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Sachwert Magazin Ausgabe 62, Dezember 2017

WOLFGANG BOSBACH: Man sollte nicht nur meinung haben, sondern auch ahnung CLAUS VOGT: US-Wirtschaft wird weiter schön geredet

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CLAUS VOGT: US-Wirtschaft wird weiter schön geredet

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Geldpolitik<br />

lios der Fed geführt – mehr als genug, um<br />

das dünne Kapitalpolster von seinerzeit<br />

60 Milliarden Dollar aufzuzehren.<br />

Gegen Ende Januar 2013, als die Renditen<br />

gerade zu steigen begonnen hatten, war<br />

ich in Vail, Colorado, bei einem Freund<br />

zum Abendessen eingeladen. Am Tisch<br />

saß auch ein Mann, der vor Kurzem aus<br />

dem »Board of Governors« (Vorstand)<br />

der Federal Reserve ausgeschieden war<br />

und QE1, QE2 und den Beginn von QE3<br />

als Vorstandsmitglied miterlebt hatte. Ich<br />

bin ein Mensch, der sich nicht scheut,<br />

auch heikle Themen anzusprechen, und<br />

nach einigem höflichen Geplauder über<br />

Belangloses sprach ich den Ex-Governor<br />

direkt an und sagte zu ihm: »Es sieht so<br />

aus, als sei die Fed insolvent.« Er schien<br />

überrascht zu sein und sagte: »Nein, das<br />

sind wir nicht.« Daraufhin erklärte ich:<br />

»Nun, vielleicht nicht in technischer Hinsicht,<br />

aber wenn man eine marktgerechte<br />

Bewertung zugrunde legt, dann ist es<br />

so.« Der Governor erwiderte: »Niemand<br />

hat das durchgerechnet.« Ich antwortete:<br />

»Ich habe es durchgerechnet und ich<br />

glaube, auch andere haben das schon getan.«<br />

Ich sah dem Governor in die Augen<br />

und bemerkte ein leichtes Zucken. Er antwortete:<br />

»Nun ja, vielleicht.« Und dann,<br />

nach einer Pause: »Falls wir tatsächlich<br />

insolvent sein sollten, spielt das keine Rolle;<br />

eine Zentralbank braucht kein Kapital.<br />

Viele Zentralbanken der Welt haben kein<br />

Kapital.« Ich antwortete ihm: »Ich verstehe<br />

Ihren Standpunkt, Governor. Zentralbanken<br />

brauchen aus technischer Sicht<br />

kein Kapital. Allerdings könnte das eine<br />

Überraschung für die Bürger der Vereinigten<br />

Staaten sein. Es gibt gute Gründe für<br />

die Annahme, dass die Solvenz der Fed<br />

im Präsidentschaftswahlkampf 2016 zu<br />

einem wichtigen Thema werden könnte.«<br />

An dieser Stelle bemerkte ich, dass unser<br />

Gastgeber unruhig wurde, und so lenkte<br />

ich das Gespräch wieder auf unverfänglichere<br />

Themen wie Wein und Skifahren.<br />

Ich wollte den Governor nicht in ein Gespräch<br />

über technische Buchhaltungsmethoden<br />

und die Theorie des Zentralbankwesens<br />

verwickeln. Mir kam es allein<br />

darauf an, dass das gesamte Konstrukt<br />

der Federal Reserve und des US-Dollar auf<br />

einem einzigen Stützpfeiler ruht – nämlich<br />

Vertrauen.<br />

Solange das Vertrauen der Bürger erhalten<br />

bleibt, kann das Gelddrucken weitergehen.<br />

Sobald jedoch dieses Vertrauen<br />

verloren geht, kann auch noch so viel<br />

Gelddrucken die Lage nicht mehr retten.<br />

Meine Sorge ist, dass die Federal Reserve<br />

dermaßen von MIT-Quants (quantitative<br />

Analysten, die am Massachusetts Institute<br />

of Technology studiert haben) und<br />

Akademikern dominiert wird, dass die politischen<br />

Entscheider sich in deren finanzmathematischen<br />

Modellen verlieren und<br />

das Temperament der US-Bürger und das<br />

Vertrauen, das die Amerikaner ihnen entgegenbringen,<br />

aus den Augen verlieren.<br />

Anfang 2015 traf ich mich mit einem<br />

weiteren Fed-Funktionär in Midtown<br />

Manhattan zum Dinner. Dieses Mal handelte<br />

es sich nicht um einen Governor,<br />

sondern einen studierten Spezialisten, der<br />

von Ben Bernanke und Janet Yellen persönlich<br />

ausgesucht worden war, um die<br />

Politik der Fed öffentlich zu erläutern. Er<br />

war kein PR-Profi und in der Öffentlichkeit<br />

kaum bekannt. Er war ein totaler Insider<br />

und hatte sein Büro auf derselben Etage<br />

wie Bernanke und Yellen, im Hauptquartier<br />

der Fed an der Constitution Avenue<br />

in Washington, D. C. (was Bernanke mir<br />

persönlich bestätigte, als ich etwas später<br />

mit ihm sprach).<br />

Auch ihn fragte ich, ob es sein könne, dass<br />

die Fed bei einer marktgerechten Bewertung<br />

insolvent sei. Zu diesem Zeitpunkt<br />

war die Rendite von Zehn-Jahres-Schatzanweisungen<br />

auf unter 2 Prozent gefallen<br />

und viele der zwischen 2010 und<br />

2013 gekauften Zehn-Jahres-Schatzanweisungen<br />

waren nicht mehr so schwankungsanfällig,<br />

weil bis zu ihrer Fälligkeit<br />

nur noch fünf bis sieben Jahre verblieben.<br />

(Eine Zehn-Jahres-Schatzanweisung, die<br />

in fünf Jahren fällig wird, wird im Hinblick<br />

auf ihre Laufzeit und Volatilität genauso<br />

gehandelt wie eine Fünf-Jahres-Schatzanweisung.)<br />

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs<br />

sah es aus, als hätte die Fed ihre<br />

Verluste aus einer marktgerechten Bewertung<br />

wieder hereingeholt und als sei sie<br />

solvent. Dennoch wollte ich über dieses<br />

Thema sprechen, weil die Zinsen wieder<br />

steigen konnten, was zu neuen Verlusten<br />

an den Märkten geführt hätte. Mich interessierte<br />

das Thema »Vertrauen«. Dieses<br />

Mal war die Reaktion weniger nebulös als<br />

bei meinem Gespräch in Vail. Vielmehr äußerte<br />

sich mein Bekannter sehr entschieden:<br />

»Wir sind nicht insolvent und sind<br />

es auch nie gewesen. Es steht alles in der<br />

Bilanz, Sie können es dort nachlesen.« Bei<br />

dieser Aussage bezog er sich ausdrücklich<br />

auf die Phase höherer Zinsen Mitte 2013.<br />

Aber davon ließ er sich nicht beirren. »Wir<br />

sind nie insolvent gewesen.« Thema erledigt.<br />

Da ich das Anleihenportfolio der Fed nach<br />

den Grundsätzen der marktgerechten Bewertung<br />

durchgerechnet hatte, war ich<br />

von seiner entschiedenen Aussage irritiert.<br />

Hatte ich vielleicht etwas übersehen? Hatte<br />

die Fed womöglich einen versteckten<br />

Vermögenswert, der die Verluste im Anleihenportfolio<br />

ausgleichen konnte? Es<br />

war klar, dass mein Freund mich in diese<br />

Richtung lenken wollte, ohne das jedoch<br />

ausdrücklich sagen zu wollen.<br />

Bild: Depositphotos/ Zooom

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