Leseprobe Soziale Sicherheit 11_2017

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Alterssicherung Betriebsrentenstärkungsgesetz: Neue Handlungsmöglichkeiten für die Tarifvertragsparteien Von Kerstin Schminke Selten war die betriebliche Altersversorgung (bAV) so in der Diskussion wie in den vergangenen zwei Jahren. Nachdem Anfang 2015 der Vorschlag aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) über ein »Sozialpartnermodell« 1 aufgeworfen wurde, nahm ein mehrjähriger Diskussionsprozess Fahrt auf, welcher letztendlich in der Verabschiedung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) im Juli 2017 vorerst endete. Im Folgenden wird vor allem erläutert, welche neuen Handlungsmöglichkeiten sich den Tarifvertragsparteien nach dem BRSG eröffnen. Aus Sicht der Bundesregierung der 18. Legislaturperiode war die Stärkung der bAV notwendig aufgrund des sinkenden Leistungsniveaus (s. Abbildung 1) in der ersten Säule – der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) – und der zu geringen und selektiven Verbreitung der bAV. 1. Die selektive Verbreitung der bAV Aus dem Alterssicherungsbericht 2016 der Bundesregierung lässt sich entnehmen, dass im Jahr 2015 etwa 17,7 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte eine Anwartschaft auf eine bAV erworben hatten. Im Jahr 2015 gab es insgesamt 31,1 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, so dass der bAV-Verbreitungsgrad bei rund 57 % 2 lag (s. Tabelle 1). Dieser Verbreitungsgrad ist allerdings relativ ungenau, da Mehrfachanwartschaften bei der Datenerhebung nicht ausgeschlossen werden konnten. Auch sagt diese Zahl noch nichts über die Qualität, die laufende Fortführung/Beitragsfreistellung oder die Finanzierung dieser Anwartschaften aus. Ebenso wenig wird daraus deutlich, wo diese Anwartschaften entstanden sind. 1 vgl. dazu auch Kerstin Schminke: Reform der betrieblichen Altersversorgung: Einschätzungen und Positionen aus der Sicht der IG Metall, in: Soz- Sich 6/2016, S. 219 f. 2 Alterssicherungsbericht der Bundesregierung 2016, BT-Drs. 18/10571, S. 133 Tabelle 1: Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zum Jahresende insgesamt sowie mit aktiven bAV-Anwartschaften sozialversicherungspflichtige Beschäftigte (in Mio.) darunter mit bAV (in Mio.) Verbreitungsquote 2001 2012 2013 2014 2015 28,0 29,5 29,9 30,4 31,1 13,6 17,4 17,6 17,6 17,7 48,7% 59,0% 58,8% 58,0% 57,0% Quelle: Alterssicherungsbericht 2016, BT-Drs. 18/10571 Dazu kommt, dass in dem vorgenannten Verbreitungsgrad auch die Leistungen aus den Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes (ZÖD) einbezogen wurden, so dass dieser zunächst recht hoch wirkende Wert durchaus in der Lage ist, über die Selektivität und die dadurch entstehende Notwendigkeit einer weiteren Verbreitung der bAV hinwegzutäuschen. Die bAV ist in Bezug auf ihre Verbreitung in diverser Hinsicht selektiv. So kann festgehalten werden, dass die bAV Abbildung 1: Tatsächliches Netto-Rentenniveau vor Steuern zwischen 1985 und 2016 und Untergrenze für 2030 Quelle: DRV Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2017 396 Soziale Sicherheit 11/2017

Alterssicherung Abbildung 2: Verbreitung der bAV (ohne ZÖD) Männer und Frauen nach Einkommenshöhe, Bruttolohn/ -gehalt (Euro/Monat) in 2015 Quelle: Eigene Darstellung nach Daten vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Forschungsbericht 476. Verbreitung der Altersvorsorge 2015, Endbericht Januar 2017, S. 27 Abbildung 3: Finanzierung der bAV nach Durchführungswegen im Jahr 2010 Quelle: Florian Blank/ Sabrina Wiecek: Die betriebliche Altersversorgung in Deutschland: Verbreitung, Durchführungswege und Finanzierung; Auswertung der Daten der WSI-Betriebsrätebefragung 2010; WSI Diskussionspapier Nr. 181, Düsseldorf 2012, S. 16 f., Abb. 11 in größeren Betrieben stärker verbreitet ist als in kleinen und mittleren Unternehmen. 3 Frauen haben durchschnittlich eine geringere Betriebsrente als Männer, im Osten gibt es weniger Betriebsrentenanwartschaften als im Westen der Bundesrepublik, Beschäftigte mit höherem Einkommen haben öfter eine (meist auch höhere) Betriebsrente als Beschäftigte mit niedrigerem Einkommen (s. Abbildung 2). 4 Hinzu kommt eine Verschiebung in der Finanzierung der bAV. Die klassische arbeitgeberfinanzierte Betriebsrente hat erheblich an Bedeutung verloren und weicht immer öfter Systemen 5 der Mischfinanzierung oder reiner Entgeltumwandlung, die durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Teil oder ganz selbst finanziert werden (s. Abbildung 3) 6 . 2. Hemmnisse und geplante Gegenmaßnahmen Aufgrund der hier dargestellten Gesamtsituation in der bAV hat auch das BMAS in einer von ihm in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie Ende 2012 7 die entscheidenden Hemmnisse für eine Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu analysieren versucht. Einige besonders zu erwähnende Hemmnisse waren • die Angst des Arbeitgebers vor hohem Verwaltungsund Informationsaufwand, • fehlendes Engagement des Arbeitgebers für eine bAV, • das Fehlen von bAV-Spezialisten/Personalressourcen im Unternehmen, • geringes Einkommen der Mitarbeiter, • fehlendes Engagement eines Betriebsrates • und schließlich zu hohe Komplexität des Themas bAV. 3 vgl. dazu Judith Kerschbaumer/Norbert Reuter: Das neue Betriebsrentenstärkungsgesetz aus sozial- und tarifpolitischer Sicht, S. 391 in diesem Heft 4 vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Forschungsbericht 430. Verbreitung der Altersvorsorge 2015, Endbericht, Januar 2017 5 Die fünf Durchführungswegen der bAV werden ausführlicher dargestellt in Kerstin Schminke, a. a. O., S. 217 f. 6 vgl. Florian Blank/Sabrina Wiecek: Die betriebliche Altersversorgung in Deutschland: Verbreitung, Durchführung und Finanzierung. Auswertung von Daten der WSI-Betriebsrätebefragung 2010; WSI-Diskussionspapier 181, Düsseldorf, September 2012, S. 16 f. (Abb. 11) 7 BMAS: Forschungsbericht 444. Machbarkeitsstudie für eine empirische Analyse von Hemmnissen für die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung in kleinen und mittleren Unternehmen (Machbarkeitsstudie bAV in KMU), Endbericht, Juni 2014 Soziale Sicherheit 11/2017 397

Alterssicherung<br />

Betriebsrentenstärkungsgesetz:<br />

Neue Handlungsmöglichkeiten für die Tarifvertragsparteien<br />

Von Kerstin Schminke<br />

Selten war die betriebliche Altersversorgung (bAV) so in der Diskussion wie in den vergangenen zwei Jahren. Nachdem<br />

Anfang 2015 der Vorschlag aus dem Bundesministerium für Arbeit und <strong>Soziale</strong>s (BMAS) über ein »Sozialpartnermodell«<br />

1 aufgeworfen wurde, nahm ein mehrjähriger Diskussionsprozess Fahrt auf, welcher letztendlich in der Verabschiedung<br />

des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) im Juli <strong>2017</strong> vorerst endete. Im Folgenden wird vor allem<br />

erläutert, welche neuen Handlungsmöglichkeiten sich den Tarifvertragsparteien nach dem BRSG eröffnen.<br />

Aus Sicht der Bundesregierung der 18. Legislaturperiode<br />

war die Stärkung der bAV notwendig aufgrund des sinkenden<br />

Leistungsniveaus (s. Abbildung 1) in der ersten Säule<br />

– der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) – und der zu<br />

geringen und selektiven Verbreitung der bAV.<br />

1. Die selektive Verbreitung der bAV<br />

Aus dem Alterssicherungsbericht 2016 der Bundesregierung<br />

lässt sich entnehmen, dass im Jahr 2015 etwa 17,7<br />

Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte eine Anwartschaft<br />

auf eine bAV erworben hatten. Im Jahr 2015<br />

gab es insgesamt 31,1 Mio. sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigte, so dass der bAV-Verbreitungsgrad bei rund<br />

57 % 2 lag (s. Tabelle 1). Dieser Verbreitungsgrad ist allerdings<br />

relativ ungenau, da Mehrfachanwartschaften bei der<br />

Datenerhebung nicht ausgeschlossen werden konnten.<br />

Auch sagt diese Zahl noch nichts über die Qualität, die<br />

laufende Fortführung/Beitragsfreistellung oder die Finanzierung<br />

dieser Anwartschaften aus. Ebenso wenig wird daraus<br />

deutlich, wo diese Anwartschaften entstanden sind.<br />

1 vgl. dazu auch Kerstin Schminke: Reform der betrieblichen Altersversorgung:<br />

Einschätzungen und Positionen aus der Sicht der IG Metall, in: Soz-<br />

Sich 6/2016, S. 219 f.<br />

2 Alterssicherungsbericht der Bundesregierung 2016, BT-Drs. 18/10571, S. 133<br />

Tabelle 1: Entwicklung der sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten zum Jahresende insgesamt<br />

sowie mit aktiven bAV-Anwartschaften<br />

sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigte<br />

(in Mio.)<br />

darunter mit<br />

bAV (in Mio.)<br />

Verbreitungsquote<br />

2001 2012 2013 2014 2015<br />

28,0 29,5 29,9 30,4 31,1<br />

13,6 17,4 17,6 17,6 17,7<br />

48,7% 59,0% 58,8% 58,0% 57,0%<br />

Quelle: Alterssicherungsbericht 2016, BT-Drs. 18/10571<br />

Dazu kommt, dass in dem vorgenannten Verbreitungsgrad<br />

auch die Leistungen aus den Zusatzversorgungskassen<br />

des öffentlichen Dienstes (ZÖD) einbezogen wurden, so<br />

dass dieser zunächst recht hoch wirkende Wert durchaus<br />

in der Lage ist, über die Selektivität und die dadurch entstehende<br />

Notwendigkeit einer weiteren Verbreitung der<br />

bAV hinwegzutäuschen.<br />

Die bAV ist in Bezug auf ihre Verbreitung in diverser Hinsicht<br />

selektiv. So kann festgehalten werden, dass die bAV<br />

Abbildung 1:<br />

Tatsächliches<br />

Netto-Rentenniveau<br />

vor Steuern zwischen<br />

1985 und 2016 und<br />

Untergrenze für 2030<br />

Quelle:<br />

DRV Deutsche Rentenversicherung<br />

in Zahlen<br />

<strong>2017</strong><br />

396<br />

<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>11</strong>/<strong>2017</strong>

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