Leseprobe Personalrat 01_2018
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Der <strong>Personalrat</strong> 1 | 2<strong>01</strong>8<br />
Abmahnungen im Arbeitsrecht<br />
arbeits- und tarifrecht<br />
ist grundsätzlich erst dann gerechtfertigt, wenn<br />
der vertragswidrig handelnde Arbeitnehmer<br />
zuvor abgemahnt wurde. 5 Dies folgt aus dem<br />
Verhältnismäßigkeitsprinzip (auch »Ultima-ratio«-Prinzip).<br />
Die Abmahnung ist gegenüber<br />
der Kündigung ein milderes Mittel. 6 Daher ist<br />
vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten<br />
Kündigung – von Ausnahmefällen abgesehen –<br />
abzumahnen.<br />
Die weit verbreitete Ansicht, es bedürfe immer<br />
dreier Abmahnungen, bevor eine Kündigung<br />
ausgesprochen werden kann, ist unrichtig.<br />
Diesen Automatismus gibt es nicht. Schon<br />
bei der ersten Wiederholung des rechtswirksam<br />
abgemahnten Verhaltens ist grundsätzlich<br />
eine verhaltensbedingte Kündigung möglich.<br />
Das gilt insbesondere bei Arbeitsverhältnissen,<br />
die besonderes Vertrauen benötigen. Hier ist<br />
das Gewicht der Pflichtverletzungen entscheidend,<br />
da bei schweren Pflichtverletzungen die<br />
Gefahr für anvertraute Menschen oder wichtige<br />
Güter oder ein Vertrauensverlust nicht hinnehmbar<br />
sein kann, etwa bei einem Flugzeugführer<br />
oder einer Kassiererin.<br />
Die Abmahnung ist keine Sanktion, sondern<br />
ist in das Prognoseprinzip 7 eingebunden.<br />
Kündigungsgründe sind zukunftsbezogen und<br />
sanktionieren nicht Vorfälle in der Vergangenheit.<br />
Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer<br />
trotz Abmahnung das gerügte Verhalten wiederholt,<br />
lässt den Schluss zu, dass er dies auch<br />
in Zukunft tun wird. Ist die Prognose für das<br />
weitere vertragsgerechte Verhalten schlecht, ist<br />
gegebenenfalls die Kündigung gerechtfertigt.<br />
Gleichartigkeit der Abmahnung<br />
Die Abmahnung ist – bildlich gesprochen – die<br />
»gelbe Karte« 8 im Arbeitsverhältnis. Für eine<br />
verhaltensbedingte Kündigung ist ein weiteres<br />
gleichartiges Fehlverhalten des Betreffenden<br />
notwendig. Die Identität der Pflichtverletzung<br />
braucht nur aus demselben Pflichtenbereich<br />
zu stammen, etwa eine Pflichtverletzung bezüglich<br />
Einhaltung der Arbeitszeit wie Zuspätkommen,<br />
vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes<br />
und unentschuldigtes Fehlen. 9<br />
Dies wurde auch durch das BAG 10 aktuell<br />
bejaht, bei dem es sich bei der Abmahnung<br />
um eine körperliche sexuelle Belästigung handelte<br />
und der Kündigungsgrund daraufhin<br />
verbale sexuelle Belästigungen waren. Dies<br />
ist ein Eingriff in die körperliche Intimsphäre,<br />
der im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG als sexuell<br />
bestimmt anzusehen ist. Die körperliche und<br />
verbale sexuelle Belästigung sei eine gleichartige<br />
Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung,<br />
die die Integrität der Betroffenen verletzt.<br />
Die Gleichartigkeit darf mithin nicht<br />
zu eng verstanden werden. Andererseits genügt<br />
es nicht, wenn die Pflichtverletzungen<br />
überhaupt keinen Zusammenhang aufweisen<br />
(zum Beispiel Zuspätkommen und Kollegen<br />
beschimpfen).<br />
Form und Fristen<br />
Wird die Abmahnung schriftlich erteilt und zur<br />
Personalakte genommen, hat sie eine Dokumentationsfunktion.<br />
Sie ist aber an keine Form<br />
gebunden. Eine mündliche Abmahnung wäre<br />
ebenso wirksam, allerdings ist aus Beweisgründen<br />
eine schriftliche Abmahnung angezeigt.<br />
Es gibt weder gesetzliche 11 noch tarifliche<br />
Ausschlussfristen 12 , innerhalb derer die Abmahnung<br />
auszusprechen ist. Jedoch unterliegt<br />
jedes Recht der Verwirkung, so auch das<br />
Recht, eine Abmahnung 13 zu erteilen, insbesondere<br />
wenn der Arbeitgeber den Eindruck<br />
erweckt hat, das Fehlverhalten sei nicht so<br />
gravierend. Das LAG Köln 14 ging von nur dreieinhalb<br />
Monaten als Verwirkungsfrist aus. Das<br />
Arbeitsgericht hat die Frage der Verwirkung<br />
als rechtsvernichtende Einwendung von Amts<br />
wegen zu prüfen, wenn Arbeitnehmer die Herausnahme<br />
der – unberechtigten – Abmahnung<br />
aus der Personalakte gerichtlich verlangen.<br />
Durch die Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber<br />
auf sein Kündigungsrecht in dem darin<br />
gerügten Sachverhalt. Eine Kündigung aufgrund<br />
des bereits abgemahnten Fehlverhaltens<br />
ist dann nicht mehr möglich.<br />
Berechtigung zum Abmahnen<br />
Nicht nur die zur Kündigung berechtigten<br />
Personen dürfen Abmahnungen erteilen. Alle<br />
Vorgesetzten, die nach ihrer Aufgabenstellung<br />
in der Lage sind, dem Arbeitnehmer Anweisungen<br />
hinsichtlich Ort, Zeit sowie der Art<br />
§ 314 abs. 2 bgb<br />
Besteht der wichtige<br />
Grund in der Verletzung<br />
einer Pflicht aus dem<br />
Vertrag, ist die Kündigung<br />
erst nach erfolglosem<br />
Ablauf einer zur<br />
Abhilfe bestimmten Frist<br />
oder nach erfolgloser<br />
Abmahnung zulässig.<br />
Für die Entbehrlichkeit<br />
der Bestimmung einer<br />
Frist zur Abhilfe und für<br />
die Entbehrlichkeit einer<br />
Abmahnung findet § 323<br />
Absatz 2 Nummer 1 und 2<br />
entsprechende Anwendung.<br />
Die Bestimmung<br />
einer Frist zur Abhilfe und<br />
eine Abmahnung sind<br />
auch entbehrlich, wenn<br />
besondere Umstände vorliegen,<br />
die unter Abwägung<br />
der beiderseitigen<br />
Interessen die sofortige<br />
Kündigung rechtfertigen.<br />
ultima-ratioprinzip<br />
Die Kündigung eines<br />
Arbeitsverhältnisses ist<br />
immer das letzte Mittel.<br />
Der Arbeitgeber darf eine<br />
Kündigung erst aussprechen,<br />
wenn alle milderen<br />
und den Arbeitnehmer<br />
weniger belastenden<br />
Möglichkeiten (erfolglos)<br />
ausgeschöpft sind.<br />
6 BAG 27.1.2<strong>01</strong>1 – 2 AZR 825/09 –, NZA 2<strong>01</strong>1, 798.<br />
7 So vgl. Blinkert, NZA 2<strong>01</strong>6, 721 (726).<br />
8 Die häufig angestellten Vergleiche aus der Fußballersprache<br />
»gelbrote Karte« sind im Hinblick auf die Gleichartigkeit problematisch.<br />
Im Fußball – im Gegensatz zum Arbeitsrecht – spielt<br />
der Anlass für die Verwarnung (Foulspiel oder »Schwalbe«) für<br />
einen späteren Platzverweis gerade keine Rolle, vgl. Waldenfels,<br />
ArbRAktuell 2<strong>01</strong>2, 209 (2<strong>01</strong>0).<br />
9 Waldenfels, ArbRAktuell 2<strong>01</strong>2, 209 (2<strong>01</strong>0).<br />
10 Vgl. BAG 29.6.2<strong>01</strong>7 – 2 AZR 302/16 –, juris. Wörtlich führt das<br />
BAG aus: »Die Bemerkung ›Du hast aber dicke Eier‹ stellt im Zusammenhang<br />
mit dem vorausgegangenen körperlichen Übergriff<br />
eine neuerliche Demütigung dar, indem durch sie der Umstand,<br />
dass der Betroffene zum Ziel einer körperlichen sexuellen<br />
Belästigung gemacht wurde, bekräftigt und für alle Personen in<br />
Hörweite publik gemacht wird.«<br />
11 BAG 15.1.1986 – 5 AZR 70/84 –, NZA 1986, 421.<br />
12 BAG vom 14.12.1994 – 5 AZR 137/94 –, juris zu § 70 Abs. 1 BAT.<br />
Diese BAGRechtsprechung gilt auch für die inhaltsgleichen<br />
Nachfolgeregelungen der § 37 TVöD und § 37 TVL.<br />
13 Ständige Rechtsprechung, so schon BAG 14.12.1994 – 5 AZR<br />
137/94 –, juris; vgl. auch HKArbR/Markowski, 3. Aufl., § 1 KSchG<br />
Rn. 246.<br />
14 LAG Köln 23.9.2003 – 13 (12) Sa 1137/02 –, juris; weitere Einzelheiten<br />
hierzu Mandalka, Abmahnung, 2<strong>01</strong>6, S. 51.<br />
33