<br />

60. A: Ja, kommen wir zum Leitthema 3. Die erste Frage wurde ja schon beantwortet.<br />

Die zweite, da würde ich gerne noch wissen, gibt es denn vorgeschriebene<br />

Fortbildungen, die im Laufe e<strong>in</strong>es <strong>Notfallseelsorge</strong>rlebens <strong>in</strong><br />

Anführungsstrichen, noch absolviert werden sollen, dürfen, können?<br />

61. W: Also, wie gesagt, es gibt den <strong>Notfallseelsorge</strong>kurs e<strong>in</strong>s und zwei oder dieses<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>grundkurs und <strong>Notfallseelsorge</strong>aufbaukurs. Die haben wir eben<br />

127


zum e<strong>in</strong>en auf EKD-Ebene festgeschrieben als Vorschläge. Die haben wir hier<br />

<strong>in</strong> Bayern so übernommen. Und dann gibt es e<strong>in</strong>e ganze Reihe von speziellen<br />

Fortbildungskursen. Also, wir haben spezielle Kurse zum Beispiel für<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der Schule. Wir haben spezielle Fortbildungen für<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> Großschadenslagen. Und so weiter. Das heißt, dieser<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>grundkurs und –aufbaukurs, das ist also die<br />

Grundvoraussetzung, um überhaupt eigenständig als <strong>Notfallseelsorge</strong>r tätig se<strong>in</strong><br />

zu können. Und dann gibt es also e<strong>in</strong>e ganze Masse an Fortbildungen noch, die<br />

man sich eben je nachdem holen kann, wie es sich halt gerade so gibt. Dauer ist<br />

also dieser Grundkurs und Aufbaukurs jeweils ungefähr e<strong>in</strong>e Woche. Das heißt<br />

also e<strong>in</strong>e zweiwöchige Grundausbildung letztendlich und dann e<strong>in</strong>ige<br />

Fortbildungen. Und dann natürlich soll es se<strong>in</strong>, dass jedes System regelmäßig<br />

selber Fortbildungen gestaltet. Das tun wir hier eben auch, dass wir also uns<br />

bestimmte Themen vornehmen, da eventuell auch dann uns Referenten dazu<br />

holen oder so.<br />

62. A: Die auch für jeden <strong>Notfallseelsorge</strong>r Pflicht s<strong>in</strong>d, zu besuchen?<br />

63. W: Ja, ja.<br />

64. A: Ja, generell, welche Eignungen oder welche Kompetenzen braucht denn e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r, um die Arbeit zu machen?<br />

65. W: Die für mich wichtigste Kompetenz ist, dass er se<strong>in</strong>e eigenen Grenzen kennt.<br />

Wenn jemand se<strong>in</strong>e eigenen Grenzen kennt, kann eigentlich nichts falsch laufen.<br />

Weil dann kommt er entweder gar nicht h<strong>in</strong>, weil er sagt, das ist mir alles viel zu<br />

viel und stört nicht. Oder wenn er im E<strong>in</strong>satz ist und merkt, oh Mensch, das wird<br />

mir hier zuviel oder das überschreitet jetzt me<strong>in</strong>e Kompetenzen, me<strong>in</strong>etwegen<br />

das geht jetzt mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en psychiatrischen Bereich re<strong>in</strong> oder so, wenn ich da<br />

me<strong>in</strong>e Grenzen weiß, dann weiß ich, wann ich mir Unterstützung holen muss.<br />

Und solange das der Fall ist, läuft es eigentlich sehr gut.<br />

Schwierig wird es, wenn Leute <strong>in</strong> Bereichen arbeiten, wo sie nicht sicher s<strong>in</strong>d,<br />

wo sie ihre eigenen Grenzen nicht kennen oder aus irgendwelchen anderen<br />

Gründen überschreiten müssen. Dann wird es <strong>in</strong> der Regel problematisch und<br />

dann fragt man sich, läuft es wirklich noch gut. Da kann man zum e<strong>in</strong>en<br />

natürlich mit Strukturen gegen arbeiten. In vielen Systemen ist es zum Beispiel<br />

so, dass sie ke<strong>in</strong>e vernünftige Nachalarmierungsmöglichkeit haben. Und das<br />

heißt, die Leute wissen, sie sehen es im E<strong>in</strong>satz, ich bräuchte jetzt eigentlich<br />

mehr. Da s<strong>in</strong>d die Toten für die ich beten soll, da s<strong>in</strong>d die H<strong>in</strong>terbliebenen, die<br />

ich trösten soll, da ist vielleicht, was weiß ich, der schuldige Fahrer oder so, um<br />

den ich mich eigentlich auch kümmern sollte. Das heißt er bräuchte m<strong>in</strong>destens<br />

drei Seelsorger. Und wenn er dann ke<strong>in</strong>e Möglichkeit hat zur Nachalarmierung,<br />

dann überschreitet er schon se<strong>in</strong>e Grenze. Und das ist natürlich ganz schlecht.<br />

Das heißt also, hier kann man mit strukturellen Mitteln helfen <strong>in</strong> solchen Sachen,<br />

dass er also die richtigen Fachleute holen kann.<br />

Zum anderen aber ist es wirklich auch immer e<strong>in</strong>e ganz persönliche Sache.<br />

Merke ich, wann ich an me<strong>in</strong>e eigenen Grenzen stoße? Also, wenn das<br />

gewährleistet ist, dann kann man Leute eigentlich alle<strong>in</strong>e laufen lassen. Und das<br />

läuft sehr gut.<br />

128


Ansonsten ist es natürlich so, dass sie <strong>in</strong>tensive Seelsorgeaus- und fortbildungen<br />

haben sollen, dass sie <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> sollen auch mit dem eigenen Stress<br />

vernünftig umzugehen. Auch da wieder Grenzen erkennen, wann wird es mir<br />

zuviel? Und dann natürlich die unterschiedlichsten Fachkenntnisse. Zum<br />

Beispiel, wenn ich nur im <strong>in</strong>nerhäuslichen Bereich tätig werde, wir haben e<strong>in</strong>e<br />

Gruppe von Seelsorgern, die werden nur im <strong>in</strong>nerhäuslichen Bereich tätig, da<br />

fühlen sie sich halt sicher, weil sie da sehr viel Berufserfahrung haben. Wenn ich<br />

Leute im außerhäuslichen Bereich tätig werden lasse, müssen die natürlich<br />

wieder ganz viele Kenntnisse haben davon, wie sicher ich mich selber, wie<br />

erkenne ich die Leitungskräfte der anderen Organisationen und so weiter. Das ist<br />

wirklich zusätzliche Arbeit, zusätzliche Kenntnisse, was sie gelernt haben<br />

müssen. Oder zum Beispiel auch Schule, noch mal ganz anderes Gebiet. Da<br />

muss ich erstmal wissen, wie e<strong>in</strong>e Schule funktioniert. Und was für Gefühle<br />

vielleicht e<strong>in</strong> Rektor hat, wenn da plötzlich lauter Gelbjacken bei ihm<br />

auftauchen und er das Gefühl hat, jetzt kommt die zweite Invasion. Ja, und da<br />

muss man natürlich gucken, wie, und das muss man lernen.<br />

Ja, das heißt also eigene Kompetenzen ganz wichtig, die eigenen Grenzen, dann<br />

aber wirklich solide Seelsorgearbeit und Feldkenntnisse, Fachkenntnisse für<br />

unterschiedliche E<strong>in</strong>sätze.<br />

66. A: Gibt es denn auch immer wieder Personen, die dann <strong>in</strong> der Ausbildung merken<br />

ok, das ist doch nichts für mich? Oder wo angesprochen werden?<br />

67. W: Ja, ja. Das ist also, manchmal ist es sehr schwierig, weil sich viele Kirchenleute<br />

schwer tun mit solcher Evaluation von Personen, oder auch damit, ihnen zu<br />

sagen, ne<strong>in</strong> also ich denke, das ist jetzt nichts für dich. Und das ist auch nicht<br />

e<strong>in</strong>fach. Aber das ist denke ich ganz wichtig, zum e<strong>in</strong>en für unsere, für die<br />

Wertigkeit unserer Arbeit, aber dann auch für die betroffene Person. Das gibt es<br />

also durchaus, dass wir Leuten sagen, entweder dass sie kont<strong>in</strong>uierlich <strong>in</strong> der<br />

Unterstützungsgruppe bleiben, dass wir sagen, du darfst nicht alle<strong>in</strong>e an e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>satzstelle arbeiten oder dass wir ihnen auch grundsätzlich sagen, ne<strong>in</strong>, wir<br />

denken, das ist nichts für dich und suche dir bitte was anderes. Aber das ist dann<br />

Aufgabe wirklich der Führungsgruppe unserer Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft PSNV, dass<br />

wir uns geme<strong>in</strong>sam Gedanken machen, bei wem geht es gut, bei wem geht es<br />

nicht gut.<br />

68 A: Jetzt haben sie zwar vorh<strong>in</strong> schon die Supervision angesprochen, aber gibt es<br />

denn auch noch weitere Möglichkeiten, vor eigener Betroffenheit oder<br />

Überforderung zu schützen? Vielleicht auch im E<strong>in</strong>satz direkt?<br />

69. W: Ja, also eigene Betroffenheit, davor kann man sich nicht schützen. Wäre, denke<br />

ich, auch ganz schlecht. Wer als Seelsorger arbeitet, ohne selber betroffen zu<br />

se<strong>in</strong>, ohne zum<strong>in</strong>dest ansatzweise den Schmerz und das Leiden der Leute zu<br />

verstehen oder zu erfühlen, der wird denen nicht gerecht werden. Das ist mir<br />

also ganz wichtig, dass die da ist. Aber Überforderung. Und Überforderung ist<br />

eben genau das. Man kann sehr viel strukturell daran arbeiten. Dass man also<br />

ganz viel macht. Dass man auch ganz feste E<strong>in</strong>satzregeln aufstellt. Also zum<br />

Beispiel, wie komme ich an e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satzstelle? Wie komme ich an me<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>satzklamotten und an me<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satzausrüstung? Was tue ich an der<br />

E<strong>in</strong>satzstelle? Also, wenn ich als Leitender da b<strong>in</strong> und teile die Leute auf, dann<br />

129


kriegen die wirklich e<strong>in</strong>en ganz kle<strong>in</strong>en Ausschnitt. Also wirklich me<strong>in</strong>etwegen<br />

nur für die Toten beten und für sie sorgen, aussegnen, das ist e<strong>in</strong> eigener<br />

E<strong>in</strong>satzabschnitt für die und macht nichts anderes. Und der andere kümmert sich<br />

hier nur um die E<strong>in</strong>satzkräfte, weil er auch e<strong>in</strong>e entsprechende Ausbildung hat.<br />

Und der andere macht eben nur die Betroffenen. Dadurch kann man also sehr<br />

s<strong>in</strong>nvoll vor Überforderung schützen. Aber ansonsten ist es auch immer <strong>in</strong> der<br />

Verantwortung e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen, dass er e<strong>in</strong>fach sich selber unter Stress<br />

kennt und dann auch weiß, wann wird es zuviel, wann muss ich mich<br />

zurückziehen oder so. Also es ist wichtiger Teil auch der Ausbildung, eigene<br />

Stressreaktionen kennen lernen und zu gucken, was läuft und wann wird es<br />

zuviel.<br />

70. A: Gut, dann gehen wir mal auf die andere Seite <strong>in</strong> so e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz. Welche<br />

Erwartungen und Wünsche haben denn die Betroffenen, also Opfer, Angehörige,<br />

aber auch Rettungskräfte an die <strong>Notfallseelsorge</strong>?<br />

71. W: Ja, also, fange ich jetzt mal bei Opfern und Angehörigen an. Was die meisten<br />

sehr hoch schätzen und sagen und uns rückmelden, das war wirklich gut, ist zum<br />

e<strong>in</strong>en, dass wir da s<strong>in</strong>d und eben nichts anderes zu tun haben, als erstmals da zu<br />

se<strong>in</strong> für sie. Was wir mit ihnen reden oder nicht reden, ist wirklich immer<br />

zweitrangig. Das erste ist, dass wir da s<strong>in</strong>d und Zeit haben für sie. Und dass wir<br />

e<strong>in</strong> Stück weit wissen, strukturell, wie es jetzt weiter geht. Das ist bei den<br />

meisten ganz wichtig. Wo komme ich jetzt h<strong>in</strong> als Verletzter? Was passiert jetzt?<br />

Was me<strong>in</strong>te eigentlich der Arzt vorh<strong>in</strong>, als er das und das sagte? Dass wir da<br />

also so e<strong>in</strong> bisschen übersetzen können, manchmal.<br />

Für die Angehörigen, ja, wo kommt denn jetzt der Verstorbene h<strong>in</strong>? Oder wo ist<br />

er jetzt? Also so ganz technisch-taktische Sachen, dass wir da e<strong>in</strong>fach wissen,<br />

wie läuft es jetzt weiter. Das ist für die meisten e<strong>in</strong>e ganz wichtige Sache. Dann<br />

natürlich oft e<strong>in</strong>fach auch, dass wir Ansprechpartner s<strong>in</strong>d, manchmal auch<br />

stellvertretend. Also wenn Betroffene e<strong>in</strong>fach jetzt jammern und klagen und<br />

sagen, was ist das für e<strong>in</strong>e Scheiß-Welt und was ist das für e<strong>in</strong> ungerechter Gott,<br />

das das jetzt passiert. Das ist nichts womit wir persönlich geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d. Sondern<br />

da stehen wir stellvertretend für alles mögliche andere und müssen es e<strong>in</strong>fach<br />

aushalten. Also ich denke das ist schon ganz wichtig.<br />

Die Rettungskräfte, was erwarten die von uns? Als erstes erwarten die von uns,<br />

dass wir unseren Job machen. Das ist denke ich ganz wichtig. Weil wir entlasten<br />

sie dadurch, dass wir uns um die Angehörigen kümmern. Dass wir uns um die<br />

Toten kümmern. Dass wir für die Betroffenen da s<strong>in</strong>d. Weil dann können die<br />

Rettungskräfte sich auch auf ihren Job konzentrieren. Genauso wie wir es<br />

erwarten natürlich, dass wir, wenn wer e<strong>in</strong> kaputtes Be<strong>in</strong> hat oder so was,<br />

erwarte ich von den Rettungsdienstlern, dass er sich darum kümmert und da<br />

se<strong>in</strong>en Job macht. Das ist also das erste. Dadurch entlasten wir sie und das ist für<br />

die ganz wichtig.<br />

Dann natürlich aber auch im Bereich Stressmanagement für die E<strong>in</strong>satzkräfte,<br />

was ja dann nicht die <strong>Notfallseelsorge</strong> im engeren S<strong>in</strong>ne ist, sondern die<br />

Seelsorge für E<strong>in</strong>satzkräfte oder Stressbearbeitung für E<strong>in</strong>satzkräfte, dass wir<br />

Fachleute vorhalten, die für die da s<strong>in</strong>d und als Ansprechpartner da s<strong>in</strong>d und<br />

sowohl präventiv als auch eben nach entsprechenden E<strong>in</strong>sätzen, da sie fachlich<br />

richtig begleiten können. Aber das ist eben wirklich e<strong>in</strong>e getrennte Schiene. Ich<br />

lasse bei weitem nicht jeden Seelsorger auf die Rettungskräfte los. Das wäre<br />

130


nicht gut. Sondern die müssen den richtigen Stallgeruch haben und die müssen<br />

auch entsprechende Ausbildung haben. Also SBE e<strong>in</strong>s und zwei oder<br />

Feuerwehrseelsorger oder Ähnliches.<br />

72. A: Was ist SBE?<br />

73. W: Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Das ist die deutsche Version<br />

des amerikanischen CISM – Critical Incident Stress Management. Und das ist so<br />

e<strong>in</strong>e Standardausbildung, die die regelmäßig haben. Aber eben typischerweise<br />

eben nicht für die meisten, sondern nur für sehr wenige <strong>Notfallseelsorge</strong>r.<br />

74. A: Gibt es denn dann nach so, nach so Ereignissen auch Treffen mit<br />

Rettungsdiensten und, ja, me<strong>in</strong>etwegen Feuerwehr, je nachdem was dabei war,<br />

wo solche Sachen noch mal durchgesprochen werden oder nur bei Bedarf?<br />

75. W: Nur bei Bedarf. Also, das ist, liegt auch wieder, es liegt im Wesentlichen <strong>in</strong> der<br />

Personalfürsorge der E<strong>in</strong>satzorganisationen. Jede E<strong>in</strong>satzorganisation sollte<br />

mittlerweile <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, auch die psychischen Aspekte von E<strong>in</strong>sätzen zu<br />

erkennen und entsprechende, ja, Möglichkeiten, Fachkräfte vorzuhalten. Bei der<br />

Feuerwehr <strong>in</strong> der Regel also durch die Feuerwehrseelsorger oder durch Peers,<br />

die hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Feuerwehrschule ausgebildet werden. Im Rettungsdienst durch<br />

psychosoziale Ansprechpartner oder Ähnliche. Aber da arbeiten wir ganz eng<br />

zusammen und wenn also die E<strong>in</strong>satzkräfte me<strong>in</strong>en oder halt <strong>in</strong> der Regel die<br />

Führungskräfte me<strong>in</strong>en, Mensch es war e<strong>in</strong> schwieriges D<strong>in</strong>g, wenn zum<br />

Beispiel eigene Kameraden betroffen s<strong>in</strong>d oder solche Geschichten, dann bieten<br />

wir ihnen e<strong>in</strong>fach an, was wir tun können und dann werden zum Beispiel so<br />

Debrief<strong>in</strong>gs oder so was durchgeführt.<br />

76. A: Ja, jetzt haben sie ja schon beschrieben, <strong>Notfallseelsorge</strong> hat im E<strong>in</strong>satz die<br />

Aufgabe da zu se<strong>in</strong>, Gespräche zu führen, vielleicht auch zu sagen, wie geht es<br />

jetzt weiter. Gibt es denn darüber h<strong>in</strong>aus auch noch weitere Aufgaben, die e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r lernt oder für die er im E<strong>in</strong>satz auch steht?<br />

77. W: Das ist eigentlich das Wesentliche. Dann natürlich zum Teil eben noch, weil wir<br />

halt aus der Kirche kommen, ist natürlich die seelsorgerlichen Angebote,<br />

eventuell eben auch liturgische Vollzüge. Also Aussegnung von Verstorbenen,<br />

Abschied nehmen von Verstorbenen, das s<strong>in</strong>d so ganz typische Sachen, die wir<br />

regelmäßig machen. Und ja, damit kommen wir eigentlich ganz gut klar. Alles<br />

was an der E<strong>in</strong>satzstelle <strong>in</strong> der Regel gemacht wird, ist sehr basal. Also ganz<br />

grundlegend, muss man sagen. Da ist ke<strong>in</strong>e große Fantasie <strong>in</strong> der Regel<br />

gefordert, sondern es, es geht darum, grundlegende Bedürfnisse der Betroffenen<br />

e<strong>in</strong>igermaßen zu befriedigen. Und das ist gar nicht so viel.<br />

78. A: Gibt es denn über diese Aufgaben h<strong>in</strong>aus auch Angebote die <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

anbieten, sei es zum Beispiel Tage oder Wochen nach dem E<strong>in</strong>satz auch?<br />

79. W: Das haben wir bisher nicht. Weil wir hier im Bereich normalerweise davon<br />

ausgehen, dass die mittel- und langfristige Betreuung von den örtlichen<br />

Pfarrämtern gemacht wird. Die kriegen grundsätzlich Informationen, wenn wir<br />

<strong>in</strong> ihrem Bereich tätig gewesen s<strong>in</strong>d und das klappt eigentlich auch ganz gut,<br />

131


dass die sich weiter um die Betroffenen kümmern. Von daher ist<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> wirklich auf den Schadenszeitraum begrenzt.<br />

80. A: Noch e<strong>in</strong>e Frage dazu. Gibt es denn aber auch <strong>in</strong>sgesamt Angebote, die sie gerne<br />

hätten, aber nicht leisten können?<br />

81. W: Bis vor kurzem hatten wir e<strong>in</strong> Problem, das haben wir aber mittlerweile gelöst.<br />

Und zwar, wir haben so genannte Geme<strong>in</strong>de<strong>in</strong>formationstreffen entwickelt. Wir<br />

haben gemerkt, dass bei Unglücken gerade <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Dörfern, nicht nur die<br />

direkt Betroffenen und die Angehörigen betroffen s<strong>in</strong>d, sondern die ganze<br />

Dorfgeme<strong>in</strong>schaft. Und für die hatten wir also bisher ke<strong>in</strong>e vernünftigen<br />

Angebote. Und da haben wir, nach e<strong>in</strong>em israelischen Vorbild, e<strong>in</strong> so genanntes<br />

Geme<strong>in</strong>de<strong>in</strong>formationstreffen entwickelt. Das heißt, möglichst zügig nach dem<br />

Unglück, meistens noch am gleichen Tag, machen wir <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit<br />

örtlichen, zum Beispiel mit dem örtlichen Pfarramt, dem örtlichen Bürgermeister,<br />

vielleicht auch zusammen mit der Schule, e<strong>in</strong> Treffen für die ganze Geme<strong>in</strong>de.<br />

Wo also <strong>Notfallseelsorge</strong>r da s<strong>in</strong>d, wo aber auch Leute aus Beratungsstellen da<br />

s<strong>in</strong>d, wo dann diese örtlichen Unterstützungssysteme wie Kirche, Schule,<br />

Bürgermeister da s<strong>in</strong>d und wir den Leuten Informationen über das Unglück<br />

geben können und ihnen auch Angebote geben für Hilfs-, ja, wo sie Hilfe holen<br />

können. Das hatte bei uns bisher gefehlt. Das haben wir jetzt entwickelt und da<br />

das haben wir mehrfach jetzt e<strong>in</strong>gesetzt und damit s<strong>in</strong>d wir eigentlich sehr<br />

zufrieden. Ansonsten haben wir im Auenblick eigentlich nichts, was wir gerne<br />

hätten, leider. Sondern, ja, wenn was wie hier jetzt, dann arbeiten wir wirklich<br />

daran, dass wir e<strong>in</strong>e entsprechende Antwort dann f<strong>in</strong>den, ja.<br />

82. A: OK. Nun zum Leitthema 6. Es gibt ja ähnlich der <strong>Notfallseelsorge</strong> im Roten<br />

Kreuz zum Beispiel den Notfallnachsorgedienst. Für mich ist jetzt e<strong>in</strong>e Frage, <strong>in</strong><br />

wie weit ist <strong>Notfallseelsorge</strong> tatsächlich e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche und da<br />

zunächst e<strong>in</strong>mal, was ist das kirchliche Selbstverständnis der <strong>Notfallseelsorge</strong>?<br />

83. W: Also die Kirchen hier <strong>in</strong> Bayern, sowohl Katholisch als auch Evangelische,<br />

haben für sich selber festgestellt, <strong>Notfallseelsorge</strong> ist Grundbestandteil unserer<br />

seelsorgerlichen Aufgabe. Das heißt es ist, es ist unsere Aufgabe als Kirche, bei<br />

Menschen <strong>in</strong> Krisen- und Notsituationen da zu se<strong>in</strong>. Von daher entwickelt sich<br />

dann also ganz viel von alle<strong>in</strong>e. Zum e<strong>in</strong>en, dass es f<strong>in</strong>anziert wird, zum anderen,<br />

dass man da was machen muss. Und das ist auch unser Selbstverständnis,<br />

wirklich ist, dass wir als Kirche da vor Ort se<strong>in</strong> sollen, ja.<br />

Jetzt Chancen und Vorteile der <strong>Notfallseelsorge</strong>. Zum e<strong>in</strong>en hat es natürlich den<br />

großen Vorteil, dass Kirche e<strong>in</strong> relativ dichtes Netz an gut ausgebildeten<br />

Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorgern hat. Es gibt ke<strong>in</strong>e andere Organisation, die e<strong>in</strong><br />

derartiges Netz vorhalten kann, derzeit. Vor allem hier im ländlichen Bereich.<br />

Bayern ist ja vor allem ländlich strukturiertes Gebiet und da gibt es e<strong>in</strong>fach<br />

ke<strong>in</strong>e andere Organisation, die das leisten könnte. Und aufgrund eben des<br />

Selbstverständnisses, dass es Teil unserer Arbeit ist, haben wir e<strong>in</strong>fach da die<br />

große Freiheit, auch entsprechende Prioritäten zu setzen. Dass heißt, wir können<br />

viele andere Arbeiten h<strong>in</strong>ten anstellen, wenn wir eben als <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

gefordert s<strong>in</strong>d. Auch das ist e<strong>in</strong>e Freiheit, die die meisten anderen<br />

Organisationen nicht haben. Also ich denke jetzt mal an niedergelassene<br />

Psychologen oder so. Wenn die die Praxis voll haben und ihre Term<strong>in</strong>e haben,<br />

132


dann können die im, <strong>in</strong> der Regel nicht e<strong>in</strong>fach weglaufen und zu e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz<br />

gehen. Weil da s<strong>in</strong>d ihre Leute, die kommen, die ihnen auch ihr Geld zahlen<br />

dafür und die ihnen ke<strong>in</strong> Geld zahlen, wenn sie nicht da s<strong>in</strong>d. Das ist bei der<br />

Kirche anders. Weil eben, ja wir von den Kirchensteuern leben und auch unsere<br />

Mitglieder <strong>in</strong> der Regel der Me<strong>in</strong>ung s<strong>in</strong>d, <strong>Notfallseelsorge</strong> ist gut und s<strong>in</strong>nvoll.<br />

Deswegen können wir eben auch Kirchensteuermittel dafür ausgeben und auch<br />

unser Personal dafür e<strong>in</strong>setzen. Das ist natürlich e<strong>in</strong>e besonders glückliche<br />

Situation.<br />

84. A: Gibt es denn aber auch Grenzen oder Nachteile, dass <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>e<br />

kirchliche Aufgabe ist?<br />

85. W: Also Nachteil, Grenzen gibt es natürlich zum e<strong>in</strong>en im Personalbereich und <strong>in</strong><br />

dem F<strong>in</strong>anzbereich. Auf der e<strong>in</strong>en Seite kriegen wir Geld von der Kirche, auf<br />

der anderen Seite ist natürlich auch das kirchliche Geld begrenzt. Da muss man<br />

natürlich schon immer gucken, wo kriegen wir noch mehr Geld her für unsere<br />

Aufgaben.<br />

Zum Teil gibt es natürlich auch, selten, aber doch, Menschen die eben nicht mit<br />

kirchlichen Leuten arbeiten wollen oder betreut werden wollen. Da ist es<br />

natürlich besonders schön, dass wir immer welche vom Roten Kreuz dabei<br />

haben, die eben sagen, ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Seelsorger, ich b<strong>in</strong> ehrenamtlicher<br />

Mitarbeiter vom Roten Kreuz und dann lassen die sich gerne von denen betreuen.<br />

Schwierig wird es <strong>in</strong> den Bereichen, wo es fast nur katholische Seelsorger<strong>in</strong>nen<br />

und Seelsorger gibt, weil es, die e<strong>in</strong>fach immer weniger werden. Also Pfarrer<br />

hier <strong>in</strong> Bayern haben <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> riesiges Gebiet und mehreren Pfarreien zu<br />

betreuen, wo sie e<strong>in</strong>fach auch re<strong>in</strong> kräftemäßig und zeitmäßig oft nicht mehr <strong>in</strong><br />

der Lage s<strong>in</strong>d, jetzt noch zusätzliche Aufgaben, zum Beispiel <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> wahrzunehmen. Also die katholische Kirche vor allem, hat hier<br />

e<strong>in</strong> massives Personalproblem, was sich auch auf die <strong>Notfallseelsorge</strong> auswirkt.<br />

Und da gibt es Grenzen und da müssen wir natürlich schauen, wo kriegen wir<br />

jetzt Ehrenamtliche her. Entweder Ehrenamtliche aus der Kirche oder eben<br />

Ehrenamtliche aus Rettungsorganisationen, die eben diese Betreuung vor Ort<br />

dann übernehmen.<br />

86. A: Was ich jetzt gehört habe oder gelesen habe auch vielmehr, ist ja so, dass die<br />

Kirchenmitglieder natürlich zurückgehen und damit ja auch die<br />

Kirchensteuerzahler, auch die Theologiestudenten gehen ja <strong>in</strong>sgesamt zurück.<br />

Das hat ja sicherlich auch Auswirkungen dann auf die Arbeit hier. Gibt es denn<br />

da schon Überlegungen oder Ansätze oder merkt man da schon irgendwas davon,<br />

so für die Zukunft?<br />

87. W: Also zum Teil merken wir es e<strong>in</strong>fach schon, dass also auch die evangelischen<br />

Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer oft an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten.<br />

Und da denke ich, müssen wir verstärkt zum e<strong>in</strong>en mit den<br />

Rettungsorganisationen kooperieren und zum anderen verstärkt auch unsere<br />

Ehrenamtlichen ausbilden und mit dabei haben. Das ist mir also e<strong>in</strong> ganz<br />

wichtiges Anliegen, dass wir hier mit ehrenamtlichen Seelsorger<strong>in</strong>nen und<br />

Seelsorgern arbeiten, die wir entsprechend ausbilden, fortbilden, begleiten,<br />

ihnen helfen, diese Arbeit zu tun. Aber eben auch mit entsprechenden<br />

Fachkräften aus den Rettungsorganisationen, die ehrenamtlich da machen,<br />

133


ehrenamtlich da arbeiten. Das ist mir ganz wichtig, dass wir mit denen<br />

zusammen arbeiten. Ich gehe davon aus, dass der Anteil der Ehrenamtlichen und<br />

der Anteil der Leute aus den Rettungsorganisationen <strong>in</strong> Zukunft noch weiter<br />

steigen wird.<br />

88. A: Vielleicht können sie auch noch was dazu sagen, was das Besondere als<br />

Aufgabe der Kirche ist, wenn sie an e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz kommen und jetzt aber<br />

Andersgläubige, auf Andersgläubige treffen, sei es Muslime oder Juden. Gibt es<br />

da Probleme oder lässt sich das gut händeln. Wie geht man da vor?<br />

89. W: Also Juden habe ich selber noch ke<strong>in</strong>e Erfahrung gemacht. Ich b<strong>in</strong> wissentlich<br />

noch ke<strong>in</strong>em Juden begegnet. Mit Muslimen gab es, die ich verschiedentlich<br />

schon begleitet habe, gab es eigentlich nie Probleme. Wenn die hier <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d, dann wissen die, dass Pfarrer<strong>in</strong>nen oder Pfarrer eben auch<br />

e<strong>in</strong>e Art heiliger Mensch s<strong>in</strong>d. Und sie lassen sich von uns betreuen. Die meisten<br />

Moslems s<strong>in</strong>d genauso Gelegenheitsmoslem, wie die meisten Christen<br />

Gelegenheitschristen s<strong>in</strong>d. Ihnen kommt es darauf an, genauso wie die meisten<br />

anders, dass sie menschlich und fachlich gut betreut werden und da ist die<br />

Religion <strong>in</strong> aller Regel e<strong>in</strong>e ganz sekundäre Geschichte.<br />

Wenn sich dann ergibt, gerade so im <strong>in</strong>nerhäuslichen Bereich bei Moslems, dann<br />

kann es durchaus s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, da den Synagogenvere<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>zubeziehen. In<br />

e<strong>in</strong>igen Gegenden, also ich denke <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen und <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gibt es<br />

auch e<strong>in</strong>e spezielle muslimische Krisen<strong>in</strong>tervention, dass man die mit dazu holt.<br />

Aber die haben wir hier nicht. Sondern wenn, dann läuft es hier über den<br />

Moscheevere<strong>in</strong> und dass man die dazu holt. In der Regel aber zu<br />

Übersetzungsarbeiten meistens und dass man das, es ist ganz selten, dass<br />

muslimische Geistliche an E<strong>in</strong>satzstellen kommen. In aller Regel sagen die, ne<strong>in</strong>,<br />

das ist nicht me<strong>in</strong>e Aufgabe. Me<strong>in</strong>e Aufgabe ist hier <strong>in</strong> der Moschee und das<br />

was ihr macht ist eigentlich Nachbarschaftshilfe. Das müssten die Familien<br />

untere<strong>in</strong>ander regeln. Und daher, man muss e<strong>in</strong> bisschen auf die Eigenheiten der<br />

Leute e<strong>in</strong>gehen, aber die kulturellen Unterschiede s<strong>in</strong>d meistens sehr viel größer<br />

als die religiösen. Also, das ist für Moslems, die ja dann <strong>in</strong> der Regel Türken<br />

s<strong>in</strong>d hier bei uns, also ganz wichtig ist, dass die Familie da ist. Und dass man<br />

identifiziert wer ist jetzt im Augenblick das Familienoberhaupt und dass man die<br />

mit e<strong>in</strong>bezieht. Und das ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e kulturell andere Geschichte als bei den<br />

meisten Deutschen. Aber ansonsten gibt es da, ja, man muss e<strong>in</strong> bisschen wissen<br />

worum, worauf man achten soll. Aber ansonsten kommt man damit sehr gut klar,<br />

f<strong>in</strong>de ich.<br />

90. A: Das heißt diese, diese kulturellen Unterschiede machen am E<strong>in</strong>satzort jetzt nicht<br />

größere Probleme oder bieten Herausforderungen.<br />

91. W: Es ist e<strong>in</strong>e Herausforderung, ja das schon. Also man muss e<strong>in</strong>fach erkennen, mit<br />

wem habe ich es zu tun und was könnte dem jetzt gut tun. Und, und dann<br />

entsprechend darauf reagieren, also das ist schon e<strong>in</strong>e Herausforderung. Aber<br />

das ist ke<strong>in</strong> über, ke<strong>in</strong> unüberw<strong>in</strong>dbares H<strong>in</strong>dernis, würde ich sagen. Da muss<br />

man nicht spezielle <strong>Notfallseelsorge</strong>r dann aus ihrer Kultur holen. Die haben wir<br />

hier auch nicht.<br />

92. A: Aber so bisschen Kenntnisse über die andere Religion s<strong>in</strong>d von Vorteil.<br />

134


93. W: Genau, genau, die s<strong>in</strong>d wichtig. Und wissen, welche Rolle spielt die Frau,<br />

welche Rolle spielt der Mann. Das muss man schon, ja, das ist Teil der<br />

Ausbildung dann.<br />

94. A: OK. E<strong>in</strong>e letzte Frage. Wie grenzt sich denn die <strong>Notfallseelsorge</strong> als Aufgabe<br />

der Kirche noch mal im Besonderen zum Notfallnachsorgedienst oder zur<br />

Krisen<strong>in</strong>tervention ab?<br />

95. W: Also, vorausgesetzt 80% s<strong>in</strong>d die gleiche Arbeit. Wir beide, beide Dienste gehen<br />

davon aus, dass menschlich und fachlich gut mit den Betroffenen umgehen<br />

wollen und ihnen helfen wollen mit der Situation klar zu kommen. Das heißt<br />

80% ist wirklich eigentlich e<strong>in</strong>e identische Arbeit. Dann gibt es aber natürlich<br />

sehr spezielle Geschichten. Zum Beispiel dass die <strong>Notfallseelsorge</strong> Riten auch<br />

für die Verstorbenen anbietet. Aussegnung der Verstorbenen. Dass wir<br />

kirchliche Riten anbieten können, wie Gebete oder wenn es denn se<strong>in</strong> soll, auch<br />

noch mal Beichte oder Abendmahl. Das s<strong>in</strong>d also spezielle Angebote, die wir<br />

haben, die der Krisen<strong>in</strong>terventionsteams e<strong>in</strong>fach nicht hat. Und die aber hier<br />

zum Beispiel von den E<strong>in</strong>satzkräften sehr geschätzt werden. Für die<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte hier ist es ganz wichtig, dass wir geme<strong>in</strong>sam die Verstorbenen<br />

aussegnen, noch mal für die beten, weil das natürlich auch e<strong>in</strong> Stück weit<br />

Entlastung ist für die E<strong>in</strong>satzkräfte. Denn die haben jetzt e<strong>in</strong>fach die Schlacht<br />

verloren und sie können für die Toten nichts mehr tun. Und dann ist es gut,<br />

wenn Kirche da ist und sagt, jetzt können wir noch mal zusammen was machen,<br />

nämlich für die beten und die aussegnen. Und e<strong>in</strong> Stück weit Verantwortung<br />

auch an Gott abgeben. Und das ist also was sehr Spezielles, was Kirche bieten<br />

kann, was Krisen<strong>in</strong>tervention nicht bieten kann.<br />

Ansonsten eben Vorteil von Krisen<strong>in</strong>tervention hat die, ja, die oft die religiöse<br />

Ungebundenheit, die für viele dann ja manchmal ganz wichtig ist. E<strong>in</strong><br />

besonderer Punkt noch mal der <strong>Notfallseelsorge</strong> als kirchliche E<strong>in</strong>richtung ist<br />

die absolute Anonymität, die wir gewährleisten und das Beichtgeheimnis. Also<br />

wenn Menschen da s<strong>in</strong>d, wo die Frage doch ihrer Schuld oder so, mit im Raum<br />

steht, was weiß ich, Unfallverursacher oder solche Sachen.<br />

Krisen<strong>in</strong>terventionsberater können gerichtlich gezwungen werden auszusagen,<br />

was sie dort gehört haben. Ord<strong>in</strong>ierte Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer können nicht<br />

gezwungen werden.<br />

96. A: Wie ist es dann aber bei Diakonen oder Ehrenamtlichen?<br />

97. W: Die können auch gezwungen werden. Das ist jetzt speziell eben das<br />

Beichtgeheimnis, was von unserer Strafprozessordnung geschützt wird. Aber<br />

das ist eben wirklich nur auf ord<strong>in</strong>ierte Geistliche beschränkt. Aber das gibt es<br />

eben wirklich <strong>in</strong> dieser Form wirklich def<strong>in</strong>itiv nur von der Kirche. Und wo<br />

eben auch unser Arbeitgeber mitspielt. Also wenn zum Beispiel jetzt e<strong>in</strong> Richter<br />

mich zw<strong>in</strong>gen wollte irgendetwas zu sagen und ich will es nicht sagen, könnte er<br />

mich ja <strong>in</strong> Beugehaft nehmen. Das ist ja so e<strong>in</strong> strafprozessuales Mittel. Me<strong>in</strong><br />

Arbeitgeber würde mir me<strong>in</strong> Geld weiter zahlen.<br />

Wenn ich da e<strong>in</strong>en Ehrenamtlichen habe, der selbständiger Elektromeister, den<br />

Fall gab es mal <strong>in</strong> Hessen, und der Richter droht dem Beugehaft an, ja, der wird<br />

aussagen. Weil er weiß, wenn ich nicht mehr zuhause b<strong>in</strong> und da me<strong>in</strong>e Wochen<br />

im Knast verbr<strong>in</strong>ge, geht me<strong>in</strong>e Firma den Bach runter. Also da haben wir als<br />

135


Kirche e<strong>in</strong>e besondere Stellung, die wir hier manchmal aus, ja, die wir<br />

manchmal nutzen können, um überhaupt noch mit Leuten irgendwie <strong>in</strong> Kontakt<br />

zu kommen.<br />

Oft also zum Beispiel auch <strong>in</strong> der Begleitung von E<strong>in</strong>satzkräften. Also e<strong>in</strong><br />

Polizist, der geschossen hat und wo es fraglich ist, ob das richtig war, dass er<br />

geschossen hat, der hat ke<strong>in</strong>e anderen Ansprechpartner als wirklich nur Pfarrer.<br />

Wo halt se<strong>in</strong>e ganzen Freunde s<strong>in</strong>d auch Polizisten und da stehen auch alle im<br />

Zwang möglicherweise aussagen zu müssen. Und deswegen ist da ganz wichtig<br />

und das kann nur die Kirche bieten. Also da, von daher wird da e<strong>in</strong> ganz<br />

besonderes Angebotsmerkmal, das niemand anderes hat. Aber wie gesagt, 80%<br />

oder mehr unserer Arbeit ist genau das gleiche wie Krisen<strong>in</strong>tervention.<br />

98. A: Jetzt ist mir doch noch e<strong>in</strong>e Frage gekommen.<br />

99. W: Na klar.<br />

100. A: Sie haben vorh<strong>in</strong> das angesprochen, dass auch an E<strong>in</strong>satzorten dann vielleicht<br />

auch das Abendmahl noch durchgeführt wird, sofern das gewünscht ist. Mich<br />

würde jetzt <strong>in</strong>teressieren, was hat e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r eigentlich an Material<br />

dabei, wenn er an e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz geht?<br />

101. W: Das kann ich ihnen zeigen.<br />

Herr von Wietersheim holt se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satzrucksack aus e<strong>in</strong>em anderen Zimmer.<br />

102. W: Also das hier ist unser Standardrucksack, den wir hier im Landkreis Kitz<strong>in</strong>gen,<br />

den alle PSNV-Kräfte haben. Zum e<strong>in</strong>en Süßigkeiten für die E<strong>in</strong>satzkräfte.<br />

Teddys und ähnliches Spielzeug für kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der, die wir zu betreuen haben.<br />

Kle<strong>in</strong>e Erste-Hilfe-Sets. Was haben wir da? Taschenmesser, Taschentücher,<br />

Taschenlampe, genau. Schreibzeug, Funkgerät. Wir arbeiten auf e<strong>in</strong>er eigenen<br />

Betriebsfunkfrequenz, also, die nur wir <strong>in</strong>nerhalb der PSNV haben.<br />

Dann natürlich Weste, um kenntlich zu se<strong>in</strong>, noch mal e<strong>in</strong>e größere<br />

Taschenlampe und relativ viel Informations- und Schreibmaterial. Wir haben zu<br />

Beispiel spezielle Informationszettel, wenn K<strong>in</strong>der betroffen s<strong>in</strong>d, wir haben<br />

spezielle Informationszettel bei Suizid. Natürlich ganz allgeme<strong>in</strong>e<br />

Stress<strong>in</strong>formationszettel und die haben wir <strong>in</strong> 24 verschiedenen Sprachen. So<br />

dass wir also wirklich auch den Leuten was geben können.<br />

E<strong>in</strong> bisschen was zu essen und zu tr<strong>in</strong>ken, ja, das s<strong>in</strong>d so die Sachen. Speziell<br />

kirchliche Sachen haben wir, wenn denn überhaupt, nur auf den Fahrzeugen.<br />

Also, weil die meisten Gebete, Aussegnungen oder e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Gebet mit den<br />

Betroffenen, das hat man im Kopf. Das braucht man nicht irgendwo zu haben.<br />

Salböl oder eben Abendmahl, das haben eben die Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer auf<br />

den Fahrzeugen, mit denen wir normalerweise zum E<strong>in</strong>satz kommen. Das haben<br />

wir schon gehabt. Aber das ist es dann auch.<br />

103. A: OK. Weil das war das, was mich stutzig gemacht hatte, so mit Abendmahl.<br />

Dann muss ich ja noch anfangen me<strong>in</strong>e Abendmahlsutensilien mitzunehmen und<br />

so.<br />

136


104. W: Genau, also dafür gibt es spezielle, so ganz kle<strong>in</strong>e Sets, wo wirklich alles dann<br />

dr<strong>in</strong> ist. Wird aber extrem selten gebraucht. Also ich habe es <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />

Erfahrung im außerhäuslichen Bereich noch nie gehabt. Im <strong>in</strong>nerhäuslichen<br />

Bereich, irgendwie wenn es mal <strong>in</strong>s Krankenhaus g<strong>in</strong>g, da haben die Leute dann<br />

mal Krankensalbung, Abendmahl erbeten. Aber es ist ganz extrem selten.<br />

105. A: Ok, gut. Dann danke ich ihnen, dass sie mir zur Verfügung standen für das<br />

Interview.<br />

137


12.5 Interview mit Sebastian Berghaus<br />

Interview mit Sebastian Berghaus,<br />

Landespolizeipfarrer und <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

der Evangelischen Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg,<br />

am 04.11.2009 <strong>in</strong> Stuttgart,<br />

im Rahmen der Master-Thesis „Der Beitrag der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

zur Unterstützung von Menschen <strong>in</strong> Krisensituationen“<br />

durch die Student<strong>in</strong> Nadescha Arnold<br />

A = Nadescha Arnold<br />

B = Sebastian Berghaus<br />

1. A: OK, dann möchte ich ihnen zunächst e<strong>in</strong>mal herzlich danken dafür, dass sie mir<br />

für e<strong>in</strong> Interview bereit stehen. Und ich möchte anfangen mit dem ersten<br />

Leitthema, zum Werdegang und zu Aufgaben ihrer Person und möchte sie als<br />

erstes fragen, was s<strong>in</strong>d sie von Beruf?<br />

2. B: Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> evangelischer Pfarrer. Von Profession Geme<strong>in</strong>depfarrer. Das ist im<br />

Raum der Württembergischen Landeskirche ist es so üblich, dass man nach dem<br />

Theologie-Studium sozusagen e<strong>in</strong>e zweite Ausbildung, e<strong>in</strong>en zweiten<br />

Ausbildungsgang macht, das ist das Vikariat. Da wir man für Aufgaben <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>de vorbereitet. Aber das Projekt war so ähnlich, so wie sie das auch<br />

machen, schaut man immer wieder <strong>in</strong> bestimmte Themenbereiche der Kirche<br />

auch h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Themen, wo mit fachlicher Begleitung, das ist e<strong>in</strong>e ganz, ganz<br />

gründliche Geschichte. Und im Geme<strong>in</strong>depfarramt dann, im Geme<strong>in</strong>depfarramt<br />

dann ist es üblich, dass man neben se<strong>in</strong>er Aufgabe <strong>in</strong> der eigenen Geme<strong>in</strong>de<br />

auch e<strong>in</strong>e Aufgabe im Kirchenbezirk wahrnimmt. Das läuft dann unter<br />

Bezirksamt. Es gibt ja bestimmte Aufgaben, die nicht jede Geme<strong>in</strong>de für sich<br />

erledigen soll. Das macht ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n. Und manche Aufgaben werden<br />

zusammengefasst. So, und e<strong>in</strong>e solche Aufgabe, die ich auch noch glücklich<br />

ausdehnen konnte, weil ich <strong>in</strong> Stellenteilung mit me<strong>in</strong>er Frau tätig war, die auch<br />

Pfarrer<strong>in</strong> ist und wir uns e<strong>in</strong>e Stelle immer teilen mussten, das war die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> im Landkreis Böbl<strong>in</strong>gen und S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen. Läuft da auch<br />

zusammen mit der Notfallnachsorge. Wir hatten e<strong>in</strong>e sehr, sehr enge Vernetzung<br />

zwischen dem Roten Kreuz und der kirchlichen Arbeit. Die Arbeit habe ich mit<br />

strukturiert. Habe auch mitgeholfen die Kräfte auszubilden und fortzubilden.<br />

Und habe dann die Arbeit auch vorgestellt <strong>in</strong> den Partnerorganisationen, mit<br />

denen man zu tun hat. B<strong>in</strong> bei der Polizeischule an der Bereitschaftspolizei <strong>in</strong><br />

Böbl<strong>in</strong>gen hängen geblieben. Dort hat man mich gleich für den berufsethischen<br />

Unterricht herangezogen, der ja auch e<strong>in</strong> Teil im Geschäft der Kirche liegt <strong>in</strong><br />

Baden-Württemberg. Und als dann e<strong>in</strong>e Stelle hier im Pfarramt für Polizei- und<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> frei war, habe ich mich darauf beworben. B<strong>in</strong> es geworden.<br />

E<strong>in</strong>e befristete Stelle und h<strong>in</strong>terher erst dann im Normalfall wieder <strong>in</strong>s<br />

Geme<strong>in</strong>depfarramt.<br />

138


3. A: OK. Seit wann arbeiten sie denn <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>? Also so generell?<br />

4. B: Seit 1998.<br />

5. A: OK und ja, also wie sie zur <strong>Notfallseelsorge</strong> gekommen s<strong>in</strong>d, haben sie ja schon<br />

bisschen beantwortet, aber so für sich selbst noch mal, wie s<strong>in</strong>d sie zur<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> gekommen?<br />

6. B: Also, ja, dass Kirchen helfen und <strong>in</strong> Notsituationen helfen, dass ist glaube ich,<br />

dass ist glaube ich selbstverständlich, das brauche ich glaube ich nicht biblisch<br />

irgendwie zu begründen. Das können sie glaube ich selber nachlesen. Und dass<br />

das e<strong>in</strong>e Bewegung ist, die glaube ich <strong>in</strong> uns Menschen auch verankert ist, erst<br />

recht, wenn wir nach dieser Verankerung suchen, nach dem Grund für diese<br />

Verankerung, diese auf dem H<strong>in</strong>tergrund des christlichen Glaubens dann auch<br />

f<strong>in</strong>den, ist glaube ich auch klar. Re<strong>in</strong> theologisch ist für mich dies e<strong>in</strong>er der<br />

letzten volkskirchlichen Realitäten. Kirche wendet sich <strong>in</strong> ihrer Arbeit, <strong>in</strong> dieser<br />

Arbeit, <strong>in</strong> vielen anderen auch, aber hier ist es ganz besonders deutlich,<br />

bedürftigen Menschen zu. Arbeit aufgrund ihrer Bedürftigkeit. Das ist das<br />

Entscheidende. Nur die Bedürftigkeit, nicht aber die Zugehörigkeit zu<br />

irgendwelchen Religionen oder Konfessionen oder weil sie e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

Gesangbuch <strong>in</strong> der Hosentasche mit sich tragen, das ist alles irrelevant. Relevant<br />

ist alle<strong>in</strong> die Bedürftigkeit und der Wunsch nach, nach eben dieser Hilfe. Das<br />

erfordert, das erfordert nach den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten<br />

Jahrzehnte, aber auch nach der Bedürftigkeit unserer Gesellschaft e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Struktur, damit Kirche das qualifiziert und verlässlich abtun kann. Erst recht,<br />

wenn man sich um das E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> Rund-um-die-Uhr-Bereitschaften geht.<br />

Das ist etwas, was mich persönlich da auch bewegt hat.<br />

7. A: Wie sah denn dann damals ihre Ausbildung zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r aus?<br />

8. B: Also, wie bei me<strong>in</strong>en Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen auch, „learn<strong>in</strong>g by do<strong>in</strong>g“, ja,<br />

das ist das e<strong>in</strong>e. Das hat aber schon vor der <strong>Notfallseelsorge</strong> angefangen. Dass<br />

Menschen <strong>in</strong> Not s<strong>in</strong>d erfährt man als Geme<strong>in</strong>depfarrer eigentlich alltäglich, ja.<br />

Wenn man <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de nicht unter den Toten unterwegs ist, sondern als<br />

der Not-, aus der Seelsorge überhaupt, was me<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>in</strong><br />

ganz überwiegender Zahl s<strong>in</strong>d, unabhängig von ihrer Konfession, dann wird<br />

man immer wieder konfrontiert mit Not. Das bleibt nicht aus. Sie haben es zu<br />

tun mit den Toten, sie haben es zu tun mit Suiziden, wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schule<br />

s<strong>in</strong>d werden sie immer wieder auf K<strong>in</strong>der und deren Familien stoßen, die <strong>in</strong><br />

allen möglichen Krisen s<strong>in</strong>d und können sich davor absolut _____ und s<strong>in</strong>d dann<br />

e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> denkbar enges kirchliches Netz. Ja, sie merken dann,<br />

als dass, dass er als Geme<strong>in</strong>depfarrer, als kirchlicher Mitarbeiter, haupt- oder<br />

ehrenamtlich e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ziemlich engmaschig geknüpftes<br />

Netz von Diakonie, von Religionspädagogen, von Diakonen, von Mitarbeitern<br />

an allen möglichen _____. Das ziehen sie alles heran, ja. Und sie merken dann,<br />

wie dieses Netz sie trägt, der sie Hilfe leisten wollen. Aber wie sie <strong>in</strong> dieses Netz<br />

auch e<strong>in</strong>en aufnehmen können, der nun gerade ke<strong>in</strong>e Hilfe braucht.<br />

9. A: War es dann nur „learn<strong>in</strong>g by do<strong>in</strong>g“ oder gab es tatsächlich auch noch<br />

Fortbildungen?<br />

139


10. B: Das gab es tatsächlich Kurse. Da gab es tatsächlich Kurse, ganz<br />

Unterschiedliche. Ich habe mitgearbeitet da an so, so e<strong>in</strong> paar Themen,<br />

Nachsorgedienst zu erarbeiten, unterrichte da auch noch an der Landesschule <strong>in</strong><br />

Pfalzgrafenweiler. Und dann gibt es die Seelsorgeausbildung <strong>in</strong> unserer<br />

Landeskirche, daran habe ich teilgenommen. Und dann immer wieder<br />

berufsbegleitend. Wir sprechen also kirchlich, würde auch für sie gelten, wenn<br />

sie nach e<strong>in</strong>er Ausbildung suchen, nicht von Ausbildung. Denn ausgebildet s<strong>in</strong>d<br />

wir als Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer, als Diakone, als _____, als was auch immer<br />

und wir glauben, dass das e<strong>in</strong>e sehr gute Voraussetzung ist. Das ist unsere<br />

Erfahrung. Und darauf setzen wir noch e<strong>in</strong>e spezielle Fortbildung oben drauf.<br />

11. A: Begleitend sozusagen.<br />

12. B: Begleitend, aufbauend auf unsere Ausbildung, die wir haben, die fundiert ist.<br />

Unsere Erfahrung, die wir haben mit e<strong>in</strong>beziehend, ja, und eben dieses spezielle<br />

noch oben drauf setzend.<br />

13. A: Was gehört denn jetzt zu ihren koord<strong>in</strong>ierenden Aufgaben hier als<br />

Polizeiseelsorger?<br />

14. B: Jetzt sprechen sie den Polizeiseelsorger an oder den <strong>Notfallseelsorge</strong>r?<br />

15. A: Polizeiseelsorger und <strong>Notfallseelsorge</strong>r. Eigentlich beides.<br />

16. B: Ach so. Sie wollen jetzt überhaupt mal von me<strong>in</strong>er Person wissen, was ich so<br />

treibe.<br />

17. A: Genau.<br />

18. B: Gut. Also dann fange ich mit den formalen D<strong>in</strong>gen an. 75% me<strong>in</strong>es<br />

Dienstauftrages s<strong>in</strong>d Polizeiseelsorge. Landespolizeipfarrer heißt die Profession.<br />

Innerhalb dieser Tätigkeit begleite ich Polizisten und Polizist<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> ihren<br />

E<strong>in</strong>sätzen. Alle möglichen D<strong>in</strong>ge, natürlich nur exemplarisch, weil das Gebiet<br />

sehr groß ist. Das s<strong>in</strong>d 6000 Polizist<strong>in</strong>nen und Polizisten und deren Familie, für<br />

die ich zuständig b<strong>in</strong>. Zuständig im Polizeipräsidium Stuttgart, <strong>in</strong> der<br />

Landespolizeidirektion Tüb<strong>in</strong>gen, also das Regierungspräsidium Tüb<strong>in</strong>gen, geht<br />

bis zu Bodensee, Schwäbisches Oberland, Allgäu und so, Landeskrim<strong>in</strong>alamt,<br />

Landesamt für den Verfassungsschutz und die PD, die Polizeidirektionen, die<br />

politisch zu Karlsruhe und Freiburg gehören, aber kirchlich zu Württemberg.<br />

Das ist Calw, Freudenstadt, _____, Tuttl<strong>in</strong>gen. Das ist das Gebiet<br />

Polizeiseelsorge. E<strong>in</strong>satzbegleitung, Krisen<strong>in</strong>tervention, also E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> die<br />

polizeiliche Krisen<strong>in</strong>tervention, das ist eng strukturiert. Da gibt es e<strong>in</strong> enges<br />

Netz auch an Konfliktberatern, das s<strong>in</strong>d polizeiliche Peers, das s<strong>in</strong>d<br />

Polizist<strong>in</strong>nen und Polizisten, die ihren Dienst auch als solche tun, nebenher aber<br />

auch als Anlaufstelle für Konflikte, für Krisensituationen herhalten. Die<br />

Polizeiärzte, die Polizeipsychologen, mit der Besonderheit, dass der<br />

Polizeiseelsorger nicht Teil der Hierarchie ist und auch nicht dem<br />

Strafverfolgungszwang unterliegt, dem, den jeder Polizist beachten muss,<br />

sondern wir haben Beichtgeheimnis, bis h<strong>in</strong> zum<br />

Zeugnisaussageverweigerungsrecht von Beichte.<br />

140


Und neben dieser seelsorgerlichen Geschichte, die natürlich auch die Dimension<br />

der E<strong>in</strong>zelseelsorge hat, ja, e<strong>in</strong> Polizist, e<strong>in</strong>e Polizist<strong>in</strong> ruft an, kommt zum<br />

Gespräch oder ich besuche die oder wir müssen da was tun, haben auch gewisse,<br />

bestimmte Projekte wie „Haltestelle“, also Polizisten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kloster<br />

unterbr<strong>in</strong>gen, wenn der Alltag nicht mehr funktioniert, auch im Bereich der<br />

Trauer und Psychologie und so weiter.<br />

Daneben e<strong>in</strong>fach die Berufsethik. Das ist e<strong>in</strong> weiterer Zweig. Dazu gehört der<br />

Unterricht an den Polizeischulen. Dort besprechen wir, wie man <strong>in</strong><br />

Stresssituationen agiert. Wie man mit Angst umgeht. Wir besprechen ethische<br />

Aspekte zum Berufseid. Oder überhaupt ethische Urteilsf<strong>in</strong>dung. Aber auch<br />

ganz praktisch, wie überbr<strong>in</strong>gen wir e<strong>in</strong>e Todesnachricht? Wie gehen wir mit<br />

trauernden Angehörigen um? Wie können wir uns da verständigen? Wie ist das<br />

mit plötzlichem K<strong>in</strong>dstod? Wie gehen wir um mit K<strong>in</strong>dern an der Unfallstelle?<br />

Das s<strong>in</strong>d alles solche Themen, die auch sehr, sehr gerne angenommen werden.<br />

Und natürlich auch die Geschichte, wie kann ich als Mensch authentisch bleiben<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Uniform, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen streng reglementierten Gesellschaft, wie der<br />

Polizei. Das <strong>in</strong> den Schulen. In der Hochschule <strong>in</strong> Vill<strong>in</strong>gen-Schwenn<strong>in</strong>gen, ab<br />

und zu auch als Referent, aber auch <strong>in</strong> Fortbildungen für Polizeigruppen. Ja, also<br />

e<strong>in</strong>e Dienstgruppe ruft an und sagt, im Rahmen unserer, unseres<br />

Wechselschichtergänzungsdienstes hätten wir gerne e<strong>in</strong>e Fortbildung zu<br />

berufsethischen Themen, diesen Schwerpunkt möchten wir <strong>in</strong> unserer Praxis<br />

reflektieren.<br />

19. A: Was unterscheidet denn ihre Aufgaben zu denen der Seelsorger direkt vor Ort?<br />

20. B: Also, das war jetzt der Teil Polizeiseelsorge. Bei der <strong>Notfallseelsorge</strong> waren wir<br />

noch nicht. Sollen wir das noch mal zurückblenden?<br />

21. A: Ja.<br />

22. B: OK. <strong>Notfallseelsorge</strong>, 25% Dienstanteil. Me<strong>in</strong>e Funktion lautet „Beauftragung<br />

für die <strong>Notfallseelsorge</strong> der evangelischen Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg“. Als<br />

solcher habe ich die Fachaufsicht über die <strong>Notfallseelsorge</strong>r <strong>in</strong> unserer<br />

Landeskirche, sonst nichts, nur die Fachaufsicht. Insofern ist es mir e<strong>in</strong> Anliegen<br />

e<strong>in</strong>e, für e<strong>in</strong>e gute Ausbildung und Fortbildung zu sorgen. Zusammen mit den<br />

anderen drei großen Kirchen <strong>in</strong> Baden-Württemberg. Aber auch für die<br />

Supervision, auch für die Begleitung vor Ort. Auch e<strong>in</strong> Ansprechpartner für<br />

regionale Probleme zu se<strong>in</strong>. Auch das Thema Vernetzung sozusagen<br />

überregional immer wieder wach zu halten. Vernetzung der Kirchen<br />

untere<strong>in</strong>ander, ökumenische Vernetzung, Vernetzung <strong>in</strong>nerhalb der Kirchen, das<br />

heißt, die <strong>Notfallseelsorge</strong> immer wieder als e<strong>in</strong>en notwendigen Teil kirchlichen<br />

Handelns und kirchlichen Existenz e<strong>in</strong>es kirchlichen Mitarbeiters deutlich zu<br />

machen. Dann aber auch mit den Partnerorganisationen zusammen, ja. Also wir<br />

können uns <strong>in</strong> diesem Bereich, das habe ich am Anfang ja schon ausgeführt,<br />

nicht <strong>in</strong> luftleerem Raum bewegen als re<strong>in</strong>e kirchliche Veranstaltung, sondern,<br />

sondern wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> den Bevölkerungsschutz, re<strong>in</strong> rechtlich, re<strong>in</strong><br />

formal. Wir arbeiten zusammen mit den Feuerwehren, mit den Rettungsdiensten,<br />

mit den Polizeien, mit den Beratungsstellen selbstverständlich, mit den<br />

Kirchengeme<strong>in</strong>den, mit der Diakonie und dieses Netz muss begangen werden.<br />

Das muss man, das muss man bedienen, ja. Da kann man nicht e<strong>in</strong>fach nach<br />

141


Telefonnummern blättern oder nach Ansprechpartner blättern oder was macht<br />

denn ihr eigentlich. Sondern es muss dann auch e<strong>in</strong>e gewisse Vertrautheit und<br />

Vertraulichkeit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Bereich, wo man immer <strong>in</strong> Grenzsituationen<br />

arbeitet, ganz entscheidend.<br />

23. A: Dann jetzt zu der Frage, was unterscheidet ihre Aufgaben zu denen der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r direkt vor Ort?<br />

24. B: Die gehen <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satz. Die s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die regionalen Rettungspläne,<br />

Rufbereitschaften rund um die Uhr, flächendeckend e<strong>in</strong>gebunden. Und das b<strong>in</strong><br />

ich nicht. Das b<strong>in</strong> ich nicht. Ich mache das ehrenamtlich noch mit, dort wo ich<br />

wohne, merke aber, dass ich da mehr verspreche als ich halten kann, weil ich<br />

e<strong>in</strong>fach, sie haben es gehört, ich muss e<strong>in</strong>fach viel reisen. Es s<strong>in</strong>d auch viele<br />

Gremien, Gremienarbeiten damit verbunden. Wenn ich, wenn ich E<strong>in</strong>sätze habe,<br />

wie den NATO-Gipfel oder wie W<strong>in</strong>nenden-Wendl<strong>in</strong>gen, dann könnte ich als<br />

beides auftreten. Sowohl als <strong>Notfallseelsorge</strong>r, als auch als Polizeiseelsorger <strong>in</strong><br />

der praktischen Betreuung. Und da ist me<strong>in</strong>e Rolle völlig klar. Da b<strong>in</strong> ich dann<br />

Polizeiseelsorger und nicht <strong>Notfallseelsorge</strong>r. In der praktischen Betreuung b<strong>in</strong><br />

ich Polizeiseelsorger. Das gibt es nur ganz wenige. Und <strong>Notfallseelsorge</strong>r haben<br />

wir zum Glück doch sehr, sehr viele und sehr gut ausgebildete.<br />

25. A: Das heißt, bei E<strong>in</strong>sätzen reisen sie dann nicht an den Ort direkt, <strong>in</strong> der Regel.<br />

Aber koord<strong>in</strong>ieren sie dann die E<strong>in</strong>satzkräfte, die dort h<strong>in</strong>fahren?<br />

26. B: Ne<strong>in</strong>. Die E<strong>in</strong>satzkräfte haben eigene Strukturen. Die haben auch geme<strong>in</strong>same<br />

Firmenstrukturen. Wir haben gerade mit dem Innenm<strong>in</strong>isterium e<strong>in</strong>en, e<strong>in</strong>e neue<br />

Rahmenrichtl<strong>in</strong>ie „ Leiter Psychosoziale Notfallversorgung“ verabschiedet und<br />

entwickelt, mit den Partnerorganisationen. Die Leitungen werden vor Ort wahr<br />

genommen und nicht unbed<strong>in</strong>gt diensteabhängig. Es kann also se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e<br />

DRK-Kraft mit entsprechender Qualifikation alle anderen im Bereich der<br />

Psychosozialen Notfallversorgung führt. Also auch <strong>Notfallseelsorge</strong>r. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur strukturell, fachliche Arbeit ist hier eigenverantwortet, nach se<strong>in</strong>em<br />

ureigenen Profil. Und umgekehrt ist es auch so. Und ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden dann<br />

nach me<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz als Polizeiseelsorger auch als <strong>Notfallseelsorge</strong>r präsent<br />

gewesen, aber nicht als jemand der dann leitende Funktionen hat vor Ort. Das ist<br />

vor Ort alles geregelt und völlig unabhängig von mir, sondern um Service zu<br />

leisten, ja. Um die <strong>Notfallseelsorge</strong>r vor Ort <strong>in</strong> ihrer Arbeit zu stärken und zu<br />

unterstützen. Sonst nicht.<br />

27. A: Jetzt e<strong>in</strong>e Frage, so übergeordnet: Was würden sie denn sagen ist das Schönste<br />

an ihrer Arbeit, die sie hier tun? In der Polizeiseelsorge und <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>.<br />

28. B: Also, nach dem Schönen <strong>in</strong> der Arbeit zu fragen ist schon mutig, weil es e<strong>in</strong>,<br />

e<strong>in</strong>e Arbeit an den Grenzen ist, ja. An den Grenzen des Lebens. An den Grenzen<br />

dessen, was Menschen aushalten können. An den Grenzen dessen, was ich<br />

selber aushalten kann. Das sage ich auch mit bedacht, aber dass ich da für viele<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r und auch Polizeiseelsorger <strong>in</strong> unserer Landeskirche mitspreche,<br />

und immer auch an den Grenzen eigener Fähigkeiten. Die werden täglich und<br />

immer explosiv, ja, so dass man es wirklich nicht übersehen kann, deutlich.<br />

142


Aber dennoch ist die Frage natürlich berechtigt. Also es gibt da etwas<br />

Schönendes, sogar etwas Beglückendes, ganz viel. Es s<strong>in</strong>d D<strong>in</strong>ge, die ich mal so<br />

stichwortartig ihnen, ihnen so unterbreiten möchte. Das e<strong>in</strong>e ist, ich b<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Netz. Ich erfahre hier, was die Kirche <strong>in</strong> unserer Gesellschaft,<br />

<strong>in</strong> unserem Leben ist, <strong>in</strong> all ihren Verästelungen, die ja bis <strong>in</strong>s letzte Dorf, wo<br />

auch immer, h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gehen. Bis <strong>in</strong> die letzten Lebensräume von Menschen, die<br />

sie sich als Nischen aussuchen. Wir gehen <strong>in</strong> die Altenheime, <strong>in</strong> die Schulen, die<br />

Obdachlosen werden nicht vergessen, die Gefangenen werden besucht und so<br />

weiter. Das ist, da zu spüren, wie dieses Netz wirken kann, wenn es denn gut<br />

zusammengeführt ist – das ist schon beglückend.<br />

Beglückend ist auch zu erleben, wie die Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen, denen ich <strong>in</strong><br />

der Arbeit begegne mit unglaublichen Begabungen ausgestattet s<strong>in</strong>d. Also<br />

fernab von irgendwelchen D<strong>in</strong>gen, die man so lernt oder, sondern e<strong>in</strong>fach der<br />

liebe Gott hat die Menschen unglaublich ausgerichtet e<strong>in</strong>fach, ja und das ist toll.<br />

Wirklich beglückend.<br />

Beglückend ist für mich auch, wenn Menschen an den Grenzen ihres, ihres<br />

Lebens oder vielleicht sogar darüber h<strong>in</strong>aus auch schon, wenn sie, wenn auf<br />

e<strong>in</strong>mal sich etwas Neues auftut. Und sei es nur <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Blitzlichtes, e<strong>in</strong>er<br />

kle<strong>in</strong>en Ahnung, ja, die Möglichkeit, ja, irgendwie kann es weiter gehen. Oder<br />

ich f<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>e neue Ausdrucksmöglichkeit. In dieser ganz neuen Erfahrung, wo<br />

ich ganz neu mit mir selber, mit me<strong>in</strong>en, auch mit den Untiefen me<strong>in</strong>er Seele<br />

konfrontiert b<strong>in</strong>, f<strong>in</strong>de ich e<strong>in</strong>e Ausdrucksmöglichkeit für das, was mir wichtig<br />

ist, was mich beschäftigt, was mich beschwert. E<strong>in</strong>e Ahnung haben können, wie<br />

es denn weiter gehen kann. Was denn nun Geme<strong>in</strong>schaft für sie neu bedeuten<br />

kann. Welche Richtung sie weiter suchen möchten. Das ist schon sehr<br />

beglückend.<br />

29. A: Und gibt es auf der anderen Seite auch etwas, was ihnen gar ke<strong>in</strong>en Spaß macht?<br />

30. B: Klar. Klar. Was macht ke<strong>in</strong>en Spaß? Also es gibt Zeiten der Arbeitsverdichtung,<br />

<strong>in</strong> denen der Druck unglaublich steigt. Das, da habe ich dann, manchmal doch<br />

Mühe, mich auf e<strong>in</strong>zelne D<strong>in</strong>ge so zu konzentrieren, dass ich ihnen den Wert<br />

zumesse, der ich ihnen auch, habe ich als Geme<strong>in</strong>depfarrer aber auch erlebt. So<br />

der späte Sommerferienterm<strong>in</strong> <strong>in</strong> Baden-Württemberg, Weihnachten kommt halt<br />

und die Zeit dazwischen ist durch diesen Sommerferienterm<strong>in</strong>, wo und alle <strong>in</strong><br />

der Kirche uns da wirklich, gibt es nur begrenzt Spaß.<br />

Also begrenzt Spaß macht auch das, was die Untersuchungen zeigen, was<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte am meisten stresst. Damit nicht so sehr das Schwere auf der<br />

Strasse, das ist auch unglaublich anstrengend, sondern so das<br />

Organisations<strong>in</strong>terne. Das, was wir so an eigenen Strukturen haben oder auch an<br />

eigenen persönlichen Bef<strong>in</strong>dlichkeiten, die e<strong>in</strong>en manchmal am Arbeiten fern<br />

halten. Besser: Das kann <strong>in</strong> diesem Bereich auch nur, weil e<strong>in</strong>fach die<br />

Geschw<strong>in</strong>digkeit, <strong>in</strong> der Strukturen erarbeiten und wieder über den Haufen, sich<br />

überlegen, und wie fachliche und strukturelle Notwendigkeiten entwickelt und<br />

auch wieder über den Haufen geworfen werden, die ist e<strong>in</strong>fach enorm groß. Die<br />

ist enorm groß. Und muss es ja zu Reibungsverlusten kommen. Die s<strong>in</strong>d aber<br />

anstrengend. Ich würde mir wünschen, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>nden unserer<br />

Kirche <strong>in</strong>nerhalb der Kirche e<strong>in</strong>en besseren Ruf hätten und mehr, darunter leide<br />

ich schon manchmal, wenn ich so sehe, wie Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer schon ohne<br />

143


<strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>fach übergebühr zugedeckt s<strong>in</strong>d. Und dann noch die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, dann _____.<br />

31. A: Gibt es denn da Ansätze, wie man das angehen könnte?<br />

32. B: Also, da habe ich viele Ideen. Also diese vielen Ideen kommen auch <strong>in</strong> den<br />

wenigsten Fällen von mir, sondern dass s<strong>in</strong>d immer wieder Leute, die mir<br />

zutragen, was eben gut gel<strong>in</strong>gt und wo sie sich dann selber Entlastung schaffen<br />

können. Ja, da gibt es viele Ansätze. Und das gehört so mit zu den Bereichen,<br />

wo ich denke, wenn Fachaufsicht, wo mir schon ke<strong>in</strong>er erklären kann, was das<br />

ist, dann <strong>in</strong> diesem Bereich. Wo man sich wirklich e<strong>in</strong>e Entlastung schaffen<br />

kann, damit man gerne se<strong>in</strong>e Arbeit machen kann. Der liebe Gott der schafft se<strong>in</strong><br />

Reich. Wir machen das nicht. Da können wir noch so sehr uns kaputt arbeiten.<br />

Wir machen es nicht.<br />

33. A: Genau. Dann würde ich gerne zum zweiten Thema kommen, und zwar zu<br />

Strukturen und den Grundlagen. Ich glaube wir müssen jetzt immer e<strong>in</strong> bisschen<br />

zweigleisig fahren, also auf der e<strong>in</strong>en Seite die Polizeiseelsorge ansprechen und<br />

die <strong>Notfallseelsorge</strong>…<br />

34. B: Sie fragen, was sie <strong>in</strong>teressiert.<br />

35. A: Genau. Also mich würde jetzt dann <strong>in</strong>teressieren, seit wann es zum e<strong>in</strong>en die<br />

Polizeiseelsorge und zum anderen aber die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit gibt?<br />

36. B: Die ganzen historischen Wurzeln, ok, das hätte ich jetzt noch mal nachlesen<br />

müssen, um ihnen das so flüssig, so flüssig sagen zu können. Die<br />

Polizeiseelsorge hat ihre Wurzeln tatsächlich auch aus der Militärseelsorge. Ja,<br />

das s<strong>in</strong>d so die historischen Wurzeln. Daran, ja, also zwei D<strong>in</strong>ge. Zum e<strong>in</strong>en,<br />

man hat früh gesehen, dass es nötig ist, Menschen die e<strong>in</strong>fach mit Leid und mit<br />

Gewalt überwiegend auch zu begleiten. Und zwar sowohl geistlichseelsorgerlich,<br />

wie auch ethisch, solidarisch-kritisch. Ja, das war also relativ früh.<br />

Da dann, sowohl die Militärseelsorge aktuell, als auch die Polizeiseelsorge, wir<br />

beide s<strong>in</strong>d froh, beide Arbeitsbereiche s<strong>in</strong>d froh, dass wir die frühen Zeiten der<br />

Militärseelsorge überwunden haben.<br />

Also die Polizeiseelsorge <strong>in</strong> Baden-Württemberg gibt es seit den frühen 60er<br />

Jahren. Das ist relativ früh. Das war das Katastrophenpfarramt bereits hier <strong>in</strong><br />

diesen Räumen, noch viel größer zusammen mit Verkehrsfragen, das wir heute<br />

jetzt nun endlich <strong>in</strong> diesen Tagen abgelegt haben, so die letzten Tage. Alles<br />

wichtig, aber ich sage mal, nicht mehr zu leisten. Ja und die Polizei und die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, die s<strong>in</strong>d dann, jetzt muss ich aufpassen, dass ich die beiden<br />

Stränge auch zusammen halte, also Polizeiseelsorge lassen wir mal so. Ja, lassen<br />

wir mal so. Wichtig ist mir noch, dass unterschiedliche Landeskirchen<br />

strukturieren die Polizeiseelsorge unterschiedlich. Da gibt es, da gibt es Kirchen,<br />

die sagen, für diese Aufgabe richten wir Sonderpfarrstellen e<strong>in</strong>, voll und ganz,<br />

wie zum Beispiel Württemberg. Und da gibt es Kirchen, die sagen, wir richten<br />

regionale Zuständigkeiten e<strong>in</strong> und deswegen gibt es da Teilaufträge, die<br />

gebunden s<strong>in</strong>d an Geme<strong>in</strong>de- oder _____aufträge, wie <strong>in</strong> struktureller<br />

Unterschiedenheit, die ist, ja, die haben wir <strong>in</strong>zwischen gut verankert. Wir<br />

arbeiten halt im Bundesland eng vernetzt.<br />

144


<strong>Notfallseelsorge</strong>, da gibt es, da gibt es so e<strong>in</strong> paar Ereignisse, die e<strong>in</strong>fach<br />

deutlich s<strong>in</strong>d. Ramste<strong>in</strong>. Bild-Zeitung titulierte: „Wer hilft den Helfern?“. Sich<br />

da, ne<strong>in</strong> sie s<strong>in</strong>d viel zu jung. Aber das war e<strong>in</strong> Aufschrei, das war e<strong>in</strong> Aufschrei<br />

durch die, durch die Presse-Landschaft und hat an vielen Leuten und <strong>in</strong><br />

Situationen auch stark gerüttelt. E<strong>in</strong> Feuerwehrmann der sich, der sich _____<br />

aufgrund der belastenden Erfahrungen, wer hilft den Helfern. Eschede. Da<br />

waren wir viel weiter. Viel weiter. Auch vor me<strong>in</strong>er Zeit. Glücksfall, dass e<strong>in</strong><br />

Kirchenkonvent <strong>in</strong> der Nachbarschaft tagte und dass dann Türen aufg<strong>in</strong>gen,<br />

viele Kirchenleute rausströmten und dann als <strong>Notfallseelsorge</strong>r tätig waren. Und<br />

wo dann deutlich wurde, wie wichtig e<strong>in</strong>e solche psychosoziale Unterstützung<br />

für die unverletzt Betroffenen, für die Angehörigen, für die Rettungskräfte nötig<br />

ist. Dies alles wurde deshalb so unverzichtbar und die Notwendigkeit wurde<br />

auch deshalb so deutlich <strong>in</strong> der Gesellschaft, weil <strong>in</strong> den unterschiedlichen<br />

Organisationen unterschiedliche Menschen auf eigene Initiative h<strong>in</strong> tätig wurden.<br />

Die hatten e<strong>in</strong>e Idee, dass das wichtig ist, und haben an dieser Idee festgehalten,<br />

haben da andere Verrückte gesucht und haben oft gegen Widerstände <strong>in</strong> den<br />

eigenen Häusern, dies auch durchgesetzt. Ohne diese Menschen, die da, die da,<br />

so sich das auf die eigene Mütze geschrieben haben, wäre das bis heute nicht so<br />

wie es jetzt ist. Das hat wiederum manchmal <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> zur Folge,<br />

dass an bestimmten, <strong>in</strong> bestimmten Bereichen diese Leute noch sitzen und das<br />

die es manchmal schwer haben, eigene personengebundene Initiativen <strong>in</strong><br />

personenunabhängige Institutionen zu überführen, weil es e<strong>in</strong>fach noch ihr<br />

eigenes ist. Kann ich mir vorstellen. Ich glaube das gibt es <strong>in</strong> anderen Bereichen,<br />

ich glaube das gibt es <strong>in</strong> allen Bereichen, wo Menschen e<strong>in</strong>ander helfen und wo<br />

dann Strukturen dafür _____, dass Menschen e<strong>in</strong>fach an diesem Helfen, an ihrer<br />

Initiative auch festhalten. Wir leben ja auch davon, dass Menschen ihre<br />

Begabungen da ganz <strong>in</strong>dividuell und auch auf eigenen Antrieb e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den. Und<br />

da müssen wir auch damit leben und deswegen können wir nicht e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>en<br />

harten Schnitt machen und sagen, alle Initiativen werden abgeschafft und<br />

Institutionen werden, so. Sondern das wollen wir, lieber zwei Schritte langsamer<br />

und das alles mitnehmen und die Geschichte würdigen. Ich gebe ihnen aber noch<br />

e<strong>in</strong> paar D<strong>in</strong>ge zu lesen mit, wo sie das kurz und knapp noch mal nachlesen<br />

können.<br />

37. A: OK. Wie viele Seelsorger s<strong>in</strong>d denn hier jetzt, ja, <strong>in</strong> ihrer Region oder <strong>in</strong> ihrem<br />

Arbeitsbereich ihnen untergeordnet? Also, sie haben ja gesagt, sie haben die<br />

Fachaufsicht über die <strong>Notfallseelsorge</strong>r. Wie viele s<strong>in</strong>d das?<br />

38. B: Also das Wort untergeordnet würde ich gar nicht so gerne, gerne lesen. Das<br />

würde auch, das würde auch mehr auf die Dienstaufsicht zutreffen. Bei der<br />

Fachaufsicht ist das nicht so. Das ist so nebengeordnet und da b<strong>in</strong> ich mehr so<br />

die Servicestelle, weil eben ke<strong>in</strong>e Dienstaufsicht dabei ist. Aber wir denken,<br />

dass jede Pfarrer<strong>in</strong>, jeder Pfarrer bei uns e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r ist, weil das<br />

e<strong>in</strong>fach dazu gehört. Immer mehr Ehrenamtliche gesellen sich dazu, auf<br />

unterschiedliche Weise. Nicht alle Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer machen mit, aber<br />

wir werden zwischen zwölf und fünfzehnhundert <strong>Notfallseelsorge</strong>r se<strong>in</strong>. Muss<br />

man sich auf der Zunge zergehen lassen.<br />

145


39. A: Ja, das s<strong>in</strong>d sehr viele. Ja, dann hab ich die Frage, wie wird denn diese<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit, die sie jetzt hier koord<strong>in</strong>ieren, f<strong>in</strong>anziert oder wer ist da<br />

der Träger?<br />

40. B: Die Kirche, ausschließlich. Das ist über Kirchensteuermittel f<strong>in</strong>anziert.<br />

41. A: Ja, aber das ist doch nicht <strong>in</strong> jeder Region so?<br />

42. B: Doch.<br />

43. A: Ja? Also, ich hab jetzt zum Beispiel auch gelesen, dass es manchmal so ist, dass<br />

es auch beim Katastrophenschutz irgendwie mit angesiedelt ist. Geht es da nur<br />

um die Alarmierung?<br />

44. B: Nur das. Da geht es allenfalls um die Farbe von Westen. Also, oder um das<br />

Bereitstellen e<strong>in</strong>en Piepsers. Das kommt dann aus dem Bereich<br />

Katastrophenschutz. Aber die Sachkosten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Bereich so ger<strong>in</strong>g, dass<br />

man die echt vernachlässigen kann. Also die Personalkosten s<strong>in</strong>d bei weitem das<br />

Wichtigste. Ne<strong>in</strong>, das trägt die Kirche und sie bekommt auch ke<strong>in</strong>en Ersatz<br />

dafür.<br />

45. A: Gibt es da auch, also wird das alle<strong>in</strong>e von der Kirche jetzt getragen oder gibt es<br />

da auch so auf Spendenbasis oder <strong>in</strong> die Richtung noch mal Punkte, wo<br />

unterstützt wird?<br />

46. B: Also das gibt es durchaus regional. Also jetzt weniger auf der Landesstelle,<br />

dafür ist das zu anonym. Aber das gibt es durchaus regional. Es wird e<strong>in</strong><br />

Gottesdienst gestaltet und es wird e<strong>in</strong> Opfer e<strong>in</strong>gesammelt, um bestimmte<br />

Sachkosten der <strong>Notfallseelsorge</strong> bereitzustellen oder was auch immer. Ja, das<br />

gibt es.<br />

Und es gibt e<strong>in</strong>e Ausnahme. Es gibt e<strong>in</strong>e Stelle <strong>in</strong> Stuttgart. E<strong>in</strong>e 50%-Pfarrstelle<br />

für <strong>Notfallseelsorge</strong>, weil der Bereich Stuttgart e<strong>in</strong>fach viele besondere<br />

Aufgaben auch erfordert, die wird zur Hälfte von der Stadt Stuttgart mitgetragen.<br />

Das ist e<strong>in</strong> Modell, wo ich sagen würde, weiter so.<br />

47. A: Dann würde ich gerne e<strong>in</strong>e Zwischenfrage e<strong>in</strong>fügen. Und zwar habe ich gestern<br />

im Interview mit Herrn von Wietersheim, der hat mir erzählt, dass es zum<br />

Beispiel Ansatzpunkte gibt, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit die Pfarrer leisten,<br />

irgendwie <strong>in</strong> manchen Kirchen jetzt vergütet werden. Also zusätzlicher E<strong>in</strong>satz<br />

oder so. Wie ist das hier eigentlich? Ist es e<strong>in</strong>fach im Deputat e<strong>in</strong>es Pfarrers mit<br />

dr<strong>in</strong>, ganz normal, dass er das mit zu erledigen hat oder gibt es darüber h<strong>in</strong>aus<br />

auch schon Überlegungen?<br />

48. B: Also, da staune ich. Ich weiß gar nicht, wo er das her hat. Wir saßen zusammen<br />

im Bundesvorstand der „Konferenz Evangelische <strong>Notfallseelsorge</strong>“, aus der er<br />

jetzt ausgestiegen ist und ich b<strong>in</strong> auch im „Bundesamt für Bevölkerungsschutz<br />

und Katastrophenhilfe“ <strong>in</strong> den Netzwerkprozess e<strong>in</strong>gebunden, Konsensusprozess<br />

Psychosoziale Notfallversorgung. Ich gebe ihnen das erste Ergebnis mal<br />

schriftlich mit, dass sie sich etwas darunter vorstellen können. Ne<strong>in</strong>, das ist mir<br />

nicht bekannt.<br />

146


49. A: Ja, ich habe glaube ich vergessen zu sagen, dass es bei der katholischen Kirche<br />

ist. Aber die arbeiten dort ja sehr vernetzt zusammen. Also die katholische<br />

Kirche macht das für ihre Pfarrer.<br />

50. B: Das ist durchaus denkbar, dass es da irgendetwas gibt. In Baden-Württemberg<br />

aber nicht. Also ich müsste mich ganz schwer täuschen. Ich behaupte das gibt es<br />

nicht, allenfalls bei koord<strong>in</strong>ierenden Stellen. Bei den Menschen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e solche Alarmierung mit e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> E<strong>in</strong>satzpläne mit e<strong>in</strong>gebunden<br />

s<strong>in</strong>d, gibt es das nicht. Das Thema kam zur Sprache im Konsensusprozess, denn<br />

es gibt durchaus Berufsgruppen, die mit Menschen <strong>in</strong> Notfällen zu tun haben<br />

oder es haben wollen, die da sich Ressourcen erschließen wollen. Und die dann<br />

sagen, ne<strong>in</strong>, das können nur Psychologen machen, das können nur Psychiater<br />

machen, die müssen entsprechend vergütet werden. Da kann ich nur sagen,<br />

Leute, wo ihr nach Ressourcen sucht, da schöpfen wir aus Ressourcen, als<br />

Kirche. Das ist e<strong>in</strong>fach so. Ich fände es auch unanständig, an dieser Stelle, Geld<br />

zu verlangen und sich dann auch noch Volkskirche zu nennen. Ne<strong>in</strong>, das ist e<strong>in</strong><br />

kirchlicher Urauftrag.<br />

51. A: OK. Dann würde mich <strong>in</strong>teressieren, wie die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit denn<br />

evaluiert wird?<br />

52. B: Wie wird sie evaluiert? Sie wird wissenschaftlich begleitet. Da ist die Uni<br />

Magdeburg federführend, aber auch die Uni Freiburg. Sie wird, sie wird<br />

strukturell auf Bundesebene durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und<br />

Katastrophenhilfe untersucht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ziemlich langen, ziemlich langen Prozess.<br />

Die Geschichte können sie auf der BBK-Seite runterladen, kostenlos, sich auch<br />

kostenlos schicken lassen. Wir haben vor Ort Supervisionen. Immer wieder<br />

Fortbildungen. Und stehen jetzt vor der wissenschaftlichen Begleitung der<br />

Auswertung des E<strong>in</strong>satzes <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden und Wendl<strong>in</strong>gen durch das Bundesamt<br />

für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Die stellen also<br />

wissenschaftliches Instrumentarium her und br<strong>in</strong>gen das sozusagen an die Leute<br />

und werten es dann wissenschaftlich aus.<br />

53. A: Sie haben ja vorh<strong>in</strong> auch schon angesprochen, dass es ehrenamtliche<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r gibt <strong>in</strong> ihrem Bereich und ich würde gerne wissen, wie<br />

kommen ehrenamtliche <strong>Notfallseelsorge</strong>r jetzt dazu oder zu dieser Arbeit? Und<br />

wie wird dann vielleicht auch festgestellt, ob sich die dazu eignen? Oder ob sie<br />

die notwendigen Kompetenzen mitbr<strong>in</strong>gen.<br />

54. B: Ja das ist, das ist e<strong>in</strong>e Frage, die gar nicht so leicht ist. Rettungsdienste tun sich<br />

da leichter. Wenn sie nun sehen wie das DRK se<strong>in</strong>e Mitarbeiter im<br />

Notfallnachsorgedienst auswählt, ich weiß das deshalb, weil ich, weil ich an<br />

dieser Auswahl auch beteiligt war im Landkreis Böbl<strong>in</strong>gen-S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen, wo wir<br />

harte Kriterien formuliert haben, ja, ganz harte Kriterien und die auch<br />

angewandt haben. Gleichzeitig hat das DRK aber die Vorgabe, es darf<br />

niemanden, der sich ehrenamtlich engagiert, engagieren möchte, wegschicken.<br />

So, sie muss jedem, der das will e<strong>in</strong>en Platz sozusagen im Unternehmen, <strong>in</strong> der<br />

E<strong>in</strong>richtung gewähren. Erstaunlich. Wir Kirchen sagen, wir haben e<strong>in</strong>e<br />

grundsätzliche Eignung bei allen Menschen, die e<strong>in</strong>e kirchliche Ausbildung<br />

147


haben. Alle die seelsorgerlich, religionspädagogisch, diakonisch ausgebildet<br />

s<strong>in</strong>d, haben mal grundsätzlich e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung der Eignung erfüllt.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Voraussetzung für die Eignung ist absolute Verschwiegenheit. Da<br />

s<strong>in</strong>d wir, aber das ist ja sowieso e<strong>in</strong> kirchliches Markenzeichen. Bei den<br />

Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrern, bei den ord<strong>in</strong>ierten Geistlichen mal sowieso.<br />

E<strong>in</strong>e weitere ist e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> tadelloser Leumund. Wenn da nicht die Bild-Zeitung<br />

kommt und das Lotterleben filmt, dann ist das me<strong>in</strong>e ich, so. Für mich ist e<strong>in</strong>e<br />

ganz wichtige Voraussetzung auch die der Motivation des Helfens. Warum<br />

begebe ich mich dort h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>? Das ist aber e<strong>in</strong>e Geschichte, die kannte ich schon<br />

als, als, die kann man nur im E<strong>in</strong>zelfall prüfen. Und das ist auch etwas, das sich<br />

im Verlaufe der E<strong>in</strong>sätze dann auch vollends heraus stellt. Nicht nur nach außen<br />

h<strong>in</strong> deutlich wird, sondern viele werden sich auch im Laufe der E<strong>in</strong>sätze über<br />

die Eigenmotivation noch mal mehr im Klaren. Helfen bedeutet ja auch, ist ja<br />

zwiespältig. So, das muss wachsen, das ist klar.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Geschichte, die ich persönlich ganz wichtig f<strong>in</strong>de. Jemand, der<br />

durch persönliche Krisen gegangen ist und sagt, ich habe Hilfe erfahren und<br />

möchte weitergeben, kann e<strong>in</strong>e ganz tolle Qualifikation se<strong>in</strong>. Auch wenn es<br />

bisschen e<strong>in</strong>e bittere Qualifikation natürlich ist. Aber es sollte e<strong>in</strong>, es sollte e<strong>in</strong><br />

zeitlicher Abstand se<strong>in</strong>. Wir wissen, dass Zeit nicht alle Wunden heilt und<br />

deswegen ist es ganz schwierig zu sagen, nach e<strong>in</strong>er gewissen Zeitphase bist du<br />

<strong>in</strong> der Lage dazu, das kann man nur ganz schwer sagen. Das muss man e<strong>in</strong>fach<br />

mite<strong>in</strong>ander bereden. Ich habe für mich so e<strong>in</strong> Zeitfenster von drei Jahren<br />

aufgestellt. Und dann natürlich die Bereitschaft sich ständig fortzubilden. Die<br />

Bereitschaft zur Supervision. Die Bereitschaft eigene E<strong>in</strong>sätze zu reflektieren.<br />

Die Bereitschaft e<strong>in</strong>en Fortbildungsgang zu besuchen. Die Bereitschaft, sich <strong>in</strong><br />

die Rufbereitschaften e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den zu lassen und natürlich auch, sich <strong>in</strong> diese<br />

Blaulicht-Milieu mit e<strong>in</strong>er kritischen Solidarität h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zugehen. Blaulicht-<br />

Erotiker können wir nicht brauchen.<br />

55. A: Wenn jetzt, also wichtig ist es ja, dass die, die im E<strong>in</strong>satz s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> auch ihre eigenen Grenzen kennen.<br />

56. B: Ja, das ist Teil der Ausbildung.<br />

57. A: Genau. Ja, wie geht man damit um, wenn sich die Grenzen aber verschieben? Ja,<br />

oder jemand über die Grenzen h<strong>in</strong>aus geht? Also egal, ob das jetzt e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r ist, der e<strong>in</strong>e kirchliche Ausbildung hat oder aber auch e<strong>in</strong><br />

ehrenamtlicher Mitarbeiter.<br />

58. B: Das ist unproblematisch, weil das alltäglich ist. Ich habe ihnen das vorher ja<br />

schon geschildert, dass das auch mitunter e<strong>in</strong>e persönliche Erfahrung ist. Ist<br />

eben an der Grenze und wenn man immer an der Grenze ist, dann schaut man<br />

schon mal auf die andere Seite der Grenze, ganz klar, ganz klar. Und dort also<br />

da geht man, da geht man erstens durch Fachlichkeit, nicht durch so e<strong>in</strong>e falsch<br />

verstandene Professionalität, durch die, die alles aus e<strong>in</strong>er großen fachlichen<br />

Distanz und Ferne anschaut und dann souverän mit solchen D<strong>in</strong>gen umgeht.<br />

Ne<strong>in</strong>, Professionalität schließt gerade e<strong>in</strong>, dass man sich dieser Grenzen auch<br />

bewusst wird, dass man weiß wo wir leben, dass man auch schon mal<br />

Erfahrungen hat, dass man weiß wie es ist, wenn man die nicht beachtet und<br />

dass man e<strong>in</strong> Handwerkszeug an die Hand kriegt, was mache ich, wenn es nicht<br />

148


mehr geht. Und die Strukturen sehen das ausdrücklich vor. Es gibt die<br />

Möglichkeit der Nachalarmierung. Es gibt den, den Grundsatz, allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der<br />

Idealvorstellung nur, niemals alle<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satz zugehen, sondern immer zu<br />

zweit, aus diesem Grunde. Es gibt den Grundsatz jeden E<strong>in</strong>satz nach zu<br />

besprechen. Wir empfehlen allen, die e<strong>in</strong>e Führungsfunktion haben vor Ort und<br />

die Menschen <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satz schicken, nach jedem E<strong>in</strong>satz zurückzufragen, was<br />

war und wie geht es dir und bist du heil wieder angekommen. E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz fängt<br />

an, wenn der, wenn man den Hörer abnimmt und die Leitstelle ist am Telefon<br />

und der hört nicht erst auf, wenn man zu Hause ist, sondern erst dann, wenn<br />

auch die Seele wieder zu Hause ist. Ist im Alltag ganz schwer durchzusetzen.<br />

Aber umso gebetsmühlenartiger wiederhole ich das. Man kann nicht morgens<br />

um sieben vom E<strong>in</strong>satz kommen und um acht vor der Schulklasse stehen. Damit<br />

wird man ke<strong>in</strong>em gerecht. Und man muss es auch nicht.<br />

59. A: Aber gibt es nicht manchmal auch <strong>Notfallseelsorge</strong>r, die sich dessen vielleicht<br />

auch bewusst s<strong>in</strong>d, aber sagen, ok, ich muss jetzt aber weiter funktionieren und<br />

das dann auch nicht mehr beachten?<br />

60. B: Ja, das ist, das ist nicht nur e<strong>in</strong>e Frage des eigenen Selbstverständnisses und der<br />

eigenen Motivation. Das spielt alles auch h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Da wo es nur auf solche D<strong>in</strong>ge<br />

zurückzuführen ist, da habe ich große Bedenken. Sondern oftmals ist es auch, ist<br />

es auch e<strong>in</strong>e Frage ganz normaler Belastungsreaktionen. Ich funktioniere, me<strong>in</strong>e<br />

Wahrnehmung auch muss funktionieren. Und dann kann ich das nicht steuern,<br />

sondern dann geht das weiter, ja. Ich muss me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz und das muss gehen.<br />

Und nach dem E<strong>in</strong>satz, das ist me<strong>in</strong> Geschäft und ich muss me<strong>in</strong>e Pflicht<br />

erfüllen. Aber irgendwann kommt dann das Bewusstse<strong>in</strong>, so es geht nicht mehr.<br />

Und dann müssen da, dann ist das klar, dass die Solidarität der <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

nicht nur unter Menschen <strong>in</strong> Not besteht, sondern auch untere<strong>in</strong>ander. Und das<br />

funktioniert.<br />

61. A: Ja, jetzt möchte ich noch mal zu dem Punkt kommen, wie denn e<strong>in</strong>e Ausbildung<br />

zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r aussieht? Oder auch, wie dann die Fortbildungen<br />

aussehen.<br />

62. B: Genau. Ausbildung habe ich schon gesagt. Setzt also, unser Ausbildungsgang<br />

setzt e<strong>in</strong>e abgeschlossene Berufsausbildung im kirchlichen Bereich voraus und<br />

darauf baut dann e<strong>in</strong> Fortbildungsgang auf. Die vier Kirchen <strong>in</strong> Baden-<br />

Württemberg haben e<strong>in</strong>en solchen Fortbildungsgang konzipiert und entwickeln<br />

ihn ständig weiter. Und beziehen <strong>in</strong> diesen Fortbildungsgang die Partner mit e<strong>in</strong>.<br />

Das ist e<strong>in</strong> dreigliedriger Fortbildungsgang. Der erste Teil ist e<strong>in</strong>e Woche<br />

Fortbildung an der Landesfeuerwehrschule <strong>in</strong> Bruchsal, zusammen mit<br />

Feuerwehrthemen und Rettungsdienstthemen. Danach folgt e<strong>in</strong> zweiter<br />

Ausbildungsgang <strong>in</strong> den Landkreisen vor Ort, <strong>in</strong> den Kirchenbezirken. An den,<br />

an den Kursen darf nur jemand teilnehmen, der von se<strong>in</strong>er, von dem<br />

Regionalverantwortlichen <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> auf diesen Kurs entsandt wird.<br />

Und das bedeutet, wir wollen den, ja, wir halten den für geeignet oder die, und<br />

wir b<strong>in</strong>den sie <strong>in</strong> unsere Rufbereitschaft e<strong>in</strong> und die lässt sich auch e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den.<br />

Diese Voraussetzung muss gegeben se<strong>in</strong>.<br />

Und im zweiten Ausbildungsteil machen die dann konkrete E<strong>in</strong>satzerfahrungen<br />

vor Ort zusammen mit Menschen dort vor Ort, und die werden dann <strong>in</strong><br />

149


Gruppensupervisionen bearbeitet. Die Supervisionen gehören _____. Im Herbst<br />

gibt es dann e<strong>in</strong>en dritten Teil an der Akademie der Polizei <strong>in</strong> Freiburg. Dort<br />

kommen dann naturgemäß die, die E<strong>in</strong>satzerfahrungen zur Ausbildung, die<br />

enger mit der Polizei zu tun haben. Aber auch das Thema Psychotraumatologie.<br />

Und dann gibt es e<strong>in</strong>e Teilnahmebesche<strong>in</strong>igung von den vier Kirchen und<br />

dann…<br />

63. A: … kann man loslegen. Und was für Angebote gibt es jetzt <strong>in</strong> Richtung, sage ich<br />

jetzt mal, weiterführende Fortbildungen, die man dann machen kann, wenn man<br />

als <strong>Notfallseelsorge</strong>r im E<strong>in</strong>satz ist?<br />

64. B: Alles, was sie sich vorstellen können. Also wir gehen davon aus, dass es<br />

regelmäßige Fortbildungsabende <strong>in</strong> den, <strong>in</strong> den Systemen vor Ort gibt. Alle<strong>in</strong><br />

schon um die _____ zu reflektieren, um die eigenen, um die Strukturen weiter zu<br />

überprüfen und entsprechend anzupassen. Und die werden dann verbunden mit<br />

<strong>in</strong>haltlichen Themen. Diese <strong>in</strong>nerlichen Themen dienen aber auch, also zum<br />

e<strong>in</strong>en natürlich der Fortbildung des E<strong>in</strong>zelnen, zum anderen aber auch zur<br />

Vernetzung vor Ort. Dazu gehören solche Themen wie, Kontakt zu den<br />

verwaisten Eltern. Also solche, solche Trauernetzwerke die kriegt man dann h<strong>in</strong>,<br />

wenn man auch außerhalb von Katastrophen mit ihnen spricht und dann e<strong>in</strong>e<br />

Brücke schlägt. Das gleiche gilt für die Religionsgeme<strong>in</strong>schaften vor Ort. Wir<br />

haben es ja auch mit Menschen zu tun, die anderen Religionen angehören. Dann<br />

müssen wir uns, da müssen wir wissen, wie kommen die vor Ort vor? Was<br />

passiert denn, wenn denen was passiert? Wen können wir holen? Schon alle<strong>in</strong><br />

als Dolmetscher, aber auch als e<strong>in</strong> Übersetzer unterschiedlicher Kulturen. So, da<br />

kann man e<strong>in</strong>fach mal viel Gutes tun.<br />

Menschen aus den Beratungsstellen vor Ort, die s<strong>in</strong>d unglaublich qualifiziert, <strong>in</strong><br />

Themen, die uns nicht jeden Tag beschäftigen, die fragt man ab. E<strong>in</strong>e andere,<br />

auch noch für solche Abende, s<strong>in</strong>d die Bestatter. Aber auch das Thema, aber<br />

auch das Thema, wie funktioniert so e<strong>in</strong> Rettungsdienst vor Ort? Wie<br />

funktioniert e<strong>in</strong>e Leitstelle? Was macht die Polizei unter dem Stichwort<br />

Betreuung? Das s<strong>in</strong>d alles mögliche Fortbildungsthemen.<br />

65. A: Die aber jetzt nicht vorgeschrieben s<strong>in</strong>d.<br />

66. B: Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>, werden nicht vorgeschrieben.<br />

67. A: Sondern da kann jeder Ort quasi sagen, ok, also das oder das brauchen wir jetzt<br />

gerade noch.<br />

68. B: Ja, die ergeben sich. Also Leute, die da tätig s<strong>in</strong>d und die solche Erfahrungen<br />

machen, die muss man <strong>in</strong> aller Regel nicht auch noch zusätzlich motivieren<br />

Fortbildungen zu machen. Die haben davon ganz viel Notwendiges, meist mehr<br />

als sie realisieren können, von der Zeit her.<br />

69. A: OK. Ich würde jetzt gerne noch mal auf die andere Seite gehen. Also, ja, e<strong>in</strong><br />

Stück weit weg von den Seelsorgern, h<strong>in</strong> zu denen, die Seelsorge brauchen oder<br />

<strong>in</strong> Erfahrung, ja, bekommen. Welche Erwartungen und Wünsche haben denn<br />

jetzt Betroffene, also seien es Opfer, aber auch Angehörige und Rettungskräfte?<br />

150


Welche Erfahrungen, ne<strong>in</strong>, welche Erwartungen haben die an die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>?<br />

70. B: Da muss man zunächst e<strong>in</strong>e strukturelle Unterscheidung wieder treffen. Also es<br />

gibt auf der e<strong>in</strong>en Seite die Opfer und Angehörigen und auf der anderen Seite<br />

die E<strong>in</strong>satzkräfte. Von der Geschichte her s<strong>in</strong>d beide bedient worden, von den<br />

Strukturen der <strong>Notfallseelsorge</strong> und der Notfallnachsorge. Aber die Erfahrung<br />

hat gezeigt, dass wir hier differenzieren müssen. Beides erfordert besondere<br />

Strukturen, besondere Fortbildungen, besondere Qualifikationen und kann man<br />

fast nicht mite<strong>in</strong>ander vergleichen.<br />

Anders ist es, wenn e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satzkraft am E<strong>in</strong>satzort zusammenbricht und ganz<br />

deutlich psychische Belastungen erkennbar werden, da hilft man dann<br />

notfallmäßig sofort. Das sollte dann jeder tun, der da ausgebildet ist. Aber<br />

speziell die E<strong>in</strong>satzkräftenachbetreuung braucht ganz spezielle Qualifikationen<br />

dafür. Das ist strukturell auch etwas anderes.<br />

Also jetzt beschränken wir uns mal auf die Opfer und Angehörigen. Was<br />

erwarten die? Zunächst mal sprechen, erwarten die eigentlich, dass ihr Leben<br />

weitergeht wie bisher. Und da ist e<strong>in</strong>e Katastrophe passiert. Orientierung,<br />

Perspektive, gibt es beides nicht mehr. Kann <strong>in</strong> dieser Situation auch nicht<br />

gesehen werden. Und von daher s<strong>in</strong>d die Erwartungen mal zunächst, ja die kann<br />

man nicht fort nehmen. Wir wissen aber, aus der Psychologie, aus der Theologie,<br />

dass es gut wäre, sie würden gerade <strong>in</strong> dieser Zeit, nicht alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong>. Ja, das s<strong>in</strong>d<br />

also so Erwartungen, die so, _____ fachliche Geschichte stattf<strong>in</strong>den. Die heißen,<br />

nicht gegen den Willen betreuen. Heißen aber auch, sorgfältig herausf<strong>in</strong>den, was<br />

denn der Wille ist. Ja, wenn e<strong>in</strong>er schreit, lasst mich hier alle<strong>in</strong> und ich kann<br />

ke<strong>in</strong>en sehen, das ist noch nicht Ausdruck e<strong>in</strong>es Willens, nicht unbed<strong>in</strong>gt. Kann<br />

es wohl se<strong>in</strong>. Kann auch Ausdruck e<strong>in</strong>er Schockreaktion se<strong>in</strong>. Dann wäre es<br />

unter Umständen das Gegenteil. Und da haben dann Opfer und Betroffene<br />

unausgesprochen zu Recht die Erwartung, dass e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r vor Ort,<br />

hier sich um e<strong>in</strong>e Entscheidung aus fachlichen Gesichtspunkten übt und dann<br />

auch e<strong>in</strong>e fachlich begründete Entscheidung trifft. Helfen ja oder ne<strong>in</strong>.<br />

Was, ich sage jetzt mal welche Erwartungen auf ke<strong>in</strong>en Fall da s<strong>in</strong>d. Auf ke<strong>in</strong>en<br />

Fall das Ereignis bewerten. Auf ke<strong>in</strong>en Fall Reaktionen abwerten. Auf ke<strong>in</strong>en<br />

Fall e<strong>in</strong>e Katastrophe, e<strong>in</strong>en Verlust übergriffig behandeln. Ich weiß genau, wie<br />

es dir geht. Oder auch sich distanzlos e<strong>in</strong>em geschockten Menschen an die Seite<br />

zu stellen und sozusagen se<strong>in</strong>e Katastrophe auch zu me<strong>in</strong>er Katastrophe zu<br />

machen. Das entwürdigt das Geschehen. Das entwürdigt auch das, das Opfer<br />

und die Angehörigen.<br />

Aber sehr wohl e<strong>in</strong>en Raum geben, e<strong>in</strong>en Raum eröffnen, <strong>in</strong>nerhalb des<br />

E<strong>in</strong>satzgeschehens, <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er solchen Unglücksstelle, <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Biographie. E<strong>in</strong>en Raum eröffnen, der es dem Individuum erlaubt, se<strong>in</strong>e ihm<br />

nun angemessenen und gegebenen Ausdrucksmöglichkeiten, auch dass man die<br />

Stille und das Schweigen und das Vers<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> sich selbst se<strong>in</strong>. Das mag die<br />

Wut und das Klagen se<strong>in</strong> auf Gott und die Welt. Das mag Verzweiflung se<strong>in</strong> und<br />

auch, sogar auch soziale Veränderungen. Dieser Raum muss her. Und, und die<br />

Leute müssen gestärkt werden. Ihre Ausdrucksmöglichkeiten als legitim und als<br />

notwendig anzusehen.<br />

71. A: Was spielt denn da die Rolle von Ritualen, also sei es zum Beispiel Tote<br />

auszusegnen. Wird so was auch gewünscht?<br />

151


72. B: Ja, das wird gewünscht. Das spielt, Rituale s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e ganz, ganz große<br />

Geschichte. Das fängt schon damit an, ich persönlich wende mich an e<strong>in</strong>er<br />

Unfallstelle oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus, wo es e<strong>in</strong>en Toten gibt, natürlich zunächst den<br />

E<strong>in</strong>satzkräften zu, die mich gerufen haben, um mir e<strong>in</strong>en Überblick zu<br />

verschaffen. Aber anschließend ist me<strong>in</strong> Gang zu den Toten. Und das, das ist e<strong>in</strong><br />

stilles Verharren, auch e<strong>in</strong> stilles Gebet. Und dann wende ich mich den<br />

Angehörigen zu. So, das ist so e<strong>in</strong> erstes Ritual, das ich auch selber brauche.<br />

Dass E<strong>in</strong>satzkräften und Angehörigen aber manchmal auch die Menschenwürde<br />

des Toten _____, so e<strong>in</strong> bisschen unter. Dann ist der Tote sozusagen wieder bei<br />

den Lebenden. Das ist so e<strong>in</strong>e Möglichkeit, das s<strong>in</strong>d so die stillen und<br />

unausgesprochenen. Dann gibt es aber auch, aber auch me<strong>in</strong>e ausgesprochenen<br />

oder unausgesprochenen Wunsch, zu helfen, dass wenn da, wenn der Bestatter<br />

kommt, dass der Tote nicht e<strong>in</strong>fach nur aufgeräumt wird. Oder dass die Familie<br />

sagt, wir müssen jetzt da unseren verunfallten Sohn, unsere verunfallte Tochter<br />

identifizieren und da hätten wir es gern, wenn uns da jemand beisteht. Da haben<br />

Rituale für Menschen aller Wertorientierungen und Religionen e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />

gebenden, e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>tegrierenden S<strong>in</strong>n.<br />

73. A: Ja, jetzt haben sie ja e<strong>in</strong>ige Aufgaben beschrieben, also Stille anzubieten, Raum<br />

zu schaffen, Rituale, Begleitung. Gibt es denn darüber h<strong>in</strong>aus noch Aufgaben,<br />

die e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r vor Ort erfüllen sollte?<br />

74. B: Also so das Handwerkszeug, ja. Die erste Aufgabe heißt für Sicherheit sorgen,<br />

für <strong>in</strong>nere und äußere. Die zweite Aufgabe heißt reden br<strong>in</strong>gen. Den Menschen<br />

ihre, ihre Geschichte erzählen und wahrnehmen und erzählen und ausdrücken<br />

lassen. Und das, das bedeutet emotional, sie dürfen sich entfalten. Dazu müssen<br />

sie den Schutzraum haben, sie müssen dazu gestärkt werden, dass sie auch sich<br />

selber das Gefühl geben, wir dürfen das jetzt tun, das ist jetzt an der Zeit. Und<br />

dann aber auch ihre Geschichte erzählen lassen und dann und bei allem auch das<br />

soziale, das vor Ort den Leuten br<strong>in</strong>gen. Wer könnte jetzt helfen? Was brauchst<br />

du jetzt, um die nächsten Schritte <strong>in</strong> de<strong>in</strong>em Alltag zu machen? Weißt du schon,<br />

wo du die erste Mahlzeit her kriegst? Das Pfarramt verständigen, die<br />

Familienangehörigen verständigen wir, die Diakonie und so…<br />

75. A: … organisatorische Aufgaben.<br />

76. B: Die Brücke dazu, die Brücke zum Alltag.<br />

77. A: Also, jetzt haben sie ja e<strong>in</strong>ige Angebote genannt, die <strong>Notfallseelsorge</strong>r jetzt<br />

bieten. Me<strong>in</strong>e Frage wäre, gibt es denn auch D<strong>in</strong>ge oder Punkte, die sie gerne<br />

hätten, dass e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r auch mit bedenkt, die aber leider nicht möglich<br />

s<strong>in</strong>d oder die nicht geleistet werden können?<br />

78. B: Haben sie da bestimmte Ideen?<br />

79. A: Ne<strong>in</strong>.<br />

80. B: Ne<strong>in</strong>?<br />

152


81. A: Also vielleicht so <strong>in</strong> die Richtung, dass es vielleicht schön wäre, dass e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r im Anschluss auch immer e<strong>in</strong>en Gottesdienst anbietet. Zum<br />

Beispiel. Das aber nicht möglich ist und dann delegiert man zum Beispiel an den<br />

Ortspfarrer. So, vielleicht <strong>in</strong> die Richtung.<br />

82. B: Ach so. Ne<strong>in</strong>, das ist gerade nicht gewünscht. Aus zwei Gründen. Zum e<strong>in</strong>en,<br />

weil <strong>Notfallseelsorge</strong> Hilfe zur Selbsthilfe ist. Wir wollen den, wir wollen den<br />

Betroffenen helfen, ihre eigenen Ressourcen, ihre Selbstheilungskräfte zu<br />

stärken und zu aktivieren. Und das, dazu müssen wir, dazu müssen wir uns<br />

überflüssig machen. Ganz wichtige, ganz wichtige Sache, überhaupt beim<br />

Helfen grundsätzlich, sich überflüssig machen. Hilfe zur Selbsthilfe.<br />

Und das zweite ist, wir arbeiten nicht parallel zu den Ortsgeme<strong>in</strong>den, sondern<br />

wir arbeiten ihnen zu. <strong>Notfallseelsorge</strong> ist e<strong>in</strong>e andere Aufgabe. Und die<br />

Aufgabe, die uns im Gottesdienst, <strong>in</strong> dieser öffentlichen Feier vor Ort<br />

aufzunehmen, zu entwickeln, das kann e<strong>in</strong>e gute Geschichte se<strong>in</strong>, aber das ist<br />

dann eben nicht Teil der Aufgabe der <strong>Notfallseelsorge</strong>, sondern der örtlichen<br />

Geme<strong>in</strong>de.<br />

83. A: Also <strong>Notfallseelsorge</strong> arbeitet immer nur am E<strong>in</strong>satzort und versucht dann<br />

h<strong>in</strong>zuarbeiten, dass es weiter geht.<br />

84. B: So ist es.<br />

85. A: Ja, ok. Dann möchte ich ihnen im letzten Thema noch auf, darauf zu sprechen<br />

kommen, dass <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche ist und wollte fragen,<br />

welche Chancen oder welche Vorteile liegen den dar<strong>in</strong>, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

als e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche…?<br />

86. B: Also zunächst e<strong>in</strong>mal ist, das habe ich am Anfang schon gesagt, e<strong>in</strong>e<br />

naturgegebene Aufgabe. Also, Kirche ist da Kirche, wo sie an der Not der<br />

Menschen teilnimmt. Noch mehr gesagt, wo sie am Leiden Gottes <strong>in</strong> der Welt<br />

teilnimmt. Das ist sehr, sehr e<strong>in</strong>leuchtend.<br />

Chancen für die Kirche. Also Kirche tut das nicht zum Selbstzweck. Ja das,<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> hat e<strong>in</strong>e missionarische Dimension. Die missionarische<br />

Dimension der <strong>Notfallseelsorge</strong> besteht aber nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dar<strong>in</strong>,<br />

Mitglieder zu gew<strong>in</strong>nen und Kirchensteuerzahler zu erhöhen. Sondern die<br />

missionarische Dimension besteht dar<strong>in</strong>, Leben gegen den Augensche<strong>in</strong><br />

aufzuspüren und zu entdecken, ja. Lebenswirklichkeiten <strong>in</strong> allen lebenswidrigen,<br />

das ist die missionarische Dimension. Ich glaube da, das s<strong>in</strong>d Möglichkeiten, wo<br />

unsere Kirche nach <strong>in</strong>nen, aber auch nach außen auf die Gesellschaft h<strong>in</strong>,<br />

wirklich e<strong>in</strong>e ganz tiefe, s<strong>in</strong>nstiftende Funktion hat. Da geht es um<br />

Lebensqualität <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em noch weitaus tieferen S<strong>in</strong>n.<br />

Die volkskirchliche Geschichte, das habe ich schon gesagt. Ich habe auch, also<br />

was mir auch wichtig ist, ist nicht nur der <strong>Notfallseelsorge</strong>r <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

persönlichen Katastrophen, sondern die, auch die, die Kirche als Institution, <strong>in</strong><br />

den gesellschaftlichen Brüchen, die die Gesellschaft als Ganzes oder<br />

Institutionen <strong>in</strong> der Gesellschaft teilnehmen, hat so etwas wie e<strong>in</strong>e<br />

seelsorgerliche Dimension.<br />

In W<strong>in</strong>nenden-Wendl<strong>in</strong>gen haben wir es deutlich gesehen, wie auch, wie auch <strong>in</strong><br />

Erfurt. Da ist e<strong>in</strong> ganzer Landkreis, e<strong>in</strong>e ganze Schule, e<strong>in</strong> ganzer Ort <strong>in</strong> den<br />

153


Grundfesten erschüttert und muss sich wieder neu zusammen ruckeln und f<strong>in</strong>den.<br />

Und da kann Kirche das leisten, das leisten, was der <strong>Notfallseelsorge</strong>r am<br />

E<strong>in</strong>satzort macht. Ausdrucksmöglichkeiten f<strong>in</strong>den, Räume öffnen, e<strong>in</strong> Forum<br />

bilden, e<strong>in</strong> Suchen zulassen, auch e<strong>in</strong> Suchen mal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e falsche Richtung, ja,<br />

das, das alles sozusagen mit unterstützen und mit helfen. Und auch<br />

seelsorgerlich, auch <strong>in</strong> Ritualen, <strong>in</strong> öffentlichen Ritualen mit zu begleiten und zu<br />

____.<br />

87. A: Gibt es denn aber auch Nachteile daraus, dass Kirche <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

agiert? Entstehen da Nachteile?<br />

88. B: Also, es hat kritische Stimmen gegeben und die gibt es auch immer wieder. Die<br />

sagen, Leute, ihr widert euch an gesellschaftliche Strukturen an. Oder ihr widert<br />

euch an, an Rettungsdiensten und an Leuten, die das, die das viel besser machen<br />

können. Das gibt es immer wieder. Ich sehe das nicht so. Die wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen haben den Wert, gerade der <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Psychosozialen Notfallversorgung, herausgestellt. Die haben, nicht weil die<br />

anderen schlechter s<strong>in</strong>d, sondern weil es etwas Eigenes ist. Etwas, das e<strong>in</strong>en<br />

unverzichtbaren Beitrag leisten kann. Ich glaube auch, es tut Kirche und<br />

Gesellschaft gegenseitig gut, wenn man merkt, da, man funktioniert kompatibel.<br />

Man kann die Sprachen lernen. Man kann die Umgangsformen lernen. Man<br />

kann sich <strong>in</strong> Strukturen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begeben und verliert dabei dennoch nicht se<strong>in</strong><br />

eigenes Profil. Ich glaube dass das, dass das gut ist. Aber es ist e<strong>in</strong>e gewisse<br />

theologische Grundentscheidung damit auch verbunden. Nämlich eben, dass<br />

Kirche nicht die Truppe der Gleichges<strong>in</strong>nten ist, sondern etwas Weltweites,<br />

Allumfassendes.<br />

89. A: Ich habe vielleicht auch so <strong>in</strong> die Richtung gedacht, dass es vielleicht auch von<br />

dem her Kritik gibt, dass ja die <strong>Notfallseelsorge</strong>, die jetzt im E<strong>in</strong>satz ist, auch<br />

auf Andersgläubige trifft und deswegen vielleicht die Kritik heraufkommt, dass<br />

man sagt, ok, muss das denn die Kirche machen.<br />

90. B: OK. Diese Kritik muss man sich dann auch der Diakonie, muss dann auch die<br />

Diakonie oder die K<strong>in</strong>dergärten zum Beispiel. Die Erfahrung mit K<strong>in</strong>dergärten<br />

zeigt zum Beispiel, dass konfessionsgebundene K<strong>in</strong>dergärten deutlich toleranter<br />

und <strong>in</strong>tegrativer auch Andersgläubigen gegenüber auftreten als andere. Wir<br />

machen sehr viel, wir haben sehr viele E<strong>in</strong>satzerfahrungen mit Muslime zum<br />

Beispiel und da gibt es überhaupt ke<strong>in</strong>e Hemmungen e<strong>in</strong>en Pfarrer als Pfarrer<br />

anzuerkennen. Sogar liturgisch, das umgekehrte undenkbare. Aber wir haben da<br />

schon erstaunliche Sachen erlebt und wissen sehr sensibel, dass wir ihnen nicht,<br />

weder unsere Rituale noch unsere Überzeugungen, aufstülpen dürfen. Aber wir<br />

haben, wir haben e<strong>in</strong> Gespür für das Bedürfnis von Ritualen, unabhängig von<br />

der Religiosität oder der Religionszugehörigkeit. Und haben auch e<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>e so<br />

hohe Verantwortlichkeit, dass wir e<strong>in</strong>en religiösen Menschen e<strong>in</strong>er anderen<br />

Konfession oder Religion auch dann zukommen lassen wollen, was er braucht,<br />

und sei es, dass der Imam kommen muss. Natürlich haben die <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

dessen Telefonnummer <strong>in</strong> der Tasche.<br />

91. A: Dann e<strong>in</strong>e letzte Frage, wie sich denn noch mal genau die <strong>Notfallseelsorge</strong> zum<br />

Notfallnachsorgedienst oder zur Krisen<strong>in</strong>tervention abgrenzt. Also es s<strong>in</strong>d zwar<br />

154


verschiedene Träger, aber gibt es h<strong>in</strong>aus auch noch Punkte, wo man sagen kann,<br />

ok, <strong>in</strong> diesen Punkten grenzt es sich noch mal deutlich ab.<br />

92. B: Also als erstes muss man sagen, hier wächst e<strong>in</strong>e vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit. Die auch immer mehr geme<strong>in</strong>same Strukturen f<strong>in</strong>det. Und<br />

dann, dann ist die Kompetenz nie ausschließlich beim e<strong>in</strong>en oder beim anderen<br />

vorhanden. Aber wir Kirchen haben mal die, e<strong>in</strong>e rituelle Kompetenz, das wäre<br />

so e<strong>in</strong> Markenzeichen. Ohne dass ich jetzt sage, das wäre bei den anderen gar<br />

nicht vorhanden. Aber das ist eher doch e<strong>in</strong> größeres Merkmal. Dann die Frage,<br />

was tut sich an den Grenzen des Lebens. Ich glaube, an dieser, an dieser Stelle<br />

s<strong>in</strong>d wir auf besondere Weise e<strong>in</strong> Gesprächspartner. Da s<strong>in</strong>d wir, da s<strong>in</strong>d wir als<br />

Kirche und als Christen auch ganz e<strong>in</strong>fach immer Grenzgänger. Schon von<br />

unserer Religionszugehörigkeit, von unserer Überzeugung her und s<strong>in</strong>d mit den<br />

Betroffenen auf der Suche danach, wie kann man sich auf diese Grenze, was ist<br />

wenn es nicht mehr geht. Was hilft das Gebet? Was ist denn christliche<br />

Hoffnung? Was lässt uns denn e<strong>in</strong> Leben lang? Wie kann ich die Zeichen auch<br />

gel<strong>in</strong>genden Lebens auch angesichts des Todes auch deuten? Wie kann ich ihm<br />

e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n geben? Und wie kann ich vor allem auch die S<strong>in</strong>nlosigkeit von<br />

Katastrophen aushalten? Ich muss denen ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n geben. Das muss ich nicht.<br />

Leben e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n geben, ja. Das s<strong>in</strong>d so _____. Dazu gehören so formale D<strong>in</strong>ge<br />

wie natürlich das Beichtgeheimnis.<br />

93. A: OK. Dann b<strong>in</strong> ich me<strong>in</strong>en Fragen durch und ich danke ihnen herzlich dafür, dass<br />

sie me<strong>in</strong>e Fragen beantwortet haben.<br />

94. B: Ganz gern. Viel Erfolg. Ich wäre froh, wenn ich so mal am Ergebnis teilhaben<br />

könnte.<br />

95. A: Ja, gerne.<br />

155


12.6 Interview mit Friedmar Probst<br />

Interview mit Friedmar Probst,<br />

Koord<strong>in</strong>ierender <strong>Notfallseelsorge</strong>r im Bezirk Rems-Murr-Kreis Süd,<br />

am 06.11.2009 <strong>in</strong> Alfdorf,<br />

im Rahmen der Master-Thesis „Der Beitrag der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

zur Unterstützung von Menschen <strong>in</strong> Krisensituationen“<br />

durch die Student<strong>in</strong> Nadescha Arnold<br />

A = Nadescha Arnold<br />

P = Friedmar Probst<br />

1. A: Gut, dann danke ich ihnen vorweg, dass sie sich bereit erklärt haben, mir für das<br />

Interview zur Verfügung zu stehen.<br />

Ich habe sechs verschiedene Leitthemen und möchte mit dem ersten anfangen.<br />

Da geht es um den Werdegang und die Aufgaben ihrer Person. Und möchte sie<br />

zunächst fragen, was sie von Beruf s<strong>in</strong>d.<br />

2. P: Ich b<strong>in</strong> evangelischer Geme<strong>in</strong>depfarrer, arbeite seit neun Jahren hier <strong>in</strong> der<br />

Evangelischen Kirchengeme<strong>in</strong>de Alfdorf.<br />

3. A: Und seit wann arbeiten sie denn jetzt dann konkret <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>?<br />

4. P: Seit dem Sommer 2001, war das. Ich b<strong>in</strong> damals angefragt worden vom Karl<br />

Laux, der war der damalige Obmann der <strong>Notfallseelsorge</strong>. Und ich habe dann<br />

nach kurzer Bedenkzeit zugesagt.<br />

5. A: OK. Wie sah denn, ja, 2001, ihre Ausbildung zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r aus?<br />

6. P: Tja, die gab es im Grunde nicht. Ich b<strong>in</strong> ja als Pfarrer ausgebildet <strong>in</strong> Seelsorge<br />

und habe dann im Laufe me<strong>in</strong>er Tätigkeit seit Anfang der 80er Jahre natürlich<br />

auch gewisse Berufserfahrung mit Situationen. Und von dem her, br<strong>in</strong>gt man<br />

diese berufliche Kompetenz mit e<strong>in</strong>. Ausbildung an der Universität, dann<br />

praktische Ausbildung im Vikariat, Berufserfahrung, „learn<strong>in</strong>g by do<strong>in</strong>g“, aber<br />

e<strong>in</strong>e spezielle Ausbildung zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r bekam ich nicht. Und ich sehe<br />

das auch e<strong>in</strong> bisschen als e<strong>in</strong> Problem an. Denn man kommt <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> Situationen, die e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Anführungszeichen normalen,<br />

seelsorgerlichen Geme<strong>in</strong>dee<strong>in</strong>satz, oder e<strong>in</strong>e Betreuung doch überschreiten, ja.<br />

Und ich habe dann aus dem Grund mich selber zu e<strong>in</strong>em Kurs angemeldet. Der<br />

war damals <strong>in</strong> der Tagungsstätte Löwenste<strong>in</strong>, so e<strong>in</strong> Modul „Basiskurs<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> 1 - <strong>in</strong>nerhäusliche E<strong>in</strong>sätze“, Grundlagen <strong>in</strong>nerhäusliche<br />

E<strong>in</strong>sätze, das hab ich dann im Jahr 2002 gemacht. Und im Jahr 2003 den Kurs 2<br />

– außerhäusliche E<strong>in</strong>sätze. Ist jeweils 3 Tage. Das war dann me<strong>in</strong>e Ausbildung.<br />

Aber ich habe dann erst im Grunde gemerkt, durch die E<strong>in</strong>sätze, dass ich da an<br />

Grenzen komme und ich brauche unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e spezielle Ausbildung dafür.<br />

156


7. A: OK. Jetzt habe ich gesehen, dass sie ja auch so e<strong>in</strong> bisschen koord<strong>in</strong>ierende<br />

Aufgaben haben für den Bereich Nord…<br />

8. P: Ja. Ne<strong>in</strong>, Süd.<br />

9. A: Ne<strong>in</strong> Süd, genau. Nord ist die Frau W<strong>in</strong>ter. Genau, jetzt habe ich das verdreht.<br />

Was gehört denn da so zu ihren koord<strong>in</strong>ierenden Aufgaben?<br />

10. P: Da gehört dazu, dass ich praktisch die Rufbereitschaft sicherstelle. Das müssen<br />

sie sich so vorstellen: E<strong>in</strong>e Rufbereitschaft geht immer von Montag 8 Uhr bis<br />

nächsten Montag 8 Uhr und wir planen das für e<strong>in</strong> halbes Jahr. Und me<strong>in</strong>e<br />

Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass <strong>in</strong> jeder Woche dieses halben Jahres e<strong>in</strong><br />

Kollege oder e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> Dienst macht. Und das ist e<strong>in</strong>e ziemlich,<br />

Verwaltungsaufgabe. Man schreibt es aus, es kommen Rückläufe und dann muss<br />

man den Dienstplan erstellen, wobei es dann immer schwierig ist, es gibt<br />

Wochen da will ke<strong>in</strong>er. Zum Beispiel <strong>in</strong> der Woche an Weihnachten oder <strong>in</strong> der<br />

Woche vor Ostern, so. Aber irgendwie haben wir es bis jetzt geschafft, alles<br />

abzudecken.<br />

11. A: Das heißt Rufbereitschaft hat dann jede Woche immer e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r im<br />

ganzen Bezirk.<br />

12. P: Genau.<br />

13. A: Es gibt ja auch Modelle, wo quasi jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r jederzeit<br />

Rufbereitschaft hat. Wie ist man denn darauf gekommen, das hier anders zu<br />

machen?<br />

14. P: Also bei uns ist es nicht so. Und ich, deshalb kann ich die Frage auch nicht<br />

beantworten, ich kenne es eben so, nur so.<br />

15. A: Dann noch die Frage, gibt es denn weitere Aufgaben, die ihre jetzt unterscheidet<br />

von denen der <strong>Notfallseelsorge</strong>r, die vor Ort im E<strong>in</strong>satz s<strong>in</strong>d?<br />

16. P: Ja gut, ich organisiere dann noch regionale Fortbildungen. Da war jetzt gestern<br />

e<strong>in</strong>e zum Beispiel <strong>in</strong> Waibl<strong>in</strong>gen bei der Polizeidirektion. Da g<strong>in</strong>g es um den<br />

Umgang mit Suizidalen. Da war e<strong>in</strong> speziell ausgebildeter Polizeibeamter als<br />

Referent da. Und ja, das zu organisieren, Vorgespräche führen, E<strong>in</strong>ladungen, gut<br />

das macht, die E<strong>in</strong>ladungen vorbereiten und so weiter.<br />

Was ist dann noch Aufgabe? Dann treffen wir uns noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Arbeitskreis<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Kreis, der ökumenisch besetzt ist, wo dann eben<br />

Fragen des Dienstes auch besprochen werden.<br />

17. A: Das heißt aber, wenn sie jetzt hier die <strong>Notfallseelsorge</strong>r koord<strong>in</strong>ieren, dann geht<br />

es nur um die evangelischen Pfarrer, oder?<br />

18. P: Ne<strong>in</strong>. <strong>Notfallseelsorge</strong> ist ja von Anfang an ökumenisch organisiert. Und<br />

<strong>in</strong>sofern s<strong>in</strong>d da auch katholische Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen dabei,<br />

Pastoralreferent<strong>in</strong>nen, Pastoralreferenten, auch e<strong>in</strong>ige katholische Pfarrer. Und<br />

wenn wir unsere Treffen machen, kommen, s<strong>in</strong>d natürlich immer alle da. Das ist<br />

157


ganz klar. Also was heißt alle da. Es s<strong>in</strong>d alle e<strong>in</strong>geladen. Und ich weiß, dass<br />

zum Teil auch aus Freikirchen Kollegen dabei s<strong>in</strong>d, bei uns jetzt <strong>in</strong> unserem<br />

Kreis bislang nicht, aber im Bereich Nord hat jetzt der neue methodistische<br />

Pastor von Backnang se<strong>in</strong> Interesse gezeigt. Als das ist wirklich von Anfang an<br />

ökumenisch. Das ist auch sehr erfreulich.<br />

19. A: Auf jeden Fall. Dann so im Allgeme<strong>in</strong>en, was würden sie denn als das Schönste<br />

an ihrer Arbeit bezeichnen?<br />

20. P: Ja, das ist e<strong>in</strong>e schwierige Frage. Ich me<strong>in</strong>e, es gibt e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong> Gefühl der<br />

Befriedigung, dass oder gibt mir e<strong>in</strong> Gefühl der Befriedigung, dass ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

vielleicht ganz schweren Situation, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ganz wirklich fürchterlich schweren<br />

Situation für die Menschen, dass ich da se<strong>in</strong> konnte, ihnen zur Seite stehen<br />

konnte. Dass ich das Gefühl vielleicht geben konnte, ich war da nicht alle<strong>in</strong>. Es<br />

war jemand von der Kirche da. Oder es war jemand da, der für mich Zeit gehabt<br />

hat, da war. Das ist, ob man das <strong>in</strong> der Kategorie schön, die ja e<strong>in</strong>e ästhetische<br />

Kategorie ist, fassen kann, weiß ich nicht. Aber es gibt mir manchmal e<strong>in</strong><br />

Gefühl der Befriedigung.<br />

21. A: Gibt es denn im Gegensatz dazu auch etwas, was ihnen gar ke<strong>in</strong>en Spaß macht?<br />

22. P: Ja, schwer zu sagen, was gar ke<strong>in</strong>en Spaß macht. Natürlich kann man mal, wenn<br />

bei e<strong>in</strong>er Familie ist, die gerade das Liebste, was sie haben, verloren hat, zum<br />

Beispiel e<strong>in</strong>en Sohn durch e<strong>in</strong>en Verkehrsunfall, da wünschte man sich, man<br />

hätte nie <strong>in</strong> diese Situation kommen müssen. Man hätte vielleicht viel lieber<br />

e<strong>in</strong>en Herbstspaziergang gemacht und hätte nicht kommen müssen <strong>in</strong> diese<br />

Situation jetzt, die so unfassbar schwer und katastrophal ist für diese Familie.<br />

Vielleicht diese Frage nach dem Schicksal überhaupt, die e<strong>in</strong>em ke<strong>in</strong>en Spaß<br />

macht. Warum dann so etwas passieren muss.<br />

23. A: Gut. Wir kommen jetzt zum zweiten Leitthema, wo es um die Strukturen und die<br />

Grundlagen geht. Und da würde ich sie gerne fragen, seit wann es denn die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit im Allgeme<strong>in</strong>en, aber auch <strong>in</strong>sbesondere hier im Kreis<br />

gibt.<br />

24. P: Im Rems-Murr-Kreis gibt es die <strong>Notfallseelsorge</strong> seit 1999. Wir haben jetzt im<br />

September das 10-jährige Jubiläum gefeiert mit e<strong>in</strong>em Gottesdienst <strong>in</strong> Backnang,<br />

e<strong>in</strong>em anschließenden Empfang, bei dem auch der Landkreis da war und die<br />

Notfallnachsorge. Insgesamt gibt es <strong>Notfallseelsorge</strong> nicht viel länger. Nämlich,<br />

sie ist ja ausgelöst worden durch das Eisenbahnunglück <strong>in</strong> Eschede 1998. Und<br />

da ist ganz stark praktisch dieser Wunsch gewachsen, die Menschen brauchen<br />

Hilfe für ihre körperlichen Verletzungen, für die, aber auch für die Seele. Auch<br />

die Menschen, die traumatisiert s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer Seele, brauchen Beistand. Und<br />

damals s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>es Wissens das erste Mal <strong>in</strong> größerem Stil auch<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r e<strong>in</strong>gesetzt gewesen. Und das war glaube ich der auslösende<br />

Moment, das <strong>Notfallseelsorge</strong> flächendeckend e<strong>in</strong>geführt worden ist.<br />

25. A: Wie viele <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und –seelsorger gibt es denn <strong>in</strong> ihrer Region,<br />

jetzt hier?<br />

158


26. P: Ja, also im Rems-Murr-Kreis s<strong>in</strong>d es im Moment 48 Personen, die wir auf der<br />

Liste haben. Es s<strong>in</strong>d jetzt e<strong>in</strong> paar Neue dazu gekommen, die Interesse haben mit<br />

zu machen. Aber die haben wir noch nicht e<strong>in</strong>gepflegt <strong>in</strong> unsere Listen. Da<br />

fehlen uns noch Informationen, aber das ist so die Größenordnung. Wobei ich<br />

habe im Bereich Süd 30 <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Liste und die Frau W<strong>in</strong>ter im Bereich Nord<br />

18.<br />

27. A: Wie ist denn, unter welchem Träger, f<strong>in</strong>det die <strong>Notfallseelsorge</strong> hier statt?<br />

28. P: Schwer zu sagen. Also ich kenne halt nur den Arbeitskreis <strong>Notfallseelsorge</strong> und<br />

der ist angebunden wiederum an die <strong>Notfallseelsorge</strong> Baden-Württemberg,<br />

Kirchenrat Sebastian Berghaus, der ist angestellt bei der Evangelischen<br />

Landeskirche. Aber die Frage, wer jetzt konkret der Träger ist, überfordert mich<br />

eigentlich fast e<strong>in</strong> bisschen. Ich muss ehrlich gestehen, da müsste ich mich<br />

selber schlau machen. Also weil, ich me<strong>in</strong>e, wir s<strong>in</strong>d natürlich, wir s<strong>in</strong>d ja alle<br />

ehrenamtlich, wir <strong>Notfallseelsorge</strong>r, ja. Ke<strong>in</strong>er kann gezwungen werden<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> zu machen, kann dienstlich nicht verpflichtet werden. Alle die<br />

mitmachen, machen freiwillig mit. Machen das zu ihrem Geme<strong>in</strong>dedienst oder<br />

zu ihrem Religionsunterricht noch dazu. Bezahlt werden sie oder ihr Gehalt<br />

kriegen sie von der evangelischen Kirche, von der katholischen Kirche oder<br />

auch vielleicht vom Land Baden-Württemberg, wenn man staatlicher<br />

Religionslehrer ist. Und der Zusammenschluss ist ehrenamtlich, freiwillig und<br />

ökumenisch. Ich, also die, die Konzeption der <strong>Notfallseelsorge</strong> ist von praktisch<br />

den vier großen Kirchen ab-, verabschiedet worden, von den vier großen<br />

Kirchen <strong>in</strong> Baden-Württemberg, <strong>in</strong>sofern echt ökumenisch.<br />

29. A: Aber im Zuge dessen, wenn die, angenommen die Pfarrer, egal ob von<br />

evangelischer oder katholischer Seite, jetzt hier im E<strong>in</strong>satz s<strong>in</strong>d, gibt es da <strong>in</strong><br />

irgende<strong>in</strong>er Form auch e<strong>in</strong>en Ausgleich. Also angenommen, die s<strong>in</strong>d<br />

sonntagnachts dann noch im E<strong>in</strong>satz und müssen aber morgens um halb acht <strong>in</strong><br />

der Schule stehen oder haben e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong>. Gibt es da e<strong>in</strong>en Ausgleich? Oder<br />

das macht man dann halt zusätzlich.<br />

30. P: Ne<strong>in</strong>, es gibt ke<strong>in</strong>en Ausgleich. Und da arbeiten wir daran, dass wir<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r und <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>en Freizeitausgleich bekommen.<br />

Aber das s<strong>in</strong>d bis jetzt nur <strong>in</strong>formelle Gespräche. Es s<strong>in</strong>d, gibt Leserbriefe mal <strong>in</strong><br />

unserem Organ für Arbeit und Bes<strong>in</strong>nung. Es gibt Gespräche unter den<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>nden. Aber me<strong>in</strong>es Wissens bis jetzt noch ke<strong>in</strong>en konkreten<br />

Antrag an die Landessynode, dass man sagt, schaut danach, ändert da das<br />

Pfarrerdienstrecht oder die Stellvertretungsordnung, dass man gesetzlich den<br />

Anspruch hat, wenn man e<strong>in</strong>e Woche <strong>Notfallseelsorge</strong> gemacht hat, dass man<br />

dann e<strong>in</strong>en Tag Freizeitausgleich kriegt, zum Beispiel. Das gibt es bisher nicht.<br />

Das ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e ehrenamtliche Tätigkeit, die noch dazu kommt.<br />

31. A: Dann würde mich <strong>in</strong>teressieren, wie denn die <strong>Notfallseelsorge</strong>r zu ihrem E<strong>in</strong>satz<br />

kommen. Also wie funktioniert da so e<strong>in</strong>e Alarmierung? Und wer wird dann<br />

wann nach und nach <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satz gebracht?<br />

32. P: Die Alarmierung geht über die Rettungs- und Feuerwehrleitstelle <strong>in</strong> Waibl<strong>in</strong>gen.<br />

Und die <strong>Notfallseelsorge</strong>r die haben, führen <strong>in</strong> der Zeit immer e<strong>in</strong> Handy bei<br />

159


sich, das Diensthandy. Und s<strong>in</strong>d so zu erreichen. Also sie müssen sich das so<br />

vorstellen: Es passiert der Unglücksfall, Verkehrsunfall zum Beispiel, die rücken<br />

ja zuerst aus, Polizei, die Feuerwehr, Rotes Kreuz. Und dann macht sich der<br />

E<strong>in</strong>satzleiter e<strong>in</strong> Bild der Lage. Und wenn er den E<strong>in</strong>druck hat, er braucht e<strong>in</strong>en<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r, dann meldet er das der Rettungsleitstelle <strong>in</strong> Waibl<strong>in</strong>gen und<br />

die alarmieren dann den <strong>Notfallseelsorge</strong>r.<br />

33. A: Der dann aber auch jedes Mal privat zur Unfallstelle fährt.<br />

34. P: Ja.<br />

35. A: OK. Also da gibt es ke<strong>in</strong> Netzwerk, dass der irgendwo mitfährt, zum Beispiel<br />

bei der Feuerwehr oder so.<br />

36. P: Ne<strong>in</strong>, das ist bei uns nicht so organisiert. Ich weiß, dass, <strong>in</strong> anderen Landkreisen<br />

gibt es das, aber im Rems-Murr-Kreis nicht.<br />

37. A: Dann, wie wird denn die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit f<strong>in</strong>anziert, hier?<br />

38. P: Ja, das ist auch so e<strong>in</strong> Kapitel für sich. Also im Haushaltsplan des Evangelischen<br />

Kirchenbezirks Schorndorf s<strong>in</strong>d zum Beispiel 500 Euro pro Jahr e<strong>in</strong>gestellt für<br />

die <strong>Notfallseelsorge</strong>. Das ist überhaupt nicht viel. Und ich habe vorher von den<br />

Fortbildungen gesprochen, die ich gemacht habe. Da hieß es auch zuerst, es ist<br />

ke<strong>in</strong> Geld dafür da und dann habe ich so e<strong>in</strong>en Deal gemacht damals mit dem<br />

Dekan und habe gesagt, dann machen wir es doch so, dass die Tagungskosten,<br />

die eigentlichen Tagungskosten, die soll der Kirchenbezirk übernehmen und<br />

dann Fahrtkosten und Unterkunft und Essen zahle ich dann aus me<strong>in</strong>em eigenen<br />

Geldbeutel. Sie erkennen da auch me<strong>in</strong>e Motivation. Mir war das so wichtig,<br />

dass mir das ke<strong>in</strong>e Rolle gespielt hat. Wobei ich schon der Me<strong>in</strong>ung b<strong>in</strong>, wenn<br />

die Kirche da präsent se<strong>in</strong> möchte <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> und sie hat ja mit dem<br />

Land Baden-Württemberg die Vere<strong>in</strong>barung unterschrieben, dann muss sie auch<br />

dafür sorgen, dass ihre Mitarbeitenden entsprechend ausgebildet s<strong>in</strong>d. Und da<br />

geht ke<strong>in</strong> Weg daran vorbei, dass dann so e<strong>in</strong> Kurs auch vom Träger, sprich vom<br />

Dekanat zum Beispiel, auch f<strong>in</strong>anziert wird.<br />

39. A: Gibt es denn jetzt e<strong>in</strong>en Punkt oder mehrere Punkte, die sich ihrer Me<strong>in</strong>ung nach<br />

<strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit dr<strong>in</strong>gend ändern müssen?<br />

40. P: Ja gut, das ist jetzt gerade der Punkt, von dem wir gerade gesprochen haben, es,<br />

da wäre Handlungsbedarf. Dass man sagt die Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen, die<br />

e<strong>in</strong>en Kurs machen, müssen den nicht auch noch selber bezahlen, sondern der<br />

wird übernommen. Es ist bei uns eigentlich <strong>in</strong> der Kirche, diese Regelung gilt<br />

für alle Mitarbeitenden, wenn e<strong>in</strong> Kurs oder e<strong>in</strong>e Fortbildung dienstlich<br />

angeordnet ist, muss es auch der Anordnende f<strong>in</strong>anziell übernehmen. Also das<br />

sollte sich ändern.<br />

Dann die Frage der Stellvertretung sollte geändert werden. Also, wir haben auch<br />

<strong>in</strong> der Notfallwoche natürlich Beerdigungen zu halten, auch zum Teil<br />

Gottesdienste, gut, ich schaue durch langfristige Planung, dass ich dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Woche <strong>Notfallseelsorge</strong>dienst habe, wo ich nicht auch noch Gottesdienst am<br />

160


Sonntag habe. Aber man kann es nicht immer vermeiden. Und hier wäre auch<br />

noch e<strong>in</strong> Veränderungswunsch da, von me<strong>in</strong>er Seite.<br />

41. A: Dann, wie wird denn die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit hier im Bezirk evaluiert?<br />

42. P: Die Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen schreiben e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satzprotokoll und schicken es<br />

mir zu, vom E<strong>in</strong>satz. Da kann ich dann daraus entnehmen, welcher Art der<br />

E<strong>in</strong>satz war. Es wird, sie haben die Möglichkeit für e<strong>in</strong> Nachgespräch. Aber es<br />

wird meistens nicht verlangt. Aber die Möglichkeit dazu bestünde. Sonst ist mir<br />

ke<strong>in</strong>e Evaluation bekannt.<br />

43. A: Dann, jetzt haben wir es ja vorh<strong>in</strong> davon gehabt, dass viele Pfarrer oder auch<br />

katholische Kollegen dabei s<strong>in</strong>d. Gibt es denn auch ehrenamtliche<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r? Also die ke<strong>in</strong>erlei Ausbildung <strong>in</strong> Richtung Pfarramt oder<br />

Diakonat haben, sondern so dazu kommen.<br />

44. P: Ja, also die gibt es auch. Wir haben also m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Mitglied unserer<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, unseres Teams ist nicht Pfarrer, nicht Religionspädagoge, gar<br />

nicht bei der Kirche angestellt, sondern ist Feuerwehrmann, kirchlich engagiert<br />

und macht deshalb bei der <strong>Notfallseelsorge</strong> mit.<br />

45. A: Gibt es denn da dann Unterschiede, so sage ich jetzt mal, von der Auswahl oder<br />

so, weil bei den kirchlich ausgebildeten geht man ja im Normalfall davon aus,<br />

dass er e<strong>in</strong> Stück weit Seelsorge auch schon <strong>in</strong> der Ausbildung hatte. Und wenn<br />

jetzt e<strong>in</strong> Ehrenamtlicher kommt, der etwas völlig anderes macht, gibt es da<br />

andere Zugangsvoraussetzungen?<br />

46. P: Also, ich kann die Frage <strong>in</strong>sofern nicht beantworten, als der Kollege von dem<br />

ich gerade spreche oder an den ich denke, dass der schon länger als ich dabei ist<br />

und ich weiß nicht, wie er damals ausgebildet wurde oder was se<strong>in</strong><br />

Ausbildungsgang war.<br />

47. A: Dann möchte ich jetzt doch noch mal spezieller auf die Person des<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>rs e<strong>in</strong>gehen und die Frage stellen, wie wird man denn<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r? Also wird jeder Pfarrer, der neu anfängt angeschrieben? Oder<br />

wie kommt man auf die Personen und sagt, du könntest doch <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

werden. Oder wie melden die sich?<br />

48. P: Also <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Fall war es so, dass ich vom damaligen Obmann angesprochen<br />

worden b<strong>in</strong>. Und der hat gesagt, ja, ich könnte es mir vorstellen, dass du das<br />

machst, überlege es dir doch mal. Dann kommt es auch vor, dass Kollegen neu<br />

<strong>in</strong> den Bezirk kommen, die sagen, ja, ich br<strong>in</strong>ge da schon Erfahrung mit, aus<br />

e<strong>in</strong>em anderen Landkreis und ich melde mich freiwillig, ich gehe, ich möchte da<br />

mit da dazu, bei der Arbeit mit machen. Das dritte ist, dass ich immer wieder <strong>in</strong><br />

unseren Dienstbesprechungen das anspreche, die Notwendigkeit. Wir brauchen<br />

immer wieder neue Leute, denn auf der anderen Seite verlassen ja<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r auch, bewährte <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen unseren Bezirk aus<br />

dienstlichen Gründen. Und von daher ist das e<strong>in</strong>e dauernde Aufgabe, die<br />

Nachwuchsgew<strong>in</strong>nung. Ich habe jetzt vor, ja, nachdem e<strong>in</strong>e mündliche<br />

Ansprache im Kreis der Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen nichts gebracht hat bislang,<br />

161


ke<strong>in</strong> erkennbarer Erfolg, dass ich Leute gezielt e<strong>in</strong>zeln darauf anspreche. Aber<br />

bislang ist es nicht so, dass jetzt flächendeckend alle angesprochen oder<br />

angeschrieben werden.<br />

49. A: Aber es ist jetzt auch ke<strong>in</strong>e Pflicht für e<strong>in</strong>en Pfarrer, das irgendwann e<strong>in</strong>mal<br />

machen zu müssen.<br />

50. P: Ne<strong>in</strong>.<br />

51. A: Ja gut. Und wie sieht denn, auch jetzt heute dann, die Ausbildung zum<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r überhaupt aus? Also gibt es da Vere<strong>in</strong>barungen zwischen<br />

diesen vier Kirchen jetzt hier oder irgendwelche Standards, die auch bundesweit<br />

gelten?<br />

52. P: Ich habe e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>geschränkten Blickw<strong>in</strong>kel muss ich sagen. Ich b<strong>in</strong> jetzt nicht<br />

der Fachmann mit dem total großen Überblick. Me<strong>in</strong>es Wissens gibt es diese<br />

Standards bis jetzt noch nicht. Bis jetzt heißt es immer noch, der gute Wille und<br />

e<strong>in</strong> bisschen Erfahrung und dann klappt das schon. Es kann natürlich se<strong>in</strong>, ich<br />

hab hier die Konzeption vorliegen, beziehungsweise geme<strong>in</strong>same Konzeption<br />

der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Erzdiözese Freiburg und der beiden<br />

Evangelischen Landeskirchen, das da was zur fachlichen Qualifikation dr<strong>in</strong> steht.<br />

Mit Sicherheit, zu den Ausbildungen. Aber das müsste ich selber jetzt erst<br />

e<strong>in</strong>mal auch mir noch zu Gemüte führen.<br />

Herr Probst liest aus der Konzeption vor. Zur Qualifizierung der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und -seelsorger bieten die Kirchen e<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>führungskurs an. Sofern Kurse anderer Anbieter, die von den Kirchen<br />

erarbeiteten Inhalte aufweisen, werden diese als gleichwertig anerkannt. Die<br />

Verantwortung für e<strong>in</strong>e laufende Fort- und Weiterbildung der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r liegt bei den Trägern der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> den Stadt und Landkreisen.<br />

Zu me<strong>in</strong>en eigenen Aufgaben, wir machen das ja auch, <strong>in</strong>dem wir zweimal im<br />

Jahr e<strong>in</strong>e regionale Fortbildung, e<strong>in</strong>en Nachmittag, drei Stunden anbieten. Also<br />

von da her, das ist das M<strong>in</strong>imum. Ich persönlich f<strong>in</strong>de, jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>nde<br />

sollte e<strong>in</strong>en Kurs gemacht haben, e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>führungskurs. Da gibt es Angebote<br />

vom Roten Kreuz <strong>in</strong> Pfalzgrafenweiler, es gibt Angebote von der<br />

Landesfeuerwehrschule <strong>in</strong> Bruchsal, es gibt, gibt und gab, oder ich muss sagen<br />

gab, Angebote der Landeskirche, im Sem<strong>in</strong>ar für kl<strong>in</strong>ische Seelsorgeausbildung,<br />

zur Ausbildung des <strong>Notfallseelsorge</strong>rs. Ich habe jetzt seit zwei Jahren, habe ich<br />

dieses Fortbildungsangebot nicht mehr gesehen im Fortbildungsverzeichnis.<br />

Soweit mal zur Frage der Ausbildung.<br />

53. A: Und diese Fortbildungen, die sie jetzt angesprochen haben, die zweimal im Jahr<br />

stattf<strong>in</strong>den, s<strong>in</strong>d die verpflichtend für die <strong>Notfallseelsorge</strong>r? Oder kann es da<br />

auch vorkommen, dass e<strong>in</strong>er sagt, brauche ich nicht, besuche ich nicht?<br />

54. P: Ja, die s<strong>in</strong>d auch nicht verpflichtend. Wir laden e<strong>in</strong>. Und, ja, nach der Struktur<br />

des Ehrenamts gehen manche darauf e<strong>in</strong> und kommen und andere auch nicht.<br />

Also konkret gesprochen, gestern waren von den 48 <strong>Notfallseelsorge</strong>nden waren<br />

30 Personen da.<br />

162


55. A: Dann, welche Eignung oder welche Kompetenzen braucht denn e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r aus ihrer Sicht?<br />

56. P: Braucht natürlich die Seel-, die Eigenschaften, die <strong>in</strong> der Seelsorge <strong>in</strong>sgesamt<br />

gut tun. Nämlich e<strong>in</strong> empathisches Wesen. Das heißt, dass man sich, dass man<br />

die Fähigkeit hat, sich auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen re<strong>in</strong> zu denken, was beschäftigt<br />

me<strong>in</strong> Gegenüber, was ist se<strong>in</strong> Problem, was, an was leidet er gerade im Moment,<br />

also diese Empathie. Dass man sich selber als Person zurücknimmt und nicht<br />

von sich selber etwas re<strong>in</strong> projiziert <strong>in</strong> den anderen.<br />

Dann wäre e<strong>in</strong>e wichtige Eigenschaft, dass man sich versucht sich e<strong>in</strong> Überblick<br />

zu verschaffen, dass man e<strong>in</strong> Stück weit <strong>in</strong> den Schweren auch e<strong>in</strong>e Distanz<br />

wahren kann, dass man sich nicht völlig dann ganz verausgabt und vere<strong>in</strong>nahmt.<br />

Weil <strong>in</strong> so e<strong>in</strong>er Situation wie Verkehrsunfall oder Brand mit tödlichem<br />

Ausgang, dass man bereit ist, auch sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Team e<strong>in</strong>zugliedern und<br />

e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, dass man akzeptiert den E<strong>in</strong>satzleiter. Der hat das sagen, der, ja,<br />

gibt die Anweisungen. Ich warte oder ich gehe auf den E<strong>in</strong>satzleiter zu und frage,<br />

was er für me<strong>in</strong>e Aufgabe jetzt ansieht, welche Aufgabe er für mich hat. Also<br />

man darf auf ke<strong>in</strong>en Fall jetzt auf eigene Faust da irgendwie rumseelsorgern.<br />

Das wäre ganz falsch. Das s<strong>in</strong>d so Verhaltensweisen, die Seelsorger auszeichnen.<br />

57. A: Und, aber wie ist denn dann, wenn jetzt e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r im E<strong>in</strong>satz diese<br />

Grenze nicht mehr erkennt? Oder wie werden die denn geschützt vor eigener<br />

Betroffenheit? Oder Überforderung jetzt im E<strong>in</strong>satz, wo die Grenzen e<strong>in</strong>fach<br />

nicht mehr klar s<strong>in</strong>d oder er darüber h<strong>in</strong>aus schießt?<br />

58. P: Gut, dann ist sicherlich auch e<strong>in</strong> Team da, von E<strong>in</strong>satzkräften, es ist e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>satzleitung da von der Polizei oder von der Feuerwehr. Es s<strong>in</strong>d Kollegen da<br />

von der Notfallnachsorgedienst und wenn man das Gefühl hat jetzt e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r würde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ganz ungeschickte Richtung gehen, würden die<br />

sicher auch e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis geben. Aber ist mir bis jetzt nicht bekannt geworden.<br />

59. A: Das heißt aber, wenn jetzt an sie etwas heran getragen wird, dass mal etwas<br />

nicht so ganz gut gelaufen ist, dann kann es schon auch se<strong>in</strong>, das Gespräche<br />

geführt werden und im schlimmsten Fall oder im schlechtesten Fall e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r auch angesprochen wird, vielleicht ist es auch nichts mehr für<br />

ihn.<br />

60. P: Könnte se<strong>in</strong>. Ich hab das jetzt selber noch nie erlebt, weil ich habe jetzt dieses<br />

Leitungsamt auch erst seit wenigen Wochen im Grunde.<br />

61. A: Wir kommen zum Leitthema 4. Welche Erwartungen und Wünsche haben denn<br />

die Betroffenen an die <strong>Notfallseelsorge</strong>? Also sowohl auf der e<strong>in</strong>en Seite die<br />

Opfer und Angehörigen, als auch auf der anderen Seite die Rettungskräfte selbst?<br />

62. P: Ich glaube, dass Opfer und Angehörige zunächst e<strong>in</strong>mal gar ke<strong>in</strong>e Erwartungen<br />

haben an den <strong>Notfallseelsorge</strong>r. Die stehen e<strong>in</strong>fach vor e<strong>in</strong>er unfassbaren<br />

Unterbrechung ihres normalen Alltags. Es kommt e<strong>in</strong> Telefonanruf und man<br />

hört, du musst da und da h<strong>in</strong>kommen, da ist etwas ganz Schlimmes passiert und<br />

ich glaube man kann sich das gar nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Tragweite richtig vorstellen,<br />

wenn man es noch nie erlebt hat, was das bedeutet. Und ich glaube, dass dann<br />

163


wie so e<strong>in</strong> Filmriss ist. Es kommen Leute auf e<strong>in</strong>en zu und gehen wieder weg.<br />

Da der Notarzt, dann die Polizei und da Feuerwehr und jeder sagt etwas. Und<br />

dann kommt plötzlich noch e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r auch. Ich glaube, dass die, wie<br />

haben sie gesagt, Erwartungen und Wünsche könnten die wahrsche<strong>in</strong>lich jetzt<br />

gar nicht formulieren <strong>in</strong> dem Moment. Aber was wir anbieten können, ist, dass<br />

<strong>in</strong> der schweren Situation, dass man dann sagt, wir ziehen uns mal zurück <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en geschützten Raum. Ich b<strong>in</strong> da. Da ist vielleicht manchmal auch hilfreich<br />

die körperliche Nähe. Dass man jemand die Hand auf die Schulter legt oder<br />

körperlichen Kontakt gibt. Das muss man ganz sensibel erspüren. Manchen ist<br />

das auch lästig, die wollen das nicht. Aber manchen tut es gut, dass überhaupt<br />

das Gefühl da ist, <strong>in</strong> dieser schlimmen Situation me<strong>in</strong>es Lebens, da war ich nicht<br />

alle<strong>in</strong>, sondern da war jemand da. Und der duldet da auch nichts von mir,<br />

sondern der war bloß, bloß da. Ich glaube das könnte ich sagen als Erwartungen<br />

und Wünsche. Als etwas, was die Betroffenen später vielleicht als wohltuend,<br />

als gut erlebt haben im Rückblick.<br />

Ja, und jetzt zu den Rettungskräften. Gut, die haben natürlich, ja, ihre Aufgaben.<br />

Für mich ist immer wieder fasz<strong>in</strong>ierend zu sehen auch, wie unaufgeregt dann die<br />

Rettungskräfte ihren Dienst machen. Das ist e<strong>in</strong>fach, im guten S<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong>e<br />

Rout<strong>in</strong>e, dass man sich jetzt, dass die Rettungskräfte m<strong>in</strong>destens nach außen<br />

nicht e<strong>in</strong>en aufgeregten E<strong>in</strong>druck machen, sondern dass sie das was ihnen<br />

gesetzlich vorgeschrieben ist, von der Polizei diese Ermittlungsaufgaben oder<br />

die Aufgaben, die die Feuerwehr übernehmen muss, mit Bergungsaufgaben,<br />

dass sie die e<strong>in</strong>fach tun, so wie sie es geübt haben. Und doch wissen wir, dass<br />

auch bei diesen Personen <strong>in</strong> ihrer Seele, das was macht. Ich me<strong>in</strong>e <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden<br />

war es ja extrem, aber das war ja e<strong>in</strong>fach der Wahns<strong>in</strong>n. Das hat ja jegliche<br />

Erfahrungen gesprengt, die man sonst gehabt hat. Aber es macht etwas <strong>in</strong> ihrer<br />

Seele. Das steckt man nicht e<strong>in</strong>fach weg. E<strong>in</strong> Auto aufzuschneiden und dann<br />

vielleicht getötete Personen bergen zu müssen. Und da sehe ich auch die<br />

Aufgabe der <strong>Notfallseelsorge</strong> dr<strong>in</strong>, auch für die Rettungskräfte als<br />

Ansprechpartner da zu se<strong>in</strong>. Es ist wohl so, ich b<strong>in</strong> jetzt im gesetzlichen<br />

rechtlichen nicht so ganz tief dr<strong>in</strong>, dass, ist mir gesagt worden, dass die<br />

Betreuung der E<strong>in</strong>satzkräfte, eigentlich aus, aus der Aufgabe der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> ausgegliedert worden ist. Weil die natürlich jetzt auch eigene<br />

Nacharbeit, eigene Nachbereitung <strong>in</strong> ihren Organisationen dr<strong>in</strong> haben.<br />

Polizeipsychologen, dass die, dass Polizeibeamte betreut werden nach<br />

belastenden E<strong>in</strong>sätzen im Dienst. Und bei der Feuerwehr ist es ähnlich. Das s<strong>in</strong>d<br />

auch <strong>in</strong> der Feuerwehr Menschen ausgebildet, die die Kollegen nachbetreuen<br />

nach belastenden E<strong>in</strong>sätzen. Und doch f<strong>in</strong>de ich es auch wichtig, dass man im<br />

Verlauf e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes auf der Strasse, wo das Unglück passiert ist, als<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r auch mit E<strong>in</strong>satzkräften spricht. Auch mit dem Notarzt spricht.<br />

Das ist für e<strong>in</strong>en Notarzt glaube ich auch e<strong>in</strong>e ganz schwere Situation, er kommt<br />

und er sieht, ich kann nichts mehr machen. Und das die Profession des Arztes ist<br />

ja zu helfen, zu retten wo es möglich ist und das ist sicher auch schwer zu<br />

akzeptieren. Ja ich b<strong>in</strong> da jetzt an me<strong>in</strong>er Grenze, es g<strong>in</strong>g nicht mehr und da e<strong>in</strong><br />

Gespräch mit dem <strong>Notfallseelsorge</strong>r, wo man sich vielleicht gegenseitig se<strong>in</strong>e<br />

Ohnmacht auch e<strong>in</strong>gesteht, das me<strong>in</strong>e ich sei auch hilfreich.<br />

63. A: OK. Jetzt kommt ja e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r dann an den Ort des E<strong>in</strong>satzes. Welche<br />

Aufgaben hat e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r dann zusätzlich vielleicht auch noch zu<br />

denen für Opfer und Angehörige da zu se<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem Moment?<br />

164


64. P: Haben sonst ke<strong>in</strong>e Aufgaben. Ich b<strong>in</strong>, ich b<strong>in</strong> nur für Beteiligte da. Sei es jetzt<br />

für Angehörige von Opfern, sei es für sonstige Beteiligte am Unfall. Vielleicht<br />

für so Menschen, die als erste an der Unfallstelle waren und jetzt auch unter<br />

Schock stehen. Für die b<strong>in</strong> ich da, sonst für gar niemand. Also, gut, klar, kurzes<br />

<strong>in</strong>formelles Gespräch mit Rettungskräften, ja selbstverständlich. Aber ich habe<br />

jetzt ke<strong>in</strong>e Aufgabe <strong>in</strong> Richtung oder ich weiß nicht was der H<strong>in</strong>tergrund ihrer<br />

Frage ist. Weil alles andere überlasse ich den Rettungskräften.<br />

65. A: Ja, also manchmal war es noch so, dass genannt wurde, zum Beispiel auch zu<br />

den Toten h<strong>in</strong>zugehen, die vielleicht auch auszusegnen <strong>in</strong> der Form. Manchmal<br />

auch im häuslichen Bereich wird gewünscht, noch mal e<strong>in</strong> Abendmahl<br />

mite<strong>in</strong>ander zu feiern. So <strong>in</strong> die Richtung, das mal abzuklären. Oder<br />

Informationen zu überbr<strong>in</strong>gen. Und so <strong>in</strong> die Richtung.<br />

66. P: Ah ja, ok. Gut, klar, die Aufgabe übernehmen wir natürlich auch. Aber das habe<br />

ich jetzt auch praktisch mit e<strong>in</strong>geschlossen <strong>in</strong> dem, für Angehörige da se<strong>in</strong>. Und<br />

dann, das versuche ich dann zu erspüren, ob ihnen das e<strong>in</strong>e Hilfe ist, wenn man<br />

e<strong>in</strong>e Aussegnung macht, des Angehörigen. Manchmal wird es, ja, an mich<br />

herangetragen, richtig als Bitte ausgesprochen, beten sie mit mir. Und manchmal<br />

braucht dann auch e<strong>in</strong> Sensorium, kann man selber den Vorschlag machen,<br />

wenn man das Gefühl hat, das könnte passen. Es passt nicht immer, ja. Auch<br />

wenn jetzt gar ke<strong>in</strong>e Angehörigen da s<strong>in</strong>d, habe, dann mache ich es oder habe es<br />

bis jetzt nicht gemacht. Denn wenn praktisch bei e<strong>in</strong>em Verkehrsunfall da die<br />

getötete Person daliegt, ist zugedeckt, und jetzt kommt da schon der<br />

Bestattungsunternehmer, gut. Und es s<strong>in</strong>d nur Rettungskräfte da, Polizei und,<br />

dann habe ich es bis jetzt das noch nicht <strong>in</strong> Erwägung gezogen, das dann<br />

anzubieten, e<strong>in</strong>e Aussegnung. Aber wenn Angehörige da s<strong>in</strong>d, dann sehr wohl.<br />

67. A: Und wenn jetzt ke<strong>in</strong>e Angehörigen da s<strong>in</strong>d, gehört es dann zu ihren Aufgaben<br />

die Todesnachricht mit zu überbr<strong>in</strong>gen oder nur wenn es gewünscht wird von<br />

der, der Person, die den E<strong>in</strong>satz leitet?<br />

68. P: Ja also, das gehört mit zu den Aufgaben des <strong>Notfallseelsorge</strong>rs. Man geht dann<br />

aber immer zusammen mit der Polizei h<strong>in</strong> und <strong>in</strong> der Regel ist ja jetzt auch der<br />

Notfallnachsorgedienst dabei vom Roten Kreuz.<br />

69. A: Gibt es denn über diese Aufgaben h<strong>in</strong>aus auch noch Angebote, die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r anbieten? Also nach dem E<strong>in</strong>satz zum Beispiel.<br />

70. P: Ja, gut, von der Konzeption und vom Ansatz der <strong>Notfallseelsorge</strong> ist das ja e<strong>in</strong><br />

begrenztes Hilfsangebot im, <strong>in</strong> diesem schweren unfassbaren Geschehen. Das<br />

kann über e<strong>in</strong>e Stunde gehen, das kann drei oder vier Stunden gehen. Aber<br />

normalerweise ist es dann eben so, E<strong>in</strong>satzbefehl oder Auftrag kommt von der<br />

Leitstelle, man fährt h<strong>in</strong>, man schaut sich um, was gibt es zu tun und wenn man<br />

das Gefühl hat, ich habe jetzt diese Aufgabe geregelt, dann kann man sich auch<br />

verabschieden und sich bei der E<strong>in</strong>satzleitung wieder anmelden.<br />

In E<strong>in</strong>zelfällen kommt es vor, dass man als <strong>Notfallseelsorge</strong>r dann auch<br />

h<strong>in</strong>terher noch angefragt wird oder etwas tut für die Familie. Dass man noch mal<br />

e<strong>in</strong>e Telefon-, dass man e<strong>in</strong>en Tag später noch mal anruft, wie geht es ihnen.<br />

Dass man vielleicht e<strong>in</strong>e Telefonnummer weitergibt von e<strong>in</strong>em, ja, von<br />

165


helfenden Menschen. Also für Menschen, die helfen können. Von e<strong>in</strong>em<br />

Kollegen weiß ich, dass er sehr <strong>in</strong>tensive Nachbetreuung gemacht hat, nach<br />

e<strong>in</strong>em <strong>Notfallseelsorge</strong>e<strong>in</strong>satz. Das war, als e<strong>in</strong> junger Mensch zu Tode kam und<br />

da ist so e<strong>in</strong> Vertrauensverhältnis aufgebaut worden zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r, dass<br />

die Familie dann den Wunsch geäußert hat, er möge sie begleiten die nächsten<br />

Tage und er möge auch die Beerdigung halten, des jungen Mannes. Aber das<br />

s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>es Erachtens Ausnahmen. Aber es kommt vor.<br />

71. A: Ist aber dann auch im Rahmen dieser Arbeit mit dr<strong>in</strong>.<br />

72. P: Ja.<br />

73. A: OK. Es gibt ja auch Bereiche wo es so ist, dass der <strong>Notfallseelsorge</strong>r, der zu<br />

e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz kommt, auf gar ke<strong>in</strong>en Fall die Beerdigung macht. Zum Beispiel<br />

so e<strong>in</strong>e Regelung. Aber die gibt es hier jetzt nicht.<br />

74. P: Ja, gut, also von me<strong>in</strong>er Ideologie her, würde ich sagen es ist so. Und ich gebe es<br />

dann auch gerne ab an den Geme<strong>in</strong>depfarrer oder die Geme<strong>in</strong>depfarrer<strong>in</strong>. Und<br />

das gehört auch zu me<strong>in</strong>er Professionalität dazu, dass ich am Ende e<strong>in</strong>es<br />

E<strong>in</strong>satzes dann noch versuche den Kontakt mit dem Geme<strong>in</strong>depfarrer<br />

herzustellen und sage, ich übergebe das dann gewissermaßen. Ich sage, ich war<br />

<strong>in</strong> de<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de, da war der und der Fall, da ist jetzt Not <strong>in</strong> der Familie, bitte<br />

kümmere du dich weiter. Und das ist ja im Grunde auch der Ansatz der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>. Warum ist die <strong>Notfallseelsorge</strong> entstanden? Weil viele Pfarrer<br />

oft nicht zu erreichen s<strong>in</strong>d, ja. Die machen Geme<strong>in</strong>debesuche, die machen<br />

Schulunterricht, die haben Gottesdienst, die s<strong>in</strong>d, oder s<strong>in</strong>d weg auf e<strong>in</strong>er<br />

Fortbildung, ja, und dann hat man nur den Anrufbeantworter am Pfarramt. Aber<br />

die Feuerwehr braucht jemand. Oder der E<strong>in</strong>satzleiter, der möchte jetzt jemand<br />

haben, e<strong>in</strong>en Seelsorger. Und darauf h<strong>in</strong> ist ja die Idee entstanden mit der rundum-die-Uhr,<br />

24-Stunden-Rufbereitschaft. Und <strong>in</strong>sofern sehen wir unseren Dienst<br />

auch ganz konkret als Entlastung der Geme<strong>in</strong>depfarrer. Auch natürlich dann mit<br />

der Verpflichtung nach dem <strong>Notfallseelsorge</strong>e<strong>in</strong>satz den Job wieder abzugeben,<br />

<strong>in</strong> das Geme<strong>in</strong>depfarramt re<strong>in</strong>.<br />

75. A: Gibt es denn jetzt auch Angebote, wo sie sagen, die hätten sie gerne, aber die<br />

kann e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r nicht leisten? Oder die ist momentan e<strong>in</strong>fach nicht<br />

leistbar.<br />

76. P: Ja, gut. Ich me<strong>in</strong>e, man hätte vielleicht gerne, das man schneller am Ort des<br />

Geschehens ist. Stellen sie sich vor, wir s<strong>in</strong>d jetzt hier <strong>in</strong> Alfdorf, hier lebe und<br />

arbeite ich. Ich kriege e<strong>in</strong>en Anruf, Fellbach, da ist etwas passiert. Selbst wenn<br />

ich sofort <strong>in</strong>s Auto steige, meistens geht es, braucht man noch fünf M<strong>in</strong>uten um<br />

kurzfristig Sachen zu organisieren. Aber selbst, ja gut, dann sitze ich vielleicht<br />

nach fünf oder sieben M<strong>in</strong>uten im Auto und fahre dann nach Fellbach. Aber<br />

brauche auch noch 35 M<strong>in</strong>uten. Sprich ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e dreiviertel Stunde im Grunde<br />

nach Alarmierung erst am Ort. Das ist e<strong>in</strong>e relativ lange Zeit. Und da wäre, ja,<br />

me<strong>in</strong> Wunsch, dass wir <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> kle<strong>in</strong>räumiger strukturiert wären.<br />

Dass man zum Beispiel uns aufteilen <strong>in</strong> bestimmte Distrikte für die wir<br />

zuständig s<strong>in</strong>d. Dass ich hier <strong>in</strong> Alfdorf für den Distrikt Welzheimer Wald<br />

zuständig wäre. Alfdorf, Welzheim, Kaisersbach, Rudersberg, da wäre ich dann<br />

166


<strong>in</strong> akzeptabler Zeit vor Ort. Vielleicht <strong>in</strong>nerhalb von zwölf M<strong>in</strong>uten,<br />

Viertelstunde, könnte ich aber so ziemlich jeden Ort hier erreichen. Das wäre e<strong>in</strong><br />

großer Wunsch, aber das scheitert an der mangelnden Bereitschaft der<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen, da <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> mit zu machen. Wir haben<br />

jetzt hier zum Beispiel im ganzen Bereich Welzheimer Wald zurzeit nur zwei<br />

aktive <strong>Notfallseelsorge</strong>r. Das ist der Kollege <strong>in</strong> Kaisersbach und ich. Und sonst,<br />

alle anderen machen, doch, ne<strong>in</strong>, der Kollege, ich weiß nicht, ne<strong>in</strong>, macht nicht<br />

mit. S<strong>in</strong>d wir zu zweit. Wir waren hier schon auch zu Viert oder zu Fünft. Aber<br />

sie sehen selber, wenn man nur zweit ist, heißt das, man hätte jede zweite<br />

Woche Bereitschaft. Das ist e<strong>in</strong>fach nicht zu schaffen. Deshalb haben wir dieses<br />

wünschenswerte Modell zur Seite gelegt und machen es weiterh<strong>in</strong> mit dem<br />

Modell, ja, halber Landkreis. Das geht nicht anders.<br />

77. A: Ja. Gut, ich würde zum letzten Thema kommen. Zur <strong>Notfallseelsorge</strong> als e<strong>in</strong>e<br />

Aufgabe der Kirche und würde sie gerne fragen, wie denn das kirchliche<br />

Selbstverständnis zur <strong>Notfallseelsorge</strong> aussieht.<br />

78. P: Ja da fällt mir immer wieder das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter e<strong>in</strong>, der<br />

Samariter, der den Menschen ausgeraubt, blutend, schwer verletzt, an e<strong>in</strong>em<br />

Wegesrand gesehen hat, hat se<strong>in</strong>e Not gesehen. Er hat Zeit für ihn verwendet. Er<br />

hat Empathie aufgebracht. Er hat se<strong>in</strong>en Alltag unterbrechen lassen und hat den<br />

unter die Räuber gefallenen, ja, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Haus gebracht zur weiteren Pflege. Und<br />

hat dann dort allerd<strong>in</strong>gs auch wieder Abschied genommen und ist wieder se<strong>in</strong>es<br />

Weges gegangen. Und das ist für mich e<strong>in</strong> Stück Modell für <strong>Notfallseelsorge</strong>.<br />

Ich hab, e<strong>in</strong>en Mensch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Not zu sehen und dann <strong>in</strong> begrenzter Zeit und<br />

mit begrenzten Mitteln ihm helfen. Insbesondere natürlich für die seelischen<br />

Verwundungen, für die Traumata, die erlebt worden s<strong>in</strong>d. Und für die leiblichen<br />

Wunden s<strong>in</strong>d ja die anderen zuständig, das Rote Kreuz und Notarzt, ja. Ich kann<br />

jetzt gerade auch noch mal, weil sie fragen, nach der, wie die Kirche das sieht.<br />

Herr Probst liest aus der Konzeption vor . Als Erste Hilfe für die Seele ist sie<br />

e<strong>in</strong>e akute, zeitlich begrenzte Hilfe für Menschen <strong>in</strong> besonderen<br />

Krisensituationen. Wendet sich primär, an die von e<strong>in</strong>er Krise direkt Betroffenen<br />

und ihre Angehörigen unabhängig von ihrer Religion und Weltanschauung.<br />

Auch das ist wichtig. Man hat, ich habe schon mit allen möglichen Leuten zu<br />

tun gehabt. Mit Muslimen, Griechisch-Orthodoxen, mit italienischen Katholiken,<br />

mit schwäbischen Protestanten. Man fragt da nicht nach der Konfession <strong>in</strong> dem<br />

Moment. Das ist e<strong>in</strong> Mensch, der <strong>in</strong> Not ist. Und dem gilt es zu helfen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

seelischen Verzweiflung. E<strong>in</strong>fach helfen, ja, und die Hilfe sieht so aus, dass man<br />

da ist.<br />

79. A: Wie würden sie denn die Chancen und Vorteile sehen, dass <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche ist? Wor<strong>in</strong> liegen da die Vorteile?<br />

80. P: Ich sehe e<strong>in</strong>mal da, dass natürlich durch die Ausbildung von uns Pfarrer<strong>in</strong>nen<br />

und Pfarrern, auch Geme<strong>in</strong>dediakonen, Pastoralreferenten, dass da überall e<strong>in</strong>e<br />

seelsorgerliche Ausbildung dr<strong>in</strong> enthalten ist. Und von dem her, kann man mal<br />

davon ausgehen, dass die kirchlichen <strong>Notfallseelsorge</strong>r mit e<strong>in</strong>em Basiswissen<br />

Seelsorge, gepaart mit e<strong>in</strong>er beruflichen Erfahrung ihren Dienst angehen. Und<br />

da habe ich schon mal e<strong>in</strong> gutes Gefühl dabei. Das ist e<strong>in</strong>e von der Ausbildung<br />

her.<br />

167


Zweitens hat die <strong>Notfallseelsorge</strong> auch die Chance, Spektren der menschlichen<br />

Lebenswirklichkeit wahrzunehmen, die sonst eigentlich <strong>in</strong> der Kirche<br />

ausgeblendet s<strong>in</strong>d oder ausgeblendet waren. Beim Verkehrsunfall dabei zu se<strong>in</strong><br />

gehört ja sonst nicht zur Aufgabe e<strong>in</strong>es Geme<strong>in</strong>depfarrers. Man würde, und doch<br />

erlebt man es, dass Menschen, auch Rettungskräfte, auch andere froh s<strong>in</strong>d und<br />

das e<strong>in</strong> Stück als Hilfe erfahren, wenn e<strong>in</strong> Mann oder Frau, von der Kirche<br />

jemand da ist. Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>mal gerufen worden, ich me<strong>in</strong>e es war im Jahr 2002, zu<br />

dem schrecklichen S-Bahn-Unglück <strong>in</strong> Fellbach. Da s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Nacht drei junge<br />

Menschen von der S-Bahn überrollt worden und e<strong>in</strong>er konnte sich noch <strong>in</strong> letzter<br />

Sekunde zur Seite retten. Und da b<strong>in</strong> ich nachts um halb drei dann, halb drei,<br />

drei, da gestanden und es war der Oberbürgermeister von Fellbach auch da. Er<br />

ist auch gerufen worden. Und er hat dann so gesagt, das f<strong>in</strong>de ich aber schön,<br />

dass die Kirche auch da ist. Das ist e<strong>in</strong>fach auch so, für, wir s<strong>in</strong>d ja Volkskirche<br />

als evangelische Kirche. Und, dass wir auch wahrgenommen werden, wir s<strong>in</strong>d<br />

auch da, <strong>in</strong> den Extremsituationen. Wir lassen da die Menschen, ja das f<strong>in</strong>de ich<br />

Vorteile der <strong>Notfallseelsorge</strong> als Aufgabe der Kirche. Und deshalb würde ich<br />

jetzt auch ungern mich aus dieser Arbeit verabschieden wollen.<br />

81. A: Gibt es denn aber auf der anderen Seite auch Grenzen oder Nachteile dadurch,<br />

dass es kirchliche Aufgabe ist? Wo <strong>Notfallseelsorge</strong> vielleicht auch nicht weiter<br />

kommt oder auf Probleme stößt?<br />

82. P: Ja, gut, ich glaube wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fach, wir s<strong>in</strong>d oft zu spät vor Ort. Das ist e<strong>in</strong><br />

Problem. Oft aufgrund der weiten Wege eben. Und ansonsten hängt es sicherlich<br />

auch von der persönlichen Ausstrahlung e<strong>in</strong>es, e<strong>in</strong>es Mannes und e<strong>in</strong>er Frau,<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Notfallseelsorge</strong>rs, <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong> ab. Wie es, wie es ihm gel<strong>in</strong>gt oder<br />

ihr es gel<strong>in</strong>gt, Brücken zu bauen, Beziehungen aufzubauen. Grenzen gibt es da,<br />

wo die Wahrnehmung nicht genügend geschult wird. Und da ist e<strong>in</strong>fach die<br />

Gefahr, wenn man ohne Ausbildung h<strong>in</strong>geht, wo die Ausbildung speziell für die<br />

Situationen der <strong>Notfallseelsorge</strong>, dass man dann nur e<strong>in</strong> ganz e<strong>in</strong>geschränktes<br />

Wahrnehmungsvermögen hat.<br />

83. A: Haben sie denn auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass von dem her auf<br />

Probleme stoßen, dass am E<strong>in</strong>satzort e<strong>in</strong> Betroffener sagt, sie kommen von der<br />

Kirche, mit der Kirche habe ich nichts zu tun, mit ihnen spreche ich nicht?<br />

84. P: Ja, gut, ich stelle mich immer vor als, ich b<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r. Ich stelle nicht<br />

mich vor als Pfarrer oder als Mann der Kirche, sondern ich sage, ich sage<br />

me<strong>in</strong>en Namen. Ich heiße Friedmar Probst, ich b<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r, ich habe<br />

Zeit für sie. Mit ist da nicht klar, ob die Leute immer wissen, ob ich, was das ist,<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>. Irgende<strong>in</strong> helfender Mensch ist das halt. Manchmal denken sie<br />

ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Arzt oder irgendwie oder Psychologe, was ich natürlich nicht b<strong>in</strong>.<br />

Sicher, mit Ablehnung muss man auch mal rechnen. Muss man auch fertig<br />

werden. Wobei da gibt es e<strong>in</strong>e Art von Ablehnung, die vielleicht auch aus der<br />

Situation heraus kommt, so nach dem Motto, ja was will denn der jetzt auch<br />

noch von mir. Das kann man überw<strong>in</strong>den durch freundliche, zugewandte, nicht<br />

aufdr<strong>in</strong>gliche Art des Dase<strong>in</strong>s, der Hilfe also. Und, aber wenn ich spüre ganz<br />

deutlich, dass ich nicht gewünscht b<strong>in</strong> oder die Ablehnung auch verbalisiert wird,<br />

dann muss ich auch da me<strong>in</strong>e Grenzen respektieren.<br />

168


Und, gut dann gibt es ja die Möglichkeit der Nach-, NND ist ja auch noch da.<br />

Das ist ja, da haben wir jetzt überhaupt noch nicht gesprochen <strong>in</strong> unserem<br />

langen Gespräch, dass das ja seit ungefähr drei Jahren unsere Realität ist, dass<br />

wir immer <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit dem NND vor Ort s<strong>in</strong>d. Und zwar sogar so, dass<br />

der NND <strong>in</strong> aller Regel vor uns da ist.<br />

Also <strong>in</strong> den ersten Jahren me<strong>in</strong>es Dienstes habe ich es immer erlebt, so <strong>in</strong> den<br />

Jahren von 2001 bis zweitausend sage ich jetzt mal fünf, sechs vielleicht, da war<br />

ich alle<strong>in</strong>e mit den Betroffenen. Ich b<strong>in</strong> dann gekommen, habe mich vorgestellt,<br />

b<strong>in</strong> jetzt <strong>Notfallseelsorge</strong>r, dann war die Polizei froh, je nachdem, die konnten<br />

dann wieder fahren zum nächsten E<strong>in</strong>satz vielleicht. Und ich habe mich dann<br />

mit der Person unterhalten und habe versucht raus zu kriegen, ja, wo gibt es e<strong>in</strong><br />

soziales Netz, wen könnte man anrufen, um was geht es überhaupt, was, an was<br />

leiden sie jetzt. Versuche zu begreifen, was das für die Person bedeutet, was da<br />

passiert ist, das zu besprechen. Und dann, das ist ja immer so das letzte, dass<br />

man versucht e<strong>in</strong> soziales Netz zu erspüren. Kann man jemand anrufen? Und<br />

wenn die Person dann kommt, dann weiß man, aha, jetzt ist, wenn der<br />

Angehörige kommt oder der Freund, Freund<strong>in</strong>, gute Bekannte, dann ist der<br />

Betroffene jetzt nicht mehr alle<strong>in</strong>e und dann kann ich mich auch guten<br />

Gewissens wieder verabschieden. So war es ungefähr bis 2005, 2006.<br />

Und mittlerweile ist es so, dass <strong>in</strong> aller Regel der Notfallnachsorgedienst vom<br />

Roten Kreuz schon vorher da ist. Die kommen oft zu zweit. S<strong>in</strong>d natürlich auch<br />

professionelle Helfer. Und jetzt komme ich noch als Seelsorger. Und das ist<br />

zurzeit eher auch unser Problem. Wo ist da überhaupt noch unser Platz?<br />

Gut es gibt gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er häuslichen Situation, wo man e<strong>in</strong>er Person gegenüber<br />

sitzt, ist manchmal, ja, nicht so toll, wenn dann drei Helfer <strong>in</strong><br />

Anführungszeichen da sitzen und jeder weiß was und jeder redet noch e<strong>in</strong>. Und<br />

manchmal ist es sogar so, aber, ja, wer ist jetzt besser <strong>in</strong> Anführungszeichen<br />

auch <strong>in</strong> der Hilfe. Und das ist e<strong>in</strong> bisschen wirklich nicht gut im S<strong>in</strong>ne der<br />

Betroffenen. Da würde ich es manchmal fast besser f<strong>in</strong>den, zu sagen, e<strong>in</strong>e<br />

Person. Und dann muss man auch die Größe haben, zu sagen, ok, die Situation<br />

ist jetzt so, ich b<strong>in</strong> jetzt gerufen worden, aber ich sehe da ist jemand, der ist <strong>in</strong><br />

guten Händen, die Kollegen vom NND machen das gut, die haben Zeit, die s<strong>in</strong>d<br />

da, dass ich mich dann auch nach gemessener Zeit wieder verabschiede.<br />

Es gibt Situationen, wo ich speziell <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Profession als Geistlicher dann<br />

gefragt werde, beten sie mit mir oder e<strong>in</strong>e letzte Ölung ist an mich schon heran<br />

getragen worden als evangelischer Pfarrer. Ich kann das nicht, ich habe da auch<br />

nicht die Gerätschaften, ich habe das, nicht das Salböl dabei. Aber ich spüre<br />

dann natürlich den Wunsch, dass der Verstorbene behütet wird oder gesegnet<br />

wird und dass se<strong>in</strong> Weg mit Gott geht. Da stehe ich auch dah<strong>in</strong>ter und das<br />

mache ich dann, so e<strong>in</strong>e Aussegnung. Und das ist nun etwas, was das Rote<br />

Kreuz <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n nicht macht oder machen würde. Ja, da s<strong>in</strong>d dann wirklich<br />

auch Grenzen.<br />

Wobei dann die Zusammenarbeit mit dem NND an e<strong>in</strong>er größeren Situation,<br />

unübersichtlicheren Situation, bei e<strong>in</strong>em Unfall zum Beispiel, wo es mehrere<br />

Beteiligte gibt, wo es Ersthelfer gibt, wo es Zeugen gibt, andere Unfallbeteiligte,<br />

die nicht verletzt s<strong>in</strong>d, da ist es durchaus sehr gut, wenn man da mit mehreren<br />

Seelsorgern, mit den Helfern vor Ort ist. Dann kann man sich absprechen, geh<br />

du da h<strong>in</strong>, gehe ich da h<strong>in</strong>. So geht das dann.<br />

169


85. A: Da s<strong>in</strong>d wir jetzt schon auch e<strong>in</strong> Stück weit <strong>in</strong> der Frage dr<strong>in</strong>, wie sich denn die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> zum NND oder auch zur Krisen<strong>in</strong>tervention noch mal genau<br />

abgrenzt.<br />

86. P: Ja ja. Ok, das ist e<strong>in</strong>e offene Frage gerade im Moment. E<strong>in</strong>en Teil habe ich<br />

schon beantwortet durch die speziell geistlichen Angebote, die ich als Pfarrer<br />

und als kirchlicher <strong>Notfallseelsorge</strong>r machen kann. Ansonsten ist es oft so, dass<br />

es große Überschneidungen gibt. Wo der NND im Grunde nichts anderes macht<br />

als die <strong>Notfallseelsorge</strong>. Und die <strong>Notfallseelsorge</strong> nichts anderes als der NND.<br />

Nämlich e<strong>in</strong>fach da zu se<strong>in</strong>, die Nähe verbal, manchmal auch körperlich durch<br />

Körperkontakt spüren zu lassen. Wege aufzeigen, wie kann es jetzt weitergehen?<br />

Was ist der nächste Schritt? Wenn müssen wir anrufen? Alles das machen wir<br />

genau gleich, würde ich mal sagen. Von dem her ist die Abgrenzung da schwer.<br />

Das ist jetzt im Rems-Murr-Kreis zurzeit auch noch e<strong>in</strong>e offene Frage. Wir<br />

machen es so, dass wenn wir gerufen werden, gibt es immer vorher e<strong>in</strong> kurzes<br />

Kontakt-Handygespräch mit dem NND, wo man sagt, ja ich fahre jetzt auch h<strong>in</strong>,<br />

ich fahre auch h<strong>in</strong>, wir treffen uns dann dort vor Ort. Aber weil die anders<br />

organisiert s<strong>in</strong>d, die s<strong>in</strong>d so regional oder lokal organisiert. Die haben so e<strong>in</strong>e<br />

Bereitschaft Waibl<strong>in</strong>gen-Fellbach, dann haben sie e<strong>in</strong>e Bereitschaft, ich weiß<br />

nicht, Kernen-We<strong>in</strong>stadt-Remshalden oder so, ja. Die s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> jedem Fall immer<br />

schneller da. Oder <strong>in</strong> der Regel schneller da.<br />

Und ja, <strong>in</strong>sofern, Abgrenzung ja, da s<strong>in</strong>d wir gerade wirklich auch dran jetzt an<br />

der Konzeption der <strong>Notfallseelsorge</strong> im Rems-Murr-Kreis. Was das auch für die<br />

Zukunft auch bedeutet. Ich weiß <strong>in</strong> anderen Landkreisen ist es so, da ist die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong> Teil vom Roten Kreuz. Und e<strong>in</strong> Teil vom Roten Kreuz. Und<br />

auch hier habe ich schon mal gehört, ja gut, werdet doch, kommt doch e<strong>in</strong>fach<br />

zu uns zum DRK als <strong>Notfallseelsorge</strong>. Wir nehmen euch unter das Dach unserer<br />

Organisation und dann. Aber wie gesagt, das ist gerade noch offen. Wir s<strong>in</strong>d da<br />

noch dran.<br />

87. A: Wir s<strong>in</strong>d jetzt zwar schon bei der letzten Frage angelangt. Mit s<strong>in</strong>d aber zwei<br />

Fragen noch gekommen. Also gerade zu dem, was sie eben gesagt haben. Es ist<br />

ja <strong>in</strong> allen Regionen irgendwie verschieden gehandhabt, ja. Wie geht die<br />

Alarmierung von statten? Und unter welchem Dach s<strong>in</strong>d wir? Gibt es da auch<br />

Bemühungen, das bundesweit e<strong>in</strong>heitlich zu machen?<br />

88. P: Ich werde gerne ihre Frage gleich beantworten, aber ich bitte sie mich kurz zu<br />

entschuldigen.<br />

89. A: Ja, ke<strong>in</strong> Problem.<br />

Herr Probst verlässt für e<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>uten den Raum und kommt dann wieder here<strong>in</strong>.<br />

90. P: Ja, die letzte Frage war jetzt nach der bundese<strong>in</strong>heitlichen Regelung, ob es da<br />

Standards gibt. Ok, es gibt ja bundesweit, also e<strong>in</strong>e Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, wobei ich b<strong>in</strong> da jetzt <strong>in</strong> den Strukturen nicht so sehr vertraut.<br />

Da müssten sie die Frage vermutlich stellen, an unseren Landesbeauftragten, der<br />

Kirchenrat Sebastian Berghaus. Ich denke, dass er ihnen da kompetent Auskunft<br />

geben kann. Also, das ist e<strong>in</strong>fach für mich auch zu weit weg. Das würde mich<br />

schon <strong>in</strong>teressieren, aber betrifft jetzt me<strong>in</strong>e Arbeit so <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>n, die tägliche<br />

170


Arbeit nicht so. Insofern kann ich da jetzt nicht so, nicht so ganz genau die<br />

Auskunft geben. Ich me<strong>in</strong>e, klar, e<strong>in</strong>heitliche Standards bundesweit, denke ich<br />

schon, dass die vorhanden s<strong>in</strong>d. Ich weiß auch von me<strong>in</strong>er ersten Ausbildung her,<br />

dass, ja dass es e<strong>in</strong>en Verband gibt, <strong>Notfallseelsorge</strong>, also. Und das wird so<br />

organisiert se<strong>in</strong>.<br />

91. A: E<strong>in</strong>e zweite Frage habe ich noch. Sie haben ja beschrieben, dass es hier im<br />

Landkreis so ist, dass jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>r e<strong>in</strong>e Woche Bereitschaft hat.<br />

Angenommen der <strong>Notfallseelsorge</strong>r kommt jetzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en häuslichen E<strong>in</strong>satz und<br />

merkt, alle<strong>in</strong>e geht das nicht. Selbst wenn der NND noch mit dabei ist, man<br />

braucht jetzt noch mehr. Wie f<strong>in</strong>det da jetzt e<strong>in</strong>e Nachalarmierung statt? Weil es<br />

hat ja eigentlich ke<strong>in</strong> zweiter Rufbereitschaft.<br />

92. P: Ja, dann würde der Anruf an mich kommen. Beziehungsweise es geht dann so,<br />

wenn der <strong>Notfallseelsorge</strong>r den E<strong>in</strong>druck hat, da bräuchte man unbed<strong>in</strong>gt<br />

Verstärkung, müsste er das noch mal die Rettungsleitstelle wissen lassen und die<br />

Rettungsleitstelle würde dann vermutlich mich anrufen. Ich habe aber jetzt<br />

selber den Fall noch nie erlebt, also seit ich jetzt diese Aufgabe so habe. Was<br />

eher der Fall ist, dass jemand mal se<strong>in</strong>en Dienst zurückgibt. Dass man sagt, bei<br />

mir geht es jetzt ganz überraschend aus bestimmten Gründen, geht es jetzt <strong>in</strong> der<br />

nächsten Woche nicht, da hätte ich eigentlich Bereitschaftsdienst. Und das ist<br />

dann nicht ganz e<strong>in</strong>fach, da überhaupt e<strong>in</strong>en Ersatz zu kriegen. Weil die Pfarrer<br />

ja sehr, Menschen s<strong>in</strong>d, die sehr stark engagiert s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de mit<br />

Term<strong>in</strong>en und so weiter. Langfristig etwas zu planen ist ok, aber kurzfristig<br />

geschw<strong>in</strong>d jemand zu kriegen, ist manchmal e<strong>in</strong>fach. Aber bis jetzt hat es immer<br />

geklappt.<br />

93. A: OK, aber da werden die Leute halt e<strong>in</strong>fach angerufen und gefragt, haben sie<br />

gerade Zeit? Jetzt gerade so auch, wie beim Amoklauf <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden, da<br />

müssten je eigentlich nur zwei da gewesen se<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>er, der jetzt gerade<br />

Rufbereitschaft hat. Da werden die e<strong>in</strong>fach angerufen…<br />

94. P: …ja genau, genau. Wobei W<strong>in</strong>nenden, das ist für ja immer noch e<strong>in</strong>e offene<br />

Frage. Ich war zu der Zeit ja noch e<strong>in</strong>facher <strong>Notfallseelsorge</strong>r und ich b<strong>in</strong> nicht<br />

angerufen worden. Ich glaube erst dann vier Tage später, das g<strong>in</strong>g, oder e<strong>in</strong>e<br />

Woche später, ich weiß nicht. Da war dann plötzlich mal Bedarf für e<strong>in</strong><br />

Gespräch. Aber das g<strong>in</strong>g dann eben bei mir nicht. Ich me<strong>in</strong>e, die Freiheit hat<br />

man ja dann auch, zu sagen, ne<strong>in</strong>, das geht jetzt nicht. Das kommt vom<br />

Ehrenamt her.<br />

Ja gut, <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden da war es ja so, da hat dann das Dekanatamt <strong>in</strong> Waibl<strong>in</strong>gen<br />

hat <strong>Notfallseelsorge</strong>r angerufen, die sie gerade erreichen konnten. Von da, vom<br />

Dekanat, ist praktisch der Auftrag ausgegangen und andere <strong>Notfallseelsorge</strong>nde<br />

s<strong>in</strong>d ja aus anderen Landkreisen gekommen. Zum Beispiel im Kreis<br />

Ludwigsburg, aus dem Kreis Ludwigsburg, gibt es e<strong>in</strong> Verfahren mit dem Roten<br />

Kreuz.<br />

95. A: OK, dann habe ich me<strong>in</strong>e Fragen so weit durch und möchte ihnen noch mal<br />

danken, für ihre Antworten zu me<strong>in</strong>en Fragen.<br />

171


96. P: Ja, bitte sehr. Und wenn es ihnen hilft für ihre Master-Arbeit, dann soll es mir<br />

recht se<strong>in</strong> und dann würde ich mich sehr darüber freuen. Ich danke auch für das<br />

Gespräch.<br />

97. A: Danke.<br />

172


12.7 Interview mit Joachim Müller-Lange<br />

Interview mit Joachim Müller-Lange,<br />

Koord<strong>in</strong>ator der <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> der Evangelischen Landeskirche<br />

im Rhe<strong>in</strong>land, am 09.11.2009 <strong>in</strong> Düsseldorf,<br />

im Rahmen der Master-Thesis „Der Beitrag der <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit<br />

zur Unterstützung von Menschen <strong>in</strong> Krisensituationen“<br />

durch die Student<strong>in</strong> Nadescha Arnold<br />

A = Nadescha Arnold<br />

M = Joachim Müller-Lange<br />

1. A: Also zunächst e<strong>in</strong>mal vielen Dank, dass sie mir bereit stehen für e<strong>in</strong> Interview<br />

und me<strong>in</strong>e Fragen beantworten.<br />

Ich habe sechs verschiedene Leitthemen und möchte mit dem ersten e<strong>in</strong>steigen.<br />

Da geht es so e<strong>in</strong> bisschen um den Werdegang und die Aufgaben ihrer Person<br />

und möchte sie fragen, was sie von Beruf s<strong>in</strong>d.<br />

2. M: Ja, ich b<strong>in</strong> von Hause aus evangelischer Pfarrer. War zu Beg<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>es Dienstes<br />

Geme<strong>in</strong>depfarrer <strong>in</strong> Wuppertal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er recht kle<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>de. Und weil das so<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de war, war es auch nur e<strong>in</strong>e 50%-Pfarrstelle. So war von<br />

Anfang an die Fragestellung, was kommt da als Tätigkeitsfeld noch h<strong>in</strong>zu. Und<br />

so b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> den Bereich der Polizeiseelsorge h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gekommen und habe schon<br />

dadurch seit den frühen 80er Jahren Erfahrung zu machen gehabt, mit belasteten<br />

E<strong>in</strong>satzkräften, eben aus dem Feld Polizei und eben auch <strong>in</strong> dem Feld<br />

gesellschaftliche Ause<strong>in</strong>andersetzung.<br />

3. A: OK. Und wie s<strong>in</strong>d sie dann konkret zur <strong>Notfallseelsorge</strong> gekommen? Oder zu<br />

dem was sie jetzt auch machen?<br />

4. M: Ja, <strong>in</strong> der Polizeiseelsorge haben wir immer wieder Polizeibeamte begleitet. Und<br />

e<strong>in</strong>es der wesentlichen Themen ist dort gewesen, wie überbr<strong>in</strong>ge ich e<strong>in</strong>e<br />

Todesbenachrichtigung. Also, was tun wir, wenn wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Familie h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

müssen, die plötzlich und ohne Vorherwarnung e<strong>in</strong>en Angehörigen verloren hat<br />

und jetzt von jetzt auf gleich eigentlich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Betreuung braucht. Dazu<br />

hatte die Kirche früher gar ke<strong>in</strong>e Antwort. Die Polizeibeamten konnten am<br />

Pfarrhaus kl<strong>in</strong>geln oder sie konnten dann auch später <strong>in</strong> den, <strong>in</strong> den Pfarrämtern<br />

anrufen. Aber <strong>in</strong> aller Regel war es eben so, dass die Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer<br />

tätig waren, unter Umständen auch draußen tätig waren und nicht e<strong>in</strong>fach ihre<br />

Arbeit unterbrechen konnten. Das war so das e<strong>in</strong>e.<br />

Das zweite war, dass Feuerwehrleute und Rettungskräfte und Notärzte gesagt<br />

haben, auch <strong>in</strong> den Häusern gibt es so Situationen, wo ganz plötzlich e<strong>in</strong> Mensch<br />

verstirbt und wo eigentlich Seelsorge notwendig ist, aber wir haben ke<strong>in</strong>e<br />

Strukturen für so etwas. Und da kam aus Bayern e<strong>in</strong> Kollege der sagte, ja dafür<br />

müssen wir e<strong>in</strong> neues System auch erf<strong>in</strong>den. Er hat dann den Ausdruck<br />

173


<strong>Notfallseelsorge</strong> geprägt, Hanjo von Wietersheim. Und es gab so die ersten<br />

Austausche, auch unter den Polizeiseelsorgern und es gab dann eben auch<br />

e<strong>in</strong>zelne Initiativen von e<strong>in</strong>zelnen Personen <strong>in</strong> ganz <strong>Deutschland</strong> und eben auch<br />

bei uns im Rhe<strong>in</strong>land. Ich würde bis heute sagen, so etwas wie e<strong>in</strong>e<br />

Graswurzelbewegung, dass dann e<strong>in</strong>zelne gesagt haben, ok, also wenn Polizei<br />

ruft oder wenn Feuerwehr ruft, dann stehe ich zur Verfügung.<br />

Und so haben diese ersten Personen sich <strong>Notfallseelsorge</strong>r genannt. Und die<br />

Landeskirche, ich b<strong>in</strong> dann zu der Zeit dann aber auch schon Landespfarrer für<br />

Polizeiseelsorge gewesen, das war dann Anfang der 90er Jahre, b<strong>in</strong> ich von<br />

me<strong>in</strong>er Kirchenleitung beauftragt worden, mal zu schauen. Was ist denn da<br />

Neues? Was tut sich denn da? Und wenn sich da etwas tut, braucht es<br />

landeskirchliche Unterstützung? Braucht es Erfahrungsaustausch? Braucht es<br />

Strukturen, die für die Arbeit notwendig s<strong>in</strong>d und hilfreich se<strong>in</strong> können? Und ich<br />

sollte mich um solche Fragestellungen kümmern. Ich wusste vorher auch nicht,<br />

was kommt da auf mich zu? Und so haben wir erste Erfahrungsrunden gemacht.<br />

Und das wesentliche dabei ist gewesen, dass festgestellt worden ist, also wir<br />

müssen uns auf diese Dienste, die es vorher so ja noch nicht gab, <strong>in</strong>tensiv<br />

vorbereiten. Also wir brauchen Ausbildung, Ausbildung und noch mal<br />

Ausbildung. Oder Fortbildung, wenn man es genauer sagen will, für diejenigen,<br />

die ja schon e<strong>in</strong>e Seelsorgeausbildung haben. Aber wir müssen genau wissen,<br />

was ist eigentlich bei e<strong>in</strong>em plötzlichen Säugl<strong>in</strong>gstod? Was ist, wenn ich bei<br />

e<strong>in</strong>em Verkehrsunfall an der Autobahn stehe? Was ist, wenn sich e<strong>in</strong> Mensch<br />

erhängt hat? Oder so etwas.<br />

Und dann ist es sehr schnell me<strong>in</strong>e Aufgabe geworden, solche<br />

Ausbildungsgänge zusammenzustellen und Ausbildung zu gestalten und das tue<br />

ich im Grunde bis heute. Mittlerweile haben wir <strong>in</strong>sgesamt sechs<br />

unterschiedliche Ausbildungswochen zu Themen der <strong>Notfallseelsorge</strong>. Ja und da<br />

s<strong>in</strong>d wir. Wie b<strong>in</strong> ich dazu gekommen, habe ich damit gesagt.<br />

Ja, wie sah ihre Ausbildung zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r aus? Es gab ke<strong>in</strong>e. Also wir<br />

haben sie selber zu entwickeln gehabt. Ich selber, auch was das Überbr<strong>in</strong>gen von<br />

Todesnachrichten, wenn ich das so mal als Grundste<strong>in</strong> mit benennen darf, b<strong>in</strong><br />

re<strong>in</strong> geworfen worden <strong>in</strong>s kalte Wasser, eben durch Alarmierung von<br />

Polizeibeamten, die gesagt haben, jetzt hier, komm mit. Und me<strong>in</strong>e Aufgabe <strong>in</strong><br />

der Polizeiseelsorge war dann, berufsethischen Unterricht zu geben und ich habe<br />

dann solche Themen als Schwerpunktthemen auch genommen, so dass wir dann<br />

die Erfahrung der Polizeibeamten abgerufen haben und versucht haben, aus<br />

solchen D<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong> System zu machen. Und so ist es dann letztlich auch <strong>in</strong> den<br />

anderen Bereichen gegangen. Die e<strong>in</strong>zelnen Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen, die<br />

Erfahrung hatten mit e<strong>in</strong>zelnen Themenfeldern, oder wir würden heute sagen,<br />

mit Indikationen, also plötzlicher Säugl<strong>in</strong>gstod oder Suizid oder schwerer<br />

Verkehrsunfall, haben ihre Erfahrungen aus-, e<strong>in</strong>gebracht und wir haben dann<br />

versucht, diese Erfahrungen zu systematisieren und damit eben Fortbildung zu<br />

gestalten.<br />

5. A: Ja, was gehört jetzt heute zu ihren Aufgaben oder zu ihren koord<strong>in</strong>ierenden<br />

Aufgaben auch?<br />

6. M: Ja, <strong>in</strong> der Tat, Koord<strong>in</strong>ierung ist e<strong>in</strong> wesentliches Wort. Ich b<strong>in</strong> also der<br />

Koord<strong>in</strong>ator auf der landeskirchlichen Ebene. Im Rhe<strong>in</strong>land ist es so, dass wir<br />

mittlerweile 56 <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen haben. Und all diese Gruppen haben<br />

174


ihre Bedürfnisse, Sie haben ihre jeweils eigene Struktur. Sie haben ihre<br />

Koord<strong>in</strong>atoren. Und sie haben ihre Formen von Bereitschaftsdiensten und<br />

Plänen. Sie haben ihre Materialien und Unterlagen, die sie mitnehmen. Und<br />

wenn man sich das vorstellt, dass das <strong>in</strong>sgesamt dann 56 Gruppen s<strong>in</strong>d, die alle<br />

so etwas brauchen, haben wir sehr schnell gesagt, wir müssen bestimmte D<strong>in</strong>ge<br />

standardisieren. Also es muss klar se<strong>in</strong>, was gehört eigentlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>koffer h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Es muss klar se<strong>in</strong>, was nimmt jemand mit. Es<br />

muss klar se<strong>in</strong>, was hat er für e<strong>in</strong>e Schutzbekleidung. Also viele<br />

organisatorischen D<strong>in</strong>ge, materiellen D<strong>in</strong>ge. Und auch die gab es am Anfang so<br />

noch nicht und dann haben wir angefangen sie zu entwickeln.<br />

Also wir haben zum Beispiel e<strong>in</strong> Büchle<strong>in</strong> entwickelt, mit Ritualen und Gebeten.<br />

Wir haben es genannt „Wenn die Not Worte verschl<strong>in</strong>gt“. Also e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

Büchle<strong>in</strong>, wo man im Grunde auf e<strong>in</strong> oder zwei Seiten sich noch mal vor e<strong>in</strong>em<br />

E<strong>in</strong>satz, ja, vergegenwärtigen kann, was ist da bei aller Voraussicht nach<br />

notwendig. Worauf muss ich e<strong>in</strong>gehen. Was für Gebete, Rituale oder so, kann<br />

ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situation nutzen. Solche Materialien haben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Materialdienst dann erarbeitet. Und so ist e<strong>in</strong> Teilbereich der koord<strong>in</strong>ierenden<br />

Aufgaben Materialdienst.<br />

Das andere ist Koord<strong>in</strong>ation <strong>in</strong> größeren Schadenslagen. Also auch wir haben,<br />

ähnlich wie <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden, Situationen gehabt, wo wir nicht nur e<strong>in</strong>en<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r brauchten, sondern e<strong>in</strong>e ganze Reihe. Das g<strong>in</strong>g los mit dem<br />

Flughafenbrand <strong>in</strong> Düsseldorf. Aber es hat dann eben auch zum Beispiel beim<br />

Tsunami oder bei anderen Gelegenheiten, solche D<strong>in</strong>ge gebraucht. Und da war<br />

es dann sehr schnell die landeskirchliche Aufgabe, überregional Kolleg<strong>in</strong>nen<br />

und Kollegen zu alarmieren und sie vor Ort, gegebenenfalls auch über mehrere<br />

Tage oder gegebenenfalls auch über Wochen zu führen, zu koord<strong>in</strong>ieren.<br />

Also Materialien, Großschadenslagen und Erfahrungsaustausch waren die<br />

wesentlichsten koord<strong>in</strong>ierenden Aufgaben.<br />

7. A: Ja weitgehend haben sie es schon beantwortet. Aber gibt es noch darüber h<strong>in</strong>aus<br />

Punkte, was ihre Aufgaben zu denen von den <strong>Notfallseelsorge</strong>rn vor Ort<br />

unterscheidet?<br />

8. M: Ja, ich selber b<strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppe. Wenn wir<br />

uns jetzt hier <strong>in</strong> Düsseldorf unterhalten, kann ich nicht im Rhe<strong>in</strong>-Sieg-Kreis, dort<br />

wo ich wohne, tätig se<strong>in</strong>. Und so b<strong>in</strong> ich sehr viel unterwegs. Das bedeutet, dass<br />

ich nicht fest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe b<strong>in</strong>, sondern die Gruppen, die es bei uns gibt,<br />

besuche. Und die Gruppen, die <strong>in</strong> den jeweiligen Regionen tätig s<strong>in</strong>d, dann auch<br />

durch Vorträge oder andere D<strong>in</strong>ge unterstütze. Das ist e<strong>in</strong>e der wesentlichen<br />

Unterscheidungen. Und das heißt aber nicht, dass ich nicht auch<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>erfahrungen mache. Ich werde weiterh<strong>in</strong>, wenn ich irgendwie<br />

auch mal vor Ort b<strong>in</strong> und ich zuhause erreichbar b<strong>in</strong>, dann eben auch zu<br />

Notfällen gerufen. Insofern bleibt es eben auch, dass es so etwas wie stetige<br />

Erfahrung gibt. Aber die wesentliche Aufgabe, die ich halt übernommen habe,<br />

s<strong>in</strong>d halt Aus- und Fortbildungen. Und dar<strong>in</strong> schon e<strong>in</strong>e deutliche<br />

Unterscheidung zu den anderen.<br />

9. A: Mal so im Allgeme<strong>in</strong>en. Was ist denn das Schönste an ihrer Arbeit?<br />

175


10. M: Ja eigentlich, wenn man den Ausdruck <strong>Notfallseelsorge</strong> mit „schön“ oder mit<br />

„Freude“ oder so etwas zusammen sehen möchte, ist das ja nicht ganz e<strong>in</strong>fach.<br />

Man kommt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> schwierigste Situationen. Man kommt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Bereiche,<br />

wo ganz akutes Leid ist. Aber da b<strong>in</strong> ich dann doch bei Gutem und bei Schönem.<br />

Das Gute und Schöne ist, dass man merkt, dass dieser S<strong>in</strong>n unmittelbar, dieser<br />

Dienst unmittelbar S<strong>in</strong>n macht. Und dass der Dienst auch unmittelbar<br />

angenommen wird. Und dass auch elementare Hilfe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Extremsituation<br />

konkrete, gute und <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne auch schöne Hilfe ist. Und das ist etwas, was<br />

zu e<strong>in</strong>em großen, oder für mich bis heute, großartigen Form von<br />

Arbeitszufriedenheit und zwar dauerhafter Arbeitszufriedenheit, führt. Also ja,<br />

es gibt Schönes <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>. Und die, der Kontakt mit <strong>in</strong>tensivem<br />

Leid ist nicht automatisch etwas, was e<strong>in</strong>em selber Leid zufügt. Im Gegenteil. Es<br />

ist so, dass man sofort S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Tätigkeit sieht und auch wahrnimmt, wie<br />

dieser Dienst angenommen wird.<br />

Also wenn ich das als Beispiel oder wenn ich e<strong>in</strong> Beispiel nehmen darf, <strong>in</strong><br />

unserer Tsunami-Arbeit haben wir eben nicht nur <strong>in</strong> der Akutphase gearbeitet.<br />

Ich vermute, das wird <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden auch so se<strong>in</strong>, dass man im Grunde über<br />

e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum Menschen begleiten muss, auch wenn die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> ihrer Begrifflichkeit zunächst sagt, wir arbeiten <strong>in</strong> der<br />

Akutphase. Die Gestaltung von Jahrestagen haben wir <strong>in</strong> Thailand mit e<strong>in</strong>em<br />

vierzehnköpfigen Team gemacht. Haben Menschen über sieben, neun, jetzt im<br />

letzten Jahr, über siebzehn Tage begleitet. Und haben da eben auch<br />

wahrgenommen, wie Menschen sich verändern und wie Trauer, wie Trauer auch,<br />

und Trauerarbeit auch, erfolgreich se<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass man sagen kann,<br />

also ich erlebe bei Trauernden oder bei H<strong>in</strong>terbliebenen, aber auch bei<br />

Vermissenden e<strong>in</strong>e Entwicklung, wenn sie begleitet werden. Das ist eigentlich<br />

auch e<strong>in</strong>e sehr schöne Seite.<br />

11. A: Gibt es denn im Gegensatz dazu auch etwas, was ihnen gar ke<strong>in</strong>en Spaß macht<br />

<strong>in</strong> ihrer Arbeit?<br />

12. M: Dazu könnte ich jetzt im Moment gar nichts sagen. Ne<strong>in</strong>, ich b<strong>in</strong> hoch motiviert.<br />

Es gibt eigentlich nichts, was mich so aus dieser Arbeit herauskatapultieren<br />

würde, wo ich sagen würde, ne<strong>in</strong>, also das hältst du jetzt nicht aus. Oder hast du<br />

ke<strong>in</strong>e Lust dran. Oder das ist jetzt etwas, was du e<strong>in</strong>fach nur machen musst. Im<br />

Gegenteil. Ich erlebe, dass me<strong>in</strong>e Landeskirche mir e<strong>in</strong>en großen Freiraum gibt,<br />

ich sehr viel gestalten kann, so wie ich es zusammen mit den Kollegen eben<br />

auch gestalten möchte. Und ich erlebe auch und das ist eben auch etwas, was,<br />

was ich sehr hervorheben möchte, ich erlebe e<strong>in</strong>e deutliche Unterstützung auch<br />

der Landeskirche und <strong>in</strong>sofern gibt es da gar nichts, wo ich sagen müsste, also,<br />

ne<strong>in</strong>, also ich möchte am liebsten raus aus diesem Arbeitsfeld. Ganz und gar<br />

nicht.<br />

13. A: Das ist ja schön. OK, ich würde gerne weitermachen mit dem zweiten Leitthema<br />

und da geht es so um Strukturen und Grundlagen und wollte sie fragen, seit<br />

wann es die <strong>Notfallseelsorge</strong> allgeme<strong>in</strong> gibt? Und zum anderen <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong><br />

ihrer Landeskirche.<br />

14. M: Ja. allgeme<strong>in</strong>, also das müsste der Hanjo von Wietersheim mit e<strong>in</strong>er Jahreszahl<br />

noch genauer sagen können. Ich selber habe so den Anfang der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

176


für mich datiert mit den Anfängen, wo wir auch erste Artikel zum Beispiel <strong>in</strong> der<br />

Zeitschrift „Brandschutz“ lanciert haben. Da war dann sicherlich schon e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Vorerfahrung da. Aber damit wurde es auch <strong>in</strong> dem Bereich der<br />

Öffentlichkeit, auch <strong>in</strong> der Fachöffentlichkeit, zum Beispiel <strong>in</strong> der Feuerwehr<br />

oder dann auch im Rettungsdienst präsentiert. Und das war im Jahr 1993. Und<br />

das ist für uns <strong>in</strong>sofern auch e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Anfangsdatum, als dass da, zu diesem<br />

Zeitpunkt, die ersten Dienste auch begonnen worden s<strong>in</strong>d. Und wir feiern jetzt <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von <strong>Notfallseelsorge</strong>diensten 15. Geburtstag. Es gibt aber<br />

auch Regionen, die haben jetzt gerade ihr zehntes Jubiläum. Und es gibt auch<br />

Gruppen, die haben noch später angefangen. S<strong>in</strong>d also jetzt acht oder sieben<br />

Jahre dabei. Also <strong>in</strong>sgesamt, bei 56 Gruppen, haben die nicht alle gleichzeitig<br />

angefangen, sondern <strong>in</strong> den verschiedenen Regionen zu bestimmten Zeiten dann<br />

begonnen.<br />

15. A: Ja, sie haben es ja gerade gesagt, mit den 56 Gruppen <strong>in</strong> ihrem ganzen, <strong>in</strong> ihrem<br />

ganzen Bereich. Können sie vielleicht ganz grob sagen, wie viele<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r da jetzt im E<strong>in</strong>satz s<strong>in</strong>d immer?<br />

16. M: Ja, also es ist pro <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppe immer e<strong>in</strong>e Person im E<strong>in</strong>satz, aktuell<br />

im Bereitschaftsdienst und die Gruppen bestehen aus so zwischen 8 bis 25,<br />

manchmal auch 30 Personen, die sich diese Arbeit teilen und dann <strong>in</strong> den<br />

Bereitschaftsdienst e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den lassen. Insgesamt haben wir im Rhe<strong>in</strong>land über<br />

650 Personen ausgebildet, die auch <strong>in</strong> diesen Diensten gestanden haben.<br />

Mittlerweile muss man sagen, wir haben auch e<strong>in</strong>e gewisse Fluktuation. Nicht<br />

alle die, die vor zehn Jahren begonnen haben, machen auch heute noch mit. Zum<br />

Teil s<strong>in</strong>d sie pensioniert, zum Teil <strong>in</strong> anderen Pfarrstellen. Aber man kann sicher<br />

sagen, dass <strong>in</strong> allen Gruppen <strong>in</strong>sgesamt, circa 650 Seelsorger<strong>in</strong>nen und<br />

Seelsorger tätig s<strong>in</strong>d.<br />

17. A: Ist es denn <strong>in</strong> allen Gruppen so, dass immer jeweils e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

Bereitschaft hat? Also diese Bereitschaftswoche? Oder ist es auch, gibt es auch<br />

andere Formen?<br />

18. M: Also es ist immer so, dass m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Person Bereitschaft hat. Am Anfang<br />

hat es sehr viele Bereitschaftswochen gegeben. Mittlerweile s<strong>in</strong>d diese<br />

Bereitschaftsdienste viel flexibler. Also es gibt Tagesbereitschaften, es gibt<br />

Wochen-, Wochenendbereitschaften. Es gibt Bereitschaften, wo sich zwei<br />

Seelsorger<strong>in</strong>nen oder Seelsorger e<strong>in</strong>en Dienst teilen und dann flexibel reagieren<br />

können. Da hat sich die ursprüngliche starre Bereitschaftswoche nicht so sehr<br />

bewährt gehabt und viele <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen haben Dienste gefunden und<br />

Bereitschaftsformen gefunden, die ihnen am Angemessensten s<strong>in</strong>d.<br />

19. A: Wird das auch weiterh<strong>in</strong> so bleiben? Weil ich habe jetzt tatsächlich <strong>in</strong> allen<br />

Interviews unterschiedliche Formen jetzt mitbekommen. E<strong>in</strong>mal die<br />

Bereitschaftswochen tatsächlich, e<strong>in</strong>mal auch dass wirklich jeder<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r quasi das ganze Jahr e<strong>in</strong>fach Bereitschaft hat. Wird es so<br />

bleiben, weil es <strong>in</strong> jeder Region anders am Besten möglich ist oder gibt es da<br />

auch Bestrebungen, das irgendwie e<strong>in</strong>heitlich zu machen?<br />

177


20. M: Ich glaube dass wir da unterschiedliche Formen auf Dauer brauchen werden. Ich<br />

wünschte mir nicht, dass wir e<strong>in</strong>zelne Kollegen so stark belasten, dass sie im<br />

Grunde über 365 Tage rund um die Uhr nicht anderes machen können als<br />

sozusagen <strong>in</strong> ihrem Arbeitsfeld, <strong>in</strong> ihrer Arbeitsregion zu bleiben und rund um<br />

die Uhr e<strong>in</strong>setzbar s<strong>in</strong>d und mit e<strong>in</strong>em Pieper erreichbar s<strong>in</strong>d. Wir haben solche<br />

D<strong>in</strong>ge auch bei uns im Rhe<strong>in</strong>land gehabt. Es war dann aber so, dass nach e<strong>in</strong>em<br />

Wechsel der Pfarrstelle, auch Geme<strong>in</strong>den gesagt haben, dass möchten wir nicht<br />

noch mal, e<strong>in</strong>en Seelsorger, der rund um die Uhr über 365 Tage sozusagen nur<br />

noch an die <strong>Notfallseelsorge</strong> denken kann. Ich glaube, dass es Entwicklungen<br />

geben kann. Wir erleben ja Entwicklung, dass wir Bereitschaftsdienste <strong>in</strong> der<br />

Krankenhausseelsorge haben, Bereitschaftsdienste <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>, unter<br />

Umständen sogar <strong>in</strong> Hospizen oder anderswo. Und jeder e<strong>in</strong>zelne<br />

Bereitschaftsdienst b<strong>in</strong>det Personal. Und wenn ich Phantasie und Kreativität <strong>in</strong><br />

so etwas re<strong>in</strong> stecken könnte, wäre me<strong>in</strong>e Idealform, solche Bereitschaftsdienste<br />

dauerhaft auch fachlich zusammen zu legen, damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region nur noch e<strong>in</strong>e<br />

Person gebunden ist für e<strong>in</strong>e zu def<strong>in</strong>ierende Zeit, aber dann vielfältig e<strong>in</strong>setzbar.<br />

Sei es <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>, sei es im Krankenhaus oder sei es im Hospiz oder<br />

wo anders.<br />

21. A: Jetzt die Frage, wie die <strong>Notfallseelsorge</strong> strukturell organisiert und vernetzt ist?<br />

Und aber auch, wer der Träger hier von der <strong>Notfallseelsorge</strong> ist?<br />

22. M: Ja. Also bei unseren 56 <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen ist es so, dass <strong>in</strong> all diesen<br />

Gruppen die Evangelische Kirche im Rhe<strong>in</strong>land m<strong>in</strong>destens mit Träger ist. Also<br />

viele, <strong>in</strong> vielen Bereichen ist es so, dass die evangelische Kirche auch alle<strong>in</strong>e<br />

Träger ist. Wir haben ökumenische <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen, wo die katholische<br />

und die evangelische Kirche der Region jeweils Träger s<strong>in</strong>d. Und wir haben<br />

Mischformen, wo entweder die Malteser oder das Deutsche Rote Kreuz mit <strong>in</strong><br />

der Trägerschaft ist. Oder wir haben ökumenische Gruppen mit Rotem Kreuz.<br />

Also da haben wir e<strong>in</strong>e bunte Trägerkomb<strong>in</strong>ation. Wir haben <strong>in</strong> zwei Bereichen,<br />

die zählen jetzt nicht zu unseren 56, aber <strong>in</strong> zwei Bereichen e<strong>in</strong>e Trägerschaft<br />

des Deutschen Roten Kreuzes. Das ist aber dann ke<strong>in</strong>e <strong>Notfallseelsorge</strong>, sondern<br />

entweder Krisen<strong>in</strong>tervention oder Notfallnachsorge. Und wir haben gerade auch<br />

vor, <strong>in</strong> besonderer Weise mit unseren evangelischen Rettungsdienstpartnern, den<br />

Johannitern, geme<strong>in</strong>sam die <strong>Notfallseelsorge</strong> und Krisen<strong>in</strong>terventionsdienste<br />

weiter zu entwickeln. Und <strong>in</strong>sofern könnte ich mir vorstellen, dass auch im<br />

Bereich der Evangelischen Kirche im Rhe<strong>in</strong>land irgendwann solche<br />

Trägerschaften sich entwickeln. Evangelische, katholische Kirche und die<br />

Hilfsorganisationen.<br />

23. A: Wenn jetzt e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz ansteht und die Alarmierung durchgeführt werden muss,<br />

wie ist es denn da zum e<strong>in</strong>en organisiert, also über wen läuft das Ganze? Über<br />

den Koord<strong>in</strong>ator oder über den Katastrophenschutz oder über die Polizei? Wie<br />

geschieht denn da die Alarmierung?<br />

24. M: Die Alarmierung geschieht <strong>in</strong> jedem Fall über die Leitstelle. Es ist<br />

unterschiedlich, ob <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Regionen es ausschließlich die Feuerwehr-<br />

Rettungsdienst-Leitstelle ist. In e<strong>in</strong>igen Regionen muss auch die Polizei auf die<br />

Feuerwehr- und Rettungsdienstleitstelle zugreifen, um an <strong>Notfallseelsorge</strong>r zu<br />

kommen. In anderen Fällen alarmiert auch die Polizei über ihre jeweilige<br />

178


Leitstelle. Und die Leitstellen erreicht die <strong>Notfallseelsorge</strong>r entweder über e<strong>in</strong><br />

Handyrufsystem oder über Funkmeldeempfänger.<br />

25. A: Genau, wie wird die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit f<strong>in</strong>anziert?<br />

26. M: Auch das ist unterschiedlich. Von Hause aus haben die Träger <strong>in</strong> aller Regel die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> zu tragen. Also auch f<strong>in</strong>anziell zu tragen. Und <strong>in</strong>sofern s<strong>in</strong>d die<br />

beiden Kirchen, also die Evangelische Kirche im Rhe<strong>in</strong>land und die jeweiligen<br />

Bistümer auch bei uns, <strong>in</strong> der F<strong>in</strong>anzierung im Wesentlichen beteiligt. Es gibt<br />

auch zusätzliche F<strong>in</strong>anzierungsquellen, dass <strong>in</strong> Teilen auch Städte die Arbeit<br />

zum Teil mit ref<strong>in</strong>anzieren. Allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong> Stellen, sondern eher <strong>in</strong><br />

Materialkosten, Ausbildungskosten und ja, Ausstattungskosten. Da gibt es dann<br />

auch jeweilige Unterstützung. Ansonsten f<strong>in</strong>anzieren die Kirchenkreise bei uns<br />

dann ihre jeweilige <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppe.<br />

27. A: Das heißt, wird dann aber über Spenden auch noch mal dazu aufgerufen? Also,<br />

oder deckt sich das dann?<br />

28. M: Die Frage ist schwer zu beantworten, denn decken, also es kann ke<strong>in</strong>e<br />

F<strong>in</strong>anzierungslücken geben, so <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, sondern man kann dann vielleicht<br />

bestimmte D<strong>in</strong>ge nur nicht anschaffen. Oder man müsste den Dienst aufhören.<br />

Also von solchen D<strong>in</strong>gen habe ich noch nichts gehört, dass es so etwas gibt.<br />

Aber natürlich ist es so, dass die Ausstattung <strong>in</strong> den unterschiedlichen Regionen<br />

eben auch unterschiedlich ist. Und dort, wo es Spendenmöglichkeiten gibt, zum<br />

Beispiel, dass e<strong>in</strong> Fahrzeug gespendet wird als Betreuungsfahrzeug oder als<br />

Lotsenfahrzeug für die <strong>Notfallseelsorge</strong>, dann ist man da vor Ort auch dankbar.<br />

Und es ist so, dass auch Banken und andere Organisationen und Firmen<br />

durchaus spendenwillig s<strong>in</strong>d.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs darüber h<strong>in</strong>aus haben wir zentral e<strong>in</strong>e „Stiftung<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>“ gegründet und mit dieser Stiftung haben wir nicht nur die<br />

Tsunami-Arbeit <strong>in</strong>sgesamt auch mitf<strong>in</strong>anziert, sondern unterstützen auch<br />

e<strong>in</strong>zelne <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen. So hatten wir zum Beispiel aus dem<br />

Mannesmann-Prozess 5000.- Euro bekommen und haben dafür etwas über 100<br />

Jacken und Westen besorgt, um die Standardisierung mit violetten Westen auch<br />

etwas voranzutreiben. Und so versteht sich die Stiftung eben auch als<br />

Unterstützungsform und Unterstützungsgremium für die <strong>Notfallseelsorge</strong>.<br />

29. A: Wie wird denn die <strong>Notfallseelsorge</strong>arbeit evaluiert?<br />

30. M: Evaluation kann ja auf unterschiedlichen Leveln geschehen. In nahezu allen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>systemen werden die E<strong>in</strong>sätze statistisch erfasst. Aber Statistik<br />

ist trotzdem auch e<strong>in</strong> Problemstichwort, weil nicht, ich habe nicht von jedem<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>e<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong> Protokoll. Oder nicht jeder <strong>Notfallseelsorge</strong>e<strong>in</strong>satz<br />

im Rhe<strong>in</strong>land, kann ich sicher se<strong>in</strong>, dass er erfasst ist. Also e<strong>in</strong>e Evaluation<br />

selbst sozusagen nach statistischen Größen ist nicht hundertprozentig<br />

gewährleistet.<br />

Noch weniger ist gewährleistet, dass wir e<strong>in</strong>e Evaluation haben, <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne,<br />

wie haben eigentlich Betroffene e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz wahrgenommen. Also, fanden sie<br />

das Vorgehen des Seelsorgers oder der Seelsorger<strong>in</strong> angemessen? Oder gab,<br />

könnte man so etwas sagen, sie haben sie <strong>in</strong> ihrer Trauerarbeit maßgeblich<br />

179


unterstützt? Also die Effizienz von Seelsorge konnte bis jetzt so noch nicht<br />

statistisch evaluiert werden.<br />

Wir s<strong>in</strong>d aber zum Beispiel bei dem Tsunami-Projekt dabei, jetzt nach e<strong>in</strong>em<br />

Zeitrahmen von fünf Jahren, auch die Betroffenen noch e<strong>in</strong>mal zu fragen, noch<br />

mal auf sie zuzugehen, sie zu fragen, gab es D<strong>in</strong>ge, die ihnen besonders hilfreich<br />

gewesen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Unterstützung im Tsunami-Projekt? Und gab es D<strong>in</strong>ge, die<br />

ihnen weniger hilfreich gewesen s<strong>in</strong>d? Haben sie sich über etwas geärgert? Und<br />

wie sehen sie sich <strong>in</strong> der Zeit nach dem Tsunami als gefördert oder begleitet an?<br />

Da wird, wenn das so klappt alles, das steht noch <strong>in</strong> den, <strong>in</strong> den Anfängen, wird<br />

die Universität Bonn, also die theologische Fakultät der Universität Bonn mit<br />

dem religionswissenschaftlichen Institut, diese Evaluation voran treiben. Das<br />

s<strong>in</strong>d, wenn ich das jetzt von e<strong>in</strong>em Projekt schreibe, dann geht so etwas. Ich<br />

könnte niemals sagen, wir können das flächendeckend evaluieren.<br />

31. A: Wenn sie jetzt so mal auf die Arbeit blicken, würden sie denn sagen, es gibt<br />

e<strong>in</strong>en Punkt, der sich <strong>in</strong> der Seelsorgearbeit dr<strong>in</strong>gend ändern sollte?<br />

32. M: Dr<strong>in</strong>gend ändern. Also <strong>Notfallseelsorge</strong> ist ja auch e<strong>in</strong> solidarisches System.<br />

Was soll ich sagen, ich versuche es ganz e<strong>in</strong>fach zu sagen. Es können 30<br />

Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger gut schlafen, wenn e<strong>in</strong>e oder e<strong>in</strong>er wacht. Also<br />

sagen, für diese Region tätig ist. Was sich, was sich entwickelt hat ist eben, oder<br />

was sich auch noch nicht entwickelt hat, ist eben, dass es e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> gibt <strong>in</strong><br />

den Regionen, dass jede Pfarrer<strong>in</strong> und jeder Pfarrer sagen, auch ich gehöre<br />

eigentlich zum Kreis der <strong>Notfallseelsorge</strong>r, denn <strong>Notfallseelsorge</strong> ist e<strong>in</strong>e<br />

Kernkompetenz von Kirche. An diesem Bewusstse<strong>in</strong> müssen wir noch sicherlich<br />

e<strong>in</strong>e Weile arbeiten. Also <strong>in</strong>sofern, da darf und muss sich sicherlich auch noch<br />

e<strong>in</strong>e Menge ändern.<br />

33. A: Gibt es denn <strong>in</strong> diesen 56 Gruppen, die sie jetzt haben, auch ehrenamtliche<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r?<br />

34. M: Ja. Sie hat es zum Teil von Anfang an gegeben. Es hat e<strong>in</strong>zelne Gruppen<br />

gegeben, bei uns <strong>in</strong> Birkenfeld, die nannte sich schon von ihrem Namen her<br />

„ökumenische <strong>Notfallseelsorge</strong> – allgeme<strong>in</strong>e Krisen<strong>in</strong>tervention“. Und schon <strong>in</strong><br />

dem Namen wird deutlich, dass sie eben ganz bewusst gesagt hat, wir wollen<br />

nicht nur auf Geistliche zugreifen <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> oder <strong>in</strong> dieser Form<br />

der Arbeit, sondern eben auch auf kompetente Laien. Und ich selber habe das<br />

dann auch mit begleitet, dass e<strong>in</strong>zelne <strong>Notfallseelsorge</strong>gruppen auch<br />

Ehrenamtliche gefördert haben. Wir haben auch diese aus- und fortgebildet. Und<br />

mittlerweile, ist ja gerade vor e<strong>in</strong>er Woche geschehen, hat die Evangelische<br />

Kirche <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> auch ihr Seelsorgegeheimnisgesetz formuliert. Und<br />

dieses Seelsorgegeheimnisgesetz be<strong>in</strong>haltet eben auch, dass Ehrenamtliche <strong>in</strong><br />

der Seelsorge e<strong>in</strong> Zeugnisverweigerungsrecht bekommen können. Und ich f<strong>in</strong>de<br />

das e<strong>in</strong>e gute Grundlage, um auch verstärkt jetzt auf Ehrenamtliche zuzugehen<br />

und e<strong>in</strong> Curriculum zu formulieren für Ehrenamtliche <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>.<br />

Sie formal zu beauftragen mit e<strong>in</strong>er kirchlichen Beauftragung und dann <strong>in</strong> die<br />

jeweiligen <strong>Notfallseelsorge</strong>systeme zu <strong>in</strong>tegrieren. Wir werden auf der nächsten<br />

Konferenz über solche Fragestellungen eben auch beraten und wir haben hier im<br />

Rhe<strong>in</strong>land aber schon erste Pilotprojekte <strong>in</strong> der Ausbildung für Ehrenamtliche,<br />

auch zentral, aber auch regional, schon laufen.<br />

180


Und vielleicht darf ich an dieser, an dieser Stelle noch e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>fügen. Wir<br />

werden mit dem Samstag zum 1. Advent auch e<strong>in</strong>e Ausbildung beg<strong>in</strong>nen, wo<br />

wir Muslime auf die Arbeit <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong>, allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> für Muslime, ausbilden. Und zwar machen wir das als<br />

Evangelische Kirche im Rhe<strong>in</strong>land, auf der e<strong>in</strong>en Seite <strong>in</strong> der Zusammenarbeit<br />

mit dem christlich-islamischen, mit der christlich-islamischen Gesellschaft und<br />

damit eben auch wird es e<strong>in</strong>e Ausbildung se<strong>in</strong>, mit evangelischen Theologen,<br />

aber auch mit islam-, islamischen Theologen und Islamwissenschaftlern.<br />

35. A: Ah, ok. Ja, jetzt habe ich e<strong>in</strong>e Frage noch, die ich dazwischen schieben will. Sie<br />

haben ja vorh<strong>in</strong> davon gesprochen, dass es auch bei den <strong>Notfallseelsorge</strong>rn<br />

Fluktuationen gibt und unter Umständen weniger werden. Es ist ja generell so,<br />

dass es auch weniger Theologiestudenten s<strong>in</strong>d und dann wenig von unten<br />

nachrückt. Und nicht jeder Pfarrer das auch machen möchte. Wie kommen sie<br />

denn sonst noch zu <strong>Notfallseelsorge</strong>rn? Oder auch die e<strong>in</strong>zelnen Gruppen, wie<br />

kommen die zu Nachwuchs?<br />

36. M: Wie kommen die zu Nachwuchs, ja. Also das ist unterschiedlich. Ich habe<br />

wahrgenommen, dass im Osten von <strong>Deutschland</strong> es auch Zeitungsaufrufe<br />

gegeben hat, um Menschen für die <strong>Notfallseelsorge</strong> zu begeistern. So weit<br />

möchte ich nicht gehen. Ich würde gerne, wenn es, vor allem wenn es um<br />

Ehrenamtliche geht, schon schauen, ob wir im <strong>in</strong>nerkirchlichen Bereich, also bei<br />

solchen Menschen, die der Kirche nahe stehen, bei solchen Menschen, die <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>de mitarbeiten, bei solchen Menschen, die vielleicht lange Jahre e<strong>in</strong>en<br />

Dienst <strong>in</strong> der Schule oder als Ärzt<strong>in</strong>, Arzt, als Psychologe woanders getan haben<br />

und am Ende ihres Berufslebens dann auch noch mal etwas anderes tun wollen,<br />

ihnen Wege <strong>in</strong> die <strong>Notfallseelsorge</strong> eröffnen. Und so gestalten sich gegenwärtig<br />

auch unsere Ehrenamtlichen-Projekte. Also es s<strong>in</strong>d Menschen die eigentlich<br />

schon mit hoher sozialer Kompetenz da s<strong>in</strong>d und die dann noch für spezielle<br />

Fragestellungen zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r ausgebildet werden. So stelle ich mir<br />

auch das vor, dass unsere <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r, aber<br />

auch Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer aus den Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> ihrem jeweiligen<br />

regionalen Umfeld mal schauen, ob es solche Personen noch gibt, die man dann<br />

geme<strong>in</strong>sam ausbilden und <strong>in</strong> die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong>tegrieren kann.<br />

37. A: In dem Punkt noch mal e<strong>in</strong>e Zwischenfrage. Inwieweit wird das dann auch an<br />

Universitäten jetzt im Theologiestudium oder so, noch e<strong>in</strong>gebracht? Also ich<br />

muss ganz ehrlich sagen, ich habe vor dem Amoklauf <strong>in</strong> W<strong>in</strong>nenden noch nie<br />

etwas von der <strong>Notfallseelsorge</strong> gehört.<br />

38. M: Ja, das ist wahr. Die Universitäten s<strong>in</strong>d freie Bildungse<strong>in</strong>richtungen. Die s<strong>in</strong>d<br />

auch nicht an die Kirchen gebunden. Und betonen unter Umständen auch sehr<br />

stark die Freiheit der Wissenschaft. Also <strong>in</strong>sofern muss nicht jeder praktische<br />

Theologe, der <strong>in</strong> der Seelsorge, der die Seelsorge also die Poimenik lehrt, dann<br />

auch alle Seelsorgefelder abarbeiten. Ich kenne andere gute Beispiele, wo das<br />

geschieht. Wo eben auch <strong>Notfallseelsorge</strong>r <strong>in</strong> Vorlesungen mit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, oder<br />

Sem<strong>in</strong>are mit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> geholt werden, um ihre praktischen Erfahrungen dort<br />

weiterzugeben. Aber das ist noch nicht selbstverständlich. Das ist mit Sicherheit<br />

so.<br />

181


Und an der Stelle würde ich noch mal sagen, sehen sie es uns nach, dass wir<br />

nicht mit allem sofort <strong>in</strong> die Öffentlichkeit gehen. Wir machen schon auch<br />

gezielte Öffentlichkeitsarbeit, ich f<strong>in</strong>de aber immer noch, dass Seelsorge eben<br />

e<strong>in</strong> sehr verschwiegener Bereich unserer Kirche se<strong>in</strong> darf und se<strong>in</strong> muss. Und<br />

wir haben gerade <strong>in</strong> den ersten Zeiten nicht viel, auch sehr bewusst nicht viel,<br />

Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Allerd<strong>in</strong>gs muss ich schon sagen, mittlerweile<br />

sehe ich fast jeden Tag im Internet e<strong>in</strong>en Bericht, wo nach e<strong>in</strong>em Verkehrsunfall<br />

oder nach e<strong>in</strong>em anderen E<strong>in</strong>satz, dann auch <strong>in</strong> der Öffentlichkeit steht, neben<br />

Feuerwehr, Rettungsdienst, war auch die <strong>Notfallseelsorge</strong> dabei. Also im<br />

Moment ist es so, dass dieses Arbeitsfeld viel stärker auch <strong>in</strong> die Öffentlichkeit<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gerät.<br />

Wir selber machen es so, dass wir jetzt auch e<strong>in</strong>e Offensive betreiben, dass<br />

gerade viele Geme<strong>in</strong>deglieder <strong>Notfallseelsorge</strong> auch verstärkt kennen lernen<br />

können. Wir haben Gestaltungsvorlagen für Geme<strong>in</strong>debriefe entwickelt, so dass<br />

die Geme<strong>in</strong>den mit ihren Geme<strong>in</strong>debriefen auch über die <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

<strong>in</strong>formiert werden können. Anhand der unterschiedlichen Indikationen, also wie<br />

wieder schwerer Verkehrsunfall oder Suizid oder plötzlicher Tod. Und<br />

verb<strong>in</strong>den das <strong>in</strong> der Regel dann auch mit e<strong>in</strong>em Spendenaufruf für die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, über die Stiftung <strong>Notfallseelsorge</strong>.<br />

39. A: Für mich war es jetzt schwerpunktmäßig auch noch mal so nicht die breite<br />

Öffentlichkeitsarbeit, sondern hauptsächlich dann <strong>in</strong> der Ausbildung gerade von<br />

Pfarrern und Diakonen, um da noch mal Leute dafür zu <strong>in</strong>teressieren oder zu, ja,<br />

bewerben ist vielleicht der falsche Ausdruck.<br />

40. M: Also da würde ich schon sagen, dass kommt dann auf die Initiative auch der<br />

Lehrenden an. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht auch <strong>in</strong> der<br />

Prädikantenausbildung, das Thema <strong>Notfallseelsorge</strong> e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Die<br />

Diakonenausbildung ist ja auch bei uns gespreizt <strong>in</strong> unterschiedliche<br />

E<strong>in</strong>richtungen und ich würde sehr begrüßen, wenn <strong>in</strong> den Diakonenausbildungen<br />

auch die Themenfelder, also der Seelsorge und gerade eben auch die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, stärker noch Berücksichtigung f<strong>in</strong>den würden. Ich würde das<br />

sehr begrüßen.<br />

41. A: Zum Leitthema 3. Da geht es jetzt konkret noch mal stärker um die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>. Die erste Frage wurde ja schon beantwortet. Wie sieht denn<br />

heute jetzt die Ausbildung beziehungsweise Fortbildung zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r<br />

aus?<br />

42. M: Ja, da unterscheiden wir eben. Wir gehen zunächst davon aus, dass das Gro der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r e<strong>in</strong>e Seelsorgeausbildung hat. Also<br />

das normale Programm vom Theologiestudium übers das Vikariat und die<br />

Seelsorgeausbildung im Vikariat schon hat. Und dass die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>ausbildung darauf aufbaut. Und das bedeutet, dass wir e<strong>in</strong>e<br />

Ausbildung gestalten können. Wir machen das hier mit Wochenausbildungen im<br />

Rahmen der Fortbildungen <strong>in</strong> den ersten Amtsjahren und so lernen, haben wir<br />

e<strong>in</strong>en Grundkurs <strong>Notfallseelsorge</strong>. Wir haben e<strong>in</strong>en Aufbaukurs,<br />

Führungsfunktionen <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> und <strong>in</strong> der Psychosozialen<br />

Notfallversorgung, das, der orientiert sich am Thema Großschadenslagen. Wir<br />

haben den Bereich der Seelsorge für E<strong>in</strong>satzkräfte oder E<strong>in</strong>satznachsorge. Wir<br />

182


haben den Bereich der Feuerwehrseelsorge, als e<strong>in</strong>en speziellen Bereich. Und<br />

wir haben dann Spezialthemen, die wir auch jeweils mit e<strong>in</strong>er Woche belegen,<br />

wobei wir da sagen, das ist freiwillig und das ist vorrangig auch für unsere<br />

Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong>nen und Koord<strong>in</strong>atoren. So haben wir uns mit dem Thema<br />

„Pandemie“ schon vor mehreren Jahren beschäftigt. Wir hatten vor W<strong>in</strong>nenden<br />

„Krisen <strong>in</strong> Schulen“. Und haben da geschaut, was kann man <strong>in</strong> solchen<br />

Situationen machen. Und haben <strong>in</strong> diesem Jahr uns e<strong>in</strong>e Woche mit der<br />

Öffentlichkeitsarbeit vor Ort beschäftigt, während und nach E<strong>in</strong>sätzen. Und<br />

haben da e<strong>in</strong> Interviewtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g mit Radio oder Fernsehen dann auch tra<strong>in</strong>iert.<br />

43. A: Aber habe ich sie jetzt richtig verstanden, wenn man die Ausbildung jetzt hier<br />

zum <strong>Notfallseelsorge</strong>r macht, dann s<strong>in</strong>d, ist es sechs mal e<strong>in</strong>e Woche.<br />

44. M: Genau. Wir haben sechs mal e<strong>in</strong>e Woche. Die Basisausbildung ist zwei mal e<strong>in</strong>e<br />

Woche und normalerweise ist es so, dass nach diesen zwei Wochen, mit e<strong>in</strong>em<br />

Grund- und e<strong>in</strong>em Aufbaukurs, die <strong>Notfallseelsorge</strong>r eben auch schon <strong>in</strong> den<br />

Dienst, <strong>in</strong> die Bereitschaft an sich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gehen können. Und alles weitere ist<br />

Interesse geleitet und freiwillig.<br />

45. A: Ah, ok, alles klar. Und zählt dann unter die Rubrik Fortbildung.<br />

46. M: Ja. Also alles, genau, bei uns alles Seelsorge <strong>in</strong> Extremsituationen, <strong>in</strong> diesen<br />

jeweils verschiedenen Bereichen. Und wir unterscheiden eben auch sehr deutlich,<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> auf der e<strong>in</strong>en Seite als Unterstützung für Opfer und<br />

Feuerwehrseelsorge oder E<strong>in</strong>satznachsorge als Unterstützung für Helfer. Und<br />

machen deswegen auch komplett eigene Kurse für diese jeweiligen<br />

Arbeitszweige.<br />

47. A: Welche Eignung und Kompetenzen braucht denn e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r?<br />

48. M: Wenn ich davon ausgehe, dass die Kirchenleitung sagt, wenn du das erste und<br />

das zweite Examen gemacht hast, dann halten wir dich für alle Felder der<br />

kirchlichen Arbeit <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de und <strong>in</strong> der Seelsorge für geeignet, müsste<br />

man sagen, aha, damit ist das also, geeignet ist jeder, der e<strong>in</strong> erstes und zweites<br />

Examen <strong>in</strong> Theologie gemacht hat. So e<strong>in</strong>fach will ich es mir aber nicht machen.<br />

Ich glaube schon, dass es eben auch e<strong>in</strong>, ja, diese besonderen Kenntnisse, wie<br />

wir sie <strong>in</strong> unseren Grundausbildungen, <strong>in</strong> den Aufbauausbildungen vermitteln,<br />

dazu gehören. Ich möchte nicht, dass wir Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger <strong>in</strong>s<br />

kalte Wasser werfen.<br />

Und sie brauchen e<strong>in</strong> gutes Maß schon auch an Belastbarkeit. Soziale<br />

Kompetenz gehe ich davon aus, dass sie eben auch <strong>in</strong> den anderen Feldern schon<br />

tra<strong>in</strong>iert ist. Aber die würde ich immer natürlich auch da mit dazu zählen. Und<br />

schon auch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensives E<strong>in</strong>gehen auf akutes Leid von Menschen. Und auch<br />

dem Standhalten von akutem Leid von Menschen. All das braucht es <strong>in</strong> ganz<br />

besonderer Weise. Und deswegen möchte ich hier dann auch den Fokus auf die<br />

Ehrenamtlichen legen, auch bei der Auswahl von Ehrenamtlichen sollte man auf<br />

jeden Fall dafür sorgen, dass e<strong>in</strong>e gewisse persönliche Reife schon da ist. Dass<br />

diese Fragen von Belastbarkeit, Kontakt und <strong>in</strong>tensiver Konfrontation mit Leid<br />

etwas ist, was man bewältigen können muss. Es braucht auch die Möglichkeiten<br />

sich wieder von solchen Erfahrungen distanzieren zu können. Und <strong>in</strong>sofern ist es<br />

183


wichtig, all diese Kompetenzen, ja, sich zu erarbeiten oder zu schauen, auch <strong>in</strong><br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs zu schauen, kann ich mit solchen Phänomenen, kann ich mit dem Leid<br />

anderer Menschen umgehen, kann ich Beistand leisten im wahrsten S<strong>in</strong>ne des<br />

Wortes.<br />

49. A: Ok und auf der anderen Seite, wie werden die <strong>Notfallseelsorge</strong>r denn dann vor<br />

eigener Betroffenheit oder Überforderung und so weiter denn geschützt?<br />

50. M: Da hoffen wir zum e<strong>in</strong>en, dass sie sich gut selber schützen können. Dass sie<br />

eben auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz und das, und das versuchen wir auch schon <strong>in</strong> der<br />

Ausbildung mit zu lehren, dass sie im, im E<strong>in</strong>satz selber durchaus Distanz zu<br />

dem Geschehen wahren dürfen. Das ist das e<strong>in</strong>e.<br />

Das zweite ist, dass wir selber auch Akut-Supervision und Regel-Supervision<br />

anbieten, für jede <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong> und für jeden <strong>Notfallseelsorge</strong>r. Und dass<br />

wir <strong>in</strong> Großschadenslagen auf jeden Fall e<strong>in</strong>e Abschluss-Supervision für die<br />

beteiligten <strong>Notfallseelsorge</strong>r anbieten. Das heißt, wir müssen <strong>in</strong> unseren<br />

Regionen Strukturen schaffen, damit man eben, sagen, ja, sich von den<br />

Belastungen auch wieder e<strong>in</strong> Stück weit lösen kann. Und die eigene<br />

Betroffenheit, die kann natürlich auch dadurch passieren, dass mir die Distanz<br />

zum Geschehen auf e<strong>in</strong>mal von jetzt auf gleich zerschlägt und ich dann doch<br />

viel mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation dr<strong>in</strong> b<strong>in</strong>, als das ich das gedacht habe. Und dafür<br />

muss ich mich dann er<strong>in</strong>nern, ja, es gibt auch so etwas wie e<strong>in</strong>e Akut-<br />

Supervision.<br />

Ich frage bei uns <strong>in</strong> der Ausbildung aber immer auch nach, gibt es für dich<br />

persönlich jemanden, den du nachts um drei anrufen kannst und dem du jetzt,<br />

von jetzt auf gleich, um diese Zeit, sagen kannst, hör mal, ich habe hier e<strong>in</strong>en<br />

ganz heftigen E<strong>in</strong>satz gehabt, können wir mal gerade darüber reden. Und wenn<br />

diese Frage nicht mit „Ja“ beantwortet werden kann, dann würde ich sehr raten<br />

zunächst mal diese Frage zu beantworten, also jemanden zu f<strong>in</strong>den, und dann <strong>in</strong><br />

die <strong>Notfallseelsorge</strong> zu gehen.<br />

51. A: Aber kann es auch mal vorkommen, dass jemand se<strong>in</strong>e Grenze da jetzt auch<br />

nicht erkennt und quasi, ja, vom koord<strong>in</strong>ierenden Leiter abgezogen wird?<br />

52. M: Ich habe persönlich ke<strong>in</strong>e Erfahrungen damit, dass wir Kolleg<strong>in</strong>nen und<br />

Kollegen aus der Akutsituation herausgeholt haben. Ich habe im Rhe<strong>in</strong>land auch<br />

ke<strong>in</strong>e Kenntnis darüber, dass jemand <strong>in</strong> der Tätigkeit <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

erkrankt ist. Ich habe es aber andersherum erlebt, dass Kolleg<strong>in</strong>nen und<br />

Kollegen gesagt haben, ich hatte jetzt <strong>in</strong> der vorigen Woche e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz, ich<br />

nehme jetzt mal mit totem K<strong>in</strong>d, und das heißt für mich, ich kann jetzt im<br />

Moment, ke<strong>in</strong>e weiteren <strong>Notfallseelsorge</strong>e<strong>in</strong>sätze übernehmen. Das heißt es hat<br />

auch kurzzeitiges Aussteigen aus der <strong>Notfallseelsorge</strong> gegeben. Ich sehe eher,<br />

dass dann solche Selbstschutzmechanismen funktionieren und greifen. Und dass<br />

wir als Leiter oder als Koord<strong>in</strong>atoren im Grunde auch da gut darauf Acht haben<br />

dürfen und wo es auch sozusagen <strong>in</strong> der Haltung, wie wir mit unseren<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen umgehen, es auch immer klar se<strong>in</strong> muss, es darf auch<br />

e<strong>in</strong>e Grenze geben. Und es darf auch e<strong>in</strong> Ausstieg aus der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

geben, ohne dass du das begründen musst.<br />

184


53. A: Gut, ich komme zum Leitthema 4. Gibt es denn Erwartungen und Wünsche, die<br />

die Betroffenen, also sowohl Opfer und Angehörige, aber auch Rettungskräfte<br />

an die <strong>Notfallseelsorge</strong> haben?<br />

54. M: Ja, also da möchte ich auch erstmal unterscheiden. Also ich b<strong>in</strong> fest davon<br />

überzeugt, dass die Wünsche von Betroffenen und Wünsche von E<strong>in</strong>satzkräften<br />

unterschiedlich s<strong>in</strong>d.<br />

Fange ich mal mit den E<strong>in</strong>satzkräften an. E<strong>in</strong>satzkräfte möchten nicht als Opfer<br />

wahrgenommen werden, auch wenn sie etwas Heftiges erlebt haben. Sie s<strong>in</strong>d<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte und sie bleiben E<strong>in</strong>satzkräfte auch nach e<strong>in</strong>em belastenden E<strong>in</strong>satz.<br />

Das müssen wir als Grundhaltung gegenüber unseren E<strong>in</strong>satzkräften auch immer<br />

festhalten. Und danach auch unsere E<strong>in</strong>satznachsorgemaßnahmen gestalten, sage<br />

ich jetzt mal nur mit e<strong>in</strong>em Satz.<br />

Bedürfnisse und, von Opfern und Betroffenen gibt es auch. Und zwar e<strong>in</strong>e ganze<br />

Menge. Es haben diejenigen, die e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d verloren haben, eben auch e<strong>in</strong>mal<br />

Erfahrungsrunden gemacht über, jetzt weiß ich nicht über welche Gruppe das<br />

war, ob das geme<strong>in</strong>same Eltern<strong>in</strong>itiative plötzlicher Säugl<strong>in</strong>gstod oder e<strong>in</strong>e<br />

andere gewesen, das weiß ich jetzt nicht. Aber sie haben Wünsche und<br />

Bedürfnisse an Seelsorger beschrieben. Und dazu gehörte, dass sie eben nicht<br />

wünschen, dass von den betroffenen Toten als Leiche gesprochen wird. Sie<br />

möchten, wenn, gerade wenn es sich um e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d handelt, dass der Seelsorger,<br />

die Seelsorger<strong>in</strong>, den Namen des K<strong>in</strong>des, dass sozusagen die persönliche<br />

Identität des Opfers gewahrt bleibt. Sie möchten dass die Würde des Menschen<br />

gewahrt bleibt. Das heißt für uns, dass eben auch an e<strong>in</strong>er Unfallstelle, e<strong>in</strong>e<br />

Person nicht e<strong>in</strong>fach abgedeckt und zur Seite gelegt wird, sondern dass es auch<br />

Rituale an der E<strong>in</strong>satzstelle geben kann, wie e<strong>in</strong>e Aussegnung oder andere<br />

Formen. Dass sozusagen die Menschenwürde auch an der E<strong>in</strong>satzstelle gewahrt<br />

bleiben kann.<br />

Und, das ist wieder etwas beim plötzlichen Säugl<strong>in</strong>gstod, haben wir unseren<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>nen und <strong>Notfallseelsorge</strong>r immer wieder sagen müssen, <strong>in</strong><br />

ungefähr e<strong>in</strong>em Viertel der Fälle kommt es vor, dass die Eltern sagen, können<br />

sie me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d noch taufen? Also auch solche theologischen Fragen, auch mit<br />

solchen theologischen Bitten, müssen wir rechnen. Wir müssen theologische<br />

Antworten dafür haben. Ich nehme das jetzt nur mal als e<strong>in</strong> Beispiel. Wir taufen<br />

Menschen, lebende Menschen <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>de h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, wir taufen normalerweise<br />

nicht tote Menschen. Und welche, und unser Bestreben als Koord<strong>in</strong>atoren oder<br />

Lehrende <strong>in</strong> der <strong>Notfallseelsorge</strong> ist dann, unsere Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen<br />

vorbereiten darauf, dass es solche Bedürfnisse geben kann und nicht dass man<br />

automatisch Bedürfnisse befriedigt. Aber, dass man mit solchen Bedürfnissen<br />

rechnet und sie an, ihnen angemessen begegnet. Und dazu braucht es dann<br />

unterschiedliche Antworten. Hilfreiche Antworten vor allem. Es darf nicht dabei<br />

raus kommen, huch, so was kann ich ja nicht. Geht ja gar nicht, oder? Wie auch<br />

immer.<br />

Also, ja, es gibt e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Wünschen und Erwartungen von<br />

Betroffenen und wir haben gerade <strong>in</strong> Thailand bei der Begleitung von Personen<br />

an den Jahrestagen wahrgenommen, dass es Menschen gibt, die brauchen, ich<br />

sage mal <strong>in</strong> Anführungszeichen nur den Gedenkgottesdienst oder die<br />

Gedenkfeier und haben auch gesagt, ke<strong>in</strong>e anderen Angebote würden sie<br />

wahrnehmen. Und wir haben wahrgenommen, dass es Menschen gab, die wir<br />

mit e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Veranstaltungen über e<strong>in</strong>en Zeitraum von sieben<br />

185


oder neun oder siebzehn Tagen begleitet haben und die an allen unseren<br />

Veranstaltungen teilgenommen haben. Die dann, und das ist eben auch e<strong>in</strong><br />

Bedürfnis, die Nähe von Menschen suchen, die e<strong>in</strong>e vergleichbare Erfahrung<br />

gemacht haben oder ähnliches oder gleiches Leid erfahren haben. Und <strong>in</strong>sofern<br />

e<strong>in</strong> großes Bedürfnis sich mit solchen Menschen auszutauschen, die e<strong>in</strong><br />

ähnliches Schicksal erlebt haben. Und das ist etwas, wo wir an der Stelle sagen,<br />

das möchten wir auch fördern, dass es so etwas wie Angehörigentreffen oder<br />

Schicksalsgeme<strong>in</strong>schaften, das wäre glaube ich das angemessene Wort dafür,<br />

eben auch nach jeder größeren Schadenslage und jeder Katastrophe geben muss.<br />

55. A: Ist es dann aber <strong>in</strong> der Verantwortlichkeit der <strong>Notfallseelsorge</strong> oder wird das<br />

dann zurückgekoppelt zum Beispiel an die Geme<strong>in</strong>depfarrer?<br />

56. M: Also, ich würde die Verantwortung der <strong>Notfallseelsorge</strong>r <strong>in</strong> der Weise<br />

beschreiben, dass man sagt, die <strong>Notfallseelsorge</strong> kann sozusagen nicht im nichts<br />

enden. Und <strong>in</strong> welcher Weise das dann geschieht, ob ich so etwas gestalte, über<br />

Beratungsstellen, über die Geme<strong>in</strong>depfarrämter oder über andere Weisen, das<br />

muss sich im E<strong>in</strong>zelfall angemessen zeigen. Bei dem Busunglück <strong>in</strong> der Nähe<br />

von Magdeburg waren es Menschen die alle aus e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de gekommen<br />

s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> Hopsten. Da kann die Geme<strong>in</strong>deseelsorge sicherlich, sie wird sehr<br />

belastet damit se<strong>in</strong>, aber sie kann es sozusagen regional auffangen.<br />

Beim Tsunami haben wir wahrgenommen, es s<strong>in</strong>d 550 Menschen aus ganz<br />

<strong>Deutschland</strong> betroffen und wir haben regionale Angehörigentreffen, aber auch<br />

zentrale Angehörigentreffen. Oder wir haben e<strong>in</strong>e Jahrestagsreise <strong>in</strong> Thailand<br />

gehabt. Also es braucht dann sehr unterschiedliche Angebote. Und wir haben<br />

wahrgenommen, dass es gut ist, Angehörige zu fragen. Was brauchen sie denn?<br />

Und Angehörige werden es uns dann schon sagen. Und ob das dann die<br />

geme<strong>in</strong>dliche Seelsorge ist oder der geme<strong>in</strong>same Erfahrungsaustausch oder e<strong>in</strong><br />

Ritual oder etwas anderes, das können wir gut im Zusammenwirken mit den<br />

Betroffenen erarbeiten. Und ich möchte die <strong>Notfallseelsorge</strong>r solange nicht aus<br />

der Pflicht lassen, bis dass diese Angebote erarbeitet s<strong>in</strong>d und sie <strong>in</strong> gute Hände<br />

übergegeben werden.<br />

57. A: Wenn jetzt e<strong>in</strong> <strong>Notfallseelsorge</strong>r an den E<strong>in</strong>satzort kommt. Welche Aufgaben<br />

hat er denn dann ganz konkret?<br />

58. M: Also die erste Aufgabe ist, ich will jetzt nicht das Formale nennen. Formale<br />

würde ja heißen, sich beim E<strong>in</strong>satzleiter zu melden. Also, wir arbeiten nie<br />

alle<strong>in</strong>e, wir arbeiten <strong>in</strong> aller Regel eben im Team mit Menschen aus der<br />

Feuerwehr, aus dem Notarztdienst oder aus dem Rettungswesen. Aber das wäre<br />

jetzt eher die formale Seite.<br />

Er soll sich e<strong>in</strong>weisen lassen <strong>in</strong> die Situation, wie sie e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satzkraft,<br />

besonders der E<strong>in</strong>satzleiter, wahrnimmt. Das heißt aber nicht, dass er sich nicht<br />

auch gleichzeitig e<strong>in</strong> eigenes Lagebild machen muss. Und das bedeutet, dass<br />

jede <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong> und <strong>Notfallseelsorge</strong>r am, am E<strong>in</strong>satzort sich zunächst<br />

e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Bild macht. Um wen handelt es sich, wer oder wie betreut werden<br />

muss? Wie viele Personen s<strong>in</strong>d das? Brauchen wir Nachalarmierung? Brauchen<br />

wir sonst noch organisatorische D<strong>in</strong>ge, bevor ich mich <strong>in</strong> die konkrete<br />

Betreuung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> begebe? Und dann gibt es e<strong>in</strong>zelne Regeln, dass ich sage, bei<br />

e<strong>in</strong>em Verkehrsunfall, es würde ke<strong>in</strong> Unfallopfer verstehen, dass e<strong>in</strong> Täter<br />

186


zuerst betreut wird und ich als Opfer zu warten habe. Also braucht es dafür eben<br />

auch gute Grundlagen, um zu wissen, wer ist Opfer und wer ist Täter. Nicht, ich<br />

sehe es nicht jedem gleich am Gesicht an.<br />

Also, Überblick auf der e<strong>in</strong>en Seite und dann H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen <strong>in</strong> die<br />

Betreuungssituation auf der anderen Seite. Und wenn ich es jetzt <strong>in</strong>haltlich<br />

beschreiben sollte, möchte ich ke<strong>in</strong>e starre Festlegung, sondern ich würde es<br />

beschreiben mit Beistand leisten, mit dem was notwendig ist. Ob ich dabei rede,<br />

ob ich zuhöre, ob ich Rituale nutze, ob ich mit e<strong>in</strong>er Person bete, das wird sich<br />

ergeben und das kann ich nicht sozusagen im Vorfeld, sage ich, mit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

nehmen, dass ist me<strong>in</strong> Programm und das ziehe ich jetzt hier ab.<br />

59. A: Welche Angebote gibt es denn darüber h<strong>in</strong>aus über diese Aufgaben, die e<strong>in</strong><br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r erfüllen sollte? Gibt es denn noch weitere Angebote darüber<br />

h<strong>in</strong>aus?<br />

60. M: Da muss ich jetzt überlegen was geme<strong>in</strong>t ist. Angebote über die Akutphase<br />

h<strong>in</strong>aus oder Angebote über Inhalte h<strong>in</strong>aus? Also da b<strong>in</strong> ich jetzt nicht ganz<br />

sicher.<br />

61. A: Eigentlich beides. Also, es ist ja so, dass am E<strong>in</strong>satzort, das was sie gerade<br />

genannt haben, Überblick verschaffen, dabei se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Angebot könnte zum<br />

Beispiel se<strong>in</strong>, auszusegnen, Abendmahl anzubieten, was darüber h<strong>in</strong>aus. Und<br />

dann halt aber auch noch über diesen akuten E<strong>in</strong>satzzeitraum h<strong>in</strong>aus<br />

Gottesdienste, Gesprächsgruppen.<br />

62. M: OK. Da s<strong>in</strong>d wir ja mittendr<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der Tat. Also, ich würde sagen alles an<br />

Gespräch und Ritual, was an der E<strong>in</strong>satzstele notwendig ersche<strong>in</strong>t, sollte Inhalt<br />

der <strong>Notfallseelsorge</strong> se<strong>in</strong>, auf der e<strong>in</strong>en Seite.<br />

Und dann <strong>in</strong> enger Zusammenarbeit mit der geme<strong>in</strong>dlichen Seelsorge oder mit<br />

der Region, je nachdem, wenn es sich um mehrere Tote handelt oder um e<strong>in</strong>en<br />

größeren Unfall oder sonst etwas, was auch die Region, also wenn ich hier an<br />

W<strong>in</strong>nenden er<strong>in</strong>nern darf. Da war es so, dass nicht nur e<strong>in</strong>e ganze Region,<br />

sondern eigentlich e<strong>in</strong> ganzes Bundesland und darüber h<strong>in</strong>aus, fast ganz<br />

<strong>Deutschland</strong> betroffen gewesen ist. Also es gehört zur Aufgabe der<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, diese Betroffenheit <strong>in</strong> der Region oder auch überregional<br />

wahrzunehmen und angemessene Angebote dafür zu machen.<br />

Wir haben zum Beispiel, das war nun <strong>in</strong> Düsseldorf nach dem Absturz der Air<br />

France – Masch<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>en Gottesdienst für deutschsprechende Angehörige<br />

gehalten, auch wenn es eben schon <strong>in</strong> Paris oder an anderen Orten auch<br />

Gottesdienste und andere Formen von Betreuung gegeben hat. Also Betreuung<br />

muss angemessen, auf die Menschen die es betrifft zugeschnitten und <strong>in</strong> großer<br />

zeitlicher Nähe stattf<strong>in</strong>den.<br />

63. A: Gibt es denn auch Angebote, die sie gerne hätten, aber die personell, f<strong>in</strong>anziell<br />

oder was auch immer, nicht leistbar s<strong>in</strong>d?<br />

64. M: Also da muss ich sagen, ich habe alles, was wir an Angeboten s<strong>in</strong>nvoll gefunden<br />

haben, für die Menschen für die wir verantwortlich waren, das haben wir<br />

gemacht. Und haben uns um die F<strong>in</strong>anzen gekümmert. Ich könnte nicht sagen,<br />

ach es wäre schön gewesen wenn, sondern bis jetzt h<strong>in</strong>, wenn ich jetzt, der<br />

187


fünfte Jahrestag Tsunami wird so etwas wie e<strong>in</strong> Abschluss schon auch se<strong>in</strong>. Es<br />

könnte sicherlich se<strong>in</strong>, dass auch noch jenseits des fünften Jahrestages auch<br />

Bedürfnisse von Angehörigen s<strong>in</strong>d. Aber wir haben gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen<br />

Projekt dafür gesorgt, dass e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzierung von der akuten Arbeit, von der<br />

Arbeit auch im Zeitfenster von e<strong>in</strong> und zwei Jahren als <strong>in</strong>tensive Arbeit<br />

stattf<strong>in</strong>den kann und die dann langsam und nach und nach sozusagen weiter<br />

ausläuft. Die Arbeit hat uns sicherlich jetzt ausschließlich der <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

80.000 Euro gekostet, aber wir haben dafür gesorgt, dass dieses Geld da ist. Also<br />

es gibt nichts, wo ich sagen würde, ach ja, haben wir leider nicht machen können,<br />

weil es ke<strong>in</strong> Geld oder ke<strong>in</strong>e Mittel dafür waren. Und da b<strong>in</strong> ich andererseits<br />

auch überzeugt, wenn wir auch <strong>in</strong> unserer Kirchleitung darstellen können, dass<br />

bestimmte D<strong>in</strong>ge notwendig s<strong>in</strong>d, dann lassen sie sich auch <strong>in</strong> aller Regel<br />

f<strong>in</strong>anzieren.<br />

65. A: OK, ich komme zum letzten Leitthema, zum Leitthema 6, und zwar die<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> als e<strong>in</strong>e Aufgabe der Kirche. Wie sieht denn das kirchliche<br />

Selbstverständnis zur <strong>Notfallseelsorge</strong> aus?<br />

66. M: Wir s<strong>in</strong>d ja <strong>in</strong> der Kirche, <strong>in</strong> der evangelischen Kirche, mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Reformprozess. Und da gab es nun eben auch von der EKD e<strong>in</strong> Begleitpapier<br />

zum Reformprozess, wo verschiedene Leuchttürme vorgestellt worden s<strong>in</strong>d und<br />

wo Zukunftsaufgaben der Kirche beschrieben worden s<strong>in</strong>d. Und wir waren sehr<br />

erstaunt, dass die Seelsorge, nicht Not-, die Seelsorge <strong>in</strong>sgesamt nicht zu den<br />

Leuchtfeuern oder nicht zu den D<strong>in</strong>gen gehörten, die für die Zukunft besonders<br />

gefördert werden sollten. Und an der Stelle muss ich ganz, ganz deutlich sagen,<br />

also, Seelsorge ist e<strong>in</strong>e Kernkompetenz der Kirche, die braucht es und die<br />

Kirche wird dauerhaft vor der Frage stehen, wie viel Seelsorge wollen wir uns<br />

leisten <strong>in</strong> Gegenüber zu allen anderen Feldern von Verkündigung, von Diakonie.<br />

Und <strong>Notfallseelsorge</strong> ist etwas, da würde ich sagen, das war schon von Anfang<br />

an der Christenheit e<strong>in</strong>e wichtige Aufgabe, Menschen <strong>in</strong> Not beizustehen, und<br />

das haben uns die ersten Christen bis h<strong>in</strong> <strong>in</strong> die biblische Überlieferung auch<br />

gezeigt. Der barmherzige Samariter ist ja nun wirklich e<strong>in</strong> Paradebeispiel auch<br />

für so etwas. Also es hat immer die Aufgabe der Kirche oder es war immer die<br />

Aufgabe der Kirche, Menschen <strong>in</strong> Not beizustehen.<br />

Und die <strong>Notfallseelsorge</strong> heute ist eben die gegenwärtige Form, Menschen <strong>in</strong><br />

der Not beizustehen. Ich kann mir auch andere Formen zu anderen Zeiten gut<br />

vorstellen. Also, <strong>Notfallseelsorge</strong> ist e<strong>in</strong> unverzichtbarer Bestandteil kirchlicher<br />

Arbeit und zwar nicht nur für ihre geme<strong>in</strong>dlichen Mitglieder, sondern als<br />

gesellschaftsdiakonischer Dienst, als Arbeit e<strong>in</strong>er Volkskirche, für alle<br />

Menschen, dieses Landes, unabhängig von Konfession und Religion.<br />

67. A: Welche Chancen und Vorteile hat denn die <strong>Notfallseelsorge</strong> als e<strong>in</strong>e Aufgabe<br />

der Kirche?<br />

68. M: Ja, e<strong>in</strong>es habe ich ja schon gesagt. Also wenn 30 Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />

Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer können gut schlafen, wenn e<strong>in</strong>e oder e<strong>in</strong>er wacht. Das<br />

heißt, e<strong>in</strong> wesentlicher Vorteil ist, es ist e<strong>in</strong> solidarischer Dienst, dass nicht alle<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen dauernd damit rechnen müssen, mitten <strong>in</strong> der Nacht<br />

herausgerufen zu werden, zu e<strong>in</strong>em seelsorgerlichen E<strong>in</strong>satz. Und das ist e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong><br />

wesentlicher Vorteil.<br />

188


Zu den Chancen der <strong>Notfallseelsorge</strong> gehört sicherlich, und da ist jetzt auch e<strong>in</strong>e<br />

Wahrnehmung <strong>in</strong> der Öffentlichkeit, dass sie als unmittelbar s<strong>in</strong>nvoll <strong>in</strong> der<br />

Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Es gibt ke<strong>in</strong>e Kritiker der <strong>Notfallseelsorge</strong>,<br />

während andere kirchliche Arbeitsfelder unter Umständen auch mal unter<br />

Beschuss geraten können. Das ist mit der <strong>Notfallseelsorge</strong> so noch nie passiert.<br />

Es hat zwar schon mal Kritik gegeben, was soll ich mit 60 <strong>Notfallseelsorge</strong>rn an<br />

e<strong>in</strong>em Unfallort, wenn ich sie nicht gerufen habe. Also, dass es auch Fehler<br />

geben kann. Aber e<strong>in</strong>e grundsätzliche Kritik als dieser Arbeitsform ist<br />

unbekannt.<br />

69. A: Aber welche Chancen und Vorteile bietet jetzt <strong>Notfallseelsorge</strong> als kirchliche<br />

Aufgabe zum Beispiel gegenüber NND oder Krisen<strong>in</strong>tervention?<br />

70. M: Aha! Ja also, wenn ich jetzt, gut, wenn ich <strong>Notfallseelsorge</strong> und andere Formen<br />

der Krisen<strong>in</strong>tervention und Notfallnachsorge mite<strong>in</strong>ander vergleiche, so möchte<br />

ich da auf e<strong>in</strong>es heraus. Jede Person, die von der <strong>Notfallseelsorge</strong> betreut wird,<br />

kann damit rechnen, dass jemand auf sie zukommt, der e<strong>in</strong> festes, geprägtes,<br />

christliches Menschenbild hat. Das kann ich, wenn ich auf e<strong>in</strong>en Dienst der<br />

Krisen<strong>in</strong>tervention oder des Notfallnachsorgedienstes zugreife, so nicht<br />

automatisch wissen. Das heißt, es kommt e<strong>in</strong> geprägtes, christliches<br />

Menschenbild, wo die Würde des Menschen im Mittelpunkt, das möchte ich<br />

anderen Krisen<strong>in</strong>terventionsdiensten nicht absprechen, aber hier ist es klar, dass,<br />

dass wir es mit Kirche zu tun haben. Und wer kirchliche Begleitung gut<br />

akzeptieren kann, der ist da sicher dann auch <strong>in</strong> guten Händen.<br />

71. A. Und auf der anderen Seite, gibt es aber auch Grenzen, wo <strong>Notfallseelsorge</strong> als<br />

kirchliche Aufgabe nicht mehr weiter kommt?<br />

72. M: Unsere Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>in</strong> Ostdeutschland berichten schon <strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>zelfällen davon, dass sie sagen, also e<strong>in</strong> Pfaffe kommt mir nicht <strong>in</strong>s Haus.<br />

Oder dass Aggressionen auftreten könnten <strong>in</strong> der Betreuung, wenn Theologen,<br />

Seelsorger, also kirchliche Vertreter, diesen Dienst machen. Es fällt mir sehr<br />

schwer, von, von, aus der Entfernung hier solche D<strong>in</strong>ge präzise e<strong>in</strong>zuschätzen.<br />

Das könnte e<strong>in</strong>e Grenze se<strong>in</strong>, dass man sagt, also wir wollen niemanden<br />

sozusagen mit e<strong>in</strong>em kirchlichen Angebot überschütten und Rituale an<br />

Menschen vollziehen, die eigentlich auf so etwas gar nicht vorbereitet und gar<br />

nicht willens s<strong>in</strong>d, so etwas zu haben. Aber ich kenne ke<strong>in</strong>en <strong>Notfallseelsorge</strong>r,<br />

ke<strong>in</strong>e <strong>Notfallseelsorge</strong>r<strong>in</strong>, die mit e<strong>in</strong>er solchen Haltungen <strong>in</strong> die Arbeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

gehen würde. Ich erlebe eher, auch bei unseren Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland, e<strong>in</strong>e hohe Sensibilität und eher auch e<strong>in</strong> vorsichtiges<br />

Zurücknehmen, wenn sie merken, hier wird unsere Form von Betreuung als<br />

kirchliche Betreuung auch nicht gewünscht. Also Rituale, Gebete oder sonstige<br />

D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d nicht gewollt. Dann wird man eher sagen, ok, Beistand kann eben<br />

auch mit e<strong>in</strong>fachen Worten, mit persönlicher Präsenz und auch ohne liturgische<br />

oder rituelle Elemente se<strong>in</strong>.<br />

73. A: Gerade im H<strong>in</strong>blick auf die Grenzen. Gab es auch schon mal Probleme, jetzt, bei<br />

e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz gerade mit Andersgläubigen? Also sie haben ja vorh<strong>in</strong> erwähnt,<br />

dass jetzt die muslimischen <strong>Notfallseelsorge</strong>r ihre Ausbildung starten. Aber gab<br />

es da schon mal Probleme mit Andersgläubigen?<br />

189


74. M: Ich kenne ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz, wo es <strong>in</strong>nerhalb des E<strong>in</strong>satzes Probleme mit<br />

Andersgläubigen gegeben hat. Wir haben auf e<strong>in</strong>er Konferenz sehr deutlich<br />

wahrgenommen, dass Islamwissenschaftler sagen, ihr als Christen könnt<br />

Muslime nicht angemessen betreuen. Also sozusagen den religiösen<br />

Bedürfnissen von Muslimen nachkommen. Dem würde ich immer zustimmen.<br />

Und <strong>in</strong>sofern würde ich immer schon auch sagen, ja, also e<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong> Optimum an<br />

Versorgung erreiche ich sicherlich dann, wenn ich Menschen habe, die mit<br />

gleichen Wertvorstellungen, gleichen S<strong>in</strong>nvorstellungen, mit e<strong>in</strong>em gleichen<br />

Menschenbild <strong>in</strong> die entsprechende Situation h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gehen. Also deswegen<br />

begrüße ich das auch, dass auch jetzt mittlerweile Muslime sagen, wir möchten<br />

<strong>in</strong> solchen Diensten arbeiten. Akute Probleme könnte ich so im Moment nicht<br />

beschreiben. Es ist mir davon noch nichts zu Ohren gekommen.<br />

75. A: Ich b<strong>in</strong> jetzt mit me<strong>in</strong>en sechs Leitthemen durch. Ich möchte gerne e<strong>in</strong>e Frage<br />

abschließend stellen und zwar so auch bisschen <strong>in</strong> die Zukunft, als Vision. Was<br />

würden sie denn sagen, wie entwickelt sich die <strong>Notfallseelsorge</strong> <strong>in</strong> den nächsten<br />

zehn Jahren? Oder wo stehen wir da, <strong>in</strong> zehn Jahren?<br />

76. M: Also zu me<strong>in</strong>er Vision gehört, dass die <strong>Notfallseelsorge</strong> flächendeckend<br />

e<strong>in</strong>gerichtet ist, <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>. Überall dort, wo es ke<strong>in</strong> kirchliches, wie auch<br />

immer geartetes System, das kann auch mit kirchlichen Hilfsorganisationen, wie<br />

auch immer, dass es kirchliche Systeme flächendeckend <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />

gibt.<br />

Zu me<strong>in</strong>en Visionen gehört auch, dass Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer immer mehr<br />

auch den Wert von Seelsorge <strong>in</strong> allen ihren Formen, besonders eben auch <strong>in</strong><br />

Formen im Anschluss an die Not, nicht nur erkannt, sondern eben auch begrüßt<br />

werden. Dass der Bereich der Seelsorge im kirchlichen Feld e<strong>in</strong> noch stärkeres<br />

Bewusstse<strong>in</strong> bekommt und eben Akzeptanz haben wir schon, aber im Grunde<br />

auch die Bereitschaft Arbeitszeit und f<strong>in</strong>anzielle Mittel <strong>in</strong> die Seelsorge h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

zu stecken.<br />

Und ich b<strong>in</strong> überzeugt davon, dass auch <strong>in</strong> dem Bereich von Feuerwehr und<br />

Rettungsdienst und dem Notarztdienst es auch noch e<strong>in</strong> Weg ist, den man<br />

beschreiben kann, dass die Akzeptanz noch selbstverständlicher werden kann.<br />

Gegenwärtig rechnen wir so damit, dass so zwischen 40 und 50% der<br />

tatsächlichen Fälle, die es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region gibt, auch zu Alarmierungen führen.<br />

Zu me<strong>in</strong>er Vision gehört, dass jeder Mensch, der <strong>in</strong> Not ist und <strong>Notfallseelsorge</strong><br />

braucht, auch <strong>Notfallseelsorge</strong> bekommt. Und da müssen mehrere daran arbeiten.<br />

Die Rettungskräfte, die Feuerwehrleute, die Notärzte genauso, wie die Kirche<br />

von ihrer Seite.<br />

77. A: Alles klar. Dann möchte ich ihnen ganz herzlich danken, dass sie mir für e<strong>in</strong><br />

Interview zur Verfügung standen.<br />

78. M: Bitte, bitte, habe ich gerne gemacht. Und jetzt gibt es wahrsche<strong>in</strong>lich ganz viel<br />

Arbeit, das alles zusammen zu schreiben.<br />

79. A: Genau.<br />

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