Leseprobe Personalrat 01_2018
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der <strong>Personalrat</strong><br />
derpersonalrat.de<br />
35. JAHRGANG<br />
ISSN <strong>01</strong>75-9299<br />
D 8319<br />
personalrecht im öffentlichen dienst<br />
1 | 2<strong>01</strong>8<br />
bundesteilhabegesetz<br />
So gelingt<br />
die Teilhabe<br />
tarifeinheit Das BVerfG hat zum Tarifeinheitsgesetz keine Klarheit geschaffen<br />
abmahnung Nicht immer ist es klug, gegen Rügen von Fehlverhalten vorzugehen<br />
rückzahlung Wer vorzeitig ausscheidet, muss die Ausbildungskosten erstatten
titelthema<br />
bundesteilhabegesetz<br />
Der <strong>Personalrat</strong> 1 | 2<strong>01</strong>8<br />
Die Bedeutung<br />
des BTHG<br />
schwerbehindertenrecht Die Inklusion soll verbessert werden,<br />
auch durch neue Aufgaben der Schwerbehindertenvertretungen.<br />
Die Personalräte wurden dabei nicht berücksichtigt.<br />
VON FRANZ JOSEF DÜWELL<br />
8
Der <strong>Personalrat</strong> 1 | 2<strong>01</strong>8<br />
bundesteilhabegesetz<br />
titelthema<br />
Der Bundestag hat am 1.12.2<strong>01</strong>6 in<br />
zweiter und dritter Beratung mit<br />
den Stimmen von CDU/CSU und<br />
SPD gegen die Stimmen von »Die<br />
Linke« bei Enthaltung von »Bündnis 90/Die<br />
Grünen« das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe<br />
und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen<br />
(Bundesteilhabegesetz – BTHG)<br />
beschlossen. Das Gesetz ist am 23.12.2<strong>01</strong>6<br />
ausgefertigt und am 29.12.2<strong>01</strong>6 im Bundesgesetzblatt<br />
verkündet worden. 1 Es ist zum Teil bereits<br />
am 30.12.2<strong>01</strong>6 in Kraft getreten. 2<br />
Artikelgesetz mit vier Reformstufen<br />
Das BTHG besteht aus 27 Artikeln (Art. 1 bis<br />
26 sowie Art. 25a). Art. 1 enthält die Neufassung<br />
des durch das BTHG reformierten SGB<br />
IX zum 1.1.2<strong>01</strong>8. Dazu wird die sozialrechtliche<br />
Eingliederungshilfe als Teil 2 in das reformierte<br />
SGB IX eingefügt. Ziel ist die Verbesserung<br />
der Lebenssituation von Menschen<br />
mit Behinderungen zu mehr selbstbestimmter<br />
Lebensführung. Dazu dienen folgende wesentlichen<br />
Änderungen:<br />
· Künftig soll ein Antrag ausreichen, um<br />
alle benötigten Leistungen von verschiedenen<br />
Rehabilitationsträgern »wie aus einer<br />
Hand« zu erhalten.<br />
· Die Chancen für den Übergang aus dem<br />
Werkstattverhältnis in ein Arbeitsverhältnis<br />
auf dem ersten Arbeitsmarkt werden durch<br />
ein bundeseinheitlich geltendes Budget für<br />
Arbeit 3 erhöht.<br />
· Beziehern von Leistungen der Eingliederungshilfe<br />
werden höhere Freibeträge bei<br />
der Einkommens- und Vermögensanrechnung<br />
eingeräumt, so dass sie deutlich mehr<br />
vom eigenen Arbeitsentgelt behalten und<br />
sparen können.<br />
darum geht es<br />
1. Das Schwerbehindertenrecht<br />
im Sozialgesetzbuch<br />
IX ist seit<br />
dem 1.1.2<strong>01</strong>8 neu gefasst.<br />
2. Das Bundesteilhabegesetz<br />
stärkt die Schwerbehindertenvertretungen.<br />
3. Anders als für die Betriebe<br />
wurden die Rechte<br />
und Pflichten der Dienststellen<br />
und Personalräte<br />
aber nicht erweitert.<br />
Art. 25a und 26 des BTHG sehen ein gestuftes<br />
Inkrafttreten vor. Die kostenintensiven Verbesserungen<br />
bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung<br />
bei der Eingliederungshilfe<br />
treten in vier Reformstufen bis zum 1.1.2023<br />
in Kraft. 4<br />
Neufassung des Schwerbehindertenrechts<br />
Zum 1.1.2<strong>01</strong>8 ist Art. 1 des BTHG mit der völligen<br />
Neufassung des SGB IX in Kraft getreten.<br />
Für die Zeit bis einschließlich 31.12.2<strong>01</strong>7<br />
hat Art. 2 BTHG als Vorschaltgesetz gewirkt.<br />
1 BGBl. I 2<strong>01</strong>6, 3234.<br />
2 Hierzu Sachadae, PersR 2/2<strong>01</strong>7, 33.<br />
3 Näher hierzu Nebe, in diesem Heft ab S. 13.<br />
4 Einzelheiten Düwell/Beyer, Das neue Recht für behinderte<br />
Beschäftigte, S. 12.<br />
9
arbeits- und tarifrecht<br />
Abmahnungen im Arbeitsrecht<br />
Der <strong>Personalrat</strong> 1 | 2<strong>01</strong>8<br />
Abmahnungen im<br />
Arbeitsrecht<br />
sanktionen Mit Abmahnungen reagiert der Arbeitgeber auf Fehlverhalten.<br />
Die betroffenen Arbeitnehmer können dagegen vorgehen.<br />
VON MICHAEL D. WIRLITSCH UND ANNA GALSTER<br />
darum geht es<br />
1. Verstöße gegen arbeitsvertragliche<br />
Pflichten<br />
darf der Arbeitgeber mit<br />
einer Abmahnung rügen.<br />
2. Gegen unberechtigte<br />
Abmahnungen kann der<br />
Beschäftigte auf verschiedene<br />
Weise vorgehen.<br />
3. Dabei kann auch der<br />
<strong>Personalrat</strong> betroffenen<br />
Arbeitnehmern helfen.<br />
gut zu wissen<br />
Abgrenzung von der<br />
Ermahnung<br />
Die Abmahnung ist von<br />
der Ermahnung abzugrenzen.<br />
Letztere ist lediglich<br />
die Rüge eines arbeitsvertraglichen<br />
Fehlverhaltens,<br />
die aber keine Kündigungsandrohung<br />
enthält.<br />
Ermahnungen können<br />
nicht für verhaltensbedingte<br />
Kündigungen<br />
herangezogen werden.<br />
Menschen machen Fehler, auch<br />
am Arbeitsplatz. Das können<br />
auch Fehler sein, die gegen arbeitsvertragliche<br />
Pflichten verstoßen.<br />
Das kann beide Seiten betreffen, so<br />
beispielsweise unentschuldigtes Fehlen des<br />
Arbeitnehmers oder schlechte Personalführung<br />
des Arbeitgebers. Beide Vertragsparteien<br />
haben – rechtlich gesehen – die gleichen<br />
Reaktionsmöglich keiten. Doch die Folgen in<br />
der betrieblichen Praxis unterscheiden sich.<br />
Extrem selten mahnen Arbeitnehmer ihren<br />
Arbeitgeber wegen dessen arbeitsvertraglichen<br />
Fehlverhaltens ab.<br />
Das hat auch damit zu tun, dass Beschäftigte,<br />
die eine solche Abmahnung aussprechen,<br />
fast immer (weitere) Nachteile erwarten müssen.<br />
1 In der Praxis greifen fast immer nur Arbeitgeber<br />
zu dem Instrument der Abmahnung.<br />
Arbeitnehmer und auch Personalräte sollten<br />
einen guten Überblick über die dafür geltenden<br />
Rahmenbedingungen und ihre Reaktionsmöglichkeiten<br />
haben. 2<br />
Abmahnung als Teil des Individualrechts<br />
Die Abmahnung ist ein vertragliches Rügerecht,<br />
mit dem in der Regel der Arbeitgeber<br />
den Arbeitnehmer auf eine Vertragsverletzung<br />
hinweist (Hinweisfunktion). Sie unterliegt unter<br />
dem Gesichtspunkt der Ordnung in der<br />
Dienststelle nicht dem Mitbestimmungsrecht<br />
des <strong>Personalrat</strong>s. 3 Einige Landespersonalvertretungsgesetze<br />
sehen Beteiligungsrechte<br />
vor. 4 Die Pflichtverletzung muss konkret beschrieben<br />
werden. Der Arbeitnehmer muss<br />
erkennen (können), was er falsch gemacht<br />
hat. Die Wirksamkeit einer Abmahnung hängt<br />
von ihrer inhaltlichen Bestimmtheit ab. In ihr<br />
muss das Fehlverhalten der/des Betreffenden<br />
sehr genau dargestellt werden, inklusive Datum,<br />
Uhrzeit, Ort, beteiligter Personen. Bloße<br />
Schlagworte genügen nicht. Um die Hinweisfunktion<br />
zu erfüllen, muss die Frage: »Was ist<br />
geschehen?« präzise beantwortet werden.<br />
Sodann ist zu pflichtgemäßem Verhalten in<br />
der Zukunft zu ermahnen (Ermahnungsfunktion).<br />
Der Arbeitgeber muss das Verhalten des<br />
Arbeitnehmers eindeutig als Vertragsverstoß<br />
rügen und ihn auffordern, das beanstandete<br />
Verhalten zu ändern. Hier wird die Frage beantwortet:<br />
Wie soll sich der Arbeitnehmer in<br />
Zukunft verhalten?<br />
Last but not least müssen die sich ergebenden<br />
Rechtsfolgen konkret angedroht werden<br />
(Androhungs- und Warnfunktion). Hierzu gehört<br />
der unmissverständliche Hinweis, dass<br />
bei Wiederholung des Fehlverhaltens Inhalt<br />
oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet<br />
sind. Dem Arbeitnehmer muss deutlich<br />
vor Augen geführt werden, dass er bei einem<br />
gleichartigen Verhalten mit einer Kündigung<br />
rechnen muss. Es wird die Frage der Konsequenzen<br />
bei einem erneuten (gleichartigen)<br />
Verstoß beantwortet.<br />
Durch die Abmahnung soll dem Arbeitnehmer<br />
zum einen sein Fehlverhalten vor Augen<br />
geführt werden und ihm zum anderen klargemacht<br />
werden, welches Verhalten von ihm<br />
erwartet wird und was im Falle der Wiederholung<br />
des unerwünschten Verhaltens geschieht.<br />
Rechtsgrundlage der Abmahnung ist § 314<br />
Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.<br />
Sie ist das »mildere<br />
Mittel« im Verhältnis zur Kündigung. Eine verhaltensbedingte<br />
Kündigung nach dem KSchG<br />
32<br />
1 Ausführlicher und sehr anschaulich Wolmerath, ArbRAktuell<br />
2<strong>01</strong>7, 192.<br />
2 Auf kollektivrechtlicher Ebene bietet sich für den <strong>Personalrat</strong><br />
eine Dienstvereinbarung als eine hilfreiche betriebliche Gestaltungsmöglichkeit<br />
an.<br />
3 Berg in: Altvater/Baden/Berg/Kröll/Noll/Seulen, BPersVG, 9.<br />
Aufl., § 75 Rn. 247.<br />
4 Etwa in BadenWürttemberg (Mitwirkung nach § 81 Abs. 2 Nr. 2),<br />
in Brandenburg (Mitwirkung nach § 68 Abs. 1 Nr. 1) oder in NordrheinWestfalen<br />
(Anhörung nach § 74 Abs. 2).<br />
5 BAG 21.2.20<strong>01</strong> – 2 AZR 579/99 –, NZA 20<strong>01</strong>, 951.
Der <strong>Personalrat</strong> 1 | 2<strong>01</strong>8<br />
Abmahnungen im Arbeitsrecht<br />
arbeits- und tarifrecht<br />
ist grundsätzlich erst dann gerechtfertigt, wenn<br />
der vertragswidrig handelnde Arbeitnehmer<br />
zuvor abgemahnt wurde. 5 Dies folgt aus dem<br />
Verhältnismäßigkeitsprinzip (auch »Ultima-ratio«-Prinzip).<br />
Die Abmahnung ist gegenüber<br />
der Kündigung ein milderes Mittel. 6 Daher ist<br />
vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten<br />
Kündigung – von Ausnahmefällen abgesehen –<br />
abzumahnen.<br />
Die weit verbreitete Ansicht, es bedürfe immer<br />
dreier Abmahnungen, bevor eine Kündigung<br />
ausgesprochen werden kann, ist unrichtig.<br />
Diesen Automatismus gibt es nicht. Schon<br />
bei der ersten Wiederholung des rechtswirksam<br />
abgemahnten Verhaltens ist grundsätzlich<br />
eine verhaltensbedingte Kündigung möglich.<br />
Das gilt insbesondere bei Arbeitsverhältnissen,<br />
die besonderes Vertrauen benötigen. Hier ist<br />
das Gewicht der Pflichtverletzungen entscheidend,<br />
da bei schweren Pflichtverletzungen die<br />
Gefahr für anvertraute Menschen oder wichtige<br />
Güter oder ein Vertrauensverlust nicht hinnehmbar<br />
sein kann, etwa bei einem Flugzeugführer<br />
oder einer Kassiererin.<br />
Die Abmahnung ist keine Sanktion, sondern<br />
ist in das Prognoseprinzip 7 eingebunden.<br />
Kündigungsgründe sind zukunftsbezogen und<br />
sanktionieren nicht Vorfälle in der Vergangenheit.<br />
Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer<br />
trotz Abmahnung das gerügte Verhalten wiederholt,<br />
lässt den Schluss zu, dass er dies auch<br />
in Zukunft tun wird. Ist die Prognose für das<br />
weitere vertragsgerechte Verhalten schlecht, ist<br />
gegebenenfalls die Kündigung gerechtfertigt.<br />
Gleichartigkeit der Abmahnung<br />
Die Abmahnung ist – bildlich gesprochen – die<br />
»gelbe Karte« 8 im Arbeitsverhältnis. Für eine<br />
verhaltensbedingte Kündigung ist ein weiteres<br />
gleichartiges Fehlverhalten des Betreffenden<br />
notwendig. Die Identität der Pflichtverletzung<br />
braucht nur aus demselben Pflichtenbereich<br />
zu stammen, etwa eine Pflichtverletzung bezüglich<br />
Einhaltung der Arbeitszeit wie Zuspätkommen,<br />
vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes<br />
und unentschuldigtes Fehlen. 9<br />
Dies wurde auch durch das BAG 10 aktuell<br />
bejaht, bei dem es sich bei der Abmahnung<br />
um eine körperliche sexuelle Belästigung handelte<br />
und der Kündigungsgrund daraufhin<br />
verbale sexuelle Belästigungen waren. Dies<br />
ist ein Eingriff in die körperliche Intimsphäre,<br />
der im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG als sexuell<br />
bestimmt anzusehen ist. Die körperliche und<br />
verbale sexuelle Belästigung sei eine gleichartige<br />
Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung,<br />
die die Integrität der Betroffenen verletzt.<br />
Die Gleichartigkeit darf mithin nicht<br />
zu eng verstanden werden. Andererseits genügt<br />
es nicht, wenn die Pflichtverletzungen<br />
überhaupt keinen Zusammenhang aufweisen<br />
(zum Beispiel Zuspätkommen und Kollegen<br />
beschimpfen).<br />
Form und Fristen<br />
Wird die Abmahnung schriftlich erteilt und zur<br />
Personalakte genommen, hat sie eine Dokumentationsfunktion.<br />
Sie ist aber an keine Form<br />
gebunden. Eine mündliche Abmahnung wäre<br />
ebenso wirksam, allerdings ist aus Beweisgründen<br />
eine schriftliche Abmahnung angezeigt.<br />
Es gibt weder gesetzliche 11 noch tarifliche<br />
Ausschlussfristen 12 , innerhalb derer die Abmahnung<br />
auszusprechen ist. Jedoch unterliegt<br />
jedes Recht der Verwirkung, so auch das<br />
Recht, eine Abmahnung 13 zu erteilen, insbesondere<br />
wenn der Arbeitgeber den Eindruck<br />
erweckt hat, das Fehlverhalten sei nicht so<br />
gravierend. Das LAG Köln 14 ging von nur dreieinhalb<br />
Monaten als Verwirkungsfrist aus. Das<br />
Arbeitsgericht hat die Frage der Verwirkung<br />
als rechtsvernichtende Einwendung von Amts<br />
wegen zu prüfen, wenn Arbeitnehmer die Herausnahme<br />
der – unberechtigten – Abmahnung<br />
aus der Personalakte gerichtlich verlangen.<br />
Durch die Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber<br />
auf sein Kündigungsrecht in dem darin<br />
gerügten Sachverhalt. Eine Kündigung aufgrund<br />
des bereits abgemahnten Fehlverhaltens<br />
ist dann nicht mehr möglich.<br />
Berechtigung zum Abmahnen<br />
Nicht nur die zur Kündigung berechtigten<br />
Personen dürfen Abmahnungen erteilen. Alle<br />
Vorgesetzten, die nach ihrer Aufgabenstellung<br />
in der Lage sind, dem Arbeitnehmer Anweisungen<br />
hinsichtlich Ort, Zeit sowie der Art<br />
§ 314 abs. 2 bgb<br />
Besteht der wichtige<br />
Grund in der Verletzung<br />
einer Pflicht aus dem<br />
Vertrag, ist die Kündigung<br />
erst nach erfolglosem<br />
Ablauf einer zur<br />
Abhilfe bestimmten Frist<br />
oder nach erfolgloser<br />
Abmahnung zulässig.<br />
Für die Entbehrlichkeit<br />
der Bestimmung einer<br />
Frist zur Abhilfe und für<br />
die Entbehrlichkeit einer<br />
Abmahnung findet § 323<br />
Absatz 2 Nummer 1 und 2<br />
entsprechende Anwendung.<br />
Die Bestimmung<br />
einer Frist zur Abhilfe und<br />
eine Abmahnung sind<br />
auch entbehrlich, wenn<br />
besondere Umstände vorliegen,<br />
die unter Abwägung<br />
der beiderseitigen<br />
Interessen die sofortige<br />
Kündigung rechtfertigen.<br />
ultima-ratioprinzip<br />
Die Kündigung eines<br />
Arbeitsverhältnisses ist<br />
immer das letzte Mittel.<br />
Der Arbeitgeber darf eine<br />
Kündigung erst aussprechen,<br />
wenn alle milderen<br />
und den Arbeitnehmer<br />
weniger belastenden<br />
Möglichkeiten (erfolglos)<br />
ausgeschöpft sind.<br />
6 BAG 27.1.2<strong>01</strong>1 – 2 AZR 825/09 –, NZA 2<strong>01</strong>1, 798.<br />
7 So vgl. Blinkert, NZA 2<strong>01</strong>6, 721 (726).<br />
8 Die häufig angestellten Vergleiche aus der Fußballersprache<br />
»gelbrote Karte« sind im Hinblick auf die Gleichartigkeit problematisch.<br />
Im Fußball – im Gegensatz zum Arbeitsrecht – spielt<br />
der Anlass für die Verwarnung (Foulspiel oder »Schwalbe«) für<br />
einen späteren Platzverweis gerade keine Rolle, vgl. Waldenfels,<br />
ArbRAktuell 2<strong>01</strong>2, 209 (2<strong>01</strong>0).<br />
9 Waldenfels, ArbRAktuell 2<strong>01</strong>2, 209 (2<strong>01</strong>0).<br />
10 Vgl. BAG 29.6.2<strong>01</strong>7 – 2 AZR 302/16 –, juris. Wörtlich führt das<br />
BAG aus: »Die Bemerkung ›Du hast aber dicke Eier‹ stellt im Zusammenhang<br />
mit dem vorausgegangenen körperlichen Übergriff<br />
eine neuerliche Demütigung dar, indem durch sie der Umstand,<br />
dass der Betroffene zum Ziel einer körperlichen sexuellen<br />
Belästigung gemacht wurde, bekräftigt und für alle Personen in<br />
Hörweite publik gemacht wird.«<br />
11 BAG 15.1.1986 – 5 AZR 70/84 –, NZA 1986, 421.<br />
12 BAG vom 14.12.1994 – 5 AZR 137/94 –, juris zu § 70 Abs. 1 BAT.<br />
Diese BAGRechtsprechung gilt auch für die inhaltsgleichen<br />
Nachfolgeregelungen der § 37 TVöD und § 37 TVL.<br />
13 Ständige Rechtsprechung, so schon BAG 14.12.1994 – 5 AZR<br />
137/94 –, juris; vgl. auch HKArbR/Markowski, 3. Aufl., § 1 KSchG<br />
Rn. 246.<br />
14 LAG Köln 23.9.2003 – 13 (12) Sa 1137/02 –, juris; weitere Einzelheiten<br />
hierzu Mandalka, Abmahnung, 2<strong>01</strong>6, S. 51.<br />
33
echtsprechung<br />
Leitsätze<br />
Der <strong>Personalrat</strong> 1 | 2<strong>01</strong>8<br />
Recht kompakt<br />
Leit- und Orientierungssätze aus der Arbeitsund<br />
Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
tarifrecht<br />
Unzulässige Zielvereinbarung<br />
für ein Leistungsentgelt<br />
arbeitsrecht<br />
Benachteiligung im Sinne des AGG<br />
1. Die in § 15 Abs. 4 AGG bestimmte Ausschlussfrist ist – auch<br />
in ihrer Kombination mit der für den Entschädigungsanspruch<br />
nach § 15 Abs. 2 AGG maßgeblichen Klagefrist des § 61b<br />
ArbGG – mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar. Sie<br />
wahrt sowohl den unionsrechtlichen Grundsatz der Äquivalenz<br />
als auch den der Effektivität. § 15 Abs. 4 AGG verstößt<br />
auch nicht gegen das in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/<br />
EG bestimmte Verbot der Absenkung des von den Mitgliedstaaten<br />
bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus.<br />
2. In den Fällen, in denen das Schadensersatz und/oder<br />
Entschädigungsverlangen auf eine verbotene Benachteiligung<br />
nach dem AGG in Form der Belästigung i.S. v. § 3 Abs. 3 AGG<br />
gestützt wird, beginnt die Frist des § 15 Abs. 4 AGG wegen des<br />
typischerweise prozesshaften Charakters der Belästigung mit<br />
dem Abschluss des letzten von der klagenden Partei geschilderten<br />
Vorfalls zu laufen.<br />
BAG, Urteil vom 18.5.2<strong>01</strong>7 – 8 AZR 74/16<br />
disziplinarrecht<br />
Heimliche Filmaufnahmen in<br />
Dienstunterkunft<br />
1. Verletzt ein Soldat durch die Herstellung heimlicher<br />
Filmaufnahmen in der innerhalb dienstlicher Unterkünfte<br />
gelegenen Stube einer Kameradin ihren höchstpersönlichen<br />
Lebensbereich, ist die Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt<br />
der Zumessungserwägungen.<br />
2. Die kontinuierliche Erbringung von Spitzenleistungen und<br />
die tadelfreie Führung während eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens<br />
kommt einer Nachbewährung gleich und ist<br />
mit gleich hohem Gewicht für den Soldaten sprechend in der<br />
Gesamtabwägung zu berücksichtigen.<br />
BVerwG, Urteil vom 16.2.2<strong>01</strong>7 – 2 WD 14/16<br />
1. Indem § 18 Abs. 6 Satz 2 TVöD (VKA) besagt, dass innerhalb<br />
eines Systems leistungsbezogener Bezahlung die individuellen<br />
Leistungsziele von Beschäftigten bzw. Beschäftigtengruppen<br />
beeinflussbar sein müssen, ist tariflich angeordnet, dass die<br />
Erreichung des – etwa in einer Zielvereinbarung – festgelegten<br />
Ziels durch den individuellen Beschäftigten bzw. die<br />
individuelle Beschäftigtengruppe beeinflussbar sein muss.<br />
2. Ein individuelles Leistungsziel muss durch Sorgfalt, Fleiß<br />
und Mühewaltung dem individuellen Beschäftigten erreichbar<br />
sein. Für das GruppenLeistungsziel gilt dasselbe in Bezug auf<br />
das Zusammenwirken der Beschäftigtengruppe zum Erreichen<br />
des gemeinsamen, einheitlichen Zieles.<br />
3. Offen hat zu bleiben, ob § 18 Abs. 6 Satz 2 TVöD (VKA) es<br />
gestattet, ein individuelles Leistungsziel dahingehend zu<br />
definieren, dass Zielerreichung dann anzunehmen sei, wenn<br />
eine Mehrzahl von Beschäftigten in zusammenfassender<br />
Betrachtung ein »SummenZiel« erreicht, ohne eine Beschäftigtengruppe<br />
mit gemeinsamem Gruppenziel zu bilden. Die<br />
Festlegung eines solchen SummenZiels muss aber jedenfalls<br />
dafür Gewähr bieten, dass es dem individuellen Beschäftigten<br />
möglich ist, auf das Erreichen des SummenZiels hinzuwirken,<br />
etwa indem er motivierend auf seine Kollegenschaft einwirkt.<br />
Die bloße Möglichkeit, die individuelle Leistung zum<br />
Erreichen des SummenZiels beizutragen, ist für sich allein<br />
betrachtet keine hinreichende Möglichkeit der Beeinflussung<br />
der Zielerreichung im Sinne von § 18 Abs. 6 Satz 2 TVöD (VKA).<br />
4. Ein einzelner Mitarbeiter eines Jobcenters vermag es nicht<br />
zu beeinflussen, ob neunzig Mitarbeiter des Jobcenters an vier<br />
Standorten innerhalb eines Landkreises das Ziel erreichen,<br />
während eines Referenzzeitraumes von neun Monaten mindestens<br />
2.024 arbeitssuchende Personen in den Arbeitsmarkt<br />
zu integrieren.<br />
LAG BerlinBrandenburg, Urteil vom 24.3.2<strong>01</strong>7 – 6 Sa 1848/16<br />
arbeitsrecht<br />
Klagefrist bei Eigenkündigung<br />
Die Klagefrist gem. § 4 Satz 1 KSchG und die Fiktionswirkung<br />
des § 7 KSchG finden auf die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers<br />
keine Anwendung.<br />
BAG, Urteil vom 21.9.2<strong>01</strong>7 – 2 AZR 57/17<br />
42
Der <strong>Personalrat</strong> 1 | 2<strong>01</strong>8<br />
Orientierungssätze<br />
rechtsprechung<br />
arbeitsrecht<br />
arbeitsrecht<br />
Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG<br />
1. Die in einer Stellenausschreibung enthaltene Anforderung<br />
»Deutsch als Muttersprache« kann Personen wegen der ethnischen<br />
Herkunft in besonderer Weise benachteiligen i.S. v.<br />
§ 3 Abs. 2 AGG. Sie bewirkt, soweit es an einer Rechtfertigung<br />
i.S. v. § 3 Abs. 2 AGG fehlt, eine mittelbare Diskriminierung<br />
wegen der ethnischen Herkunft. Die erworbene Muttersprache<br />
ist typischerweise mittelbar mit der Herkunft und<br />
damit auch mit dem in § 1 AGG genannten Grund »ethnische<br />
Herkunft« verknüpft. Der Begriff »Muttersprache« betrifft<br />
den primären Spracherwerb. »Muttersprache« ist die Sprache,<br />
die man von Kind auf oder als Kind – typischerweise von den<br />
Eltern – gelernt hat. Darauf, ob der Begriff der muttersprachlichen<br />
Kenntnisse den Rückschluss auf eine bestimmte Ethnie<br />
zulässt, kommt es nicht an.<br />
2. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach § 15<br />
Abs. 1 oder Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten<br />
schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien<br />
haben etwas anderes vereinbart, was hier<br />
nicht der Fall ist. Die Frist beginnt nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG<br />
im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs<br />
mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen<br />
einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die<br />
Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.<br />
3. Die Ablehnung eines Bewerbers ist keine rechtsgestaltende<br />
Willenserklärung, sondern eine rechtsgeschäftsähnliche<br />
Handlung. Da § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG für die Ablehnung keine<br />
bestimmte Form vorschreibt, muss die Ablehnung weder<br />
schriftlich noch sonst verkörpert erfolgen und kann deshalb<br />
auch mündlich erklärt werden.<br />
4. Eine »Ablehnung durch den Arbeitgeber« i.S. v. § 15 Abs. 4<br />
Satz 2 AGG setzt eine auf den Beschäftigten bezogene<br />
ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Arbeitgebers<br />
voraus, aus der sich für den Beschäftigten aus der Sicht eines<br />
objektiven Erklärungsempfängers eindeutig ergibt, dass seine<br />
Bewerbung keine Aussicht (mehr) auf Erfolg hat. Allerdings<br />
reicht ein Schweigen oder sonstiges Untätigbleiben des<br />
Arbeitgebers grundsätzlich nicht aus, um die Frist des § 15<br />
Abs. 4 AGG in Lauf zu setzen. Ebenso wenig reicht es aus,<br />
wenn der Bewerber nicht durch den Arbeitgeber, sondern auf<br />
andere Art und Weise erfährt, dass seine Bewerbung erfolglos<br />
geblieben ist. Die Ablehnung muss sich als Reaktion auf die<br />
konkrete Bewerbung darstellen.<br />
BAG, Urteil vom 29.6.2<strong>01</strong>7 – 8 AZR 402/15<br />
Außerordentliche Kündigung<br />
wegen Drohung<br />
1. Die ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren<br />
für Leib oder Leben des Arbeitgebers, von Vorgesetzten und/<br />
oder Arbeitskollegen, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund<br />
eingreift, stellt eine erhebliche Verletzung der<br />
Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB dar, auf<br />
die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu<br />
nehmen. Eine solche Drohung kann eine fristlose Kündigung<br />
unabhängig davon rechtfertigen, ob der Arbeitnehmer den<br />
Arbeitgeber mittels ihrer zu einer bestimmten Handlung,<br />
Duldung oder Unterlassung bestimmen will. Allerdings kann<br />
eine solche Intention das Gewicht der Bedrohung weiter<br />
verstärken.<br />
2. Eine ernstliche Drohung liegt vor, wenn die Äußerung nach<br />
ihrem sorgfältig zu ermittelnden Erklärungsgehalt objektiv<br />
geeignet ist, bei einem »normal« empfindenden Menschen<br />
den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken, und der Wille des<br />
Drohenden darauf gerichtet ist, dass der Adressat die Drohung<br />
ernst nimmt. Nicht entscheidend ist, ob der Drohende<br />
seine Ankündigung verwirklichen kann oder will.<br />
3. Hat der Arbeitnehmer ernstliche Drohungen bei der Durchführung<br />
eines betrieblichen Eingliederungsmanagements<br />
i.S. v. § 84 Abs. 2 SGB IX (bEM) ausgesprochen, schließt dies<br />
die Verwertung der betreffenden Erkenntnisse im Kündigungsschutzprozess<br />
nicht aus. Die Durchführung des bEM und<br />
die Zwecke dieses Suchprozesses gebieten es nicht, ernstlichen<br />
Drohungen seitens des Arbeitnehmers von vorneherein<br />
und losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls, ein<br />
geringeres Gewicht beizulegen.<br />
BAG, Urteil vom 29.6.2<strong>01</strong>7 – 2 AZR 47/16<br />
disziplinarrecht<br />
Besondere Verwerflichkeit<br />
Die Anzahl und der Inhalt kinderpornografischer Schriften<br />
können eine besondere Verwerflichkeit begründen, die die<br />
Höchstmaßnahme disziplinarrechtlicher Maßnahmebemessung<br />
rechtfertigen kann.<br />
BVerwG, Beschluss vom 16.3.2<strong>01</strong>7 – 2 B 42/16<br />
43
Schnell. Präzise. Hieb- und stichfest.<br />
Der <strong>Personalrat</strong><br />
personalrecht im öffentlichen dienst<br />
derpersonalrat.de<br />
35. JAHRGANG<br />
ISSN <strong>01</strong>75-9299<br />
D 8319<br />
1 | 2<strong>01</strong>8<br />
Der <strong>Personalrat</strong><br />
PERSONALRECHT IM<br />
ÖFFENTLICHEN DIENST<br />
Mit Online-Ausgabe und -Archiv<br />
Neuauflage!<br />
Mit Redaktions-Service Online<br />
bundesteilhabegesetz<br />
So gelingt<br />
die Teilhabe<br />
tarifeinheit Das BVerfG hat zum Tarifeinheitsgesetz keine Klarheit geschaffen<br />
abmahnung Nicht immer ist es klug, gegen Rügen von Fehlverhalten vorzugehen<br />
rückzahlung Wer vorzeitig ausscheidet, muss die Ausbildungskosten erstatten<br />
Mit Newsletter und App<br />
Machen Sie jetzt<br />
den Gratis-Test!<br />
§<br />
Ihr gutes Recht:<br />
§<br />
Der Bezug der Zeitschrift »Der <strong>Personalrat</strong>« gehört zum Bedarf<br />
der laufenden Geschäftsführung nach § 44 Abs. 2 BPersVG<br />
sowie den entsprechenden Vorschriften der LPersVG.<br />
Schnell, verständlich, rechtssicher.<br />
Lösungen für Betriebs- und Personalräte.